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1974 -1994 20 Jahre Neonazis in Hamburg 1974 -1994 20 Jahre Neonazis in Hamburg 4DM SchülerInnen 3 DM 4DM SchülerInnen 3 DM

-1994 Neonazis Hamburg - nadir.org · 2000. 8. 18. · Nazis in Deutschland mit nahezu unver-hülltem Hitlergruß aufmarschieren, wenn sie sich je nachdem mit braunen, SA-ähnli-chen

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1974-199420 Jahre Neonazisin Hamburg

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INHALT

21974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Impressum

Herausgeber:Antifaschistische Gruppe

„DRUSCHBA NARODNYCH”

c/o Hamburger Satz- und Verlags-Kooperative GmbH

Schulterblatt 5820 357 Hamburg

V.i.S.d.P.: Heinrich EckhoffErscheinungsdatum: 07.10.1994

2. unveränderte Auflage

Bestellungen an dieVerlagsadresse

Normalpreis 4DMPreis für SchülerInnen 3DM

plus 1 DM/HeftPorto bei Versand

Zum Titelblatt:

Das Foto zeigt die Teilnehmer derVeranstaltung im Haus des Sports, von links:

Wolf-Dieter Eckart,H.J. Neumann,Gary Rex Lauck,

Thies Christophersen,Willi Wübbels

VORWORT 3

DIE OFFIZIELLE SICHT 4

WIE ALLES ANFING - NSDAP UND „HANSA BANDE“ 5

1974 – NSDAP-Treffen im Haus des Sports mit Christophersen und Lauck 5Die „Hansa Bande“ Michael Kühnens 5Die Eselsmasken-Aktion 6Die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS) 7Frauenpolitik – Fehlanzeige! 7Der Mord an Johannes Bügner 8

CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE 9

Rechte Hand von Michael Kühnen 9Im Führungskreis der „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GDNF) 10Worchs Aktivitäten – eine Chronologie 10Organisator des „Aufbauplanes Ost“ und der Heß-Märsche 11Organisator des Nazi-Terrors („Anti-Antifa“, „Einblick“) 13

JÜRGEN RIEGER - ANWALT DER BRAUNEN SZENE 14

Aktivist des Neonazismus 14Anwalt der alten und neuen Nazis 15Sein Landhaus in der Heide 16Braune Rechtshilfe 17

DIE FAP 18

Nach Verbot der ANS „Unterschlupf“ der Neonazis 18Die Freiheitliche Arbeieterpartei Deutschlands (FAP) in Hamburg 18Das Komitee Adolf Hitler 19Friedhelm Busse – ein Nazi und Krimineller 20Die Bundesgeschäftsstelle in Halstenbek und die Brüder Goertz 20Die Nationale Liste Hamburg 21Willi Wegner – eine Nazi-Karriere 23

BRAUNE TECHNIK-FREAKS 24

Nationales Infotelefon Hamburg 24Datennetze der Neonazis 24Eine Bewegung in Waffen 25Nazipropaganda durch Grundrechte geschützt? 25

TERROR VON RECHTS 27

Die Zeitschrift „INDEX“ (Hamburg 1992) 27Der „EINBLICK“ – Aufforderung zum Terror 27Der Fall Wilhelmshaven 28Hamburger Vorfälle 28

RECHTES AUS HAMBURG 30

Bergedorf – ein Zentrum der Neonazis 30Braunes an den Universitäten 30Nazis und Homosexuelle 32Nazi-Anschläge in Hamburg und Umgebung-eine unvollständige Sammlung 32

UNERLAUBTE FRAGEN? 34

LITERATUR UND (EIN PAAR) ADRESSEN 35

INTERVIEW MIT JÜRGEN BRAMMER 36

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VORWORT

31974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Eine Dokumentation über die Neona-zi-Szene in Hamburg erschien unsschon seit längerer Zeit überfällig.

Seit nunmehr 20 Jahren, angefangen voneiner Veranstaltung im Herbst 1974 imHamburger „Haus des Sports“, wo dieGründung einer NSDAP in Hamburgbeschlossen wurde, bis heute können Kaderdes Neonazismus in Hamburg ihr Unwesentreiben, ohne daß sie wesentlich von denBehörden behindert werden. Wenn heuteNazis in Deutschland mit nahezu unver-hülltem Hitlergruß aufmarschieren, wennsie sich je nachdem mit braunen, SA-ähnli-chen oder schwarzen, SS-ähnlichen Unifor-men kostümieren, wenn in immer dreistererForm die Verbrechen des Faschismus, dieGaskammern in Auschwitz und die syste-matische Judenvernichtung geleugnet wer-den, so hat all dies seinen Anfang in Ham-burg genommen. Zu nennen sind dabeiinsbesondere Jürgen Rieger, ChristianWorch und Thomas Wulff, die im heutigenNetzwerk des Neonazismus eine zentraleRolle spielen und deren Bedeutung weitüber die Grenzen Hamburgs hinausgeht.Wann die Erklärung des Hamburger Senatsvom Sommer 1993, nunmehr das Verbotder „Nationalen Liste“ zu beantragen, zuMaßnahmen führen wird, steht in den Ster-nen.

Die zentrale Bedeutung dieser Nazissteht in einem merkwürdigen Gegensatzzur staatlichen Politik, die bislang nurwenig Interesse daran bekundete, diesenVögeln das Handwerk zu legen. Undwährend die Hamburger obersten Verfas-sungsschützer wie der verstorbene Christi-an Lochte und sein Nachfolger Ernst Uhr-lau sich bei jeder sich bietendenGelegenheit als herausragende intime Ken-ner der bundesdeutschen Neonazi-Szenedarzustellen versuchen bzw. versuchten,reicht das Wissen der Polizei offenbar nichtaus, diese Nazis effektiv aus dem Verkehrzu ziehen. Das neueste Beispiel hierfür istder Terror gegen Jürgen Brammer, derAnfang 1994 über ein Nazi-Pamphlet„Nationales Echo“ der interessierten NS-Szene als Opfer präsentiert wurde; bislangbestand der Nazi-Terror zum Glück „nur“aus Telefonanrufen und Drohbriefen. Ebendieses „Nationale Echo“ war der Staats-

schutzabteilung der Polizei vom Verfas-sungsschutz einige Tage vor dem erstenöffentlichen Auftauchen des Hetzblatteszugeleitet worden – aus einer „nichtgerichtsverwertbaren Quelle“. All dies deu-tet darauf hin, daß die Aktivitäten in derHamburger Neonazi-Szene durchaus unterden Augen der zuständigen Behörden statt-finden.

Einen letzten Anstoß zur Herausgabedieser Dokumentation gab der Rücktritt desHamburger Innensenators Hackmann(SPD) im September 1994. Anlaß für sei-nen Rücktritt war ein Bericht eines Polizei-beamten, der nicht nur mehrere seiner Kol-legen rassistischer Übergriffe undGewalttaten beschuldigte, sondern nament-lich auch zwei Kollegen benannte, die mitNeonazis sympathisierten. Einer von die-sen beiden soll sich zum Staatsschutz ver-setzt haben lassen, um so – wie der Berichtbehauptet – „mit seinen Freunden aufStaatskosten Bier trinken“ zu können. Derandere wird beschuldigt, mehrfach anWehrsportübungen im Sachsenwald teilge-nommen zu haben. Genaueres ist demBericht nicht zu entnehmen. Der Verfasserwird mittlerweile als unglaubwürdig darzu-stellen versucht, der seine Informationen„vom Hörensagen“, also von Dritten habe.Bestätigt allerdings scheinen die Kontaktezumindest eines Beamten in die rechtsradi-kale Szene.

Völlig im Dunkeln liegt derzeit auch dieneonazistische Wehrsportgruppe, an derenÜbungen der Beamte teilgenommen habensoll.

Die vorliegende Zusammenstellungbeschränkt sich auf die Darstellung derNeonazi-Szene um Aktionsfront NationalerSozialisten (ANS), Freiheitliche Arbeiter-partei (FAP) und Nationale Liste (NL), diewir auch wegen ihres Auftretens manchmalals „Schaftstiefel-Faschisten“ bezeichnethaben. Rechtsradikale Gruppen wie Natio-naldemokratische Partei Deutschlands(NPD), Hamburger Liste für Ausländerstop(HLA), Deutsche Volksunion (DVU) oderREPs sind hier nicht das Thema.

Während noch vor wenigen Jahren dieNeonazis bei jeder sich bietenden Gelegen-heit versucht hatten, als eigene Partei zukandidieren, hat sich dies seit den Verbotenund Verbotsdrohungen von Ende 1992veerändert. Christian Worch hat nicht nurim Herbst 1993 die Kandidatur des rechts-lastigen CDUlers Heitmann zum Bunde-spräsidenten unterstützt, sondern ruft seitdem Frühjahr 1994 die Naziszene gegenerheblichen Widerstand in den eigenenReihen zur Wahl der Republikanern auf.

Eines noch vorweg: Wenn mensch sichsehr lange und intensiv mit Neonazisbeschäftigt, so kommt es leicht zu einerÜberschätzung dieser Vögel. Davor solltenwir uns hüten – Paranoia ist nicht angesagt.

Vorwort

Unter anderem waren diese Anschuldigungen gegen Polizeibeamte Anlaß für Hamburgs InnensenatorHackmann, im September 1994 zurückzutreten. Zumindest der Vorwurf gegen einen der beiden Polizistenhat sich offenbar bestätigt.

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DIE OFFIZIELLE SICHT

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Im Hamburger Verfassungsschutzbe-richt für 1993 werden für Hamburg1400 organisierte Rechtsextremisten

angenommen. Das ist in etwa eine Verdop-pelung der Zahlen seit Mitte der 80er Jahreund wird vor allem mit dem Anwachsender „Deutschen Volksunion“ (DVU) desGerhard Frey begründet. Die Zahl derrechtsextremistisch motivierten Straftatennahmen von 1992 auf 1993 leicht zu: von383 auf 397, wobei die Mehrzahl derDelikte eine eindeutig fremdenfeindlicheAusrichtung aufweist. Die Zahl der mili-tanten Skinheads, die vom Verfassungs-schutz als das größte Gewaltpotential ange-sehen werden, soll von 120 auf 100gesunken sein. Als Mitgliederzahlen dereinzelnen rechten Gruppen wurde Ende1992 dabei folgendes angegeben: NationaleListe mit 30 Mitgliedern; FAP: 15 Mitglie-der. NL und FAP werden von etwa 100rechtsradikalen Skins unterstützt. DieseSkinheads haben auch Kontakte zum ame-rikanischen „KuKluxKlan“ (KKK), derperiodisch in Deutschland mit Aktivitätenhervortritt Die NPD hat etwa 100 Mitglie-der, die NPD-nahe „Hamburger Liste fürAusländerstop“ (HLA) 180 Mitglieder, die

„Deutsche Volksunion“ etwa 700. DieRepublikaner haben 150 Mitglieder und die„Deutsche Liga“ war 1993 in Hamburgnoch im Aufbau. Ende 1992 wurde dieZunahme rechter Aktivitäten zum Anlaßgenommen, neunzehn weitere Beamtebeim Staats- und Verfassungsschutz einzu-stellen.

Als von besonderer Bedeutung wirdvom Verfassungsschutz (VS) die zuneh-mende Vernetzung des „nationalen Lagers“angesehen, durch die die bislang zersplit-terten rechtsextremistischen Organisatio-nen immer enger zusammenarbeiten undneue Organisations- und Kommunikations-formen entwickeln würden. Namentlichgenannt als eine solche gemeinsame Orga-nisationsform wird das in Hamburg ansäs-sige „Deutsche Rechtsbüro“, eine bundes-weit operierende juristischeSelbsthilfeeinrichtung der Neonazi-Szene,die regelmäßig über die rechtlichen Fragenvon Nazi-Aktivitäten aufzuklären versucht,Tips gibt für „legale“ Aktionen etc. Einewesentliche Rolle bei dieser Vernetzungspielen auch zunehmend die neuen elektro-nischen Kommunikationsmedien wie Mail-boxen in Computernetzen, Info-Telefoneetc.

Eine herausragende Rolle dabei spieltnach Ansicht des VS Christian Worch,

„nur“ stellvertretender Chef der NationaleListe Hamburgs, der mit seiner im Sommer1992 ins Leben gerufenen „Anti-Antifa-Kampagne“ ein Stichwort für den Aufbau„organisationsübergreifender Strukturen“gegeben habe.

Innerhalb des militanten rechten Lagerssei – so der VS weiter – durchaus die Ten-denz „geplanter rechtsextremistischer moti-vierter Gewalttaten“ gegeben, was auf gutdeutsch nichts anderes bedeutet, daß inner-halb der Nazi-Gruppen offenbar Überle-gungen angestellt und Vorbereitungengetroffen werden, mit explizit konspirativ-terroristischen Methoden vorzugehen. DieNöglichkeit einer „braunen RAF“ wird andie Wand gemalt. Diese Tendenz könne, soder VS warnend, durch zunehmende„Repressionsmaßnahmen des Staates“geradezu gefördert werden. Es könnten„zur Militanz neigende Rechtsextremistenzu dem Ergebnis kommen, daß anstellelegaler Arbeit nur noch Gewalt zur Durch-setzung der eigenen politischen Ziele mög-lich ist“.

Wenn es nach dem VS ginge, sollte alsogegen die Nazis nicht allzuviel getan wer-den, weil ansonsten von deren Seite Terrordrohe.

Die offizielle Sicht

Bildzeitung vom 2.12.1992

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WIE ALLES ANFING - NSDAP UND „HANSA-BANDE“

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Im Herbst 1974, am 10. November, tra-fen sich im Hamburger „Haus desSports“ einige Neonazis, um eine neue

NSDAP in Hamburg zu gründen. Mit vonder Partie waren der Amerikaner Gary RexLauck aus Lincoln in Nebraska/USA, derals Chef der NSDAP/AO gilt. Das „AO“,steht dabei entweder für Aufbau- oder Aus-landsorganisation. Aus Deutschland dabeiwar Thies Christophersen, damals Land-wirt aus Schleswig-Holstein und ehemalsSS-Wachmann in einem Nebenlager vonAuschwitz. Sein „Bericht “ – „Die Ausch-witzlüge“ wurde vom Neonazi Manfred

Roeder veröffentlicht und prägte denBegriff „Auschwitzlüge“, der heute allge-mein verwendet wird, wenn Nazis diesystematischen Verbrechen des histori-schen Faschismus leugnen. Die FR schlugvor, unter Antifaschisten in Zukunft von„Auschwitzleugnung“ zu sprechen. Man-fred Roeder avancierte später zum Chef derterroristischen „Deutschen Aktionsgrup-pen“, deren Mitglieder 1980 in Hamburgzwei Vietnamesen in einem Ausländerheimumbrachten. Roeder ist heute nach Ver-büßung einer langen Freiheitsstrafe alsChef dieser terroristischen Gruppe wiederin Freiheit. Thies Christophersen lebt heutein Dänemark (in Kollund bei Nazi-Freun-

Wie alles anfing – NSDAP und „Hansa Bande“

1974 – NSDAP-Treffen im Haus des Sports mit Christophersen und Lauck

den), weil er sich nach Jahren einer trauri-gen Justizposse einer endgültig anzutreten-den Haftstrafe nur durch Flucht nach Däne-mark entziehen konnte. Sein Paß allerdingswurde 1993 mit Hilfe seiner in Süddeutsch-land lebenden Schwester verlängert, woChristophersen sich anmelden konnte,obwohl er auf der Fahndungsliste steht.

Aus Hamburg war bei der Versammlung1974 Wolf-Dieter Eckart dabei, der denersten Stützpunkt einer neuen NSDAP inHamburg aufmachte. Mit H. J. Neumannnahm ein weiterer Nazi teil, der wenig spä-ter wegen eines Überfalls auf den linkenGöttinger Buchladen „polibula“ verurteiltwurde und nach seiner Haft nach Südafrikaging. Außerdem war mit Wilhelm Wüb-bels, einem Frührentner aus Bocholt, dererste „Reichsleiter“ der neuen NSDAPanwesend.

Ob die 1975/76 vor allem in Hamburg-Altona aktive „Faschistische Front“ desMichael Borchardt mit diesen NSDAP-Aktivisten in Verbindung stand, konnte niegeklärt werden.

Die „Hansa Bande“ Michael KühnensTabu. Die Mitglieder dieses Vereins kamenalle aus der NPD-Jugendorganisation „Jun-ge Nationaldemokraten“, denen die Mutter-partei zu träge geworden war. Für ihreAktionen konnte die Bande auch auf Mittelder neonazistischen Wiking-Jugendzurückgreifen. So fuhren sie in deren Busbeispielsweise zu Provokationen nachNürnberg, und der schleswig-holsteinische„Gauführer“ dieses Vereins, Uwe Rohwer,war sozusagen der „militärische Leiter“ der

Im September 1977 wurden in derHamburger Innenstadt beim Ritzenvon Hakenkreuzrunen in Schaufenster-

scheiben drei Neonazis festgenommen, diesich als Mitglieder eines „FreizeitvereinsHansa“ ausgaben: Michael Kühnen, LutzWegener und Tibor Schwarz. MichaelKühnen, damals Leutnant der Bundeswehr,war noch wenige Monate zuvor als Vertre-ter eines Vereins „Erbe und Auftrag – Ver-

einigung zur Förderung des monarchisti-schen Gedankens e.V.“ aufgetreten, bevorer mit diesem als „Hansa-Bande“ berühmtgewordenen Verein eine für die Bundesre-publik erste öffentlich agierende Gruppevon Hakenkreuz-Nazis gründete. Mit ihremoffenen Bekenntnis zum Nationalsozialis-mus, ihrer Forderung nach „Wiederzulas-sung der NSDAP“ etc. durchbrach dieseGruppe ein bislang für die meisten rechts-radikalen Gruppen Deutschland geltendes

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WIE ALLES ANFING - NSDAP UND „HANSA-BANDE“

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Bande. Kühnen selbst soll, nachdem erschon als Schüler im Rheinland im NPD-Umfeld aktiv gewesen war, während seinerBundeswehrzeit in Hammelburg mit Neo-nazis in Kontakt gekommen sein. Dort soller den „Auftrag“ bekommen haben, inHamburg eine NS-Gruppe aufzubauen. Biszu seinem Ausschluß aus der Bundeswehrkonnte er dies als Leutnant und Student derBundeswehrhochschule von der Bundes-wehrkaserne in Rahlstedt aus betreiben.

Die Gruppe selbst agierte unter ver-schiedensten Namen: Als „SA-Sturm8. Mai“ wurde sie in den Blättern der „ille-galen NSDAP“ bezeichnet; als angeblichunpolitischer „Freizeitverein Hansa“ ver-suchte sie ihre Treffen etc. legal erscheinenzu lassen. Im November 1977 trat sie aufeiner ersten öffentlichen Versammlung inWandsbek als „Aktionsfront NationalerSozialisten“ (ANS) in Erscheinung; unterdiesem Namen operierte sie seitdem auchbundesweit bis zu ihrem Verbot 1983. Spä-ter wurde die Gründung der ANS auf den8. Mai 1977 „vorverlegt“. Von antifaschi-stischer Seite wurde für die Gruppe derBegriff „Hansa-Bande“ geprägt.

Innerhalb kürzester Zeit hatten die pro-vokativen Aufmärsche die Bande bundes-weit bekannt gemacht. Nahezu alle in derBundesrepublik agierenden übrigen Nazi-Gruppen orientierten sich an der Hansa-Bande: Uwe Rohwer von der Wiking-Jugend in Schleswig-Holstein gehörteebenso zu den Bewunderern Kühnens wieder Nürnberger Karl-Heinz Hoffmann vonder „Wehrsportgruppe Hoffmann“. DieHansa-Bande wurde auf Titelseiten solcherNazi-Zeitungen abgebildet wie dem öster-

reichischen Hetzblatt „Sieg“ des mittler-weile nach Spanien abgetauchten NazisWalter Ochsenberger. Um die Welt gingder Bericht über eine Versammlung vonKühnen, Christophersen, Rohwer und Karl-Heinz Hoffmann im Februar 1978 in Ham-burg-Lurup, wo die Polizei diese Ver-sammlung der Neonazis gegen den Protesteiniger hundert AntifaschistInnen schützteund den Nazis den Zugang zum Versamm-lungslokal freiprügelte. Die Mehrzahl deran dieser Versammlung teilnehmendenNazis sind in den nachfolgenden Jahrenwegen schwerster Verbrechen verurteiltworden.

Uwe Rohwer von der Wiking-Jugendwurde verurteilt, weil er gemeinsam mitanderen Nazis, darunter Lutz Wegener, aufdem Truppenübungsplatz Bergen-Hohneniederländische Soldaten überfallen undmehrere Maschinenpistolen geraubt hatte.

Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoff-mann haben die Bombe auf dem MünchnerOktoberfest im Jahr 1980 gelegt, bei der 17Menschen ums Leben kamen. Im Libanon,wohin sich seine Truppe abgesetzt hatte,soll Hoffmann selbst Mitglieder seinerTruppe qualvoll gefoltert und umgebrachthaben, wofür er in Deutschland angeblichnicht belangt werden kann. Als ein weiteresMitglied verurteilt wurde, weil es den jüdi-schen Verleger Shlomo Levy und dessenLebensgefährtin in Erlangen ermordet hat-te, hielt das Gericht eine Anstiftung durchHoffmann nicht für nachgewiesen. Dieserwurde wegen Geldfälscherei schließlich zueiner langjährigen Gefängnisstrafe verur-teilt.

M ichael Kühnen ging mit seinerNazi-Gruppe einen etwasanderen Weg. Zwar sind auch

aus dieser Bande Terror und Mord hervor-gegangen und eine geheime „Wehrwolfor-ganisation“ koordinierte auch die terroristi-schen Teile des Nazi-Geflechts,hervorstechendes Merkmal aber war derprovokativ an die Öffentlichkeit getrageneNS-Faschismus. So wurden Versammlun-gen organisiert, zu denen Journalisten ein-geladen wurden, deren einziger Zweck dieöffentliche NS-Propaganda war. Die Fahneder ANS war ein „negativ“ dargestelltesHakenkreuz, der Gruß der berühmte „Küh-nen-Gruß“, ein nur unwesentlich abgewan-delter Hitlergruß, gegen den angeblich juri-stisch nichts zu machen sei. Erst jetztwurde diese Art der „verfremdeten“, den-noch eindeutig als NS-Symbol gemeintenDarstellung von Symbolen unter Strafegestellt. Zuständig für das Referat Ideolo-gie war damals Christian Worch, der inverschiedenen Versammlungen als Ober-einpeitscher aufgetreten ist.

Die international am meisten bekanntgewordene Aktion dieser Truppe war diesogenannte „Eselsmaskenaktion“ im Mai1978, bei der mehrere Mitglieder der Ban-de, darunter Tibor Schwarz, MichaelDavid, Michael Buchmann und ChristianWorch sich Eselsmasken aufsetzten undSchilder umhingen: „Ich Esel glaube noch,daß in Auschwitz Juden vergast wurden.“Ausgangspunkt für diese Aktion war dasNazi- und Schwulen-Lokal CanCan desHansa-Banden-Mitglieds Lothar Wrobel inSt. Georg; die Nazis wurden auf dem Wegin die Innenstadt von Polizei gestoppt undfestgenommen.

Diese Aktion kann im Nachhinein alsder Auftakt eines aggressiv vorgetragenenGeschichtsrevisionismus angesehen wer-den. Heute ist das Leugnen der NS-Verbre-chen in den KZs, hinter der Front durch diefaschistischen „Einsatzgruppen“, die syste-matische Vernichtung der Juden und ande-rer als minderwertig angesehener Gruppensowie der politischen Gegner zentralesAnliegen der Neonazis.

20.8.1987: Aufmarsch vor dem Haus des entflohenen NS-Kriegsverbrechers Kappler in Soltau.Von Llnks: Christian Worch, Frank Stubbemann, Michael Kühnen, Tibor Schwarz

Die Eselsmasken-Aktion

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WIE ALLES ANFING - NSDAP UND „HANSA-BANDE“

71974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Die Jahre 1977 - 78 waren für dieNazis um Michael Kühnen Jahrehektischer Aktivität, in denen sie

die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“bundesweit auszudehnen versuchten. Zen-traler Programmpunkt der ANS war die„Wiederzulassung der NSDAP“. Die Rei-sekader Kühnen und Worch bereisten dieRepublik, wurden in Bremen, Hannover,Nürnberg etc. festgenommen und wegenNS-Propaganda und Volksverhetzungangeklagt; sie unterhielten Kontakte zuNazi-Terroristen wie der Otte-Gruppe inBraunschweig; Kontakte gab es zu einer„Nationalrevolutionären Arbeiterfront“ inBremen und zu Nazi-Gruppen in Kiel.Immer wieder wurden Mitglieder der Grup-pe um Kühnen festgenommen, weil sog.Todeslisten gegen Demokraten, prominen-te Juden und Antifaschisten auftauchten.Mehrere der ANS-Aktivisten wurdenwegen Bankraub, Waffendiebstahl etc. ver-urteilt. Auch in Berlin war eine ANS-Grup-pe aktiv, die in einem größeren Prozeßabgeurteilt wurde.

Als erst Michael Kühnen 1978 endlichnach vielen Bewährungsstrafen für längere

Zeit hinter Gittern verschwand und auchChristian Worch – u.a. wegen der Esels-masken-Aktion – wegen Volksverhetzungund anderen Propagandadelikten Ende der70er Jahre einsitzen mußten, war die ANSauch ohne diese beiden Chefs bundesweitzur bekanntesten NS-Gruppe geworden, bissie schließlich 1983 verboten wurde. NachEinschätzung des Verfassungsschutzes wardamals die Blankeneser WehrsportgruppeDems das Sammelbecken für die in derHansestadt führerlos gewordenen Jungna-zis. Insbesondere Detlef Brüel, später imFAP-Vorstand und Kühnen-Gegner, tatsich Anfang der 80er Jahre mehrfach alsrechtsradikaler Schläger hervor – verteidigtvon Jürgen Rieger. Michael Kühnen, 1982aus einer ersten Haft entlassen und einknappes Jahr wieder für einen NationalenAufbau der ANS aktiv, floh nach dem

sie „Lisa“ genannt. Auch sie scheiterte bisheute.

In letzter Zeit wurde immer wiederberichtet, daß in der Skin-Szene derenweibliche Mitglieder, die „Renees“, auchmehr in der aktiven „nationale Politik“ mit-mischen wollen. Dem widerspricht aberz.B. der für 1994 vertriebene Renee-Kalen-der, der diese als PinUp-Girls in Dessousmit Straps und „Nationaler Fahne“ oderBaseballkeule eindeutig als Lustobjekt vonMachos darstellt. Gesitteter geht’s da beider Wiking-Jugend zu: „Frauen und Müttersind und bleiben Lebensträger unseresgesamten Volkes.“ Der „ehrvergessenenFrau“, die ihren eigenen Bedürfnissen undVorstellungen folgt und gegen die „Rasser-einheit“ verstößt, seien Strafen – wieangeblich früher bei den Germanen, z.B.Ertränken im Sumpf – angemessen.

Die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten”

26.11.1987:Christian Worch auf einer ANS-Veranstaltung

Von Anfang an versuchten dieFaschisten, auch speziell zur Frau-enfrage Politik zu machen. Von

Anfang waren bei den Versammlungen derANS auch Frauen zu sehen. Mit einer„Deutschen Frauen-Front“ (DFF) sollteeine der „natürlichen Rolle der Frau“ ange-messene Organisationsform geschaffenwerden, in der die Freundinnen und Ehe-frauen der männlichen Kämpfer das ihrefür die Bewegung beitragen könnten. ÜberAnsätze ist dies aber nie hinausgekommen.Die bekanntesten Vertreter dieser „Frauen-politik“ sind dabei:Ursula Müller aus Mainz, Ehefrau desNazis Curt Müller,

Christa Goerth, langjährige Vorsitzendeder „Hilfsgemeinschaft für Nationale poli-tische Gefangene“ und Ursula Worch, mittlerweile ihrem Ehe-mann untreu gewordene Ehefrau von Chri-stian Worch.

„Unser Vaterland wird uns durchandersartige Kultureinflüsse entfremdet,wodurch unser Nationalstolz verlorengeht“hieß es in einem der 1984 verteilten Flug-blätter unter dem Titel: „Ausländerrück-führung durch Volksabstimmung“. Bis aufderartige Kleinstansätze ist uns über eineFrauenpolitik der Nazis in Hamburg nichtsbekannt.

Nach Ursula Worch, die 1989 den Vor-sitz der DFF abgab, versuchte sich dieKühnen-Lebensgefährtin Esther Wohl-schläger in dieser Art Frauenpolitik.Wegen ihres jüdischen Vornamens wurde

Frauenpolitik – Fehlanzeige!

ANS-Verbot aus Deutschland, wurde 1984dann von Frankreich ausgeliefert und muß-te für dreieinalb Jahre hinter Gitter.

Dieses eine Jahr lebte Kühnen an unter-schiedlichsten Orten. Neben Unterkünftenbeim 90jährigen Altnazi Carlus Baagoe inHamburg waren Pinneberg und Stade beiEdgar Geiss seine Wohnsitze. Überall wur-de er, der ja kein Einkommen mehr hatte,von Alt- und Neonazis ausgehalten.

Hamburg war unter Christian Worchder wichtigste, aber nicht einzige Stütz-punkt der ANS, die mit Thomas Brehl, demFrankfurter Arndt-Heinz Marx und anderenihre bundesweite Ausdehnung organisierte.

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WIE ALLES ANFING - NSDAP UND „HANSA-BANDE“

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In Hamburg schien die ANS nach denVerhaftungen von Kühnen und Worchzu zerfallen. Sie wurde sogar „offizi-

ell“ für aufgelöst erklärt. 1979/80 gingauch der Staatsschutz davon aus, daß dieseGruppe nicht mehr existiere. Anfang 1981formierte sich die Gruppe aber wieder neu,wohl auch in der Erwartung, mit der Haft-entlassung der Vorkämpfer wieder einenAufschwung zu erleben.. Ein Martin Buch-mann verbreitete ein „info 1“, in dem zum„Rausschmiß von Verrätern“ aufgerufenwurde; in einem „info 2“ vom 25.5.1981forderte Michael Fruehauf unter demPseudonym „Oberst Alexander“, „gegenPerverse, Homosexuelle und Verräterscharf vorzugehen“. Neben einem weiterenwird auch das ANS-Mitglied Johannes

Bügner als „schwul“ geoutet. Beiden wirdbefohlen, „mit sofortiger Wirkung jegli-chen Kontakt zu nationalen Leuten, Kame-raden und Organisationen abzubrechen,anderenfalls wir Wege wissen, uns vor sol-chen Elementen zu schützen.“ Unmittelbarvor Abfassung des „info 2“ waren Frueh-auf, ANS-Mitglied von Anfang an undFriedhelm Enk, aus der Bundeswehr entlas-sener Nazi und Krimineller (Gefängnisstra-fe wegen Raub; er wohnte auf EmpfehlungKühnens bei Fruehauf und war als Ham-burger ANS-Chef vorgesehen), zu einemKnastbesuch bei Kühnen gewesen. In derWohnung von Willi Wegner wurde danndas weitere verabredet: Am Abend des28.5.81 fuhren Wegner, Fruehauf, Enk undein weiteres Gruppen-Mitglied, OlafKönig, zum Schwulen- und Nazi-TreffCanCan des Lothar Wrobel am St.Georgs-Kirchhof, holten Bügner aus der Kneipeund fuhren an den Hamburger Stadtrand,

wo Enk auf Anweisung Fruehaufs ihn mit20 Messerstichen ermordete.

Im Prozeß wurden Kühnen und Worchals Zeugen vernommen und distanziertensich scheinheilig: „Wir sind eine politischePartei und wir haben die Absicht, in dieserBundesrepublik die Macht zu übernehmen.Mord gehört allerdings nicht dazu.“ DieTat sei eine Intrige des Verfassungs-schutzes, Enk ein mißbrauchtes Werkzeugetc. Tatsächlich war Fruehauf einen Tagvor dem Mord offiziell vom Verfassungs-schutz als Mitarbeiter angeworben worden.Im Urteil schließlich wurde auf den politi-schen Hintergrund nicht eingegangen. Fru-ehauf sei ein „verkappter Schwuler“, derseine nicht eingestandene Veranlagung inAggression gegenüber den schwulen ANS-Mitgliedern umgesetzt habe, Enk sei voll-ständig in das Schema von Führer undGefolgschaft eingebunden. Fruehauf undEnk erhielten jeweils eine lebenslänglicheStrafe, die drei anderen Beteiligten, dieBrüder König und Willi Wegner erhieltenGefängnisstrafen zwischen 10 und 18Monaten.

Der Mord an Johannes Bügner

Jahr

197419751977

1978

1979

1980

1981

1982

1983

1984

19851986

1987

Deutschland

ANS-Aufmärsche in Nürnberg; Zusammenarbeit ANS - WSG-Hoffmann

Gründung der FAP in Stuttgart; Gründung der „Hilfsgemeinschaft für Nationale politische Gefangene“(HNG); Gründung der „Nothilfstechnischen Übungs- und Bereitschaftsstaffel“des Dr. JürgensAttentat auf das Münchner Oktoberfest; Verbot der Wehrsportgruppe HoffmannVSBD-Mitglieder liefern sich eine Schießerei mit der Polizei; zwei werden erschossen; Friedhelm Busse wird verhaftet und 1982 verurteiltHaftentlassung Kühnens, „Nationaler Aufbaus der ANS“, Verbot derVSBDVerbot der ANS

ANS-Aktivisten übernehmen die FAP; Kühnen setzt sich nach Frankreich ab, wird aber bald ausgeliefertGründung der „Nationalistischen Front“Kühnens Schrift über „Nationalsozialismus und Homosexualtät“ führt zuDifferenzen in der Nazi-Szene, Spaltung der FAPHitlerstellvertreter Rudolf Heß stirbt

Hamburg

NSDAP-Veranstaltung im Haus des SportsFaschistische Front inHamburgGründung der ANS in Hamburg

ANS-Mitglieder verüben Überfälle, rauben Waffen; Kühnen wird ver-haftet und im „Bückebugrer Prozeß“ verurteilt.

Morde an zwei Vietnamesen durch die „Deutschen Aktionsgruppen“

Mord an Johannes Bügner, Wehrsportgruppe Dems in Blankenese; Aufbau der ANS-Gruppe in Pinneberg/Bokel

Beginn des Auftretens von Nazi-Skin-Banden wie „savage army“

Gründung von ANS-Gruppen in verschiedenen Stadtteilen;Gründung der FAP in Pinneberg

Ermordung des Türken Rahmazan Afci durch Nazi-Skins

FAP-“Marsch“ auf die Hafenstraße; FAP-Demonstrationen vor den alliierten Konsulaten

Eine Chronologie

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CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE

91974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Von Anfang an bei der Hansa-Ban-de dabei war dabei der Notargehil-fe Christian Worch, der auf der

Hamburger Emilie-Wüstenfeldt-Schule inden 70er Jahren auch schon mal als Schul-sprecher kandidiert hatte. Innerhalb derHansa-Bande galt Worch als „der Intellek-tuelle“, der sich weniger als Schläger dennals „Ideologe“ betätigte. Auf allen Ver-

sammlungen war er neben Kühnen derStarredner, wurde als „Schulungsleiter“oder „weltanschaulicher Referent“ gehan-delt. So hielt er u.a. am 26.11.1977 dasweltanschauliche Grundsatzreferat bei dergroßspurigen Ankündigung der ANS, beiden Hamburger Bürgerschaftswahlen 1988anzutreten.

Von Anfang an war Worch die „rechteHand“ von Michael Kühnen. Als dieser1978 ein erstes Mal ins Gefängnis mußte,führte Worch die Geschäfte weiter, baute in

Pinneberg eine neue Wehrsportgruppe aufund arbeitet spätestens seit dieser Zeitintensiv mit Jürgen Rieger zusammen. ImZuge der bundesweiten Ausdehnung derANS wird Worch u.a. Vorsitzender dernazistischen „deutsch-völkischen Gemein-schaft“ (DVG) des Werner Braun in Karls-ruhe sowie Schriftleiter der Nachrichtender „Hilfsgemeinschaft für Nationale poli-tische Gefangene“. Mehrfach muß Worchins Gefängnis. Durch eine Erbschaft rechtvermögend, finanziert er einen Teil derNazi-Aktivitäten. Bis zu seinem Tod wirdMichael Kühnen beispielsweise von Worchausgehalten.

Jahr

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

Deutschland

Friedhelm Busse wird FAP-Vorsitzender; Entlassung Kühnens aus dem Gefängnis; Beginn der Rudolf-Hess-Märsche; Gründung der „Nationalen Sammlung“ in Hessen durch KühnenAufbau diverser Nazi-Gruppen wie „Deutsches Hessen“, „DeutscheAlternative“ etc. als „legale Arme“ der NSDAP/AO und Wahlparteien;Nazis in der ehemaligen DDR organisieren sich. Über die HNG wirdzwischen den verfeindeten Nazi-Lagern ein „modus vivendi“ gefundenNazi-Kongreß „Wahrheit macht frei“ in München. Das Haus in der berli-ner Weitlingstraße wird zum Zentrum der Nazis in der ehemaligenDDR; Gründung von Nazi-Gruppen vor allem in Cottbus und Dresden sowieder „Deutschen Altenantive“ in Berlin

Tod Kühnens

Verbot verschiedener Nazi-Gruppen wie Nationalistische Front, Deut-scher Kameradschaftsbund;Pogrom von Rostock; Mordanschlag von MöllnMordanschlag von Solingen; der EINBLICK erscheint mit etwa 250 Adressen von Nazi-GegnernNeonazis rufen zur Wahl der Republikaner auf

Hamburg

Gründung der „Nationalen Liste“ in Hamburg, In der Folgezeit werden NL-Mitglieder als Ordner etc. bei allen großenNazi-Aufmärschen gesehen.

FAP-Bundesgeschäftsstelle wird nach Halstenbek verlegt; NL kandidiert zur BürgerschaftDie Nationale Liste Hamburg propagiert die „Anti-AntiFa“Der INDEX erscheint unter diesem Titel

NL wird erneut zur Bürgerschaftswahl zugelassen; das ganze Jahr über werden Antifaschisten von Nazis bedrohtDas „Nationale Echo“ in Hamburg erscheint

Eine Chronologie

Christian Worch – „Aktivist der ersten Stunde“Rechte Hand von Michael Kühnen

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CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE

101974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Von Michael Kühnen stammt ausseiner Knastzeit (nach dem Verbotder ANS und seiner Auslieferung

aus Frankreich 1984) die Idee, die Kaderder Nazi-Bewegung in einer „Gesinnungs-gemeinschaft der Neuen Front“ zusammen-zufassen. Diese sollte keine formale Orga-nisation mit Satzung etc. darstellen, um sieso dem Zugriff der staatlichen Repressionzu entziehen, dennoch aber verbindlich dieAktivitäten der „NSDAP“ koordinierenund die durchaus verschiedenen (und kon-kurrierenden) Aktivitäten und Ansätze vonNS-Politik zusammenfassen. In dieserGDNF nimmt Worch seit Jahren eineführende Rolle ein und ist mit dem zwi-schenzeitlich in Österreich inhaftiertenGottfried Küssel und Wilfried ArnulfPriem aus Berlin seit Kühnens Tod 1991Mitglied des Führungstrios. Jahrelang warWorch offizielle Redaktionsanschrift derverschiedenen Kühnen-Postillen (InnereFront, Neue Front), bevor diese anonymaus den Niederlanden vertrieben wurden.

Zum Umfeld der „Gesinnungsgemein-schaft der Neuen Front“ werden eine Viel-zahl von Gruppen gerechnet, die teilweiseihre Namen ständig wechseln:Aktion Lebensschutz (AL)Antizionistische Aktion (AZA)Antikommunistisches Aktionsbündnis(Antiko)Arbeitsgemeinschaft für ständigeWirtschaftsgestaltung (ASW)Freie Gewerkschaftsbewegung (FGB)Freundeskreis Heinz Reisz (FHR)Initiative VolkswilleKaderorganisation SANeubeginn - Arbeitskreis für deutsch-alter-native Politik (ADAP)Sturmabteilung (SA)Volksbund Rudolf Heß (VHR)Wahlbündnis Neubeginnen - Arbeitskreisfür deutsch-alternative Politik (ADAP)Nationale Sammlung (NS), gegründet1988, verboten am 27.1.1989Deutsche Alternative (DA), gegründet Mai1989, verboten am 10. Dezember 1992Nationale Liste (Hamburg), gegründetMärz 1989Deutsches Hessen, gegründet Juni 1991,mittlerweile verbotenNationaler Block, gegründet Juli 1991,mittlerweile verbotenSächsische Nationale Liste (SNL), gegrün-det August 1991

23.7.1977

20.8.1977

16.10.1977

19.11.1977

26.11.1977

11.2.1978

19.2.1978

25.2.1978 26.2.1978

22.7.1978

23.9.1978

September 1978

1979

10.3.1979

Feburar-April1980

25.4.1984

April 1984

16.6.1984

Worch wird mit weiteren Nazis an der Hamburger Mundsburg festgenom-men, als sie mit Stangen auf Antifaschisten losgehen wollen; die Nazis woll-ten vor dem Hamburger Konsulat der UdSSR randalieren.Mehrere Nazis halten eine „Ehrenwache“ vor dem Haus des aus italienischerHaft befreiten NS-Verbrechers Kappler in Soltau ab, darunter Worch.Worch nimmt gemeinsam mit Kühnen an einer „Kranzniederlegung“ desNazis Manfred Roeder anläßlich der 20jährigen Wiederkehr der Hinrichtungder Hauptkriegsverbrecher teil. Zu dieser Veranstaltung waren beide miteinem Bus der Wiking-Jugend angereist. Sie erhalten 80 Stunden Arbeitsauf-lage als Strafe. Wenig später demonstrieren beide auf dem Gelände derhistorischen NSDAP-Parteitage, wofür sie später erneut verurteilt werden.Aufmarsch von Neonazis unter Worchs Führung in der Bremer Innenstadt inUniform, gemeinsam mit der Bremer „Nationalrevolutionären Arbeiterfront“,dem Bremer Ableger der Gruppe.Erster öffentlicher Auftritt Worchs als Redner bei der offiziellen ANS-Grün-dungs-Veranstaltung in Hamburg; später wird er deshalb zu einer Geldstrafevon DM 150.– verurteilt. Später wird nicht mehr der 26.11.77, sondern der8. Mai 77 als Gründungsdatum der ANS von den Nazis propagiert.Worch nimmt in Göttingen an einer Sitzung der „Aktivgruppe Science Fic-tion“ teil, aus der er ausgeschlossen werden soll. Er kann seinen Ausschlußverhindern; sein Hobby, seine nazistischen Allmachtsphantasien in Formvon Science-Fiction-Stories auszuleben, wird bekannt.Die sog. „Eselsmasken-Aktion“ in Hamburg, bei der Worch und Co. mitEselsmasken durch Hamburgs Innenstadt ziehen wollten mit Schildern: „IchEsel glaube noch, daß in deutschen KZs Juden vergast wurden“.„Wahlveranstaltung“ der ANS in HamburgTeilnehmer einer NSDAP-Veranstaltung in Hamburg-Lurup, u.a. mit Christo-phersen, Rohwer und Hoffmann aus Nürnberg.„Saalschlacht“ von Lentförden; etwa 100 Nazis prügeln sich mit der Polizei;25 werden festgenommen, darunter Worch;Worchs Bande überfällt einen Büchertisch der linken „BürgerinitiativeUmweltschutz Unterelbe“ in der Hamburger Innenstadt; eine Woche späterkriegen er und seine Leute ordentlich Prügel, als sie erneut provozieren.(Nach anderer Quelle: am 9.11.1978) Worch ist an einem Überfall auf einesSDAJ-Veranstaltung in Hannover-Garbsen beteiligt.Worch baut in Bokel bei Pinneberg (westlich von Hamburg) eine Wehrsport-gruppe auf, die dort durch Überfälle etc. auf sich aufmerksam macht.Worch nimmt an einem „Parteigericht“ teil, das im Haus des Kieler NazisStolp stattfindet und das sich gegen den „Verräter“ Peter Teuffert richtet, derbei der Polizei umfangreiche Aussagen zu terroristischen Umtrieben derschleswig-holsteiner Bande gemacht hatte. Worch ist zu diesem Zeitpunktauch schon Vorsitzender einer deutsch-völkischen Gemeinschaft“ mit Sitz inKarlsruhe in Nachfolge des dortigen Nazis Werner Braun.Worch und andere werden in mehrere Verfahren, u.a. wegen der „Eselsmas-kenaktion“ und eines Überfalls in Hannover verurteilt. Worch erhält mehrfacheine Gefängnisstrafe, die zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen wird.Sein Anwalt ist J. Rieger.Worch wird „Schriftleiter“ der Nachrichten der „Hilfsgemeinschaft Nationa-ler Gefangener“ (HNG). Der Verfassungsschutz bezeichnet die HNG mit 400Mitgliedern als die mitgliederstärkste und die „derzeit einzige, sichgeschlossen darstellende neonazistische Organisation in der BRD“. Worchist gegen Führungsauflagen aus der Haft entlassen.Spätestens seitdem fungiert Worch als Redaktionssekretär / Redaktionsan-schrift der Kühnen-Postille „W - Die Neue Front“, mit der dieser seine„Getreuen“ bei der Stange zu halten versucht.Teilnahme an einem Treffen der „Neuen Front“ im „Süden Hamburgs“, u.a.mit Thomas Wulff und Willi Wegner mit insgesamt angeblich 45 Teilnehmern.

Worchs Aktivitäten –eine Chronologie

Im Führungskreisder GDNF

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CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE

111974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Juli/August 1984

30.1.1986

11.7.1987

17.8.1987

13.3.1989 20.6.1989

August 1989

Frühjahr 1990

3.3.1990 31.3.1990

21.4.1990

4.7.1990

5.7.1990

20.10.1990

1.5.1991

1991

3.5.1991 Mai 1991

Juni 1991

31.8.1991

9.11.1991

3.1.1992

23.5.1992

Worch ist Teilnehmer einer „Übungsfahrt“ der „Norhilfstechnischen Übungs-und Bereitschaftsstaffel“ des Dr. Jürgens.Worch muß nach einem Bericht der FAP-Nachrichten erneut ins Gefängnis.Die FAP zitiert aus Worchs unsäglichem Science-Fiction-Elaborat: „Die Scha-le des Zorns“.Gautreffen der FAP in Großensee bei Hamburg mit angeblich 100 Teilneh-mern. Der stellvertretende FAP-Bundesvorsitzende Willi Wegner beschuldigtWorch, „gewollt oder ungewollt“ den Kameraden aus Westfalen „zum einenden roten Mob, und zum anderen die Staatsgewalt auf den Hals“ gehetztzu haben. Wegner gehört zum Kühnen-feindlichen Flügel der FAP (siehedazu weiter hinten in dieser Broschüre).Nach dem Tode ihres Idols Rudolf Heß marschieren Nazis vor die Konsulateder USA und von Großbritannien in Hamburg. Mit dabei: Worch, Wulff undRieger. Gründung der „Nationalen Liste Hamburg“ mit Worch als eigentlichem Kopf.Das Ehepaar Worch wird von einem „Mobilen Antifa-Kommando“ in seinerWohnung überfallen, und es verschwinden etwa 50 Aktenordner aus derWohnung.Mitglied eines Vorbereitungskreises der „Rudolf-Heß-Gedenkmärsche“. Die-se Funktion hat Worch seitdem jedes Jahr bis 1994 ausgeübt.Worch ist ständiger Gast in der Berliner Weitlingstraße, einem von Neonazisbesetzten Haus, das die Zentrale der Neonazis in der Noch-DDR darstellte.Aufmarsch der Nationalen Liste in Hamburg.Fulda: Treffen der HNG; Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach beschuldigtWorch in einer polizeilichen Aussage, „durch die Blume Order (gegeben zuhaben), was wir an Aktionen machen sollen“;Teilnehmer der Veranstaltung „Wahrheit macht frei“ in München, wo die„Eselsmasken“-Aktion wiederholt wird.Teilnehmer eines Treffens der NSDAP in Kollund/Dänemark mit Kühnen, Chri-stophersen, Lauck und weiteren NeonazisWorch holt gemeinsam mit Kühnen, Lisa Wohlschläger und dem Österrei-cher Gottfried Küssel den US-Nazi Gary Rex Lauck zu einer Rundreise in derehemaligen DDR am Flughafen in Schönefeld ab.Mit Kühnen, Küssel und Sonntag „Führer“ eines Nazi-Aufmarsches in Dresdenmit rund 500 Teilnehmern.Maifeier in Cottbus: „Es ist unser Tag, der Tag der deutschen Arbeit“ – soder INDEX im Juni.Nach dem Tod Kühnens Mitglied eines dreiköpfigen Führungsgremiums der„Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, gemeinsam mit Arnulf WilfriedPriem aus Berlin und Gottfried Küssel aus Österreich.Worch nimmt mit etwa 90 Nazis an der Einäscherung Kühnens teilWahlkampfdemonstration in Hamburg mit auswärtiger Hilfe; etwa 100 Neo-nazis marschieren auf einer abgelegenen RouteOrganisator des Gedenkmarsches für den von Zuhältern erschossenen Neo-nazi Rainer Sonntag in Dresden.Gründung der „Sächsischen Nationalen Liste“ in Dresden, u.a. mit GottfriedKüssel.Worch mobilisiert für einen Nazi-Aufmarsch in Halle, den der später verur-teilte Neonazi Dienel initiiert hatte.Beerdigung der Urne Kühnens in Kassel unter Worchs Leitung mit etwa 130Nazis, die von Antifaschisten stark bedrängt werden. Bei einem Aufmarsch des „Deutschen Kameradschaftsbund“ in Wilhelmsha-ven geht Worchs Rede im antifaschistischen Protest unter. Offenbar bei die-ser Gelegenheit fotografieren Nazis protestierende Antifaschisten; wenigspäter jedenfalls wird ein solches Foto auf einem Anti-Antifa-Steckbriefgegen einen Wilhelmshavener Gewerkschafter verwendet.

Der Deutsche Weg, gegr. Oktober 1991Neben diesen, eng um Kühnen gruppier-

ten Nazi-Gruppen sind noch zwei weiterezu erwähnen: Die FAP – die „FreiheitlicheArbeiterpartei Deutschlands“ und die„Nationalistische Front“. Die „Nationalisti-sche Front“ wurde Ende 1992 nach etwafünfjährigem Bestehen verboten. Die FAPdiente den Mitgliedern der 1983 verbote-nen ANS sowie denen einer mehr in Süd-deutschland existierenden „Volkssozialisti-schen BewegungDeutschlands“ (verboten1982) als „Unterschlupf“, spaltete sich aber1989 in den Kühnen-Flügel (GdNF) unddie FAP um Friedhelm Busse (siehe dazuspäter in dieser Broschüre).

Worchs Aktivitäten– eine Chronologie

Organisator des„Aufbauplanes Ost“

und der„Heß-Märsche“

Noch kurz vor seinem Tod 1991formulierte Michael Kühneneinen sogenannten „Aufbauplan

Ost“. Er propagierte den massiven Einsatzwestdeutscher Nazi-Kader in der ehemali-gen DDR, um unter Ausnutzung des gesell-schaftlichen Umbruchs und des Zusam-menbruchs alter Strukturen möglichsterfolgreich eine neonazistische Infrastruk-tur aufzubauen. Nach Kühnens Tod über-nahm Christian Worch die Rolle des Koor-dinators dieser Bestrebungen. Derausgestiegene DDR-Neonazi Ingo Hassel-bach benennt Worch als den eigentlichenKopf dieser Bemühungen und beschuldigtihn in seinem Buch, Rädelsführer undAnstifter auch zur Gewalt gegen Ausstei-ger, sogenannte „Verräter an der Bewe-gung“ zu sein.

Zumindest Worchs Auto wurde bei denPogromen in Rostock-Lichtenhagen gese-hen, das – ausgerüstet mit CB-Funk undFunktelefon – organisierend in die Randaleeinzuwirken versuchte. Auch die mitWorch eng verbundene „Hilfsgemeinschaftfür Nationale Gefangene“ (HNG), derenSchriftleiter Worch vor Jahren schon ein-mal gewesen ist, versuchte mit Flugblätternzur „nationalen Rechtshilfe“ dort auf sichaufmerksam zu machen.

Schon 1990 hatte die Kühnen-Truppevor allem in Sachsen erheblich Anhängergewinnen können. Im Juli 1990 organisier-ten sie eine Rundtour durch die ehemaligeDDR mit dem eingeflogenen US-Nazi

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CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE

121974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

18.7.1992

27.8.1992

7.11.1992 16.1.1993 17.4.1993

1.5.1993

etwa Pfingsten199312.10.1193

9.4.1994

Mai 1994

21.8. 1994

19.9.1994

In Meschede findet mit Beteiligung von Worch und Wulff eine „Anti-Antifa-Kundegbeung“ unter Federführung der „Sauerländer Aktionsfront“ statt.Antifas verhindern, daß Worch beim Sender SAT 1 in der Provo-Sendung„Einspruch“ aufkreuzen kann.Für diesen Termin mobilisiert Worch zu einem Marsch durch Frankfurt/Oder.Anti-Antifa-Treffen in Süddeutschland mit diversen süddeutschen Nazis.Zusammen mit Wulff Teilnehmer einer Hitler-Geburtstagsfeier beim EhepaarMüller in Mainz-Gonsenheim. Dessen Gärtnerei dient seit etwa 20 Jahrenimmer wieder als Treffpunkt insbesondere für „Hitler-Gebutstagsfeiern“ undandere bundesweite Treffen der Nazis. Unter den Gästen: Friedhelm Bussevon der FAP, Bela Ewald Althans aus München, Manfred Huck (ArbeitskreisNationaler Kameraden), Michael Petri (ehemals Deutsche Alternative, jetztANK), Frank Hübner (von der verbotenen Deutschen Alternative aus Cott-bus) und Arnulf Wilfried Priem aus Berlin.Teilnehmer eines Aufmarschs des „Nationalen Blocks“ in München. Der„Nationale Block“ wird am 11.6.1993 verboten.Worch ist als Teilnehmer bei einem Trainingskurs im Solinger „HakPao“ ange-meldet. Der Kurs findet wegen des Solinger Anschlags nicht statt.Worch verschickt Mobilisierungsschreiben für einen Aufmarsch in Halbe amSoldatenfriedhof am 14.11.1993; nahezu alle anreisenden Neonazis werdenin Polizeikontrollen gefilzt, festgesetzt etc., so daß nur noch etwa 100 zurKranzniederlegung durchkommen (und auch noch kontrolliert werden).Teilnehmer einer Nazi-Veranstaltung auf der Havelinsel Lindwerder in Berlinzusammen mit dem FAP-Bundesvorsitzenden Friedhelm Busse und Petri vonder Nationalen Alternative in Süddeutschland. Die Versammlung war alsFAP-Versammlung deklariert, soll aber der Vorbereitung der Wahlkampagneder illegalen NSDAP gedient haben. Worch hat dort den Plan entwickelt, beiden Bundestagswahlen die REPs zu propagieren, was er in der Zwischen-zeit auch tut.Das „Wunsiedel-Komitee“ der Nazis unter Führung von Worch mobilisiert füreine „Nationale Aktionswoche“ um eine gemeinsame zentrale Heß-Demoherum.Nach Zeugenberichten ist Worch gemeinsam mit den Brüdern Goertz vonder FAP Hamburg und Jürgen Rieger Teilnehmer eines Rudolf-Heß-Marschesvon etwa 60 Neonazis in Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein, dem einzigenMarsch, der 1994 überhaupt von Nazis durchgeführt werden konnte.Teilnahme an einer NPD-Kundgebung in Bonn, auf der Günter Deckert (NPD-Bundesvorsitzender) und Wolfgang Nahrath (ehamliger Vorsitzender der„Wiking-Jugend“) sprachen. Weil Vertreter des „nationalen Widerstands“nicht zu Wort kamen, zogen Worch, Thomas Wulff und weitere Schaftstiefel-Nazis ab.

Gary Rex Lauck. Am 20. Oktober 1990zogen etwa 500 Nazis durch Dresden, orga-nisiert vom Kühnen-Vertrauten RainerSonntag unter Beteiligung von Kühnen,Worch und Küssel. Als Sonntag im Mai1991 von Zuhältern erschossen wurde,organisierte Worch den Trauermarsch, derzum größten Nazi-Aufmarsch der letztenJahre geriet und bei dem alle Fraktionender Neonazis-Szene teilnahmen: Die Küh-nen-Anhänger ebenso wie Busses „Frei-heitliche Arbeiterpartei“ und Schönborns„Nationalistische Front“. Von der sächsi-schen „Nationalen Liste“ ist bekannt, daßsie nicht nur ideologisch, sondern auchfinanziell von Worch abhängig ist.

Worch ist seit Jahren federführend,wenn es um den Aufmarsch der Neonazisanläßlich des Todestags ihres „Märtyrers“,des Hitler-Stellvertreters Rudolph Heßgeht. Er fordert die zerstreuten Neonazi-Gruppen zu gemeinsamer Aktion auf; dieAnhänger der „Nationalen Liste“ stelleneinen Teil der Ordnertruppen. Das Ham-burger „Nationale Infotelefon“ mobilisiertdie Szene zu den Treffpunkten.

Die Aufmärsche anläßlich des Todes-tags des Nazis Rudolf Heß finden seit 1989statt, wobei die beiden ersten noch vonMichael Kühnen selbst organisiert wordenwaren. Bis 1993 waren diese Aufmärschezu einem einigenden Ereignis der unter-schiedlichsten Strömungen geworden. Ins-besondere die verfeindeten StrömungenFAP und Kühnen-Anhänger konnten sichhier zu gemeinsamer Aktion zusammenfin-den. Waren es 1989 erst ca. 300-400Nazis, so kamen 1990 schon etwa 1200Nazis zusammen. Als 1991 um Wunsiedelein totales Demonstrationsverbot verhängtworden war, war es Jürgen Rieger, der dieDemonstration in Bayreuth anmeldete, woetwa 2000 Nazis unter dem Schutz derPolizei demonstrieren durften. Auch derAufmarsch in Rudolstadt 1992 wurdefederführend aus Hamburg durch Worchorganisiert. 1993 – wieder war Worch derOrganisator im Hintergrund, währendThorsten Heise von der FAP in Niedersach-sen als formaler Anmelder auftrat – konn-ten trotz – oder wegen? – der zahlreich ver-tretenen Polizei einige Hundert Neonazis inFulda demonstrieren. Angeblich hatten dieBehörden in Fulda keine Möglichkeit, einVerbot zu erlassen, geschweige denn esdurchzusetzen. So konnte die Öffentlich-keit im Fernsehen verfolgen, wie die Poli-zei-Einsatzleitung und die Neonazis sichper Handschlag für das gegenseitige diszi-plinierte Auftreten gratulierten. Erst imAugust 1994 demonstrierte die Polizei, daßes jederzeit möglich wäre, dem braunenSpuk ein Ende zu bereiten.

Worchs Aktivitäten –eine Chronologie

FAP-Treffen in Wewelsburg am 26.3.1988von links: Thomas Hainke, Michael Kühnen, Christian Worch, Thomas Brehl und Walther Matthaei

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CHRISTIAN WORCH - AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE

131974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Im Sommer 1992 erschien in Hamburgdie Zeitschrift „INDEX“ der „nationa-len Liste“ mit dem programmatischen

Aufruf: „Organisiert die Anti-Antifa“.Über sieben Seiten wurden in diesem BlattAdressen von linken Treffs, antifaschisti-schen Initiativen, alternativen Begegnungs-stätten etc. aufgelistet und damit in ziem-lich unverblümter Weise die eigeneAnhängerschaft zum Terror aufgerufen.

In der Folgezeit des Hamburger INDEXreiste Worch durch die braunen Lande undwarb für seine Idee der „Anti-Antifa“, diein den darauffolgenden Monaten zum eini-genden Thema der gesamten, ansonstendurchaus zersplitterten Neonazi-Szenewurde. So fand z.B. am 16. Januar 1993 einTreffen in Süddeutschland statt, wo eineReihe Nazis eine „verstärkte Zusammenar-beit besonders auf dem Gebiet der Anti-Antifa-Arbeit“ verabredet wurde. NebenWorch waren auf diesem Treffen anwe-send: Manfred Huck von der in Süd-deutschland (Karlsruhe und Heidelberg)agierenden „Aktionsfront NationalerKameraden“; Michael Petri von der verbo-

tenen „Deutschen Alternative“ (DA) inRheinland-Pfalz; Bernd Malthaner von dersüddeutschen „NationalfreiheitlichenAlternative“.

Bis hin zu den „Jungen Nationaldemo-kraten“ wurde die Idee aufgegriffen. Alle„Nationalen Infotelefone“ propagierten dasSammeln von Infos und das Ausspionierender linken Szene. Das Mainzer „NationaleInfotelefon“ tat sich besonders hervor inder Organisierung der Datensammlung. InTelefonansagen wurden die weiteren Kon-taktadressen für die „Anti-Antifa“ bekannt-gegeben: Neben der „Nationalen Liste“ inHamburg waren dies der „StudentenbundSchlesien“ in Göttingen, die verbotene„Nationale Offensive“ in Witten, ManfredHuck von der „Aktionsfront NationalerKameraden“, die FAP in Bonn und Duis-burg, Markus Privenau aus Bremen (derauch für die „Hilfsgemeinschaft Nationalerpolitischer Gefangenen“ (HNG) tätig istund Mitglied der NF war) sowie weiterePostfachadressen in Berlin, Köln undFrankfurt. Offen wurde darüber gespro-chen, eine gemeinsame Veröffentlichungzu erstellen, in der „der Gegner“ identifi-ziert würde. Im Herbst 1993 war es dannsoweit: Der „EINBLICK“ konnte über eineAdresse in Dänemark bezogen werden.

Organisator des Nazi-Terrors („Anti-Antifa“, „Einblick“)

Aufbau im Osten:von links: Swierzek, Huebner und Worch

Bildzeitung,4.7.1994

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JÜRGEN RIEGER - ANWALT DER BRAUNEN SZENE

141974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Fast hätte Rieger seine Karriere alsAnwalt überhaupt nicht beginnenkönnen. Als Nazi-Aktivist war er

nämlich schon Ende der 60er Jahre mit derJustiz in Konflikt geraten, als er anläßlichdes Besuchs des DDR-MinisterpräsidentenWilli Stoph in Kassel eine DDR-Fahneabriß. Daneben ist Rieger wegen Körper-verletzung bei einer Demonstration der„Aktion Widerstand“ am 31.10.1970rechtskräftig verurteilt worden und unter-stützte den rechtsradikalen Professor Rubinvon der „Aktion Oder Neiße“ (AKON) beidessen Selbstentführung, mit der dieser dieLandtagswahlen in Schleswig-Holstein1971 zu beeinflussen suchte. Wegen dieserund anderer Aktivitäten hätte er seineAnwaltszulassung riskiert, wenn er nichtebenfalls unter die Amnestie der soziallibe-ralen Koalition gefallen wäre, die vor allemAktivisten der Studentenbewegung betraf.Unter dem Titel „Rasse – auch ein Problemfür uns“ gab er 1969 ein Buch im Eigenver-lag heraus (1972 als jugendgefährdendindiziert) und war viele Jahre Funktionärdes rechtsextremen „Bund HeimattreuerJugend“, bevor er später zur radikaleren„Wiking-Jugend“ wechselte.

In den 70er Jahren fiel Rieger als Mit-glied eines „Freundeskreises Filmkunst“auf, der jahrelang Nazifilme in Matinee-Vorstellungen zeigen konnte, und als Orga-nisation in der Nachfolge des verbotenen„Bund Nationaler Studenten“ gilt. Bedeu-tender aber ist seine Vorstandschaft in der„Gesellschaft für biologische Anthropolo-gie, Eugenik und Verhaltensforschung“(Früher – deutlicher in NS-Tradition:„Gesellschaft für Erbgesundheitslehre“)mit der Zeitschrift „Neue Anthropologie“.Dort propagiert Rieger unverhüllt Rassis-mus; zur „wissenschaftlichen“ Legitimati-on wird in der „Neuen Anthropologie“ vor-zugsweise aus der korrespondierenden

englischsprachigen Rassistenzeitschrift„Mankind Quarterly“ zitiert, die ihrerseitsdenselben Trick anwendet, um Seriosität zudemonstrieren. Außerdem ist Rieger Vor-denker eines „Nordischen Rings“, Mitgliedin der „Artgemeinschaft“, deren Organ„Nordische Zeitung“ er als Schriftführerbetreut. Was diese „Artgemeinschaft“ ver-tritt, offenbart ihr kompletter Titel: „Artge-

meinschaft. Glaubensbund wesensgemäßerDaseinsgestaltung. Vereinigt mit der Nor-disch-Religiösen Gemeinschaft von 1927e.V.“. Germanenmythen und gar nicht soneues Heidentum feiern da fröhlichUrständ. Unter dem Pseudonym JürgenRiehl schrieb er das Buch: „Funkenflug –Handbuch für nationale Aktivisten“, alsJörg Rieck veröffentlichte er im revisioni-stischen Tübinger Grabert-Verlag einenBeitrag zum Buch „Das unvergänglicheErbe. Alternativen zum Prinzip der Gleich-heit“.

Bis zum Verbot der „NationalistischenFront“ des Meinolf Schönborn ist RiegerMitglied der NF und mit diesem zusammenderen intellektueller Führer. Auf seinemGelände in Hetendorf fand 1992 eine vonzwei konkurrierenden Vorstandswahlender NF statt. Während ein Teil der„Nationlistischen Front“ von Schönbornabrückt, weil dieser als Kopf einer „terrori-stischen Vereinigung“ (Schönborn hattezur Bildung von „Einsatzgruppen“ aufge-rufen) ins Visier der Bundesanwaltschaftgekommen war, hält Rieger weiterhin zuihm.

1991 war Rieger formell der Veranstal-ter des wegen eines Demonstrationsverbotsin der Umgebung Wunsiedels nach Bay-reuth verlegten „Rudolf-Hess-Marsches“,auf dem er vor 2000 angereisten Nazis auchdie Hauptrede hielt.

Nachdem die „Nationalistische Front“ihr Haus in Bielefeld verkaufte, kursierten1991 Gerüchte, sie wolle in der ehemaligenDDR ein neues Zentrum aufbauen, das vonRieger angekauft werden solle. Auch einAltersheim für "nationale Senioren" soll zuRiegers Investitionsplänen gehören.

Jürgen Rieger – Anwalt der braunen SzeneAktivist des Neonazismus

Jürgen RiegerStaranwalt der Neonazis unter Polizeischutz vor dem Hamburger Gericht

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JÜRGEN RIEGER - ANWALT DER BRAUNEN SZENE

151974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

In einem Prozeß gegen Arpad Wiegand,einem wegen Mord angeklagten SS-und Polizeiführer, verstieg sich Rieger

1981 zu Behauptungen, wie: das War-schauer Ghetto sei nicht zur Vorbereitungder Vernichtung der jüdischen Bevölke-rung, sondern zur „Seuchenbekämpfung“errichtet worden. „Mir liegt es fern, denJuden einen moralischen Vorwurf zumachen“, erklärte damals Rieger auch sei-ne zweite „These“, derzufolge „es zweifel-haft sei, ob im Warschauer Ghetto auch nurin Jude verhungert wäre, wenn die Judenuntereinander mehr Solidarität geübt hät-ten“. Jede andere Darstellung seiGeschichtsfälschung etc. Rieger wurdewegen dieser Äußerungen nicht etwa vonoffizieller Seite aus angeklagt, sondern vonProzeßbeobachtern. Das Verfahren zogsich über mehrere Instanzen hin und Riegerwurde letzten Endes vom BGH freigespro-chen mit der Begründung, er habe mit die-sen Äußerungen „nur“ die Meinung seinesMandanten weitergegeben. Daß Riegermehrfach diese Äußerungen als seine eige-ne Meinung wiederholt und bekräftigt hat-te, spielte für dieses Urteil keine Rolle.Auch Anstrengungen, Rieger seine Zulas-sung zur Hamburger Anwaltskammerdurch ein Ehrengerichtsverfahren abzuer-kennen, sind bislang gescheitert.

Mit seiner Anwaltskanzlei in derAugust-Baur-Straße in Hamburg-Blanke-nese hat sich Rieger in den letzten Jahrenzum Star-Anwalt der rechtsradikalen Szeneentwickelt. Zu seinen Mandanten gehörtmittlerweile bundesweit die gesamte Nazis-zene.

Spätestens seit 1980 ist Rieger Anwaltvon Christian Worch. Ebenfalls seitAnfang der 80er Jahre ist er Anwalt vonDetlef Brüel, einem Mitglied derWehrsportgruppe Dems, der u.a. durchmehrere Überfälle und Prügeleinsätze auf-gefallen ist und später in den Landesvor-stand der FAP aufrückte.

1987 verteidigt er den wegen Meineidsangeklagten Meinolf Schönborn von der„Nationalistischen Front“, der 1983 einenAntifaschisten zusammengeschlagen hatte,als Schönborn noch LandesvorsitzenderNRW der „Jungen Nationaldemokraten“gewesen war.

1989 tritt er als Verteidiger des StaderNazis Edgar Geiss auf, der wegen einerNazi-Provokation in Nürnberg gegen die„internationale Konferenz zum 40. Jahres-tag der Nürnberger Kriegsverbrecherpro-zesse“ (23.11.1985) wegen Volksverhet-zung angeklagt war. Obwohl die von Geissgeführte „Bürgerinitiative gegen Kriegs-schuld und antideutsche Greuellügen“ dieProzesse als „alliierte Lynchjustiz“ und„Greuellügen gegen das deutsche Volk“bezeichnete, obwohl die von Geiss mobili-sierten etwa 25 Nazis dann Sprüche riefenwie „Rotfront verrecke“, „Juda verrecke“,„Wir bringen Euch um“ und „wir werdenEuch vergasen“, wurde Geiss freigespro-chen. Das Gericht nahm Geiss ab, er habe

auf die Anwesenden „mäßigend“ einwir-ken wollen.

In Stuttgart ist Rieger Anwalt im bisherlängsten Prozeß gegen Neonazis inDeutschland. Dabei vertritt Rieger denKühnen-Gegner Jürgen Mosler.

Rieger ist der Anwalt des NeonazisEwald Bela Althans aus München (u.a.bekannt geworden durch den Film: „BerufNeonazi“) bei der Vorbereitung eines„internationalen revisionistischen Kongres-ses“ am 23.3.1991 in München. Die Kon-greßräume im Deutschen Museum wurdengekündigt und die Nazis konnten lediglich

eine „Mahnwache“ vor dem Museumdurchführen.

Rieger vertritt die Ende 1992 verbotene„Nationalistische Front“ gegen das Verbot.Ebenfalls 1992 verteidigt er zwei Hambur-ger Nazi-Skins, die vor dem BergedorferDisco-Schiff einen Türken halbtot geprü-gelt und getreten hatten.

Er ist Anwalt von Jörg Groll, einemFAP-Anhänger und Nebenkläger im Pro-zeß gegen sechs türkische Jugendliche, diebeschuldigt wurden, im Dezember 1993mehrere Skins und FAP-Mitglieder zusam-mengeschlagen und einen von ihnen miteinem Messerstich verletzt zu haben. DerProzeß gegen die angeklagten Antifaschi-sten wurde eingestellt.

1993 verteidigte er die Skin-Band„Kraftschlag“ in Itzehoe, die dort wegenVolksverhetzung und Aufstachelung zumRassenhaß vor Gericht standen. Vier Mit-glieder wurden zu Gefängnisstrafen aufBewährung sowie Geldstrafen verurteilt. InHannover verteidigte er den 30jährigenRainer W., der in Druckschriften von der„Gaskammerlüge“ sprach, die „krankenGehirnen“ entstamme. In seinem Plädoyererklärte Rieger, er sei davon überzeugt,„daß in fünf Jahren kein Mensch mehrglaubt, daß Juden in Gaskammern umge-bracht wurden“. Durch „wissenschaftlicheGutachten“ sei belegt, daß eine Vergasungvon Menschen nicht stattgefunden habeund das Gift Zyklon B nur zur Vernichtungvon Kleiderläusen verwandt worden sei.

In Hamburg vertritt Rieger den schwu-len Nazi Lothar Wrobel gegen das Schwu-lenmagazin „Magnus“ und die anonymerechtsradikale Schwulengruppe „Arbeits-gemeinschaft Männlicher Gays“ (AMG)gegen das Veranstaltungsblatt „Szene“(siehe dazu weiter hinten in dieser Bro-schüre).

Er ist Verteidiger der drei aus demUmfeld der „Nationalen Liste“ stammen-den Thorsten B., Tobias T. und HartmutW., die vor dem Haus des Pastors in Bram-feld das Horst-Wessel-Lied sangen (1994).

Er ist Anwalt des Ehepaars Müller ausMainz; die beiden, Inhaber einer Gärtnerei,die seit 20 Jahren militanten Neonazis alsStützpunkt, Arbeitsplatz und Versamm-lungsstätte dient, sind angeklagt, durchKameradschaftsabende die verbotene Deut-sche Alternative fortgeführt, bzw. ihreFortführung unterstützt zu haben. Hinzukommen Mandate Riegers für den ehemali-gen SS-Wachmann in Auschwitz und Ver-fasser der „Auschwitz-Lüge“, Thies Chri-stophersen, Werner Gebhardt von dennazistischen „Unabhängigen Nachrichten“,Günter Demolsky vom „Freundeskreis fürDeutschland“ und natürlich auch MichaelKühnen.

Anwalt der alten und neuen Nazis

Zeitschrift der HNG, eines Vereins zur Betreuungneonazistischer Straftäter

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JÜRGEN RIEGER - ANWALT DER BRAUNEN SZENE

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Seit Jahren besitzt Rieger ein Land-haus mit Gelände in der Lünebur-ger Heide in der Gegend von

Hetendorf. Fanden dort Ende der 70er Jah-re u.a. Seminare seines neofaschistischen„Freundeskreis Filmkunst“ statt, auf demalte NS-Filme gezeigt wurden, so ent-wickelte sich Hetendorf bis heute zu einemZentrum der Neonazis in Norddeutschland.Auf mehreren Grundstücken treffen sichdort nicht nur die verschiedenen Zirkel umRieger selbst, sondern auch die Wiking-Jugend oder die „Nottechnische Übungs-und Bereitschaftsstaffel“ (TENO) um denArzt Uwe Jürgens. Antifaschisten oderJournalisten, die das braune Treiben inHetendorf beobachten wollen, werden seitJahren dort von den Nazis regelrechtgejagt. Eine engere Zusammenarbeit zwi-schen Riegers Truppe und der in Meißen-dorf um Dr. Jürgens und seine „nothilftech-nische Übungs- und Bereitschaftshilfe“konnte immer wieder festgestellt werden;Im Juli/August 1984 war Worch Teilneh-mer einer „Übungsfahrt“ der TENO; imgleichen Jahr veröffentlichte die Kühnen-Postille „Neue Front“ unter ihrem Redak-teur Worch eine Distanzierung der TENOdes Dr. Jürgens, der sich angeblich „ausAngst vor einem Verbot seines Vereinsnicht an die getroffenen Vereinbarungen“gehalten habe. Antifaschisten waren dieseSpitzfindigkeiten egal: Beide Anwesenbrannten aus. 1988 führte die „Nationalisti-sche Front“ in der Heide ein „Ausbildungs-lager“ unter dem Motto „Junge Kolonnenmarschieren für das 4. Reich“ durch. ImSommer 1992 wird bei einer von zweigetrennt und in Konkurrenz zueiander statt-findenden Vorstandswahlen der „Nationali-stischen Front“ Meinolf Schönborn aufRiegers Gelände zum erneuten Vorsitzen-den der NF gewählt.

Im Juni 1992 fand in Hetendorf die „2.Hetendorfer Tagungswoche“ statt, diegemeinsam vom „Heide-Heim e.V.“, der„Artgemeinschaft“, dem „Familienwerke.V.“, dem „Freundeskreis Filmkunste.V.“, der „Gesellschaft für biologischeAnthropologie, Eugenik und Verhaltens-forschung e.V.“, der „Gesellschaft für freiePublizistik-Arbeitskreis Hamburg“, dem„Heinrich-Anacker-Kreis e.V.“, dem „Nor-dischen Ring e.V.“ und der „Northern Lea-gue“ ausgerichtet wird. Rieger referierte

dort zum Thema: „Bevölkerungsexplosionund Rassenmischung“.

Erst in diesem Sommer wurden erneutJournalisten in Hetendorf von der Wiking-Jugend angegriffen, die dort unter demSchutz der Polizei aufmarschieren durfte.

Wie seine Verurteilung im September1994 wegen des Verwendens von NS-Sym-bolen auf seinem Kübelwagen beweist, istRieger auch selbst in solche Wehrsportü-bungen verwickelt. Rieger war zu DM7.200 verurteilt worden wegen der Ver-

Das Landhausin der Heide

TAZ, 23.7.1993

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JÜRGEN RIEGER - ANWALT DER BRAUNEN SZENE

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wendung von NS-Symbolen an einemKübelwagen, mit dem er im Geleit in Rein-bek herumfuhr. Die Richterin sah es alspure Spitzfindigkeit an, daß Rieger die SS-Runen notdürftig verfälscht hatte, um dasVerbot zu umgehen. Angeblich, so der imzweiten Fahrzeug mitfahrende ThomasWulff, habe man mit Wissen und Billigungder Bundeswehr auf derem Gelände herum-fahren wollen. Wie lange diese Tätigkeitim „Wehrsport“ bei Rieger schonzurückreicht, ist nicht genauer bekannt.Schon 1981 allerdings tauchte sein Nameals Braune Eminenz im Hintergrund derdamals ausgehobenen WehrsportgruppeBlankenese um den VerlagskaufmannDems auf.

ben gibt es ebenfalls schon länger die„Deutsche Rechtsschutzkasse“ in Witten,die u.a. Ende 1993 in Erscheinung trat.Damals hatten Antifaschisten die Abonnen-tenkartei der neurechten Zeitung „JungeFreiheit“ veröffentlicht, worauf die derartgeouteten Personen (darunter natürlichauch einige Antifaschisten) einen Werbe-brief dieses Vereins erhielten, in dem ihnenHilfe bei Bedrohung durch Antifas angebo-ten wurde. Annähernd 20.000.– DM hatdieser Verein von 1989 bis 1991 für die„Verteidigungspolitik verfolgter Deut-scher“ ausgegeben. Als Blatt gibt dieserVerein „Recht und Justiz“ heraus, wo unterder Rubrik „Mäxchen Treuherz“ Tips fürRechtsradikale gegeben werden. Als„Mäxchen Treuherz und die juristischenFußangeln“ sind die gesammelten Tips nunim „WuselDi“-Verlag Hamburg erschie-nen. Darin finden sich dann solche Kapitelwie: „Mäxchen und die Juden“ oder „DasLeugnen der Judenvernichtung“. Verant-wortlich: Jürgen Rieger.

In der Publikation „Schriftenreihe zurGeschichte und Entwicklung des Rechtesim politischen Bereich“ (Heft 3) hat Riegersich zur Frage „Wie glaubwürdig sind Zeu-gen in Nationalsozialistischen Gewaltver-brecher-Prozessen“ Gedanken gemacht:„Dem Juden ist es nach dem babylonischenTalmud erlaubt, einen Nichtjuden vorGericht mit Rechtskniffen zu verwirren,sodaß er verliert.“.

Letzte Nazi-Gründung vom April 1992im Bereich der Rechtshilfe ist das „Deut-sche Rechtsbüro“ mit Postfach in Ham-burg, das ebenfalls juristische Hilfe und dieVermittlung „gleichgesinnter“ Rechtsan-wälte anbietet. Das Postfach ist identischmit dem des „WuselDi“-Verlags. Darüberhinaus verbreitet das „Deutsche Rechts-büro“ über Computer-Mailboxen jeweilsdie neuesten Entscheidungen von Verwal-tungen und Gerichten, die die Aktionenvon Nazis betreffen können. Eine ähnlicheZielsetzung verfolgt die Zeitschrift„Rechtskampf“ in Süddeutschland (sieheFaksimile).

Auch die Zeitschrift „Recht und Wahr-heit“ der „Deutschen Freiheitsbewegung“beschäftigt sich mit Rechtsfragen. Autordort ist neben Rieger (unter seinem Pseud-onym Jörg Riehl) auch Christian Worch,der das „Terrorurteil“ gegen „nationaleAktivisten“ in Bramfeld beklagt.

Braune Rechtshilfe

Im Verlaufe der letzten Jahre haben dieNazis erhebliche Anstrengungen unter-nommen, um sich gegen staatliche

Repressionsmaßnahmen zu wappnen. Sogibt es seit Jahren die fraktionsübergreifen-de „Hilfsgemeinschaft für Nationale politi-sche Gefangene“, die einsitzende Nazisbetreut, über Prozesse berichtet etc. Dane-

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die bei den Treffen teilnahmen, sowie vonGruppen in Hamburg, Rahlstedt und Ber-gedorf. Angeblich am 9.3.84 fand ein Akti-vistentreffen des als Tarnung neubelebten„Freizeitverein Hansa“ mit etwa 40 Teil-nehmern statt. Für 1984 sprechen die Nazisselbst von Gruppen in Pinneberg (Anti-kommunistische Vereinigung) und Bokel,Blankenese und Osdorf sowie in Netteln-burg. Auch die „Deutsche Frauen-Front“soll existieren. Am 16.6.84 fand ein Tref-fen „im Süden Hamburgs“ statt, an dem

DIE FAP

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Nach dem Verbot der „Aktions-front Nationaler Sozialisten“(ANS) 1983 sammelten sich

deren Aktivisten zum einen in „privaten“Lesekreisen einer NS-Zeitschrift „DieNeue Front“, zum anderen unter dem Dacheiner bis dahin eher unbekannten, 1979gegründete Nazi-Partei, der „FreiheitlicheArbeiterpartei“ (FAP) um Martin Pape.Diese hatte bis dahin vor allem darumgekämpft, ihren Parteistatus nachzuweisen,was angesichts chronischer Mitglieder-schwäche die gesamte Kraft des Vereinserforderte. Pape stimmte der Übernahmeder FAP durch die ANS unter der Bedin-gung zu, daß Kühnen selbst nicht Mitgliedwürde.

Die Anhänger Kühnens wurden in derFAP teilweise ergänzt um die ehemaligenMitglieder der „VolkssozialistischenBewegung Deutschlands“ (VSBD) umFriedhelm Busse (München), die schonEnde 1982 verboten worden war. AusHamburg gelangen Willi Wegner und Tho-mas Wulff in die Parteiführung.

In der Folgezeit war die FAP die zentra-le Organisation der NS-Nazis, die sichallerdings in internen Konkurrenzen um die

Führerschaft immer wieder selbst lähmte.Ausgangspunkt einer schließlichen Spal-tung der FAP in zwei Flügel war eine vonMichael Kühnen 1986 im Knast verfaßteBroschüre zum Thema „Homosexualitätund Nationalsozialismus“. Die Differenz inder Frage der Homosexualität wurde zum

Anlaß genommen, um den Einfluß Küh-nens, der als „heimlicher“ Vorsitzender derFAP anzusehen war, zurückzudrängenzugunsten des sog. „Mosler“-Flügels. Nachder Haftentlassung Kühnens verschärftesich der Konflikt bis zur Spaltung, bei der

die Kühnen-Anhänger die FAP verließen,um mit neuen Organisationsformen (Deut-sche Sammlung, Deutsches Hessen, Natio-nale Liste etc.) erneut Einfluß zu gewinnen.Die Hamburger „Nationale Liste“ mit demformellen Vorsitzenden Thomas „Steiner“Wulff gehört zu diesen Organisationsansät-zen der Kühnen-Truppe. Wulff hat seinenSpitznamen nach einem faschistischenKriegs„helden“.

Neben der Tätigkeit in der FAP formier-ten sich die ANS-Mitglieder in verschiede-nen konspirativen Gruppen: „Die Bewe-gung“, „Komitee zur Vorbereitung derFeierlichkeiten zum 100. Geburtstag AdolfHitlers“ (KAH), Gesinnungsgemeinschaftder Neuen Front“, Lesekreise der NeuenFront“. „Neue Front“ wurde das Mittei-lungsblatt der „verbotenen“ ANS genannt.Zuvor war die „Innere Front“ (bis Nummer35) erschienen. Mit einer lückenlosen Fort-setzung dieser Nummerierung stellte sichdie Neue Front in diese Tradition. Nachder Spaltung der FAP im Juli 1986 erschie-nen zwei unterschiedliche Postillen „DieNeue Front“, die beide aus den Niederlan-den importiert wurden.

Vorsitzender der FAP seit 1988 istFriedhelm Busse; er konnte sich damals alsKandidat des kühnenfeindlichen Mosler-Flügels gegen Walther Matthaei durchset-zen. Die Bundesgeschäftsstelle ist seit 1991in Halstenbeck. Bundesweit hatte sie 1993angeblich 430 Mitglieder, das Parteiorgan„Standarte“ erscheint zweimonatlich miteiner Auflage von 1000 Exemplaren. DieFAP unterhält eine eigene Mailbox: „Wolf-Box“.

Die FAP

Titelblatt der FAP-Zeitschrift „Standarte“

Die FAP in Hamburgu.a. Worch und Wulff als Redner auftraten.Mit Kühnens erster Haftentlassung Ende1982 nahmen auch die Nazi-Umtriebe inHamburg wieder zu. 1983 vermerkt der VS291 Vorfälle, 1984 dann bis Novemberschon 311. Brandanschläge auf ein GAL-Büro, Schändung des jüdischen Friedhof-teiles in Ohlsdorf, Überfall mit Gaspistolenauf Ausländer; ein Waffenlager von Küh-nen-Anhängern in Sasel wird ausgehobenusw.

Seit Beginn der 80er Jahre gab es inHamburg eine ganze Reihe von Skinhead-Banden mit engen Kontakten zur Neonazi-Szene. Teilweise wurden die Banden vonMitgliedern der ANS wie Michael David

A uch in Hamburg trat die FAPdie Nachfolge der verbotenenANS/NA an. Allerdings waren

die Verhältnisse in Hamburg für die Nazisrelativ ungünstig. Kühnen selbst berichtet,wie er im Frühjahr/Sommer 1983 mehrfachvon „Anarcho-Rockern“ angegriffen wor-den und sein Auto demoliert worden sei.Die ANS selbst spricht von 15 – 30 Leuten,

Nach Verbot der ANS„Unterschlupf“ der Neonazis

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DIE FAP

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organisiert. Vor allem im Umfeld von Fuß-ball-Fan-Clubs („Löwen“) waren für dieNazis Jugendliche mit spontan rechtenIdeen und entsprechender Prügelbereit-schaft zu finden. Einige Zeit lang sahen dieNazis in diesen Jugendlichen ihre bevor-zugtes Rekrutierungsfeld. Die „SavageArmy“ (etwa 1982) beispielsweise war einParadebeispiel hierfür. Doch obwohl bisheute in Hamburg um die 100 Skins alsNS-Sympathisanten angenommen werdenund als Hauer-Truppe in Nazi-Zusammen-hänge einzubinden sind, gelang den Naziseine festere Organisierung dieser Szene nureingeschränkt. Bis heute allerdings habennahezu alle rechten Jugendbanden, in Ber-gedorf wie im Süden Hamburgs, in Neu-wulmstorf, Kirchdorf Süd, in Niendorf oderin Osdorf mehr oder weniger feste Kontak-te zu organisierten Nazis, beziehen vondort Aufkleber, Aufnäher etc.

1984 werden Thomas Wulff und WilliWegner in den Bundesvorstand der FAP

Das „Komitee Adolf Hitler“

aufgenommen. Zwei Jahre später warenWulff und Worch auf der einen Seite, Brüelund Wegner auf der anderen Kontrahentenbei der FAP-Spaltung an der „Schwulen-frage“.

In einem internen Mitgliederrundbriefdes Gaus Hamburg der FAP, geleitet vonDetlef Brüel und Willi Wegner wird imAugust 1987 von Gruppen in folgendenHamburger Stadtteilen gesprochen: Har-burg, Altona, Bergedorf, Neugraben sowieeiner „Deutschen Frauen-Front“. Stütz-punkte um Hamburg bestanden in Pinne-berg sowie in Elmshorn. Christian Worchwird anläßlich der Vorbereitung eines Gau-treffens der FAP in Großensee bei Ham-burg von Wegner beschuldigt, „gewolltoder ungewollt“ den Kameraden aus West-falen „zum einen den roten Mob, zumanderen den Staatsschutz auf den Hals“gehetzt zu haben. Wegner und Brüelgehören zum kühnenfeindlichen Moslerflü-gel der FAP.

P arallel zu ihren Aktivitäten inner-halb der FAP gründeten diverseNeonazis ein „Komitee zur Vorbe-

reitung der Feierlichkeiten zum 100.Geburtstages von Adolf Hitler“ (KAH), dasangeblich dazu dienen sollte, für den 20.April 1989 spektakuläre Aktionen vorzube-reiten. Das „Komitee“ unternahm erhebli-che Anstrengungen, um die in Europa nochzu mobilisierenden Alt-Nazis einzubinden.Von seiten der Staatsanwaltschaft wurde indiesem KAH ein Versuch gesehen, dasVerbot der ANS zu unterlaufen, und dieMitglieder des KAHs sind wegen Fort-führung einer verbotenen Vereinigung vordem Landgericht Stuttgart angeklagt. Mitt-lerweile ist der Prozeß nach mehreren Jah-ren (er begann 1991!) Verhandlung undBeweisaufnahme infolge des Ausfalls meh-rerer Geschworener geplatzt und mußerneut aufgerollt werden. Ausschlaggebendfür diesen Prozeßverlauf ist die unglaubli-che Langmut, die das Gericht der Verzöge-rungsstrategie des federführenden Anwaltsder Angeklagten, Jürgen Rieger, entgegen-bringt. Dieser tritt dort als Verteidiger vonJürgen Mosler auf, der der führende Vertre-ter der „Anti-Kühnen-Fraktion“ der FAPgewesen ist.

Tatsächlich erreichte das KAH sein Zielnicht. Der 100. Geburtstag Hitlers wurdeallenfalls im kleinsten Kreis gefeiert.Angekündigte Treffen fanden nicht statt.Wie sehr aber das Gefühl, in der BRD nichtmehr sicher zu sein, bei großen Teilen derausländischen Bevölkerung damals schonverbreitet war, zeigen die Ereignisse vom20.4.1989, als in Hamburg Tausende vonausländischen Schülern nicht zur Schulegingen, viele ausländische Geschäftegeschlossen blieben, weil das Gerüchteines Nazi-Aufmarschs uns von Nazi-Ran-dale die Runde machte. Vom Senat wurdedamals vor „Panikmache“ gewarnt; wenigeJahre später aber zeigen die rassistischenÜberfälle und Morde deutlich, daß dasGefühl von 1989 durchaus eine realeGrundlage gehabt hatte.

Die Unterzeichner der „Versöhnung“ sind:Thomas Brehl, Volker Heidel, Walter Matthaei,

Christian Worch, Thomas „Steiner“ Wulff, Micha-el Kühnen, Jürgen Mosler, Friedhelm Busse, Chri-

stian Malcoci und Michael Swierczek.

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DIE FAP

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Bundesvorsitzender der FAP istheute Friedhelm Busse, der selbstauf eine bewegte Vergangenheit in

der Neonazi-Szene zurückblicken kann. Erwar schon in den 50er Jahren Mitglied des„Bund Deutscher Jugend“ (1953 Verurtei-lung wegen Amtsanmaßung und Freiheits-beraubung von FDJ-Mitgliedern), dann der„Deutschen Reichspartei“ (1963 Verurtei-lung wegen eines Sprengstoffanschlags inSüdtirol). 1971 wird Busse aus der NPDausgeschlossen und gründet die „Partei derArbeit“ (PdA), die später in „Volkssoziali-stische Bewegung Deutschlands“ (VSBD)umbenannt wird. 1980 wegen Voksverhet-zung verurteilt. Die VSBD wird im Januar1982 verboten, nachdem 1981 von BussesHaus aus mehrere Neonazis schwerbewaff-net zu einem Bankraub aufgebrochenwaren. Sie wurden von der Polizei gestelltund in einem wilden Schußwechsel, ver-mutlich durch eine vom Neonazi NikolausUhl gezündete Handgranate ausgelöst, wirddieser sowie der Neonazi Kurt Wolfgramvon der Polizei erschossen. Gemeinsam mit

Peter Fabel, Peter Hamberger und demFranzosen Pascal Coletta waren sie – ausFrankreich kommend – zu Busse gefahren,gegen den schon ein Strafverfahren und

weitere Ermittlungen seitens der Bundesan-waltschaft liefen. Beim Zugriff auf dieGruppe war die Polizei über deren Bewaff-nung bestens informiert. Aus dem Einstel-lungsbeschluß der Staatsanwaltschaft, mitdem eine Anzeige der Nazis gegen denzuständigen Polizeipräsidenten von Mün-chen niedergeschlagen wurde, geht hervor,daß diese Informationen von einem „Mit-teiler, der unmittelbaren Zugang zu derGruppe hatte“ stammten. Wer dieser „Mit-teiler“ gewesen ist, ist bis heute ungeklärtgeblieben. Kurt Wolfgram stammt im übri-gen aus der Braunschweiger ANS-Gruppeum Paul Otte, die schon Ende der 70er Jah-re intensiv mit Worch und Kühnen zusam-menarbeitete. Busse wurde damals zu dreiJahren Gefängnis wegen Hehlerei undStrafvereitelung etc. verurteilt.

Während ein Teil der ehemaligen Mit-glieder der VSBD die „NationalistischeFront“ um ihr Zentrum in Bielefeld aufbau-en (zu der auch Jürgen Rieger zählte), wen-det sich Busse mit seinen Getreuen derFAP zu. Auf dem Gautreffen der FAP inGroßensee bei Hamburg am 11.7.87 warBusse in Hamburg und führte einen„Sturm“ der FAP auf die besetzten Häuserin der Hamburger Hafenstraße an. 1988setzte sich Busse als Kandidat des kühnen-feindlichen „Moslerflügels“ gegen denKandidaten des „Kühnen-Flügels“, denAlt- und Neonazi Walther Matthaei bei derWahl zum Bundesvorsitzenden der FAPdurch.

Friedhelm Busse –ein Nazi und Krimineller

Friedhelm Busse

A uch in Halstenbek gründete sichdie FAP erst nach dem Verbotder Kühnentruppe ANS. Die

ANS hatte in den westlichen VorortenHamburgs schon immer einige Mitgliedergehabt, die nun offenbar die neue Organi-sation zur Fortsetzung ihrer Aktivitätenbenutzte. Am 5.10.1983 war die Kamerad-schaft Pinneberg der ANS gegründet wor-den (verboten Ende 1983), im Dezemberfolgte dann die FAP-Ortsgruppe. UnterANS-Führer Pagel überfielen diese Nazisim Mai 1984 eine VVN-Veranstaltung inPinneberg und tat sich durch Kleben vonFAP-Aufklebern hervor.

Seit 1991 befindet sich die Bundesge-schäftsstelle der FAP in Halstenbek - in der

Wohnung des BundesgeschäftsführersGlenn Goertz. Von hier aus wurden die kri-minellen Umtriebe dieser Nazi-„Partei“gesteuert und organisiert. Hier trafen sichimmer wieder Neonazis und machten beiihren Treffs die Gegend um den S-BahnhofKrupunder zu einem gefährlichen Pflasterfür die von den Nazis so genannten „linkenZecken“. Insbesondere bei manchen Fuß-ballspielen zogen die Nazis und rechteHooligans hier in ganzen Rudeln auf.

1987 wird die Arbeit des KreisverbandsPinneberg der FAP in einem internenRundschreiben besonders gelobt. Pinneber-ger FAPler nahmen an Märschen vor dieKonsulate der Alliierten als auch einemMarsch durch Witten teil. 1989 wurden imHalstenbeker Jugendzentrum Zwischenfäl-le mit Nazis vermerkt. Seit Anfang der 90erJahre sind faschistische Provokationen an

der Tagesordnung: Am 5.10.1991 wurdendie Scheiben eines Flüchtlingsheims mitSteinen eingeworfen.

Das ganze Jahr 1992 über häuften sichnazistische Überfälle und Provokationen.Am 29.4.92 wurde ein afrikanischerFlüchtling von einem FAP-Mitgliedzusammengeschlagen – 50 Meter von einerKneipe entfernt, in der eine FAP-Ver-sammlung stattfand. Am 22.8.92 beteiligensich mehrere FAPler aus Halstenbek an denPogromen in Rostock. Am 1.9.92 tauchtenAufkleber auf mit folgendem rassistischenText: „Achtung! Die Gemeindeverwaltungweist darauf hin, daß Ausländer und Asy-lanten den Schützenplatz nicht betretendürfen! Der Bürgermeister“. Am 30.9.wurden bei einer Polizeirazzia auf demBahnhofsvorplatz unter ca. 40 FAP-Mit-gliedern und Mitläufern zahlreiche Waffensichergestellt. Regelmäßig mittwochs ver-sammelten sich FAPler am S-Bahnhof Kru-punder und wurden mehrfach von der Poli-zei kontrolliert; es wurden Waffenbeschlagnahmt. Am 7.10.1992 kündigte dieFAP am S-Bahnhof Krupunder eine Kund-

Die Bundesgeschäftstelle in Halstenbek und die Brüder Goertz

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DIE FAP

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gebung an unter dem zynischen Motto:„Mehr Toleranz mit Andersdenkenden“,wogegen eine breitere Mobilisierung statt-fand.

Dagegen organisierten sich betroffeneJugendliche, die in jahrelangen Aktionenallmählich den Spieß umkehrten. MitMahnwachen und Demonstrationen wurdedie Öffentlichkeit auf diese braune Nestaufmerksam gemacht. Nach dem Verbotder „Nationalistischen Front“ und derAnkündigung eines geplanten FAP-Ver-bots wird kistenweise Material (Ordner undDisketten) aus der Bundesgeschäftsstelleabtransportiert.

Wenige Tage nach dem Brandanschlagvon Mölln war es dann vorwiegend türki-schen Jugendlichen im Dezember 1992unerträglich geworden: Sie versuchten, dieBundesgeschäftsstelle zu stürmen und ver-letzten dabei einige der Nazis zum Teilschwer. Das ganze erste Halbjahr 1993 ver-suchen die Goertz-Brüder, die FAP alslegale Partei in Halstenbek zu etablieren,indem sie bei Gemeinderatssitzungen teil-nehmen oder auch mal bei öffentlichenSPD-Versammlungen. Dagegen wirdWiderstand mobilisiert, der zum Raus-schmiß der Brüder aus diesen Versamm-lungen führt. Gleichzeitig sind FAPler wei-terhin im Landkreis mit Aufklebern undÜberfällen unterwegs. Ob es im Mai 1993in Halstenbek zur geplanten Gründungeines offiziellen Landesverbands Schles-wig-Holstein der FAP unter Glenn Goertzgekommen ist, entzieht sich unserer Kennt-nis.

Am 29.5.1994 wurde ein Türke vonSkinheads aus dem Umkreis der FAP inEllerbek überfallen, sein Auto demoliert; erselbst konnte mit Mühe fliehen.

Offenbar seit 1989 gibt es einen FAP-Ableger in Tostedt um das Ehepaar Blies-

mer. Damals waren die Tostedter SkinsSascha und Patrick Bothe sowie Sven-OleReese an einem Überfall von 15 FAPlern(darunter Willi Wegner und Detlef Brüel)auf eine VVN-Veranstaltung in Lünburgdabei. Nachdem am 19. April 1993 dieBande mit Reichskriesflagge in allerÖffentlichkeit den Hitlergeburtstag gefeierthatte, trat sie mit Einschüchterungsbriefenan die lokalen Antifas in Erscheinung, indenen eine Tostedter „Anti-Antifa-Gruppe“angekündigt wurde.

Führende Personen der FAP in Ham-burg sind die Brüder Andre und GlennGoertz. Um die Halstenbeker Wohnung des

FAP-Bundesgeschäftsführers GlennGoertz, in der auch ein „Nationales Infote-lefon“ installiert ist, sammelten sich immerwieder Neonazis, kam es zu Überfällen aufAntifaschisten und Ausländern etc., bis einBündnis diesen Provokationen militantenWiderstand entgegensetzten und die Nazisin ihre Schranken wiesen.

Glenns Bruder Andre ist Jura-Student ander Universität Hamburg und wohnte einezeitlang im Haus der Burschenschaft Ger-mania, wo er aktiv bei der Organisierungbrauner Politik und Ideologie in Uni-Krei-sen tätig war. Zumindest Andre Goertz istschon Ende der 80er Jahre als Schüler auf-gefallen: Wegen des Klebens nazistischerAufkleber wurde er von der Schule gewor-fen. Für 1993 wird in Hamburg ein offiziel-ler Landesverband der FAP angegeben,während ein Landesverband für Schleswig-Holstein erst gegründet werden sollte. Aufden Heß-Märschen der Faschisten tauchendie Goertz-Brüder mehrfach auf: So 1993in Fulda, wo sie neben dem FAP-Vorsit-zenden Busse marschieren und 1994, alssie in Schleswig-Holstein einen etwas küm-merlichen Heß-Marsch zustande bringen.

Die Nationale Liste Hamburg unterihrem Vorsitzenden Thomas„Steiner“ Wulff wurde im März

1979 gegründet als eine von vielen über dieBRD und auch später in der ehemaligenDDR verbreiteten Nazi-Organisationen.Sie wurden allesamt von Nazis gegründet,die gemeinsam mit Michael Kühnen dieFAP als Minderheit verlassen hatten undnun nach neuen Organisationsformen such-ten. Erste Organisation dieser Art war die„Deutsche Sammlung“ in Hessen, mit derdie Nazis an den hessischen Wahlen teil-nehmen wollten. Die „Deutsche Samm-lung“ wurde im Februar 1979 verboten. ImMai folgte die Gründung der „DeutschenAlternative“ in Bremen, ein „InitiativeVolkswille“ in Hessen folgte; „DeutscheAlternativen“ wurden in weiteren Bundes-ländern gegründet etc. In den meisten Bun-desländern sind diese Nazi-Gruppen mitt-lerweile verboten worden oder haben sichunter beständigem Verfolgungsdruck durchPolizei und Staatsanwaltschaften mittler-weile selbst aufgelöst.

Vorsitzender der Nationalen Liste Ham-burg wurde (und ist bis heute) ThomasWulff, bis dahin nach seiner Mitgliedschaftin der Wehrsportgruppe Blankenese undder ANS stellvertretender Landesvorsitzen-der der FAP in Hamburg. Mit im Vorstandwaren Anfangs: Thomas Sauer und UrsulaWorch, die damalige Ehefrau von ChristianWorch. Von Anfang an plädierte die NLfür ein Wahlbündnis aus „Deutscher Alter-

Demonstration gegen die FAP-Bundesgeschäftsstelle in Halstenbek

NL-Wahlpropaganda am Berliner TorWahlen Hamburg 1991

Die Nationale Liste Hamburg

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DIE FAP

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native“, FAP, NL und „NationalistischerFront“. Unmittelbar nach dem Fall derMauer im November 1989 stürzte sich dieNL auf die „Aufbauarbeit“ in der damali-gen DDR. Worch verteilte Flugblätter anden Grenzübergängen, Thomas Wulffrüstete die von den Nazis der „NationalenListe“ besetzte Weitlingstraße in Berlinlogistisch aus. Schon 1990 veröffentlichtedie NL in ihrer Schrift INDEX Listen vonehemaligen Richtern, Staatsanwälten undKriminalpolizisten, die an Verfahren gegenNazis in der DDR beteiligt waren und for-derten dazu auf, deren Aufenthaltsorte zumelden. Boykottaufrufe gegen mißliebigeRestaurants etc. ergänzten diese frühenAktivitäten der NL in Sachen „Anti-Anti-fa“ (zur „Anti-Antifa-Politik“ der Nazissiehe den entsprechenden Abschnitt in die-ser Broschüre).

Bislang sind gegen die Nationale ListeHamburg allerdings keine ernsthaftenSchritte unternommen worden. Ob der Ver-botsantrag des Hamburger Senats vomSommer 1993 in absehbarer Zeit zur Ent-scheidung führen wird, war bei Redakti-onsschluß dieser Broschüre nicht abzuse-hen. Die Nationale Liste Hamburg betreibtein Info-Telefon und stellte seit ihrer Grün-dung ihre Mitglieder als Ordner bei zentra-len Nazi-Versammlungen und Aufmär-schen ab. Unter Worch und Wulff stelltensie beispielsweise die Ordnertruppe am21.4.1990 in München bei der Veranstal-tung „Wahrheit macht frei“, auf der nichtnur die „Eselsmasken“-Aktion wiederholtwurde, sondern auch ein „Marsch auf dieFeldherrenhalle“ in Anlehnung an den ver-suchten Hitler-Putsch 1923 versucht wur-de. Diese Veranstaltung war ein Treffender gesamten nationalen wie internationa-len Nazi-Prominenz. Neben der NationalenListe sowie weiteren Mitgliedern diverserNazi-Gruppen waren dort vertreten:

David Irving, englischer „Historiker“,der die Verbrechen der Faschisten „wider-legt“;

Dr. Gerhard Frey von der „DeutschenVolksunion“;

Vertreter des US-amerikanischen „Insti-tuts for Historical Review“, das die Leug-nung der NS-Verbrechen zum Programmhat;

Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Vordenkerdes „neokonservatismus“ und Preisträgerder „Deutschland-Stiftung“;

Ewald Bela Althans aus München, Stardes Films „Beruf Neonazi“;

Professor Helmut Schröcke, Mitinitiatordes rassistischen „Heidelberger Manifests“.

Am 21.5.1991 durfte die „NationaleListe“ mit etwa 50 Teilnehmern im Ham-burger Stadtteil St.Georg unter Polizei-schutz demonstrieren. AntifaschistInnen,

die vor einem Nazi-Lokal auftauchen, wer-den mit Bierflaschen und Stuhlbeinenangegriffen, ohne daß die Polizei eingriff.Lediglich der anwesende Kühnen-Nachfol-ger Gottfried Küssel, gegen den in Dresdenein Haftbefehl vorlag, wurde festgenom-men. Dieser Aufmarsch war Teil des„Wahlkampfs“ der NL zu den HamburgerBürgerschaftswahlen am 2.6.1991, wo sie432 Stimmen (0,1%) erhielt. Auch 1993kandidierte die NL, erhielt aber nur wenigüber 300 Stimmen.

Nach den Pogromen von Rostock-Lich-tenhagen im Herbst 1992 fühlte sich auchdie Nationale Liste Hamburg ermuntert. Ineiner Schrift „Hoyerswerda, Rostock,Hamburg“ werden ähnliche Pogrome auffür Hamburg prophezeit: „In den mittel-deutschen (!) Städten hat das Volk dieSache selbst in die Hand genommen.“ Und:„Wir stehen am Rande eines Bürger-kriegs.“ Gegen „die Überfremdung undÜberflutung“ durch Ausländer werdenAusschreitungen angekündigt: „Es soll das

Land der Deutschen bleiben, kein multikul-tureller Mischmasch! Wenn aus EmpörungFrust wird, wird aus Protest Gewalt!“

1992 führte ein „Komitee für freiwilligeReservistenarbeit-Nord“ (KON) mehrereWehrsportübungen in Norddeutschlanddurch. Hinter dem KON, das auch offizielleAnfragen auf Zugang zu Bundeswehr-gelände gestellt hat, steht die NationaleListe sowie der mittlerweile verbotene„Kameradschaftsbund Wilhelmshaven“.

Seit Anfang 1993 ist Christian Scholz,Aktivist der NL, Schriftleiter und presse-rechtlich Verantwortlicher für die Nach-richten der „Hilfsgemeinschaft für nationa-le politische Gefangene e.V.“ (HNG). Nachanderen Quellen sympathisiert ChristianScholz mittlerweile mit der „NationalenOffensive“, bei deren stellvertretendemBundesvorsitzenden Willi Wegner (siehean anderer Stelle) er seit 1992 wohnt.

Ende 1993 lobte die NL Hamburgs Bür-germeister Voscherau, der eine Zuzugs-sperre für Ausländer in bestimmte Stadttei-

FLugblatt der Nationalen Liste, mit dem sie um Unterschriftenfür die Wahlzulassung zu den Bürgerschaftswahlen warb

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DIE FAP

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len propagierte. Drei Monate nach der Bür-gerschaftswahl habe er Positionen der NLübernommen.

Die Nationale Liste wirbt im braunenVerbund mittlerweile um eine Stimmabga-be für die REPs bei den Bundestagswahlen1994. Der Aufruf der NL für die REPs wirdu.a. veröffentlicht in der rechtsextremenPostille „Der Frontsoldat“, dem Mittei-lungsblatt des „Stahlhelm e.V. Bund derFrontsoldaten-Kampfbund für Europa“,der selbst zu den Organisationen um DVU-Chef Dr. Gerhard Frey gehört.

Im Juni 1994 feiern am Wittensee beiRendsburg etwa 50 Jungnazis eine Sonn-wend-Feier. und gröhlen das Horst-Wessel-Lied. Veranstalter: FAP, NL, Wiking-Jugend und andere Gruppen.

Zumindest bis vor kurzem war Sitz derNL eine Wohnung in Hamburg-Lohbrügge.Die Wohnung wurde früher von ThomasWulff bewohnt, dient aber zuletzt nur nochfür Versammlungszwecke. Offiziell hat dieNL derzeit zwischen 20 und 30 Mitglieder.

Willi Wegner, zuletzt wohnhaftin Hamburg-Horn, gehört zuden ältesten Aktivisten der

Hamburger und Deutschen Neonazi-Szene:Anfang der 70er Jahre Mitgründer der

NSDAP/AO in der BRD.1973/74: Mitglied einer Wehrsportgrup-

pe Neumann; Anschläge auf Buchläden(polibula Göttingen), Grabschändungen,Raub von Maschinenpistolen, Waffenlager;flog 1974 auf. Dafür wurde Wegner 1976zu 39 Monaten Haft verurteilt. H. J. Neu-mann, der 1974 bei der NSDAP-Versamm-lung im Haus des Sports teilgenommen hat-te, setzte sich nach Südafrika ab.

1978: Haftentlassung; bis 1981 Brief-kontakt mit dem einsitzenden MichaelKühnen.

1981: beteiligt am Mord an JohannesBügner im Mai 1981; 18 Monate Haft.

1984: Haftentlassung im Januar; imMärz festgenommen beim Plakatieren miteiner selbstgebastelten Waffe.

1984: Redner bei einer ANS-Veranstal-tung im Juni.

1985: seit Juli im FAP-Vorstand Ham-burg.

1986: Sechs Monate Haft wegen NS-Propaganda; stellv. Bundesvorsitzender derFAP.

1987: Beteiligt beim Versuch, dieHafenstraße anzugreifen.

1989: Im April Angriff auf eine VVN-Veranstaltung in Lüneburg u.a. mit Man-fred Börm (ANS, WIking-Jugend-Führerund 1979 im Bückeburger Prozeß gegendie ANS-Terrortruppe verurteilt), sowieder Tostedter FAP-Gruppe.

1991: Seit Feburar einer der Angeklag-ten im Stuttgarter Prozeß gegen das KAHwegen Fortführung der verbotenen ANS.

1991: Seit April stellvertretender Vorsit-zender der „Nationalen Offensive“.

Wegner wohnt seit 1992 in einer Woh-nung zusammen mit Christian Scholz, derseit spätestens 1985 ebenfalls zum soge-nannten „Mosler-Flügel“ der FAP gehörtund 1985 mit ihm zusammen bei einer Hit-ler-Geburtstagsfeier in der Gärtnerei Mül-ler in Mainz-Gonsenheim. Scholz warSchriftführer und presserechtlich Verant-wortlicher der „FAP-Nachrichten“, des„Volksgenossen“ und „Der politische Sol-dat“ (alle FAP). Er baute die FAP in Nord-rhein-Westfalen mit auf, nahm an FAP-Aufmärschen 1987 und 1989 inRothenburg/Wümme teil und taucht alsFAP-Adresse im bekannt gewordenenNotizbuch von Michael Kühnen auf.Offenbar bilden Wegner, Scholz und HenryFiebig (siehe Abschnitt „Bewegung inWaffen“) den Kern der (verbotenen)„Nationalen Offensive“ in Hamburg.

Christian Worch gemeinsam mit WilfriedArnulf Priem.Priem wurde Anfang der 70er Jahre von derBundesregierung aus DDR-Haft freigekauft,wo er wegen rechter Aktivitäten einsaß. Ergründete in Freiburg die „KampfgruppePriem“, die u.a. antifaschistischeDemonstranten vor einem Kino zusammen-prügelte.Später ging Priem nach Berlin, wo er alsAnführer einer Nazi-Rocker-Gruppe tätig ist.Er ist Chef des „Gauschulungsamtes WotansVolk“ und mit Worch im Führungskreis derGDNF. Er wurde Ende 1993 an derösterreichischen Grenze festgenommen undwird in Verbindung gebracht mit den Brief-bomben-Attentätern dort.Mitte August 1994 wurde Priem verhaftet. Erwird der „Bildung bewaffneter Haufen“beschuldigt, eines Staatsschutzdelikts.

Willi Wegner –eine Nazi-Karriere

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BRAUNE TECHNIK-FREAKS

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Seit Anfang 1993 existiert in Ham-burg ein sogenanntes „NationalesInfotelefon“, über das die Neonazis

eine halböffentliche Propaganda betreiben,ihre Aktionen koordinieren etc. Die techni-sche Einrichtung eines solchen Telefons istdenkbar einfach: Auf einem Anrufbeant-worter wird eine möglichst langer Textgesprochen, der dann einfach abgehörtwerden kann. Außerdem können über denAnrufbeantworter auch Informationengesammelt werden. Immer wieder habendie Nazis die „Nationalen Infotelefone“ alsSammelstelle für „Anti-Antifa-Informatio-nen“ propagiert.

Betrieben wird das Hamburger Infotele-fon von dem Jura-Studenten Sven Sievert,einem Mitglied der FAP, von seiner Woh-nung in der Eiffestr. 602c im 3. Stock.Anfang 1994 war die Telefonnummer:040-2195400. Ergänzt wurde das Telefonin der Eiffestr., dessen Tonband schon ein-

mal polizeilich beschlagnahmt wurde, voneinem zweiten Telefon in der Wohnungvon Glenn Goertz in Halstenbek. Bundes-weit existieren mindestens noch in Mainz,Frankfurt und im Sauerland weitere solcheInfotelefone.

Gegen das Infotelefon fand Mitte Aprileine Demonstration von etwa 1000 – 1500AntifaschitInnen statt. Nachdem die Polizeischon Mittags die Brüder Glenn und AndreGoertz vorsorglich festgenommen hatte,erhöhte sich im Verlauf der Aktion die Zahlder festgenommenen Nazis auf 23 – sie hat-ten sich mit Toschlägern, Tränengasdosen,Signalwaffen und Pflastersteinen vor dasHaus gestellt und wurden vorsorglich „inGewahrsam genommen“.

Auch Mobiltelefone werden von denNazis genutzt – spätestens als sie 1990/91in der ehemaligen DDR Probleme mit demTelefon hatten. So war beispielsweise imAugust 1993 beim Rudolf-Heß-Marschjeder Bus mit einem solchen Telefon aus-gerüstet, und Worch – Deckname „West-wind“ – konnte die Nazi-Kolonne relativeinfach nach Fulda dirigieren. A uch die Nazis nutzen in

verstärktem Umfang die moder-nen Techniken der Kommuni-

kation. Da gibt es z.B. im System der Com-puter-Mailboxen das sogenannteTHULE-Netz, in dem rechte Gruppen ihreNachrichten verbreiten. Die FAP unterhälteine eigene Mailbox: „Wolf-Box“ in Kre-feld. Innerhalb der Computerszene gibt esdazu eine Auseinandersetzung und die ent-sprechenden Freaks versuchen, sich durchentsprechende Maßnahmen gegen diesenbraunen Dreck zu wehren (Vollmüllen deröffentlich zugänglichen Nazi-Mailboxenetc.). Doch hinter den öffentlich zugängli-chen Netzen verbergen sich weitere, nurdurch spezielle Passwörter zu öffnendeMailboxen, in denen die nach außen abzu-schirmende Kommunikation stattfindet.

Seit Sommer 1994 ist auch die Hambur-ger Nationale Liste im Thule-Netz vertre-ten, um das „Werk der zunehmenden Ver-netzung der Nationalen Oppositionerfolgreich fortsetzen zu können“. Insbe-sondere wirbt die NL im Thule-Netz wei-terhin darum, Namen, Adressen etc. von

Braune Technik-FreaksNationales Infotelefon Hamburg

April 1994: Einer von 24 Nazis, die bewaffnet gegen eine Demonstrationgegen das „Nationale Infotelefon“ in der Eiffestraße vorgehen wollen.

Bildschirmschoner, der von Nazis auf Disketten verbreitet wird

Datennetzeder Neonazis

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BRAUNE TECHNIK-FREAKS

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AntifaschistInnen zu übermitteln, um sieim „INDEX“ veröffentlichen zu können.

In der NS-Zeitschrift „Neue Front“ wur-den Artikel zum Umgang mit Datenbankenveröffentlicht, eine Diskette mit der Datei„Wehrwolf.txt“ enthält Anleitungen zumBombenbauen, auf durch AntifaschistInnen„beschlagnahmten“ Disketten aus demUmkreis der „Nationalen Alternative“ fan-den sich dilettantisch gelöschte Dateien mit„unerwünschten Personen“ etc.

Doch während die Betreiber von Mail-boxen letzten Endes zu ermitteln sind, hatin den letzten Jahren eine andere Verbrei-tungsmethode nazistischer Propagandaerheblich zugenommen: Die Verbreitungvon nazistischen Computerspielen per Dis-

kette. Ursprünglich waren diese „Spiele“recht primitiv und vorwiegend für dieBesitzer von amiga-Computern zugänglich;heute sind die „Spiele“ raffinierter gemachtund auch auf üblichen PCs verbreitet.Neben üblen „KZ-Spielen“ finden sichheute aber auch Anleitungen für den rech-ten Terror, Anleitungen zum Bombenbauenusw. auf solchen Disketten, die vielfachnicht nur diese Nazi-Scheiße enthalten,sondern auch Raubkopien nützlicher Soft-ware. Da Disketten mit brauchbarer Soft-ware heute gerne weitergegeben werden,verbreitet sich auch derartiger Nazi-Scheißrecht schnell und ist kaum mehr auf einenUrheber zurückzuführen.

Schrift auch als Broschüre in Umlaufgebracht werden soll.

Als Autor wurde im Sommer 1994 derin Hamburg lebende Nazi Henry Fiebigausgemacht., der schon ein Jahr zuvor auf-gefallen war, weil er sich in der Julius-straße gegenüber der „Roten Flora“ imSchanzenviertel eingemietet hatte und vondort aus am 11. Juni 1993 mit einer Schrot-flinte auf AntifaschistInnen geschossenhatte. Fiebig gilt als Repräsentant der (ver-botenen) „Nationalen Offensive“ in Nord-deutschland. In seiner Wohnung wurdeWaffen (Schreckschuß, Reizstoff und Sig-nalmunition), Materialien, die zur Herstel-lung von Sprengkörpern geeignet sind,mehrere Flaschen mit Brandbeschleunigernund neonazistisches Material gefunden.

Ähnliche Anleitungen zum Terror hat esin der Nazi-Szene schon häufiger gegeben.Mitte der 80er Jahre kursierte eine ähnlicheAnleitung als das "Märchen vom bösenWolf" in Norddeutschland. Die damaligeSchrift wurde mit dem Förster Lembke inVerbindung gebracht, der ein umfangrei-ches Waffenlager gesammelt hatte und imGefängnis tot aufgefunden worden war, alser gegenüber dem BKA umfangreiche Aus-sagen machen wollte.Dies ist der Titel einer Schriftenrei-

he, die derzeit auf Diskette kur-siert und die auszugsweise im

„NS-Kampfruf“ abgedruckt wurde. Der„NS-Kampfruf“ ist eine auf deutscherscheinende, in USA hergestellte Zeitungder NSDAP/AO des Gary Rex Lauck ausLincoln in Nebraska. Diese Schrift ist eineAnleitung zur terroristischen Machtüber-

nahme. Teil 1 enthält Bemerkungen zuMassenpsychologie, Propaganda undRevolution, Teil 2a erläutert Strategie undden revolutionären Kleinkrieg, Teil 2b gibtgenaue Anleitungen für den Umgang mitSprengstoff. Dieser letzte Teil ist imWesentlichen der Schriftenreihe desSchweizerischen Unteroffiziersverbandsentnommen, die präzise die Taktik desUntergrundkampfes für den Fallbeschreibt, daß die Schweiz von einerfremden Macht besetzt wird. Es wird ver-mutet, daß neben den Disketten die Nazi-

Eine Bewegung in Waffen

Nazi-Anleitung zum Staatsstreich

Bei diesen „Nationalen Infotelefo-nen“ machen sich die Nazis dieTatsache des Telefon- und Brief-

geheimnisses zunutze. Die private Kom-munikation per Brief oder Telefon ist dabeiebenso geschützt wie die Wohnung. DieNationalen Infotelefone allerdings dienennicht der privaten Kommunikation, son-dern sind eindeutig Bestandteil eineröffentlichen Propaganda, da sie nur zu demZweck eingerichtet sind, öffentliche Infor-mationen zu verbreiten.

Daß diese Telefone sich auf einem sehrschmalen Grat von angeblicher Legalitätbewegen, ist den Nazis durchaus bewußt.So schlossen bis Herbst 1993 die Ansagendes Hamburger Telefons mit „HeilDeutschland“, seitdem sind die Texte etwas„moderater“, um möglichst wenigAngriffspunkte für behördliches Einschrei-ten zu bieten.

Nazipropagandadurch Grundrechte

geschützt ?

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BRAUNE TECHNIK-FREAKS

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Hamburger Abendblatt,6.4.1994

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TERROR VON RECHTS

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Im August 1992 begann die HamburgerZeitschrift „INDEX“ der „NationalenListe“ um Christian Worch und Tho-

mas „Steiner“ Wulff mit der Veröffentli-chung von sogenannten „Anti-Antifa-

Listen“ und eröffneten damit eine bundes-weite Kampagne der Neonazis, unter demTitel „Anti-Antifa“ DemokratInnen undAntifaschistInnen einzuschüchtern. Daß esden Nazis um nichts anderes als um dieEinschüchterung und Aufforderung zurdirekten Gewalt geht, wird an dem im„INDEX“ formulierten Ziel dieser „Anti-Antifa-Listen“ deutlich: Es gehe darum,

„durch gezielte Feindaufklärung ... diesekriminellen Subjekte aus der Anonymitätder Masse herauszureißen.“. In der Ham-burger Zeitschrift wurden über den Ham-burger Bereich hinaus auch Adressen ausNorderstedt oder Wilhelmshaven veröf-fentlicht. Neben Privatadressen (inklusiveBerichten über persönliche Gewohnheiten,Lieblingskneipen etc.) werden auch Buch-läden, Cafés, Beratungsstellen, Copy-Shops, Druckereien, Schülerzeitungen,Jugendzentren bis hin zu Senioren-Arbeits-kreisen ins braune Visier genommen.

Terror von RechtsDie Zeitschrift „INDEX“ (Hamburg 1992)

Ein Jahr später, im Herbst 1993 kamdann der „EINBLICK“ heraus, derdie bundesweiten Bemühungen der

„Anti-Antifa-Initiative“ Worchs zusam-menfaßte. Gegen DM 10.– konnte dasPapier über eine Deckadresse in Dänemarkbestellt werden. Geworben worden war fürdie Broschüre schon seit einem Jahr, überdie Nationalen Infotelefone und ähnlicheKommunikationsmedien der Neonazis. DasAusspähen der Gegner war schon seit län-gerer Zeit ein Teil der Nazi-Politik. Das„Komitee zur Vorbereitung der Feierlich-keiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers“unterhielt ein „Referat für Sicherheitsfra-gen“, die ANS hatte Sonderführer fürSicherheit (gegen Verräter in den eigenenReihen) etc. Der Göttinger Nazi MichaelFiedler vom Studentenbund Schlesienbezeichnet sein Mitteilungsblatt auch malals „Fachblatt für Wölkologie und Hundse-derkunde“ (Wölk und Hundseder sind anti-faschistische JounalistInnen).

In Westberlin war noch vor dem „EIN-BLICK“ ein von Worch initiiertes Blatteines „Freundeskreis revolutionärer Volks-sozialisten“ erschienen, das ebenfalls dieVeröffentlichung von antifaschistischenund sonstigen demokratischen Adressen alsZiel hatte.

Der „EINBLICK“ – Aufforderung

zum Terror

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TERROR VON RECHTS

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Das Mainzer „Nationale Infotelefon“veröffentlichte am 25. Mai 1994 dankens-werterweise eine komplette Liste allerAnti-Antifa-Adressen: Neben der Nationa-len Liste in Hamburg findet sich dort Mar-kus Privenau aus Bremen von der FAP,dessen Anschrift auch schon für die „Hilfs-gemeinschaft für Nationale politischeGefangene“ gedient hatte; die Adressen inBonn und Duisburg sind FAP-Adressen.Das Postfach in Witten gehört der verbote-nen „Nationalen Offensive“: in der Gegendum Köln tauchte ein erstes Anti-Antifa-Flugblatt mit einer Postlagerkarte alsAdresse auf, ebenso bei der Anti-Antifa-Rhein-Main. Michael Petris Postfach inWiesbaden gehört ebenso zu den Adressen-Sammelstellen wie das von Manfred Huckvon der süddeutschen ANK.

Letztendlich erstellt wurde der „EIN-BLICK“ angeblich von dem Nazi NormanKempken aus Rüsselsheim, der schon 1990in Madrid bei einer Gedenkveranstaltungfür den spanischen Faschistenführer Francoteilgenommen hatte. Gedruckt wurde dieBroschüre von Eberhard Hefendehl ausRodach in Oberfranken. Hefendehl istInhaber einer „Odal – Druck- und Verlags-Gesellschaft“, bei der auch das antisemiti-sche Blatt „Der Scheinwerfer“ erscheint, indem auch Christian Worch schreibt. Hefen-dehl war urspünglich NPD-Mitglied, und ernahme Ende der 70er Jahre an Lagern derWiking-Jugend teil, bei der antifaschisti-sche Jounalisten militant angegriffen wur-den. In den Spitzelberichten des VS-Agen-ten Gottwald/Reiser, der jahrelang die sichgründende NSDAP im Staatsauftrag bespit-zelte (und es dabei bis zum Kassenwartbrachte) taucht Hefendehl folgendermaßen

Im September 1992 überfielen einigeNeonazis Aktivisten der „Antifa-Nien-dorf“ nach einem Treffen. Als gegen

diesen Überfall etwa 60 AntifaschistInnendemonstrierten, rückten rund 50 Neonazisan, die von der Polizei gestoppt wurden; 15wurden vorläufig festgenommen. Am sel-ben Abend allerdings griffen etwa 50rechtsradikale Randalierer die Wohnungeines Antifa-Aktivisten an und warfen dieScheiben mit Flaschen und Steinen ein.Von der Polizei wurden diese Auseinander-setzungen als „unpolitische Streitigkeitenzwischen Kurz- und Langhaarigen“ ver-harmlost.

Ende 1992 erhielt eine Frau in Schwarz-enbek anonyme Drohanrufe und Drohbrie-fe. „Wenn Du mit dem Scheiß nicht auf-hörst, bringen wir Dich um.“ Derangebliche „Scheiß“ war eine antirassisti-sche Anzeige, die sie in einer lokalen Zei-tung veröffentlicht hatte – ohne Angabevon Adresse oder Telefonnummer, die dieNazis sich zielstrebig besorgt haben müs-sen.

Bei der evangelische Simeon-Kirchen-gemeinde Bramfeld wurden Aufkleber der„Nationalen Liste“ und der „Republikaner“auf den Schaukasten geklebt. Schon seitlängerer Zeit ist die Gemeinde Ziel rechterAnschläge, es werden Gebäude besprühtund Mitarbeiter telefonisch terrorisiert.

Einer dieser Mitarbeiter ist der PastorKlaus Jähn, der wochenlang telefonischterrorisiert wurde. Flugblätter tauchten aufgegen Pastor Jähn mit dem Text: „MachtJähn fertig wie Jürgen Brammer.“ VorJähns Haus marschierten drei Neonazis ausdem Umkreis der „Nationalen Liste“ aufund sangen das Horst-Wessel-Lied; imHamburger „Nationalen Infotelefon“ wur-de zu „spontanen“ Aktion aufgerufen. Diedrei Neonazis, Thorsten B., Tobias T. undHartmut W. werden zu drei Monaten aufBewährung und einer Zahlung von jeweilsDM 1500 an die jüdische Gemeinde Ham-burg verurteilt. Ihr Anwalt ist Jürgen Rie-ger.

Mahmut Erdem, Direktkandidat derHamburger Grünen in Hamburg-Mitte undEmigrant aus der Türkei, erhielt anonymenazistische Drohbriefe, in denen er als„Scheinasylant“ und „Schwein“ beschimpftund mit Anschlägen bedroht wurde.

Titelseite des „Einblick“,verbreitet Herbst 1993

In Wilhelmshaven, wo der „Kamerad-schaftsbund Wilhelmshaven“ bis zuseinem Verbot im Herbst 1992 den

lokalen Stützpunkt der Neonazis-Szenedarstellte, wurde die Anti-Antifa-Kampa-gne der Neonazis ganz offen betrieben.Nicht nur, daß eine ganze Reihe von Anti-faschisten im „EINBLICK“ vorgestelltwurden; es kursierte darüber hinaus einFlugblatt, in dem mit Foto der örtliche anti-faschistisch engagierte DGB-Sekretär vor-gestellt und bedroht wurde. Wie bekanntwurde, war das Foto auf dem Flugblatt vomHamburger Christian Worch den Wil-helmshavener „Kameraden“ zur Verfügunggestellt worden.

Der Fall Wilhelmshaven

Hamburger Vorfälle

auf: „Hat eine Kampfgruppe von 15 Mann,unterhält enge Kontakte zu französischenExtremisten! Er hat Kontakte zu Roeder,Hamburg, Berlin und besitzt eine Drucke-rei. . .soll im Besitz von Waffen sein undfordert zu Gewalttaten auf. . . Wie Hefen-dehl berichtet, soll in Hamburg eine Grup-pe um Wrobel bestehen, mit der er engenKontakt unterhält.“ Die eigentlichen Initia-toren und Betreiber dieser Datensammeleider Nazis, Worch und Co. werden wahr-scheinlich auch dieses Mal straffrei blei-ben. Ursprünglich waren etwa neun Nazisder Produktion und Erstellung des Ein-blicks verdächtigt worden, darunter auchdie Betreiber des „Nationalen Info-Tele-fons“ in Mainz, Michael Petri und SaschaChavez. Von diesen neun wurden vier„mangels Beweisen“ bald wieder von derListe gestrichen, ob gegen die drei übrigenüberhaupt Anklage erhoben wird, istunklar. Auf jeden Fall scheint die Nazi-Szene über das Auffliegen der „EIN-BLICK“-Macher gespalten: Das NationaleInfotelefon Hamburg verdächtigte StefanCumic, den Norman Kempken an den hes-sischen Verfassungsschutz verraten zu

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TERROR VON RECHTS

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Seit Anfang 1994 wird Jürgen Brammerpermanent von Neonazis bedroht. Er tratim Dezember 1993 als Produzent undModerator einer Sendung „Nazis – NeinDanke“ im Hamburger „Offenen Kanal“auf. Im Januar 94 dann wurde seineAnschrift und Telefonnummer in der Nazi-Zeitschrift „Nationales Echo“ Nr. 1 veröf-fentlicht mit dem Hinweis, „doch auch malmit ihm zu sprechen“. Seitdem wird derSchwerbehinderte und Frührentner syste-matisch mit Telefonterror überzogen. Ineiner 4-seitigen Sonderausgabe des „Natio-nalen Echos“, wurde ein regelrechtes Dos-sier über Brammer veröffentlicht, Lebens-gewohnheiten, eine vorformulierteTodesanzeige, ein Foto mit Zielscheibe etc.Brammer selbst macht Christian Worch fürdieses Blatt verantwortlich; dieser leugnetdie Urheberschaft und schiebt sie eher der

FAP zu. Drohbriefe aus Dresden aberbeziehen sich eindeutig auf den „Kamera-den Worch“, der Brammers „Entfernungaus dem Offenen Kanal“ gefordert habe.Doch ob Worch und die Nationale Listeoder die FAP – für Brammer sind das takti-sche Spielchen, denn immerhin wird dasvon FAP-Anhängern betriebene NationaleInfotelefon Hamburg von Worch intensivgenutzt. Und noch etwas ist äußerst merk-würdig: Bereits Tage vor der öffentlichenVerbreitung des „Nationalen Echos“ erhieltder Staatsschutz ein Exemplar vom Verfas-sungsschutz, allerdings aus einer „gericht-lich nicht zu verwertenden Quelle“. Haus-durchsuchungen wegen des NationalenEchos haben bislang nicht stattgefunden.

In Eidelstedt wird der Maler GerhardLentz immer wieder durch rechtsradikaleTelefonanrufen und Drohungen terrorisiert.

Er hatte sich darüber beschwert, daß NS-Schmierereien am Zaun einer Gärtnereinicht entfernt wurden. Seine Adresse warim Sommer 1992 im Hamburger„INDEX“. und im Herbst 1993 im nationa-len „EINBLICK“. veröffentlicht worden.

Anfang September 1994 erhielt derDirektor des Museums für HamburgischeGeschichte, Jörgen Bracker, mehrere ano-nyme Drohbriefe wegen der dortigen Aus-stellung „...wenn alles in Scherben fällt“:„Wenn Du Deinen Dreck nicht läßt, blasenwir Dir einen, daß Du mit Deinem Kastenin di Luft fliegst ehlendes stinkendes Hetz-gesindel!“(Schreibfehler im Original). Wiedie Polizei mitteilte, hat allein ein einzigerSchreiber in den letzten zwölf Monaten(also seit Erscheinen des „INDEX“.) rund50 Briefe dieser Art geschrieben.

TAZ-Hamburg,4.8.1994

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RECHTES AUS HAMBURG

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Seit Jahren ist der Hamburger BezirkBergedorf ein Zentrum der Neona-zis-Szene. Insbesondere auch der

Stadtteil Lohbrügge ist eine „Hochburg“der „Nationalen Liste“ um Christian Worchund Thomas Wulff. In vielen Jugendtreffswerden ausländische und antifaschistischeJugendliche terrorisiert. In den letzten zehnJahren war Bergedorf eines der Zentrenrechter Randale, von Überfällen bis hin zuMordversuchen. Stellplätze für Sinti undRoma wurden überfallen (Brandanschlag1987 auf dem Frascatiplatz; bei den Täternwurden Flugblätter der rechtsradikalen„Hamburger Liste für Ausländerstop“gefunden), eine türkische Frau wurde vorein Auto geworfen, sogenannte „linkeZecken“ überfallen, Jugendzentren ange-griffen etc. 1989 warfen Skins Brandbom-ben auf das Jugendzentrum „Unser Haus“.Im Sommer 1992 randalierten etwa 25rechtsradikale Skins auf dem Stadtteilfestder „City-Partner-Bergedorf“; die Randaledauerte bis in die Nacht. Übereinstimmendwird berichtet, daß in all den rechtenJugendbanden und Hoolgruppen jeweilsorganisierte Rechtsradikale von der FAPoder der Nationalen Liste mitgemischthaben.

Speziell aus der Lohbrügger Skinszeneist seit Jahren bekannt, daß hier Skins undNazis eine enge Verbindung eingehen. Ausder nazistischen „Lohbrügge-army“ stam-men die Mörder des Türken RahmazanAvci, der Ende 1985 an der Hamburger S-Bahn-Station Landwehr mit einer Gehweg-platte erschlagen worden war. Mit dabeiwar damals ein Bruder des NL-FührersThomas Wulff. Andere Mitglieder der Ban-de schlugen am 11.1.1986 einen Türken ineinem Bus zusammen – ausgerechnet amTag der Trauerdemonstration für Avci –und wurden in der Berufungsverhandlung –sie waren zu Geldstrafen verurteilt worden– freigesprochen, weil sie sich gegenseitigdeckten und der Busfahrer entweder aus

Angst oder Zustimmung nichts gesehenhaben will. Einer der Schläger von derLohbrügge-army, Thomas Ludwig, warschon mehrfach im Zusammenhang mit derFAP festgenommen und abgeurteilt wor-den.

Speziell der nahe Sachsenwald, aberauch Sanddünen und Kiesgruben an derStadtgrenze dienen den verschiedenenGruppen als Gelände für ihre Wehrsportü-bungen. Sowohl Nationale Liste wie auchdie FAP trainieren dort ihre Prügeleinsätze.1990 beispielsweise machten etwa 40Nazis aus Ratzeburg und BergedorfSchießübungen im sogenannten Bunker-wald. 60 zusammengerufene Polizeibeamteließen die Nazis unbehelligt, weil dasGelände so unübersichtlich und unwegsamsei.

Ende August 1992 wurde ein 22jährigerSkin zu drei Jahren Gefängnis verurteilt,seine Komplizen erhielten Haftstrafen aufBewährung. Sie hatten im Sommer 1991vor einem Disco-Schiff einen Türken nie-dergeschlagen und mit genagelten Sprin-gerstiefeln wiederholt auf ihn eingetreten.Das Opfer mußte mehrfach operiert wer-den. Die beiden jüngeren Komplizen sollensich nach eigenen Angaben aus der rechts-radikalen Szene gelöst haben. Verteidigerwar Jürgen Rieger.

Dabei scheint Bergedorf gar kein beson-derer „Problembezirk“ zu sein. Mit 6,6%

AusländerInnenanteil wohnen hier amwenigsten Ausländerinnen von allen Ham-burger Bezirken, die Wahlergebnisse derRechten schienen bis zu den Bürgerschafts-wahlen 1993 gar nicht besonders hoch undauch 1993 schaffte die DVU den Einzugins Bezirksparlament nur wegen des Wahl-verzichts der REPs in diesem Bezirk. Diedem Gericht oder Sozialarbeitern als rechtsbekannten Jugendlichen stammen aus allensozialen Schichten, kaum einer ist arbeits-los, fast alle sind in der Lehre oder Schüler;in den Gerichtsverfahren wird nahezu allenrechten Schlägern eine „günstige Sozial-prognose“ erteilt. Und dennoch – odergerade deshalb? – hat sich in Bergedorfunter dem Anschein der Wohlanständigkeiteine der rechtsradikalsten Jugendszenengebildet. Nicht alle dieser Jugendlichensind auf Dauer rechtsradikal organisiert,aber offenbar ansprechbar für rechtesGedankengut und dementsprechendeTaten, die sich dann nicht zuletzt in geziel-ter Gewalt gegen Ausländer, Sinti undRoma, antifaschistische oder auch nur nichtangepaßte Jugendliche austobt.

Wie jetzt anläßlich des Rücktritts des In-nensenators Hackmann bekannt wurde, sol-len auch Polizeibeamte an diesen Wehr-sportübungen teilgenommen haben. ImProzeß gegen Jürgen Rieger wegen einerFahrt im März 1993 sagte Thomas Wulffaus, daß die Wehrsportübungen mit Geneh-migung der Bundeswehr auf Bundeswehr-gelände durchgeführt worden seien.

Unbekannt geblieben ist der demokrati-schen Öffentlichkeit jene Wehrsportgrup-pe, die im März 1994 bei Geesthacht vonder Polizei beim Waffentraining beobach-tet und teilweise festgenommen wurde.

Rechtes aus HamburgBergedorf –ein Zentrum der Neonazis

Braunes an den Universitäten

1993 wurde bekannt, daß der Ver-fassungsschutz an der HamburgerUniversität neofaschistische Bur-

schenschafter beobachtet. Nach einigenRecherchen der Hochschul-antifa stelltesich dann heraus, daß insbesondere dreistudentische Verbindungen (sogenannte

Burschenschaften) recht eindeutig demneofaschistischen Spektrum zuzuordnensind: Die Burschenschaft Germania Ham-burg, die Burschenschaft Askania und diePennale Burschenschaft Teutonia.

Im Haus der Burschenschaft GermaniaHamburg in der Sierichstr. wohnte einezeitlang der Hamburger FAP-Landesvorsit-zende Andre Goertz; in diesem Haus wur-den auch Aktionen u.a. des „Bürgerforums

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für die deutsche Einheit“ vorbereitet, indem ein breites Spektrum der rechten Sze-ne zusammenarbeitete - von der FAP, derNL, der NPD bis hin zu DVU und REPs.Die Burschenschaft Germania wirbt auchregelmäßig in der rechten, in etwa auf derLinie der REPs agierenden Zeitung „JungeFreiheit“. Auch die Burschenschaft Aska-nia liegt in etwa auf dieser Linie: So lädtsie als Referenten das ehemalige Mitgliedder REP-Programmkommission, Generala.D. Uhle-Wettler, ein.

Besonders interessant ist die dritte imBunde, die Schülerburschenschaft TeutoniaHamburg mit ihrer Zeitung „Freies Volk“,in deren Redaktion der ehemalige stellver-

tretende Hamburger REP-Vorsitzende Hei-ko Pätzmann und der ehemalige BeisitzerRolf Leppert arbeiten. Im „Freien Volk“wird außer der in derartigen Zeitungen zuerwartenden Ausländerfeindlichkeit auchdas Deutsche Reich in den Grenzen von1914 (incl. Ostpreußen) gefordert; außer-dem finden sich Werbeanzeigen von nochweiter rechts stehenden Blättern wie „Euro-pa vorn“ (Im Umkreis der „Deutschen Ligafür Volk und Heimat“), „UnabhängigeNachrichten“ (eindeutig neonazistisch) und„Junge Freiheit“. Die Schülerburschen-schaft Teutonia ist einem „AllgemeinenPennäler Ring“ angeschlossen, zu dem in

Hamburg auch noch die „Pennalie“ „AlbiaHarburgensis“ gehört.

Diese drei Burschenschaften schlossensich 1990 zu einem „Deutschen Freundes-kreis“ zusammen, auf dessen Veranstaltun-gen im Haus der Germania auch derberüchtigte David Irving, Leugner desHolocausts, oder der Leiter des neurechtenThule-Seminars, Pierre Krebs, aufgetretensind.

Auch die Landsmannschaft Mecklen-burgia Rostock hat kein Problem mit Neo-nazis: Sie sucht ihren Nachwuchs u.a.gezielt bei der Jugendgruppe „Sturmvo-gel“, einer Abspaltung der nazistischenWiking-Jugend.

Bildzeitung,14.4.1994

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Das Thema Homosexualität ist inNazis-Kreisen heiß umstritten.Zum einen wird Homosexualität

als „widernatürlich“ bekämpft, zum ande-ren müssen sich die Nazis eben auch damitauseinandersetzen, daß auch unter ihneneine ganze Reihe Schwuler sind; dement-sprechend existieren in dieser Szene erheb-liche Widersprüche. Schon im historischenHitlerfaschismus mußte der Vorwurf derHomosexualität herhalten, um 1934 imsogenannten „Röhmputsch“ mit der inner-parteilichen Strömung fertig zu werden, dieeventuell Hitler hätte gefährlich werdenkönnen.

Speziell in der Hamburger Neonazi-Sze-ne hat es eine ganze Reihe von Schwulengegeben. Der prominenteste von ihnen warMichael Kühnen selbst, an dessen Schwul-sein sich in den 80er Jahren die Neonazi-Bewegung in der BRD ja gehörig in dieWolle geriet. Ende der 70er Jahre, als sichdiese Neonazi-Szene um Kühnen undWorch in Hamburg herausbildete, warenneben Kühnen auch noch der Wirt desLokals CanCan / Mickey Mouse am Sankt-Georgs-Kirchhof, Lothar Wrobel, sowieder später als Verräter ermordete JohannesBügner wie auch dessen Mörder, Fried-helm Enk, als Schwule bekannt. Ob auchMichael Frühauf, Kühnens damaliger Stell-vertreter und Anstifter des Mordes, zu die-ser Schwulenszene gehörte, blieb unklar.Vor Gericht wurde er damals als „verkapp-ter“ Schwuler bezeichnet, der seine nichteingestandene Neigung in Aggression

Nazis und Homosexuelle

Nazianschlägein Hamburg und Umgebung –

30.9.1991

5./6.10.1991

13.10.1991

26.12.1991

7.1.1992

13. März 1992

Juli 1992

8.9.1992

16.9.92

22.9.92

12.10.1992

November 1992

Zwei betrunkene Rechtsradikale legen Feuer in der Unterkunft für 800 Asyl-bewerber in der Kattunbleiche in Wandsbek.

Rudolf-Steiner-Schule in Bergstedt: Mit „Juden raus“ und „Heil“ werdenWände beschmiert. Offensichtlicher Anlaß ist die Aufführung des antimilita-ristischen Theaterstücks von Wolfgang Borchert „Draußen vor der Tür“ unddie Arbeit einer „Initiative gegen rechts“.Ein portugiesisches Lokal in der Neustadt wird angesteckt; auch dort wer-den Hakenkreuze und Parolen entdeckt.In Lemsahl werden Gedenksteine beschädigt, in denen auf das ehemaligeKZ hingewiesen wirdZwei Männer versuchen, auf eines der Wohnschiffe für Asylbewerber imHamburger Hafen zu gelangen; als dies mißlingt, kappen sie sämtliche Tele-fonanschlüsse.

Brandstifter schlagen im Gemeindehaus der Matthäuskirche in Winterhudedie Scheiben ein und werfen brennende Pappe in den Keller. Im Erdgeschoß lebt eine afrikanische Familie.

Im Rönneburger Kirchenweg (Langenbek) und der Harksheider Straße (Pop-penbüttel) werfen Randalierer mit Pflastersteinen Fenster von Wohncontai-nern ein und grölen: „Ausländer raus“.

Marktstraße/St.Pauli: 37 Menschen werden von der Feuerwehr aus einem inBrand gesteckten Ausländerwohnheim gerettet, 13 erleiden Rauchvergiftun-gen.

Berzelliusstraße/Billbrook: Brandstifter stecken im Flur eines Ausländerheimszwei Kinderwagen an. Mehrere Rauchvergiftungen.

Die „Sinstorfer Skinheads“ werden ausgehoben. Zwölf Glatzen zwischen 17und 20 Jahren hatten einen „Rachefeldzug gegen Abtrünnige aus den eige-nen Reihen“ beschlossen. Seit September 91 hatten sie Anschläge auf Asyl-bewerberheime (allein dreimal in Rönneburg) verübt, Brandsätze in antiras-sistische Treffs geworfen und andere Straftaten verübt. Bei ihren Anschlägenhatten sie FAP-Aufkleber hinterlassen und in ihren Wohnungen wurdengleich kiloweise rechtsradikales Schriftgut gefunden. Angeblich waren sieaber keiner Mitglieder der FAP, die sie als „nicht organisierbar“ und „unzu-verlässig“ einstuften.

Rübenkamp/Barmbek: Unbekannte versuchen, im Bau befindliche Holzpavil-lons für Asylbewerber in Brand zu stecken.

Dratelnstraße/Wilhelmsburg: fünf Unbekannte schleudern Brandsätze gegenContainer eines geplanten Asylbewerber-Dorfes.

„Mutmaßliche“ Rechtsradikale überfielen in Billstedt einen 19jährigen Schülersowie zwei 30- und 32jährige Inder und stachen mit Messern auf ihre Opferein. Zwei wurden gefaßt.

Simrockstraße/Blankenese: rechtsradikale Randalierer sprühen Parolen an dieWohncontainer des Asylbewerberdorfes. In Reinbek legen Brandstifter Feuerin einem Containerdorf.

Ein Sprengkörper wird in ein Billstedter Asylbewerberheim geworfen, derzum Glück nicht explodiert.

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umleitete. In der Kneipenszene in St. Georggab es einige Schwulen-Treffs, in denenschwule Nazis ein- und ausgingen.

Als Beispiel für die schwulenfeindlicheHetze mancher Nazis sei hier der FAP-Vor-sitzende Friedhelm Busse zitiert, der 1990folgendes schrieb: „Anhänger und Mitläu-fer perverser Sexualpraktiken, die sich als‘Nationalsozialisten’ bezeichnen, sindunsere unversöhnlichen Feinde. Ihnen giltunser Ekel und unser Abscheu. Homose-xualität und perverse Praktiken sind derUntergang eines jeden Kulturvolkes“. ZurAbwehr derartiger Hetze gegen den Küh-nen-Flügel sah sich Worch genötigt, dieTatsache, daß Kühnen an AIDS gestorbenist (wie auch der drogenabhängige NeonaziVolker Heidel aus Hannover), einem KGB-Anschlag in die Schuhe zu schieben.

Im September 1993 veröffentlichte dasSchwulenmagazin „Magnus“ einen Artikel„Als Nazis geboren? – Schwule Nazisschneidern sich ihre eigene Ideologie“einen Artikel über die Hamburger schwuleNazi-Szene. Namentlich benannt wurdeLothar Wrobel, Wirt des CanCan undunbestritten sowohl schwul als auch Nazi,sowie die seit Jahren in Hamburg bekann-ten Fakten. Auf insgesamt 500.000.– DMGeldstrafe bei Veröffentlichung weitererEinzelheiten über Wrobels rechtsradikalesTreiben will dieser das Magazin verurteilenlassen – vertreten ausgerechnet von seinemlangjährigen Nazi-Kameraden Rieger, derals erstes die Privatadresse des recherchie-renden Journalisten in Erfahrung bringenwollte. Rieger ist ebenfalls Anwalt eineranonymen „Arbeitsgemeinschaft männli-cher Gays“ (AMG), die seit längerer Zeitperiodisch mit Hetzschriften gegen „homo-phobe Ausländer“, gegen angeblich unter-legene „Heteros“ zu Felde zog. Die „Sze-ne“ hatte über diese AMG berichtet undVerbindungen zu Kühnen und Co. gezo-gen; gegen diesen Artikel hatte Rieger imAuftrag der AMG erfolglos eine Gegendar-stellung zu erwirken versucht. Daraufhinwurden mindestens 30 Anzeigenkundender „Szene“ mit Drohbriefen belästigt, indenen u.a. zu lesen war: „Wir hoffen, keineFehlbitte getan zu haben. Andernfalls müs-sen wir uns vorbehalten, Ihnen persönlichund Ihren geschäftlichen Aktivitäten zuLeibe zu rücken.“ oder: „Wir sind durchausbereit, auch homophobe Inländer in unsereFeindlisten aufzunehmen ... vielleicht kid-nappen wir die beiden für ein lustvollesWochenende mit Rohrstock und Peitsche.Das Leben ist voller Überraschungen.“ Ins-gesamt weiß der Anwalt der „Szene“ vonetwa 250 - 300 derartiger Drohbriefe. DiePolizei hat angeblich die Ermittlungen auf-genommen.

4.5.1993

10.9.1993

11.2.1994

12.2.1994

März 1994

18. 5. 1994

Juni 1994

August 1994

Ein 32jähriger Nazi aus Bramfeld mit Kontakten zur FAP stach einen Gast,nachdem er wegen Nazi-Sprüchen aus einer St.Pauli-Kneipe rausgeflogenwar, nieder, der schwer verletzt wurde.

Am Abend der Hamburger Bürgerschaftswahlen wurden zwei Brandsätzeauf ein Ausländerheim in Wilhelmsburg geworfen. Wilhelmsburg war derStadtteil mit den meisten rechtsradikalen Stimmen.

Ein Obdachloser wurde ermordet in der Nähe des S-Bahnhofs Neugrabengefunden. Offenbar war er zusammengetreten worden, sein Schädel warzertrümmert.

Ein elfjähriges Mädchen ist von drei Jugendlichen am S-BahnhofNettelnburg schwer zusammengeschlagen worden. Sie wurde als „Polin“,die „zurück in Dein Land“ gehen solle, beschimpft.

Ein Schwarzafrikaner wird von fünf jungen Männern in der U-Bahn geschla-gen und getreten. Durch das Eingreeifen anderer Mitfahrender wurden dieTäter an weiterem gehindert.

Unbekannte zünden in Wellingsbüttel eine Flüchtingsunterkunft an.

Im Osdorfer Knabeweg wird das Asylbewerberheim in Brand gesetzt.Gleich an fünf Stellen wird Feuer gelegt.

Rechtsradikale brechen in die Wohnung eines 26 Jahre alten Türken ein,besprühen die Wohnung mit Hakenkreuzen und Parolen und raubten sieaus.

eine unvoll-ständige Sammlung

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UNERLAUBTE FRAGEN?

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20 Jahre Hakenkreuz-Nazisin Hamburg – das sindnicht nur 20 Jahre Provo-

kationen, Aufmärsche, Schmierereien,Überfälle und Anschläge. Diese Jahre sindauch gekennzeichnet von einer ganzen Rei-he von Verwicklungen des Staatsapparats,die Fragen aufwerfen.

So wurde Mitte der 80er Jahre bekannt,daß ein VS-Agent unter dem DecknamenReiser, jahrelang in der sich neu formieren-den NSDAP als Spitzel tätig war und sichdabei bis zum Kassenwart der NSDAPemporgedient hatte. Die SpitzelberichteReisers wurden bekannt und aus ihnen gehthervor, daß der Verfassungsschutz nichtnur von Anfang an bestens informiert war,sondern insbesondere auch über eine Ham-burger Gruppe um Lothar Wrobel infor-miert wurde. Daß auch Eberhard Hefen-dehl, der heute als Produzent des„EINBLICK“ angeklagt wird, schondamals in den VS-Berichten auftauchte,überrascht da schon nicht mehr.

In Hamburg war es dann Michael Frue-hauf, der einen Tag vor dem Mord am„Verräter“ Johannes Bügner im Mai 1981als VS-Mitarbeiter angeworben wurde.Wie lange Fruehauf davor schon Kontaktzum VS gehabt hatte, wurde nie bekannt.

Die Braunschweiger ANS-NSDAP-Gruppeum Paul Otte und Kurt Wolfgram wurdevom VS-Agenten Lepzien direkt mitge-gründet. Lepzien selbst wurde verurteilt,weil er mit dem Bau und Zünden von Rohr-bomben seinen geheimdienstlichen Auftragübertreten habe, später aber begnadigt.Michael Kühnen hatte intensiven Kontaktzu dieser Bande, deren Mitglied Kurt Wolf-gram dann 1982 in München von der Poli-zei in einer wilden Schießerei erschossenwurde (siehe Abschnitt über Busse). Auchdamals gab es einen „Mitteiler“, den diePolizei nicht durch eine Festnahme derNazis an einem besseren Ort gefährdenwollte. Wer dieser „Mitteiler“ gewesenwar, wurde öffentlich nicht mitgeteilt.

Von Gründung der ANS 1977 bis heutekursieren bei den Neonazis Gerüchte übermögliche „Verräter“ in den eigenen Rei-hen. Auch Christian Worch wurde 1987vom FAP-Landesvorsitzenden Wegnerzumindest verdächtigt, Agent zu sein. Nurso läßt sich der Hinweis Wegners interpre-tieren, Worch habe „gewollt oder unge-wollt... den Kameraden aus dem Rheinland(die zu einem Gautreffen der FAP inGroßensee erwartet worden waren; d.Verf.) die Polizei auf den Hals gehetzt...“Derartige Gerüchte waren offenbar zu man-chen Zeiten dermaßen häufig, daß immerwieder die Chefs in Rundschreiben für„kameradschaftliche Disziplin“ sorgenmußten und in extra eingerichteten Sicher-

heitsdiensten sich organisiert dieser vor-handenen oder vermuteten Staatsschutz-Unterwanderung entgegenwirken wollten.

Auch Stefan Cumic, lange Zeit Betrei-ber des maßgeblichen Anti-Antifa-Telefonsin Wiesbaden, wird mittlerweile von seinenNazi-Kollegen vom Hamburger „Nationa-len Info-Telefon“ als „Verräter“ verdäch-tigt, der die „EINBLICK“-Produzenten anden hessischen Verfassungsschutz verratenhabe.

Und schließlich wurde im Prozeß umden Brandanschlag von Solingen nicht nurbekannt, daß der Betreiber der Kampfsport-schule Hak Pao, Bernd Schmitt, einlangjähriger Agent des VS gewesen ist,sondern daß auch Christian Worch sichdort zumindest einmal zum Training ange-meldet hatte.

Daß der Hamburger Verfassungsschutzoffenbar sehr gute Kontakte in die Hambur-ger Nazi-Szene hat, wird daran ersichtlich,daß das „Nationale Echo“, in dem der Anti-faschist Jürgen Brammer auf die Terrorlisteder Nazis gesetzt wurde, Tage vor seinemöffentlichen Auftauchen vom Verfassungs-schutz an die Staatsschutzabteilung derHamburger Polizei weitergeleitet wurde,mit dem Hinweis auf eine „nicht gerichts-verwertbare“ Quelle. So werden in allerRegel Informanten genannt, deren Enttar-nung zum gegenwärtigen Zeitpunkt alsnicht opportun erscheint.

Unerlaubte Fragen?

Die Rechte - eine Literaturauswahl

•Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutsch-land. Jugend im gesellschaftlichen Umbruch.Hg. v. H.-U. Otto u. R. Merten (Leseke +Budrich) 1993, ...........................DM 29,80

•Extremismus der Mitte. Vom rechten Ver-ständnis deutscher Nation. Hg. v. H.-M.Lohmann (Fischer tb. 12534) 1994, ....................................................DM 18,90

•Kühnl, R.: Gefahr von rechts? Vergangenheitund Gegenwart der extremen Rechten (Diestel)3. Aufl. 1993, .............................DM 26,00

•Rechtsextremismus in Deutschland. Vorausset-

zungen, Zusammenhänge, Wirkungen. Hg. v. W.Benz. (Fischer Tb. 12276) aktual. Aufl. 1994,.................................................... DM 18,90

• In bester Gesellschaft. Antifa-Recherche zwi-schen Konservatismus und Neo-Faschismus, Hg.v. R. Hethey u. P. Kratz. (Die Werkstatt) 1991,.................................................... DM 28,00

•Die Rückkehr der Führer. ModernisierterRechtsradikalismus in Westeuropa. Hg. v. M. Kir-fel u. W.Oswalt. (Europaverl.) 2. überarb. Aufl.1994, ..........................................DM 39,80

•Fromm, R: Am rechten Rand. Lexikon desRechtsradikalismus. (Schüren) 2. aktual. Aufl.1994, ..........................................DM 28,00

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LITERATUR UND (EIN PAAR) ADRESSEN

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Diese Zusammenstellung beruht auf derAuswertung verschiedenster Quellen. Spe-ziell zu Hamburg gibt es aus neuerer Zeitleider keine umfassende Zusammenstel-lung. Neben der Tagespresse dienten unsals Quellen insbesondere folgende Publika-tionen, die wir hiermit allen Interessiertenempfehlen:ak, „analyse und kritik“ (vormals „Arbei-terkampf“), Hamburger Satz- und Verlags-kooperative, Schulterblatt 58 b, 20357Hamburg; speziell über die Anfangszeitder Hamburger Nazi-Banden in den Jahren76 bis etwa Mitte der 80er Jahre fand sichdort das beste Material.Aus der Arbeit des „KommunistischenBundes“ dienten auch folgende Broschürenzur Darstellung der Geschichte: „Hamburg- Stadt mit Herz für Nazis“, 1978;Materialmappe zum Thema JugendlicheNazis in HH, 1982.Neuere Informationen über die FAP in Pin-neberg fanden wir „antifa-info Kreis Sege-berg-Pinneberg/Nord-HH“, das über„Schwarzmarkt“, Kleiner Schäferkamp 46,20357 Hamburg, erhältlich ist.Dort gibt es auch antifa-Materialien der„antifaschistischen aktion Hamburg“, diesich mit der „Nationalen Liste“ beschäfti-gen.An der Universität ist die „Hochschul-Antifa“ tätig, die über den Asta zu errei-chen ist: AStA Uni Hamburg, Von-Melle-

Park 5, 20146 Hamburg, Tel. Montags14:30 – 16:30 Uhr, 450 204 53.„Antifaschistisches Infoblatt“, Gneisenaus-tr. 2a, 10961 Berlin; unserer Meinung nachdas beste regelmäßig erscheinende Info-blatt zum Thema Neonazismus; über die-selbe Adresse ist auch das „antifaschisti-sche jugend-info“ zu beziehen.Nicht nur Neonazismus, sondern - wie derName schon sagt - alles rechts der CDUinteressiert die Zeitschrift „Der RechteRand“, Rolandstraße 16, Postfach 1324,30013 Hannover.Blick nach rechts; 14tägig erscheinenderInformationsdienst aus der SPD-Baracke;teilweise recht informativ und aktuell, So-zialdemokratischer Pressedienst, Schu-mannstraße 2 b, 53113 BonnFür englisch verstehende Antifas ein mußist die Zeitschrift „SEARCHLIGHT“ ausEngland, die wohl europaweit am besteninformiert. Eine elektronische deutscheAusgabe ist z.B. im Computernetz Com-Link zu haben - das Abo sollte aber unbe-dingt bezahlt werden: Searchlight Magazi-ne, 37B New Cavendish Street, LondonW1M 8JR.Ebenfalls teilweise elektronisch zu lesensind die antifaschistischen Nachrichten derVolksfront gegen Reaktion und Faschis-mus im GNN-Verlag; auch dort unbedingtdas Abo bezahlen. „ANTIFA“, herausgegeben von: „Interes-sengemeinschaft ehemaliger Teilnehmer

am antifaschistischen Widerstand, Verfolg-ter des Naziregimes und Hinterbliebenere.V.“, Chausseestraße 29, 10115 Berlin

Die weiter aufgeführten Zeitschriften ha-ben mehr regionalen Charakter und über-schneiden sich in ihren Berichten teilwei-se:ATZE, Antifaschistische Zeitung Kiel,Schweffelstr. 6, 24118 Kiel.AntifaZ, Antifa-Zentrum, Herner Str. 43,45657 Recklinghausen.Antifaschistisches Info Frankfurt, c/o CafeExzess, Leipziger Straße, 60487Frankfurt/MainZAG, Antirassistische Initiative e.V.,Yorckstr. 59, HH, 10965 Berlin

Mittlerweile gibt es eine Reihe regionaltätiger antifaschistischer Archive, Büros,Telefone etc., die teilweise ebenfalls überdie elektronischen Netze veröffentlichen.Wer sich ernsthaft mit dem Themabeschäftigt, wird diese Adressen sehrschnell kennenlernen.

Außerdem haben wir als Quelle benutzt:

Drahtzieher im braunen Netz; der Wieder-aufbau der „NSDAP“, edition ID-Archiv,Amsterdam

Literatur und Adressen

•Purtscheller, W.: Aufbruch der Völkischen.Das braune Netzwerk. (Picus) 1994, ....................................................DM 48,00

•Bio-Macht: S. Reinfeldt / R. Schwarz: Biopoliti-sche Konzepte der Neuen Rechten. M. Foucault:Leben machen und sterben lassen. Die Geburtdes Rassismus. (DISS-Texte 25) 2. Aufl. 1993, ....................................................DM 7,00

•Fromm, R. / B. Kernbach: ...und morgen dieganze Welt? Rechtsextreme Publizistik in West-europa. (Schüren) 1994, ............DM 38,00

•Lange, A.: Was die Rechten lesen. 50 rechtsex-treme Zeitschriften. Ziele, Inhalte, Taktik. (BeckTb. 1014) 1993, .........................DM 19,80

•Hasselbach, I. (W. Bonengel): Die Abrech-nung. Ein Neonazi steigt aus. (Aufbau) 1993, ....................................................DM 25,00

•Schmidt, M.: „Heute gehört uns die Straße...“Inside-Report aus der Neonazi-Szene. (Econ-Tb. 26165), erweiterte Aufl. 1994, ....................................................DM 18,90

•Antifa. Diskussion und Tips aus der antifa-schistsichen Praxis. Hg.: Projektgruppe (Ed. ID-Archiv) 1994, .............................DM 14,80

•Tips und Tricks für Antifas. Aktionen - Aufbaueiner Antifa-Gruppe. Hg.: Edelweiß-Piraten1993, ..........................................DM 4,50

•Dem Haß keine Chance. Projekthandbuch„Rechtsextremismus“. HandlungsorientierteGegenstrategien...in der Jugendszene. EineSammlung von Ideen... (Verl. a. d. Ruhr) 1993, ....................................................DM 19,80

•Wildenhain, M.: Wer sich nicht wehrt. Roman.(Ravensburger) 1994, .................DM 22,00

Periodika:

•Der Rechte Rand (Hannover), zwei-monatlich

•Antifaschistische Nachrichten, 14-tägig (Köln)

•Antifa (Berlin), zwei-monatlich

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INTERVIEW MIT JÜRGEN BRAMMER

361974-1994, ZWANZIG JAHRE NAZIS IN HAMBURG

Du bist von Neonazis bedroht worden.Wie kam es dazu?

Freunde von mir baten mich im Herbst1993, Veranstaltungen einer Geschichts-werkstatt zum Hamburger Aufstand von1923 auf Video aufzuzeichnen. Ausdiesem Material habe ich einen Video-Film zusammengestellt, den ich im Ham-burger „Offenen Kanal“, einem Stadtsen-der im Kabelnetz, zeigen konnte. Schonnach der ersten Sendung, in der imAbspann mein Name mit Adresse genanntwurde, bekam ich die ersten Nazi-Anrufe.Diese Anrufe nahmen derart zu, daß icham 9.12.93 Strafanzeige wegenBelästigung und Bedrohung gestellt habe.

Wie sehen die Drohungen der Naziskonkret aus?

Im wesentlichen sind es Drohanrufe, derenerster Höhepunkt Ende 1993 war. Da wur-de ich als „rote Drecksau“ beschimpft,„zum Abschuß freigegeben“, „Judensauverrecke. Dich kriegen wir auch noch“ undähnliches. Manchmal kamen diese Anrufeganz oft hintereinander, so z.B. am28.12.93 sieben Mal in zwei Stunden. Die-se Anrufe kamen während der Zeit, als inÖsterreich mehrere Briefbomben vonNazis verschickt wurden und u.a. demWiener Oberbürgermeister mehrere Fingerabgerissen wurden. Neben diesen Anrufen bekam ich REP-Streichholzheftchen und anonyme Briefe.Bei Mahnwachen, die ich durchführte, fielmir auf, daß ich von einer Person„verfolgt“ wurde, die sich dann als „Rai-mund Vigneri“ ausgab von der „Stattpar-tei“; dort aber ist eine solche Person nichtbekannt. In den Wänden des Hauses, indem ich wohne, wurden Einschüsse festge-stellt, in meinem Briefkasten fand ich zer-knüllte Briefe usw.

Gegen Dich wurde von Neonazis sogarein eigenes Infoblatt gemacht. Wanntauchte das auf? Wer steckt dahinter?

Schon bei Beginn der Drohanrufe wurdemir mitgeteilt, daß mein Name nunmehrals Ergänzung auf der Liste des„EINBLICK“ stünde, der Liste von etwa250 Adressen, die die Neonazis im Herbst1993 veröffentlichten. Im April 1994 kammir ein „Nationales Echo“ Nr. 1 zuGesicht, in dem ein einseitiger„Steckbrief“ gegen mich veröffentlichtwurde. Im Hamburger „Nationalen Info-Telefon“ der FAP wurde mehrfach gegenmich gehetzt und für jeden Eingeweihtenmuß klar sein, daß damit zu Aktionengegen mich aufgerufen wird. Schließlichgab es sogar eine nunmehr zwölf-seitiges„Nationales Echo“ nur zu meiner Person,in der sehr detailliert über meine Lebens-gewohnheiten (Verkehrsmittel, Bäckeretc.) berichtet wird, was von erheblicherkrimineller Energie zeugt.Wer dahinter steckt, ist rechtoffensichtlich: Das „Nationale Infotelefon“wird von der FAP betrieben, die Anti-Anti-fa-Aktivitäten gingen bundesweit von der„Nationalen Liste“ um Christian Worchaus. Auch wenn nach außen hin diese bei-den Gruppen Differenzen bekunden, arbei-ten sie in Sachen „Anti-Antifa“ doch engzusammen.

Wir haben gelesen, daß derVerfassungsschutz das Infoblatt gegenDich schon sehr früh gehabt hat und andie Polizei weitergegeben hat. Wie siehstDu die Rolle der Behörden?

Das ist richtig. Die Polizei wollte daszwölfseitige Infoblatt von mir haben,obwohl sie es selbst schon vomVerfassungsschutz bekommen hatten. DieQuelle des VS aber sei nicht „verwertbar“.Daraus muß ich schließen, daß der VSKontakte in die Nazi-Szene hinein hat. Ins-gesamt bin ich von der Polizei sehrenttäuscht. Nach meiner Anzeige vonAnfang Dezember versuchte man, mich zuberuhigen, da würde doch nichts passieren.Erst nach einem Monat wurde eine Fang-schlatung bei mir installiert für einigeWochen. Es war auffallend, daß in der Zeitder polizeilichen Fangschaltung nur ein

Anruf bei mir ankam, aus einer Telefonzel-le im Saseler Damm. Während einergewissen Zeit erhielt ich Sicherheitsstufe 5- was immer das auch heißen sollte. Jeden-falls wurde in dieser Zeit der jüdischeFriedhof in meiner unmittelbaren Nachbar-schaft geschändet, ohne daß das LKAdavon etwas mitbekommen hat. Nach die-ser Zeit wurden die Akten in meinem Fallan die Staatsanwaltschaft weitergegeben,die die Verfahren zu den von mir eingelei-teten Strafanzeigen einstellte.

Wie schützt Du Dich gegen die Drohun-gen? Welche Schlüsse hast Du aus die-sen Drohungen gezogen? Wie wehrst DuDich? Was kann man gegen Nazis tun?

Ich bin natürlich vorsichtiger und aufmerk-samer geworden, vielleicht auch mißtraui-scher. Briefe und Päckchen, die ich nichterwarte, werden von mir sorgfältig unter-sucht. In dem Haus, in dem ich wohne,habe ich die Nachbarn über diese Dingeinformiert und gebeten, genauso vorsichtigzu sein, wenn Post für mich bei ihnenabgegeben werden soll. Mein Telefon istjetzt über einen Anrufbeantworter „gepuf-fert“, damit ich nicht jeden Mist spontananhören muß. Außerdem habe ich privatdie Fangschaltungen fortgeführt und darü-ber einige Personen identifizieren können.Diesen Personen habe ich Briefe geschrie-ben, um ihnen zu zeigen, daß sie bekanntsind. Das wichtigste aber zu meinemSchutz ist auch die Fortführung der antifa-schistischen Arbeit. Für mich heißt dies,daß ich im „Offenen Kanal“ in mehrerenSendungen „Nazis - Nein danke“ dieseDinge an die Öffentlichkeit getragen habe,daß ich Mahnwachen vor dem „NationalenInfotelefon“ gemacht habe, daß ich aufverschiedenen offiziellen Veranstaltungenmit antifaschistischem Charakter auf die-sen Skandal aufmerksam mache etc. ZurZeit bin ich beteiligt an einem „RundenTisch“, der alle zwei Wochen im Cafe imGewerkschaftshaus tagt und weitere Mög-lichkeiten antifaschistischer Politik disku-tiert. Nicht die Opfer des Terrors müssensich verstecken, sondern die Täter!

Interview mit Jürgen Brammer