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20. Dezember 2016/sp - Willkommen - Evangelisch ... als eine zusätzliche Erfahrung, sondern als „die Erfahrung“. Die Art und Weise, wie der Vater ihn liebt, ist nicht genug. Oder

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Liebe Leserinnen und Leser Das Gleichnis „Vom verlorenen Sohn“ (wie es in vielen Bibeln überschrieben ist und unter diesem Namen bekannt geworden ist) kennen viele. Es gehört zu den bekanntesten Gleichnissen von Jesus. Er erzählt es im Lukasevangelium, Kapitel 15,11-32. Es wurden schon unzählige Bücher darüber geschrieben, Bilder gemalt, Predigten gehalten, usw. Es ist daher eine Herausforderung für einen Prediger, sich hinter diesen Text zu machen. Ich habe es trotzdem gewagt und mich mit dieser bekannten Geschichte auseinander gesetzt und sie über vier Sonntage gepredigt. Ich wollte mir bewusst Zeit dazu nehmen und diesen drei Gestalten sorgfältig nachgehen. Und ich habe - schon seit längerer Zeit hatte ich dieses Bedürfnis - Sarah Brückmann wieder gefragt, ob sie Bilder zu dieser Geschichte und damit zu dieser Predigtreihe malen würde. Sie hat sich darauf eingelassen und es sind tolle, aussagekräftige Bilder entstanden. Der Dezember 2016 und damit die Predigtreihe ist Geschichte. Doch man kann sie nachlesen - hier, in diesem Dokument.

Von Herzen wünsche ich Ihnen viel Freude und Gottes Segen beim Lesen!Stefan Pfister, Pfarrer

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Predigttext: Lukas 15,11-32 - Der jüngere Sohn

Liebe Gemeinde Für diese Adventszeit habe ich mir eine besondere Predigtreihe schenken lassen. Wir wollen in den kommenden Wochen das sehr bekannte Gleichnis von Jesus in Lukas 15 betrachten. Normalerweise wird es „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“ genannt, manchmal auch „Das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen“ oder „Das Gleichnis vom liebenden Vater“. Ich nenne es für mich einmal einfach „Das Gleichnis von beiden Söhnen und dem Vater“. Ganz sachlich. Gemeinsam wollen wir erörtern, was es mit diesen drei Figuren auf sich hat, von denen Jesus eine Geschichte erzählt - und was diese Geschichte mit diesen drei „Stereotypen“ für uns heute bedeutet, für mein Leben, für meinen Glauben. Heute steht der jüngere Sohn im Mittelpunkt. Wir hören auf die das, was Jesus über ihn in diesem Gleich erzählt: Lukas 15,11-24Während dieser Predigtreihe begleiten uns wieder Bilder von Sarah Brückmann. Ganz herzlichen Dank, Sarah, dass du dich wieder darauf eingelassen hast und Bilder gemalt hast von diesem Gleichnis. Vielleicht helfen sie auch noch einmal, gut hinzu hören und gut hinzu schauen, was hier Jesus erzählt. Denn das, was mich an diesen Geschichten von Jesus wohl am meisten beschäftigt ist, dass wir oft meinen zu wissen, was genau gemeint ist und wer gemeint ist. Kann ich noch wirklich hinhören? Kann ich noch lesen ohne meine „Klarheit“? Kann mich eine solche Geschichte noch überraschen? Ich weiss nicht, ob ich, ob wir sie heute neu hören können. Vielleicht nicht, vielleicht schon. Weshalb ist es so schwierig? Weil wir doch so oft den Eindruck haben, „der verlorene Sohn“, das sind die anderen. Und dabei wäre vielleicht eine der grossen Fragen: Wie viel dieses verlorenen Sohnes steckt in mir selber? Dieser Sohn, der alles hat bei seinem Vater, der Sohn, dem nichts mangelt, er will unabhängig werden. Er will selber entscheiden können, was mit „seinem Anteil des Reichtums“ passiert, den er im Hause seines Vaters erlebt. So wünscht er sich den Vater jetzt schon tot und will seinen Erbteil haben. Er will machen können, was er will. Etwas zweites, das ich hier bei diesem jüngeren Sohn sehe ist ein Wunsch einer neuen Erfahrung von Beziehung. Die Art von Beziehung die er zu Hause erlebt, die möchte er mit anderen Erfahrungen erweitern. Die Art von Liebe, die er hier bekommt, die möchte er in anderen Formen auch noch erleben. Und damit anscheinend nicht noch 20. Dezember 2016/sp �3

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einfach als eine zusätzliche Erfahrung, sondern als „die Erfahrung“. Die Art und Weise, wie der Vater ihn liebt, ist nicht genug. Oder noch stärker: Nein, diese Art der Liebe will er gar nicht mehr. Anscheinend hat er gehört, da gibt es noch ganz andere Erfahrungen. Die will er nun haben und testen! Er verlässt das Vaterhaus. Wer ist denn dieser Sohn bei Jesus? Es gibt viele mögliche Antworten darauf, und keine stimmt einfach für sich. Wir haben in der Schriftlesung nur drei Verse gehört. Selten habe ich eine so kurze Schriftlesung ausgewählt. Doch dieses Mal habe ich gefunden: Diese Verse sind so passend und weisen sogar schon auf Weihnachten hin, die reichen. Jesus redet hier vom Volk Israel, das auch eine Unabhängigkeit leben wollte, nicht mehr Zuhause sein wollte. Dabei kennt jeder Esel und jeder Ochse sein Zuhause, nicht jedoch das Volk Israel. Ich kann mir vorstellen, dass Jesus hier (auch) das Volk Israel meinte. Denn vor den Leuten, die er sprach, das waren (fast immer) Juden. Er redet in erster Linie von Menschen, die zum auserwählten Volk Gottes gehören und doch nicht mehr so ganz, so richtig dazu gehören. In dem ist die Frage von mir her gesehen berechtigt: Wie viel des jüngeren Sohnes ist in mir selber? Vor vielen Jahren habe ich einmal eine Auslegung gehört, in der der Pfarrer gesagt hat (ich kann es nicht wörtlich sagen, doch aus meiner Erinnerung): „Ich erlebe ganz viele Menschen in den Gemeinden, die wöchentlich diese Erfahrung des verlorenen Sohnes machen: Am Sonntag sind sie echt und ehrlich vor Gott, bekennen ihre Sünden, freuen sich am Lobpreis - und am Montag leben sie wieder in einer Unabhängigkeit von Gott. Am Sonntag kommen sie dann wieder in den Gottesdienst und bereuen wieder, ganz ehrlich und echt. So geht es weiter und weiter.“ Dieser jüngere Sohn macht eine Erfahrung ausserhalb des Vaterhauses. Eine Erfahrung, die ihm anscheinend sehr gefällt, die er selber wählt, die er geniesst. So scheint es mindestens. „Er lebte in Saus und Braus und verjubelte alles“ (Gute Nachricht), „lebte verschwenderisch“ (Elberfelder), „verprasste alles“ (Luther). Später wird im Gleichnis der ältere Sohn sagen, dass er den Erbteil mit „Huren verprasst“ hat. Der scheint genau gewusst und gedacht zu haben, was man anscheinend so macht, wenn man Unabhängig vom Vaterhaus leben will… Auf jeden Fall stürzt genau diese Erfahrung, die sich der jüngere Sohn so gewünscht hat als „das Leben“ in eine Krise. Irgendwann scheint es nicht mehr zu gehen. Er hat kann nicht mehr! Er hat nichts mehr, wofür sich zu leben lohnt. Die Erfahrungen werden schal. Kennen wir doch: Man muss von gewissen Dingen immer mehr haben, damit es noch eine Wirkung zeigt. Das ist nicht nur bei den meisten Drogen so, sondern auch bei anderen Lebenserfahrungen. Fast alles kann zu einer Sucht werden, und sucht meint doch, dass wir eine Sehnsucht in uns haben, die nicht mehr gestillt werden kann, wenn es nicht extremer wird. Aber kaum haben wir gemeint, jetzt haben wir die Sehnsucht wieder gestillt, reicht es eben wieder nicht mehr, weil die Wirkung verloren ging - und man muss mehr haben um wieder einigermassen die Sehnsucht gestillt zu haben. Das ist für mich der Tiefpunkt dieses jüngeren Sohnes. Er merkt selber, wie er sich zu Tode richtet in dieser Situation. Die Umstände werden gleichzeitig auch noch schwieriger (Hungersnot), niemand hilft ihm - er kann und will nicht mehr so. Und da kommt eine Erinnerung in sein Leben: Eine Erinnerung an frühere Erfahrungen im Vaterhaus. Dass es da die Erfahrung von Respekt und von Beziehung gab, die er jetzt vermisst. Dass da eine Art von Liebe gelebt wurde, die sogar die „Knechte“ erreichte. Die Erkenntnis überkommt ihn: Lieber wieder zurück ins Vaterhaus in einer „minderwertigen“ Beziehung als so weiterleben mit dieser ständigen Suche nach dem Kick, nach der neuen Erfahrung, der ständige Wunsch die Sehnsüchte zu befriedigen und zu merken, es geht doch nicht. Und so geht er macht er sich auf zurück ins Vaterhaus. Er hat den Eindruck, dass er zwar nicht mehr das Recht hat, Sohn zu sein dort, aber er will wieder in der Nähe dieses Vaters sein, von dem er eine Ahnung hat, wie er sich ihm gegenüber verhalten hat! Sogar damals, er sich den Vater tot gewünscht hat durch den Erbvorbezug.

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Doch für den Vater gibt es keinen anderen Status als der, des Sohnes. Er nimmt den jüngeren Sohn nicht als Knecht auf, sondern als Sohn. Das ist seine Identität. Und die konnte ihm nicht genommen werden - nie, nie, nie. Er ist es, er bleibt es. Jetzt lebt er es wieder. Jetzt lebt er wieder als „Kind“! Jesus sagte einmal: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann werdet ihr das Reich Gottes nicht sehen.“ (Matthäus 18,3) Einer hat einmal dazu geschrieben: Kindschaft Gottes ist ein ständiges werden. Auch wenn ich es bin, werde ich es immer wieder neu. Und Johannes sagt es mit den Worten: „Allen, die Jesus aufnahmen, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.“ (Johannes 1,12) AMEN

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Predigttext: Lukas 15,11-32: Der ältere Sohn

Liebe Gemeinde Wenn wir das Gleichnis von Jesus lesen, dann könnten wir uns gut vorstellen, dass es mit V. 24 fertig ist. Es ist ein wunderschöner und toller Schluss dieses Gleichnisses. Doch es geht noch weiter. Schon am Anfang wird darauf hingewiesen, denn es ist im ersten Satz des Gleichnisses von zwei Söhnen die Rede. Und die Zuhörer damals mag es interessiert haben, was wohl mit dem zweiten Sohn passiert. Jetzt erzählt Jesus von ihm, dem daheim gebliebenen Sohn, dem „braven“ Sohn, dem „lieben“ Sohn, dem „treuen“ Sohn. Hören und lesen wir, wie Jesus diese Geschichte weitererzählt: Lukas 15,25-32Jesus erzählt von dem Sohn, an dem Väter ihre Freude haben können. Man stelle sich vor: Der Vater scheint einen recht grossen Betrieb zu haben. Der Sohn, der Haupterbe, könnte ja jetzt denken: Da sind sehr viele Angestellte, eines Tages gehört der Betrieb sowieso mir, ich ruhe mich noch etwas aus, nehme es gemütlich und freue mich auf den Tag, an dem alles mir gehören wird und ich den Betrieb noch nach meinen Vorstellungen gestalten kann. Doch genau das macht er nicht! Er arbeitet im Betrieb mit! Er macht so viel er kann, damit es dem Betrieb möglichst gut geht. Er will anscheinend eines Tages einen guten, gesunden, rentablen Betrieb übernehmen. Deshalb setzt er sich jetzt schon sehr dafür ein. Freizeit kennt er nicht. Es sind eben die anderen Sachen, die ihn auszeichnen: 1. Ich habe es erwähnt, er ist fleissig, er ist nicht „Sohn von Beruf“, wie wir das manchmal sagen, sondern er arbeitet voll mit. 2. Er war treu: Über all die Jahre hat er gedient, seinem Vater gedient. Er war seinem Vater treu ergeben als Mitarbeiter. 3. Er war sauber. Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er hat nicht einen unanständigen Lebensstil gehabt wie sein jüngerer Bruder. Der hat das Geld durchgebracht mit huren und prassen! Jetzt wollte er auch nichts mit dem „schmutzigen Bruder“ zu tun haben, so „sauber“ war er! 4. Er war ehrlich. Nie hätte er ein Lamm genommen, geschlachtet und ein Fest mit Freunden gefeiert. Schliesslich gehörte von seinem Denken her noch alles noch seinem Vater! Ja, er hat sogar seinen Vater nicht einmal darum gebeten. Jetzt, wo der jüngere Bruder wieder zu Hause ist, spürt er wohl die grosse Distanz, die sich gebildet hat (vielleicht ja schon vorher da war). Er spricht von „deinem Sohn“, von „dem da“, nicht von „meinem Bruder“. Dieser Mensch kann nicht mehr sein Bruder sein. 20. Dezember 2016/sp �6

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Und mit der Bezeichnung „dein Sohn“ macht er vielleicht sogar dem Vater noch einen Vorwurf: Du bist mitschuldig daran. Du hast ihn so erzogen. Du hast ihn ziehen lassen. Jetzt schaut doch selber! Ich will nicht an dieser Geschichte beteiligt sein! Und, vielleicht liegt in all dem auch noch etwas Neid und gleichzeitig Stolz. Stolz, dass er eben ganz anders war und ist und seinen Vater nie enttäuscht hat (wobei hier nun vielleicht auch etwas Zorn hin ein kommt weil er findet, dass sein Vater jetzt sehr ungerecht handelt ihm gegenüber, dem treuen Sohn und ihn nicht bevorzugt), vielleicht aber eben auch etwas Neid, dass er die Freiheit nicht auch genossen hat. Er hat es gemacht, ich habe das verpasst. So entsteht nicht nur eine grosse Kluft zwischen ihm, dem älteren Sohn und seinem jüngeren Bruder, sondern auch zwischen ihm und dem Vater. Sarah Brückmann hat das in ihrem Bild sehr schön und eindrücklich dargestellt mit dieser „Kluft“, die zwischen dem älteren Sohn und dem Vater(haus) ist; und dies, obwohl er zu Hause ist.Das sind so einige Gedanken zu diesem zweiten Sohn des Vaters. Zu dem Sohn, dem vielleicht viele von uns noch viel mehr gleichen als dem ersten, jüngeren Sohn. Die meisten von uns sind in christlichen Elternhäusern aufgewachsen, sind mit Christus die ganze Zeit unterwegs gewesen, sind „treue Nachfolger“ Jesu. Wir sind „arbeitssam“, machen vieles für das Reich Gottes, nehmen uns wenig Freiheit heraus, wollen wirklich als „saubere Christen“ gelten - im Gegenteil zu denen, die sich anders verhalten und anders sind als wir. Das kann manchmal sehr spannungsvoll sein. Und vielleicht merken wir nicht einmal so gut, wie wir darunter leiden, wie wir kaputt gehen unter diesem Druck, den wir spüren (woher er auch immer gekommen ist). In meinen Teenagerjahren kam dieses Bild auf. Es hat mich immer wieder begleitet. Es wurde mir sehr wichtig. Weil ich spürte: Wenn ich nicht ein fröhlicher Christ bin und bleiben kann, vielleicht damit auch einer, der nicht immer allen Massstäben und Richtlinien entspricht, dann wird es mit meinem Christsein sehr schwierig, das wäre für mich eine Gefahr, den Glauben zu verlieren. Dass das jedoch für manche Menschen auch herausfordernd ist, ist mir auch bewusst. Doch eben, allen Ansprüchen kann und werde ich so oder so nie genügen! Der zu Hause gebliebene Sohn im Gleichnis von Jesus fordert mich auf jeden Fall auf immer wieder gut zu überlegen: Wie lebe ich im Hause meines himmlischen Vaters? Welche Beziehung habe ich zu ihm und damit auch zu meinen „komischen“ Schwestern und Brüder? Was ist mir wichtig? Das sind Fragen, die sehr elementar, manchmal jedoch auch sehr existenziell sind. Ein Thema möchte ich doch am Schluss meiner Gedanken zum zweiten Sohn noch anschneiden. Gedanken, die mich sehr beschäftigt haben in der Predigtvorbereitung, von denen ich jedoch noch nichts in der Literatur gelesen habe. Es sind herausfordernde und schwierige Gedanken - für mich selber und vielleicht auch für euch, die ihr sie hört.Was war vor dieser Geschichte, die Jesus nun erzählt, in diesem Vaterhaus? Wie war das Leben da? Was und wie wurde kommuniziert? Ich weiss, die Kinder sind so verschieden, auch wenn sie die selben Eltern haben und im gleichen Haushalt aufwachsen. Wir nehmen die gleichen Situationen doch sehr unterschiedlich wahr. Und Eltern können sagen: Wir lieben unsere Kinder alle genau gleich fest - was auch stimmt, und doch reagiert man nicht immer genau gleich, weil die Kinder eben doch wieder verschieden sind und verschiedene Dinge machen oder nicht machen. Familienbeziehungen sind kompliziert. Wie war es wohl hier, in dieser Familie, von der Jesus erzählt? Wir kennen nur diesen Teil der Familiengeschichte. Uns wird ein liebender Vater vorgestellt. Das ist wahr und wir werden uns nächsten Sonntag noch einmal intensiv mit ihm beschäftigen. Doch irgendwie und aus irgendwelchen Gründen haben die beiden Söhne ihren Vater auch ganz anders erlebt. Der eine musste ausbrechen, weg, ihm wurde es in diesem Zuhause zu eng. Der andere hatte den Eindruck, er musste alles erarbeiten und machen, um doch akzeptiert und geliebt zu werden! Ich finde es sehr schwierig, eine solche wichtige und

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eindrückliche Geschichte ernst zu nehmen und sie nicht einfach zu harmonisieren. Ich sehe darin Erfahrungen, die wir alle machen und gemacht haben. Ich kann zwar hier bekennen - und glaube es auch: Gott ist immer gleich, er ist mächtig, er ist gross, er ist herrlich, er ist lieb. Aber wie erlebe ich ihn in der Wirklichkeit meines Alltags? Manchmal sehr schweigend. Manchmal einengend. Manchmal zurückhaltend. Ich verstehe ihn nicht - längst nicht immer! Ich kann zwar auch sagen, dass ich froh bin darüber. Gott ist nicht Mensch, und darum kann und darf ich ihn nicht immer verstehen. Doch es gibt sehr viele Situationen, da möchte ich Gott trotz allem besser und mehr verstehen. Warum hat er das zugelassen, nicht verhindert? Warum ist das oder jenes so geschehen? Gerade dann, wenn es überhaupt nicht dazu hilft, dass Menschen ihn finden, sondern eher noch von ihm davon rennen! Etwas von diesen Erfahrungen mit Gott spiegeln sich auch in diesem Gleichnis von Jesus. Und vielleicht hat er es auch ganz bewusst so erzählt. Die beiden Söhne haben ihren Vater nicht in allem verstanden, haben ihn z.T. auch so erlebt, wie es nicht nur hilfreich und einfach schön war für ihr leben. Und es scheint, dass es gerade den Ausbruch des jüngeren Sohnes gab, damit der Vater neu erlebt werden konnte! Es brauchte die „tiefen Erfahrungen“ des jüngeren Sohnes, damit er sein Vaterhaus und den Vater neu erleben konnte als der, er er war: Ein ewig liebender und vergebender, ein barmherziger Vater! Und der zweite Sohn brauchte auch genau diese Erfahrung, um seinen Vater neu und „anders“ zu erleben. Wie hat er darauf reagiert? Wir wissen es nicht. Das lässt Jesus - wohl ganz bewusst! - offen. Du kannst heute als zweiter Sohn dieser Geschichte überlegen, was es für Dich bedeutet, was Du daraus machst in der Beziehung zum Vater im Himmel selber und zu den Menschen (die mehr oder weniger intensiv zu Gottes Reich gehören), die in Deinem Umfeld sind. AMEN

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Predigttext: Lukas 15,11-32: Der Vater

Liebe Gemeinde Es ist mir schwerer gefallen diese Predigt vorzubereiten als ich gedacht habe. Und zwar weil ich gemerkt habe, wie es gar nicht so einfach ist, über Gott als Vater aufgrund dieses Gleichnisses so zu predigen, dass wir ein echtes und wahres Bild von Gott bekommen! Und sogar dann haben wir es noch lange nicht in unser Herz hinein genommen. Sind Teil dieser Geschichte geworden, hat uns diese Geschichte tiefgreifend verwandelt. Und das wäre das Ziel davon. Möge Gott mir und uns schenken, dass heute dieses Wunder geschehen darf! Am letzten Sonntag habe ich am Ende der Predigt mit Euch geteilt, dass ich das mit dem Vater gar nicht so einfach finde, weil nichts darüber erzählt wird, welche Beziehung in den vielen Jahren vorher in diesem Vaterhaus gelebt wurde. Denn der eine Sohn verlässt diesen „so liebenden Vater“ und der andere lebt eher ein krampfhaftes Leben. Spürt irgendwie gar (noch) nicht, was alles in dieser Beziehung möglich wäre. Welche Freiheit, welchen Reichtum wir durch die Vaterbeziehung erleben können. Manchmal braucht es schwierige Erfahrungen. Manchmal braucht es das Weggehen, den Bruch, den Zerbruch im eigenen Leben oder im Leben eines nahen Mitmenschen, dass wir Gott neu erleben, dass wir offen werden, für eine neue Erfahrung mit Gott. Genau dies scheint auch oder gerade das Thema zu sein in diesem Gleichnis von Jesus. Denn da, wo der jüngere Sohn zurück kehrt, geschieht etwas, das sich der jüngere Sohn und auch der ältere nicht so erwartet haben. Der Vater reagiert anders als sie gedacht hätten: Lukas 15,20-24.31-32Es ist doch so, man kann nur denken: Was für ein Vater! Was für ein Gott! Die Liebe und die Gnade ist stärker und grösser als das Aufzeigen von Konsequenzen. Die Sehnsucht nach einen geheilten Sohn, nach einer geheilten Beziehung, nach einer tiefen Verbindung ist stärker als alles andere, was an schwierigem und unnötigen, trennendem geschehen ist! Da wird uns ein Vater gezeigt, der nicht einen Knecht mehr will oder braucht sondern sich Söhne und Töchter wünscht! Da ist ein Vater, der seine Arme ausstreckt und umarmt auch wenn der Schmutz und der Dreck noch so stinkend am Sohn und anschliessend an seinem Kleid klebt. Da ist ein Vater, der zu ehren bringt, der den Wert zurück gibt, der der eigenen Trauer Ausdruck gibt über die „verlorenen Jahre“ des nicht Zusammenlebens! Ein Vater der ergriffen ist, seine Gefühle zeigt, der neu teilt, neu den Sohn in seinen 20. Dezember 2016/sp �9

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gedachten Stand setzt! Was ist das für ein Vater! Was ist das für ein Gott, der mit mir, mit uns so verfährt?! Und leider ist es so, dass viele Menschen gehindert werden durch traurige und schwierige Vatererfahrungen, Gott so erleben zu können. Denn sie haben in ihrem Leben ein Bild von einem Vater bekommen, das wie ein Schleier die Vatererfahrungen Gottes verdeckt! Dabei sollte es doch umgekehrt sein! Und ich hoffe, dass dort, wo es nötig ist, dies heute geschehen darf: Dass nicht mehr die negativen Vatererfahrungen Gott zu einem negativen Vater werden lassen, der doch nie so liebend und gütig sein kann! Dass ich mich darum von Gott nie so richtig herzen und lieben lasse, weil ich es nie von meinem irdischen Vater erlebt habe. Sondern umgekehrt, dass dieses echte Bild vom Vater als Gott, dass dieses wahre Bild vom Vater als Gott, das Jesus hier zeichnet, sich als das wirkliche Bild in unser Leben und unser Herz senkt! Dass wir merken können: Ja, so ist es richtig, so ist es wirklich, so ist es echt - so ist Gott! Das ist das Bild eines Vater, wie er sein könnte und sollte - und darum will ich das für Wahr nehmen! Und mich darüber freuen, dass ich nun auch einen solchen Vater haben darf in Gott! Und dass sich dieses wahre Vaterbild dann wie ein neuer Schleier auch auf uns legen darf. Dass wir verwandelt werden dadurch und neue Väter und Mütter werden dürfen. Ja, es ist so, dass in der Bibel Gott nicht nur so liebend und gütig dargestellt wird. Er kann auch ein sehr konsequenter und „harter“ Gott sein! Und das ist dann das Bild, das einige wie bestätigt: So ist doch Gott! Und sie können dann nicht mehr die Botschaft von Jesus hören: Ja, egal welche Bilder du schlussendlich hast, oder was du auch sonst noch mit Gott erfahren hat, wenn er dir einmal aufgezeigt hat, dass dein Lebensstil auch negative Konsequenzen haben kann - doch die Liebe und Sehnsucht in Gott bleibt nach dir, und er möchte dich als Sohn, als Tochter in seiner Gegenwart haben! Schon im Alten Testament wird das immer wieder bestätigt. Es gibt zwei Vers im Hosea in denen wir in Gottes Herz sehen können, das sich „dreht“! Er kann nicht so am Volk handeln wie er vom Verstand her vielleicht müsste, es geht nicht! Hosea 11,8fNatürlich bedeutet all das nicht, dass Jesus meint: Es spielt nun alles keine Rolle mehr wie du lebst. Du kannst Gott verlassen und gehen und immer wieder zurückkehren... Ja, natürlich wird Gott in Gnade dich immer neu aufnehmen. Aber damit würdest du nicht das Potential entwickeln das wir in einer beständigen Sohnes- oder Tochterbeziehung - vielleicht nach einem weiten Weg weg von Gott, zurück zu ihm - erleben dürfen. Das Leben als Sohn, das Leben als Tochter ist ein grosser Reichtum! Wenn wir das einmal entdeckt haben, Gott als diesen umarmenden Vater tief in unsere Erinnerung hinein genommen haben, leben wir auch dementsprechend, verändert und verwandelt es unser Leben. Und das ist mit ein Ziel von Jesus und diesem Gleichnis, davon bin ich überzeugt. Es gibt Lebensphasen, da bin ich vielleicht dem jüngeren Sohn sehr nahe in seinen Erfahrungen! Da breche ich auch aus, will meine eigenen Ziele verwirklichen, usw. Es gibt Lebensphasen, da lebe ich wie der ältere Sohn, zwar irgendwie in einer Verbindung mit Gott, aber eher in einem Knechtsverhältnis als in einem Sohnverhältnis. Eher in einer Art, als meinte ich immer noch, mir alles verdienen und abverdienen zu müssen. Doch diese Gotteserfahrung macht uns zu neuen Söhnen und Töchtern - und damit werden wir zu neuen Väter und Mütter! Matthäus 5,44-48Denn dieses Gleichnis (oder diese drei Gleichnisse in Lukas 15) erzählt Jesus in erster Linie den Pharisäern. Er will ihnen damit sagen: So ist Gott! So handelt Gott! Er sucht das Verlorene und nimmt das Verlorene neu auf. Werdet auch so! Lasst Euch von der Liebe dieses Vaters anstecken! Werdet selber solche Väter, die das Verlorene suchen und sich

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freuen über alle, die heimkehren zu Gott - egal wie viel Schmutziges sich in diesem Leben angesammelt hat. Im ersten Gottesdienst dieser Predigtreihe hat beim offenen Mikrofon Käthi gesagt: Ich möchte so sein wie dieser Vater meiner Neva gegenüber. Dass, egal welchen Weg sie gehen wird in ihrem Leben, ich immer offene Arme habe für sie! Doch ich glaube, das kann nur dann geschehen, wenn wir uns selber mit allem, was wir haben, in diese Vaterarme werfen und uns von Gott, dem wahren Vater, lieben und herzen lassen. Ich möchte heute wieder einmal einen Aufruf machen. Wenn jemand da ist, der sagt: Ja, das möchte ich das erste Mal oder wieder einmal ganz neu, mich umarmen lassen von diesem Vatergott, und dies obwohl ich den Eindruck habe, dass ich nicht würdig bin, dass so viel Schmutziges und Schwieriges in mein Leben gekommen ist, dann komm während dem Zwischenspiel nach vorne. AMEN

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Predigttext: Lukas 15,11-32: Home-Coming-Fest

Liebe Gemeinde Der Vater drückt es sehr stark aus, wie er das nach Hause kommen des Sohnes empfindet: Er war tot und jetzt lebt er wieder! Wenn das nicht Grund zur Freude ist? Jesus erzählt somit mit diesem Gleichnis eine Form von "Totenauferweckung". Wie fest haben wir uns das schon in gewissen Situationen gewünscht, wenn Menschen aus unserem nahen Umfeld viel zu früh an irgendetwas gestorben sind. Auch wenn es zwischendrin Berichte gibt von Totenauferweckungen, dann sind sie doch sehr, sehr selten. Sie kommen schon in der Bibel selten vor, geschweige denn heute.Doch was, Gott sei Dank, immer wieder einmal vorkommt ist, dass eine Beziehung geheilt werden darf, die sehr verfahren war. Wenn man keine Gemeinschaft mehr haben konnte und jetzt ist das wieder möglich, keine Gespräche mehr möglich waren und jetzt hört man wieder aufeinander und gibt einander wieder Anteil am Leben, dann kann das etwas ähnliches sein wie eine Totenauferweckung! Das bringt einem Menschen zurück ins eigene Leben! In der Familie ist ein solches Erlebnis besonders stark. Ein Sohn, eine Tochter, ein Grosskind, Eltern oder Grosseltern werden einem neu geschenkt. Aber auch in langjährigen Freundschaften die zerbrochen sind und wiederhergestellt werden dürfen ist es so. Totenauferweckung! Ein grosser und wahrer Grund zur Freude, zum Feiern. Jesus erzählt diese Geschichte ja als Gleichnis. Es geht - das ist uns wohl allen sehr bekannt - um die Wiederherstellung einer geheilten und erneuerten oder sogar erstmaligen Beziehung eines Menschen zu Gott, dem Vater. Ich bin Gott sehr dankbar für die Menschen, die ich in den letzten ca. 30 Jahren meines Lebens begleiten durfte zu einer Beziehung mit dem dreieinigen Gott. Es sind wirklich wunderschöne Momente die einem in eine Feststimmung versetzen. Und in solchen Momenten hört man fast wirklich die Engelschöre singen, denn das sagt Jesus ja auch in diesem Kapitel, dass im Himmel ein Fest sein wird wenn ein Mensch zu Gott umkehrt! Auf der anderen Seite macht es mich sehr traurig, dass wir diese Form von Totenauferweckung in unseren Breitengraden sehr selten erleben, dass Menschen ganz neu und zum ersten Mal eine Beziehung mit Gott anfangen. Es kommt vor - und von Herzen freue ich mich über jeden Menschen. Doch es ist im Moment im Westen nicht die 20. Dezember 2016/sp �12

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Regel, sondern eher die Ausnahme. Es ist sogar eher so, dass Menschen aus verschiedenen Gründen eine tiefgreifende Beziehung zu Gott eher verlassen. Frust, Enttäuschung, erlebter Glaubensdruck, usw. können dahinter stehen. Das macht mich traurig. Und ihr wisst alle, wie sehr ich mich sehne und ich mir immer wieder Gedanken mache, wie wir erneut erleben dürfen, dass Gott Menschenherzen berührt und heilt. Ich will wieder solche "Totenauferweckungsfeste" feiern können! Weil ich überzeugt bin, dass diese Erfahrungen auch mein Leben als Christ und das einer Gemeinde verändert. Wir bekommen einen neuen Fokus. Jesus lässt uns mit diesem Gleichnis Anteil geben an der Wirklichkeit solcher Totenauferweckungen. Sie sind zu seiner Zeit geschehen, wenn Menschen - vor allem am Rand der Gesellschaft, ausgeschlossen aus dem gesellschaftlichen Leben - durch eine Begegnung mit Jesus in eine Beziehung mit Gott kamen. Ich will beten, hoffen, glauben und daran arbeiten, dass das auch heute geschieht. Lassen wir Jesus durch unser Leben hindurch zu anderen sprechen und wirken! Geben wir nicht auf! Gott bleibt dran mit uns, davon bin ich überzeugt! AMEN

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