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20 Keppler Fernsehanalyse

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5/16/2018 20 Keppler Fernsehanalyse - slidepdf.com

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3. Eine Methode der Fernsehanalyse

Die Funktion der technischen Kommunikationsmedien, so hat das

erste Kapitel dargelegt, muss aus ihrer Stdlung innerhalb der sozia-

len Welt verstanden werden. Entsprechendes gilt fur die Analyse

medialer Produktc; sicmilssen alskommunikative Erzeugnisse ver-

sranden werden, denen irn Leben der Gesellschaft ein bestirnrnter

Stellenwerr zukommt. Insbesondere gilt dies fur die Produkrionen

desFernsehens, die - wie imvorigen Kapitel beschrieben - einKon-tinuum filmischer Kommunikationsformen darstellen, das dutch

seineAllgegenwart eineweir reichende Modifikarion der lebenswelt-

lich zuganglichen Siruationen bewirkt.

Diesem Umstand sollre die Erforschung des Fernsehens Rech-

nung rragen. Da diesozialeWelt, in der esseinen Platz hat, zugleich

eine hisrorische und kulturelle Welt ist, ware eine rigide Trennung

von historiografischen, sozial- und kulturwissenschafclichen Zu-

gangen verfehlt. Aussichtsreich ist daher eine Methode, die es er-

laubr, die soziale Bedeutung des Fernsehens im Bewusstsein seiner

historischen und kulturellen Situierung zu untersuchen, Empfeh-

lenswert ist hier ein hermeneutisches, dem interprerativen Para-

digrna der Soziologie verpflichtetes Vorgehen. Wie am Ende des

ersten Kapitels bereits ausgefuhrt, reicht eine solche Forschung

weit uber die Analyse der im TV gesendeten Produkte hinaus. Solidie gesamte Bedeutung des Fernsehens fur die heutige Lebenswelt

empirisch erforschr werden, 50 muss eine solche Produkranalyse

mit Untersuchungen kombiniert werden, die neben den Prakti-

ken der Herssellung medialer Produkte auch die unterschiedlichen

Arten der Aneignung des medialen Angebots zu erfassen vermag.

Erst auf diesern Weg sind Aussagenetwa zur fakrischen ..Wirkung«

bestimmter kommunikativer Produkte moglich.' Die medialen Pro-

dukre und ihre Vernetzung in den Programmen des Fernsehens

sind aberdie entscheidende Schaltsrellealler mit dem Fernsehenver-

bundenen Praktiken. Siestehen daher im Zentrum dieserAbhand-

lung.

Die in diesemKapitel vorgesrellre qualitative Methode der Fern-

sehanalyse ist einerseits geeignet, einen produktiven Zugang zu ei-

J Vgl. hierzu Keppler (1994a) unci(200U).

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ner »inklusiven«,nur arbeitsteilig durchfuhrbaren Medienforschung

zu eroffnen, die die Verschrankung von Produktion, Produkt und

Rezeption zum Gegenstand haLl Sieistabet zum anderen - und irn

Kontext diesesBuchesvor allern- dazu geeigner, einenWegzu einer

unverkiirzten AnalysedesGehalts filmischer Produkte zuweisen.Es

ist dies eine soziologischeVorgehensweise,die - in enger Nachbar-

schaft zu sprach-, literarur-, film- und bildwissenschafclichen Ver-

fahren - die gesainte audiovisuelle Verfassung filmischer Produkte

zum Gegenstand.ihrer Deutung erhebt, Ich beginne mit einerVer-

gewisserungdesmethodologischen Status einer dem interprerativenParadigma verpflichteten Erforschung des Fernsehens. Anschlie-

Bend werden einige Merhoden decFilm- und Fernsehanalyse korn-

mentierr, die ich dutch meinen eigenen Vorschlag teils korrigieren,

tells erganzen mochte. Das Verfahren, das ich daraufhin vorsrelle,

hat drei Teile. Zunachst werde ich ein Transkriprionssysrem fur

audiovisuelle Bildverlaufeeinfuhren und erlautern, wie sich deren

Analyseauf dieseTranskriptionen stiltzen kann. Anschliefiend wer-

de ich Grundmoglichkeiren der Filmanalyse skizzieren.Am Ende

werde ich ruckblickend nochmals begrunden, warum sich die Ana-

lyse einzelner Fernsehprodukte im Rahmen einer komparativ ver-

fahrenden Gattungsanalyse bewegen sollre,

3.IWissenschaftstheoretische Grundlagen

Urn dieAnalysedes Fernsehens konkurrieren heute eine Reihewis-

senschaftlicher Disziplinen: Soziologie, Kommunikationswissen-

schaft, Medienwissenschaft, Bildwissenschaft, Medienpsychologie

und Medienphilosophie - urnnur diewichtigsten zu nennen. Diese

Konkurrenz iscjedoch in mancherlei Hinsicht unproduktiv, da viele

derAspekte,die von den unterschiedlichen Disziplinen hervorgeho-

benwerden, durchaus in einen sinnvollen Zugang lntegriert werden

konnen. Eine wissenschaftliche Untersuchung des Fernsehens, die

sich auf die Komplexirat ihres Gegenstandes einlasst, kann nur

interdisziplinar verfahren, von welcher Disziplin sie auch ausgehen

mag. Aus meiner Sicht istdie Analysedes Fernsehens alseine Form

2 Zu den Grundlinien diesesrnethodischen Programma siehe ausfiihrlicher Keppler

(zoora),

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der Kultursoziologie zu verstehen, die, wie es dec Gegenstand erfor-

den, zugleich eine Komrnunikations- und Medienwissenschaf t ist .}

Eine kulturwissenschafcliche Sozialforschung, die dem Medium

Fernsehen in den in den belden varigen Kapi te ln beschriebenen

Dimens ionen gerecht werden wi ll , ha t ihr Gravi ta tionszenr rum in

der Interpreta tion der Sendungen des Fernsehens. Zu deren Un-

tersuchung bedarf es differenzierrer qualitariver Verfahren. Freilich

soil hiermit keiner abstrakten Emgegenserzung »quantitativer« und

»qualitativer« Sozialforschung das Wort geredet werden. Denn qua-

litative und quantitative Verfahren der Sozialforschung unterschei-

den s ich, wie Hans-Georg Soeffner zut reffend bernerkt hat, zwar

erhebl ich in den Merhoden, nicht aber in ih ren Prarnissen und Zie-

len. »Beide beziehen sich auf hisrorisch-soziales menschliches Han-

deln, auf seine Organisa tion und Orienrierung , auf Dokurnenre

und Produkte des Handelns sowie auf Deutungen von Handlungen

in ,Texten~ etc . Die kon trol lierte, d. h . die eigenen Pramissen, Ver-

fahren und Variationskriterien uberprufende Auslegung von Daten.

die sich - seien sie zeitlich auch noch so nah an der Gegenwart -

prinsipiell auf vergangene Planungen, Ereignisse und Handlungen

beziehen, deren Ergebnisse und Dokumente sie sind und die sie

reprasentieren - dieser Typus der Auslegung ist keine Spezialidit der

Soziologie. Es ist vielmehr die allgemeine Form wissenschaftlichen

Verstehens.s"Noch erhebl ich welter ging zu Seg inn des 20. [ahrhunderts Ernst

Mach, als er wissenschaf tliche Methoden generell als ref lektierte

Al ltagsmethoden beschrieb, d ie s ich led igl ich in der Ar t ihr er Re-

f lexion, Abstraktion und Operationalisierung voneinander unter-

scheiden. Innerhalb der wissenschafdichen Methoden, so hob Mach

hervor, unterscheiden sich die quanritativen von den qualitativen

dadurch, dass die »quantitarive Untersuchung nur ein besonde-

r er Fal l der qual ir at iven isr.« Die Beschreibung durch Zahlung sei

»narnlich die denkbar einfachste«, 5 Eine derartige Vereinfachung, so

lasst sich Mach erganzen, ist uberall dort angebrachr, wo es aus-

sichtsreich ist , ein redukrionistisches Programm zu verfolgen, das

quantifizierbare Ergebnisse verfugbar macht, Eine solche Quanrifi-

3 A u sf u hr li ch e r s ie h e K e pp le r (2000).4 Soeffner (1.004), S. 64 - Vgl. die a hn li ch en A us sa ge n b ei Konig (1962), besonder s

S. 109·5 Mach (1905), S. 31.1..

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zierung, die immer eine starke Abstraktion beinhaltet, ist in einigen

Wissenschaften angemessener als in anderen: der Abstraktionsgrad

einer Methode so ll re kor respondier en mi t der - verrnu te ten - Ein-

fachheit der Gegenstande. Forscher jedenfalls, die sich in den Sozial-

und Kul tu rwissenschaften quali ta tiver Methoden bedienen, neh-

men an, c lass ihre Gegens tande so komplex und differenziert s ind ,

dass sie nicht ohne gravierenden Erkenntnisver lust auf wenige Vari-

ablen , Kategor ien oder Daten reduzierbar s ind . Wenn also die Pro-

dukre des Fernsehens die in den ersten belden Kapiteln dieses Buchs

beschriebene Grundverfassung haben, soist davon auszugehen, class

ihr kornmunikativer Srellenwert nur durch qualitative Methoden

erforscht werden kann.

Der Merhodologie qualitativer empirischer Sozialforschung liegt

grundsatzlich die Auffassung zugrunde, dass die soziale Wirklichkeit

durch die in ihr handelnden Menschen vorinterpretier t ist . Ihre All-

tagswelr ist durch Routinen des Handelns gepragt, die in vielfacher

Hinsicht kommunikative Routinen sind oder solehe mit einschlie-

Ben. Soentsteht die in Kapitel I.3beschriebene intersubjektive Weit

der sozialen Real itar , d ie in ihrem Bes tand von dem Wissen und den

Deurungen ihrer Bewohner abhang ig ist . Diese welrb ildenden In-

terpretationen stellen den Ausgangspunkt einer qualitativen ernpiri-

schen Sozia l- und Kul tu rwissenschaft dar. Ich mochte diesen Aus-

gangspunkt mit einem langeren Zitat von Alfred Schutz markieren,urn anschlieliend die Bedeutung dieses Zugriffs fur die Erforschung

des Fernsehens deudich zu machen. In seinem Aufsatz Begriffi- und

Th e o ri eb i ld u ng i n d e n S o z ia lw i ss en sc h a Jt en aus dem Jahr 1954 stel lt

er deren Grundlagen derjenigen der Naturwissenschaften gegenuber:

»Es bleibt dem Naturwissensehaftler und nur ihrn allein vorbehal-

ten, sein Beobachtungsfeld in Ubereins rimmung mit den Verfah-

rensregeln seiner Wissenschaft zu definieren, er best immt darn it in

diesem Feld die Tatsachen, Daten und Ereignisse, die fur sein vorlie-

gendes Problem und seineverfugbaren wissensehaf tlichen Zide rele-

vant sind. Diese Tatsachen und Ereignisse sind, nicht bereits vorher

ausgesucht, und ebensowenig ist das Beobachtungsfeld im voraus

interpretiert, Die in der Weise des Naturwissenschaftlers erforschte

Weirder Narur -bedeutet« den Molekulen, Atomen und Elekrronen

gar nichts, Das Beobachtungsfeld des Sozialwissenschaftlers, also die

sozia le Wirk lichkeit , hat dagegen eine besondere Bedeutung und

Relevanzst ruktur rur d ie in ihr lebenden, handelnden und denken-

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den Menschen. Si e haben diese Welt, in der sie die WIrklichkeit

ihres taglichen Lebens erfahren, in der Folge von Konstruktionen

desAtltagsverstands bereitsvorher ausgesuchtund interpretiert. Oie-

se ihre eigenen gedanklichen Cegensrande bestimrnen ihr Verhal-

ten, indern siees rnotivieren, Urn diese sozialeWirklichkeit zu erfas-

sen, rnussen die vorn Sozialwissenschafilerkonstruierten gedankli-

chen Gegensrande auf denen aufbauen, die im Atltagsverstand des

Menschen konstruiert werden, der sein tagliches Leben in der So-

zialwelr erlebt. Daher sind die Konstrukrionen der Sozialwissen-

schaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, da s heiSt Kon-

struktionen von Konstrukrionen jener Handelnden im Sozialfeld,

deren Verhalten der Sozialwissenschaftlerbeobachten und erklaren

muS, und zwar in Ubereinstimmung mit den Verfahrensregelnsei-ner Wissenschaft.«6

Aufgabe dieser »Konstruktionen zweiten Grades«, auf die eine

sozialwissenschaftliche Forschung zielt, ist demnach eine Explika-

tion derjenigen »Konstruktionen ersten Grades« - Gedanken, Ver-

standnisse, Norrnen, WIssensformen -, die fur die historischen Le-

benswelten des rnenschlichen Handelns und Erlebens mafsgebend

sind. Enrscheidend 1Sthierbei uberdies die Relevanz, die Orientie-

rungen und Verhaltensweisen im sozialen Leben zugewiesenwird.

Ausihr entsteht das,was unter den gegebenen historischen und.kul-turellen Umstanden als primare Wirklichkeit des sozialen Lebens

gilt. Methodisch ist esnun entscheidend, diesefur die sozialeWelt

konsrituriven Orientierungen tatsachlich als Orientierungen, das

heiSt alsLeistungen der miteinander handelnden Menschen zu ver-

stehen. Deswegen spricht Schutz von Ko n st ru k ti o ne n e rs te r u n d a o ei -

t e r O r d nu n g.7 Fur die Untersuchung der menschlichen Komrnuni-

karionsverhaltnisse isteszentral, sichden Status derKonstruktionen

erster Ordnung klarzu machen, die dieernpirische Basiseiner quali-

rativen Forschung bilden. Diese »Konstruktionen erster Ordnung«

bezeichnen nach Schutz allragliche Routinen, Modelle, Typisierun-

gen, kurz: alldieVerfahren, nach denen derMensch irnAlltagseine

Erfahrungen ordnet. Diese - historisch und kulturell jederzeirvari-

ablen - Muster, nach denen die natti rl iche wie die soziale Weit

geordnet werden, diirfen freilich nicht mit dem - von Schutz in der

Terminologie Max Webers gefassten - »subjektiven Sinn« gleichge-

6 Schutz (I97Ial, S. 67f.

7 Vgl, hierzu auch: Schurz ('97,b).

90

setztwerden, den die.einzelnen Handelnden jeweilsmit ihrem Han-

deln verbinden, Es handelt sich vielmehr urn Mogl ichke i ten des

Weltverstandnisses, die sich im sozialen Leben fur eine lange oder

kurze Weile verfostigt haben. Eine sozialeWeir besteht nur dort, wo

kulturelle Orientierungen sichso eingespielthaben, dass dassubjek-

riveMeinen und Wollen, wiees auch individuell ausfallenmag, hier-

an imrnerschon einevorlaufige Ausrichtung hat.

DieVerfestigunginrersubjekriverVerhaltensmusrergeschiehtzwar

stets imAustausch der Handelnden, und da s heiSt: in derKoordina-

cionund gegebenenfalls Konfrontation ihres subjektiven Sinns; ihr

kommt jedoch gegenuber den rnornentanen Absichten der Akteure

ein Eigensinn zu, den siein ihrem Verhalten nicht ignorieren kon-

nen. Wenn jernand einen anderen griiSen will (und er folglichwill,

dass der andere seineHandlung alsGrug wahrnimmt), muss ereta-

blierte Formen des GrUgensverwenden. Selbst wenn er sich dabei

etwas Originelles ausdenken will, muss er dabei Formen variieren,

die nicht seiner momentanen Eingebung emsprungen sind. Sover-

halt essich mit den sozialen Musrern der Verarbeitung von Erfah-

rung genetell: Sie sind entstanden und verandern sich zusammen

mit subjekriven Absichten und Ansichten, aber sie sind keine (und

sind nicht riickfuhrbar auf einzelne dieser) subjekriven »Sinne«, Es

handdt sich vielrnehr urn verstetigte Formen des sozialen Lebens,in denen sich Standards der Kooperation und Kommunikation ein-

gespielr haben. Oiese Standards erofFneneinen sozialen Spielraum

intersubjekriv verstandlichen Handelns, dem allerdings - wie im

simplen Fall desGriigens - stets eine mehr oder weniger gcoReVa-

riationsbreite zur Verfugung sreht, Dieser Spielraum von Orientie-

rungen, die intersubjektiv geteilt oder doch teilbar sind, istes eigent-

lich, der unter denAkreuren cine gemeinsame und alsosozialeWelt

verburgr. In diese aus Spielraumen decRegelung und Deutung be-

stehende Welt werden die Individuen im Zuge ihrer Sozlalisarion

hineingefuhrt, so dasssie eslernen, sich auf ibre Weise irn Rahmen

dec jeweils gegebenen hisrorischen und kulturellen Ordnungen zu

bewegen.Wie in theoretischer, so isr esdaher auch in methodischer Hin-

sicht wichtig, die Rede von der »Konstruiertheir« der sozialen und

kulturellen Realitat nicht mit einem leichtferrigen Subjektivisrnus

oder Anri-Realismus zu verbinden. Schliefilich ist die Erforschung

dessen, was Schutz »Konsrrukrionen ersrer Ordnung« nennt, die

 

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Erforschung der Wirklichkeit des allraglichen sozialen Lebens, wie

sie sich historisch und kulturell zu einer besrimrnten Zeit darbietet.

Die nir den Alltag maBgeblichen Orientierungsformen werden nun

in der wissenschafdichen Rekonstruktion nicht einfach verdoppelt,

denn es5011jaein Verstehen des Versrehens geleisrer werden, das fur die

alltaglichen Prakriken grundlegend ist, E s soli erklart werden, aus wel-

chen Verstandnissen heraus sich soziale und kulturelle Praxis voll-

zieht, Erklarungsversuche dieser Art sind auch innerhalb dieser Praxis

selbsr hin und wieder gefragt, jedoch nicht in systematisierter, genera-

lisierter und methodisch konrrollierrer Hinsicht. Denn wissenschaft-

liches Verstehen unterscheidet sich vom allraglichen Verstehen da-

durch, dass die In terpretat ions le is tungen h ier nich t ledigl ich im

Rtickgriff auf den Alltagsversrand, sondern unter Ruckgriff auf eigens

und ausfuhriich aktiviertcs Wissen, nicht zuletzt auf professionelles

Sonderwissen geschehen. AuGerdem ist die theoretische Einstellung

eine Einstellung des prinzipiellen Zweifels an sozialen Selbsrverstand-

lichkeiten - eine Haltung, die uns irn Alltag zur Handlungsunfahig-

keit verdammen wtirde, Methodisch kontrollierres, also intersubjek-

tiv nachvollziehbares und falsifizierbares Versrehen setzt irnmer auch

voraus, dass der Interpret in der Lage isr ,von den eigenen kulturellen

Fraglosigkeiren und dee eigenen historischen Perspektive auch zu ab-

strahieren, class er den historischen Konrext von Dokumenten oderAu&eichnungen zu rekons truier en und die eigenen Deutung in ei-

nern wissenschaftlichen »universe of discourse« zu verorten vermag.

Verstehen und Deuten der Auffassungen und Handlungen anderer

sind die Voraussetzung dafilr, dass wir mit anderen Menschen in

einer gemeinsamen Weir handeln und kommuni'l ieren konnen. Die

Explikation dieser Prozesse isr das Ziel einer interprerativen Sozial-

wissenschaft - auch und gerade dann, wenn sie die mediale Korn-

munikar ion in ihrern Verhaltnis zur unmittelbaren Alltagskommu-

nikation zum Thema har , Das Fernsehen als ein spezifisches System

dec Gewinnung orienrierender Erfahrung und der Erzeugung gesell-

schaf tlichen Wissens und gesellschaf tlicher Orientierungen leistet

einen inregralen Beitrag zur Verfassung heutiger Lebenswelten. Denn

nach den Beobachmngen des ersten Kapirels sind esdie technischen

Kommunikationsmedien , die in der modernen Wel t den Ausbau ei-

ner g em e in sa m en - und unter manchen Aspekren »globalisierten« -

Wel t uberhaupr errnog lichen. Sie s ind Generator en und Transfer-

maroren der geseUschaftlichen Wirklichkeit. Wenn wir den Beitrag

9 : 1 .

erkunden wollen, den das Fernsehen zur Konsrruktion der sozialen

Welt beitragt, mtissen wir die kulturellen Praktiken erkunden, durch

die irn Gebrauch dieses Mediums wirklichkeitsrelevantes Orientie-

rungswissen erzeugt wird.

Hier eroffnet sich ein weiter Bereich von Forschungen. Eine 50-

zialwissenschaftlich fundierte Medien- und Kommunikationswis-

senschaft s te ll t die Frage, wie in den und durch d ie Medien sozia le

Realirat konstruiert und konturier t wird, Mittels welcher sprachli-

chen, f ilmischen, dramaturgischen Mittel werden Ereignisse, Sach-

verhalte dargesrellt und aufbereitet, fiktional und experimentell ima-

giniert? Welche Mitteilungsformen, Konventionen, Garcurigen der

Berich ters ta ttung und Narra tion werden dabei e ingesetzti Wie ha-

ben sich diese historisch entwickelt? Wie kann man sie beschreibenr

Welche inhalrliche Selektion f inder dabei start? Daruber hinaus stel-

len sich d ie Fragen: Wie werden die medialen Angebote genutzt ,

welche Wirklichkeirskonstruktionen werden bei den Rezipienten

in Gang gesetzt? Wie also werden Medienangebote verarbeitet und

angeeignet? Welche Wirklichkeiren produzieren Mediennutzer an-

hand der Medienwirklichkeiten? Kurzurn: Welche Rolle spielen die

Massenmedien irn Alltag der Menschen? Wie tragen sie zur Bildung

und Umbildung der Relevanzen bei, die fur die soziale Wirklichkeit

in einer globalisier ten Welt leitend sind?Gerade was die audiovisuellen Medien betriff t, kann eine Beant-

wortung dieser Fragen nicht ohne eine intensive Berucksichr igung

der technischen Voraussetzungen und formalen Moglichkeiten dec

Gestal tung ihrer Gehalte geschehen. Oenn diese bringen je eigene

Geserze und Konvent ionen hervor, Sie lassen sich nichr un tersu-

chen, wenn man s ich in der For schung rein auf die verbal en lnhal re

oder den dramatischen Plot beschrankt und die Darsrellungsmodi

auBer Acht lasst. Grundsarzlich ist zu beachten, da ss eine bloBe

Abbi ldung der Reali tar durch d ie Medlen nich t rnog lich ist , Dies

betri ff t auch und gerade die Bi lder des Fernsehens . Sie s ind keine

planen Abbilder der Realitat, denn sie sind selbst eine hergestellre

Realitar, in dem Sinn, dass bei der Entstehung eines audiovisuel1en

Produkrs von dec Recherche uber die Aufnahme bis zu Schnitr,

Montage und Vertonung professionelle und technische Standards

eine konstitutive Rolle spielen. Die Frage nach der »Wirkikhkeir des

Fernsehens« kann dernentsprechend nicht einfach lauten, wie es in

der Kommunikationswissenschaft haufig geschieht, ob das Bild der

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Welt, das die Medien liefem, ein r ichtiges oder verzerr tes Abbild ge-

sdlschafdicher Wirkliehkeit sei. Sie muss vielrnehr lauren: Welches

s ind d ie Kri terien , Mechanis rnen und Konvent ionen, die die Kon-

struktion von Realitat in den jeweiligen Medien bestimrneni Welche

unrerschiedlichen Arren des fiktiven und faktischen Wirkliehkeitsbe-

zugs spielen in der unterschiedliehen RhetoJ. ik und Asthetik der frag-

lichen Sendungen und Formate eine Rolle?l[)ieses Wze der »medialen

Konstrukrion von Wirkliehkeit« im Detail zu beschreiben und dabeiMethoden einzuserzen, die der Vielschichtigkeit der dabei ablaufen-

den akusr ischen und piktoralen Prozesse gerecht werden - dies ist das

Ziel der hier vorgeschlagenen Methode der Fernsehanalyse. ~

Inwiefern aber handc:lt essich bei der interpretativen AnaYysevon

Sendungen des Fernsehens urn eine Form des »Versrehens von Ver-

stehen«, wie sie da s Leitmotiv einer qualitariven empirischen Sozial-

und Kulturforschung bildet? Inwiefern konnen diese Untersuchun-

gen an da s Versrandn is anknupfen, das die Handelnden in ihrem

Alltagsleben leitet, wie es von Alfred Schutz programmatisch gefor-

den wurde? Diese Frage stel lr sieh mi t g roger Dringlichkeir, da d ie

enrsprechenden Sendeformen und ihre einzelnen Realisierungen

nicht e in fach als Mani festat ionen eines »sub jekriven Sinns« der

jeweil igen Kommunikatoren aufgefass t werden konnen. Ein Fi lm

oder eine Sendung im Fernsehen bedeutet niehr einfach das, was die

Produzen ten »darni t gemeinr« haben - einmal ganz abgesehen da-

von, dass es s ich bei den »Machern« urn ein Kollek tivsubjekr han-

delr, dessen vielfach interferierende Intentionen gar nicht auf eine

identif izierbare individuelle Absicht zuruckgerechner werden kon-

nen. Wie bei dem kommunikat iven Format des Grl igens - oder an-

deren Gattungen der mUndlichen Kornmunikation - verhalt essich

vielmehr auch hier so, dass den etablierten Formaten einerseits eine

Eigenbede:utung zukommt, die in der Tradition des herstellenden

und wahrnehmenden Umgangs mit diesen Formen entstanden ist

und d ie von denen, die herstel lend oder wahrnehrnend mit Ihnen zu

tun haben, nicht beliebig variiert werde:n kann. Andererseirs kommt

den Kommunikationsangeboten des Fernsehens im VergIeich mi t

denen der rnundlichen Kommunikation insofern eine weir grogereSelbstandigkeit zu, als es sich hier urn abgeschlossene audiovisuelle

Produkte handelt , an deren Verlauf wahrend der Wahrnehmung am

8 NUT wenn dieses Ziel erreichr wird, lasst sich sinnvoll nach der rnanipulariven

Macht desFernsehens fragen; v g I . hierzu die Schlussberrachrung,

94

Bildsehi rm niehts geanden werden kann.? Wie aber, urn es zu wie-

derholen, ist dann das prirnare Verstehen zu verstehen, das die inter-

pretative Fernsehanalyse ihrerseits verstehen will?

Die Antwort i st e inf aeh. Der Gehalt rnedialer Produkre besteht

aus den in ihnen angelegten Mog li ch k ei te n d e s V er st eh e ns . Viele dieser

Moglkhkeiten sind den Zuschauern sovert raut , dass sie ihnen ga r

nicht e igens bewusst werden, Man denke nur an die Zeiehen auf der

Wetterkar te und die Bewegungen, die:Ansager und Ansagerinnenvor dieser vollfilhren, In der naturlichen Einstellung der Alltagswelt

verstehen wir das Gezc:igte:und Gesagte, weil der Wetterber icht ein

langsc vertrautes Format des Fernsehens ist, Als Zuschauer versrehen

wir uns auf diese Sendungen, so wie wir uns auf Konvent ionen des

GriiBens, Klatsehens oder Geschichtenerzahlens verstehen, Wir wis"

sen, wie die Sendung gegl iedert i st , worauf es in ihr ankommt und

w as wir von ihr zu erwarten haben. Diese Versrandnisse sind der

Sendung durch ihren bildlichen und akustischen Aufbau inkorpo-

r iert . S ie best immen auf diese Weise das Vers tehen, das wir ihnen

entgegenbringen. Die durch die mediale Inszenierung der Informa-

tion uber das Wetter der kommenden Tage quasi mitgelieferte

Anleitung, wie die Information zu versrehen ist, Iasse sich nun unter

besonderer Beaehtung der Bildregie, der Wahl der Symbole , der

Farbgebung, der Gest ik der Ansagerinnen usw. analys ieren. Auf

diese Weise wird das primare (allragsweldiche) Verstehen for tge:-

fuhrt zu einern methodisch-wissenschaftlichen Versrehen: zu einer

ausfilhrlichen Explikarion der Moglichkeite:n des Verstehens, das

die Sendung entwirf t und enthalt . Bei komplexeren Sendungen wie

einer ganzen Nachriehten- oder Magazinsendung, einer Talkshow

oder eines Spielfilms verlangt dies eine sehr vie! aufwendigere Inter-

p re ta tion, aber das Prinzip ist dassel be . Das mediale Produkr, wie

irnrner esgestaltet sei, stellt eine Objektivation manifester und laten-

ter Sinnmoglichkeiren dar , die in ihrer Wahrnehmung erfasst oder

nieht erfasst, gesucht oder gemieden, gescharzc oder verworfen wer-

den konnen. Diese Moglichkeiten des Verstehens liegen in de:rGe-

staltung der Produkte selbst, Durch ihre Ganungszugehorigkeit und

Gattungsbezogertheit gewinnen sie ihre Signifikanz niemals in ei-nem neurra len Feld , sondern inmi tten von ahn lichen bis a lternati -

yen Komrnunikar ionsmoglichkeiten, wie sie in der medial en Praxis

9 Vgl. hierzudie vorbereirenden Bernerkungen in Kap, 2.6.

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gangig sind. 1m Blick auf die Produkte des Fernsehens bedeutet

»Verstehen des Vers tehens« sorn it : das kommunikative Potential zu

analysieren, das in der gesamten audiovisuellen Yerfassung dieser

Produkre zu einer bestimmten Zeit angelegt isr .'?

3.2 Kri ti scher Kommen ta r zu e inigen Merhoden

Dieses kommunikative Potential liegt wesenclich darin, class in der

Prasentarion der medialen Bilder Sichtweisen, Normen, Werte und

Wissen affendich verrnit telr werden, wodurch da s Medium Fernse-

hen einen wich tigen Bei trag zum Aufbau einer gemeinsamen Wel t

dec Zuschauer le isre r . Diesen Konstitutionsprozess sozialer Wirklich-

keit zu dokumen ti e ren , analy ti sch zu rekonsrruieren und schlieBlich

durch das verstehende Nachvol lz iehen zu erklar en ist das zen tra le

Anliegen einer qualirativen Sozial- und Kommunikationsforschung.

Eine auf die Yerfassung der rnedialen Produkte konzentrierre Unter-

suchungsweise, wie sie in diesem Buch durchgefuhrr wird, konzen-

t riert sich auf die Schni tt stel len der Kommunikation i rn Medium

des Fernsehens : auf d ie Orien tierungen, die in der Prasentat ions-

form ihrer Produkte angelegt sind.Ein Hauptbeitrag der qualitativen Sozialforschung fur die Unter-

suchung der durch techn ische Medlen verrn it te lten Kommunika-

tionsprozesse liegt in ihrer expliziten Ausforrnulierung von Metho-

dologien, die den Forschungsprozess als ein sequentielies Gesche-

hen, also als eine Abfolge von aufeinander bezogenen prozeduralen

Schritten begreif t, die eine intersubjektive Oberprufung der erreich-

ten Ergebnisse moglich macht. Urn den Rahmen deutlich hervorzu-

heben, in dem eine detaill ierte und merhodisch kontrollier te Inter-

pretation des audiovisuellen Gehalts von Produkten des Fernsehens

stehr , werde ich irn Folgenden einige ausgewahlte methodische An-

satze komment ieren. Da d ie gesuchre Yerbindung - ein eindeut ig

und weir reichend interpretatives Yerfahren bei gleichzeiriger starker

Kont rol Iierbarkei r der erz ie lten Resul tare - eher sel ten ist , i st d ie

Auswahl der in Frage kommenden Methoden uberschaubar, Mein

I a D er Z us arz "ZU e in er b es ti m rn te n Z ei c« i st n od g, w e il sich die Bedeutung media le r

Produkre m it der Zeit ihrer Aussrrahlung fast zwangsllufig andere: weil die betref-

f enden Forma te zu e iner spa te ren Zeit irn Kontext anderer media ler Kommunika-

tionsformen stehen,

Kommentar ist deshalb zu verstehen als ein Hinweis aufYerfahrens-

weisen, diemehr oder weniger hilfreiche Mittel zur Yerfugung stel-

len, jedoch zu einer wirklich angemessenen Methode erst noch aus-

geformt oder doch austarier t werden mussen,

Erste Yersuche einer wissenschafclichen Filmanalyse gibt esschon

in der Pruhphase des Kinos - zu erinnern ware etwa an die Gedanken

z u e in er A s th et ik d e sK in o s von Georg Lukacs von 191} oder an das

Buch von Hugo Munsrerberg T h e F i lm . A P s yc h o lo g ic a lS t ud y ~us

dem Jahr 1916,11 ganz zu schweigen von den in den zoer-jah ren em-

setzenden Bemiihungen von Autoren wie Bela Balazs, Siegfried Kra-

cauer , Rudolf Arnheim und Serge) Eisenstein.F Es ist daher zurnin-

dest einseitig, wenn Werner Faulstich in seiner kleinen Geschichte

der Filmanalyse in Deutschland 13 den Beginn der wissenschafclichen

Analyse hierzulande auf das [ahr 1964 d ar ie n - das des Erscheinens

einer merhod ischen Studie von Gerd Albrecht ." In seiner Einfuh-

rung in die Film- und Fernsehanalyse unte rscheidet Knut Hicke- .

thier zwischen einer »empirisch-sozialwissenschaftlichen Methode«

der Filmanalyse auf der einen und »hermeneut ischen Interp reta-

tionsverfahren- auf der anderen Seire." Als Leitbild der sozialwis-

senschaftlichen Methode dient dabe i die von Gerd Albrecht in

Deutschland popular gemachte quantitative Inhaltsanalyse, als Lelt-

bild des hermeneurischen Yerfahrens die jeder Quantifizierung (und

oft jeder methodischen Fixier~ng) ~bholde lit~raturwis~e.?s~ha~-

liche Interpretation, die, so Hickethier, wegen ihrer Freizugigkeit

haufig dem Yerdacht der Unwissenschafdichkeit au~ges.etzt sei. ~ie-

sen und anderen schematischen Aufteilungen soli hier jedoch nicht

gefolgt werden, da mi t ihnen jene disz ipl in~n un~ ve:Fahrens~a-

Bigen Trennungen festgeschrieben werden, die es fur erne sachlich

angemessene Fernsehanalyse gerade aufzuheb~n gilt. Irn ~er~ich der

sozialwissenschaftlichen Medienforschung wte der qualitariven So-

ziologie insgesamt sind seit vielen Jahren verschiedene Forschungs-

traditionen erabliert, die ausgehend z, B. von der ethnornerhodolo-

gischen Konversationsanalyse oder der Meth?de d:r so~alw~ssen-

schaftlichen Hermeneutik sowohl hermeneutisch wie sozialwissen-

I I Lukac s (1985); Miins te rberg (1970).

12 Eisenstein (1975). Balazs (zoorb), Kracauer (1973), Arnheim (1932).

13 Faulstich (1988).

14 Albrecht (1964).

15 H i c ke t h ie r (1996), S. 31ff.

97

 

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schaft lich und inrerprera tiv arbeiten , ohne dabei das Prinzip der

Konrrollierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen auGer Achr zu lassen.

Dass hier eine differenziertere Betrachrung angebracht ist , lasst

sich gut am Beispiel del"quantitativen »Inhalrsanalyse« zeigen, die

schon fruh fur die systematische Untersuchung von Medieninhalten

vorgeschlagen wurde. »Inhaltsanalyse«, so lautet eine klassische De-

f inition von Bernard Berelson, »ist eine Forschungstechnik zur ob-

jekriven sysremarischen und quantitativen Beschreibung des mani-

festen Inhalts von Kommunikation«." Bei der quantirar iven Inhalts-

analyse geht es vor a1lem darum, durch eine exakte operationelle

Beschreibung des Vorgehens sowie durch Techniken der Quant i-

f izierung die Textanalyse intersubjektiv iiberpr iHbar zu machen.

Grundlage a1lerquantitativen Inhaltsanalysen isr die Ermittlung von

Haufigkeiten bestimmter Aussagenelemente innerhalb von Texten

oder Textsammlungen - wobei die Produkte von Film und Fernsehen

hier (wie auch in der semiotischen Porschungstradition) ebenfalls als

»Texte«klassifiziert werden. Dern schon erwahnren Filmwissenschaft-

ler Geed Albrecht ging es auf dieser Basis um die Entwicklung eines

soziologischen Ansatzes, den er den bereits vorhandenen psychologi-schen, literaturwissenschaftlichen, ideologiekritischen, psychoanaly-

tischen oder auch formal-funkrionaliscischen Zugangen gegenuber-

s te llen woll te . Ihm kam esvor allem auf die Entwicklung eines Zu-

gangs an, der eine Uberf iihrung des »fliichtigen« Filmerlebnisses in

messbare und nachvollziehbare Kategorisierungen erlauben sollre.

Er re ih te s ich dami t in die Tradi tion der quant if iz ierenden inhalt s-

analytischen Verfahren ein, die auf Medienprodukte angewendet

wutden und werden. Im.wischen haben si.chhier verscaiedene Prak-

tlken heraus'f,ebi.\det. Al\en inhaltsanalytischen Verfahren 'f,emein-

sam ist die Eimeilung des Mater ials in quanrif izierbare Einheiten;

je nachdem werden dann Hauf igkeiten gemessen. Argumente pro

oder contra ausgezahlr, es wird die Starke einzelner Argumente g e - -

messen oder eswerden d ie Korre la tionen einzelner Elemente oder

Kategorien zu anderen Elementen des Materials unrersucht . In der

heutigen Forschungspraxis wird die Inhaltanalyse def iniert als »Me-

thode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von den Merkrna-

len eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten

Kontexres geschlassen wird«.'7 So glaubt man von dem jeweiligen

16 Berelson (1952), S. 18.

17 Mert en ( 1983 ), S . 60 .

Inhalt auf d . a s sozia le Umfeld oder d ie dargestel lre Real itat ruck-

schliefsen zu konnen, Medieninhalre, so die Annahme, spiegeln die

zu einem besrimmten Zeitpunkt in einer Gesellschaft vorherrschen-

den Wertstrukruren, Norrnen und Ideologien wider ; die Inhaltsana-

lyse soil somit als ein Indikator fur gesellschaf tliche oder kulturelle

Zustande der Vergangenhc:it oder Gegenwart dienen.

Die qualitative Medien- und Kommunikationsforschung hat sich

wesenrl ich aus einer Kri tik an den. Verfahren der quant itat iven In-

haltsanalyse heraus enrwlckelt, Der Vorschlag, ihr eine »qualitative«

Inhaltsanalyse entgegenzustdlen, ist eng mit dem Namen Siegfried

Kracauer verbunden, In einem in den 50er-Jahren des vorigen Jahr-

hunderts inden USA publizier ten Aufsatz pladier te Kracauer fUrden

Einsatz qualitariver, d. h. hermeneutischer und geisteswissenschaftli-

cher Merhoden in dec sich damals etablierenden Kornmunikations-

forschung ." Er zeigt bereit s e inige dec zent ra len Probleme auf , die

bis heute die Diskussion um die qualitative Inhaltsanalyse bestirn-

men. Kracauers Uberlegung setzt ein mit einer Kritik an der in

Berelsons Studie ContentAnalysisin Communication Researchvertre-

tenen Pos it ion, dass quant itat ive Stra tegien bei dec Analyse vonMedien-Botschaf ten die Objektivitar und Zuverlassigkeit der em-

pir ischen Forschungen garanrierreu. Quantitative Studien, so Kra-

cauer , sollten hochstens als Erganzungen zu qualitativen Analysen

dienen. Die Inadaquathei t quant if iz ierender Textanalyse l iege in

erster Linie darin begrunder, dass die Zerlegung eines Textes in

quantifizierbare Einheiten (Wane, Ausdriicke, Stellungnahmen etc.)

mi t e iner Zerstorung der Bedeurungen des zu analys ierenden Ob-

jekts einhergehe. Die »aromisrische Erfassung« isolierter Daten lasse

di9 Erkennmis ihrer Interrelarionen nicht zu, Diese aber sei im Hin-

blick auf die Ausrichrung des Gesamttextes entscheidend. Dieser

T1t wird in der Inhalt sanalyse, so das Hauptargument Kracauers ,

niqhr langer als ein »meaningful whole«, als ein bedeutungsrragen-

dd Ganzes , bet rachtet . Kracauer schreibt : »Die Dokumente, d ie

iib~r eine bloEe Anhaufung von Fakten hinausgehen, haben teil am

Lebensprozefi, undin jedem Wort schwingen die Intentionen nach,

aus denen sie herruhren, und kundigen sich zugleich die unbegrenz-

ten Wirkungen an, die sie nach sich ziehen konnen«." In diesem

Sirin seien Medienproduk te nicht a ls in s ich abgeschlossene und

,8 Kracauer (1990).

19 E bd ., S . 350-

 

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daher in Einzelreile zer legbare Objekre mit eindeutig festgelegten

Bedeutungen zu betrachten, sondern vielmehr als Felder von Bedeu-

tungen, in denen die Intenrionen der Produzenten und deren An.

nahmen uber mogl iche Witkungen bei den Rezipienten mi te inan-

der verwoben seien. Die Aufgabe des Analytikers bestehe dar in, die

ganze Bandbreite der rnogl ichen Bedeutungen, n icht zuletzr auch

der latenten Bedeutungen eines Textes herauszuarbeiten, N ur soseien

Medienrexre als historisch besrimrnte Dokumenre gesellschaftlichen

Lebens, denen immer auch det Zcitgeist einer bestimmten geschichr-

lichen Periode innewohnr, angemessen zu analysieren,

Eine systematische Ausfuhrung und methodische Urnserzung die-

ser weir reichenden Argumenre jedoch findet sich bei Kracauer nicht.

Seine eigenen Studien zum Film und ZUI Popularlireratur basieren auf

traditionellen geistes- bzw, literaturwissenschafrlichen Verfahren dec

Texcaus legung , d ie er auf mediate Produkte anwendet. Innerhalb

der Sozialwissenschaften lebre die Diskussion urn die Inhaltsanalyse

Mitre der zoer- Iahre des 20, Jahrhunderrs wieder auf . Eine der pro·

rninentesten Varianten, die in vc:rschiedenen neueren Lehrbilchern

zur qualirativen Sozialforschung eine besondere Berlicksichtigung

finder, ist der Vorschlag einer »qualirariven Inhaltsanalyse« von Phil-

lip Mayring, Das Verfahren grenzt sich deutlich von Formen herrne-

nc:utischer Interprerationen ab, Die qualitative Inhaltsanalyse nach

Mayring versteht sich als theoriegeleirete und systematische Merho-

de. Mayring selbst unterscheider zwischen mehreren Vorgehenswei-

sen; a llen gemeinsam ist jedoch, dass so genann te »unwichr ige«

Datentei le gest richen werden und dass die Originaldaten fruh auf

ein hoheres Abstraktionsniveau umforrnulierr werden, 20

Ein grundsarzliches Problem besteh t hier zunachst darin , dass

dieser Ansatz speziell fUr die Analyse offener Interviews enrwickelr

wurde, so dass eine Ubert ragung der Methode auf audiovisuelles

Material eigens gepruft werden musste, Aber auch wenn sich die

quali ta tive Inhalt sanalyse nach Mayring von der quant itat iven da-

durch unterscheidet, dass s ie neben den mani festen auch d ie laten-

ten Sinnsrrukcuren eines Textes erfassen will, so geht man hier dochwie bei der quantitar iven Inhaltsanalyse in erster Linie reduktionis-

tisch vat, »Unwichtige« Datenteile werden gesrr ichen, eswird in der

Analyse nur das bert icks ichcigc, was von vornherein als wicht ig

100

erscheint. Auditive und visuelle Eiernenre, die -fur Medlen-texre«

von zent ra ler Bedeutung s ind , werden bei der fur a ileVarianten der

Inhaltsanalyse rypischen Konzentration auf die rexrformigen Inhalte

bestenfal ls am Rande berucks icht igr . Ein zent ra les Manko haben

sie daher im Hinblick auf nicht schriftsprachlich verfasste auditive

oder audiovisuelle Medienprodukre: die Spezifik dieser Kommuni-

kationsformen kann hier nicht adaquar berucksichtigt werden."

Die Analyse latenter Bedeutungssrrukruren von Texten steht im

Mitre lpunkr einer von Ulrich Oevermann entwickelten Variance

hermeneutischer Sozialforschung, die von ihm auch auf die Analyse

des Fernsehens angewandt wurde. Diese »objektive Herrneneutik«,

die sich aus der Unzufriedenheit mit den beschriebenen Schwiichen

der quantitativen Inhalrsanalyse sowie aus einer Kritik an dem allzu

freihandigen, irn Grunde methodenfeindlichen Verfahren der litera-

turwissenschaft lichen Hermeneur ik entwickelt hat, wahl t im Ver-

g1eich zu Mayring den umgekehnen Weg. Wo bei Mayrings Me-

thode der quali ta tiven Auswertung von Interv iews am Anfang das

Streichen von Textteilen steht, sosteht bei der Methode der objekti-

ven Hermeneut ik das. »Dazuerfinden« am Beginn.F 1m Rahmen

einer mehrschrittigen Sequenzanalyse werden Deutungsrnoglich-

keiten so lange variier t, bis ein voiles Versrandnis der Komplexitat

der betrachteten Kommunikationsausschnitte erreicht ist , Die fUr

die objektive Herrneneutik zentrale extensive Auslegung einzelner

AuBerungssequenzen hat zurn Ziel, die Strukturen und Srrukturie-

rungsgesetzlichkeiten zu bestimrnen, die den Einzdfall hervorbrin-

gen und sich in der Produktion weiterer Sequenzen auch immer wie-

dec reproduzieren. Eine giiltig rekonstruierte Strukrurierungsgesetz-

lichkeit,so wird aogenommen, ist in fordaufender Selbsrreproduk-

t ion bestandig wirksam. Deshalb kann schon ein sehr kleiner, rn i-

krologischer Datenausschnitt, wenn er nur eine sequenzanalytische

Untersuchung erlaubt , den Zusammenhang des Ganzen , a lso die

Struk tur eines Komrnunikarionsverhaltnisses und des s ich in ihm

manifesrierenden sozialen Zusammenhangs freilegen, Bei einer Ana-

21 Auf dieses Manko haben in den 6oer-Jahren deslerzten jahrhunderrs bereirs die

S o zi ol o ge n d e . C h ic ag o S c ho o l h i ng e w ie s en . H e rb e rt Blumer b e i sp i e lswe i se we i s r

in seinem Aufs3n 'zu den Grundlagen der Medienwirkungsforschung auf die zen-

trale Bedeutung visue ll er Kornponenten fur d i e A u fn a hm e v o n M e di en in h al te n

h in : B l um e r (1969).

22 Oeverrnann et al,(l979),

 

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lyse der l at en ten Sinnst rukturen der Programmansagen des deut-

s chen Fernsehens kam Oevermann auf diesem Weg zu dem Ergeb-

nis , dass die Fernsehkornmunikation generel l durch eine Entmundi-

gung der Zuschauer gekennzeichnet sei . Beispielsweise werde bel der

BegrliBung des Pub likums vor oder in einer Sendung so getan, als

gebe escine normale Gesprachssi tuat ion, die durch die Einseit igkeit

der Kommunika tion aber gerade nicht gegeben se i.23 Dies geschehe

sowohl dutch die Rahmung der Interakrion, d ie durch e ine Zersto-r ung der Reziprozitat gekennzeichnet sei, als auch dadu rch , dass

eine sachbestirnmte Beschaftigung mit der Reali tat durch die Selbst-

inszenie rung des Fernsehens verhinder t werde, d ie a ll es und jedes

Thema beherrsche, Die entmund igende und cntwurdigende Sub-

sumtion unter die Selbstinszenierungs-Gesetzl ichkeit des Fernse-

hens f inde in immer wiederkehrenden Episoden - wie z: B. den An-

sagen - ihren deutl ichen Ausdruck.

Problematisch ist dabei weniger, classdie direkte miindliche Kom-

munikat ion hier den Vergleichsmafls tab fli r die mediale Kommuni-

kat ion abgibt, sondern vor allem, dass die spezifischen technischen

und sozialen Bedingungen rnediale r Kommunikation gar nicht a ls

dieser Komrnunikat ion eigene - und somit nicht autornatisch defizi-

tare - berucksicht igt werden. Sowird an keiner Stelle reflekrierr, class

es f ilmi sche Bewegungsbilde r s ind, mit denen der Zuschauer kon-

frontiert isr , und eben nicht reale Personen, die ihren Adressaten das

Recht auf Anrworten , Ruckf ragen e tc. verwe igern. Die pauscha le

Entf remdungsdiagnose , d ie Oevermann hie r im Fahrwasse r Ador-

nos entwickel t, i sr datum auch nur plaus ibel, wenn man annirnmr,

dass heutige Zuschauer nicht wissen, aufwelche mediale Kommuni-

kat ionsform sie s ich mit dem Einschalten ihres Tv-Gerats eingelas-

sen haben - was eine unnotig riskante Annahme sein dilrfte.

Weniger die Selbstinszenierungen des Mediums als vielmehr die-

jenigen der Kandidaten des perforrnativen Realitatsfernsehens" ste-

hen im Mittelpunkt des von )0 Reicher rz unternommenen Ver-

suchs, die in Anlehnung an die objekrive Hermeneutik enrwickelte

»sozialwissenschafrliche« (oder auch »wissenssoziologische«) Her-

meneutik fli r die Analyse medial verrnitrelrer Komrnunikat ion nutz-bar zu rnachen.P Der Methode der »wissenssoziologischen Herrne-

13Oevermann (1983).

24 Siehe hierzu Keppler (1994b).

25 Reicherra (2000).

102

neurik« geht es nach seinen Worten »bei der Analyse audiovisuel len

Mate ria ls urn die Auff indung der objektiven Bedeutung der Kame-

rahandlungplus der durch s ie e ingefangenen Handlung vor der Ka-

mera und nicht allein um die Rekonstruktion der Bedeutung des

gefilmten Geschehens.e'" Methodisch halt Reichertz s ich an die Se-

quenzanalyse als Grundoperat ion hermeneutischer Datenauswer-

tung, gam; im Sinne dessen, was berei ts Oevermann forrnulierr hat .

Der Besonderhei t des audiovisuel len Materials sol l auf der Ebene derTranskriprion, also dec schriftsprachlichen Fixierung, zwar Rech-

nung getragen werden, indem man der Transkriprion des gesproche-

nen oder gesungenen Teils eine »codierte Beschreibung der Kamera-

handlung beifUgt«.27Jedoch erfolgt die Interpretat ion und Analyse

auch hier vor aHem anhand des transkribierten spracblicben Textes,

visuelle Komponenren werden bestenfalls am Rande beriicksichcigr.

Die komplexen Interaktions- und Kommunika tionsst rukturen der

verba len und non-verba len Sprachhandlungen der Akteure und vor

allem die Spezifirat der Kommunikation durch bewegte Bilder wer-

den hier eben falls nicht angernessen berucksichrigr.

FUr die Besonderhei t ins ti rutional is ierrer Formen des Sprechens

im Fernsehen interes si eren si ch auch Forscher in der Tradi tion der

in den 6oer -Jahren des vergangenen Jahrhundercs vorwiegend in

der US A mid spater auch in GroBbri tannien entwickelten ethnome-

rhodologischen Konversat ionsanalyse. Ausgangspunkt fur konver-

sationsanalytische Forschungen im Bereich der Produktforschung

war in ersrer Lin ie e in kompara tives Interesse. Die S trukturen und

Praktiken, wie sie der Organisation von wechselseitiger unmitrelba-

rer Face-ro-Face-Kommunikarion zugrunde liegen, werden als eine

grundlegende kollekt ive Matrix angesehen, durch die soziale Inter-

akt ionen in ihrern Vollzug von den Betei ligten gesteuert werden. Sie

bilden den Hinte rgrund, vor dern esgi lt , d ie Spezi fika von ins ti tu-

t iona li si er ten Formen des Sprechens herauszua rbei ten, d ie kenn-

zeichnend fur je besondere Organisa tionen wie zum Beispiel das

Fernsehen sind. Auch und geracle in der Beschaftigung mit den Kom-

munikat ionsformen des Fernsehens geht eshierbei darurn, ZI1 unter-

suchen, wie sich die Konstitut ion dec sozialen Wirklichkeit im sozia-len Handeln vollzieht." Die dabei leitende Grundannahme 1 S t , dass

2 6 E bd ., S . 4 7 .

2 7 E bd ., S . 4 7.

28 Vgl . Garfinkel (1967).

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mithi lfe einer genauen und deraill ierr en Analyse der Kommuni-

kationssrrukruren der Medienprodukre auch Aufschluss tiber mas-

senmediale Produktions- und Rezeptionsprozesse erhalten werden

kann, ohne dass dabei die direkte mundliche Kommunikation -

wie esbei Oevermann geschiehr - zu einem tibergreifenden normati-

ue n MaJ5stab erhoben werden musste. So haben Forscher gezeigt,

dass Nachrichteninterviews in Crolsbr itannien ganz besondere For-

men des Redezugwechsels aufweisen, durch d ie s ie s ich nich t nur

von einem Informationsgesprach in einer a ll ragl ichen Situation in

signifikanter Weise unrerscheiden, sondern durch die die:von Jour-

nalisten verlangte Neutralitar ihrer Berichterstattung formal erzeugt

wird. " Diese Analysen konnen zeigen, wie spezifi sche Formen der

offintiichen Kommunikasion funkt ion ieren. Zusamrnen mit e iner

Aufk la rung de r Differenz zu alItaglichen Informationsgesprachen

ergibr sich hier zugleich ein Einblick in die Prozeduren, mit de-

nen der mediale Nimbus eines Sendeformats hervorgebracht wird -

etwa durch die kornmunikativen Str ategien, durch die sich In ter-

viewer oder Nachrichtenreporter als Inhaber eines »neutralen« Stand-

punkts prasentieren, Allerdings bleibt auch hier bislang die Rolle der

v isuel len Prasentat ion - und mit ihr die non-verbale Seir e der Kom-

munikarion - ausgeblender, obwohl sich die Konversationsanalyseg ru nd sa tz li ch a ls ein Programm der Untersuchung verbaler wi e non-

verbaler Kommunikation versreht,

An dieser Stelle ist der erganzende Einsatz bildanalytischer Metho-

den dringend notwendig. Eine sozialwissenschafrliche Filmanalyse

sollte starker als bisher cine Derailanalyse der verbalen und non-ver-

halen Elemente sowie der bildsprachlichen Mittel mit einschlieflen.

E s gilt, die Konzentration auf den sprachlichen Kan a l zu uberwin-

den und die entscheidende Rolle, die den Bildern im Rahmen des 61-

mischen Diskurses zukommt, ernsthaft in die Analyse einzubezie-

hen. Sowohl hinsichdich des sprachlichen als auch des visuellen Dis-

kurses benorigen wir daher Verfahren, die uns in die Lage versetzen,

die spezifische kommunikative Eigenart dieser Produkre zu erfassen,

urn niche allein manifeste, sondern auch latente Bedeurungssrruk-

turen auf eine methodisch transparente Art und Weise analysieren

zu konnen. Wie s ich semio ti sche Ansatze einer Untersuchung der

»Filmsprache« und konversationsanalytische Verfahren der Sprach-

analyse fur eine der Komplexirdr des Cegenstandes angemessene

Fernsehanalyse nu tzbar machen lassen, so il das im Foigenden dar-

gestellte Verfahren der Untersuchung audiovisueller Bildprozesse

deutlich werden lassen.

Zuvor aber sci sicherheit shalber vor fa lschen Erwartungen ge-

warnt . E ine quali ta tive Methode der Film- und Fernsehanalyse ist

kein Algorithmus, de r nur noch auf verschiedene »Fslle« angewen-

der werden musste. Qualitative Methoden haben ihren Sinn in einer

konrrollier ten und kontrollierbaren Lenkung der interpretativen

Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Gegenstand oder Gegenstands-

bereich. Sie legen Schritte fest, die bei de r Interpretation vollzogen

werden, und heben Dimensionen des Gegenstands hervor, die in

ihrem Verlaufbeachtet werden mussen, Sie konnen den Prozess des

Interpretierens - das Enrwerfen und Verwerfen, Besrarigen und Dif-

ferenzieren von Deucungshypothesen - selbst nicht ersetzen; aber sie

konnen s ichem, dass es sich h ierbei urn ein nachvo llziehbares, am

Gegenstand belegbares Interpretieren handelt. Eine solche Methode

legt kein schemati sches Vorgehen fest , sondern bietet e inen Stan-dard an, durch den best immt wird, welche Kriterien eine angemes-

sene Deutung von Sendungen des Femsehens zu erf ii llen hat. In die-

sem Sinn wi ll die hier vorgeschlagene Methode lediglich sichersrel-

len, dass die Deutung medialer Produkre der tatsachlichen medialen

Verfassung dieser Gegensrande gerecht wird. Wer die Methode be-

achter hac, so der Leitgedanke, hat dem Gegenstand auf cine t iber-

prufbare Weise Beachrung geschenkt,

3.3 Das Filmprotokoll

29 Insbesondere John Heritage und David Greatbatc.h (vgl. Heritage/Clayman/Zim-

merman (1988)und Grearbatch (1998)) haben mil Mitteln derKonversationsana-

lyse Nachrichteninrerviews irnHorfunk und im Fernsehen unrersuchr, Pur den

Bereich derMassenmedien sind aui!erdem dieArbeiten vonAtkinson (1984)und

AyaE (1997) zu nennen.

Eine wichtige Basis des hier vorgeschlagenen Verfahrens ist die Her-

steHung von Filrntranskripten. Transkripte des audiovisuellen Ge-

schehens in Form von Einsrellungsprorokollen garantieren eine in-

rersubjektive Nachvollziehbarkeit nicht nur der Ergebnisse der Ana-

lyse, sietragen auEerdem Wichtiges fUr die differenzierte Explika-

t ion des Gehalt s fi lmischer Bilder bei. Der von Thomas Kuchen-

buch 1978 vorgelegre Entwurf e iner Methode der Fi lmanalyse mi t

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Hilfe deraillierrer Transkripte wurde in der Forschung kaum aufge-

griffen.JOEr stellte einen Ankntipfungspunkt fur meinen eigenen

filmanalytischen Ansatz dar, in dern allerdings das semiotische Para-

digma zugunsten einer wissenssoziologischen Fragesrellung verlas-

senwurde." Der wesentliche Sinn von Filmtranskripten liegtdarin,

den hermeneutisch-interpretativen Zugang zurn Gegenstand mit

einem methodisch kontrollierten Vorgehenzu verbinden. Hier triffi

sich die von mir vorgeschlagene Methode mit den Vorschlagender

ethnornethodologischen Konversationsanalyse. Die im Rahmen der

Konversationsanalyse enrwickelten Transkriptions- undAnalyseme-

thoden bieren sowohl im Hinblick auf die Darenaufbereitung als

auch auf dieDareninterpreration wichtigeImpulse fur die Interpre-

tation bildsprachlicher Zusammenhange, 1mHinblick auf das Ver-

fahren der Transkription verbaler und non-verbaler Kommunika-

tionsvorgange, bel dem auf der einen Seite die Derailliertheit des

Materials adaquat wiedergegeben werden muss, auf der anderen

Seite clasTranskript abet auch »lesbar- bleiben soli, sind die in die-

sem Kontext enrwickelten Transkriptionskonvenrionen eine un-

schatzbare Hilfe.J2Irn Unterschied zu anderen Autoren, die sich zu

einer herrneneutischen Filmanalyse bekennen, aber ohne eine Ver-

schriftlichung des audiovisuellen Materials in Form von Filrnproto-

kollen auskommen wollen, da ihrer Meinung nach moderne Auf-zeichnungstechniken wieVideo oder DVDdieseunnotig machen.P

halte ich eine Speicherungstechnik, die die Fltichrigkeir des Mate-

rialsfur Analysezweckeauthebt, fur auBersthilfreich. Denn auch beider Fixierung auf Video bleibt die dutch dieMarerialitat des Films

bedingre Fltichtigkeit des Untersuchungsgegenstands erhalten. Mit

dieser muss anaryhsch gebrochen werden, urn ihr interpreuai» ge-

recht werden zu konnen. Eine dem jeweiligenUntersuchungsgegen-

stand angepasste schriftsprachliche Transkription desaudiovisuellen

30 Kuchenbuch (1978). In der E i n_ f oh r un g i n d ie F i lm - u nd F em s ehwu se ns c ha ft Von

Niels Borstnar, Eckhard Pabst uno Hans J urgen Wulff (Borsmar/PabslfWulff

2002) allerdings nnoel sichein expliziter VerweisaufKuchenbuch.

J 1 Keppler (1985).

J2 Wahrend lchmich infruheren Arbeiren vorwiegend aufdasvon GailJefferson ent-

wickelte Tianskriptionsverfahren gestulZ t habe, stlltzt sichdie hiervorgeschlageneTranskripdon verbaler Kommunikationsvorgange im Wesentlichen auf das von

Margarete Selling er al, entwickelre Cesprachsanalyrische Transkriptionssystem

(GAT). VgI. Selting et al.(1998).

33 Stellvertrerend: Reicherrz (2000), S. 47.

I06

.Materials rragt daher sowohl zur Genauigkeit der Analysenalsauch

zur Transparenz ihrer Darstellung bei, Auch wenn eineVerschriftli-

chung audiovisudlen Materials nicht mehr a 1 s ein Protokoll dar-

stellt, also weder eine Reprasentarion und erst recht keine Deutung

des filmischen Materials beinhaltet, so stellr siedoch einen Untersu-

chungsschritt dar, der niche umgangen werden sollte,

Hierfur sprechen vor allem zwei GrUnde. Erstens ist die Ver-

schrifdichung des sprachlichen und nicht-sprachlichen Materialssdbst alsTeilder Analyse zu betrachten und nicht lediglich a1sein

Akt decObertragung. 1mUnterschied etwa zurAnalysevon Face-to-

Face-Kominunikationen im Allrag verfugen wir zwar im Fall von

Medienprodukten stets tiber eine Pixierung und damit tiber eine

unverfalschte Konservierung der kommunikativen Vorgange, Diese

Tatsache birgt: den Vorteil, classdie Prozesse,die Gegenstand der

Analysesind, beliebigoft wieder angesehen und fur dieAnalysewie-

derholt werden konnen, Die trotz dieser Wiederholbarkeit beste-

hende Fluchtigkeit des Materials aber bleibt ein Problem, dem man

methodisch begegnen muss und kann. Aufgrund decVielzahl von

gleichzeirlgablaufenden und gespeicherten Informationen, die zu-

dern auf verschiedenen Kanalen erfolgen, isr die EntwickIung eines

sysrematischen Beschreibungsinventars aber eine hochst fruchtbare

Voraussetzungfur cine Interpretation desaudiovisuellenBedeutungs-prozesses.Der Vorgangder Transkription istdabei selbst bereits eine

strukturierende Annaherung an den Gegenstand derAnalyse, nicht

zuletzt darum, wei! er eine erhebliche Scharfung und Differenzie-

rung der Wahrnehmung zur Folgehat. Das Erstellen von Transkrip-

ten erlaubt eine methodische Isolierung der visuellen und der akus-

tischen Dimension filrnischerProdukre, FUrdaskonkrete Vorgehen

hat essich in der ernpirischen Praxis alshilfreich erwiesen, die ver-

schiedenen Ebenen zunachst gerrennt zu betrachten und sie erst

anschlieliend einer synthetisierenden Berrachtung zuzufuhren, die

ihren Blickvor allem auf dieje besonderen VerknUpfungenvon Bild

und Ton lenkt. Dieses artifizielleVocgehenschafft die Basisdafur,

die racsachlicheInreraktion von Bild und Ton in einzelnen filrni-

schen Produkten moglichst genau zu erfassen.Dabei empfiehlt sich- sowohl beider Anferrigung decTranskripte alsauch bei der Inter-

pretation des filmbildlichen Ganzen - ein Beginn bei der Analyse

der bildlichen Prozesse,urn anschliefsend zur akustischen Dimen-

sion iiberzugehen. Wtirde man umgekehrt vorgehen und sich erst

I07

 

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der akustischen Seite widmen, so ware die Gefahr grofl, den Gehalt

von Sendungen beispielsweise mit demjenigen der Wane gleichzu-

setzen, die in Ihnen geauGert werden. Eine vorausgehende Vergegen-

wartigung und Dokumentation d e r B i ld p ro z es se e in e r T v -S e nd u ng

hingegen schafft zunachst ein Bewusstsein der Vielschichtigkeir des

dort Sichtbaren, das mit dern ebenfal ls gesonderr analysierbaren

akustischen Ablauf eine Verbindung eingeht, die das ist, was den

kommunikativen Charakter einzelner Sendungen ausmacht, Der sogewonnene ers te analy ti sche Zugang gewahrt g rundlegende Ein-

sichten in Srrukturen, Eigengesetzlichkeiten und signifikante Ele-

mente des Materials. Diese Zusammenhange gi lt es im Verlauf der

interprerativen Analyse anschlieliend zu explizieren und einzuord-

nen, die ihrerseirs, uber die Arbeit an den Transkripten hinaus,

immer wieder zur Anschauung des Gegenstands zuruckgehen muss.

Zweitens erhoht die Verfugbarkeit von Filmprotokollen die Trans-

parenz wissenschafdicher Interpretationen, indem diese ihre Ergeb-

nisse an Transkripten Schritt fur Schritt darstellen konnen. Dies ist

niche lediglich irn Sinne cines Belegs interpretativer Thesen zu ver-

stehen, sondern dient zugleich der Vergegenwartigung des Analyse-

prozesses , der am Gegenstand zu d iesen Ergebn issen fuhrte. Auch

wenn das verschr if rlichre Mater ial keine vollkommene Abbildung

der f ilmischen Prozesse leisten kann, so befreit dies keinen Forscher

von der Verpflichtung, eine moglichsr groGe Uberprufbarkeit seines

Vorgehens zu gewahrieisten, Diese ist bei vollstandiger Ubertragung

des f ilmischen Geschehens in ein Filmprotokoll, auf da s auch be i der

Analyse immer wieder verwiesen werden kann, in einem sehr hohen

MaG gegeben. Nur bei kurzen Sendungen freilich i st e s r n o gl ic h, b e i

der Auslegung ihren ganzen Verlauf an e in e rn d e ta il li er te n P ilm p ro -

e o ko ll z u vergegenwartigen.P' Bei langeren Sendungen ist die Aus-

wahl signifikanter Ausschnitte geboten. An diesen Sequenzproro-

kollen kann die jeweilige Deutung ausgewiesen werden, Diese sollte

erkennbar machen (und wenigstens exemplarisch darstellen) , dass

sie und wie sie aus der genauen Kenntnis und Beachtung des Ver-

laufs der jeweiligen Sendungen enrsranden ist,

Das Filrnprorokoll muss die Balance wahren zwischen Mater ial-adaquatheir und Lesbarkeit, Daher schlage ich folgende Notations-

ebenen vor:

I08

Zur Darstel lung der visuel len Ebene: Kameraoperationen wie

ElnstellungsgroGen, Kamerabewegungen, Kameraperspekriven, ver-

schiedene Formen der E ins te llungsverknt ip fung durch Montage

und Schnitt und eine Kurzbeschreibung des Bildinhal ts inklus ive

s ch r if rs pr ac h li ch e r E i nb le n du n ge n s ow i e des Lichts,

Zur Darsrellung der akusr ischen Ebene: stimmliche und spr~chli-

che Elernente, Markierung der Tonqudle, Musik, Gerausche, Uber- .

lappung akustischer Elemente sowie Transkriptio~s~onventio~enflir die Ubertragung des gesprochenen Texts - wobei hier Vorschlage

im Hinblick auf eine Notat ion para-l ingu is ti scher E lemente gege-

ben werden, die je nach Untersuchungsinteresse zusatzlich beruck-

sichtigt werden konnen,

Das Transkriptionssystem gibt den Sprachrrakt eines Filmes voll-

s tandig wiede r; de r B i ld trak t wi rd E ins te ll ung r u r Einste llung verbal

umschr ieben, gleichzei tig werden d ie Merkmale der Kamerahih-

rung n ot ie rt . D as Ergebnis ist ein F i lmprotokol l, das B il d u nd Ton

s imul tan erfasst und das dennoch auch fur den f ilmtechn isch nicht

vorgebildeten L a ie n l es b ar i st , N a tu r li ch kann das Einsrellungspro-

rokoll auch dazu dienen, quantitat ive Ergebnisse tiber Anzahl und

Lange der Einstellungen, EinstellungsgroGen, Kamerabewegungen

etc . zu ermit te ln ; es b iere t aber gerade fur eine qualitat ive Analyse

von Sendungen des Fernsehens eine wesendiche Untersnltzung."

Aus den genannten Parametern ergibt sich das folgende Schema

fUr eine Transkription filmischer Produkte:

I09

F ilm t ue l ( La nd ), J ah r t i e r E r s ta u ss t ra h l un g ; R e g ie

N a m e d er F e rn se h se nd u ng ( Se nd e r) , D a tu m : T it el

Nr .Bild To n

Zeit

N r. d er E i ns t el lu n gs g ro li e (K am e - T o nq ud le , M u si k, G e ra ll 5c he ,

E. u. r aope ra tionen ) : B i ld inha lr g e sp ro c he n e Sp ra c he (Kut z ·

Z ei t i n i n S t ic hwor te n , I n se r ts , c ha ra kr er is ri k v on M u si k u nd

Sek. B i ld b ea rb e it un g ; B l e nd e Ge r au s ch e n) )

OI T (AS ), F : B i ld in ha lt ; Mu: (Klassik))'I2 D

35Compurergesrurree Notationsverfahren, an denen im Bereich decFilm. und Fern-

sehanalyse seit den 90er·Jahren desvorigen jahrhunderts z,B..Porscher urn H~l-

mut Korte arbeiten, habensich in unserer emplrischen Analysebislang als zuwemg

 

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Eine genaue Aufstellung dee bei der Erstellung der Filmprotokolle

verwendeten Abkurzungen und Zeichen finder sich im Anhang die-

ses Suches.

3.4 Visuelle Dimensionen

Die Herstellung von Filrnprotokollen, obwohl sdbst bereirs ein wich-

tiger Analyseschritr, bereitet die eigentliche Interpretation von Sen-

dungen des Fernsehens nur vor . Diese hat zum Ziel, audiovisuell ver-

fassre filrnische Produkte methodisch kontrollieet zu untersuchen, Es

kommt dabci darauf an, das kommunikative Potent ia l von Sendun-

gen erkennbar zu machen, von dern am Ende von Kapirel j.r die Rede

war. Ein solches Verfahren der Fernsehanalyse verlangt eine Berrach-

tung der einzdnen Komponenten aud iovisud ler Produk te , ohne da-

bei aber das Zusammenspid diesee Elemenre, durch die ers t deren

spezifische Bedeutung entsteht, aus dem Blick zu verlieren. jedoch

muss diese Betrachtung stets den elementaren Operationen der sicht-

baren und horbaren Prozesse des filmischen Verlaufs Aufmerksamkeit

schenken, Einige dic:ser Grundoperationen srelle ich im Folgenden

zunachsr fUrdie visuelle und danach filr die akustische Verfassung fil-mischer Erzeugnisse vor, urn anschlieBend einige grundlegende Ver-

fahren der Gesarn tkompos irion von Sendungen des Fernsehens zu

nennen. Es geht dabei urn Crundmoglichkehen des Mediums Fernse-

hen, die in seinen einzelnen Produkten auf eine je spezifische Weise

aktualisier t und kombinier t werden, Um diejenigen Darstellungs-

moglichkeiten zu erkennen, die in einer Sendung oder einem Genre

des Fernsehens realisier t werden, bedarf es eines Gespurs fur die 61-

mischen Moglichkeiren, unter denen sie ausgewahlt wurden. Diese

mochte der folgende Oberblick vor Augen fuhren."

Fundamental fur die Analyse der visuellen Dars tdlung sind die

verschiedenen Verfahrensweisen dee Kamera - die Kameraoperatio-

nen. Die Stellung de r Kamera gegenuber einem a us ge w ah lr en O b -

jekr bestimrnt die bedeutungstragenden Merkmale des Fernsehbil-

des in viel facher Hins icht . Die Kamera nimmr in der fi lmischen

Darbietung nicht nur die Rolle des »Gegenubers- der gezeigten

Objekte ein , s ie gibr den Betrach tern - oft zusammen mit e iner spe-

zifi schen Anordnung der im Bi ld s ichrbaren Gegensrande - auch

eine spezifische Sichtweise der Objekre vor , uber die sich diese in der

Regel nicht hinwegsetzen konnen, Diesen basalen Struk tu ren des

f ilmischen Bildes muss jede Interpretation von Sendungen des Fern-

sehens Rechnung rragen.

3.+[ Kameraoperationen

III

derai ll ie rr e rw ie sen. A llerdings werden s ie s lAndig for renrwickele und werden

somi t f ur d ie B ear bei tu ng g ro i!e re r Da tenmengen i n Zukun fi imme r wi ch ti ge r

sein,

3 6 Von ei nem Dber bl ick s pre ch e i ch , wei l zu v ie le n d er im Fol ge nden erwahnt en

Aspekte i n F i lmche o ri e und P i lmw i ss e ns c ha fr e in e r ei ch e L i te ra ru r v o rl ie g r. E s

kornm t m i. i n d i e se m K a pi re l abe. n i ch e a u f e in e t h eo r et is c he E r or te ru n g , s o nd e rn

a u f e i ne k o r np r im i e r re Durchsicht zenrraler Verfahrensweisen de . He r sr e ll ung von

F e rn s eh b il d er n a n .

110

Einstellungsgrofie, Kameraperspekrive und Kamerabewegung sind

eigene f ilmischc: Mitteilungsquellen. Diese Operationen bilden die

Grundvoraussetzungen der Sich tbarmachung von Objekten und

Situarionen. Schni tr und Montage wahlen aus d iesem Material aus

und f ilgen die einzeln aufgenommenen und durch d ie Art ih rer Auf -

nahme bereits bedeursamen Bilder zu einer Bildfolge mit wiederum

eigenem Aussagegehalt zusarnrnen. Da Schnitt und Montage jedochVerfahren sind, die stets das visuelle und das akusrische Geschehen

filmischer Bilder berreffen, werde ich hierauf erst bei der Behand-

lung der audiovisuellen Einheit fi lmischer Produkte zu sprechen

kommen, Einen vol ls randigen Aufsch luss t iber s trukrurelle und

asthetische Merkmale des visuellen Prozesses kann jedoch erst die

Analyse der Montage ergeben, denn wie bereit s Walter Benjamin

festges td lt hat, bi ldet »ers t die Folge von Stel lungnahmen, d ie der

Cutter aus dem ihm abgel ieferten Material komponiert , [ ... J den

fert igen Film.s" Vorers t gehr es daher noch n icht u rn den ) )GroB-

rhythmus« filmischer Einheiren und auch nicht urn den Duktus

und Rhythmus ihrer visuellen Verlaufe, sondern urn elementar e

Moglichkeiten der Erzeugung filmischer Bilder. Diese grundlegen~

den Kameraoperationen stellen noch durchaus vage Moglichkeiren

dee Organisation f ilmischer Verlaufe dar , aus deren jeweiliger Nut-

zungsich ein wesentlicher Teil der kommunikativen Moglichkeiren

eines filmischen Endprodukts ergibt.

37 Benjamin (1974), S . 488.

 

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3.4.2 EinstellungsgroSe

Ein Grundformat des f ilmischen Bildes ist die EinstellungsgroBe,

die durch d ie Posi tion der Kamera und die Wahl des Kameraob jek-

tivs fe stgelegt wird. Nicht immer jedoch ist die dem Betrachter

durch die Art und Weise des Fernsehb ildes vorgegebene Ans ichr

d a s Ergebnis der .tatsachlichen Karneraposirion, Der undisranzierre

Blick auf das Gesichr eines Talkshow- Teilnehmers etwa ist oft nicht

Ergebnis einer buchstablichen Aufdringlichkeit der Kamera selbsr,

Objek tive mi t unter schiedl icher Brennweite erlauben ein Naher-

und In-die-Ferne-Rilcken von Objekren gleichermaBen (Weitwin-

kel, Teleobjektiv etc.) , Die Wahl des Kameraobjektivs hat aber um-

gekehrt auch Folgen fur die Wahl des Kamerastandortes; der stump-

feraumgreifende Blickwinkd des Weitwinkelobjektivs ver langt z.B.

eine relar iv groGe Nahe der Kamera zum Abzubildenden, wenn die-

ses erkennbar bleiben soil. EinsrellungsgroBen geben einen ersren

Aufschluss daruber, was die Kamera di fferenziert sich tbar und wie

sie es sichtbar macht; sie machen unter ande rem deutlich, wo sie

Objekre in der Ferne belasst und mit welchern Abstand sie diese

registr ierr . Dadurch wird eir ie durch die Ar t der Aufnahme bewirkre

Stellung des Betrachters zum Betrachteten hergestellt (vgl. hierzu

die im Anhang angegebene Skala , die die in der Fernseh-Produk-

rionsrechnik ubliche 8-stufige GroBeneinteilung ubernimmt).

3·4·3 Kameraperspektive

In v ie len Bildern nimmt die Kamera eine Posi tion ein, die der Per-

spektive der menschlichen Wahrnehmung entspricht: Sie bietet ihre

pri rnaren Objek te von vorne und gleichsam »auf Augenhohe« dar.

Dies bezeichnet man als Normalsich t oder Normalperspekt ive , da

sie als ein »semanrisch neurraler Standard der Kameraperspektive«

angesehen werden kann, von dem sich andere Perspekt iven mehr

oder weniger aufFa:lIigabheben." Uber die genaue Kameraperspek-

rive wiederum entscheiden die Auswahl eines bestimmten Objektivs,

der Standort und der Neigungswinkel der Kamera.

38 Borsmar/PabstlWulff(2oo2). s. 92.

112.

3.4.3.1 Kameraobjektiv

Das Normalobjektiv bilder da s Dargestellre unserer allraglichen

Wahrnehmung am ahnlichsren aboAndere Objekrive unterscheiden

sich hiervon dadurch, dass sie cine vergleichsweise auffiil lige - und

manchmal »artifiziell« erscheinende - Ansicht erzeugen, was nicht

vergessen lassen sollte, class sich jede filmische Ansichr einer techni-schen Operation verdankr, von denen einige gewohnlicher, ublicher

und daher »normaler« erscheinen als andere.

Ein im Fernsehen haufig eingesetz ter Spezial typ von Kamera-

objektiv ist das Zoornobjekr iv (auch Transfokaror- oder »Gummi-

Linse« genannt). Zoom bezeichnet ein Linsensystern, dessen Brenn-

weite sich schnell und stufenlos verandern lasst, Das Zoornobjektiv

ersetzt also diverse Objektive mit unterschiedlicher Brennweire. Die

Bewegung der Brcnnweitenveranderung, da s »Zoornen«, wird dabei

im Bild sichtbar und stellt daher bereits eine Form der Kamerabewe-

gung dar (vgl. unten 3-4-4).

Das Weitwinkelobjektiv erweitert da s Feld des Sichrbaren und

verleihr den Bildern eine hohe Tiefenscharfe: der scharf abgebildere

Bereich im Bild vergroBert sich. Das Tdeobjektiv verringer t demge-

genuber die Tiefenscharfe, Die mit einem Teleobjektiv aufgenom-

menen Bilder erscheinen verg le ichsweise flach, der Abs tand weit

hintereinander liegender Objekte verkurzt sich scheinbar , zudern

kann nur ein sehr kleiner Ausschnitt abgebildet werden,

3+3.2 Kamerawinkel

Dcr Kamerawinkel besteht in der Ausr ichrung und Veranderung des

horizonralen wie des vertikalen Winkels zwischen Kameraachse und

Objektachse. Dabei ist die Veranderung des Kamerawinkels niche

norwendigerweise an eine Veranderung der Karneraposition gebun-

den; Abweichungen des horizontalen Neigungswinkels z ,B. s ind

auch bei unveranderter Hohenposirion der Kamera selbst moglich.

Abweichungen des horizontalen Neigungswinkels von der »Nor-malsicht« (Kamera in Augenhohe) werden als »Aufsicht« bzw. No-

gelperspektive« und als ..Untersicht« bzw. »Proschperspekrive« be-

zeichnet, »Auf-« und »Untersicht« konnen in vielfaltigen Varianten

auftreten, verursacht durch die Variation des Neigungswinkels der

Kamera. 1m kiinstlerischen Film wird die Kameraperspekrive haufig

I l 3

 

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;...

im Sinne konvent iona li si er re r Semant iken verwandt, vor a lle rn in

dern Sinn , c la ss die »Aufs icht« Relevanz nirnmr, indem s ie die von

oben gesehenen Objekte kleiner erscheinen lasst und umgekehrr den

aus »Unters ichr« prasentierren Objekren Relevanz verleiht, (»Auf-

s icht« l egt e ine »Unte rl egenhe ir« des abgebilde ren Objekts nahe,

»Unrersicht« weist ihm Bedeutung zu und vermitrelt GroBe oder

Dominanz des Geze igren.) 1m Fernsehen hingegen sind Nuancen

im Bereich des Kameraneigungswinkels im Unterschied zum Spiel-

film niche irnrner »beabsichtigt«, sondern nichr selten besonderen

Produkrionsumsranden geschuldet, wie z,B. einern hohen Zeit- und

Akrualitatsdruck, der es nicht erlaubt, Einstellungen zu wieder -

holen. Sie miissen daher in der Analyse nichtfikt ionaler Sendungen

des Fernsehens nur dann gesondect beach ret werden, wenn »Auf-«

bzw, »Unte rs ich t« tat sa ch l ich s ign if ikanre filmische Operationen

darstellen.

Veranderungen des Verrikalwinkels zwischen Kameraachse und

Objektachse konnen enrweder zur Foige haben, dass die F rontal -

. sicht beibehalten wird und das Objekr an den Bildrand ruckt (ein

in Fernsehprodukr ionen eher se lt en vorkommender Fal l) ode r das

Objekr in Schrags ichr von dec Se ire gesehen wi rd . E ine Drehung

der Kamera urn ihre eigene Achse wird als Kippwinkel bezeichnetund ist eine recht ungewohnliche KameraeinsteHung, die dem Zu-schauer in dec Regel als befrerndlich auffall r.

»Fernsehen aber i st Bewegung« - diese r Sa tz des l angjahrigen Fern-

sehjourna li sren Peter Ruge wird nicht nur in dec Praxi s der Repor -

t age haufig und gerne befolgt .39 Bewegung, wie .si e durch Kamera

und Schn itt erzeugt wird, ist in allen Genres des Fernsehens ver-

t re ten. Die Karnerabewegung i st dabei zunachst e inmal e in e inst el -

lungs in te rnes Phanomen. Bewegung wird aber vor a ll em auch auf

der Ebene des Schni tt s, e twa durch best imrnte Foemen der Einste l-

lungsmontage wie etwa dern Wechsel von Einstdlungen unrerschied-

l icher EinsteUungsgro~e und -lange, hervorgerufen (worauf ich un-

ten noch eingehen werde).

3.4.3.4 Kamerabewegung

39 Ruge(197S).S. H

II4

3.4.4.1 Karnerafahrt

Die Karnerabewegung umfasst sowohl die Bewegung einer s tationa-

ren Kamera auf e inem Stat iv a ls auch die Bewegung der gesamten

Kamera im Raum. Nicht s el ren f inden wi r auch beide Formen kom-

biniert.

Die Bewegung der gesamten Kamera im Raum - die Karnera-

fahrt - i st nach wie vor e ines der techni sch aufwendigst en Ges ra l-

tungsmittel . In der Regel f'ahrt hier die Karnera auf einern Kamera-

wagen, der moglichst auf ebenen Schienen geschoben oder gezogen

wird. Schon ger ingst e Bodenunebenhe iten konnen bel e iner s chie -

nengefi ihrren Kamerafahrt (v. a . bei Objektiven mit e iner Brenn-

weite von uber 100rnrn) zu einem Flanern und damit zu einer

Unbrauchbarkeir des Bildes f ii hren . Kamerafahrt en werden auch

die Bewegungsablaufe genannt , bei denen die Karnera frei i rn Raum

(Handkamera, ein vor allem zur Authentizirarserzeugung haufig ein-

geserztes s ti lisrisches Mittel) oder auf einern Korpers tativ (Steady-

cam) gerragen wird. Kamerafahrten werden schlieBlich auch erzeugt

durch die Befesrigung von Kameras an Fahrzeugen, Flugzeugen oder

Kranen,

3.4.4.2 Zoom

Als t echni scher Ersa tz dec aufwendigeren Kamera fahr t g il t d ie Er-

zeugung vor iBewegung im Bild durch »Zoomen«, Die Brennwei-

renveranderung des Objektivs wird hier im Bild als Bewegung sicht-

bar, Der Zoom lasst aber im Gegensatz zur Fahrt Raurne nicht

raumlich, sondern flachig erscheinen. Bei einer Brennweitenveran-

derung durch den Zoom geht die perspekrivische Verschiebung hin-

tereinanderliegender Objekte zunehmend verloren, Gleichzeitig ver-

ander t si ch mit der Brennweire der Bildwinkel und damit d ie GroBe

des Bildausschnittes.

3+4.3 Kameraschwenk

Der Kameraschwenk bezeichner eine weitere Form der bildl ichen

Bewegungserzeugung bei fes ts tehender Kamera. Die Kamera wird

hierbei urn ihre vertikale Achse nach links oder rechts geschwenkt

oder urn ihre hor izonta le Achse nach oben oder unten; beides wird

11 5

 

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alsBewegungim Bildwahrgenornmen, ebenso wiedie Drehung der

Ka~era urn ihre eigeneBlickachse.

Ahnlich wie beider Kamerafahrr macht esauch hier einen Unter-

schi~d,_obdie Kamera einem bewegten Objekt folgt oder ein starres

Motiv In»Bewegung versetzt«, Folgt dec Schwenk dem sich bewe-

g:nden .Objekt, so ~erandert sichim Laufe der EinsteUunglediglich

dieAnsicht desObjekres; erfolgt ein Schwenk jedoch bei einem star-

ren Motiv, so kann sich der Bildinhalt vollig andem, Wenn sichdur~h den Schwe~k d\eKarnera mit einem si.chbewegenden Oblekt

»m~tbewegt",b\e~bt diesesOblekt im Zentrum des"Bi.hiausscnni.ttes

und nur der "Bi\db.intery:undverandert si.cn.Im Unterschied nier-

zu versetzt ein unabhangig von der Objektbc:wegung ausgefuhrter

Schwenk dasBildmotiv kiinstlich in eine Bewegung:Ein Schwenk

von einern Politiker zum nachsten, von einern Zuhorer zurn ande-

ren, von einer Stadtansicht zur nachsten - zahlloseVarianten dieses

Stilmirrels sehen wir tagtaglich im Fernsehen; unbewegte Objekre

werden sovon clerKamerafuhrung in Bewegung versetzt,

3.4.4.4 Tiefenscharfe

Ein weiteres Mittel, das eine auffhllige Bewegung innerhalb derBilddarbiecung erzeugr, ist dieVeranderung der Tiefenscharfe (kor-

rekrer, aber ungebrauchlich ist der technische Ausdruck Scharfen-

riefe, der den Sachverhalt genauer trifft). Indern hintereinander ge-

staffelte Bereiche des Bildausschnitres scharf oder unscharf erschei-

nen, entsteht ebenfalls der Eindruck von Bewegung. Die Reichwein:

der Scharfentiefe ist technisch abhangig von der Brennweite der

Linse bzw, des Linsensysterns, der Blendenoffnung und der Entfer-

nung zwischen Objekt und Karnera. Der Scharfentiefebereich ist

umso groBer,je kleiner die Blendenoffnung und/oder je kiirzer die

Brennweite ist, Ein Teleobjektiv fuhrt z,B. zu extrem kurzer Schar-

fentiefe, kann alsobei GroBaufnahmen ein Objekr so isolieren, dass

seine Umgebung durch Unscharfe »verschwindet«,

Grundsatzlich gilt allerdings, classin Bezug auf den Umgang mit

Tiefenscharfe die heurigen Fernsehkameras vergleichsweise einge-schrankte Moglichkeiten haben. Die mit elekrronischer Kamera

aufgenommenen Bilder namlich besitzen insgesarnt eine groEere

Scharfeals diejenigen, die mit Filmkameras aufgenommen werden.

GroEe Filmkarneras erzeugen aufgrund ihrer optischen Eigenschaf-

u6

ten bel gleicher Brennweite eine geringere Scharfentiefe alselektro-

nische Fernsehkameras. Wahrend der mit einer Filmkarnera ausge-

stattete Kameramann die Moglichkeir hat, innerhalb seines Bildes

nur bestimrnte Bereiche Codereben einen groReren Bereich) scharf

abzubilden, muss der Kameramann, der eine elektronische Kamera

bedient, den gesamten Bildbereich scharfstellen - er kann also in

Sachen Scharfentiefeweir weniger variieren.

Zusammenfassend kann man sagen, classKamerafahrt, Zoom,Schwenk undVeranderung der Tiefenscharfe eines gemeinsarn ha-

ben: Sieeneugen Bewegung im Bild.Aufverschiedenen Wegen ver-

andern sie enrweder die Ansicht des abgebildeten Objekrs, oder sie

verursacheneineAnderung desBildinhalts. Die hier beschriebenen

Kameraoperationen sind Grundvoraussetzung und Ausgangsmate-

rial jederfilrnischen Darstellung, diedaher wiedie Aspekteder Bild-

komposition, denen ich rnich nun zuwenden werde, ein konstituti-

YesElement des Gehalts filmischer Prozessedarstellen.I

3+5Bildkomposition

Elemente des Bildaufbaus und der Bildgestaltung werden in der

Filrnwissenschafeublicherweise unter der Oberschrift "Mise en

Scene« behandelt. Unter dieser Uberschrift werden in erster Linie

dieGestalmngsmittd angesprochen, die den Raum betreffen, der

von der IKamera aufgenommen werden soil, also e:inebestimmte

Komposition von Objekten, ein bestimmter Einsatz des Lichtsund

doe spezifischeKoordination der Bewegungen der in der Szenetati-

genAkreure. »Miseen Scene«,soschreiben Borstnar et al., »istdarnit

im Grudde genommen eine noch gam: und gar vorfilmische Kon-

struktion von Weltzusranden fur die spezifischen (Blick-)Moglich-

keitender Kamera, In genau diesem Sinne ist die:Miseen Scene tat-

sachlichein Gegensruck zur Montage, die prinzipiell erst nach dern

Aufnahmevorgang die einzelnen Bildeinstellungen zu endgiiltige:n

Syntagmen zusammenfuge.e"

Auch bei der Analyse der gesendeten Bilder muss festgehalren

werden,~as den Bildaufbau (alsodie Bildkomposition im engerenSinn) innerhalb bestimmter Einsrellungen kennzc:ichnet.Wie Ob-

jekte und Personen im Bildraum angeordnet sind bzw. ob sie er-

40 Borstnar/Pa~t!WuUf (:1.002). S.99.

117

 

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kennbar angcordne t sind , i st r u r die Bedeutung des Dargebotenen

aus schlaggebend. Ebenso i st e s von Bedeutung, wenn im Fernseh-

bild se lbst wiederum Bildschirme oder Monirore zusehen sind oder

wenn das Fernsehbild nur einen Teil des Bildschirms fullt oder wenn

rnehrere solcher Bilder g1eichzei tig ein - nun nicht von einer einzel-

nen Kamera, sondern am Mischpult erzeugtes - »Bild« ergeben .

Auch wenn der spez if is che f ilmische Raum lerzt lich dadurch enr -

sreht, das s s ich die »Raume« e inze lner Einst el lungen oder Einst el - .

lungssequenzen zu ein em Kontinuurn zusammen fiigen, so muss

doch ger ade auch die »Mon tage im Bild«, wie sie durch die B ild-

komposition innerhalb einzelner Einsrel lungen entstehr, beachtet

werden.

3.4.5-1 Anordnung der Bildobjekre

Im Hinbl ick auf die Bildkomposi tion ent scheidend is t d ie Posi ti o-

nierung der Bildobjekte in der Mitte oder am Rand, ih re Er schei-

nungsgroi le im Bild und die Organis at ion von F luchtl in ien, Sym-

rne tr ien, P roporr ionen und derglei chen . Dies s ind Formen der Auf-

merksamkeitssreuerung innerhalb des filmischen Bildes, mit denenMotivbereiche hervorgehoben oder verdeckr und Beziehungen zwi-

s chen ihnen e tabl ier t werden, Diese Bedeurungszuwei sung i st i rn-

mer auch abhangig von gesel ls chaf tl ich und kul turel l verankert en

Deutungsmusrern. Unter dem Oberbegr if f der lkonograf ie haben

s ich Kuns ttheorer iker wie Aby Warburg und Erwin Panofsky schon

se it Beginn des l et zren Jahrhunderrs mit der Int erpret at ion der Dar-

srellungsweisen symbolischer, rel igioser und myrhologischer The-

men beschafrigr. Ikonografie und die mit ihr verwandre Ikonologie,

d ie sich vo r allem mit den Funktionen b ild Iicher Darstellungen

beschaftigt, die vom geisresgeschichtlichen Enrstehungszusamrnen-

hang dec Bilder bestimmt sind , werden in jungster Zeit n iche nur

von Film-, sondern auch von Fernsehwissenschaft lern als Mittel der

filmischen Bitdanalyse aufgenommen.41

41 Im Mirrelpunkr der Arbeiten etwa von Marion G. Muller steht dieikonografische

und ikonciogische Interpretation von amerikanischen Wah!kampfwerbespors,

z, B. Muller/Knieper (2004).

I l S

3.4.5.2 Beleuchtung

Auch das Licht leistet ein en wich tig en Beitr ag dafur, wie wit ein

Geschehen auf dem Bildschlrm wahrnehmen. Nicht nut die Er-

kennbarke it der Objekte , sondern die von den Bilde rn ausgehende

S timmung wird ganz wesenr li ch von der Art des Lichrs bes timmt.

Allerdings rnussen wir bei Fernsehbildern grundsarzlich unterschei-

den, ob es sich u rn Aufnahmen handelt, die »vor Ort«, also un ter

Lichrverhal tnissen, die auBerhalb eines Studios vorlagen, gemacht

wurden, oder urn Produktionen, die in einem Studio aufgenommen

wurden. Problemati sch ware es j edoch, d iese Arter r der Lichtf ll h-

rung t in te r der Oppos it ion »real is eis ch« versus »kunst li ch« zu be-

schre iben , denn »diese Einte ilung mis sachte t den Umstand, c l a s s

Licht stimrnungen, d ie dem Zuschauer a ls -neut rak und ganz nat ti r-

l ich erscheinen rnogen, produktionsseit ig das Ergebnis ausgefeilres-

ter Lichrserzung sind. wahrend cine bei realen Lichrverhal tnissen

gefilmte Szene auf der Leinwand unnatti rl ich wirkr.«42 Sobest immt

die Richrung des Lichteinfal ls d ie Richtung des Schat tenwurfs ,

dernentsprechend wirft frontal eingeserzres Licht keine Schatten, es

rnacht jedoch alle Objekte »gleich«, Daher werden haufig zusatzl ichSpots ode! Lichtkegel benu tzt, u rn ein zelne Ob jek te oder Bild-

demente (gerade etwa bei Fernseh-Shows) hervorzuheben. Ebenso

wird haufig »Cegenli chr« e ingese tz t, bei dem die Lichtquell e der

Karne ra gegenubersreht und das Objekr von hin ten beleuchte t, Auf

diese Weise ist die Lichtregie - einschlieBlich des Ausbleibens einer

so lchen bei s chne ll produzier ten dokurnenrar is chen Bildfolgen -

st et s e in wicht iger Faktor der Ents tehung der Art und Weise , in der

Sendungen des Fernsehens ihren Zuschauern etwas zu sehen geben.

3.4.5.3 Personenfuhrung

Ein weirerer wichriger Faktor de! Bildkomposition ist schlieBlich die

Choreogra fi e der Bewegungen, d ie Personen - oder im f ik tionalen

Film: Figuren - im Rahmen einer Bildeinstel lung vornehmen, Auch

hier ist es fur den Bildautbau berei ts entscheidend, ob cine solche

Bewegungsregie vorliegr oder nicht, In Nachrichtenfilmen beispiels-

weis e i s! :d ie s oft n iche der Fal l, wenn e twa ein Pol izei einsat z oder

41. Bor8lliar/PabsrlWulff (1.002), S. 107.

II9

 

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eine Naturkatastrophe gezeigc wird; andererseits wird bei Interviews

oder Pressekonferenzen die gefilmre Aktion h au fl g e ig e ns fur das

Medium auf eine bes rimmre Weise e ingeri chte t, Ahnli ch verha lr e s

sich mit dem Bewegungsablauf von Moderatoren und Showmas·

tern, durch die eine Bildkomposition absichtsvollunterst ii tzt wird.

Auch hier wird die Aufmerksamkeit des Betrachters durch be-

st imrnte Verfahren auf das gelenkt , was im Mit telpunkt der jewe ili -

gen Sendung steht oder zumindest s tehen 5011; die Personenfuhrung

inner halb einzelner Einstellungen ist ein weireres unrer den vie-

len fllmischen Verfahren, das dazu b e ir rag t, dem Zuschauer e ine be-

st immte Sicht der prasent ier ten Ablaufe oder der erzahlt en Hand-

lung zu verrnitteln.

3. 5 Akustische Dimensionen

Der Ton eines filmischen Produk ts ist nicht weniger komplex als

das Bild. Ganz unterschiedli che Tone und K1angar ten konnen das

Gesamtgeschehen besrimrnen. So mogen zwar gesprochene Mono-

loge oder Dialoge ent sche idende Trager fur cine Ubermir tlung vonInformationen oder das Vorantreiben narrativer Verlaufe sein, auch

dann aber ble iben Gerausche und Mus ik fur den kommunika tiven

S ta tus e iner f ilmi schen Sequenz haufig von ents cheidender Bedeu-

tung, da sic:da s verbal Gesagte erganzen, erweitern, modiftzieren,

authentisieren oder konterkarieren konnen,Was i. nremsehen una .

H\m a\mstl!lc'n.kommuni.i~e!t v.(\rd.,ist au£ d.i.eseWi\'se nut se\ten

geradewegs das , was mit Worten ausgedruckt wird.

Die verschiedenen akustischen Elemente filmischer Prozesse kon-

nen analytisch zwar getrennt erfasst werden, diese Trennung ist aber,

wie die von Bild und Ton insgesamt, nur sinnvoll , wenn s ie da s Ziel

hat , letzt lich die Interaktion dieser Elemenre hervortreren zu lassen.

Eine wichrige Funktion des Tons, d ie Hers te llung der Einhe it e in-

zelner Einstel lungen oder Einstellungssequenzen, kann beispiels-

weise nur erfasst werden, wenn die einstel lungsubergreifende Orga-nisa tionsst ruktur des kornple tten Klanggeschehens in den Bli ck

genommen wi rd , Ent sche idend fur die Analyse i st e sh ie r auch, d ie

Uberlagerung unrerschiedlicher Tonebenen zu beachten: Gerausche

und Musik konnen ebenso wie einzelne oder auch mehrere Stimmen

als eigensrandige Tonrrager in den Vordergrund riicken und »Infor-

120

rnarionstrager« sein, oder sie konnen im Hinrergrund eines sprachli-

chen Geschehens al s »At rnosphare« simult an prasent und in diese r

Furiktion nichr weniger bedeutung stragend sein als das Klang.

geschehen im Vorderg rund . Nicht nur das filmische Produkt als

Gartzes , auch sein horbarer Antei l bestehr oft aus einer Montage von

Ele rnenten, d ie zusamrnen das ausmachen, was in der akust ischen

Dimension dargeboten wird.

3.5-1 Sprache

Sprache kommt in f ilmischen Erzeugnis sen vor a ll em a ls gespro-

chene Sprache vor. Schriftsprachliche Einblendungen in das Bild in

Form so -genannter Inserts, die Angaben zu Personen, Orten oder

zur kalendari schen Zei t machen, werden aber zumal im Fernsehen

haufig zur Identifizierung und damit auch zu Aurhenris ierungszwe-

cken eingesetzt. Auflerdem ist Schrift im Bild uoeral] dart prasent ,

wo s ic : in den Umgebungen, d ie die f ilmi schen Bilde r zeigen , e ine

Rolle spiele als RekJameschrift, auf Hinweisschildern, bei der Wie·

dergabe von Briefen usw. Dies a li es spielt si ch auf der bildli chen

Ebene aboDe c Lowenanteil des Sprachlichen in Fernsehen und Filmaber ist ein akusrisches Phanomen, jedoch wiederum kein rein akus-

t isches Phanor ri en , da das Sprechen von Personen hie r mit Mimik,

Gesrik und weireren Bewegungen verbun den ist , die dern Gesagten

eine zusatzliche Kontur verleihen. Sprache im Film, mit einern

Wort, ist kein allein akustisches, sondern selbsr bereits ein audiovisu-

elles.Phanornen, das be i einer angernessenen Analyse in seiner bild-

l ich-klanglichen Einheit gesehen werden muss.

Trotzdem kann es lohnend sein, die akustische Dimension der

sprachlichen Kommunikation in analytischer Absicht zu isolieren.

GcsiProchene Sprache narnl ich isr selbst berei ts durch cine Vielfalt

cha rakter ist ische r Phanomene gekennzeichnet . Darum kann s ich

die Bet rachtung von Sprache im Film niche auf die Dntersuchung

grarrimatischer Srrukturen beschranken, wie dies in Analysen etwa

zur Nachrichtensprache im Fernsehen haufig geschehen ist .43

Die inder r0ziologie und in der Sprachwissenschaft sci! den 7oer·Jahren

des 'forigen jahrhunderts herausgebildeten Verfahren zur Unrersu-

chuqg gesprochener Sprache, die vor allern auch den interaktionalen

I I

4J v g J . z,B . S rr aE n er ( 1 98 2 ).

III

 

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Gebrauch von Sprache berUcksichtigen, s ind hie r mit e inzubezie -

hen . FUr die Analyse der audit iven Komponenten s ind esvor a ll em

zwei Forschungsrichtungen, die dabei wichtige Hilfesrel lungen ge-

ben konnen: Zum einen das oben bereirs erwahnte Verfahr en der

e thnometbodo logiscben Kamersas ionsana lyse, das in e rst er L in ie dazu

enrwicke lt wurde, urn natur li che Interaktionen in informel len und

formellen Kontexten zu unrersuchem" zum anderen die interaktio-na le Pro sod ie fo rschung, e in von der Konversationsana lyse und von

der Inrerpretariven Sozioiinguist ik beeinflusster Ansarz, der die in-

teraktive Bedeutung prosodischer Mittel unrersuchr." Insbesondere

Phanomene wie Intonat ion, Lauts ta rke, Lange , Pausen und die da-

mit zusarnrnenhangende Sprechgeschwindigkeit sowie den Rhyth-

mus der Rede gilt es in der Analyse medialer Kommunikation zu

berucks ichr igen . All erdings kommt esauch hier darauf an, den be-

sonderen rnedialen Charakter des Untersuchungsgegenstands niche

aus dem Blick zu ver li eren . Untersucht man z .B. Sprech-Pausen in

Fernsehbe ir ragen , so muss berucksichtigt werden, dass e ine Pause

der Sprecherst irnrne hie r so gut wie nie gle ichbedeutend mit S til le

ist . Gerausche. Musik, Stimmengemurmel o. a. , die im Himergrund

prasent b le iben , wah rend jemand spri cht, werden in den Pausen ofthochgezogen, d .h . s ie s ind laure r und deutl iche r vernehrnbar , urn

dann, wenn der Reporter forrfahrr, wieder leise unterlegr zu werden . '

D iese Mehrdimensionai it ar is t e in we it eres Charakte ri st ikum des

medialen Sprechens,

3. 5.2 Gerausche

Gerausche s ind in f iImischen Produkten so gut wie i rnmer prasent .

Sp rachliche AuBerungen konnen in den Hintergr und treten oder

ganz ausbleiben, Musik kann ein- und ausgeblendet werden, aber

Sendungen im Fernsehen, in denen der Bildve ri auf ganz oder auch

nur t ei lwei se , von vol lkommener St il le beglei te t wird, g ib t es, von

Tonsrorungen abgesehen, nur auBersneit en . Cerausche dienen in

44 Die Phanornene, m it denen s ich die Konve rs at ionsanalyse beschaf rigr , r ei chen von

kle insr en Augerungseinhdten ( In te rj ek tionen, idioma ri sche Wendungen) i iber

Inreraktionssequenzen (BegruBungsricuale, Gesprachsbeendigungen) und Aktivi-

r at stypen (Vorwur f. K la ts ch . Protz eln) bls h in 7.U komrnunikativen Grogformen

(Enahlung. Geoprach).

4S Siehe hie rru Sel ting (1995) und Coupe t-KuhlenlSel tinl ; b996) .

der Regel dazu, den Rea li ta tscha rakter zu versrarken bzw. zu e ta -

blieren, gerade auch dort, wo ein fiktionales Geschehen einen realis-

t ischen Charakter gewinnen solI. Der arrnospharische Ton, von den

Produzenten schl icht »Atmo« genannr , d ient abe r nicht nur der Rea-

l it at sanzeige , sondern e r wird gerade im Informations- und Unrer -

hal tungsbereich des Fernsehens wesentl ich zur Authentis ierung des

Gezeigten und Gesagten eingesetzt. Die stete Prasenz des atmospha-

rischen Tons hat auch in anderen Kontexten eine zen tr ale Bedeu -

tung fu r den Aufbau des innerfilmischen Raums sowie der inner-

film isehen Zeit. So werden durch den Ton oft Ereign isse prasen t

gehal ten, d ie im Bild nicht zu sehen sind , a lso der s ichtba re Raum

auf da s Nich t-Sichtbare hin geoffnet, oder eswerden Ereignisse sei es

angek tindigt, sei es in Erinnerung gehalten, die noch n ich t oder

niche mehr i rn Bild zu sehen sind .

Die Vercirtung der Gerliusche im Hinblick au f das visuell Ge-

zeigre i st h ie rbei von zentral er Bedeutung. Auch wenn Gerausche

nur selt en an Or ig inal schaupla tzen aufgenommen werden und s ie

auch keineswegs immer von den im Film gezeigten Scha llquell en

srammen, so ordnen wi r s ie a ls Zuschauer doch in al le r Regel »auto-

mat isch« diesen zu, n icht zule tz t desha lb , da wir von dern, wie si che twas anhor t - s ei es Meeresrauschen oder GroBstadclarm - rda tiv

s te reotype Vorst el lungen haben. Die meis ten Gerausche, d ie wir

heure inF ilm und Fernsehen horen , sind nach jenen Pararne te rn , d ie

unserer Vorstellung enrsprechen, kunsrlich erzeugt. Ihre Bedeutung

er halten Gerausche dabei in er ster Linie du tch ihre Zuo rdnung zu

best irnmten Bilde rn , Daher schlug berei ts S iegf ri ed Kracauer vor ,

zwischen einem »ak tuellen : Ton, der zum Bild gehort, und einem

»kommenrie renden« Ton zu unrersche iden , der von auBerha lb des

Bildes kornmr. " Diese Untersche idung bet ri ff t a il e Var ianten des

Tons glei checmaBen und wird daher bei der Ana lyse dec Bild-Ton-

Relat ionen wiederaufzunehmen sein.

3.5-3 Musik

»Musik hat im Film« , so schreiben Borstn ar/Pab stlWuI ff. »zwei

komplernentare Punkrionen, welche analytisch unrerschieden wer-

den konnen, im konkreten Filmerlebnis jedoch eine Einheit darstel-

46 Kracauer (I9n), S. I~9·

 

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len« - namlich e ine »beze ichnende« und e ine »af fekr iv-evcka tive

Funkrion«." In der ers ten Funktion charakteris iert Musik das visuell

Dargeste ll te in eine r komplernenraren oder kontras tiven Art , i n der

zweiten wirkr Musik primar auf da s Gef iihl der Rez ip ienten . »Dabe i .

haben s ich fes te Muster e tabl ie rt , d ie e ine bes timrnte Mus ik in be-

s timmter lnstrumentierung fur spezifische Affekte nutzbar machr,

Angst beispielsweise kann mit gleichmaBigem oder sich steigerndem

Beat in Verbindung geb racht werden, Liebe und Begeh ren mit ro -

manti sche r Sr re iche rmus ik , Entf remdung oder Verwunderung mit

a tona le r Har fenrnusik. Oiese Zuordnungen s ind natur li ch kein fes -

t er Regelkanon, sondern haben s ich impli zi t t iber den Gebrauch der

Filmmusik und die Erfahrung der Rezipienten ausgebildet .s"

Eigens kornponie rre F ilmmusik war schon vor dern Aufs ti eg des

Tonfi lms zentraler Bestandteil des Kinos. Mit Beginn des Tonfi lms

wurde die mus ikal ische Unterma lung zu e inem eigenst andigen Ele -

ment des f ilmischen Geschehens und der f ilmischen Bedeutungs-

uberrninlung, Musik als Begleitmedium, zemraler Gegenstand oder

eigenes Thema (von Sendungen, die der Wiedergabe klass ischer Mu-

s ik gewidmet s ind, uber Volksmusiksendungen bis h in zu Deutsch-

l an d s uc h t d e n S u pe rs ta r) spiel t i rn Fernsehen heme eine irnmer wich-

t igere Roll e. Sie wird in Shows a ls Erkennungsmelodie ebenso wie

als dr amatu rgisches Element verwendet (man denke nur an den

Wechse l der Mus ik bei WCrw ird Mi l i ion i i r) oder s ie fungiert als Mu-

sik-Teppieh oder Geriiusehkulisse in Daily-Talks und Daily-Soaps.

In vie len diese r Verwendungen komrnt der Musik e ine drit te Funk-

tion zu , die flir den Char akter der betrelfenden Sendungen nich t

weniger tragend i st a ls d ie beiden zuers t genannten: namlich e inen

Bei trag zurn Rhythmus der ganzen Sendung zu lei st en , s ic :mit e iner

akust ischen Binnenspannung zu versehen, die auf unrerschiedliche

Weise mit ihrem Bildrhythmus korrespondiert,

3.6 Audiovisuelle Dimensionen

Bisher haben wir unse r Augenmerk in e iner kunst li chen Trennung

entweder auf den visue ll en oder abe r auf den akustischen Ablauf fil-

mischer Produkte gerichtet . Diese Trennung, 50 habe ieh argumen-

47 BorstnariPabsl/Wulff (2002). S. 127.

48 Ebd.

124

t ie rt, i st ana ly ti sch sinnvoll und oft prakr is ch norwendig , urn der

asthetischen Kornplexitat filmischer Produkte gerecht zu werden.

Oenn diese sind , wie das zweit e Kapit el aus fi ihrl ich dargelegt hat ,

jederzeit als eine Einheit aus visuellern und klanglichern Geschehen

zu begre ifen . In der Analyse diese r Einhe it hat d ie hie r vorges te ll te

Methode der Untersuchung des Fernsehens ihr Telos. Auf das Ver-stehen dieser Einheit muss sie daher alle ihre Detailuntersuchungen

lerzrlich ausrichten. Daher kann sich der Srellenwert der Elemente

f ilmische r Ges ra ltung, d ie i ch bishe r habe Revue pass ie ren lassen ,

letzrlich allein aus ihrem jeweiligen Ort in einern bestirnmtcn filmi-

sehen Zusamrnenhang ergeben. Urn diesen aber int erpret at iv zu er-

fas sen, bedar f es andererse it s e ines genauen Bli cks und Gehors fur

eben jene Elernente, aus denen erhergest el lt worden i st . In dem nun

folgenden Abschnitt werde ich - in einem wiederurn i iberbl iekhaft

.gedrangten Stil- e ln ige Grundformen der Integra tion von Bild und

Ton .vorstellen, einschlieBlich solcher Verfahren, die sich gegeniiber

der Unterscheidung von »visuel len« gegeniiber »akustischen« Ele-

menten indifferent verhalten (wie esschon im Fall der Sprache deut-

l ich geworden ist).

3.6. IFormale Relarionen

Das Verhaltnis von Bildern und Teneri ist in der Fernsehforschung

immer wieder konrrovers diskutl er r worden. Wahrend zunachs t

Bernward Wembcr49 die »Text-Bild-Schere«, also eine Divergenz

von Bildinhalt und Ton , als fern sehtypisch und das Verstandnis

behindernd gebrandmarkt harte, haben in der Folge diverse Kritiker,

so z.B. Steffen-Peter Balls taedr." darauf hingewiesen, dass gerade

eine nlcht-rautologische oder nicht-kornplernentare Verkniipfung

von Bildern und Tonen verstandnisbildend wirken kann. Harun

Farocki sptach in einer Arbeit O be r d ie A rb eit m it Bildern im F er n-

sehen von »Fullbi ldern«, »Stel lvertretungsbildern« sowie »Beweis-

und Belegbi ldern« , d ie fur d ie Bildsprache des Fernsehens typis ch

se ien,51 Die Ursaehe e iner solchen Relat ion von Bild und Sprache

sah er vor allem dar in , dass den Autoren im Fernsehen immer d ie

Mogli chke ir gegeben se i, si ch »auf die l ei ch tbewegli chen Wor te

49 Wember (19 83).

50 Ballsraedt (1990).

51 Farocki (1974); vgl. auch Farocki (1973)·

12~

 

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zuriickzuziehene.S Die hier mirschwingenden kritischen Uncertone

dur fen fr eil ich im Rahmen einer rnethodischen Erorterung nur als

Hinweise auf Formen dec Gestaltung aufgefasst werden, wie sie f tir

lnformationssendungen des Fernsehens typisch sein konnen, Ob sie

ess ind, kann wiederum nur die konkrere Analyse zeigen - und auch

h ier i st jeweil s zu fragen, was es r u r den Gehal t von Sendungen be-

deuter , dass Bi lder und Tone in diesem oder jenem Verhal rnis s te-

hen. Auch »Pilllbilder« narnlich geben in der Kombination mit

Wor ten durchaus etwas zu vers tehen, da Paul Watzlawicks auf d ie

inrerpersonale Kommunikation gemunzres Wort fur das Fernsehen

ganz besonders gi lt : dass man mit Bildern wie mi t Tonen n icht nich t

kornmunizieren kann.5l

Am Verhaltnis von Ton und Bild lasst sich zunachst ein formaler

Aspekt unterscheiden, der vor allern die technische Seite ihrer Rela-

t ion betri fft . Es geht dabei urn die zei tl ichen und rauml ichen Pro-

portionen, in denen die Bilder und Tone eines f ilmischen Produkts

zueinander stehen. A1sGrunddifferenz fungiert hier das Kriterium,

ob d ie Tonquel le innerhalb ())on screen" ) oder augerhalb des B11-

des (»off screen") angesiedelt ist, Karel Reisz unterscheider in seinem

Standardwerk zur Filmmontage entsprechend zwischen »synchro-

nern« und »asynchronem« Ton: Synchroner Ton hat seine QueUeim BUd, asynchronerTon kommtvon auBerhalb des Bi\des.54 Dabei

gilt es frei\i.ch zu beachten, dass gerade im lnforrnationsbereich des

Fetnsehens der Einbettung etwa eines in der Regel bildsynchronen

Originaltons (des On-Tons abo) in den kommentierenden Off-Ton

des Reporters oder Korrespondenten eine zentrale Rolle im Rahmen

des Bedeutungsgefuges zukomrnt. Auch darum muss die tecbnische

Seite der Produktion von Tonen von derjenigen unterschieden wer-

den, wie Tone im Bild situiert erscheinen. Einschlagig ist hier auch

die bereirs erwahnte von Siegfried Kracauer vorgeschlagene Diffe-

renzierung zwischen einern »aktuellen« Ton, der phdnomenal zum

Bild gehort, und einern »kornmentierenden« Ton, der - tatsachlich

oder fur den Betrachrer - von auferhalb des bildlichen Geschehens

kommt.55 FUr den Gehalt e iner Sendung ist es imrner mit entschei-

dend , wie das Verhal tnis von Bildern und Tonen in ihr fur einen

5 7. F a ro ck i ( 19 74 ). S . 3 1 1.

5 3 Wa tz la w ic kl B ea v in f Ja ck s on ( 1 96 9 ), S . 5 3 .

5 4 V g l. R e is z/M il la r ( 1 98 8 ).

5 5 B o rs rn ar e t a l. f il hr en d ie b el de n U nt er sc he id un gs pa ar e » sy nc hr on /a sy n ch ro n«

126

potentiellen Zuschauer erscbeint, wie also Tone im Raurn der Bilder

und Bilder im Kontext des horbaren Geschehens durch da s Produk t

verortet werden,

In ahnlichen Zusamrnenhangen hat Thomas Kuchenbuch bei der

Montage von gesprochener Sprache und Bildern zwischen »szenisch

integrierter«, zur Ebene des Dargestellten gehorender, und »szenisch

nicht integrierr er«, zur Ebene der Dars re llung gehorender (korn-

mentierender oder erzahlender), Sprache unterschieden/" Auch die-

seUnterscheidung ist im Hinblick auf eine Fernsehanalyse ergiebig,

da zwar die kornmenrierende Sprache eines Fernsehkorresponden-

ten z: B. in a ller Regel aus dem Off erklingt, es aber durchaus vor-

kornrn t, c lass gerade d ieser Kommentator in best immten Fal len

auch kurz im Bild zu sehen ist - und dies manchmal, Wdhrend er

denselben Text spricht, der bis dahin aus dem Off erklungen ist.57

Was szenisch nich t integriert schien, kann s ich auf diese Weise im

Nachhinein a1sszenisch integriert erweisen, was szenisch integriert

schien, kannsich ebenso im Nachhinein als szenisch nichr integrier t

erweisen- doch s ind d ies bereit s Verhal tn isse , d ie die Dramaturgic

f ilmischer Produkre beruhren und die daher nich t Hinger nur for -

male Aspekte der Organisation von Bild und Ton betreffen.

3.6.2 Der Point-of-View-Shot

Wie!sehr die formalen Aspekte der Organisation filmischer Verlaufe

mit de r inhaltl ichen Darstellung verbunden sind und wie sehr bildli-

che lStracegien hier mit akustischen Ereignissen interagieren, kann

die filmische Markierung bestimmter Sichrweisen deutlich machen.

Diese erlaubt nicht allein Ruckschlusse auf den Beteiligungsstarus

der Berichrenden im Zusammenhang von lnformationssendungen

b 1 w . • s y nr o p/ as y nr op « z u r E r fa ss u ng v o n Herkunft u nd Z eit pu nk r d es T on s e in :

.Syntop-synchroner Ton is ! i n H er ku nft u nd Zei t m il d e r a b ge b il de re n S c ha ll -

q~elleidenrisch ••ymop-asynchroner . Ton isrmi~der Herkunfr irn Bild ide~t . is .ch.

n i ch t a b el mit de rn Z e i tpunk r (das 1St e m k la ss is c he r F a ll v o n A s yn c hr on i zi ta r) ,

asynrop-synchroner Ton k or nm t y on a ul le rh al b d es B il de s, wird aber alsgleichui-

tig zum Bild erschlossen, und schlielslich bezeichner asyntop-asynchroner Ton,

d la ss w e de r H er ku nf t n oe h Z ei rp u nk e d e. T o ns mil d em s yn ag m at is ch en U m fd d

n l fe r enz ide n ti s ch s i nd ( z .B . k l as s is c he F i lmmus i k ). « Bor sma r/ P a bs t fWul f f( :wo2 ) ,

S 1 129.5 6 K uc he nb uc h (1 97 8). S . 5 7 .

5 7 V g l. d az u K ep p le r ( 19 85 ).

127

 

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oder auf das Er leben von Figuren in fikt ionalen Konrexren, o ft g ibt

sie zugleieh Aufschluss tiber Sichtweisen, die dem Zuschauer durch

die Art der bildlichen und akustischen Montage nahe gelegt werden:

sei esdurch eine Distanz, die zu der als sub jekt iv mark ierten Sich t

erzeugr wird, sei es durch die Animation zur Obernahme dieser

Sichc,Zwar is t es d ie Kamerafuhrung , der hier e ine besondere Bedeu-

tung zukornmr, doeh die Signifikanz ihrer Operationen be i der

Markierung sub jekt iver Per spekt iven ist of t eng mi t derjenigen ei-

ne s spraehlichen oder anderweitigen akustischen Geschehens ver-

kniipft. In der Filmtheorie wird die Frage de r Perspektividit des

berichteten oder erzahlten Geschehens ausfiihdich diskutiert, im

Rahmen von Fernsehtheorien und -analysen kommt dieser Punkt

jedoch fast nie zur Sprache. Wie beim Sti.chwort Kametaoperatio-

nen bereits ausgefuhrt, ist es die Kamera, die uns ein Geschehen

»sehen« lasst , "Point-of-view Shots« werden vat a ll er n im Hinblick

auf die fiImische Realisierung von Perspektiven im Zusammenhang

mit narrativen Strategien und Erzahlweisen diskutier t. Edward Bra.

nigan definiert die Funkrion dieser Karneraoperar ion so: »The POV

shot i sa shot in which the camera assumes the pos it ion of a sub ject

in order to show us what the subject sees. ,,58 Diese Darbietung sub.

j e kt iv e r P e rs p ek r iv e n hebt sich nach Branigan von so genannten

"external shors« ab, d ie ein Geschehen von aulkn darstel len. Obl i-

cherweise sind dies Einstellungen der Totalen oder Halbtotalen, die

den GroBraum einer Handlung vors te llen -oder beim Fernsehen

ein Handlungsszenario, e twa das Stud io zeigen, in dem eine Talk-

show stattfindet. Die dieser Sichtweise zugeordnere »neutrale« oder

»objektive« Position ist allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Denn

sie gewinm diesen Stellenwert allein i n Re la t io n zu Einstellungen,

die eine vergleichsweise subjektive Ansicht von einer Sache zeigen,

Die Markierung dieser subjektiven Perspektiven ist jedoch haufig

keine Angelegenheit von Aufnahme und bildlicher Montage allein.

Ursula Oomen be ispielsweise hat in ihre r Untersuchung zu denunterschiedlichen Wort-Bild-Strategien amerikanischer und deut-

scher Fernsehnachrichren darauf hingewiesen, dass sich diese signi-

f ikant unterscheiden, In den amerikanischen ABC-News wird ihren

Ergebnissen zufolge die »Perspektivirar der Berichtersratrung. nichr

zuletzt durch die spezifische Art der Wort-Bild-Kombination sowie

durch die »Einbeziehung subjektiver Sehweisen« deutlich gemacht.

Eine'Verwendung von Bildern, die das verbal GeauSerte kommen-

tiert oder auch konterkar iert , stellt hier die Worre in einen bestimm-

ten Interpretationshorizont und schaffi damir Voraussetzungen fur

eine distanziertere Form der Involvierrheir der Zuschauer , die es d ie -sen gegebenenfalls erlaubt, ihre eigenen Schliisse zu zlehen.F'

Im . ak rue ll en deurschen Fernsehprogramm wird der POV Shot

in ganz unterschiedlicher Weise eingesetzt, bei Sportubertragungen

ebenso wie be i Daily-Talks und in Talkshows. Bei Sab ine Chris tiansen

erwawirdmithilfe unterschiedlicher K am e ra sr an dp un kt e u nd e in er n

damit einhergehenden Perspektivenwechsel der Kamera ebenso wie

durch Schni tre und Gegenschni tte von GroBaufnahmen der Spre-

chenden und Zuhorenden ein Widerspiel wechselseitiger visueller

Korrimentierungen erzeugt. Dieses ver leiht dem mit Worren Gesag-

ten eine zusatzliche Dimension, die fur den Unterhaltungswert dieser

Talkshow von groBer Bedeutung ist, da sie den Zuschauer in die Lage

vers~tzt , quasi mi t e igenen Augen zu sehen, was der jeweil s Spre-

chende gerade auch sieh t, naml ich wie sein Gegent iber oder seine

poli~schen Konrrahenten auf seine AuGerungen reagieren.60

I

3.6.3 Wort-Bild-KombinationeniI

Ein~differenzierte Interpretation der Bedeutung etwa von Karnera-

operationen, aher auch von vielen anderen Aspekren des audiovisu-

elleq Mater ials ist nur moglich, wenn die jeweils besondere Form der

Wort-Bild-Kombination analytisch erfasst wird, Einige typische der

im F,ernsehen gebrauchlichs ten Verfahren der Wort-Bild-Kombina-

tion 'seien daher kurz erlauterr.t'

59 Obmen (1985).

60 Dies ist die einfachste Variance des aus zwei aufeinander folgenden Einstellungen

b~s tehenden POV Shots : »Eins re llung A (Glance Shot) z cigt uns den Blick e iner

Figur , E inste llung B (Object S h ot ) z ei gt uns < l a s Objekt, < l a s die Figur erblickt,

u~d zwa r au. doc Per spektive der F igur in Einstel lung A.. BorsrnarlP.bstlWulff

(2. '002), S . 169; vgl . e bd . auch die wei te ren, a ll erdings am nar ra tiven Film orien-

dJnen Aus fi ihrungen zu wei te ren Var ia nten des POV Shots . - Zur Dra rnarurgie

vdn S ab in e Ch r is t ian s en vgl. Keppler (2004).

61 V~. dazu rneine exemplarische Analyse der Wor t-Bi ld-Kombina tion in Fernseh-

k</rrespondentenbdtragen in Keppler (198~).

12.9

 

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3.6.3.1 Textbezogene Illustration

Diese Woct-Bi ld-Bez iehung zeichner si ch zunachs r durch e ine e in-

deutige Priori tat des Wortes gegenuber dem Bild aus. Die Skala die-

sec Wort-Bild-Kombinationen reicht von einem nicht erkennbaren

Bezug zwischen Bildern und Worten, Fa rock is » Pu ll b il d e rn« , tiber

die von ihm so genannten »Stel lvertretungsbilder«, die Bebilderun-

gen einzelner im Text genannter Worte sind , bis hin zu einer rextbe-

zogenen I llus trat ion, in der die Bilde r dern in Worren Gesagten e ine

zusatzliche Erfahrungsdimension eroffnen.62 Hier unterst ii tzen die

Bilder zwar da s i n Wor ten Gesagte, abe r sie bleiben in ihrer Bedeu-

tung abhangig von der sprachli chen Aussage, da e rs t diese Ihnen

Relevanz und Richtungssinn verleiht, 1m Unterschied zur dekorat i-

ven Bei fugung und zur Bebilde rung e inze1ner Wor te verwe is en die

Bilder in dem zuletzt genannten Fall s tarker auf eine angesprochene

Si tuat ion oder auf e in sprachlich geschildertes Geschehen, i n dem

sie Z. B. Varianten einer solchen Situation zeigen oder indem die

Kamera ein e angesp rochene Situation schilderr und sic dam it in

einigen ihrer Aspekte beobachtbar macht , Die Bilder zeigen hier, toieetwas ist , als Begleitung von Aussagen dariiber, wa s hier bemerkens-

oder berichtenswert ist .

3.6.3.2 Sri irz- und Belegfunktion der Bilder

Von diese r i ll us rr ie renden Funktion i st e ine Verwendung von Bil -

dern zu unrersche iden , in der diese zeigen soll en , doss erwas so und

so ist . Solche Beweis- und Belegbilder iIlus trieren nicht allein das in

Worren Gesagte, s ie verleihen diescm daruber hinaus Glaubwiirdig-

kei r, Das Wor t enrspri ch t dem, was irn Bild gezeig t wird, da s Bild

belegt, was in Worten gesagt wird. Diese Bilder zeigen, dass etwas so

gewesen isr, indem sie genau die Situation zeigen, von der im sprach-

l ichen Text die Rede ist (im Unterschied zur textbezogenen Illus tra-

tion, in der cine Variante einer im sprachlichen Text angesproche-nen Si tuat ion gezeigt wird) . Ohne das Wor t b le iben aber auch diese

Bilder insofern unselbsrandig, als ihnen keine Eigenbedeutung zu-

komrnr. Eine solche Wort-Bild-Kombination finder man beispiels-

weise dann, wenn in Nachrichtensendungen die Gesichrer von

130

Menschen zu sehen sind, d ie von dem zu ber ich tenden Ereignis

betroff en sind . Du rch der en Mimik und Gestik werden durchau s

Inforrnationen uber Gemutszustande wie Wut, Trauer, Entschlos-

s enhe it e tc . vermi tte lt , e rs t mit den dazugehor igen Wor ten aber e r-

fahr en wir, wo rum es genau geh t. Das Wort ist hier zwar in erster

Linie der Informationsrrager, das Bild stutzt aber seine Glaubwtir-

digkeit , da es die Authenrizirat der Situation belegen 5 0 1 1 .

3.6.3.3Wechselseitige Einordnung und Kommentierung

von Bild und Wor t

_ .

Eine groBere Unebhangigkeir des BiIdes gegenilbe r dem Wort ist

gegeben, wenn das B ild als Kommentar zurn Wort f ung iert und so

einen eigenen Interpretationsspielraum eroffnet, Eine gegenseitige

Einordnung und Kommentierung von Bild und Wort, in de r da s

Wort die FuBnoten zum Bild liefert und das Bild umgekehrt den

authent is chen Charakter der angesprochenen Szene verst arkt , hat

e ine prinzip iel le Selbs tandigke it und damir Gle ichwerr igke it von

Bilde rn und Worten zur Voraus se rzung. Auch hie r haben wir eswie -der mit e iner Skala von Mogli chke iren zu tun . Neben e inem grund-

satzl ich kornplemcntaren, den Inrerpretat ionshorizonr erweitern-

den Verhaltnis von Wort und Bild sind auch verschiedene Varianten

eines opposit ionellen Verhaltnisses rnoglich, wie erwa kontras tive

Bekrafrigung und gegenseit ige Infragestel lung. Ein solches Verhalr-

n is von Worten und Bildern kann aber nut das Ergebnis einer tib er

einzelne Einstel lungen hinausgehenden Kornposit ion von Bildern

und Worten sein. In e rs te r L in ie is t e sdaher neben dem Bildinhal t

die Kombina tum der Einstellungen, d ie e ine e igene We t tigke it von

BUd und Wort hervorbringt und beiden den Charakter c ines eigen-

s innigen Informationsrragers belassr, verleiht oder nimmt, Damit

s ind wir bei dem ent sche idenden St ichwor t fur d ie Analyse des kom-

pletten audiovisuellen Geschehens: der Montage.

3.6.4 Montage

Alles , Wasunter dem Stichwort »audiovisuelle Dimensionen« bisher

ausgefi ihrt wurde, handelte bereirs von Veifahren der Montage. Die

Verkn tip fung von Bild und Ton ist ebenso ein Ergebnis von Mon-

tage wie die Zusammenfiigung von Aufnahmen zu Bildsequenzen.

131

 

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Montage ist die HersteUung nicht a llein visueller , sondern audio-

visuetler Bildverlaufe. Montage ist daher etwas, das aUeBildverlaufe

i rn Fernsehen durch und durch pr' agt .

Im Unterschied 2.U Wal.ter Benjami.n, der in seinem Kunstwerk-

aufsan VOt allern den schopferi schen Akt der Montage betont , ver-

weist der franzosische Filmtheoretiker Andre Bazin mit seinerDefinition der Montage als »Organisation der Bilder in der Zeir«

nuchremer und praziser auf die organisarorische und damit den fil-

mischen Zusammenhang erst schaffende Kraft der Montage.P Sie

trifft zunachst eineAuswahl ausdem durch Kameraoperationen vor-

interpretierten Material; ihr Duktus baut aufdem der vorgegebenen

Einstellungen auf Wie starisch oder dynamisch dieser aber auch

sein mag,die Montage kann ihn fast beliebigweit in die Gegenrich-

tungverandern, statische Einstellungen lassensichzu extrem beweg-

ten, dynamische Aufnahmen zu extrem repetitiven Bildfolgen zu-

sammenschneiden. Der Momageduktus wird durch die im Schnin

gewahlte Einstellungslange und die Art der Anordnung von Einscel-

lungen bestimmt: die VerknUpfung einzelner Einstellungen zu in-

haltlich zusammenhangenden Einstellungsfolgen schafft eine the-

rnatische Strukturierung. Wahrend die Kameraoperationen auf der

Ebene der Einstellungen zwarVorentscheidungen uber die Prasenra-

rion von Objekten und Siruationen schaffen, ist es doch erst die

Montage, die aus diversen isoliert aufgenommenen Ausschnitren

auswahlr und diese zurn Endprodukr zusamrnensetzt. Dies triffi

gleichermalsen auf die Zusammenstellung der akusrischen Kompo-

nenten zu; auch diesesind dasErgebnis von Entscheidungen, die so

oder anders hatten ausfallen konnen: zusammen mit der Choreogra-

fieder Bilder ergeben auch diese erst das, wasein filmisches Erzeug-

nis ist - das, wases im Rhythmus seiner visuellen und akustischen

Bewegungen sagt und zeigt.

6 3 B az in (J 9 7 8) . - D ie i n d er e ng li sc hs pr ac hi ge n D is ku ss io n g el au fi ge U n te rs ch e id u ng

v on » Cu rr ln g « u nd - Ed lr ln g« t re nn t d en e he r h an dw e rk li ch en A kc d es A ne in an de r-

f ug en s v on S iI d- u nd Tonsegrneneen vorn kreativen Ak r d er M o n ta g e im Sinne einer

b ewu ss re n G e st al tg e bu n g d es F il m ga n ze n, D ie se r U n te rs ch ei du n g f ol ge i ch j ed o ch

- b er ei rs i m T ra ns kr ip ri on sv er fa hr en - n ic ht , d a .s z ur na l b ei d en P ro du kr io ne n d es

F e rn s eh e ns w e n ig s in n vo l l i st , z w is ch en e in e r g r un d sa tz ll ch e n Diffetenz d e r v et -

gleichsweise elernentaren Operarionen des Schnirrs und einern kilnstlerischen Akt

d er M o nt ag e z u d if fe re nz ie re n. A u f u nr er sc hi ed li ch en E b en en , SO n eh m e ic h a n,

w er de n in e in em fil m i sc h en P ro d uk r B i ld - T o n -S e qu e nz en z u sa m rn e ng e fi ig r , d ie

ihrerseits III der Dramaturgic d e r g e sa m re n S e nd u ng z u sa m rn e ng e fu g r w e rd e n,

132

In den k1assischenTheorien der Montage isr die audiovisuelle

Einheit filmischer Verlaufe oftwenig beachtet worden, da diese ihre

Wprzeln vorwiegend in den filmtheorerischen und filmpraktischen

Diskussionen der zoer-jahre des vorigen Jahrhunderts haben. Als

ze~trale Aufgabe dec Montage wurde hier die strukturierende

Zmordnung einzelner Einstellungen zu Einsrellungsfolgen gesehen.Diirch die VerknUpfungeinzelner Einstellungen wird dernnach die

Konrinuirar eines Filmserzeugt;die Art undWeiseder VerknUpfung

e~tscheidet nicht nur tiber kausale Zuordnungen oder den Aufbau

einer »Handlung«, sie steuert die Aufmerksamkeit und weist den

ei*zelnenBildausschnitten Bedeutungen zu. Dabei sind immer wie-

d d r andere Verfahren der Montage propagiert worden. Anders als

Filmtheoreriker wie Kracauer oder Bazin sahen Theoreriker und

Pthlctikerdes russischen Revolutionskinos die Aufgabe des Films

udd decMontage nicht in einer »Errettung der auaeren Wirklich-

lJit« (Kracauer),d.h. in einer dichten Vergegenwartigung decgeleb-

te~Welt, sondern alsvordringliche Aufgabe galt die Durchdringung

u M Transformation des Alltaglichen, eine Verfremdung des ge-

W E ' hnten Blicks, urn bis dahin »Unsichtbares sichtbar zu machen«o er den »inneren Rhythmus jeder Sache«in den Vordergrund zu

st en.b• Die Entstehung desTonfilms hat dabei zu einer enrschei-

d nden Erweiterung der Moglichkeiten der Montage gefiihrt, 1m

Z~ge.dec Fil~geschich.te haben sich verschie~ene Mont~eregeln

eJtwlckelt, die rur besrimmte Schulen oder Richtungen wiederum

s~ifische Ausformungen angenommen haben, So ist das Gebot

ddr »continuity« fur Hollywoodproduktionen von entscheidender

Btdeutung geworden.P Die Herstellung eines kontinuierlichen Zu-

6~Vgl . dazu z .B . Ver tov (zoora) , S . 33. H ie r h.iSt es: »Die Filmsache iSIdie Kunsr der

I O rg an is ati on d er n otw en di ge n S ew eg un ge n d ec D in ge i m ~ um u nd - a ng ew an dt

1- da s r hy th rn is ch e k il ns tl er is ch e G a n ze , e nt sp re ch en d d e n E lg en sc h ef te n d es S ro ff es

! u nd d em in ne ren R hy th mu s jed er S ac he .• V gl . a uc h V ert ov (z oo rb ) u nd V erro v

I (2oOIe) . Die r u ss is ch e F il m in d us rr ie w u rd e b e re ir s 1919 v er st aa tl ic ht u nd h an . d en

z u r p o li ti sc h en u n d s o zi al en Modernisierung d es L a nd es b ei au rr ag en . I n

de n zoer -j a hr e n e n tw i c ke l re n die Re gi ss eu re S er ge ] E i se n st ei n, D ri ga V er to v s ow i e

V se vo lo d P ud ow k in u nd a nd er e e in e e ig eu e F il m sp ra ch e, d ie e in en g ro fe n E in tl us s

n i ch e n u r a u f lias Propagandak ino dec N a do n al so z ia li st en h a rt e ( ob w o hl d o ch d e re n

Z i e ls e rz ung de c de c r u s si s che n F i lmp i on ie r e d i ame rr a l e n rge ge ns t and ! ).

Vgl . die e nt sp re ch en d e A n ga be d es d af ii c Veramwordichen ( un re r d er eigenen

Rubc ik : » c onr i nu i ry « ) i n jedem F i lm a b sp a nn . E i ne Z u sa rn rn e nf as su n g d e r R e ge ln

d es » C on t in u it y S ty l e « f i nd e r s ic h b e i Kersting (1989)·

13 3

 

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sammenhangs durch die Anordnung der Einst ellungen zu Einsrel -

lungssequenzen, d ie den Schnit t unsi chtbar werden las sen, i st e ine

flir den Hollywoodfilm vielfach maGgebende Variante der Montage.

Eine solche Praxis finder s ich aber berei ts bei dern russischen Filme-

macher Pudowkin , der dem Konzept der Kollision von Bildinhalten

seines Kollegen Eisenstein kririsch gegenuberstand und von de c Mon-

tage forde rre, das s die Einst el lungen wie d ie ••Glieder einer Kette«

ineinandergreifen und die Montage sich der Erzahlung unterordnen

mlisse.66

Eisenst ein dagegen erhof ft e s ich von dem Kont rast e inze l-

ner Einst el lungen zue inander die Ent srehung e ines neuen Zusa rn-

menhangs, dec den Zuschauer gerade durch den Aufbau von bildl i-

chen Konfl ikten zu eigenen Schlussfolgerungen anregen sollre.

Dies s ind Moglichkeiten der Montage, di e auch irn heutigen Fern-

sehen zwar weiterleben, aber die eigens fur das Medium hergestel lren

Sendungen keineswe:gs dorninieren, So ist in Fernsehreportagen in-

nerhalb wie auGerhalb von Nachrichtensendungen oft die Auflosung

eines Objekrs oder einer Ansichr in Detailaufnahrnen vorherrschend.

Ist etwa in einem Femsehmagazinbeitrag die Rede von der Situationarbeirs loser Menschen (in der westl ichen Hemisphare), so sehen wir

fas t immer folgende Situarionsausschnit te: wartende Menschen in

einer Schlange, GroGaufnahmen der Gesichter wartender Menschen,

einzelne Menschen mal vor, mal hinter einern Schalter, einern Schreib-

tisch usw. Hier wird eine komplexe bildiiche Siruationsbeschreibung

oft zugunsten einer Auflosung in Teilansichten aufgegeben, die den

Eigenwert einzelner Einsrel lungen in ihrer zei tl ichen Organisat ion

relativ stack zurucknimmr, Diese Montagepraxis hat seinerzeit bereits

der russische Formalist Victor Sklovski] kritisiert ...Das amerikanische

Montieren, das wesendich vom Vorzeigen einzelner Situationen und

von der Vertauschung weniger Detai ls lebr, scheint mir eine ziemlich

modische Methode zu sein, d ie l ei chr durch e ine andere e rse tz t wer -

den kann. Urn zu zeigen, c la ss e in Pfe rd s ich vorwar tsbewegr, muf

man nicht abwechsdnd se ine Ohren , se inen Schweif , se ine Hufe zei -

gen.,P Sklovskl] schlug stattdessen eine Monragepraxis vor, die "stan

Detail mit Deta il , Schichr mit Schicht« konfronti ere und so zu vol l-

kommen anderen Mogli chke it en gelange - wie s ie e rwa in der Fi lm-

praxis von Eisenstein oder Dziga Vertov ausgenutzt wurden.68

66 Pudowkin (ZOOI).

67 Sklovski](1966), S. 79,

6 8 E bd ., S . 8 1.

13 4

Ich erinnere an diese Kontroversen nicht , urn eine normative Ent-

scheidung zwischen diesen und weiteren filmtheor etischen und

fiImpraktischen Posit ionen herbeizufiihren, sondern urn nochmals

an die Bre it e der Mogli chke it en der f ilmi schen Konst rukt ion zu er-

innern,di e ihre Spuren auch im heutigen Fernsehen hin te rl ass en .

Die Art , w ie Bild- und Tonverl aufe se legier t und kombinier r wer-

den; i st das, wor in f ilmische Produkte ihre innere Art ikuli er theit

gewinnen. Ober eine solche Artikuliertheit verftigen aile Sendungen

des Fernsehens, g le ich ob es s i ch urn Spiel fi lme aus dem Iran oder

aus Hollywood, urn Quizsendungen, Talkshows, Sporrubertragun-

gen oder sonst eines Zuschnitrs handelt , Montage ist also kein kunst-

l er isches Verfahren , das e inmal verwendet und e inmal auBer Acht

gelassen wird, s ie ist das Verfahren, durch das der Zusammenhang

filmischer Produkte entsteht.

Fi ir ihre Ana lyse kann eskeine fest en Regeln geben. AIle Versu-

che, solehe zu etablieren, miissen als gescheitert angesehen werden.

Die zur Erfassung groBerer filmischer Bedeutungseinheiten vorge-

schlagene "GroBe Syntagrnatik« von Chris tian Metz beispielsweisedefiniert eine begrenzte Anzahl solcher Sequenzen oder sequentiel-

len Anordnungen/" In Metz' Klass ifikat ion werden acht Typen von

sequentiellen Anordnungen unrerschieden. Das Problem jeder s tar-

ren Umertei lung bzw. Syste:matis ierung von Montagerypologien ist

es aber, dass ihnen die:Annahme zugrunde liegt , bestimmte Monta-

gerypen se ien g1e ichsam von s ich aus mit e iner bes timmren Bedeu-

tungsprodukrion verbunden. Wie in Kapitel 2. 5 herausgestellt, ver-

mag die Ana logie von f il rn is cher mit verba le r Sprache die Ana lyse

von F ilmen nicht zu le iren , wei l s ie ihr Objekt berei ts auf phanome-

naler Ebene verfehlt. Dennoch isr ess innvoll , f ilmische Erzeugnisse

als eine Abfolge audiovisueller Sequenzen zu verst ehen , d ie auf sehr

unterschiedliche Weise aneinander anschlielsen konnen. Sowohl die

e inze lnen Sequenzenal s auch ihre Verbindung zum Ganzen e ines

Films miissen dabei als Effekte der Montage angesehen werden, Fil-

rnische Erzeugnisse, so gesehen, s ind komplexe Folgen audiovisuel-

let Sequenzen, deren Anordnung uber den komrnunikat iven Cestus

des ganzen Films enrscheidet,

In einer fri iheren Untersuchung zum polit ischen Informations-

film im Fernsehen habe ich vorgeschlagen, eine Sequenz als eine the-

135

 

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matisch-forrnale Einheir zu definieren, die sich durch eine inhaldi-

che und prasentationslogische Zuordnung von Bild- und Themen-

blocken ergibr." Eine Einstellungssequenz wurde hier def iniert als

eine thematisch in sich abgeschlossene Bildfolge ohne Schauplatz-

wechsel. Der Begriff »Schauplarz« ist hierbei als ein hermeneutischer

Begri ff zu verseehen, mi t dern rauml ich lokali sierbare S inn-Ein-heiten erf ass r werden - Orte eines Geschehens , d ie nach innerfi l-

mischer Logik zusammengehoren. Si e gehoren zu einer Sequenz,

so lange ein themati scher Zusammenhang der Bilder gegeben is t,

Wenn etwa im einfachen Fal l e ines Magazinbeit rags in einer Folge

von kurzen Einstel lungen eine StraRe mit Autos , Autos auf einem

Parkplatz, ein Firrnengebaude mit dern Emblem einer Autof ir rna,

Autos mi t Nummernschi ldern, Autos und FuGganger, e in Hoch-

haus mi t e inem besr immten Schr if izug etc . zu sehen s ind , so s teht

diese Sequenz in einer engen thematischen Verkniipfung und illus-

triert beispielsweise den Komplex »Autoindusrrie«.

Die Analyse der sequentiellen Strukrur von Sendungen ist dabei

doppelt ausgerichtet: Zum einen geht esurn den Aufbau der jeweili-

gen Sequenz und zum anderen urn die Abfolge einzelner solcher

Sequenzen oder Bildfo~gen im Rahmen cines Films , e iner Repor -

tage, e iner Doku-Soap usw. Dabei sol l ten Gesich tspunk te leitend

sein, die genmll fur fUm'tsche Verlaufe maB~ebhch sind, ohne durch

eine feststehende Grammatik mite'tnandet verbunden 'l.U sein, Ein-

leuchtend is t h ier der Vorschlag von Hans [urgen Wulff, »d ie Kate-

gorien, nach denen Montage die Bild folgen organisierr, in einem

Katalog nicht-hierarchisier ter und unrereinander kombinierbarer

Positionen zu erfassen«, der sich auf die in den klassischen Montage-

theorien erorterten Parameter »Chronologie, raumliche und zeitliche

Kontinuit i i t, Narra ti v i t ii t und Deskriptiviti i t« stiitzt.71 Damit werden

die relevanten Dimensionen fllmischen Geschehens auf der Ebene

groBerer Bedeutungszusarnmenhange erf assbar - zusammen mit

den heiden Grundarten einer (eher) anschl ieBenden oder abwei-

chenden Kombina t ion filmischer Sequenzen. »Die Kategorien Chro-nologie, raumliche und zeitl iche Kontinuirar , Narrativitat und Des-

kriptivitat beschreiben die Organisation der einzelnen Bilderser ien

hinsichtlich zeitlicher, raurnlicher und erzahlrechnischer Gesichts-

punkre, Kornparativitat und Alternation beschreiben das Verhaltnis

70 Keppler (1985).

71 Borsrnar/Pab,t/Wulff (1.001.), S. 146.

zweier oder rnehrerer Bilderserien zueinander, und zwar einerseits in

inhaltlicher, andererseits in materialasthetischcr Dimen~ion.~72

Die in diesem Zitat markier te Differenz zwischen »inhaltlicher«

und »asthetischer« Dimension ist f reilich mit Vorsicht zu genidkn.

Denn auch s ie kann bei der Interp re ta tion fi lrn ischer Erzeugnisse

nur einevorlauf ige Unterscheidung sein. Zwar lassen sich Elememedes Dargestellten und der Darstellung in ihrem Verlauf immer wie-

der .unterschciden. Es lassen sich einerseits Objekre, die sichtbar

sind, Handlungen, die ausgefiihrt, Worte, die ausgesprochen werden,

auf listen und andererseits die Art und Weise, wie sie jeweils zur Dar-

bietung kommen. Diese Unrerscheidung - wie sie bereits in der Praxis

des Tianskribierens verankert ist - srellr eine wichtige B a s i s fur die

Interpretation eines fllmischc:n Geschehens bereir, Die Interpretation

selbst muss sie jedoch hinter sich lassen. Denn im Unrerschied dam,

was inhal tlich - auf der visuellen wie auf der akus ti schen Ebene - in

einer Sendung so alles passiert und was in diesem Sinn ihr »Inhalt« ist

oder "in ihm vorkornrnt«, ist der kommunikarive Gehalt einer Sen-

dung die Resultant« dessen, was dargeboten und wie es dargeboten

wird. Das Wie des Zeigens und der Darb ie tung insgesamt verleiht

dem Gczeigten und Cesagren eine Bedeutsamkelt, die von der gesam-

ten Dramaturgie der jeweiligen Filme nicht zu trennen ist.

Die Erlauterung dieser den Sendungen innewohnenden Bedeur-

samkeit und damit die Einheit von Darbierung und Dargebotenem

ist das primare Ziel einer qualitativen Interpretation f ilmischer Pro-

dukte. Deswegen sind die asthetischen Qualitaten de c Sendungen

deslFernsehens, wie sie in der Art ihrer Montage gleichsarn kumulie-

renj nichrs, was man auch nocb beach ten kann, sondern das, was vo r

a l t e r n beachtet werden muss , wenn es urn d ie Untersuchung ihrer

Komrnunikadonsform geht. AIle in diesem Kapitel unterschiedenen

Schri tte dieser Interpretation sind auf eine solche Auslegung der Ein-

hei~rnedialer Produkte ger ichtet. Fur deren Deutung gibt esaus den

genann ten Grunden keine ubergreif ende Regel, kein Manual , das

nuqnoch angewendet werden mussre . Aber wenn die in d iesem Ka-pi tq zusarnmengesre ll ten Dimensionen bei der Analyse des kom-

munikativen Potentials von Sendungen im Fernsehen tatsachlich

bcathtet werden und wenn die Darstel lung der Ergebnisse d ieser

An~yse die hierbei getroffenen Differenzierungen berucksichtigt, so

!

72 Ebd.I

 

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fuhrr dies zu einem konrrollierbaren Verstandnis der Sichtweisen,

die durch d ie Machart de c betreffenden Produkre angeboten wer-

den."

3.7 Ga t tung sa nal y se a l s R ahmen der Produktanalyse

Eine weirere Dimens ion aber muss d ie Analyse dieser Produkte i rn

Auge behalten - ihr e Posi tion un ter den Gattungen der TV-Kom-

munikation. Nach den Ergebnissen des zweiten Kapitels spielt sich

diese in einern »Kontinuum von Gattungr:n« ab, in denen die einzel-

nen Sendungen ihre charakter isrische Stellung gewinnen. Den dart

.entwickelten Begriff der Gattungen der Kommunikation und spezi-

ell der Fernsehkommunikation kann ich hier voraussetzen, Aber es

gilt die methodische Konsequenz zu ziehen, die sich aus der Gat-

rungsgebundenheic oder doch Gattungsbezogenheit aller Sendun-

gen des Fernsehens ergibt.

Dies berriff r den Status der Analysen. Sie mussen vom Ansatz her

kompara t i ve Analysen sein, Das System Fernsehen ist nur an der

aktiven Pluralirat seiner Produkte zu erkennen. Wie das Fernsehen

erwas prasentierr , ergibt sich auch aus der differenr iellen Prasenta-tionsweise seiner vielfalrigen Produkte. Wenn es in dec Einleitung

zurn zweiten Kapite! hief~,dass »dieAsthetik dieser Produkre der pri-

mare Gegenstand der Pemsehanalyse« ist , so haben wir mittlerweile

einen genaueren Begriff davon gewonnen, was dies bedeuter, Es be-

deutet zurn einen, den Gehalt zum Gegenstand zu machen, der an

die spezifische Darbietungsweise filmischer Erzeugnisse gebunden

ist. Es bedeurer aber zum anderen, und d ies i st die noch fehlende

Erganzung, dass die Analyse solcher Produkte nicht allein auf deren

gesamte audiovisuelle Dramaturgie, sondern zudem auf die Signi -

fikanz dieser Dramaturgie irn Vergleich mit andersartigen medialen

Gauungen zu achren hat.

Dabei gilt esden dynamischen Charakter medialer Gattungen zu

berucksichr igen. Ihre SceHung unrer und zu diversen Genres gewin-

nen Sendungen des Fernsehens in einern Netz von Farnilienahnlich-

keiten, das durch neu entstehende Sendeformen besrandig gewebt

73 Das heiBt nartirlich nichr, dass bei einer Interpretation aile diese Dlmensionen

erwiihnr und eigens behandelt werden milssten; esgen ugr, wenn die Interpretation

auf die jewejls reievanten Aspekte eingehr,

und aufgelos t wird. Die Bewegung der Gatrungen des Fernsehens

hat so an der iibergreifenden Enrwicklung des Mediums teil, die

ihrerse it s nich t unabhangig von der Evolut ion seiner Produkte un-

tersucht werden kann. Hierfur konnen die folgenden Fragen einen

Leitfaden bildc:n: Welchen Mustern und Ablaufen unterliegen aus-

gewahlre Vorgange der Wissens- und Informationsvermiulung, der

Erzahlung und Unrerhaltung im Fernsehen, welche Foemen derrnedialen Inszenierung lassen sich dort feststellen? WeIche charakte-

ristischen audiovisuellen Strukturelemenre konnen in einern Sende-

fo~mat idenrif iziert werden? Konnen feste Ablaufmuster hinsicht-

lich dec Srrukturelemente einer Gruppe von Sendungen beobachtet

werden? Inwieweit gibt esbel verschiedenen Sendeformen Gemein-

samkeiten und Unterschiede im Hinblick auf 'Strukturelemente und

Ablaufmuscer (gibt es Hybridisierungen zwischen Sendeformaten,

gibt essenderspezifische Variationen)? 1st fur das jeweilige Sendefor-

mat ein rypischer Aufbau, e ine typische Einbet tung und/oder eine

charakter istische Koprasenz von evaluativen Elementen beobacht-

bar? Rechtfertigen die beobachteten Gemeinsamkeiten die Klassif i-

kation cines Sendeformats als einer eigenstandigen medialen Gat-

tung? Welche Sicht dec dargebo tenen Situarionen und dami t: wel-

che ubergreifenden Orientierungen werden durch die Dramaturgicdec unter suchten Gattungen nahe gelegt? - In dec Bearbeitung die-

ser Fragen kaOll die Unrersuchung dec Verfassrheit von medialen

Produkten in den Rahmen einer Gattungsanalyse gestellt werden,

die das jeweil s betrach tere Produkt in Beziehung zu anderen setzt ,

die entweder derselben oder einer anderen Gattung zugehoren. Auf

diese Weise werden die charakter istischen Elemenre der einzelnen

medialen Produkte erst in einem vol len Sinn deut lich: d ie Art narn-

li~, in der es seinen kommunikativen Beitrag als Exemplar einer

oder mehrerer Gattungen leistet - oder als ein Produkt, das die

Grenzen der b isherigen Gattungen erweitert , rransformiert oder

sprengt. Zugleich wird durch dieses Vorgehen deurlich, was die be-

sondere Kommunikacionsform der Gattungen ist, denen die analy-

sierten Produkre jeweils angehoren. Erst durch dieses kornparative

Verfahren kann beides erreicht werden: eine genaue Interpretation

einzelner Sendungen und eine am Mater ial belegte Interpretation

dec iibergreifenden Formen, in denen sich die TV-Kommunikation

zu einer besrirnmten Zeit vollzieht.

Dieser Zustand des Fernsehens kann Freilich durch interpretative

139

 

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Verfahren immer nur in Ausschnitten da rg e sre ll r w e rd en , Jedoch

kann und braucht die Analyse d ieser Prasentat ionsfo rm nichr den

Anspruch aufVollstandigkeit zu erheben. Dies ware ein leeres Ideal,

schon deshalb, wei! sich die Sendungen des Fernsehens fortwahrend

andern. Zum anderen bilden die Beziehungen, die unterschiedliche

Sendungen zueinander unterhalten, einen so weitlaufigen Kontext,

dass - wie etwa bei dec Untersuchung kiinstler ischer Ausdrucksfor-

men - niemals alle dieser Beziehungen erfassr werden konnen, Das

ist aber auch nichr notig, Denn es reicht hier wie uberall ftir e in

klares Verstandnis einer Same aus, b i nr ei cb e nd v ie le der fl ir d ie be-

treffende Sache konstitutiven Relationen zu verfolgen. Gerade des-

wegen ist die Konzentration auf die medialen Produkte methodisch

so aulSerordentlich wichtig: An ihrer Interpretation narnlich kann

erkannt werden, welche Charakter istika fur den kommunikativen

Sinn dieses media len Produkrs oder dieser medialen Gattung maB-

geblich sind. Was »hinreichend« fur dieAnalyse ihrer Verfasstheit ist,

kann sich - nach einem bekannten hermeneutischen Grundsatz - erst

im Zuge dec Analyse d ieser Verfassung ergeben. Auf d iese Weise

werden exemplarische Einsichten in die Verfasstheit dieser Kommu-

nikation gewonnen: Einsichren darein, wie die Bewegung einzelner

Produkte an der des Mediums Antei l hat. In der Unter suchung die-

ser doppelten Bewegung liegt der eigentliche Fokus einer interpreta-tiven Fernsehanalyse. Sie ist der Art gewidmet, in der das Fernsehen

in der Kont inu itat und Diskon tinui tar seiner Gattungen Orienrie-

rungen ausbildet und verandert. Ausgebildet und verandert werden

sie durch die Ausstrahlung einer VielzahI von Sendungen, die in

ihrer Verfassung eine permanenre Arbeit an der Verfassung unserer

hisrorisch-sozialen Wirklichkeit leisten, indem sie Moglichkeiten

des Verstehens bereit sr el len und vari ieren, die im Handdn der Zu-

schauer ihrerseirs aufgenommen und variier t werden.

l40

II. Gewalt-Kommunikation als Beispiel