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ISSN 1864-1725 3/2008 Biblio Theke Zeitschrift für katholische Bücherei- und Medienarbeit Abbruch und Aufbruch Büchereien als Knotenpunkt Peter Härtling Spuren einer Biografie Unbekannte Vielfalt Türkische Literatur Running Man Literatur-Praxis

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13/2008

ISSN 1864-1725 3/2008

BiblioTheke Zeitschrift für katholische Bücherei- und Medienarbeit

Abbruch und AufbruchBüchereien als Knotenpunkt

Peter HärtlingSpuren einer Biografie

Unbekannte VielfaltTürkische Literatur

Running ManLiteratur-Praxis

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3/20082 33/2008 Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

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Inhalt 3/2008

Globaler Traditionsabbruch und lokaler Aufbruch Donatus Beisenkötter

Sinus-Veranstaltung Juliane und Gerd Schröder; Siegmund Schramm

Lesen Männer anders?! Marion Wiemann

Peter Härtling – auf den Spuren seiner Biografie Bettina Kraemer

Der siebzehnte Engel – Rezension Spezial Bettina Kraemer

Unbekannte Vielfalt – Türkische Literatur Christoph Holzapfel

Mehr Mut bei der Buchgestaltung Ulrich Greiner

Schule und Bücherei Leoni Heister

Bibliotheksstatistik 2007

bv.-Fachkonferenz

- STUBE – Studien- und Beratungsstelle Wien für KiJu Gabriele Dreßing

Kochbuchtest für Kinder Hildegard Pollheim

Stuttgarter Leserunden – Käse Eupin Reitter

Zeitschriften als Bestandsergänzung Corinna Säger und Dorothee Rosenthal

Praxisberichte

- Jährliches Event – Kinderfest KÖB St. Bonifatius, Abenheim

- Neue Mitarbeiter suchen AG Katholischer Büchereien, Berlin

- Leih dir was mit Antolin KÖB St. Gertrud, Leimersheim

- Tag des Buches KÖB St. Sebastian, Michelstadt

- Pisa Sponsoring Aktion KÖB St. Michael, Hackenheim

Religiöse Bücher der Monate Mai bis Juli

Literatur-Praxis: Running Man Astrid Frey

Internet-Tipp/Impressum/Ansprechpartner im bv.

Adressen der diözesanen Büchereifachstellen

Gästebuch

Büchereien bieten Informationen, Orientierung und gute Unterhal-tung. Den Menschen, für die der Träger der Bücherei ein Angebot bereithalten will, präsentiert sich der Medienbestand in vielfältigen Kategorien und Medienarten für unterschiedliche Nutzungsinteres-sen. Dabei geht es immer auch um grundlegende Fakten, literarisch anspruchsvollere erzählende Texte. Solche Titel erfordern von Büche-reimitarbeitern besondere Sorgfalt in der Auswahl, Präsentation und Vermittlung. Und manches Mal sucht man für eine Fragestellung eine altersgerechte Aufbereitung – und es gibt sie nicht.

Diese Situation bestand meines Er-achtens einige Zeit gerade in der Sachgruppe Re, der religiöse Sachli-teratur. Mängel in der sprachlichen und optischen Aufbereitung waren verbreitet. Eine schwere Zeit für den Bestandsaufbau. Die Konse-quenz, dass diese Sachgruppe nicht immer gut gepflegt war, folgte auf den Fuß. Seit einigen Jahren hat sich im Angebot der Verlage viel getan. Der Borromäusverein prä-sentiert mit dem Religiösen Sach-buch und dem Religiösen Kinder-buch des Monats besonders he-rausragende Titel für eine breitere Leserschaft. Und mit dem Angebot „Glauben erleben“ bieten wir gera-de Titel, die den Glaubensalltag von Jung und Alt betreffen.

In dieser positiven Entwicklung kommt ein neuer Trend gerade recht: Einige Verlage publizieren gut geschriebene Bischofsportraits. Gerade las ich den kleinen Band des Freiburger Tageszeitungsjour-nalisten Gerhard Kiefer über Erzbi-schof Robert Zollitsch, den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bi-schofskonferenz. Folgen wird ein Band über den Münchner Erzbi-schof Reinhard Marx des Bonner Publizisten Martin Lohmann (bei-de Herder Verlag). Das Portrait von Bischof Zollitsch zeigt seinen Le-bens-, Glaubens- und Kirchenweg in bestechend klarer Beschreibung. Er berichtet über Wegstationen, Zusammenhänge von religiösen und kirchlichen Entwicklungen am Beispiel dieser für die deutsche Kirche herausragenden Person. Als Leser darf ich Anteil nehmen an Ideen und Zielsetzungen dieses Vertreters meiner Konfession in Kirche und Welt. Gerade weil mir dieser Band all dies in einfacher Sprache, spürbar sachkundig, mit vielen Informationen über die Erz-bischof Zollitsch zuarbeitenden Menschen vorlegt, eignet er sich für eine besondere Platzierung in jeder öffentlichen Bücherei.

Mit guten GrüßenIhr

Gerhard KieferRobert ZollitschHerder, Freiburg 2008176 S., 14,95 ebvMedienNr: 559166

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3/20084 53/2008 Abbruch und Aufbruch

Globaler Traditionsabbruch und lokaler Aufbruch Katholische Öffentliche Büchereien auf dem Prüfstand

von Donatus Beisenkötter

Die gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontieren die Kirchengemeinden mit der Frage, welche für eine „pasto-rale Grundversorgung“ notwendigen Angebote sie sich (noch) leisten können und in Zukunft leisten wollen. Da-mit stehen auch die Katholischen öffentlichen Büchereien (KÖB) auf dem Prüfstand.

Die Katholische öffentliche Bücherei in der Gemeinde ist fast so selbstverständlich wie das Pfarrbüro und der Kindergarten. Die pastorale Neustrukturierung zwingt die fusionierten Gemeinden dazu, auch die Büche-reien auf ihren Bestand und auf ihre Entwicklungsres-sourcen hin zu prüfen. Bevor man aber die lokale Be-deutung und Qualität der Büchereiarbeit analysiert (siehe hierzu auch den Beitrag von Lothar Ganter in BiblioTheke, Heft 2.2008), sind einige grundlegende Fragen an die Katholischen öffentlichen Büchereien zu bedenken: Gehört die ‚Pfarrbücherei’ nicht generell zum Bestand des milieugestützten volkskirchlichen

Katholizismus, dessen Auflösung Ursache des aktu-ellen Problems ist? Dann wären die Büchereien gera-dezu das Musterbeispiel einer Antiquität, die schleu-nigst abgeschafft oder säkularisiert werden müsste, wenn die (nachvolks-)kirchliche Zukunft gestaltet wer-den soll. Ist die kulturelle Bildung durch Literaturver-sorgung nicht eine öffentliche Aufgabe, aus der die Kirche sich herausziehen sollte oder noch radikaler, macht eine Kleinstbücherei vor Ort in Zeiten der Me-diatisierung noch irgendeinen öffentlichen Sinn?

Wer kann diese Fragen glaubwürdig beantworten? Alle an der Büchereiarbeit Beteiligten scheinen vorab legi-timationsverdächtig: Auch wenn sie sich um sachliche Darlegungen bemühen, bleiben sie der Binnenlogik ihres Systems verhaftet. Das nimmt niemand übel, aber auch keiner ernst. Vielleicht gelingt es aus der Au-ßensicht eines nur mittelbar Beteiligten, einige As-pekte zu benennen, die den vorgebrachten Argu-menten für eine katholische Büchereiarbeit Gehör und Gewicht verleihen.

Die Zeichen der Zeit als Bezugsrahmen

Wir müssen „die Zeichen der Zeit wahrnehmen…“, di-ese Maxime des konziliaren Aufbruchs wird gerne zi-tiert, um die zum Teil einschneidenden strukturellen Veränderungen zu rechtfertigen. Der Versuch, Pasto-ralpläne für die Zukunft einer an die gesellschaftlichen Entwicklungen anschlussfähigen Kirche zu formulie-ren, setzt richtigerweise mit diesem Zitat an. Er über-führt aber die anfängliche Situationswahrnehmung häufig in ein eher kulturpessimistisches Bejammern all dessen, was auf der Strecke bleibt. Ein defensiv moti-vierter Blick in die Zukunft verengt sich schnell auf die Sicherung der Versorgung mit Liturgie und Sakramen-ten. Je stärker der radikalisierte Modernisierungspro-zess den christlichen Glauben sowohl seiner gesell-schaftlichen Plausibilität als auch der seines lebensbe-stimmenden Milieus beraubt und ihn der individuali-sierten Entscheidung innerhalb des Pluralismus mög-licher Sinn- und Deutungsperspektiven ausliefert, de-sto größer scheint das institutionelle Bedürfnis zu wer-den, die überzeitliche Wahrheit des Glaubens in Erin-nerung zu rufen. Eine vorrangig an dieser Perspektive orientierte Neudefinition pastoraler Räume und Auf-gaben führt nach Udo F. Schmälzle, Pastoraltheologe an der Universität Münster, im Extrem zu einem ‚dia-konalen Blackout’. Der diakonale Selbstvollzug der christlichen Gemeinden in Form der Gemeindecaritas, der offenen Jugendeinrichtung oder auch der Bücherei tritt seiner Untersuchung zufolge sowohl bei den hauptberuflich Verantwortlichen als auch bei den be-teiligten Ehrenamtlichen deutlich hinter die Siche-rung des liturgisch-sakramentalen Kernes zurück. Wenn sich aber die Gemeinden aus dem öffentlichen Erfahrungsraum immer mehr in die Kirche und die In-nerlichkeit liturgischer Selbstbestätigung zurückzie-hen, könnte das fatale Folgen haben: Die Glaubens-wahrheit wird von immer kleiner werdenden Gruppen von Insidern gefeiert, kann aber von den weniger Ein-geweihten nicht mehr als alltags- und lebensprägend erfahren werden.

Globaler Abbruch und innerkirchliche Desintegration

Dieser Prozess entspricht der Logik des Modernisie-rungsprozesses. Die großen gesellschaftlichen Funkti-

onssysteme, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Re-ligion, sind immer weniger in einen gemeinsamen ge-sellschaftlichen Sinn- und Handlungshorizont inte-griert und folgen zunehmend ihrer Binnendynamik und Eigenlogik. Die Spezialisierung und Ausdifferen-zierung verstärkt die Vielfalt der parallel Gültigkeit be-anspruchenden Deutungsperspektiven und Hand-lungsalternativen. Die Last der Integration der Teilsy-steme und der Entscheidung zwischen unterschied-lichen Orientierungen wird auf die Schultern des Indi-viduums geladen. Woran orientiert der Einzelne heute seine Entscheidungen? Das durch den Geltungsverlust übergeordneter und vorgegebener Orientierungen zu-gleich befreite und verunsicherte Individuum wählt den Weg einer einfachen Kosten-Nutzen-Analyse. Hilft mir Dieses und Jenes, mein (Alltags-)Leben zu mei-

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Donatus Beisenkötter ist Leiter der Abteilung Allge-meine Seelsorge und Gemeindeentwicklung im Bi-schöflichen Generalvikariat Münster. Zu dieser Ab-teilung gehört auch das Referat Büchereien. Dieser Beitrag erschien im Original in der Zeitschrift „Unse-re Seelsorge“ (Heft 3.2007). Für unsere Zeitschrift wurde er vom Autor gekürzt. Er steht komplett on-line unter http://www.bistummuenster.de/down-loads/Seelsorge/2007/UnsereSeelsorge_Sept07.pdf.

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stern? Was kostet es mich, wenn ich das Angebot in Anspruch nehme? Diese Logik der Modernisierung gilt ebenso für die Entwicklungsprozesse innerhalb der Teilsysteme. Das katholische Milieu integrierte ehemals alles, was einen geschlossenen sozialen Lebensraum definierte. Es machte den Beteiligten zugänglich, was zur Bewälti-gung des Alltags und des Lebens von der Wiege bis zur Bahre notwendig war: Soziale Sicherung, Solidarität und weltanschauliche Orientierung; Kindergarten, Krankenhaus, Hilfe in Notfällen; sakramentale Feier-lichkeit an den Lebenswenden, im Jahreslauf, in Brauchtum und Ritual; Bildung, berufliches Fortkom-men und kulturelle Identität; Gruppenzusammenhalt und Freizeitgestaltung. Die Katholischen öffentlichen Büchereien entstammen dieser Tradition. Sie waren neben den katholischen Schulen, Verbänden und Er-wachsenenbildungseinrichtungen bis über die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein erfolgreiches In-strument des Kulturkampfes, das die rückständigen ka-tholischen Bevölkerungsteile kulturell, sozial und po-litisch ins Zentrum der Gesellschaft führen sollte, in-dem es Bildung für alle zugänglich machte und zu-gleich für die richtige Bildung sorgte. In der Zeit des Nationalsozialismus, als die damaligen katholischen Volks- und Jugendbüchereien oder auch Borromäus-büchereien offiziell in Pfarrbüchereien umbenannt wurden und sich auf ihre Funktion für das nichtöf-fentliche innerkirchliche Leben beschränken mussten, stabilisierten sie das Überleben einer konfessionell-wertorientierten Identität.Mit der gesellschaftlichen Aufwertung des deutschen Katholizismus, der beim Aufbau der jungen Republik eine bisher nur ersehnte gesellschaftliche Führungs-rolle übernahm, veränderten sich die gesellschaft-lichen Bezugssysteme der sozialen katholischen Ein-richtungen und Institutionen. Das katholische Kran-kenhaus, der katholische Kindergarten, die katho-lischen Verbände, die Sozialdienste der Caritas, die katholischen Schulen und Bildungseinrichtungen und auch die Büchereien wurden quasi ‚teil-verstaatlicht’. Sie arbeiteten zunehmend abhängig vom öffentlichen Geld, orientierten folglich ihre Binnenlogik an den all-gemein geltenden Standards des jeweiligen gesell-

schaftlichen Handlungsbereiches, nahmen an den all-gemeinen Entwicklungen der gesellschaftlichen Teil-bereiche (Professionalisierung, Dienstleistungsorien-tierung und Ökonomisierung) teil und wurden auf di-ese Weise zu öffentlichen Einrichtungen „in katho-lischer Trägerschaft“. Die Orientierung an den gesamt-gesellschaftlichen Bedarfen und den fachlichen Bin-nenstandards des jeweiligen Handlungsfeldes verstär-kte auch innerkirchlich den Prozess der Spezialisierung und Ausdifferenzierung und damit der Desintegration in ein zusammenhängendes Ganzes. Dass damit ein Stück katholischer Identität auf der Strecke zu bleiben drohte, spiegelt sich beispielhaft in den vielen Leit-bildprozessen, die vor allem in den diakonalen katho-lischen Handlungsfeldern in den letzten zehn bis fünf-zehn Jahren das Problem in den Griff zu bekommen versucht haben. Was ist das entscheidend Unterschei-dende? Woran wird jenseits der individuellen Motiva-tion einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen er-kennbar, dass es sich um eine katholische Einrichtung handelt? Interessant an dieser Entwicklung ist die Frage, warum diese Einrichtungen in katholischer Trägerschaft, die in vielen Bereichen die anerkannte Position des Marktfüh-rers besetzen und die häufig sogar der Motor der hand-lungsfeldinternen fachlichen Weiterentwicklung sind? Warum glauben sie, ihr Profil und damit ihre öffent-liche Akzeptanz gerade durch die Rückbesinnung auf ihre katholischen Wurzeln stärken zu können, wenn parallel die gesellschaftliche Bedeutungs- und Akzep-tanzkrise der katholischen Kirche als Makroinstitution unübersehbar ist? Ein Blick in einschlägige Umfragen zeigt: auch wenn dem kirchlichen Gesamtsystem die Akzeptanz verweigert wird, ist für den postmodernen Einzelnen der Nutzen der kirchlichen Einrichtung oder der Dienstleistung vor Ort durchaus akzeptabel, wenn sie ihm hilft, sein Leben zu bewältigen. In dieser post-modernen Widersprüchlichkeit liegt ein wichtiger Hin-weis für die weitere pastorale Entwicklung.

Lokale Neukonstruktion

Zurück zu den Eingangsfragen: Die kulturelle Bildung durch Medienversorgung ist in der Tat eine öffentliche

Aufgabe. Angesichts der prinzipiell unbegrenzten Zu-gangsmöglichkeiten zu Informationen im Zeitalter der Mediatisierung sind die Leseförderung und der kon-krete Zugang zu Medien wichtige Voraussetzungen kul-tureller Teilhabe. Vieles deutet darauf hin, dass der öf-fentliche Nutzen der Gemeindebücherei besonders da-rin liegt, dass sie diesen Zugang im Nahraum bietet. Die katholische Bücherei im Ortsteil kann ein öffent-lich erwünschter Beitrag sein, die Teilhabechancen auch solchen Zielgruppen zu gewährleisten, die auf-grund ihres Alters und ihrer Lebensumstände, also auf-grund noch fehlender oder geschwundener Mobilität auf eine wohnortnahe Versorgung angewiesen sind. Welchen pastoralen Nutzen können Katholische öf-fentliche Büchereien unter den Bedingungen des post-modernen Pluralismus entfalten? Die katholischen Büchereien waren schon im volkskirchlichen Milieu Beispiel eines lebenswelt- und sozialraumorientierten pastoralen Ansatzes. Jetzt können sie sich als Teil einer lokalen sozialen und pastoralen Infrastruktur neu defi-nieren. Dabei sind die KÖBs vielerorts bereits Teil der sozialen Mikro-Umwelt, deren Bedeutung stetig wächst, weil sie dem Individuum in der Gegenbewe-gung zum Pluralismus und zur gesamtgesellschaft-lichen Indifferenz Schutz vor den entwurzelnden Fol-gen von Individualisierung und Globalisierung bietet. Karl Gabriel, Professor am Institut für christliche Sozi-alwissenschaften an der Universität Münster, formu-lierte in seinem Aufsatz „Pfarrgemeinde muss Heimat bieten“ (2001) als postmoderne Bewältigungsstruktur das Bemühen, „Inseln im Meer der globalen Ausdeh-nung und Indifferenz zu bilden“, was zugleich die „Su-che nach Beheimatung im Nahraum der Gemeinde verstärkt“. Gabriel beobachtet ein gesteigertes Interes-se „an einer aktiven Raumaneignung“, an „Aktivitäten zur Aufwertung des eigenen Stadtteils“ sowie an einer „Bedeutungszuschreibung für lokale Identitäten“. „Im gewachsenen Regionalbewusstsein und in den Identi-

fikationsprozessen mit der lokalen räumlichen Um-welt werden Möglichkeiten gesucht, um den Prozes-sen der Entwurzelung und Mobilisierung entgegenwir-ken zu können.“ Das taugt als Leitidee der Pastoral-konzepte der neuen Gemeinden.Der soziologische Befund zeigt, dass auch fusionierte Gemeinden die Partikularinteressen der in den Sozial-räumen lebenden Menschen nicht übergehen, son-dern lokale Standorte, Identifikationspunkte, Kontakt-stellen im lebensweltlichen Nahraum bieten sollten. Eine Bücherei etwa, die sich als Teil einer lokalen sozi-alen Infrastruktur versteht, könnte das bibliotheka-rische Angebot zum willkommenen Anlass nehmen, um sich als Gegengewicht zur Vergrößerung der ge-meindlichen Struktur zu präsentieren, indem sie zum Informationsumschlagplatz, Knotenpunkt und zur Kontaktfläche für die lokalen sozialen, kulturellen Netzwerke und Aktivitäten wird. Eine solche Bücherei nutzt und fördert die Stärken und Entwicklungspoten-tiale der sie aufsuchenden Menschen, indem sie ihre vielfältigen Aktivitäten entlang der Alltagsthemen und des Interessenspektrums der Bewohner/innen des Ter-ritoriums der Gemeinde ausrichtet und auf diese Wei-se auch jenseits konfessioneller Bindung Kontakt und Beteiligung anbietet. Sie vermittelt nicht nur den Zu-gang zu verschiedenen Medien, sondern auch zu all-tagsentscheidenden sozialen Unterstützungsressour-cen und wird zum Eingangsportal des sozialen und pastoralen Netzwerks Gemeinde. Das entscheidende Kriterium bei der Bestandsanalyse der jeweiligen kon-kreten Bücherei ist demnach, ob das Angebot dem Kli-entel im sozialen Nahraum hilft, den Alltag zu bewäl-tigen und sich in die sozialen Bindungen des Nahr-aums zu integrieren. Damit das gelingt, gibt es Voraus-setzungen. Das Angebot muss öffentlich erkennbar, niedrigschwellig zugänglich sowie kommunikativ und interaktiv anregend gestaltet sein, um im Sinne eines zukunftsorientierten Pastoralplanes eine Rolle spielen

Abbruch und Aufbruch

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3/20088 93/2008 Sinus-Studie

zu können. Von ebenso großer Bedeutung ist es, dass die Bücherei wirkungsvoll mit all den anderen Teilen des konfessionellen wie auch des überkonfessionellen sozialen Netzwerkes im Nahraum kooperiert. Beispiele zur Kooperation mit Schulen, Kindergärten und Alten-heimen gibt es vielerorts. Die Kooperation mit ande-ren Spezialisten und spezialisierten katholischen Ein-richtungen, wie etwa den Familienbildungsstätten, den Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen oder den unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten der Caritas kann zum entscheidenden Handlungsprin-zip über den bibliothekarischen Rahmen hinaus wer-den. Auch die Reduktion der Immobilien und der loka-len Präsenz des pastoralen Personals bietet weitrei-chende Gestaltungsmöglichkeiten. Durch eine Inte-gration von Pfarrbüro und Bücherei könnte die Öff-nungszeit beidseitig nutzerfreundlich erweitert wer-den; zwei Ohrensessel und der Ausschank von preis-werten Getränken laden zum Verweilen und zur Kon-taktaufnahme ein; eine zielgruppenorientierte Be-standsrevision erhöht die Besucherfrequenz und die werbewirksam präsentierten Vernetzungen mit diöze-sanen Angeboten steigern die Attraktivität. Die Büche-

von Jul iane und Gerd Schrö-der und Siegmund Schramm

Ob die Untersuchungsergebnisse der Milieuforschung für die Arbeit vor Ort eine Hilfe sein kann, bewegte die Teil-nehmer der Veranstaltung „Wir wol-len doch alle erreichen“ des Referats KÖB im April im Kölner Maternus-haus. Was wir die nächsten Stunden erfahren haben, hat uns überrascht und motiviert, uns weiter mit den Er-gebnissen der Sinus-Studie im Büche-reialltag zu beschäftigen.

Die Sinus Milieu-Studie des Heidel-berger Instituts „Sinus Sociovision Lebensweltforschung“ definiert die Gesellschaft in zehn Milieugrup-pen. Diese werden in einer Matrix mit den Koordinaten soziale Lage und Grundorientierung eingeord-net. Eine gute, knappe Übersicht über diese Milieus – drei gesell-schaftliche Leitmilieus, drei traditi-onelle, zwei Mainstream- und zwei hedonistische Milieus – bietet der Artikel von Rolf Pitsch in dieser Zeitschrift Nr. 1/2008, S. 21 ff. Et-

was ausführlicher (und insgesamt sehr empfehlenswert) informiert das Sonderheft „Gemeinde und so-ziale Milieus“ in der Reihe „The-menhefte Gemeinde“ des Bergmoser+Höller-Verlags (2007, ISSN 1862-8028, 15,- €; Direktbe-zug: 0241/93 88 81 23).

Im Generalvikariat des Erzbistums Köln bietet die Hauptabteilung Seelsorgebereiche als erste Anlauf-stelle für die Pfarreien und Seelsor-gebereiche in allen Angelegen-

Die Sinus-StudieEine praktische Hilfe für die Büchereiarbeit?

rei wird zum großen Schaukasten der Gemeinde, in dem die Gottesdienstzeiten aushängen und die Sprech-zeiten der pastoralen Mitarbeiter/innen stattfinden. Letztlich läuft es darauf hinaus: Je öffentlicher die ka-tholische Bücherei ist, desto eher kann sie eine pasto-rale Schlüsselfunktion einnehmen.

Die Katholische öffentliche Bücherei hat das Potential, zu einem in die Gemeinde und das soziale Umfeld ver-netzten Serviceort und damit zum Schlüsselelement eines postmodernen Kirchenmarketings zu werden. Sie kann zu einer neuen lokalen Milieubildung und -prä-gung beitragen, wenn sie ihren Nutzen für das Indivi-duum jenseits der Konfession unmittelbar im aktuellen Lebenskontext erfahrbar macht. Die Voraussetzungen sind die im Einzelnen zu prüfenden finanziellen, räum-lichen und personellen Ressourcen und eine Entschei-dung der Gemeinde, diese Chance nutzen und kreativ gestalten zu wollen. Die Frage lautet also nicht nur, was die Gemeinde sich leisten kann und leisten will, sondern was die Gemeinde dringend benötigt, um ihre lebensweltorientierte missionarische Präsenz ebenso öffentlich wie unaufdringlich zeigen zu können. &

heiten umfangreiche Beratung und Hilfe für alle an, die die Milieustu-die kennenlernen und mit ihr ar-beiten wollen. Zwei Vertreterinnen aus dieser Hauptabteilung führten zusammen mit dem Referat KÖB diese Veranstaltung durch.

Sinus im Seelsorgebereich

Die einzelnen Milieus wurden uns durch Beispiele von Wohnungsein-richtungen, Kleidung, zugehöriger Werbung und Aussagen zu Wertori-entierungen vorgestellt und erläu-tert. Dazu gab es jeweils Aussagen zum Kaufverhalten, zur Freizeitbe-schäftigung oder zur sozialen und religiösen Grundorientierung – aber auch zum Leseverhalten. Wichtig ist es zu wissen, welche Mi-lieus in unserem Seelsorgebereich überwiegend vorkommen. Dazu kann man den Pfarrgemeinderat bzw. den Kirchenvorstand fragen, denen die Hauptabteilung Seelsor-gebereiche im Zuge des Beratungs-prozesses die so genannten Milieu-Karten bzw. –Torten zur Verfügung stellt. Diese sind dann auch für die Büchereien im Einzugsbereich eine wichtige Orientierungshilfe. Denn wir waren überrascht, wie oft die aus den Wohnorten der Teilnehmer genommenen Beispiele von den ei-genen Einschätzungen der Büche-reimitarbeiter abweichen.

Wenn wir wissen, welche Milieus in unserem Seelsorgebereich woh-nen, können wir uns zum Beispiel folgende Fragen zur Medienaus-wahl und Beschaffung stellen: Spricht der Bestand die Milieus der Region an? Welche Medienformen werden bevorzugt? Welche inhalt-lichen Schwerpunkte werden er-

wartet? Die Frage „Wie erhöhen wir die Attraktivität unserer Bücherei?“ müssen wir uns auch zu unseren Veranstaltungen stellen. Nicht für jedes Milieu ist Basteln für den Muttertag attraktiv. Hier muss nach passenden Themen und Veranstal-tungsformen gesucht werden. Gleiches gilt für die Form und den

Inhalt unserer Werbung und Veröf-fentlichungen. Ja sogar die Einrich-tung einer Bücherei sollte sich nach den Milieu-Schwerpunkten richten, damit sich die Leser wohl fühlen.Wir haben mit einer Frage die Ver-anstaltung begonnen und sind mit vielen Fragen nach Hause gegan-gen. Unserer Büchereiarbeit wird das sehr hilfreich sein. Eine Zusam-menarbeit aller kirchlichen Akteure vor Ort in dieser Sache ist nicht zu-letzt darum sehr sinnvoll, weil das gesamte kirchliche Leben in einer Gemeinde bzw. in einem Seelsorge-bereich von den Ergebnissen der Milieustudie betroffen ist. Im Ideal-fall sollte die Bücherei (bzw. die Bü-chereien) in ein Gesamtkonzept eingebunden sein, das gemeinsame Veränderungsschritte vorsieht. Das heißt aber nicht: warten, bis auch der Langsamste sich bewegt, son-dern die Zeit der Veränderung heu-te und morgen zur Beteiligung der Bücherteams nutzen. &

Kontakt und Text:• Juliane und Gerd Schröder, KÖB im Alten Rathaus, Seelsorge-bereich Brauweiler/Geyen/Sinthern, Konrad-Adenauer-Platz 2, 50259 Pulheim-Brauweiler; E-Mail: [email protected]; Telefon 02234/20 04 971• Dr. Siegmund Schramm, Erzbistum Köln/Referat Katho-lische öffentliche Büchereien (s. 3. Umschlagseite)

Abbruch und Aufbruch

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von Marion Wiemann

Die Möglichkeiten der Freizeitgestal-tung sind in den letzten Jahren vielfäl-tiger geworden: die Angebote kom-men aus den Bereichen Sport, Kultur, Reisen, Fernsehen, Musik, PC-Spiele bis hin zum Internet. Die Zahl der „Events“ nimmt stetig zu, Erlebnisse und Spaß sind gefragt. Vor diesem Hintergrund stellt sich doch die Frage: Welchen Stellenwert hat eigentlich noch das Lesen? Oder ist das Lesen dem Untergang geweiht, wie Neil Postman in seinem kulturpessimi-stischen Buch „Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“ behauptete?

Obwohl Lesen nicht an die Beliebt-heit von Fernsehen und Musikhö-ren herankommt, gehört es aber zu den ersten zehn Lieblingsbeschäf-

tigungen (vgl. Buch- und Buchhan-del in Zahlen 2005, S. 8). Interes-sant wäre es, herauszufinden, was Menschen mit dem Lesen von Bü-chern verbinden. Information? Zeitvertreib? Unterhaltung?

Im Jahr 2005 hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Zu-sammenarbeit mit dem ZDF und forsa eine Befragung durchgeführt, um unter anderen diesen Fragen nach dem Leseerlebnis auf den Grund zu gehen1. Das Ergebnis der Studie belegt eindeutig, dass die Dimension der Emotionalität an erster Stelle steht: Lesen macht Spaß, dient der Entspannung, ist eine schöne Abwechslung nach dem Alltagsstress. Orientierung ist das Zweitwichtigste, was dem Le-sen zugeschrieben wird: Man kann beim Lesen etwas lernen, man be-

kommt neue Informationen, erhält neue Anregungen und Stoff zum Nachdenken. An dritter Stelle ran-giert die Dimension Soziales Erle-ben, dazu gehört vorrangig die Quasiteilhabe am Leben Anderer.

Frauen lesen anders - Männer auch

Die Studie fand außerdem heraus, dass es geschlechtsspezifische Un-terschiede beim Leseerleben gibt. Für Frauen spielt vor allem die Di-mension Emotionalität eine große Rolle. Sie erleben Lesen intensiver und vielfältiger. So äußerten sie deutlich häufiger als Männer „Beim Lesen stelle ich mir bildlich vor, was passiert“, Beim Lesen versinke ich ganz in die Welt des Buches“, „Beim Lesen kann ich meiner Fan-tasie freien Lauf lassen“ oder „Beim

Lesen Männer anders?Wer liest was und warum

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Lesen merke ich gar nicht, was um mich herum geschieht“. Des Wei-teren erfahren sie durch das Lesen öfter als Männer die Ablenkung von den Alltagssorgen und die Be-ruhigung nach Stresssituationen. Auch sehen Frauen im Lesen stär-ker als Männer einen sinnvollen Zeitvertreib. Zur Orientierung ins-gesamt trägt das Lesen für Frauen und Männer nahezu gleicherma-ßen bei, wobei Männer häufiger äußern, dass sie beim Lesen etwas lernen können und neue Informa-tionen bekommen. Im Bereich So-ziales Erleben liegen Frauen wieder vorn: Sie erleben verstärkt die Pro-tagonisten der Bücher als gute Freunde/Freundinnen und haben stärker das Gefühl, am Leben An-derer teilzuhaben.Diese verschiedenen Erlebniswei-sen des Lesens spiegeln sich auch in der Präferenz von Buchgenres wider. Für Leser und Leserinnen, die Belletristik bevorzugen, ist das emotionale Erleben äußerst wich-tig, während diejenigen, die gerne Bücher mit sachbezogenen Inhal-ten lesen (Sachbücher, Ratgeber), das Lesen stärker der Orientierung dient. Wenn man diese Erkennt-nisse vor dem Hintergrund der ge-schlechtsspezifischen Unterschiede beim Leseerleben betrachtet, ist es einleuchtend, dass Männer über-wiegend Sachbücher (Information, Lernen) lesen und nur dann zum Roman greifen, wenn er einen po-litischen, wirtschaftlichen oder ge-schichtlichen Hintergrund liefert, und dass Frauen die Belletristik (Spaß, Entspannung, Abwechslung nach der Tageshetze) bevorzugen, wie die Studie „Leseverhalten in Deutschland“ der Stiftung Lesen belegt.

Nichts bleibt wie es ist

Das geschlechtsspezifische Lesever-halten scheint sich jedoch zu ver-ändern. Immer mehr Frauen lesen Sachbücher, da Frauen verstärkt in gehobene Positionen vorrücken und sich mit Karriere und Weiter-bildung beschäftigen müssen. So erlebt zum Beispiel der Campus-Verlag, der sich auf Sach- und Wirt-schaftsbücher spezialisiert hat, ei-nen regelrechten Boom bei den Le-serinnen.

Es wäre für uns sehr interessant, einmal zu erheben, welche Bücher Männer in unseren Gemeinde- und Krankenhausbüchereien ausleihen. Wenn Sie Lust haben, an einer sol-chen Erhebung mitzuwirken, dann melden Sie sich bitte bei uns, da-mit wir das weitere Vorgehen ab-sprechen können und wir eine ge-meinsame Grundlage (z.B. eine standardisierte Vorlage für eine

Strichelliste) für die Auswertung haben. Diese könnte uns sicherlich wichtige Hinweise für den Bestand-saufbau und die besondere Anspra-che der Zielgruppe Männer liefern.

Alle Ergebnisse dieser Studie kön-nen Sie nachlesen: Ursula Dehm et.al., Bücher – „Medienklassiker“ mit hoher Erlebnisqualität“, in: Media Perspektiven, 10/2005, S. 521-534 &

Abdruck mit freundlicher Geneh-migung der Redaktion Haus kirchlicher Dienste, erschienen im Rundbrief 2.07, Autorin: Marion Wiemann, Kontakt: Büchereiarbeit und Medienverleih im Haus kirch-licher Dienste, Archivstr. 3, 30169 Hannover ,Tel. 0511 1241 403, [email protected]

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3/200812 133/2008Peter Härtl ing Peter Härtl ing

von Bettina Kraemer

Der bekannte deutsche Schriftsteller Peter Härtling feiert dieses Jahr seinen 75. Geburtstag. Grund genug, einen Blick auf sein umfangreiches literarisches Schaffen und die damit eng verknüpfte Biografie zu werfen. Edmund Stoiber würdigt Härtling in seiner Laudatio anlässlich der Verlei-hung des „Ehrenpreises des Bayrischen Ministerpräsi-denten des Internationalen Buchpreises CORINE“ 2007 mit den Worten: „Mit seinem Gesamtwerk hat er einen be-deutenden Beitrag zur literarischen, intellektuellen und politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland gelei-stet. Mit seinen scharfsinnigen, geistreichen Essays und mit populären Literatursendungen in Rundfunk und Fern-sehen ist er auch ein großer Vermittler von Literatur.“

In der Tat, die Liste seiner Veröffentlichungen ist be-eindruckend: Essays, Gedichte, Prosa und Erzählungen für Erwachsene und zahlreiche Kinderbücher. Gerade seine Kinderromane haben ein besonderes Gewicht, er war maßgeblich an der Etablierung einer neuen Kin-derliteratur beteiligt und wurde 2001 mit dem Sonder-preis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein kin-derliterarisches Gesamtwerk ausgezeichnet.Peter Härtling hat in vielen seiner Romane und Erzäh-lungen ein Stück seiner eigenen Biografie, wichtige Stationen seines Lebens, v.a. die Zeit des Krieges und der Vertreibung aufgearbeitet. Prägend im Schaffen und Leben des Flüchtlingskindes sind dabei sicherlich

Peter Härtling Auf den Spuren seiner Biografie anhand seines literarischen Schaffens

die Erfahrungen von „Verlust und Fremde“. Härtling ging es beim Schreiben immer darum, sich der Men-schen anzunehmen, die am Rande leben, die Fremde erfahren haben, wie auch er Fremdsein erfahren hat. Ein weiteres wichtiges Grundthema seines Schreibens ist das Erinnern, das viel mit der deutschen, aber auch seiner eigenen Geschichte zu tun hat. Er will Geschich-te deutlich machen und gegen das Vergessen anschrei-ben, auch aus der Wut heraus, die er als Halbwüchsiger empfand, über das allzu schnelle Verdrängen und die Wandlung einer ganzen Generation Erwachsener hin zu einer neuen „demokratisch eingefärbten Selbstge-rechtigkeit“ (Börsenblatt 6/2006, S. 38).

Familienbande

Am 13. November 1933 erblickt Peter Härtling in Chemnitz das Licht der Welt. Schnell zieht die Familie in das ländliche Hartmannsdorf, wo der Vater im Haus seiner Eltern eine Rechtsanwaltspraxis einrichtete. Re-gelmäßige Besuche führen sie nach Dresden, in „Mut-ters Stadt“, die in großbürgerlichen Verhältnissen als Tochter des Fabrikanten Häntzchels, „wenn nicht der Erfinder, so doch der Verfeinerer der Gurkenmilch“ (Peter Härtling, Leben lernen. Erinnerungen, Mün-chen, 2003, S. 21-22, bvMedienNr.: 540186), erzogen wird. Härtling, der den Großvater nur aus Erzählungen kannte, wird ihn später in dem 1974 erschienenen Ro-man „Eine Frau“, als „phantasievollen Stadtwilderer“,

als „Großsprecher und generösen Kaufmann“ (ebd. S. 22) porträtieren. 1941 zieht es den Vater nach Brünn, wo er aufgewachsen ist und wo er hofft, sich dem di-rekten Zugriff der Nazis entziehen zu können. In Öl-mütz übernimmt der Vater schließlich eine Kanzlei. Als Rechtsanwalt aus dem „Altreich“ verteidigte er bis 1943 nicht nur Deutsche, sondern auch Tschechen und Juden. 1943 wird er in die Wehrmacht eingezo-gen, die Kanzlei bleibt noch für eine Weile bestehen, hier sucht der junge Peter manchmal Zuflucht und trifft auf Frau Spacek, die tschechische Sekretärin des Vaters. Härtling mochte sie sehr, da sie vom Vater stets mit viel Achtung sprach. In der 1994 erschienenen No-velle „Bozena“ setzt er ihr ein literarisches Denkmal. 1945, der Vater ist dank einer vom ihm gefälschten Reiseerlaubnis mittlerweile zur Familie zurückgekehrt, flieht Familie Härtling vor der herannahenden Front nach Zwettl/Niederösterreich. Dort leben und schlafen auf sehr engem Raum Großmutter Härtling, Vater, Mutter, Tante Käthe, Peter und seine jüngere Schwester Lore. Dennoch ist für Peter diese beengte Unterkunft Zuflucht, er selbst beschreibt sie als „schützende Höhle […] alle Bilder, Szenen, die ich mit ihr verbinde, schaf-fen eine eigene, enge Gemeinsamkeit, auch Wärme“ (ebd. S. 49). In Zwettl erlebt Härtling den Einmarsch der Roten Armee, sein Vater wird inhaftiert und stirbt im Juli 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft, wo-von die Familie erst ein Jahr später erfährt. In dem 1980 erschienenen Roman „Nachgetragene Liebe“ hat Härtling seine schwierige Beziehung zum Vater zum Thema gemacht. Das Buch, ein autobiografischer Be-richt seiner frühen Kindheit, schildert den frühen Tod des Vaters aus zwei Perspektiven: „das erzählte Ich“ aus

der Kinderperspektive und das „erzählende Ich“, welches die Vaterbeziehung aus der Vergangenheit aufarbeitet. Auch der Rest der Familie macht schwere Zeiten durch: die Mutter wird von russischen Soldaten vergewaltigt und Großmutter Härtling stirbt fast an Typhus. In „Zwettl. Nachprüfung einer Erinnerung“ (1973) beschreibt Härtling, wie er als Zwölfjähriger das Kriegsende in der niederösterreichischen Kleinstadt er-lebte. Obwohl Zeugnisse schwieriger, aufrüttelnder Zeit sind die Romane „Nachgetragene Liebe“ und „Zwettl“ (erscheint in 2008) nach eigenem Bekunden Bücher, die ihm sehr nahe sind. Gerade in „Zwettl“ schreibe er über das Kind, das er einmal gewesen sei.

Ungewisse Reise

Die Wirren der Nachkriegszeit führen Härtling und „sei-ne Weiber“ nach Wien. Hier finden sie vorerst Unter-schlupf in der Wohnung der Jüdin Bronka. Diese, dem Grauen von Auschwitz entkommene Frau, war für Härt-ling wie „eine Botin aus einer anderen, reicheren, men-schenfreundlicheren Zeit…“ (Erinnerungen S. 57) Er charakterisiert sie als „rettenden Engel“, als „umar-mungslüsternden Seelenwärmer“ (Erinnerungen S. 57). Von Wien aus wird die Familie zurück ins Altreich „überführt“. Es ist eine ungewisse Reise ohne bekanntes Ziel, dabei in einem Viehwaggon eingepfercht auf engstem Raum, jeder Würde und Privatsphäre beraubt. Hier lernt Härtling auch den „Mann mit den Krücken“ kennen, der neben Bronka eine zentrale Rolle in dem 1987 erschienenen Kinderroman „Krücke“ spielt, in dem Härtling durch seinen Protagonisten Tom eigene Erlebnisse aus den Wirren der Nachkriegszeit schildert.

Weitere Informationen zu Peter Härtling finden Sie auf seiner Homepage www.haertling.de.

Dipl.-Bibl. Bettina Kraemer, Leiterin des bv.-Lektorates in Bonn

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Die Einsamkeit und Verlassenheit des jungen Härtling in dieser Zeit kann man nur erahnen. Er findet Trost bei einem mit Spreu gefüllten Stoffsäckchen, das er als „Wesen zwischen Mensch und Tier“ bezeichnete. Die Sehnsucht nach einem Zuhause, das Sicherheit und Geborgenheit geben kann, manifestiert sich in einer zufällig beobachteten Szene, in der zwei Frauen in einem hell erleuchteten Zimmer Tee trinken. „Was ich erblickte, kam mir in seiner Ruhe, seiner Unversehrt-heit ganz und gar unwirklich vor. Obwohl es genau jene Wirklichkeit war, nach der ich mich sehnte.“ (Er-innerungen S. 66). Für Familie Härtling endet die Reise schließlich in Nürtingen, in der Nähe von Stuttgart. Dort erreicht sie auch die Nachricht vom Tod des Va-ters. Kurze Zeit später begeht die Mutter Selbstmord. In dem 1966 erschienenen Buch „Janek. Porträt einer Er-innerung“ wird Härtling sich mit dem Sterben der Mut-ter auseinandersetzten. Peter und seine Schwester Lore werden nun von Tante Käthe und der Großmutter ver-sorgt. In Gerhart Maier, seinem Banknachbarn in der Schule, findet Härtling einen Freund, in dessen Schwe-ster Mechthild seine spätere Frau und Mutter seiner vier Kinder. 1951 verlässt Härtling nach einem heftigen Streit mit einem Lehrer – mit vielen von ihnen kam er ohnehin nicht zurecht, da er ihnen vorwarf immer noch zu lehren wie zur Nazi-Zeit - ohne Abschluss die

Schule. Nach verschiedenen journalistischen Tätig-keiten wird er 1967 Cheflektor des S. Fischer Verlags, 1968 zum Sprecher der Geschäftsleitung ernannt.

Das war der Hirbel

Seit 1974 lebt Härtling als freier Schriftsteller in Walldorf bei Frankfurt. Dort schreibt er seitdem mit seiner alten Schreibmaschine auf einer aufgebockten Sperrholzplatte seine zahlreichen Bücher. Unter ihnen nehmen seine Kinderromane eine besondere Stellung ein. In den Sieb-ziger Jahren gehörte Härtling zu den Wegbereitern einer neuen, realitätsbezogenen Kinderliteratur. Daher wun-dert es nicht, dass anlässlich seines 50. Geburtstags ein Literaturpreis mit seinem Namen für Kinderbücher, spä-ter auch Jugendbücher, ins Leben gerufen wurde. Mit dem Schreiben von Kinderbüchern begann er, als seine eigenen Kinder mit dem Lesen anfingen. Härt-ling war damals entsetzt über den Zustand der Kinder-literatur, die Realität entweder ganz aussparte oder zu-mindest beschönigte, Härten harmonisierte und Un-glück verharmloste oder zu einem guten Ende brachte. Sein Anspruch an Literatur für Kinder war und ist es, die Wirklichkeit darzustellen und aktuelle soziale und politische Probleme zu thematisieren. Mit seinem 1973 erschienen ersten Kinderroman „Das war der

Hirbel“ (bvMedienNr.: 240976) gelingt ihm gleich ein sehr beeindruckendes Beispiel für diese neue problem-orientierte Kinderliteratur. Angeregt durch das Schick-sal eines Jungen, den seine Frau kennen gelernt hatte, geht er der Frage nach, wie die Gesellschaft mit einem behinderten Kind umgeht. Nach „Hirbel“ schrieb Härtling eine ganze Reihe von exzellenten Kinderro-manen, in denen wiederum das Kriegskind, der Verlas-sene entdeckt werden kann. So stellt er seinen Kinder-figuren immer wieder Erwachsene an die Seite, die Ori-entierung bieten und den Kindern helfen, ihren eig-nen Weg zu finden. Solche Menschen gab es auch in seiner Kindheit und Jugend, die für ihn wie „kleine

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Sekundärliteratur- Stefan Hauk im Interview mit Peter Härtling, Lauter Anfänge. In: Börsenblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel. Hg. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Heft 6-2003. Frankfurt am Main, 2006, S. 36-41.- Kindlers Neues Literaturlexikon. Band 7, München 1990, S. 154-158.- Peter Härtling, Leben lernen. Erinnerungen, München, 2003.- Werkstattbuch Peter Härtling, Weinheim, 1998.

Öfen waren, die Wärme ausstrahlten, aber auch große Erfahrung, vor allem eine große Sicherheit und Ruhe, und die einen in den Arm nehmen konnten.“ (Werk-stattbuch Peter Härtling, Weinheim, 1998, S. 25). Sol-che Menschen waren Bronka und Krücke, auch die Oma aus dem gleichnamigen Kinderroman, 1976 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, hat es gegeben oder Tante Tilli aus dem 1997 erschienenen Roman „Tante Tilli macht Theater“(Meldenummer:17).

Traumatische Feder

In seinen Kinderfiguren findet man auch immer ein bisschen das Kind Peter wieder, seine Aversionen, Pho-bien und Erinnerungen. Seine Figuren sind oft auch Außenseiter, an den Rand gedrängte, verlassene oder einsame Kinder. Härtling sagte in einem Interview ein-mal, dass er beim Schreiben seine eigene Kindheit nicht verleugnen kann, ja dass er sogar so weit gehen würde zu behaupten, dass wenn es einen drängt zu schreiben, die „traumatischen Felder“ (Werkstattbuch S. 33) unterschiedlich stark sichtbar werden.Es gäbt noch eine Menge zu sagen zu Härtlings kinder-literarischem Werk, zu seinen Figuren, Motiven, In-tentionen. Leider reicht an dieser Stelle der Platz nicht aus, doch gehen Sie einfach selbst auf Entdeckungsrei-se. An dieser Stelle bleibt nur noch, Peter Härtling ei-nen herzlichsten Geburtstagsgruß zu schicken. &

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Peter Härtling: Krücke Beltz Verlag 1994,153 S.; 6,95 €bvMedienNr.: 094959

Peter Härtling:Leben lernen Kiepenheuer & Witsch Verlag 2003,377 S.; 22,90 €bvMedienNr.: 540186

Peter Härtling:OmaBeltz Verlag 199198 S.; 5,50 €bvMedienNr.: 122453

Barbara Gelberg:Werkstattbuch Peter Härtling Beltz Verlag 1998,81 S.; 3,95 €bvMedienNr.: 559939

Auch als Ausbilder erfolgreich

Der Borromäusverein bildet seit Jahrzehnten erfolgreich, zuletzt als Buchhändler/in, Groß- und Außenhandels-kaufmann/-frau und Bürokaufmann/-frau, aus. Wir gratulieren den Auszubildenden Jessica Hinde-mith (li.) als angehende Buchhändlerin und Jennifer Schmidt als angehende Groß- und Außenhandels-kauffrau zu ihren bestandenen Abschlussprüfungen. Für ihre Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute!

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Der siebzehnte EngelRezension – was ist das

von Bettina Kraemer

Wenn Günther Jauch bei „Wer wird Millionär?“ fragen würde, was eine Rezension ist, hätten KÖB-Mitarbei-ter/innen schon die ersten 100 Euro gewonnen. Rezensionen gehören zum Büchereialltag dazu. Doch was macht eine gute Rezension aus? Im Feuille-ton soll sie unterhalten und informie-ren. In der Büchereiarbeit (in der Zeit-schrift „Buchprofile“ oder unter www.borro.de) dient sie dem Be-standsaufbau, als Hilfsmittel für die Anschaffungsentscheidung, und sie dient der Information der Bücherei-mitarbeiter/innen und Leser/innen.

Während Feuilleton-Rezensionen sich lang und breit mit einem Buch beschäftigen und dabei oft selbst zu einer Kunstform werden, sind bibli-othekarische Rezensionen mög-lichst kurz gehalten. Die Bücherei-mitarbeiter/innen sollen sich mög-lichst schnell einen Überblick über die große Zahl der zur Wahl stehen-den Bücher, Hörbücher, Videos, Co-mics usw. verschaffen können.

Grundsätzlich gilt für alle Rezensi-onen, dass sie immer so objektiv wie möglich sein sollen. Doch wer-den sich natürlich immer auch die Vorlieben und der Geschmack

eines Rezensenten darin widerspie-geln. Deshalb kommt es zu dem Phänomen „ein Buch, zwei Rezen-sionen, drei Meinungen“. Eine Be-sprechung kann nie ein endgül-tiges Urteil fällen, was schließlich auch unserer pluralistischen Ge-sellschaft geschuldet ist, in der es keine allgemein verbindlichen äs-thetischen und ideologischen Maß-stäbe gibt.An der Buchprofile-Rezension zu Stuart Archer Cohns Roman „Der siebzehnte Engel“ (bvMedienNr.: 286054) lässt sich der Aufbau einer bibliothekarischen Rezension, der eine Annotation vorangestellt ist,

Dipl.-Bibl. Bettina Kraemer, Leite-rin des bv.-Lektorates in Bonn

Rezension spezial Rezension spezial

BORROMäUS-REZENS ION

gut zeigen (siehe Kasten). Eine An-notation ist eine inhaltsbezogene, ggf. formale Merkmale miteinbe-ziehende Kurzcharakterisierung des Werkes in einem kurzen Satz. In der Regel besteht eine Rezension aus drei Teilen. Das Inhaltsreferat [gelb unterlegter Text] sollte kurz das Thema charakterisieren bzw. einen Problemaufriss geben. Keinesfalls sollte es sich dabei um eine Nacher-zählung des Inhalts handeln. Das kurze, aussagekräftige Inhaltsrefe-rat gibt die wesentlichen Aspekte der Handlung wieder und stellt die Protagonisten vor. Der Leser be-kommt hier bereits einen guten Einblick in das Buch und kann eine erste Vorentscheidung treffen, ob dieses Thema für seine Bücherei in Frage kommt.

In einer anschließenden Würdi-gung [blau unterlegter Text] soll der Rezensent das Buch beurteilen.

Darin können Aussagen über den Autor einfließen, über die Sprache, den Stil oder das Layout. Natürlich kann und soll kein Kriterienkata-log lückenlos abgearbeitet werden. Es geht darum, die für das Buch wesentlichen Kriterien herauszuar-beiten und dem Leser bei der Kauf-entscheidung zu helfen. Die Wür-digung ist durchaus kritisch zu le-sen. Sie charakterisiert das Buch als „harten Spannungsroman“, was Rückschlüsse auf die im Buch vor-kommende Gewalt zulässt, ohne eine direkte Abwertung vorzuneh-men. Gleichzeitig sagt sie aus, dass die düstere Grundstimmung im spannungsvollen Gegensatz zur Lebensfreude des Tangos steht, der in dem Buch eine wichtige Rolle

spielt. „Immer neue Spuren und unerwartete Wendungen“ lassen zudem vermuten, dass das Buch kurzweilig zu lesen und bis zum Schluss spannend bleibt.

Der letzte Teil der Rezension ist der sogenannte Eignungsvermerk [grün unterlegter Text]. Hier gibt der Rezensent seine aufgrund der Lektüre des Buches gewonnene Einschätzung über die Einsetzbar-keit in Katholisch öffentlichen Bü-chereien oder für mögliche andere Adressatenkreise an. Der Eignungs-vermerk sollte in der Regel nicht mehr als einen Satz umfassen. Hier kommt der Rezensent in Kenntnis der Klientel zu der Einschätzung, dass das Buch in jeder Bücherei ein-gestellt werden kann, warnt aber gleichzeitig noch einmal davor, dass es durchaus Leser geben kann, die sich an der Gewalt stören bzw. von ihr schockiert sein können. &

Ein korrupter Comisario aus Buenos Aires muss einen Mord untersuchen, an dem er selbst beteiligt war.

In Buenos Aires sind Machtmissbrauch und Korruption bei der Polizei an der Tages-ordnung. Comisario Miguel Fortunato soll den Mord an dem US-amerikanischen Schriftsteller Robert Waterbury aufklären: eigentlich kein Problem, denn er selbst hat ihn getötet. Als sich die Menschenrechtsaktivistin Athena Fowler in seine Ermitt-lungen einmischt, erweist sich Fortunato als weit vielschichtigere Persönlichkeit als nur der korrupte Polizist, der versucht, sein eigenes Verbrechen zu vertuschen. Ge-meinsam decken sie eine Verschwörung auf, deren Fäden bis in die USA reichen. - Der harte Spannungsroman fesselt durch seine dichte Schilderung der düsteren Atmosphäre von Buenos Aires, wo aber gleichzeitig Lebensfreude und Liebe zum Tango herrschen, und durch den Wandel vom Polizeiroman zum Politthriller, der mit immer neuen Spuren und unerwarteten Wendungen überrascht. Breit empfohlen, aber nichts für empfindliche Gemüter. (Übers.: Regina Rawlinson)

Rezensentin: Evel in Schmidt

Lesestart Im Düsseldorfer Schauspielhaus fand der offizielle Auf-takt zur bundesweiten Kampagne "Lesestart – Die Lese-Initiative für Deutschland" der Stiftung Lesen statt. „Bilderbücher anschauen und Vorlesen sind die ein-fachsten und zugleich preiswertesten Dinge, die Eltern tun können, um schon kleine Kinder in ihrer Entwick-lung zu fördern und ihnen so Bildungschancen für die Zukunft zu eröffnen“, erklärte Rolf Pitsch, Vorstands-vorsitzender der Stiftung Lesen und Direktor des bv.

Angebote für die Beteiligungsmöglichkeiten der Bü-chereien an der Kampagne unter http://www.lese-startdeutschland.de/bibliotheken.php

Stuart Archer Cohen:Der siebzehnte EngelManhattan Verlag 2008,413 S.; 19,95 €

bvMedienNr.: 286054

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3/200818 193/2008Bildungsangebote

Unbekannte VielfaltEin Streifzug durch die türkische Literatur

von Christoph Holzapfel

Unser Türkeibild ist von Gegensätzen bestimmt: das Ur-laubsland am Mittelmeer, wunderschöne Strände, blaues Meer, oder auch Istanbul, die pulsierende Metropole am Bosporus auf der einen, die Unterdrückung der kurdischen Minderheit und der Kampf gegen die kurdische Arbeiter-partei PKK und der Prozess gegen den 17-jährigen Marko aus Hannover auf der anderen Seite. Türkische Literatur spielt für dieses Bild nur dann eine Rolle, wenn ein Schrift-steller wegen „Verunglimpfung des Türkentums“ ange-klagt wird, wie zuletzt Orhan Pamuk. Ansonsten ist sie in Deutschland weitgehend unbekannt. Das möchte die Frankfurter Buchmesse im Herbst dieses Jahres ändern und hat die Türkei als Gastland eingeladen.

Der derzeit bekannteste türkische Schriftsteller ist Or-han Pamuk, der 2006 den Nobelpreis für Literatur er-hielt. Doch wurde diese Ehrung von scharfer Kritik aus der Türkei überschattet, die in einer Morddrohung gipfelte. Manche Türken sehen in Pamuk nicht den international erfolgreichen Schriftsteller, sondern ei-nen Nestbeschmutzer, der dem Ansehen der Türkei schadet. Anlass für die heftige Kritik an Pamuk waren sein Roman „Schnee“ und Äußerungen zum tür-kischen Völkermord an den Armeniern. Pamuk hatte

2005 in einem Interview an dieses Verbrechen erin-nert und die Türken aufgefordert, sich endlich mit der Vergangenheit ihres Landes auseinanderzusetzen.In „Schnee“ (bvMedienNr.: 227437) erzählt er von dem türkischen Dichter Ka, der für eine Reportage von Frankfurt in die ostanatolische Stadt Kars reist. Dort stehen Bürgermeisterwahlen an, bei denen sich der Sieg eines islamistischen Kandi-daten abzeichnet. Außerdem sollen dort einige junge Frauen Selbstmord begangen haben, aus Protest gegen das Kopf-tuchverbot an der Hochschu-le. Schon bald steckt Ka mit-tendrin im intriganten Ge-flecht aus säkularen und isla-mistischen Kräften, der Ar-mee, Terroristen, Kurden und westlich orientierten Moder-nisten. Ähnlich wie Pamuk erging es auch der Schrift-stellerin Elif Shafak. Auch sie musste sich einer solchen Anklage wegen „Verunglimpfung des Türkentums“ er-wehren, weil sie in ihrem Roman „Der Bastard von Istanbul“ (bvMedienNr.: 268739) politische und ge-sellschaftliche Probleme offenlegt und noch dazu an

Kitsch oder Kunst? Mit dem Fernkurs für Literatur dem Lesen auf die Spur kommen!

Im Oktober 2008 startet wieder der 8-monatige Fernkurs für Literatur, den der bv. als deutscher Kooperationspartner der Literarischen Kurse in Wien anbietet. Neben der Frage nach Kitsch und Kunst in der Literatur, geht es auch um ganz persönliche Entdeckungsreisen literarischer Welten. Wei-tere Informationen: [email protected]

Kick-off zum Multiplikatorentraining für Referenten und Teambegleiter

Gute Referenten oder sogar Teambe-gleiter zu finden, ist für Fachstellen und Borromäusverein eine stetige He-rausforderung. Büchereiteams sollen beraten und betreut werden, Anzahl und Niveau von Weiterbildungsver-anstaltungen erhalten bleiben und das bei gleichzeitig dünner wer-dender Personaldecke.

Daher hat der Sachausschuss Bil-dung der bv.-Fachkonferenz ein neues Fortbildungsangebot entwi-ckelt, das ab November 2008 durchgeführt wird. Gesamtziel der Fortbildung, die sich an Menschen wendet, die be-reits als Referenten oder Teambe-gleiter tätig sind oder in diese Tä-tigkeit einsteigen möchten, ist die Entwicklung und Festigung eines persönlichen und authentischen Leitungsstils.In Referententätigkeit und Team-begleitung sind die Themenfelder „Persönlichkeit“, „Gruppe“ und „Methodeneinsatz und Didaktik“ untrennbar miteinander verbun-

den und ziehen sich daher als rote Fäden durch die fünf Module der Fortbildung. Übungssituationen während der Wochenenden und das Durchführen eines Seminars bzw. die Begleitung eines Teams im Fortbildungszeitraum gewährlei-sten eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis.Organisation und SchwerpunkteDie Anmeldung erfolgt zunächst nur für das Kick-off-Wochenende, das sowohl den Teilnehmern als auch den Trainerinnen als Ent-scheidung über die Teilnahme am Aufbaukurs dient. Dieser umfasst noch einmal vier Wochenenden. Zur optimalen Unterstützung des Gruppenprozesses ist eine Teilnah-me nur an allen vier Aufbaumodu-len möglich. Jedes der 5 Wochen-enden behandelt ein zentrales The-ma: Im Kick-off-Wochenende ste-hen die Einführung in das Semi-narkonzept, Grundlagen der Kom-munikation und eine Einführung in das Lernen mit Gruppen im Mit-telpunkt. Der Aufbaukurs dreht

sich u.a. um Themenzentrierung, Gruppenmotivation, Rollenverhal-ten in Gruppen sowie Gesprächs-führung und Gruppenphasen.

Kursleitung und Trainerinnen

Sonja Lebert, Würzburg, ist gleich-zeitig Leiterin der Gruppe und Trai-nerin. Für einzelne Themenfelder wird sie von einer zweiten Traine-rin unterstützt.

Zertifizierung

Nach der Teilnahme am Kick-off-Seminar wird eine Teilnahmebe-scheinigung ausgestellt, für den vollständig absolvierten Kurs ein Zertifikat. Bedingung hierfür ist ne-ben dem Besuch aller vier Aufbau-kurs-Wochenenden die Erledigung der praktischen und theoretischen Übungsaufgaben. Weitere Informationen gibt es beim Borromäusverein ([email protected]) oder bei Ihrer zustän-digen Fachstelle. &

Fort- und Weiterbildung gehört zu den Aufgaben des Borromäusvereins e.V. und der Fachstellen für Büchereiarbeit. Als Teil der Seelsorge nehmen Büchereien in der Medien- und Informationsgesellschaft wichtige Aufgaben der Literaturvermittlung, Leseförderung und Bildung wahr. Die Bildungsangebote qua-lifizieren die Mitarbeiter im Mediendienst für die vielfältigen Anforderungen des Büchereialltags. Informie-ren Sie sich auf unserer Internetsite über unsere Bildungsangebote www.borro.de, Rubrik Bildung.

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3/200820 213/2008Tükische Literatur

die Verbrechen an den Armeniern erinnert. In einem Interview erklärt Shafak die Kritik von ultranationa-listischer Seite als eine Folge der Auseinandersetzungen um den politischen und kulturellen Kurs der Türkei: Am Westen orientiert oder doch eher am vorderen Orient? Säkular oder religiös? Die türkische Gesell-schaft sei sich in dieser Frage nicht einig und bestehe aus verschiedenen Gruppierungen, die um die Mei-nungshoheit kämpften. „Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den Beitritt der Türkei zur EU wollen, eine weitere Demokratisierung und eine offene Gesell-schaft. […] Ihnen gegenüber positionieren sich jene, die an der Isolation des Landes festhalten wollen; sie stehen für Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und einen autoritären Staat.“

Identitätsstiftung

Pamuk und Shafak sind mit ihren Büchern in der Türkei auch deshalb angeeckt, weil sie gegen die Kon-ventionen der türkischen Literatur verstoßen haben. Der Kulturwissenschaftler Uli Rothfuß und der Über-setzer Achim Martin Wensien schreiben 2005 in einem Beitrag für das Internetportal Qantara.de, dass Literatur in der Türkei fast ausschließlich der Identitätsstiftung dient und als Politikersatz bis hin zur ideologischen Waffe benutzt wird. Deshalb gelinge es türkischen Au-toren nicht oder nur sehr selten international anspre-chende und interessante Bücher zu schreiben.In den Augen türkischer Nationalisten dienten die Bü-cher von Pamuk und Shafak gerade nicht der Identi-tätsstiftung. Das sorgte auch deshalb für Ärger, weil die türkische Republik seit ihrer Gründung 1923 unter-schwellig in der Angst vor dem Zerfall des Staates lebt. Das führt einerseits zu einer ängstlichen, teilweise auch gewalttätigen Minderheitenpolitik wie etwa ge-genüber den Kurden, und begünstigt andererseits den

türkischen Nationalismus, der scharf trennt in „Wir“ und „die Anderen“. Orhan Pamuk schreibt dazu: „Die Menschen des Landes, in dem ich lebe, wollen ständig von mir wissen: ‚Wer sind wir, Moslems, Türken, ori-entalisch oder westlich, mediterran oder dritte Welt?’ Fragen dieser Art sind zur fixen Idee, zu einem Lebens-stil geworden.“ Dass es jenseits dieser Konflikte eine auch für Ausländer lesenswerte Literatur gibt, zeigt die „Türkische Bibliothek“, die im Züricher Unionsverlag erscheint. Gefördert wird dieses Projekt von der Ro-bert-Bosch-Stiftung, die damit die Absicht verfolgt, „über die Literatur eine Vorstellung zu vermitteln von den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbrüchen, die das Land seit vielen Jahrzehnten prä-gen“. Zu Wort kommen im deutschsprachigen Raum weniger bekannte Autoren wie Hasan Ali Toptas (geb. 1958) oder Aslı Erdogan (geb. 1967). Ihre Texte befas-sen sich mit dem Ende des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik, mit dem Militärputsch der achtziger Jahre, sie zeigen die Sicht der Frauen und die Auseinandersetzung einiger Schriftsteller mit ge-sellschaftlichen Zwängen und festgefahrenen Traditi-onen. Der Roman „Die Schattenlosen“ (bvMedienNr.: 259145) von Hasan Ali Toptas erzählt von einem Dorf in Anatolien, in dem von einem Tag auf den anderen

Menschen verschwinden, erst der Friseur, der Frau und Kinder zurücklässt, dann die hübsche Güvercin. Für den Bürgermeister dieses Dorfes wird die Geschichte zum Albtraum, denn er hat die Dinge nicht mehr im Griff. Mit dieser Geschichte, die zunehmend fantas-tisch wird, karikiert Toptas das Genre des türkischen Dorfromans, der über Jahrzehnte hinweg die türkische Literatur dominierte. Darin sorgt üblicherweise der Bürgermeister als Verkörperung des Staates dafür, dass am Ende alles wieder seine Ordnung hat. Aslı Erdgan beschreibt in ihrem Roman „Die Stadt mit der roten Pelerine“ (bvMedienNr.: 287975) eine junge Frau, die sich weit von dem entfernt hat, was sich der Islam im Allgemeinen und die Türkei im Besonderen unter einer Frau vorstellen. Die Protagonistin Özgür lebt in Rio de Janeiro. Eigentlich wollte sie nur für ein Jahr dort bleiben, doch die Stadt lässt sie nicht mehr los. „Aus der familiären Enge geflohen, durch die frem-de Kultur angeregt, gab es kein Land, in das sie zurück-kehren mochte. Rio de Janeiro wurde ihr zum freiwil-lig gewählten Exil“, schreibt Karin Schweißgut im Nachwort. Mit dieser Auswanderergeschichte themati-siert Erdoğan die Schwierigkeiten junger Türkinnen, sich von vorgegebenen Rollenmustern zu befreien.

Privatdetektiv wider Willen

Auch unabhängig von der „Türkischen Bibliothek“ haben sich einige türkische Autoren im deutschspra-chigen Raum einen Namen machen können. Von Or-han Pamuk und Elif Shafak war schon die Rede. Er-wähnt werden muss auch der kurdische Schriftsteller Yasar Kemal (geb. 1923), der 1997 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Günther Grass sagte bei der Verleihung, Kemal verstehe es, seine „auf das nächstliegende Unrecht versessene Sicht“ der Din-ge so in Worte zu fassen, dass sie über die Grenzen seines Landes hinaus Wirkung entfalten. Mit Cecil Okers Privatdetektiv Remzi Ünal hat auch eine tür-kische Krimiserie den Sprung ins deutschsprachige Ausland geschafft. Im Stil der Regionalkrimis kann der Leser Ünal, den Privatdetektiv wider Willen, auf sei-nen Wegen durch Istanbul begleiten. Im jüngsten – vierten – Fall „Dunkle Geschäfte am Bosporus“ (bvMe-dienNr.: 288777) geht es um Mord, natürlich, und um Erpressung, Intrigen, politische Machtspielchen und Schwarzmarktgeschäfte. &

Dipl. Theol. Christoph Holzapfel arbeitet im Lektorat des Borromäusverein e. V. Bonn

Literaturhinweise- „Ich will nationale und nationalistische Grenzen überwinden“. Interview mit Elif Shafak auf Qantara.de, URL: http://qantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=299&wc_id=345, veröffentlicht 10. Au-gust 2006- Uli Rothfuß, Martin Wensien: Türkische Literatur in Deutschland. Versäumnisse türkischer Intellektueller und Literaten, URL: http://qantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=299&wc_id=206, veröffentli-cht: 19.05.2005- Orhan Pamuk: Problemlos über meine Probleme…, in: Ders.: Der Blick aus meinem Fenster. Betrach-tungen (Fischertaschenbuch, Bd. 17763), Frankfurt a. M. 2008, 143-150, Zitat: 144-145.- Begrüßung, in: Die Türkische Bibliothek. Türkische Literatur in der Schule. Texte und Ideen für den Un-terricht, hrsg. von der Stiftung Lesen, Mainz 2008, 1.

Eine ausführliche Liste mit türkischer Literatur finden Sie auf www.borro.de.

Orhan PamukSchnee Hanser, 2005513 S., 25,90 ebvMedienNr.: 227437

Elif ShafakBastard von Istanbul Eichborn, 2007458 S., 22,90 e bvMedienNr.: 268739

Hasan A. ToptasDie Schattenlosen UUnionsverlag, 2006247 S., Preis: EUR 19,90 ebvMedienNr.: 259145

Asli ErdoganDie Stadt mit der roten Pelerine Unionsverlag, 2008203 S., 19,90 ebvMedienNr.: 287975

Celil OkerDunkle Geschäfte am Bosporus Unionsverlag, 2008255 S., 9,90 ebvMedienNr.: 288777

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3/200822 233/2008Buchgestaltung

Mehr Mut!Die Buchgestalter der meisten Verlage sind einfallslos

von Ulrich Greiner

Wenn unser Geschichtslehrer se-ligen Angedenkens ins Schwärmen geriet, sprach er gern von der »Du-plizität der Ereignisse«. Die beiden abgebildeten Buchumschläge sindkein Grund zum Schwärmen, aber ein Fall von Duplizität. Wie kann es sein, dass zwei verschiedene Agenturen für zwei verschiedene Verlage und zwei verschiedene Bü-cher – hier ein Roman Daniel Kehl-manns, dort ein Fremdwörterlexi-kon – ein und denselben Titel ent-werfen? Es kann nur so sein: Die Buchgestalter haben in die Bücher nicht mal reingeguckt. (Zu Ehren des Piper Verlags muss gesagt wer-den, dass dessen Titel älter als ist der von Rowohlt.) Der Verdacht liegt nahe, dass es sich dabei kei-neswegs um einen dummen Zufall handelt, sondern um ein Zeichen für jenen Geschmackspopulismus,der die Branche zunehmend er-fasst. Die Publikumsverlage verhal-ten sich wie die Volksparteien: Sie suchen ihr Glück in der Mitte. Mag sein, dass die Parteien es dort fin-den. Verlage, die einen intellektu-ellen, künstlerischen Anspruch er-heben, sicherlich nicht. Sie landen sonst in jener Mitte, wo Kitsch und Konvention sich frohgemut die Hand geben. Was früher der Rü-ckenakt oder das Haus am See war, ist nun der bedrohlich bewölkte Himmel, der die neuen Bücher von E. L. Doctorow und Richard Ford

schmückt, oder das zarte Mäd-chenantlitz, das uns von den Bü-chern Isabel Allendes, William Boyds und Nancy Hustons melan-cholisch entgegenleuchtet, gleich-viel, ob Suhrkamp, Berlin Verlag oder Rowohlt ihre Väter sind. Schö-ne Frauen sind selbst auf Büchern schön, das ist schon wahr, aber viele Verlage kleiden ihre Bücher, als kauften sie bei Hennes & Mauritz ein. Eine schöne Ausnahmein diesem Herbst macht die Frank-furter Verlagsanstalt, wo Joachim Unseld alle Umschläge von dem Künstler Jonathan Meese entwerfen ließ: ein starker, schriller, unver-wechselbarer Auftritt. Warum be-schäftigen die Verlage nicht mehr bildende Künstler? Wahrscheinlich fürchten sie sich. Nur Mut! Niemand wird erwarten, dass es für die jähr-

lich etwa 70 000 Neuerscheinungen 70 000 buchgrafisch wertvolle Um-schläge gibt. Doch Piper, Rowohlt und all die andern namhaften Häu-ser sollten, was ihre namhaften Au-toren angeht, etwas mehr Geist und Originalität bei der Buchgestaltung walten lassen. – Im Übrigen danken wir dem Leser K. Baum aus Ham-burg für seinen Hinweis auf die Du-plizität der Ereignisse. &

Ulrich Greiner ist seit 1998 ver-antwortlicher Redakteur des Ressorts Literatur in der ZEIT. Wir übernehmen den Text mit freundlicher Genehmigung aus DIE ZEIT vom 16.08.07

Schule und Büchereiwirken gemeinsam in der Leseförderung

von Leoni Heister

Als wir vor vierzehn Jahren mit viel Spaß und Enthusiasmus an den Auf-bau der Katholischen öffentlichen Bü-cherei (KÖB) Biebesheim gingen, ahnten wir noch nicht, welche Aus-wirkungen diese „kleine Bücherei“ auf die Lesewelten der Kindergärten und Grundschule haben sollten. Die Kin-der der Büchereidamen waren gerade eingeschult worden – gute Kontakte zu den Erzieherinnen und den Grund-schullehrern vorhanden – es lag also nahe, für die neu gegründete Büche-rei sowohl in Kindergärten als auch Schule zu werben und Führungen zu veranstalten.

Es dauerte nicht lange und die KÖB war im Gemeindeleben so gut eta-bliert, dass auch die politische Ge-meinde den Aufbau des Bestandes finanziell unterstützte. Diese Un-terstützung hält bis heute an, keine Selbstverständlichkeit. Doch trotz des tollen Erfolgs der KÖB war die Zusammenarbeit mit den Kinder-gärten und der Grundschule nicht so intensiv, wie wir es uns erhofft hatten. Es gab eine seltsame Zu-rückhaltung, die sich das Bücherei-team nicht erklären konnte. Das sollte sich im Jahr 2000 ändern, als die Leiterin des Kindergartens „Im Langwatt“, Ilona Rost, die Ausbil-dung zur „Fachkraft für den Situati-onsansatz“ absolvierte, Frau Rost wollte die KÖB vor dem Hinter-grund des pädagogischen Kon-

zeptes ihrer neuen Ausbildung als Kooperationspartner einbeziehen. Wir erarbeiteten in vielen Ge-sprächen das Konzept für diese Zu-sammenarbeit, das zwischenzeit-lich an die Bedürfnisse einer Tages-stätte und neuerdings auch einer Kinderkrippe angepasst worden ist. Während dieser Zeit war die Büche-rei auch in der Grundschule prä-sent mit Klassenführungen, Bilder-buchkinos und regelmäßigen Auto-renlesungen. Zusätzlich bauten wir eine enge Zusammenarbeit mit der Schulkindbetreuung des örtlichen Mütter-Aktions-Zentrums auf.

Kooperation Schule

Im Jahr 2006 wurde in Hessen zwi-schen dem Kultusministerium und dem Ministerium für Wissenschaft vereinbart, im Rahmenplan der Schulen die verstärkte Zusammen-arbeit mit den Bibliotheken zu för-dern. Wir freuten uns sehr, dass vom Lehrerkollegium unserer ört-lichen Grundschule beschlossen wurde, die KÖB stärker als Koopera-tionspartner einzubinden und auf die Einrichtung einer eigenen Schul-bibliothek zu verzichten, für deren ordnungsgemäßen Betrieb weder

Leseförderung

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3/200824 253/2008Statist ik Statist ik

AachenBerlinEssenFreiburgFuldaHildesheimKölnLimburgMainzMünsterOsnabrückPaderbornRottenburgSpeyerTrier

Summe bv.SMBSumme kathDVEBSumme kirchl.

(Erz-)Bistum Büchereien Bestand Entleihungen Benutzer Erwerbungsmittel Mitarbeiter(innen) Veranstaltungen Umsatz Erw. je ME

Bibliotheksstatistik 2007 für die Kirchliche Büchereiarbeit in Deutschland Stand 12.06.2008

Impressum© Borromäusverein e.V.Juni [email protected]

Sonderdruck aus BiblioTheke 3.08 Sonderdruck aus BiblioTheke 3.08BiblioTheke BiblioTheke

Mehr Büchereien in Zeiten von Gemeindefusionen? Ja, Bücherei-neugründungen gibt es immer wieder, wenn die Verantwort-lichen vor Ort z.B. die Schwer-punkte des Engagements neu bedenken. Prozentuale Steige-rungen ergeben sich jedoch auch, wenn eine Bücherei nach einer Zeit der Pause oder grund-legenden Neuorganisation nach einem oder mehreren Jahren Pause wieder mit ihren Daten von den diözesanen Fachstellen in die Statistik aufgenommen werden.

Mehr Medien in Zeiten schwacher Kas-sen? Ja, die Bestandzahl aller Medien in den Büchereien korrespondiert in der Regel mit Steigerungen der Erwerbungs-mittel. Pfarreien als Büchereiträger oder Fachstellen als fachliche Begleitungs- und Förderungseinrichtungen setzen immer wieder besondere Akzente mit besonde-ren Aktivitäten, die sich immer wieder auch im Bestand bemerkbar machen. Sei es durch das Limburger Projekt TheoLit zu religiösen Fragestellungen in der Bel-letristik oder durch neue Anstrengungen zur Zusammenarbeit zwischen Schulen und Büchereien in Paderborn.

Wirklich 22 Medien pro Jahr pro Be-nutzer? Solche Durchschnittswerte sind immer mit Vorsicht zu genießen. Einerseits gibt es die Vielleser und den Einmal-Besucher. Und dann zeigt die-ser Wert den Durchschnitt aller Medi-enausleihen. Die Beliebtheit verschie-dener Medien bei den unterschied-lichen Altersgruppen kann hier nicht zum Ausdruck gebracht werden. Und noch weniger zeigen diese Zahlen, wie viel Gespräche im Rahmen von Büchereibesuch und Mediennutzung in Gang kommen.

Seit einigen Jahren hält sich der leicht positive Trend bei den Erwer-bungsmitteln im Durchschnitt aller bv.-Mitgliedsdiözesen, aber die großen Unterschiede bei den diöze-sanen Ergebnissen zeigen Vielfalt und unterschiedliche Möglichkeiten. Steigerungen bei den Erwerbungs-mittel sind gerade angesichts stei-gender Preise für Neuanschaffungen ein Garant dafür, dass der Medien-bestand aktuell und attraktiv gehal-ten werden kann.

Die Entwicklung der Veranstaltungsar-beit in 2007 ist besonders aufmerk-sam zu bewerten, da erst im J-ahr 2006 durch den Start der ersten eige-nen Leseförderungskampagne „Ich bin bib(liotheks) fit“ ein zweistelliges Wachstum verzeichnet werden konn-te. Der Zuwachs in 2007 ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass diese Kampagne keine Eintagsfliege war, sondern in 2007 weiter fortge-setzt wurde. Daneben haben die Bü-chereiteams offensichtlich auch nicht in der Intensität anderer Angebote nachgelassen.

Gewinnung, Motivation wie Aus- und Weiterbildung der ehrenamt-lichen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter in den Büchereien sind die wichtigste Aufgabe für die Büchereiträger, die Fachstellen und den Borromäusverein. Ohne diese Menschen mit hoher per-sönlicher Kompetenz und fach-lichem Wissen ist die kirchliche Büchereiarbeit nicht denkbar. Sie sind Botschafter/innen des kultu-rellen Beitrags der Kirche in un-serer Gesellschaft. Die seit mehr als 10 Jahren konstant positive Entwicklung belegt die Lebendig-keit eines Arbeitsbereiches, für den jedes Jahr viele neue Mitar-beiter gewonnen werden müssen.

Quellen: Meldungen der (erz-)diözesanen Büchereifachstellen bzw. Auswertungen der Büchereiverbände Borromäusverein e.V. (bv.), St. Michaelsbund e.V. (SMB) und des Deutschen Verbandes Evangelischer Büchereien e. V. (DVEB). Alle Angaben in Prozent geben die Entwicklung im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres an (siehe auch köb 3/2007).

Anzahl129

12158242

6452

40878

138425144257136144216

2.6031.1343.737

9174.654

%-6,529,09

-4,82-1,22

-12,330,003,035,41

-2,130,000,700,002,260,70

-2,26

-0,57-2,49-1,16-0,86-1,10

Medien542.267

33.339695.764818.614198.513

93.9731.633.039

231.613606.345

2.089.449696.158951.757530.872449.139599.761

10.170.6037.645.546

17.816.1492.933.750

20.749.899

%-4,3215,5714,36

2,16-6,301,39

-2,502,46

-3,69-1,953,854,25

-0,10-0,34-0,07

0,33-0,230,09

-1,28-0,11

Medien671.178

26.519587.291

1.262.064230.702100.528

3.239.388406.619907.935

5.220.2371.234.1181.133.185

827.508682.301709.849

17.239.42214.224.10931.463.531

3.673.95735.137.488

%-1,57

-42,36-5,481,45

-10,351,19

-1,337,04

-0,171,85

10,272,972,780,490,65

1,071,811,400,961,36

Personen34.879

1.42734.00453.24711.962

7.589134.674

19.77238.775

188.84456.05364.66247.21242.05354.481

789.634545.036

1.334.670174.477

1.509.147

%18,58

7,13-3,43

-10,79-16,11

4,45-0,09-0,861,772,598,02

-3,942,20

-0,121,19

0,53-2,18-0,59-4,61-1,07

227.4627.533

328.015488.572

99.62145.840

1.292.144116.607302.332

1.696.464342.881586.150336.724239.175313.065

6.422.5854.151.860

10.574.4551.130.705

11.705.150

%2,66

-7,7717,14

3,14-20,75

-4,62-1,34-1,253,200,03

-3,5112,5811,39-1,14-3,13

1,67-6,84-1,85-0,26-1,70

Personen1.122

831.1711.717

313250

4.354685

1.3125.0361.9601.9511.102

9001.266

23.22211.69134.913

5.79040.703

%-2,5213,70-5,491,54

-16,315,04

-0,750,592,101,370,561,514,952,042,26

0,410,430,410,980,49

Anzahl1.191

1431.9642.208

389303

8.5201.4622.0847.5522.4711.9731.3821.6012.081

35.32412.92748.251

9.52357.774

%2,67

-40,1718,67

9,74-18,96

1,006,93

-2,86-3,3810,77

1,44-1,00-2,95-7,352,92

4,215,264,495,494,65

1,240,800,841,541,161,071,981,761,502,501,771,191,561,521,18

1,701,861,771,251,69

0,420,230,470,600,500,490,790,500,500,810,490,620,630,530,52

0,630,540,590,390,56

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3/200826 273/2008

Am Ende der Fachkonferenz des Borromäusvereins im Mai in Speyer standen Neuwahlen der Konferenz-leitung an. Vera Steinkamp, Leite-rin des Medienforums im Bistum Essen, und Lothar Ganter, Leiter des Freiburger Kirchlichen Büche-reiwesens, standen nicht mehr zur Wiederwahl zur Verfügung. Beide hatten als Vorsitzende bzw. stell-vertretender Vorsitzender acht Jah-re lang die Arbeit des Netzwerks der katholischen Büchereiarbeit zwischen Büchereien, Fachstellen und Borromäusverein geleitet,

Konferenzen vorbereitet, Interes-senvertretung intern und extern wahrgenommen, viele Gespräche über Chancen und Probleme ge-führt. Die in Speyer versammelten Leiterinnen und Leiter der diöze-sanen Fachstellen und die Vertreter des bv. dankten beiden für ihre Lei-tung und kollegiales Miteinander. Die Konferenz wählte Dr. Gabriele Dreßing zur Vorsitzenden und An-dreas Greif zum stellvertretenden Vorsitzenden. Die Geschäftsfüh-rung der Konferenz liegt weiterhin bei Rolf Pitsch.

Die Ergebnisse und Umsetzungs-möglichkeiten der Sinus-Milieustu-die bilden einen thematischen Schwerpunkt der Fachkonferenz. In der Beratung zahlreicher biblio-thekarischer, literarischer und pa-storaler Fachfragen verabschiedete die Konferenz Konzept und Ablauf der neuen Leseförderungsaktion „Ich bin Bib(liotheks) fit. Der Lese-kompass für die 1. und 2. Grund-schulklasse“. Sie wird im Septem-ber 2008 starten und den Büche-reien von den diözesanen Fachstel-len angeboten. &

Leitungswechsel, Milieustudien und neue Kooperation

Der Kooperationsvertrag zwischen STUBE und Borromäusverein wurde in Speyer unterzeichnet: Die STUBE Leiterin Dr. Heidi Lexe (Wien) zwi-schen Vera Steinkamp (Essen) und Rolf Pitsch (Foto: Klaus Landry).

bv . -Fachkonferenz

Gabriele Dreßing.

Andreas Greif.

Räumlichkeiten noch personelle Ressourcen vorhanden waren.Der Lesebeauftragten der Grund-schule, Hans Reinhardt, begrüßte diese Zusammenarbeit sehr, denn er war zu diesem Zeitpunkt für die Erstellung des Leseprofils der Schu-le verantwortlich, sollte Leseför-derprojekte entwickeln und eine Schulbibliothek koordinieren. Er wollte die vorhandene Fachkom-petenz des Büchereiteams in Sa-chen „Literatur für Kinder und Le-seförderung“ stärker in der Grund-schule einsetzen.

Uns allen war von Anfang klar, dass diese Kooperation nur unter der Voraussetzung einer „Freiwillige Vereinbarung“ laufen kann, die zwar eine Selbstverpflichtung vo-raussetzt, aber keinen vertraglichen Charakter hat. Deshalb wurde die Vereinbarung nicht zwischen der Kommune und uns geschlossen, sondern zwischen der Grundschule und der KÖB. Rechtlich verbind-lich hätte diese zwischen dem Schulamt oder sogar dem Land Hessen als Träger der Schule und der Pfarreigemeinde als Träger der Bücherei geschlossen werden müs-sen. Die damit verbundenen lang-wierigen Verhandlungen gepaart mit eventuellen Befindlichkeiten wollten wir uns nicht antun und haben nach Rücksprache mit der Fachstelle auf die Rechtsverbind-lichkeit verzichtet.

In mehreren Gesprächen zwischen Büchereileitung und dem Rektor der Grundschule wurden die Eck-punkte der freiwilligen Kooperati-onsvereinbarung ausgehandelt und von Horst Patenge, Leiter der diöze-sanen Büchereifachstelle in Mainz,

auf juristische Fußangel geprüft. Bei diesen Verhandlungen kamen uns die Erfahrungen aus dem Kin-dertagesstättenbereich sehr zu gute: Wir konnten gezielt und direkt auf die Bedürfnisse der Lehrkräfte ein-gehen und ihre Anregungen umset-zen. Anfang September 2007 wurde feierlich die Vereinbarung zwischen Bücherei und Kommune unter-zeichnet und für alle sichtbar aus-gehängt. Die KÖB-Leiterin wurde zur ersten Gesamtkonferenz des Schuljahres eingeladen, um den Lehrkräften die „neue“ Zusammen-arbeit vorzustellen.

Gemeinsame Leseförderung

Seit Beginn des Schuljahres 2007/2008 besuchen die Klassen regelmäßig die Bücherei, leihen sich Lesekisten aus und informie-ren sich über die Neuzugänge im Bestand. Die Lehrkräfte fragen zu-nehmend gezielt bei den Bücherei-mitarbeitern nach Medien, die sie im Sachkundeunterricht einsetzen können und greifen auch für Pro-jekte verstärkt auf den Sachbuch-bestand der KÖB zurück. Da die Schule das Leseförderportal „Anto-lin“ nutzt, hat das Büchereiteam alle dort erfassten Bücher mit einem kleinen Button versehen, um einen schnellen Zugriff darauf zu ermöglichen.

Der Bestandsaufbau orientiert sich wie bisher weiterhin an den für die KÖB üblichen Qualitätsstandards. Insgesamt gesehen wird die Koope-ration von Grundschule und Ka-tholischer öffentlicher Bücherei von allen Seiten als positive Berei-cherung gesehen. Die Bücherei hat neue Leser dazu gewonnen, die Schule ihren Bestand an Literatur ohne Anstrengungen ausgeweitet und zusätzlich die Gewissheit, im-mer auf dem „Laufenden“ der Kin-derliteratur zu bleiben.

Leoni Heister, seit 1994 ehrenamtliche Leiterin der KÖB Biebesheim, kirchliche Büchereiassistentin, Referentin für Büchereiarbeit und Re-zensentin für den Borromäusverein. Über die Zusammenarbeit zwi-schen Bücherei und Grundschule berichtet ihr Beitrag „Im Kindergar-ten die Welt (auch in Büchern) entdecken“ in BiblioTheke 3.07; online unter www.borro.de, Publikationen, BiblioTheke.

Leseförderung

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3/200828 293/2008 STUBE

ßung von Inhalten. Lesekompetenz heute meint die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in einem kom-plexen Mediensystem nachzuvollziehen. Kinder- und Jugendliteratur ist ein Teilbereich dieses Medienspek-trums, der entdeckt und erschlossen werden will. Daher ist es das Anliegen der STUBE, die Vielfältigkeit der Kinder- und Jugendliteratur zu zeigen und gleich-zeitig Orientierung im stetig wachsenden Angebot an Büchern zu geben. Grundlage bietet die intensive Aus-einandersetzung mit kinder- und jugendliterarischen Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum. Doch nicht alles, was auf dem Markt erscheint, wird in der STUBE näher betrachtet. Das, was schnell den Weg zum Leser findet, braucht keine besondere Aufmerk-samkeit und keine Empfeh-lung. In der Studien- und Beratungsstelle sucht man nach den Büchern, die von Inhalt, Erzählweise oder äs-thetischer Gestaltung nicht für jedermann leicht zu-gänglich sind. Dazu braucht es einen geschulten Blick, der mit Neugier und Aufge-schlossenheit gegenüber Neuem und Unbekanntem auf Endeckungsreise geht und neuen Trends und aktu-ellen Themen nachspürt.

Geschulter Blick auf das Besondere

Unter der Rubrik Kröte des Monats wird jeden Monat ein Buch hervorgehoben, das besondere Aufmerksam-keit verdient. Der Blick einer Kröte, die zum Logo der STUBE geworden ist, fällt auf Neuerscheinungen, die herausfordern und Widersprüche provozieren. Es sind Bücher, die Vermittlung brauchen, und die man viel-leicht erst auf den zweiten Blick versteht und schätzt. Aber gerade dieses genaue Hinsehen und die Ausei-nandersetzung mit Büchern, die spröde und sperrig sind, erschließt die variantenreiche Welt der Kinder- und Jugendliteratur. Veröffentlicht wird die Kröte des Monats in Fachzeitschriften und auf der Homepage der STUBE (www.stube.at), hier meist in Zusammenhang mit weiteren Literaturtipps und zusätzlichen Informa-tionen.

Wer mehr als eine besondere Buchempfehlung sucht, findet sie in der Broschüre SEITENWEISE. Einmal im Jahr stellt das STUBE-Team eine Auswahl bemerkens-werter Neuerscheinungen für alle Altersstufen zusam-men, die durch Illustration, Erzählstil oder Thematik hervorstechen, und liefert dazu fundierte Bespre-chungen. Ein Fundgrube sind auch die thematischen Orientie-rungshilfen. Gerade ist die Broschüre Einander fremd? Integration als Thema der Kinder- und Jugendliteratur (2008) erschienen. Zur gesellschaftspolitischen Dis-

kussion, die auch in der aktu-ellen Kinder- und Jugendlite-ratur ihre Spuren hinterlässt, sind hier neue und bewährte Titel zusammengestellt und ausführliche annotiert.Für die kirchliche Büchereiar-beit ist Broschüre „Was wäre die Welt … Religiöse und ethische Fragestellungen an hand von Kinder- und Jugendliteratur“ (2006) von Interesse. In der Beschäftigung mit religiöse Kinder- und Jugendliteratur

zeigt sich ein Schwerpunkt der STUBE, die getragen von der Erzdiözese Wien eine kirchliche Einrichtung ist, und sich der Beobachtung und Analyse religiös re-levanter Kinderliteratur in besonderer Weise annimmt. Von konfessioneller Engführung ist allerdings nichts zu spüren. Es ist vielmehr eine Grundhaltung zu spü-ren, die gesamte Arbeit prägt: Eine Offenheit bei der Beurteilung von Literatur, die neben ästhetischen Kri-terien immer auch den Wert für eine sinnvolle Lebens-gestaltung berücksichtigt. Bewertet werden Bücher in Hinblick auf ihr Potential, Antworten auf zutiefst menschliche Fragen zu geben, sei es auf ethischer oder auch religiöser Ebene. Ziel aller Literaturempfehlungen ist es immer, die kindliche Kritikfähigkeit und Aufge-schlossenheit für unterschiedliche Weltanschauungen und Formen des sozialen Lebens zu fördern.

Mehr Verständnis – mehr Spaß

Als Studien- und Beratungsstelle bietet die STUBE ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. Fachvorträge, Symposien, aber auch die literarischen Treffen am Frei-

von Gabriele Dreßing

Wien ist bekannt für seinen kulturellen Reichtum. Doch wer weiß schon, dass sich nur wenige Schritte vom Stephans-dom entfernt, in einer kleinen Seitengasse hinter der histo-rischen Fassade des Nestroy-Hauses eine besondere kultu-relle Einrichtungen verbirgt, die sich ganz und gar der Kin-der- und Jugendliteratur verschrieben hat.

Hinter der alten Eingangstür aus dem 18. Jahrhundert öffnet sich ein kleiner idyllischer Innenhof, hinauf geht es über ein typisches Wiener Stiegenhaus, und dann steht man in der STUBE, der Studien- und Beratungs-stelle für Kinder- und Jugendliteratur. Die Erwartungen, die mit der pragmatischen Abkürzung verbunden sind, werden nicht enttäuscht: In den kleinen Arbeitszim-mern knarren die Holzdielen, die Regale und Schreib-tische sind voll mit Bilder- und Kinderbüchern, dazwi-schen weitere Bücherkisten. Am Ende des engen Flurs - die Bibliothek, bis unter die Decke nur Kinder- und Ju-gendbücher, ergänzt um einschlägige Fachliteratur.Hier wirkt mit viel Engagement das vierköpfige Team der STUBE: Zwei Literaturwissenschaftlerinnen Dr. Hei-

de Lexe und Dr. Kathrin Wexberg werden von Lukas Bärwald und Christof Trimmel unterstützt.

Sie verstehen sich als Kompetenzzentrum und Ser-vicestelle für all jene, die Kinder- und Jugendliteratur vermitteln: Eltern, Erzieher, Lehrer oder Buchhänd-ler und Bibliothekare. Gegen die Klagen vom Verfall der Lesekultur setzen sie ein aktives und attraktives Programm zur Förderung und Stärkung der Lesekom-petenz.„Lesen hat heute einen Wettbewerbscharakter. Man erwartet von jedem Kinderbuch, dass es Kinder wie von Zauberhand zum Lesen bringt. Aber Lesekompe-tenz muss man schon viel früher fördern. Das begin-nt mit dem Vorlesen, dem Besitz von Büchern in der Familie, mit lesenden Eltern, mit Lesen in der Schu-le“, so Heide Lexe, die nach langjähriger Mitarbeit 2007 die Leitung der STUBE übernommen hat.

Neugier und Aufgeschlossenheit

Lesekompetenz erschöpft sich aber nicht in der tech-nischen Fertigkeit des Lesens und in der Erschlie-

STUBEStudien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur

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3/200830 313/2008 Kinderkochbuch

Das Literaturprogramm des Katholikentags in Osna-brück wurde wieder von der katholischen Büchereiar-beit organisiert. Verantwortlich waren Mechthild Roling von der Fachstelle Osnabrück und Horst Patenge aus dem Bistum Mainz, (Fachkonferenz des Borromäusver-eins). Ein großes Team von Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern aus Büchereien und Fachstellen verschiedener

Leseförderung durch einen Kinderkochbuchtest?!

von Hildegard Pollheim

Vor vier Jahren habe ich mit einigen Mitstreitern in unserer Stadt die Ra-tinger Kinderzeitung ins Leben geru-fen. Ziel war es, Kinder auf interes-sante Themen jeglicher Art aufmerk-sam zu machen und sie anzuregen, sich mit diesen intensiver zu beschäf-tigen. Da es zu jedem Thema auch die entsprechenden Bücher gibt, lag es nahe, Kontakt mit Verlagen auf-zunehmen, Rezensionsexemplare zu erbitten und diese in der Zeitung vorzustellen. Zusätzlich wurden Rät-sel integriert. Bei richtiger Lösung konnte eines der vorgestellten Bü-cher gewonnen werden. Um mög-lichst viele Kinder zu erreichen, wur-de die Zeitung kostenlos über die Grundschulen verteilt. Die Finanzie-rung erfolgte über Anzeigen.

In den ersten Ausgaben sah die Auswahl noch so bunt aus wie das Angebot auf dem Buchmarkt. Im Lauf der Zeit konzentrierten wir uns auf ein Schwerpunktthema pro Ausgabe, suchten im vielfältigen Angebot der Verlage die entspre-chenden Titel und erbaten Rezensi-ons- und Verlosungsexemplare.

Für die Herbstausgabe 2007 hatten wir das Thema „Kinderkochbü-cher“ ausgesucht, machten uns über das Angebot auf dem Buch-markt kundig und schrieben 18 Verlage an. Diese stellten uns 27 verschiedene Titel, mit unter-

schiedlicher Exemplaranzahl, zur Verfügung. 23 davon konnten wir in der 8. Ausgabe der Ratinger Kin-derzeitung (auch im Internet unter: www.rakika.de/ Rubrik „Die Kin-derzeitung“) vorstellen. Vier kamen für den Druck der Zeitung zu spät bei uns an, wurden aber in den ge-planten Vergleichstest integriert. Dem Aufruf, die Kinderkochbücher kostenlos zu testen, kamen drei Grundschulen, eine offene Ganz-tagsgruppe, eine Jugendeinrich-tung und 12 Familien nach. Die Einrichtungen erhielten zum Ver-

gleich acht, die Familien drei un-terschiedliche Kinderkochbücher.

Für die Bewertung erfragten wir1. die Qualität der äußeren und in-neren Aufmachung,2. das Verständnis der Koch- und Backanleitung,3. die Umsetzung des Rezeptes und4. das Aussehen des selbst erstell-ten Gerichtes.

Die Kinder beschäftigten sich in-tensiv mit der äußeren und inne-ren Gestaltung, verglichen die Bü-

tag finden regen Zuspruch. Für alle, die nicht das Glück haben, direkt in Wien dabei sein zu können, hat die STUE ein einzigartiges Angebot entwickelt: einen lite-rarischen Fernkurs für Kinder- und Jugendliteratur. Dieser Kurs richtet sich an Teilnehmer/innen, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen für Kinder- und Jugendliteratur interessieren. Spezifische Kenntnisse werden für den Einstieg nicht vorausgesetzt, aber im Verlauf qualifiziert dieser Kurs durch seinen Umfang und Anspruch auch erfahrene Teilnehmer mit eige-nem Vorwissen. In vier Semestern werden grundle-

gende Informationen zur Kinder- und Jugendliteratur vermittelt, wobei die eigenverantwortliche Auseinan-dersetzung mit dem Lernstoff gefördert und gefordert wird. In den drei Jahrgängen haben jeweils rund 170 Teilnehmende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum dieses Zertifikat erworben. Durch einen gerade unterzeichneten Kooperationsvertrag mit der STUBE wird es möglich sein, auch über den Borromäusverein an diesem Fernkurs teilzunehmen.

Weitere Pläne für die Zukunft hat das STUBE-Team auch. So soll das Angebot an praxisbezogenen Materi-alien für Katholische öffentliche Büchereien weiter ausgebaut. Interessant wird, so Heidi Lexe, auch das neue Projekt mit praxisorientierten Vorschlägen zur Vermittlung religiöser Kinder- und Jugendliteratur. Es soll ab Herbst im Internet bereitstehen und bereichert nicht nur die kirchliche Büchereiarbeit in Österreich, sondern sicher auch in Deutschland. &

STUBE Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, Bräunerstraße 3/8 1010 WIEN, ÖSTERREICH, Tel.: 0043- 1- 515 52-3784, E-Mail: [email protected], www.stube.at

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Katholikentag in Osnabrück 2008Hinaus ins Weite

Diözesen sowie aus dem Borromäusverein half vor Ort bei der Durchführung des umfangreichen Literatur-programms. Ganz herzlichen Dank allen, die bei der Arbeit vor Ort beteiligt waren. Unser Bild zeigt Uschi Ermers (l.) und Katharina Dörnemann bei einer Buch-vorstellung. Ein ausführlicher Artikel steht online unter www.borro.de, rechte Spalte: Katholikentag.

Katholikentag

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3/200832 333/2008

Seitentitel: FamilienritualeNebenartikel, Cover bv. 275720Thema Familie und Rituale bitte gestalten

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»Käse«Bericht aus der Stuttgarter Leserunde

Wenn ich mir die Diktion derer vor Augen führe, die zum Teil noch von mir/uns abhängig sind, dann be-kommt der Begriff „Edamer, Vollfett“ mit einer etwas anderen Aussprache eine vollkommen neue Bedeutung: „Ey, alda: Edamer voll fett, echt krass, alda ey!“, womit ich beim Thema wäre: das voll krasse Scheitern einer Ich-AG, Anfang der dreißiger Jahre in Belgien. Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Frustriert von seiner niedrigen gesellschaftlichen Stellung ergreift ein Büroschreiber die Gele-genheit, sich mit einer Vertretung für Käse in Belgien und Luxemburg selbstständig zu machen: und schei-tert, scheitert gewaltig! Scheitert, wie so viele heutzutage an genau densel-ben Problemen (oder besser Unzu-länglichkeiten) bei der Absicht sich selbstständig zu machen: Es liegt kein ausgereifter Plan vor, keine Markt-, keine Bedarfsanalyse, nichts außer dem brennenden Wunsch nach sozi-alem Aufstieg, wirtschaftlicher Pro-sperität und Anerkennung, neuer-dings allerdings auch nach dem blan-ken Überleben.

Der Protagonist ist ein naiv-dum-mer Held, der die Welt um ihn he-rum nicht oder nicht mehr durch-schaut, unter Umständen auch nicht versteht. Alles Wissen für sei-ne neue Existenz kommt aus seiner Welt als Büroschreiber: er richtet akribisch sein Büro ein, verbringt Stunden mit dem Tüfteln an einem optimalen Briefkopf... Lediglich seiner „dummen“ Frau, die kaum lesen kann, ist es zu verdanken,

dass das Scheitern nicht zu einem Fiasko ausartet. Sie sorgt dafür, dass (1) er nicht sofort seinen alten Job als Büroschreiber kündigt, sondern eine Auszeit (unbezahlte Krank-schreibung) vom Büro nimmt, dass (2) kein externes Büro gemietet wird, sondern das Büro im Durch-gangszimmer des eigenen Hauses eingerichtet wird, dass (3) das Büro nicht aufwändig renoviert wird, dass (4) keine teuren neuen Büro-

cher und bewerteten nach dem Minderprinzip (= Was mir am be-sten gefällt, entnehme ich als er-stes.). Für das Verständnis der Koch- und Backanleitungen haben sie viele Rezepte gelesen und zur Umsetzung kritische Anmerkungen zum Handlungsablauf und der teils mangelnden Erklärung von Begrif-fen und Abkürzungen aufgeschrie-ben. Die erstellten Gerichte sahen nicht immer so aus wie auf den Fo-tos in den Büchern, aber in den al-lermeisten Fällen haben sie so gut geschmeckt, wie es sich die Kinder vorgestellt hatten.

In den Schulklassen, der offenen Ganztagsgruppe, und im Jugend-zentrum wurde gruppenweise ge-kocht und gebacken, die beteili-gten Familien stellten sich gemein-sam in die Küche – ein schönes Er-lebnis für Jung und Alt. Viele be-dauerten es, dass sie die Kinder-kochbücher wieder zurückgeben mussten und etliche davon gar nicht kennen gelernt hatten. Da-mit die Testteilnehmer, und alle, die gerne mit Kindern kochen möchten, Zugriff auf sämtliche Ti-tel des Kinderkochbuchtestes ha-ben, wurde von jedem Buch ein Exemplar in unsere Bücherei einge-stellt. Aus der Fülle der vorhan-denen Kinderkochbücher konnte die Ratinger Kinderzeitung die Teil-nahme der Gruppen mit jeweils drei Kochbüchern belohnen, jede

Familie erhielt ein Kochbuch. Da-bei wurden die Lieblingstitel der Teilnehmer, so gut es ging, berück-sichtigt.

Da wir den Testgruppen weder die gleiche Anzahl noch die gleichen Titel zur Verfügung stellen konn-ten, ist das Ergebnis sicher nicht wirklich vergleichbar. Aber wir fan-den es doch sehr beachtlich, dass das Kinderkochbuch „Jetzt koch ich, Mama!“ (bvMedienNr.: 258809) vom Gräfe & Unzer Ver-lag, von dem wir 11 Exemplare – mit unterschiedlichen Vergleichs-titeln aus anderen Verlagen – in den verschiedenen Gruppen testen lassen konnten, auch elfmal mit „sehr gut“ bewertet wurde. Wir be-dankten uns bei allen beteiligten Verlagen und informierten sie über das Testergebnis.

Es war ein erfolgreiches Projekt, an dem viele Kinder aktiv beteiligt wa-ren. Auch für die Bücherei hat sich die Aktion positiv bemerkbar ge-macht. Nicht nur, das sie Familien

nun durch eine große Auswahl ver-schiedener Kinderkochbücher an-regen kann, mit Kindern gemein-sam zu kochen – auch die Testbü-cher mussten in der Bücherei abge-holt und wieder dorthin zurück gebracht werden. Die Preisüberga-be für die Teilnehmer am Kinder-kochbuchtest und die Gewinner des Preisausschreibens aus der 8. Ratinger Kinderzeitung erfolgte ebenso in der Bücherei. So haben sich viele Menschen zum ersten Mal auf den Weg in die Bücherei gemacht und konnten sich dabei vom Gesamtangebot überzeugen. Einige ließen sich spontan als Leser registrieren.

Ich denke, dass der Kinderkoch-buchtest auch eine lesefördernde Wirkung hatte. Inwieweit er auf andere Büchereien übertragbar ist, hängt sicher von den örtlichen Ge-gebenheiten und Kooperationen ab. Aber vielleicht bringt dieser Be-richt andere Büchereiteams ja auf neue Ideen, die wir später in der Bi-blioTheke lesen können. &

BüchereimenschenBerichte aus den Leserunden

erscheinen in loser Reihenfolge

in BiblioTheke, zu erkennen am

proliko-Leserunden-Zeichen

Hildegard Pollheim, Katholische öffentliche Bücherei Herz Jesu/ Ratinger Kinderzeitung, Ratingen

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3/200834 353/2008sdasdasdasfasf

Frans Laarmans, ein bescheidener kleiner Angestellter, lernt bei der Beerdigung seiner Mutter einen "Mann von Welt" kennen, der ihm die Generalvertretung einer großen Käsemarke anbietet. Die Erfüllung all seiner Träume; er bestellt gleich zwanzig Tonnen Käse. Statt sich um den Verkauf zu kümmern, richtet er mit neuem Selbstbewusstsein ein großes Büro ein. Der Einsatz von reisenden Agenten, gestrandeten Existenzen, kann das Debakel auch nicht aufhalten; Frans Laarmans kehrt zu seiner alten Existenz als Büroschreiber zurück, in seinem Haus wird nie mehr Käse gegessen. - Mit viel Humor zeichnet der Belgier Elsschot seine sympathischen Figuren vor dem Hintergrund der sozi-alen Probleme der 20er und 30er Jahre. Der 1933 (1952 in Deutsch) erschienene kleine Roman, voller Witz und Ironie mit ernstem Hinter-grund, ist eine großartige Wiederentdeckung. Anspruchsvolle leichte Unterhaltung, überall bestens zu empfehlen. (Übers.: Anges Kalmann-Matter und Gerd Busse)

Rezensentin: I leana Beckmann

möbel angeschafft, sondern ein ge-brauchter Tisch gekauft wird, dass (5) die teure Schreibmaschine nicht gekauft, sondern gemietet wird, außerdem (6) ist sie diejenige, die es mit ihren begrenzten Mitteln schafft, den Vertrag, den er unter-schrieben hat (und von dem er be-hauptet, ihn so toll ausgehandelt zu haben, was schlicht 100% an der Realität vorbeigeht, weil er den Vertrag, wie er ihm vorgesetzt wur-de, vor lauter Aufregung ohne in-tensive Prüfung unterschrieb), richtig zu lesen und sinnvoll zu in-terpretieren. Im nachhinein muss ich konstatieren, dass seine Frau für mich die eigentliche Heldin ist, insbesondere vor dem Hinter-grund, dass der Protagonist sie für extrem dümmlich hält, gerade mal gut genug, um ihm den Haushalt zu führen und die Kinder zu ver-sorgen. Aus seiner vermeintlich höheren Stellung heraus traktiert er sie teilweise solange, bis sie weint, um sich an diesen Tränen selber aufzurichten und das Emp-finden seiner eigenen niedrigen ge-sellschaftlichen Stellung zu kom-pensieren.

Seine Strategie besteht im wesent-lichen darin, seinen beruflichen Alltag als Büroschreiber in seinen neuen Job zu übertragen, ohne eine Idee zu haben, was es heißt, als Ver-treter unterwegs zu sein, ohne eine Idee von Käse (den er eigentlich nicht mag; ist ja im Grunde auch nix anderes als echt fürchterlich schlechte Milch – gegoren und fer-mentiert; würden die das auf die Verpackung schreiben, würde das nur noch für Hunde zugelassen). Er sucht keine Hilfe oder Unterstüt-zung, er erkundigt sich nicht bei seinem Vorgänger; Vertrieb und Verkauf sind für ihn vollkommen wesensfremde Dinge. Es erinnert an die Naivität, mit der heutzutage Leute umtriebigen Anlageberatern ihr sämtliches Geld in den Rachen werfen (und teilweise noch viel Mehr), weil sie an Renditeverspre-chungen in zweistelligen Prozent-sätzen glauben und ihre Gier sie blind für die Realität macht. Inso-fern hat diese Geschichte eine über-raschende Aktualität.

Spannend ist auch, die Gruppe de-rer zu beobachten, die in den Au-gen des Protagonisten gesellschaft-lich erfolgreich sind (aus deren Mit-te ihm auch das Angebot des Kä-sehandels gemacht wird), sich je-doch alle nur aufblähen, um wiede-rum ihre eigene gesellschaftlich

unspektakuläre Situation nach au-ßen besser darzustellen. Diese schlichte Erkenntnis erlangt der Protagonist erst sehr spät, zu spät, um aus eigener Kraft das Ruder he-rum zu werfen. Zusammenfassend darf wohl behauptet werden, dass er solange er ist, wie er ist, er nichts ist, verachtet von sich selbst und denen, auf deren Urteil er Wert legt. Überraschender Weise gehören hierzu offensichtlich nicht die ihm nahe stehenden Personen, wie sei-ne Frau, die fest zum ihm steht und mit ihm durch dick und dünn geht und seine Kollegen, die ihn eines Tage, während seiner vorge-täuschten Krankheit besuchen (und Klatsch und Tratsch aus dem Büro berichten, worauf er sich schon wieder in die Schreibstube zurück-sehnt).Ein spannender Punkt zeigt sich, als er versucht doch noch ein Ver-triebskonzept aufzubauen. In dem Augenblick, als es sich für ihn nicht mehr verdrängen lässt, dass er schlicht keinen Käse verkaufen kann (selbst sein kleiner Sohn kann das besser), überlegt er sich, dass er Mitarbeiter benötigt, die das Klin-kenputzen übernehmen (er fühlt sich im häuslichen Büro unersetz-lich; verschiedentlich wird aufge-zeigt, dass dieses Büro der eigent-lich Angelpunkt seines Lebens ist). Er sucht per Anzeige Mitarbeiter;

Der Autor diese Beitrages, Eupin Reitter, ist Teilnehmer an der Stuttgarter Leserunde.

Willem Elsschot:Käse Unionsverlag 2004, 141 S.; 16,90 €bvMedienNr.: 208704

Ein kleiner Büroschreiber will mit dem Einstieg in den Käse-großhandel seinen Traum vom sozialen Aufstieg verwirklichen.

doch seine Gedanken reichen nicht einmal so weit, dass er irgendwel-che Kriterien für die Auswahl der Bewerber hätte, so dass er die mei-sten nicht einstellt, weil er sie für undankbar hält. Das Fiasko endet damit, dass sich die eingestellten Mitarbeiter fast alle als „Nieten“ er-weisen. Seinem einzig erfolgreichen Verkäufer schlägt er schließlich vor, das Geschäft von ihm zu über-nehmen.

In der Diskussion wurde kontro-vers die Frage des Tiefgangs des Ro-mans behandelt. Einerseits kommt

der Roman mit einem braven Be-richtscharakter daher, der sehr gut zum braven Büroschreiber passt. Er ist in seinen Formulierungen knapp gehalten, dabei locker und leicht geschrieben und erzählt ohne große Ausschmückungen geradli-nig die Geschichte. Andererseits werden vor diesem Hintergrund doch grundlegende Fragen zu Le-benskonzepten, Lebensglück und Selbstverwirklichung behandelt, ohne sie als solches beim Namen zu nennen. Damit ist Tiefgang auf alle Fälle hinreichend vorhanden. Ich stelle fest, dass ich das Buch zu

Beginn der Diskussion als „flach“ unterschätzt habe; mittlerweile nehme ich dies zurück.

Vergleiche zu Falladas „Keiner Mann, was nun“ drängen sich auf, der eine ähnliche Geschichte er-zählt, die jedoch einen weniger na-iv-dilettantischen Protagonisten hat, dafür aber auch nicht so glimpflich ausgeht. Elsschott legt die Geschichte humoristisch, aber nicht witzig, auf keinen Fall tra-gisch an; insofern verspricht der Klappentext doch erheblich mehr als das Buch später hält. &

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3/200836 373/2008

PraxisberichteDas Interessanteste in vielen Zeitschriften steckt meist eher in den alltäglichen, lebens- und berufspraktischen Beiträgen als in den bedeutsamen Grundsatz-artikeln. So ist es wohl auch in dieser Zeitschrift BiblioTheke. Leider mangelt es der Redaktion immer wieder an interessanten oder nachahmenswerten Berichten. Schreiben Sie uns: [email protected]

Piratenfest der Abenheimer BüchereiKÖB organisierte tolles Fest

Mittlerweile schon Tradition hat das jährliche Kinderfest der katholischen öffentlichen Bücherei in Worms- Aben-heim, das immer wieder unter einem anderen Motto stattfindet. In 2007 wurde zum Piratenfest eingeladen.

Schon die Wanderung zur „Pira-teninsel“ war spannend für die 35 Grundschulkinder, die der Einla-dung der Bücherei gefolgt waren. Denn schon unterwegs musste nach Flaschenpost Ausschau gehal-ten werden, da sich darin Teile ei-ner Schatzkarte befanden. Sobald das Ziel erreicht und das Schatzkar-tenrätsel gelöst war, galt es mit ge-meinsamen Kräften den Schatz zu heben und untereinander aufzutei-len. Die Piraten freuten sich über wertvolle Goldstücke und tolle Muschelanhänger.Nun konnte auch das Gelände er-kundet werden: Die mutigen Pi-raten kletterten die steilsten Ab-hänge hinunter und erforschten das Gebiet. Stockbrot und Bratäp-fel wurden über dem Lagerfeuer zu-bereitet und die Kinder halfen flei-ßig mit eine leckere Piratensuppe zu machen. Auch ein richtiger Pira-tenkuchen fehlte natürlich nicht,

Kontakt, Text und Bild: KÖB St. Bonifatius, An der Kirche 2, 67550 Worms-Abenheim, Gabi Hemer, Kirschgartenstraße 18, 67550 Worms-Abenheim

der auch schon bald verspeist war. Zwischendurch konnten wunder-schöne Buddelschiffchen herge-stellt werden, Tatoos wurden ver-teilt und auch das Vorlesen von spannenden Piratengeschichten kam nicht zu kurz.

Eine Lagerfeuerrunde mit Piratenlie-dern und Gitarrenmusik beendete den abenteuerlichen Nachmittag. Schon jetzt warten die Kinder ge-spannt darauf, zu welchem Fest-thema in 2008 eingeladen wird. Viele Bücher zum Thema Piraten und zu vielen anderen Themen

können in der Bücherei kostenlos ausgeliehen werden: Mittwochs 10.30- 12 Uhr und 16- 17 Uhr und Sonntags von 11- 12 Uhr

von Corinna Säger und Dorothee Rosenthal

Die Katholische Öffentliche Bücherei St. Johann Baptist ist eine hauptamtliche geleitete Bibliothek im Erzbistum Köln. Mit ca. 18000 Medieneinheiten erfüllt sie neben den Aufgaben als Gemeindebü-cherei auch die Funktion als Schulbiblio-thek für die Gesamtschule, in deren Ge-bäude die Bibliothek untergebracht ist.

Zurzeit bieten wir 30 verschiedene Zeitschriftentitel an und haben da-mit wirklich gute Erfahrungen ge-macht. Gerade, was die Aktualität betrifft, sind Zeitschriften natürlich unschlagbar. Außerdem sprechen die guten Ausleihzahlen für sich. Viele unserer Leser schätzen das Angebot an Zeitschriften auch aus Kosten-gründen. So ist es möglich, das Neu-este und Interessanteste günstig und unverbindlich zu lesen. Wir versu-chen, das Angebot möglichst gut auf unsere Leserschaft und deren Inte-ressen abzustimmen. Überwiegend handelt es sich um Familien, bzw. Frauen, Kinder und Jugendliche.

Gezielte AuswahlBei den Zeitschriften für Kinder ist Geolino sehr beliebt. Die neue Zeit-schrift Gecko (für Kinder ab 3 Jahre) hat leider noch nicht den erhofften Zuspruch gefunden.

Den größten Anteil bei den Zeit-schriften hat der Bereich, der von unseren Leserinnen thematisch be-vorzugt wird: Hobby, Einrichten und Dekorieren, Kochen, Handar-beiten, Garten, Familie. In diesem Bereich könnte man noch mehr Ti-tel präsentieren, da die Ausleih-zahlen sehr hoch sind. Die einzel-nen Titel: Anna, Burda, Brigitte, Kraut und Rüben, essen & trinken, viva!, Freizeit im Sattel, Psychologie heute, Mein schöner Garten, Familie und Co., spielen und lernen, Schöner Wohnen, Wohnidee, Das Haus, Landlust. Sehr gut angenommen wird auch die Zeitschrift Auslese (Rhein & Berg), die Wissenswertes und Interessantes aus der Region beinhaltet.Zu guter Letzt bildet der Bereich In-formation und Computer einen Schwerpunkt unseres Zeitschriften-angebots. Die Titel: Chip, PC Maga-zin, Geo, Focus, Focus Money, Test, Finanztest und Ökotest werden erfah-rungsgemäß auch von vielen männ-lichen Lesern entliehen.

Geplante ArchivierungDer größte Teil der angebotenen Zeitschriften erscheint monatlich und die älteren Jahrgänge dieser Exemplare verbleiben für zwei Jah-re in der Bibliothek. Bei den wö-chentlich erscheinenden Zeit-schriften Focus und Focus Money

sortieren wir die alten Hefte halb-jährlich aus, da gerade bei diesen Titeln die Aktualität sehr groß ist.Die Zeitschrift Geo bleibt für vier Jahre im Bestand und die Zeit-schrift Merian, die im übrigen im Erdkundebereich entsprechend eingeordnet ist, verbleibt wie Bü-cher im Bestand. Fast alle Zeit-schriften beziehen wir über den Borromäusverein und haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Abrechnung der Abos erfolgt ein-mal jährlich und evtl. Reklamati-onen können problemlos telefo-nisch erledigt werden. Auch die Be-stellung von Ersatzheften ist per Telefon möglich und wird umge-hend von den Mitarbeitern des Bor-romäusvereins bearbeitet.

Abschließend kann nur noch ein-mal betont werden, wie sinnvoll das Angebot von Zeitschriften in der Bibliothek ist, zumal die An-schaffung über den Borromäusver-ein wirklich unproblematisch ab-läuft. Wir können den Service nur empfehlen. &

Zeitschriften in der BüchereiEine sinnvolle Bestandsergänzung

KÖB St. Johann Baptist, Corinna Säger und Dorothee Rosenthal, Olpener Str. 4, 51515 Kürten

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3/200838 393/2008 PraxisberichtePraxisberichte

Mitarbeiter suchen in aller ÖffentlichkeitKÖB AG Berlin

Den Berliner Büchereien ergeht es wie anderen KÖBs auch – ab und an wer-den neue Helfer in den Büchereiteams benötigt. Neue Mitarbeiter suchen ist auch gar nicht schwer – neue zu fin-den mitunter schon.

So sah es unsere Arbeitsgemein-schaft als große Chance an, mit einem eigenen Stand an der ersten Berliner Freiwilligenbörse am 1. März 2008 im Roten Rathaus teil-zunehmen. Würden sich so Büche-reimitarbeiter finden lassen? Ein finanzielles Risiko gingen wir dabei nicht ein, denn der Börsenstand war dank Unterstützung durch die EU kostenfrei. So präsentierten wir uns mit Mitarbeitern aus drei KÖBs unserer Arbeitsgemeinschaft erwar-tungsfroh der Öffentlichkeit, in-mitten von so bekannten Organi-sationen wie der Caritas, dem Wei-ßen Ring, dem NABU oder dem Berliner Fußball-Verband.

Und wir präsentierten uns im wahrsten Sinne des Wortes. Denn so manche Unterhaltung drehte sich gar nicht um eine Mitarbeit in unseren Teams. Wir machten ein-fach Werbung für katholische Bü-chereien, die für viele Berliner im-mer noch recht exotische Einrich-tungen sind. Aber natürlich fanden sich in unzähligen Informationsge-sprächen auch viele Interessierte für eine Mitwirkung in unseren Biblio-theken. Mit mehr als zwei Handvoll Besuchern konnten wir direkt einen Kontakt zu einer KÖB herstellen.

Dass davon am Ende nicht alle in eine ehrenamtliche Mitarbeit mün-deten, hat uns nicht überrascht. Schließlich zeigten sich auf der Bör-se noch viele andere Möglichkeiten für ein sinnvolles Engagement. Aber wen wir gewinnen konnten, der ist hoch motiviert in unseren Büche-reien gestartet.

Bei der nächsten Freiwilligenbörse werden wir wohl wieder präsent sein. Gespannt sind wir aber schon heute, ob sich ein Kuriosum wie-derholt – unser Bibliotheksstand befand sich nämlich nicht im The-menbereich „Kultur und Bildung“ sondern in der Rubrik „Technik und Organisation“. Gefunden ha-ben wir aber trotzdem neue Mitar-beiter – oder besser: sie haben uns gefunden.

Leih’ dir was mit „Antolin“Erfahrungen und Erkenntnisse

In der Zeitschrift „Bibliotheke“ wurde bereits mehrfach über das Leseförder-Portal Antolin berichtet (siehe zuletzt in Heft 2.2007, S. 4ff). Die KÖB in Lei-mersheim erscheint das Konzept der Fragekataloge sinnvoll, obwohl man zunächst skeptisch gegenüber einer Kennzeichnung der Antolin-Bücher auf dem Buchrücken war. Bedenken hatte man, ob diese optische Kennzeichnung die „guten“ Bücher gegenüber der Massenware benachteiligen würde. Dieser Praxisbericht fasst die Erfah-rungen des Büchereiteams zusammen.

Letztlich war es die Entwicklung an der örtlichen Grundschule, die die große Nachfrage der Erstlese-Bücher auslöste. Aller Anfang ist schwer. So probierten zunächst einzelne Leh-rerinnen mit ihren dritten (bzw. vierten) Klassen das Konzept aus. Seit diesem Schuljahr werden sei-tens der Kardinal-Wendel-Grund-schule alle Schülerinnen und Schü-ler der zweiten bis vierten Grund-schulklassen für die Seite www.an-tolin.de freigeschaltet. Und damit kam auch bei uns der Durchbruch.Wir haben viel Zeit investiert und alle Titel des Bestandes durchge-schaut. Dazu mussten alle Bücher per ISBN oder Titel auf www.anto-lin.de eingegeben werden. Um Doppel-Abfragen zu vermeiden, haben wir auf der Buchkarte die Abfrage unten rechts mit einem großen A gekennzeichnet. Das er-folglose Abfragen dokumentierten wir mit einem durchgestrichenen A. Doch auch zu diesen Titeln wur-

den nach und nach Fragenkataloge eingestellt. Als wir mit der Kenn-zeichnung begannen, hatten wir noch kein Internet und keinen PC in der KÖB. Da gestaltete sich der Prozess sehr mühevoll. Denn alle Bücher unseres Bestandes mussten nach Hause an den PC getragen werden. Sehr aufwändig war auch die Kontrolle der „Rückläufer“, also der Bücher, die zum Zeitpunkt der Abfrage gerade ausgeliehen waren. Mittlerweile sind wir in der Phase der Umstellung der Büchereiver-waltung auf BVS und können ne-ben der Seite www.antolin.de auch die Möglichkeiten des Programms für Antolin nutzen.

Antolin-Buchmarkierungen

„Alle Bücher, zu denen es Antolin-Fragen gibt, haben wir gekennzeich-net“, erklärt Büchereimitarbeiterin Sabine Dörrler. So wurde auf dem Rücken der Erstleser-, Kinder und Jugendbücher Aufkleber mit dem Antolin-Logo angebracht. (Hinweis: Diese können im Internet unter www.antolin.de bestellt werden. „Das Kennzeichnen der Bücher hat sich als sehr sinnvoll erwiesen. Denn groß ist gerade bei Erstlesern die Enttäuschung, wenn sich zum Buch nach der Lektüre keine Fra-gen im Internet finden lassen“, zeigt sich Büchereimitarbeiterin Silke Ott überzeugt. „Wir verzeich-nen einen regelrechten Run auf die Antolin-Bücher“, stellt Bücherei-mitarbeiterin Doris Röther erfreut fest, „nicht nur Kinder, sondern ge-rade auch die Eltern der Erstlese-rinnen und Erstleser fragen gezielt nach den Antolin-Büchern.“ So er-gänzt hierzu Ramona Klein, selbst Mutter zweier Grundschulkinder, ihre Kollegin: „Viele Grundschüler

Leimersheim hat 2.700 Einwohner, davon 1.850 Katholiken. Unsere Kath. Öffentl. Bücherei ist die einzige Büche-rei vor Ort. Die Bücherei ist zwei Mal pro Woche für je zwei Stunden geöff-net. Wir haben rund 3.700 ME im Be-stand und konnten 15.690 Entlei-hungen (Zahlen: 2007) verbuchen.

Kontakt: Arbeitsgemeinschaft Katholische Büchereiarbeit im Erzbistum Ber-lin, c/o KÖB St. Martin, Kerstin Zy-dor, Nentwigstr. 1, 12621 Berlin. Text und Fotos: Stephan Miksch

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3/200840 413/2008Praxisberichte Praxisberichte

leihen besonders gerne Antolin-Bücher aus, um dann beim Beant-worten der Fragen im Internet zu punkten“.

Steigende Nachfrage nach Büchern für Erstleser

„Erste Niederschläge der Antolin-Aktion finden sich auch in unserer Statistik“, erläutert Büchereimitar-beiterin Sieglinde Gehrlein. In den vergangenen Monaten konnte die Kath. Öffentl. Bücherei in Leimers-heim vor allem eine große Nachfra-ge im Bereich der Erstleser-Titel ver-buchen. Diese erfreuliche Entwick-lung zollt Büchereileiterin Silke We-ber Respekt: „Um den gestiegenen Bedarf zu decken, haben wir schnell reagiert und 30 verlagsneue Erstle-ser-Bücher gekauft. Diese wurden durch die Haushaltsmittel der kath. Kirchenstiftung finanziert. Wir ha-ben diese schnell ausleihfertig bear-beitet, so dass auf die jungen Lese-ratten genügend ‚Nachschub’ war-tet. Denn gerade die Leseanfänger gilt es durch eigene Lese-Erfolge bei der Stange zu halten.“

Präsentation der Erstlese-Bücher (KE) nach Reihen

Um den Grundschülern den Einstieg in die Welt des Lesens zu erleichtern, sind in der Leimersheimer Kath. Öf-fentl. Bücherei auch die Erstleser-Bü-cher auf einem eigenen Regal präsen-tiert. „Wir verzichten bei den Titeln für das Erste Lesealter auf eine alpha-betische Sortierung nach dem Autor und präsentieren die Bücher der ver-schiedenen Buch-Reihen nebenei-nander“, legt Büchereimitarbeiterin Martina Horn dar. „Optisch gleich gestaltete Titel stehen dann nebenei-nander, das kommt auch den Erstle-sern entgegen“, weiß ihre Kollegin Rita Torka. Zu fast allen der neu ein-gestellten Titel gibt es bereits Frage-Kataloge auf www.antolin.de.

Büchereipraktische Tipps zur Einarbeitung

Viele dieser Bücher beinhalten aber auch selbst Fragen zum Leseverständ-nis. Diese Neuerung gab es erstmals bei der Reihe „Lesedetektive“ aus dem Duden-Verlag. Büchereiprak-

Tag des Buches in der Bücherei St. SebastianSeit 1995 gilt der 23. April als welt-weiter Feiertag des Buches. Auch in Deutschland wird der „Tag des Buches“ in zahlreichen Buchhand-lungen, Verlage, Schulen und Biblio-theken jedes Jahr organisiert – auch die Bücherei St. Sebastian Michelstadt beteiligte sich an diesem Tag.

Zweck ausgeliehen wurde, vorgele-sen. Bei dieser Art des Vorlesens wird gleichzeitig mit dem Bilder-buch die Geschichte per Dias ge-zeigt, sodass die Kinder außer den Bildern im Buch auch die Bilder vergrößert an der Wand sehen und so noch intensiver in die Geschich-te einsteigen können.

Auszug aus einem Brief von Fred Eisenbach

Pisa-Sponsoring-Aktion 2007Die vorgenannte Aktion ist gut ge-laufen. An diesem besagten Tag hatten wir in Absprache mit dem Schulleiter der hiesigen Grund-schule ‚ Herr Jäger, die Erstklässler mit einigen Eltern, Klassenlehrerin, Herr Pfarrer K. Keitzer auch die Ver-treterin der Volksbank Nahetal, Frau Bach, sowie den hiesigen Fili-alleiter der Volksbank zu Gast. Un-

tisch kann man einfach mit dem als Lösungsschablone beigefügten Lese-zeichen umgehen: Dieses wird vom hinteren Buchdeckel gelöst und an das Lesebändchen gebunden. Somit ist dem Verlust vorgebeugt. Aufbe-wahrt wird das Lesezeichen in einer Buchkartentasche auf der Buchrück-seite. Mittlerweile haben auch andere Serien (wie die „Leselöwen“ oder „Le-sepiraten“) diese Idee aufgegriffen. Allerdings wurden hier Lese-Rallyes entwickelt. Wie bei den Lesedetek-tiven stehen die Fragen beim jewei-ligen Textabschnitt. Die Antworten sollen dann in ein Kreuzworträtsel am Ende des Buches eingetragen wer-den. Um dieses vor Eintragungen zu schützen, haben wir die Seite vor der ersten Ausleihe foliiert.

Nachdem das Bilderbuchkino aus-führlich vorgelesen, betrachtet und besprochen wurde, konnten sich die Kinder noch die große Anzahl der übrigen Bilderbücher ansehen und vorlesen lassen. Zum Abschluss des „Tag des Buches“ in der Büche-rei St. Sebastian haben sich die Kin-der noch Bücher ausgeliehen.

sere langjährige Mitarbeiterin, Frau Mecele, las nach der Begrüßung ei-nige Geschichten von den ausge-stellten Büchern vor.

Anschließend waren noch die Klas-sen 2 u. 3, ebenfalls mit ihren Leh-rerinnen, zu dieser Buchpräsentati-on gekommen. Die Resonanz war gut und der Zuspruch am nächsten Ausleihtag viel versprechend.Die erläuternde Mitteilung war in zwei Schaukästen, sowohl von Kir-che als auch Ortsgemeinde ausge-hängt. Der kleine Aufkleber wurde in vielen Büchern eingeklebt und das Faltblatt „ich leih dir was“ wur-

de an die Eltern der Kindergarten-kinder persönlich ausgeteilt.

Im Internet unter: www.bistum-mainz.de ist ebenfalls noch eine Eintragung zu unserer Teilnahme an der besagten Aktion nachzulesen...

Kontakt: KÖB St. Gertrud, Pfarr-gasse 1, 76774 Leimersheim,E-Mail: [email protected]. Text: Ulf Weber

In Zusammenarbeit mit Frau Anne-Kathrin Wolter, einer Mitarbeiter der Bücherei, die auch Erzieherin in einem Kindergarten in Michelstadt ist, wurden Kinder aus dieser Kinder-gartengruppe in die Bücherei St. Se-bastian eingeladen, um sich näher mit dem Thema „Buch“ zu befassen.

Erst einmal haben sich die Kinder ausführlich in der Bücherei St. Se-bastian umgesehen und verschie-dene Bücher gefunden, die ihre Neugier weckten, danach bekamen sie von Sonja Bethke ein Bilder-buchkino, das aus der Fachstelle für Büchereiarbeit in Mainz zu diesem

Es war wieder ein großes Erlebnis für alle, um das „Buch“ und die Möglichkeit der „Ausleihe“ den Kindern Nahe zu bringen. Die Mit-arbeiter der Bücherei freuten sich, dass sie wieder einmal zu einem Thema rund um das „Buch“ einla-den konnten.

Die Bücherei St. Sebastian ist für alle an folgenden Tagen geöffnet: Mittwoch 15:30 Uhr bis 17:00 Uhr, Samstag 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Sonntag 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr.

Kontakt, Text und Bild: KÖB St. Sebastian, Sonja Bethke, D`Orvillestr. 22, 64720 Michelstadt, E-Mail: [email protected], Internet: www.koeb-michelstadt.de

Kontakt: KÖB St. Michael, Fred Eisenbach, 55 546 Hackenheim, Hauptstr. 51

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3/200842 433/2008Das rel igiöse Buch

Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der

Borromäusverein, Bonn, und der St. Michaelsbund,

München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung,

die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den

wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.

Mai 2008

3/200842 Das rel igiöse Buch 3/2008 43

Juli 2008Juni 2008

Am Beginn des Markusevangeliums steht die Aufforderung zu Umkehr und Neuanfang. Doch dieser Aufruf, den zuerst Johannes der Täufer, dann aber auch Jesus selbst ausspricht, ist nicht nur der berechtigte Anspruch Gottes an den Menschen - vielmehr entspricht er auch in tiefster Weise dem von jedem Menschen auf sei-nem individuellen Lebensweg immer wieder empfundenen Bedürfnis, neu anfangen zu dürfen. Zu einem sol-

chen Neubeginn wollen Alois Koth-gasser und Clemens Sedmak mit ih-rem gemeinsamen Buch „Geben und Vergeben“ einladen und zugleich ei-nige Wegweisungen bieten, wie die „Kunst, neu zu beginnen“ im alltäg-lichen Leben auch gelingen kann.Der erste Schritt zur Umkehr ist die Erkenntnis, dass ein Neuanfang auch dann immer wieder nötig ist, wenn wir selbst gar nicht einmal unzufrie-den mit uns sind. „Die meisten von uns sind mittelmäßige Sünder“, stel-len die beiden Autoren mit erfri-schender Deutlichkeit fest, und „mit-telmäßige Sünder tun sich schwer damit, neu anzufangen“. Doch auf der Suche nach einem wirklich ge-glückten Leben, d.h. nicht unbedingt nach einem erfolgreichen und auch nicht nach einem leichten, sondern nach einem erfüllten Leben, „das eine Richtung hat und Tiefe“, ist es gefährlich, sich im Mittelmaß be-quem einzurichten. Wer den christ-lichen Glauben wirklich ernst neh-men will, für den geht es schlichtweg darum, Gott Raum zu geben in sei-nem eigenen Leben, jeden Tag und immer wieder neu.In 15 Kapiteln erläutern der Salzbur-ger Erzbischof und der Philoso-phieprofessor wichtige und hilfreiche Schritte auf diesem Weg zu Gott hin. Es geht darum, bereit zu sein, an sich

selbst zu arbeiten, Gott als die eigent-liche Quelle unseres Lebens zu erken-nen und im regelmäßigen Gebet auch aus dieser lebensspendenden Quelle zu schöpfen.

Petrus hatte sie, der Apostel Thomas sowieso, Thérèse von Lisieux und Mutter Teresa auch: Glaubenszweifel. Sie sind beunruhigend, sie sind exi-stentiell und irgendwann treffen sie jeden Gläubigen. Zweifel entstehen, wenn naturwissenschaftliche Erkennt-

schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns’ [schreibt Dietrich Bonhoeffer 1944]. Ja, auch das stimmt. Dadurch wird zwar nichts erklärt. Die bohrenden Fragen bleiben. Und doch ändert sich alles in der Begegnung mit diesem Gott. Er ist da, auch im Leid, auch in unserem Leid. Wir können zu ihm ge-hen, zu ihm, der leidet – in uns, in vielen, vielleicht in allen? Es gibt eine Form der Nähe im Leid, die in Worten nicht mehr gesagt werden kann. Und das ist gut so. Man würde nur zerre-den, worüber man eigentlich nicht sprechen kann“ (S. 135).

Ob auf den Straßen und Plätzen oder am Arbeitsplatz, ob in der Schule oder im Krankenhaus – die Begeg-nung mit Muslimen gehört inzwi-schen zum Alltag. Mit 3,4 Millionen

Alois Kothgasser, Clemens Sedmak: Geben und Vergeben. Tyrolia Verlag 2008. 167 Seiten; 14,90 €bvMedienNr.: 288619

Stefan Liesenfeld: Zweifel. Verlag Neue Stadt 2008.176 Seiten; 14,90 €bvMedienNr.: 288558

Bekir Alboga, Georg Bienemann, Werner Höbsch: Christen und Muslime Tür an Tür. Basiswissen kompakt. München: Don Bosco Verlag 2008.131 Seiten; 14,90 €bvMedienNr.: 558523

nisse Gott scheinbar überflüssig ma-chen. Die Evolutionstheorie hat bei vielen Gläubigen die Vorstellung von Gott als Schöpfer der Welt ins Wan-ken gebracht. Liesenfeld betont zu-nächst, dass Wissenschaftler, die Gott mit der Evolutionstheorie überflüssig machen wollen, unseriös sind, weil sie ihren Kompetenzbereich verlas-sen. Kein Naturwissenschaftler könne mit seinen Mitteln Gott beweisen, wie andersherum kein Theologe die Evolutionstheorie widerlegen könne. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht als Konkurrenz zu Gott ge-sehen werden, fordern das Staunen über die Welt und den Kosmos gera-dezu heraus, so Liesenfeld. Sie kön-nen dann als Spuren, Indizien, Ver-weise auf Gott hin gelesen werden.Wenn Christen keinen Sinn mehr da-rin sehen, Gott um etwas zu bitten oder sich für etwas zu bedanken, ist auch das Ausdruck von Glaubens-zweifeln. Liesenfeld hält es trotz allen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts für „intellektuell verant-wortbar“, „jemandem ganz direkt dafür zu danken, dass ein Flugzeug fliegt, ein Telefon funktioniert“ oder eine Operation erfolgreich verlaufen ist (S. 69). Nicht etwa, weil Gott das – wie auch immer – „macht“, ist Grund zur Dankbarkeit, sondern dass er den Menschen die Fähigkeiten dazu geschenkt hat.

Auch Leid provoziert die Frage nach Gott. Die Christen sind herausgefor-dert, sich dieser Frage zu stellen, for-dert Liesenfeld. Eine befriedigende Antwort werde es nicht geben, höch-stens Annäherungen. Als eine Annä-herung schlägt er vor, Gott als den in den Blick zu nehmen, „der in Christus das Leid einer gottlosen Welt mitlei-det. ‚Gott ist ohnmächtig und

Gläubigen sind sie nach den beiden christlichen Konfessionen die dritt-größte Religionsgemeinschaft im Land. Wie leben Muslime in Deutsch-land? Und was glauben sie? Die Au-toren dieses Buches, ein Muslim und zwei Christen, wollen durch grundle-gende Informationen zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen er-muntern und zum gegenseitigen Ver-ständnis beitragen.

Nach einer Einführung zur Religions-landschaft in Deutschland und zur Si-tuation der Muslime stellen die Auto-ren die wichtigsten Aspekte des Chri-stentums und des Islam vor. Für die Muslime sind das die „fünf Säulen des Islam“, das Bekenntnis zu Allah, den Einen Gott, das tägliche fünfma-lige Gebet, das Fasten im Monat Ra-madan, das Pflichtalmosen und die Pilgerfahrt nach Mekka, die jeder Muslim einmal in seinem Leben un-ternehmen soll. Für die Christen for-muliert das Glaubensbekenntnis den Kern des christlichen Glaubens an den Dreieinen Gott. Dazu weisen sie auf einige christliche Rituale und Praktiken hin, die den „fünf Säulen“ ähnlich sind und die Verwandtschaft von Christen und Muslimen erken-nen lassen: Gebet, Wallfahrt und der Einsatz für Notleidende. Sie stellen die christliche und muslimische Fröm-migkeitspraxis vor und beschreiben die wichtigsten Feste. Zu diesen Festen gegenseitig Grüße auszuspre-chen, sei eine wichtige Geste der An-erkennung und des Interesses, betont Bekir Alboga, Dialogbeauftragter der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., türkisch: Di-yanet Ileri Türk Islam Birligi), des bun-desweiten Dachverbandes türkisch-islamischer Moscheegemeinden in Deutschland.

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3/200844 453/2008Literatur-Praxis

Running Man

Literatur-Praxis

Michael Gerard Bauer: Running ManVerlag Nagel & Kimche 2007,266 Seiten; 14,90 €bvMedienNr.: 274870

von Astrid Frey

Nur weil Mrs. Mossop, die Klatschtante des Viertels, ihn als Hasenfuß bezeichnet, geht Joseph auf die Bitte seiner Nachbarin ein, für ein Schulprojekt ihren Bru-der zu portraitieren; denn über diesen Tom Leyton kursieren wilde Gerüchte. Nach seiner Rückkehr aus dem Vietnam-Krieg arbeitete er kurz als Lehrer und lebt jetzt seit dreißig Jahren völlig abgeschieden. Ist er entstellt? Und was ist an der Schule passiert, dass er seinen Beruf aufgeben musste? So bereut Joseph schnell seine Zusage und geht nur ungern zur ersten Zeichen-Sitzung. Das Treffen verläuft nervös und an-gespannt, doch eine Schachtel mit Seidenraupen-Eiern bildet einen Gesprächsanlass. Bald tritt das Zeichnen in den Hintergrund, aber Joseph kommt regelmäßig, um bei der Pflege der Raupeneier zu helfen. Die Ge-spräche verlaufen meist unbefriedigend und schlep-pend, und doch wächst etwas zwischen den beiden. Das Gedicht von Douglas Stewart (Geboren 1913 in Neuseeland, nach Australien umgesiedelt, gestorben 1985. Schriftsteller und Dichter.) „Die Seidenraupen“ steht immer wieder symbolhaft für das Erleben Toms oder Josephs. Ganz langsam und behutsam öffnen sich die beiden einander und Tom hilft Joseph, seine traumatische Begegnung mit dem „Running Man“ aus der Grundschulzeit, einzuordnen. Manchmal gibt auch Tom ein Stück von sich preis, aber in seiner Ver-zweiflung vermittelt er Joseph auch seine Überzeu-gung: es gibt immer noch etwas Schlimmeres. Eines Tages bricht auf, was aus dem liebenswerten und hoffnungsfrohen jungen Mann einen versteinerten, innerlich tief verwundeten Einzelgänger gemacht hat. Als Joseph bangen muss, dass sein Vater, von dem er sich im Streit verabschiedet hat, bei einem Arbeitsun-fall tödlich verunglückt ist, geschieht durch und mit Tom ein Wunder.

Anmerkungen zum Text

Dieses tief anrührende und bewegende Buch bietet nicht nur eine Fülle an inhaltlichem Geschehen, son-dern es lässt auch Raum für unterschiedliche Deu-tungsschwerpunkte.Joseph ist ein ruhiger, eher schüchterner Junge, dem seine Umwelt dies immer wieder zum Vorwurf macht. Da der Vater meist abwesend ist, ist die Beziehung zu ihm gerade in letzter Zeit sehr konfliktreich. Der „Run-ning Man“ ist Mittelpunkt eines traumatisch erlebten Geschehens, das ihn in nächtlichen Albträumen im-mer noch verfolgt. Obwohl dieser im Geschehen eher eine Nebenrolle spielt, hüpf-rennt er doch stets quasi im Hintergrund durch das Bild. Was Joseph in der Be-ziehung zu Tom erfährt, lässt ihn diesen Getriebenen verstehen, so dass sich seine Ängste lösen.

Tom ist gefangen in seiner Schuld, die er aus Vietnam mitgebracht hat. Diese lähmt ihn und ließ ihn zu einem innerlich versteinerten Wesen werden, das erst wieder lernen muss, mit der Welt zu kommunizieren. Ihm wird in der wachsenden Freundschaft zu Joseph Versöhnung geschenkt, so dass er Erlösung erleben kann. Schuld, Verzeihung, Annahme und Versöhnung sind die The-men des Buches, die für alle wesentlichen Personen der Handlung relevant sind. So haben jugendliche und er-wachsene Leser unmittelbare Adaptionsmöglichkeiten zum Text. Die Freundschaft, die zwischen den beiden wächst, ist so hauchzart, wie das Seidengewebe, das aus dem Kokon der Raupen gewonnen werden kann. Nicht nur sind die Seidenraupen der Anknüpfungspunkt für die beiden, wo sie sich auf neutralem Terrain treffen können; der Lebenszyklus des Tieres selbst wird zum Spiegelbild der Freundschaft und der Entwicklung Toms. Das Gedicht "Die Seidenraupen" bietet eine rei-che Auswahl an symbolischen Sprachbildern, in und

mit denen Tom und Joseph Erlebnisse und Gefühle deuten. Dieser Umgang mit Lyrik wird vielen Lesern fremd sein, umso eindringlicher ist es, diese Selbstver-ständlichkeit als völlig stimmig zu erleben. Alle Neben-figuren sind klar herausgearbeitet und jede hat eine notwendige Rolle im Gesamtgeschehen. Sie bringen weitere Motive ins Spiel oder lassen Grundthemen in anderen Farbschattierungen aufleuchten.

Vorschläge zur Arbeit mit „Running Man“„Running Man“ bietet durch seine literarische Quali-tät und seine bewegende Story die Chance, die nur gute Literatur besitzt: dass Leser über das Buch ins Ge-spräch kommen und ihr eigenes Leben dabei keine kleine Rolle spielt. Ob für regelmäßig stattfindende Ju-gendleseclubs oder eine einmalige Veranstaltung, Vo-raussetzung für die folgenden Vorschläge ist immer, dass alle Teilnehmer (TN) das Buch gelesen haben.

Das Leben der Seidenraupe – ein Spiegel von Toms EntwicklungDie Pflege und der Lebenszyklus der Seidenraupe spie-len eine große Rolle in der Beziehung zwischen Tom und Joseph. Ziel dieser Arbeit ist es, den Lebenszyklus des Insekts mit der Entwicklung Toms in Beziehung zu bringen und das Gedicht als Symbol für Entwicklungs-stadien eines Lebens zu erfahren.- Informationen über Seidenraupen sammeln (z.B. www.planet-wissen.de). Die einzelnen Stationen auf farbigem Tonpapier darstellen, gerne auch mit Bildern der einzelnen Stadien. Als Fries fortlaufend an der Wand befestigen.- Parallel die Entwicklung Toms erarbeiten und unterhalb des Seidenraupen-Lebens ebenfalls als Fries befestigen.- Nun die passenden Abschnitte aus dem Gedicht – gra-phisch möglichst deutlich anders gestaltet – dazuhängen.Nun können Parallelen, Abweichungen, Ungleichzei-tigkeiten etc. entdeckt werden.

Die drei Hauptfiguren Joseph – Tom – Running ManSie werden im Buch sehr differenziert und ausführlich und immer wieder auch in ihrer körperlichen Erschei-nung charakterisiert.- Für bildnerisch Begabte: Portraits entwerfen- nüchterne „Lebensläufe“ zusammenstellen oder Lebens-wege mit geeignetem plastischen Material gestaltenImmer ist das (gestaltete oder verbale) Portrait Aus-gangspunkt für ein Gespräch über die jeweilige Per-

son, in dem ihre Motive, ihr Handeln und ihre Bezie-hungen im Mittelpunkt stehen.

Die NebenfigurenAuch sie spielen ihre jeweils unverwechselbare Rolle im Geschehen: die Eltern Josephs, Toms Schwester Ca-roline, Mr. Cousins und Mrs. Mossop. Jeweils zwei TN zusammen erstellen einen Briefwech-sel, bei dem der eine dem anderen Motive und Gründe des eigenen Handelns sowie seine Sicht des Gesche-hens offenlegt. Mögliche Paarungen sind: Vater – Joseph, Mr. Cousins – Joseph, Caroline – Mrs. Mossop, Josephs Mutter – Tom. Ziel ist, sich intensiv in eine andere Person hineinzu-versetzen und sie dadurch zu verstehen.

Das Gedicht „Die Seidenraupen“ Diese symbolhafte Gedicht (vollständig abgedruckt S. 100f) soll nicht nüchtern untersucht werden, sondern über mehrere Sinne aufgenommen werden. Dazu kann die Kreismitte gestaltet werden: Schachteln mit grü-nen Blättern oder Tüchern auslegen, evtl. farblich pas-sendes Legematerial darin verteilen. Leise ruhige Mu-sik (z.B. Jan Garbarek / Hilliard Ensemble: „Officium“)laufen lassen. Eine/r liest das Gedicht ganz vor (diese Lesung sollte vorbereitet sein). Jede/r TN hat ein Text-blatt und reihum liest jede/r die Zeile oder den Ab-schnitt vor, der am meisten anspricht.

Die Geschichte Josephs mit dem Running ManZunächst beschäftigt sich die Gruppe mit den Textab-schnitten, die diese Geschichte erzählen (S. 35 – 39 die Begegnung, S. 42f. der Albtraum, S. 154 – 159 die er-neute Begegnung, S. 159 – 162 das Gespräch mit Tom, S. 183 – 187 die Entdeckung des Hintergrundes). Nun kann den eigenen Albträumen / unerklärlichen Äng-sten nachgegangen werden. Bei einer sehr vertrauten Gruppe kann dies im Gespräch passieren, sonst in ei-ner Einzelbesinnung, die nicht offengelegt werden muss. Möglich ist jedoch ein Abschluss, bei dem alle ein Zeichen für ihren Albtraum in die Mitte legen und ihn so zeichenhaft von sich weg geben. &

Astrid Frey ist Religionspädagogin, Kirchliche Büchereiassistentin, Bücherleiterin in Bühlertal und Rezensentin des Borromäusvereins.

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Lange mussten die deutschen Leseförderer auf einen verbesserten Interauftritt der Mainzer Stif-tung Lesen warten. Seit einigen Monaten steht er in neuer Optik, einer vielfach verbesserten in-haltlichen Füllung und mit mehr Servicebe-

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reichen für den unmittelbaren Einsatz. Der gerade absolvierte Start der nati-onalen Kampagne Lesestart macht diesen Servicecharakter für das Leseförde-rungsnetz besonders deutlich: In der Rubrik „Projekte“ finden sich die grundlegenden Infos zum Projekt und die Verlinkung zu einer eigenen In-ternetseite. Dort finden Büchereien einen Flyer für ihre Mitwirkung am Pro-jekt, Aufkleber für den Ausdruck oder als Integration in eigene Werbemittel sowie Adressen beteiligter Kinderärzte. Neben der Darstellung der Projektar-beit und –beteiligung ist für Büchereien besonders die Rubrik Forschung wichtig. Informiert wird über eigene Forschungsprojekte, aktuell zum Bei-spiel über die in Arbeit befindliche Studie „Leseverhalten in Deutschland 2008“ oder über Ergebnisse abgeschlossener, eigener Studien wie zum Film-besuch von Kindergarten- und Grundschulkinder. Daneben gehört es zur Aufgabe der Stiftung über Studien anderer Einrichtungen zu informieren, die relevante Ergebnisse zur Lese- und Medienforschung zu bieten haben. Über die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung bietet die Rubrik „Presse“ Presse-mitteilungen und Dossiers wie auch die Chance, sich die Publikation „Fo-rum Lesen“ im Internet anzusehen oder zu abonnieren. Das Netzwerk der Stiftung, die finanziellen und ideellen Unterstützer und Partner sind in der Rubrik „Wir über uns“ zusammengefasst: Ein informativer Überblick weit über den deutschen Tellerrand hinaus.

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Gästebuch

Rundlauf

Die Literatur ist, um es herbe zu sagen, für die Gegenwart nicht zuständig. Dafür haben wir den Tatort. Immer rasender wird die Gegenwart zur Vergangenheit … Es kann sein, dass die Neuübersetzung der Odyssee mehr zur Deutung unserer Lage beiträgt als ein sauber recherchierter Roman über die schmutzige Privatisierung einer Klinik.

Ulrich Greiner, Die Zeit, Februar 2008