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Aus:

Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

Zeitgeschichte des SelbstTherapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung

Oktober 2015, 394 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3084-8

Man selbst zu sein – das wurde um und nach 1968 zu einer immer schwierigerenAufgabe. Die Beiträge des Bandes rekonstruieren markante Entwicklungen in derZeitgeschichte des Selbst im Spannungsfeld der seit einem halben Jahrhundert lau-fenden Therapeutisierungs-, Politisierungs- und Emotionalisierungsprozesse und dis-kutieren in diesem Rahmen neue Perspektiven auf die Gesellschaftsgeschichte desdeutschsprachigen Raumes.

Pascal Eitler (Dr. phil.) forscht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Ber-lin zur Emotions- und Körpergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Tierge-schichte der Moderne und zur Zeitgeschichte des Selbst.Jens Elberfeld (M.A.) lehrt und forscht an der Ruhr-Universität Bochum zur Geschich-te der Kindheit, zur Körper- und Sexualitätsgeschichte und zur Geschichte der Thera-peutisierung.

Weitere Informationen und Bestellung unter:www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3084-8

© 2015 transcript Verlag, Bielefeld

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Inhalt

Von der Gesellschaftsgeschichte zur Zeitgeschichte des Selbst – und zurückPascal Eitler und Jens Elberfeld | 7

Auf dem Weg zu einer praxeologischen Analyse des SelbstAndreas Reckwitz | 31

TherapeuTisierung

Befreiung des Subjekts, Management des Selbst. Therapeutisierungsprozesse im deutschsprachigen Raum seit den 1960er JahrenJens Elberfeld | 49

Erziehung der Erzieher. Lehrer als problematische Subjekte zwischen Bildungsreform und antiautoritärer PädagogikMaik Tändler | 85

Führungsverhältnisse im Hungerstreik. Ein Kapitel zur Geschichte des westdeutschen Strafvollzugs (1973–1985)Marcel Streng | 113

Laufen als Heilssuche? Körperliche Selbstfindung von den 1970er bis zu den 1990er Jahren in transatlantischer PerspektiveTobias Dietrich | 147

Das Leben in Stasi-Akten. Pastoralmacht und Archivpraktiken zwischen 1950 und 2000Myriam Naumann | 163

poliTisierung

Migration und das Ende des bürgerlichen Subjekts. Transformationen des Subjekts vom Gastarbeiterregime bis zum Diskurs des IllegalenMassimo Perinelli | 195

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Von der Befreiung der Frau zur Befreiung des Selbst. Eine kritische Analyse der Befreiungssemantik in der (Neuen) FrauenbewegungImke Schmincke | 217

Anpassung: Disco und Jugendbeobachtung in Westdeutschland, 1975–1981Alexa Geisthövel | 239

ExpertInnen statt AktivistInnen: Der Entpolitisierungsdiskurs in der Aids-Arbeit der 1980er JahrePeter-Paul Bänziger | 261

Die Konstruktion »demokratischer« Selbste in zwei exemplarischen Filmen über NeonazisJulia Stegmann | 279

emoTionalisierung

Drogen, Selbst, Gefühl. Psychedelischer Drogenkonsum in der Bundesrepublik Deutschland um 1970Florian Schleking | 293

Alterssex und die Kultur des Lebenslangen Lernens, 1960–2000Annika Wellmann | 327

Job Satisfaction statt Arbeitszufriedenheit: Gefühlswissen im arbeitswissenschaftlichen Diskurs der 1970er JahreSabine Donauer | 343

Hormone und Self-Fashioning: Biomedizinische Deutungsmuster als Mittel der Selbstkonzeption alternder FrauenMeike Wolf | 373

| 391Autorinnen und Autoren

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Von der Gesellschaftsgeschichte zur Zeitgeschichte des Selbst – und zurück

Pascal Eitler und Jens Elberfeld

Die Zeitgeschichte des Selbst hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Profil und schließlich auch an Prestige gewonnen.1 Nachdem es lange Zeit das 18. oder 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts waren, für die sich wandelnde Selbstverhältnisse und Subjektivierungspraktiken vor allem inner-halb des Bürgertums historisch erforscht und kritisch befragt wurden,2 ge-rät nunmehr zunehmend auch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Fokus des Interesses: die Geschichte oder besser noch Genealogie des Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg, für den deutschsprachigen Raum vor allem seit

1 | Für den deutschsprachigen Raum gilt es insbesondere auf das an der Universität

Oldenburg eingerichtete Graduiertenkolleg »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivie-

rung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« hinzuweisen; siehe etwa Andreas

Gelhard/Thomas Alkemeyer/Norbert Ricken (Hg.), Techniken der Subjektivierung, Pader-

born 2013; Thomas Alkemeyer/Gunilla Budde/Dagmar Freist (Hg.), Selbst-Bildungen.

Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld 2013; siehe auch Wiebke

Wiede, Subjekt und Subjektivierung, in: Docupedia-Zeitgeschichte, http:// docupedia.de/

zg/Subjekt_und_Subjektivierung?oldid=106254 (letzter Zugrif f 10.3.2015). Für Hinwei-

se und Hilfe danken wir Heinz-Hermann Möhrenpichler, Marcus Otto, Karola Rockmann

und Florian Schleking.

2 | Siehe zum Beispiel Dror Wahrman, The Making of the Modern Self. Identity and

Culture in Eighteenth-Century England, New Haven 2004; Roy Porter (Hg.), Rewriting

the Self. Histories from the Renaissance to the Present, London 1997; siehe auch Jens

Elberfeld/Marcus Otto (Hg.), Das schöne Selbst. Zur Genealogie des modernen Subjekts

zwischen Ethik und Ästhetik, Bielefeld 2009. Sehr informativ, aber aus genealogischer

Perspektive eher problematisch: Bettina Brockmeyer, Selbstverständnisse. Dialoge über

Körper und Gemüt im frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 2009; Richard van Dülmen,

Die Entdeckung des Individuums. 1500–1800, Frankfurt am Main 1997. Denkbare Ver-

bindungen ergeben sich teilweise auch zur Bürgertumsforschung.

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Pascal Eitler/Jens Elberfeld8

den 1960er und 1970er Jahren.3 Inzwischen liegen sogar bereits die ersten Überblicksstudien und Syntheseangebote zu historisch je spezifischen Sub-jektkulturen vor.4

Meist im unmittelbaren Bezug auf die wegweisenden Untersuchungen von Michel Foucault standen dabei bislang zwei Themengebiete im Zentrum des Interesses: zum einen das oft körpergeschichtlich perspektivierte Feld der Sexualitätsgeschichte, zum anderen das häufig wissenschaftshistorisch aus-gerichtete Feld der Psychologie- oder auch Psychiatriegeschichte.5 Doch zu-nehmend geraten auch andere Sphären des Sozialen in den Blick, Praxisfelder wie das Arbeiten oder das Tanzen, Phänomene wie das Altern oder die Ge-sundheit, der Umgang mit Gewalt oder das Verhältnis zu Kindern, das Feld der Politik oder das Gebiet der Religion.6 Auch im deutschsprachigen Raum

3 | Vgl. lediglich Sabine Maasen/Jens Elberfeld/Pascal Eitler/Maik Tändler (Hg.), Das

beratene Selbst. Zur Genealogie der Therapeutisierung in den »langen« Siebzigern,

Bielefeld 2011; Maik Tändler/Uffa Jensen (Hg.), Das Selbst zwischen Anpassung und

Befreiung. Psychowissen und Politik im 20. Jahrhundert, Göttingen 2012. Die Deutsche

Demokratische Republik stößt in diesem Zusammenhang bislang auf auffallend gerin-

ges Interesse, hier tun sich nach wie vor große Forschungslücken auf; vgl. allerdings

Moritz Föllmer, Individuality and Modernity in Berlin: Self and Society from Weimar to

the Wall, Cambridge 2013.

4 | Siehe vor allem Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Sub-

jektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006; siehe

hierzu auch Jens Elberfeld/Marcus Otto, Einleitung, in: dies. (Hg.), Das schöne Selbst,

S. 7–30.

5 | Siehe zum Beispiel Nikolas Rose, Governing the Soul. The Shaping of the Private

Self, London 1990; ders., Inventing Our Selves. Psychology, Power, and Personhood,

Cambridge 1996; Alain Ehrenberg, Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesell-

schaft in der Gegenwart, Frankfurt am Main 2004; Eva Illouz, Die Errettung der mo-

dernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe, Frankfurt am Main

2009. Vgl. darüber hinaus Philipp Sarasin, Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des

Körpers 1765–1914, Frankfurt am Main 2001; Sabine Maasen, Genealogie der Un-

moral. Zur Therapeutisierung sexueller Selbste, Frankfurt am Main 1998; Peter-Paul

Bänziger/ Stefanie Duttweiler/Philipp Sarasin/Annika Wellmann (Hg.), Fragen Sie Dr.

Sex! Ratgeberkommunikation und die mediale Konstruktion des Sexuellen, Berlin 2010;

Peter-Paul Bänziger/Magdalena Beljan/Franz X. Eder/ Pascal Eitler (Hg.), Sexuelle Re-

volution? Zur Geschichte der Sexualität im deutschsprachigen Raum seit den 1960er

Jahren, Bielefeld 2015.

6 | Siehe etwa auch Martin Lengwiler/Jeannette Madarász (Hg.), Das präventive

Selbst. Eine Kulturgeschichte moderner Gesundheitspolitik, Bielefeld 2010; Paula-Ire-

ne Villa (Hg.), Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst,

Bielefeld 2008; vgl. ebenfalls die Beiträge zum Themenheft »Fordismus« in: Body Poli-

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Zeitgeschichte des Selbst 9

entwickelt sich ganz allmählich ein weit verzweigtes Forschungsfeld innerhalb der Sozialwissenschaften im weiteren wie auch innerhalb der Geschichtswis-senschaft im engeren Sinne, oft im Zusammenhang mit den sogenannten Governmentality Studies.7

Es ist offensichtlich, dass dieses Forschungsfeld quer zu den großen und bereits fest etablierten Arbeitsbereichen der Geschichtswissenschaft verläuft, nicht nur zur Politik- oder Religionsgeschichte, sondern zum Beispiel auch zur Wirtschafts- oder Kunstgeschichte. Umso erstaunlicher ist es, dass zahlrei-che Arbeiten zur Genealogie des Selbst nicht erheblich gezielter Anschluss an gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen im weiteren Sinne und die Aus-einandersetzung mit beziehungsweise innerhalb der historischen Forschung suchen.8 Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Untersuchung von Selbstverhältnissen nicht nur im deutschsprachigen Raum lange Zeit weni-ger von der Geschichtswissenschaft als von anderen Sozialwissenschaften be-stimmt wurde, insbesondere von der Soziologie, und im Hintergrund noch immer von philosophischen und auch von politischen Fragestellungen geprägt wird – gerade auch im Fall der Zeitgeschichte des Selbst um und nach 1968, die im Folgenden in den Mittelpunkt gerückt wird.9

tics 1 (2013) und zum Themenheft »Gewaltverhältnisse« in: Body Politics 1 (2013);

sowie den Überblick zur Zeitgeschichte des Selbst in Pascal Eitler, Lebensführung, Men-

schenführung und die Gesellschaftsgeschichte Westdeutschlands um 1968, in: Claudia

Lepp u. a. (Hg.), Religion und Lebensführung im Umbruch der langen sechziger Jahre,

Göttingen 2015 (in Druck).

7 | Siehe neben Rose, Governing the Soul, vor allem Thomas Lemke, Eine Kritik der

politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin 1997;

Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Ge-

genwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt am Main 2000; Graham

Burchell/Colin Gordon/Peter Miller (Hg.), The Foucault Effect. Studies in Governmen-

tality, Chicago 1991. Primärer Bezugspunkt vieler neuerer Studien: Michel Foucault,

Geschichte der Gouvernementalität, 2 Bde., Frankfurt am Main 2004.

8 | Siehe im Fall des deutschsprachigen Raumes etwa auch die wichtigen Arbeiten von

Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform,

Frankfurt am Main 2007; Andreas Reckwitz, Erfindung der Kreativität. Zum Prozess ge-

sellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin 2012; siehe beispielsweise auch Boris Traue, Das

Subjekt der Beratung. Zur Soziologie einer Psycho-Technik, Bielefeld 2010; Ralf Mayer

(Hg.), Inszenierung und Optimierung des Selbst, Wiesbaden 2013.

9 | Vgl. diesbezüglich etwa Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neu-

zeitlichen Identität, Frankfurt am Main 1996; Judith Butler, Psyche der Macht, Frankfurt

am Main 2001; Slavoj Žižek, Die Tücke des Subjekts, Frankfurt am Main 2001; Jerrold

Seigel, The Idea of the Self. Thought and Experience in Western Europe since the Seven-

teenth Century, Cambridge 2005.

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Pascal Eitler/Jens Elberfeld10

1. eine schwierige ausgangslage – zur unTersuchung von selbsTverhälTnissen

Auch wenn es nicht darum gehen sollte, diesen philosophischen oder politi-schen Fragestellungen einfach auszuweichen, wird die Geschichtswissen-schaft dabei vom Abstraktionsgrad anderer Sozialwissenschaften mitunter überfordert – so auch im Fall einer Zeitgeschichte des Selbst. In Hinsicht auf eine Gesellschaftsgeschichte des deutschsprachigen Raumes bleibt es zu oft bei programmatischen Ankündigungen und steilen Thesen, die zu selten kon-kretisiert und angemessen kontextualisiert werden und deren Quellen- bezie-hungsweise Datenbasis nicht selten wenig belastbar ist. Mitunter wird auf sub-jekttheoretische Selbstvergewisserung mehr Wert gelegt als auf empirische Belege.10

Umgekehrt nehmen allerdings auch Arbeiten zur Gesellschaftsgeschich-te vor allem der Bundesrepublik Deutschland nicht sonderlich Kenntnis von sich wandelnden Selbstverhältnissen um und vor allem nach 196811 – obwohl ehedem teilweise unbekannte Subjektivierungspraktiken auch und gerade die inzwischen meist so bezeichnete Zeit »nach dem Boom« (Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael)12 entscheidend geprägt haben und Studien zur Zeit-geschichte des Selbst wichtige Aspekte des historischen Wandels teilweise

10 | Siehe zum Beispiel auch Heiner Keupp/Joachim Hohl (Hg.), Subjektdiskurse im

gesellschaftlichen Wandel. Zur Theorie des Subjekts in der Spätmoderne, Bielefeld

2006; Torsten Junge, Gouvernementalität der Wissensgesellschaft. Politik und Subjek-

tivität unter dem Regime des Wissens, Bielefeld 2008; Lutz Eichler, System und Selbst.

Arbeit und Subjektivität im Zeitalter ihrer strategischen Anerkennung, Bielefeld 2013;

streckenweise geradezu ärgerlich: Byung-Chul Han, Psychopolitik. Neoliberalismus und

die neuen Machttechniken, Frankfurt am Main 2014.

11 | Siehe lediglich Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999; Edgar Wolfrum, Die geglückte

Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Ge-

genwart, Stuttgart 2006; Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. 1982–1990,

München 2006; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 5, Mün-

chen 2008; Andreas Rödder, Die Bundesrepublik Deutschland 1969–1990, München

2004. Eine wichtige Ausnahme stellt dar: Axel Schildt/Detlef Siegfried, Deutsche Kul-

turgeschichte. 1945 bis zur Gegenwart, München 2009.

12 | Forschungsleitend gegenwärtig: Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach

dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008; siehe

daran anschließend auch Knud Andresen/Ursula Bitzegeio/Jürgen Mittag (Hg.), Nach

dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten, Bonn 2011; Morten

Reitmayer/Thomas Schlemmer (Hg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in West-

europa nach dem Boom, München 2014.

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Zeitgeschichte des Selbst 11

erstmals systematisch in den Blick rücken. In diesem Zusammenhang gerät nicht nur die gegenwärtig im Zentrum des Interesses stehende sogenannte Ökonomisierung des Sozialen verstärkt in den Fokus.13 Auch die stark zuneh-mende Therapeutisierung, die teilweise neuartige Politisierung oder die sich wandelnde Emotionalisierung von Selbstverhältnissen werden der histori-schen Forschung nunmehr vielfältig zugänglich gemacht.14

Dass bislang kaum eine der neueren, großangelegten Gesamtdarstellungen zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland auf sich in den vergangenen fünfzig Jahren teilweise massiv verändernde Subjektivierungs-praktiken ernsthaft eingeht, macht die Ausgangslage für eine gezielte Ausei-nandersetzung mitunter schwierig. Ohne dass dies thematisiert, geschweige denn problematisiert würde, bleibt die Zeitgeschichte des Selbst sogar im Rah-men einer breitangelegten Geschichte der Sicherheit insgesamt größtenteils unberücksichtigt; inzwischen wurde bereits mehrfach gezeigt, dass und wie sich diese erst im Rahmen sich wandelnder Subjektivierungspraktiken ange-messen begreifen lässt.15 Zuweilen engen in diesem Zusammenhang noch im-mer gut gepflegte – theoretische oder methodische – Scheuklappen die Analy-sefähigkeit folgenreich und unnötig ein.

Auf diese Weise verschenkt die Gesellschaftsgeschichte nicht nur einen erheblichen Zugewinn an historischer Komplexität, sie riskiert aus genealo-gischer Perspektive auch einen beträchtlichen Teil ihres kritischen Potenzi-als.16 Sie kann das, was Michel Foucault sehr treffend als Menschenführung

13 | Zur Ökonomisierung des Sozialen siehe vor allem Bröckling/Krasmann/Lemke

(Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart.

14 | Siehe teilweise bereits Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst.

15 | Aus genealogischer Perspektive eher problematisch daher: Eckart Conze, Die Su-

che nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in

die Gegenwart, München 2009; vgl. demgegenüber beispielsweise Langewiler/Madarász

(Hg.), Das präventive Selbst; Susanne Krasmann, Die Kriminalität der Gesellschaft. Zur

Gouvernementalität der Gegenwart, Konstanz 2003; Leon Hempel/Susanne Krasmann/

Ulrich Bröckling (Hg.), Sichtbarkeitsregime. Überwachung, Sicherheit und Privatheit im

21. Jahrhundert, Wiesbaden 2011; siehe teilweise auch die Beiträge zum Themenheft

»Zeitgeschichte der Vorsorge« in: Zeithistorische Forschungen 10 (2013).

16 | Insgesamt ist es frappierend, wie wenig sich die Gesellschaftsgeschichte in den

vergangenen zwanzig Jahren mit ihren theoretischen Grundlagen und deren sukzessiver

Weiterentwicklung befasst hat. Benjamin Ziemann äußerte diese Kritik bereits vor zehn

Jahren, kam indes zu einem anderen Schluss als dieser Band, insofern er eine Orientie-

rung an der Systemtheorie empfahl. Vgl. Benjamin Ziemann, Überlegungen zur Form der

Gesellschaftsgeschichte angesichts des »cultural turn«, in: Archiv für Sozialgeschichte

43 (2003), S. 600–616; siehe ebenfalls Patrick Joyce, What is the Social in Social His-

tory?, in: Past and Present 205 (2009), S. 175–210.

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Pascal Eitler/Jens Elberfeld12

beschrieben hat, genau genommen immer nur auf einer Ebene untersuchen, auf der Ebene der Fremdführung, der gesellschaftlichen Ordnungsversuche und vor allem der politischen Gestaltungsmaßnahmen in einem oftmals recht herkömmlichen Sinne – nicht aber auf der Ebene der Selbstführung.17 Doch Menschen werden nicht nur regiert, sie regieren sich auch immer mehr selbst, innerhalb wie außerhalb des Bürgertums. Und so wird auch aufseiten der Ge-sellschaftsgeschichte eine erkenntnisförderliche Auseinandersetzung zumeist verweigert: Gesellschaft und Selbst werden einander noch häufig sehr traditio-nell und dichotom, direkt oder indirekt gegenübergestellt, anstatt Prozesse der Selbst- und Fremdführung als sich wechselseitig hervorbringend und ständig ineinander überführend zu begreifen und detailliert zu rekonstruieren – ob konvergierend oder divergierend.18

Die im vorliegenden Band angestrebte Auseinandersetzung mit gesell-schaftsgeschichtlichen Fragestellungen im weiteren Sinne ist keineswegs eine polemische, sondern eine heuristische. Die zur Diskussion gestellte Genealo-gie des Selbst beschränkt sich gerade nicht auf die vermeintliche Mikroebene, vielmehr sucht sie diese stets in Beziehung zur sogenannten Makroebene zu setzen. In diesem Zusammenhang geht es zuallererst um eine notwendige und umfassende Kontextualisierung von Subjektivierungspraktiken. Darüber hinaus geht es aber auch um eine genealogische Perspektive auf das Verhältnis von Gesellschaft und Selbst als ko-evolutionär oder besser noch ko-konstitutiv. So grundlegende und vielfältige Prozesse wie beispielsweise die Industrialisie-rung oder die Urbanisierung moderner Gesellschaften berührten nicht nur die Ebene der Selbstwerdung, sondern vollzogen sich auch stets auf ihr, sie schlugen sich nicht nur in historisch sehr spezifischen Subjektivierungsprak-tiken nieder, sondern setzten sich langfristig und breitenwirksam überhaupt erst in ihnen durch.19 Anders ausgedrückt: Eine moderne Gesellschaft, so man am Konzept der Moderne noch länger festhalten möchte, erfordert schlichtweg ein modernes Subjekt, ein Subjekt, das sich als es selbst stets um sich selbst dreht – und umgekehrt.20

17 | Wegweisend und nach wie vor lesenswert: Foucault, Geschichte der Gouverne-

mentalität; ders., Subjekt und Macht, in: ders., Dits et Ecrits. Schrif ten in vier Bänden,

Band 4, Frankfurt am Main 2005, S. 269–294.

18 | Siehe hierzu etwa Andreas Reckwitz, Subjekt, Bielefeld 2008.

19 | Dies erörtern bekanntlich teilweise bereits Georg Simmel und Max Weber.

20 | Siehe in diesem Sinne auch Elberfeld/Otto, Einleitung; zur Genealogie moderner

Politik siehe jetzt etwa Marcus Otto, Der Wille zum Subjekt. Zur Genealogie politischer

Inklusion in Frankreich (16.–20. Jahrhundert), Bielefeld 2014; vgl. ebenfalls Patrick

Joyce, Democratic Subjects. The Self and the Social in Nineteenth-Century England,

Cambridge 1994; ders., The State of Freedom. A Social History of the British State since

1800, Cambridge 2013.

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Zeitgeschichte des Selbst 13

Insofern distanziert sich eine Genealogie des Selbst von einem wie auch immer gelagerten Gegensatz zwischen Gesellschaft und Selbst. Unter der Hand prägt dieser Gegensatz nach wie vor sehr oft die Soziologie und über diese vermittelt auch andere Sozialwissenschaften und nicht zuletzt die Ge-schichtswissenschaft – üblicherweise wird an dieser Stelle allerdings der Be-griff des Individuums in Anspruch genommen, ohne diesen vom Begriff des Selbst sinnvoll abzugrenzen und um ihn sogleich in einen essenzialistischen, ahistorischen, problematischen Dualismus von Individuum und Gesellschaft zu überführen, der sich zu Unrecht immer wieder als Dialektik zu adeln ver-sucht.21

Eine Zeitgeschichte des Selbst wird von diesem Dualismus und einem da-mit verbundenen, sozusagen strukturanalytischen Gesellschaftsbegriff, wie er auch in der im deutschsprachigen Raum besonders prominent und zeit-weise überaus produktiv von Hans-Ulrich Wehler22 verfolgten Form von Ge-sellschaftsgeschichte Verwendung findet, Abstand nehmen müssen. Sie wird stattdessen versuchen, nicht nur das Selbst, sondern auch die Gesellschaft noch stärker prozessoral und praxeologisch zu begreifen und einen damit verknüpften, gewissermaßen situativen Gesellschaftsbegriff privilegieren.23 In diesem Sinne geht es weniger darum, zwischen unterschiedlichen Gesell-schaftsbereichen funktional zu differenzieren, um sodann einem scheinbar alles verändernden Strukturbruch gegen Mitte der 1970er Jahre nachzuspü-ren, den das Periodisierungsangebot einer Zeit »nach dem Boom« zwar nicht ausschließlich, aber doch vorrangig auf entsprechend tiefgreifende ökonomi-sche oder technologische Veränderungen zurückführt.24 So sich wandelnde Selbstverhältnisse dabei ernsthaft in den Blick geraten, tun sie dies dement-

21 | Statt zahlloser Beispiele siehe diesbezüglich etwa die Rekonstruktion und Dis-

kussion in Markus Schroer, Das Individuum der Gesellschaft. Synchrone und diachrone

Theorieperspektiven, Frankfurt am Main 2001.

22 | Siehe lediglich Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: ders., Deutsche Gesellschafts-

geschichte, Band 1, München 1987, S. 6–31.

23 | Vgl. beispielsweise Urs Stäheli, Poststrukturalistische Soziologien, Bielefeld

2000; Oliver Marchart, Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie

der Gesellschaft, Berlin 2013; wichtige Bezugsgröße inzwischen: Bruno Latour, Eine

neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie,

Frankfurt am Main 2007; ders., Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetri-

schen Anthropologie, Frankfurt am Main 1998; lediglich scheinbar völlig gegensätzlich:

Pierre Bourdieu, Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am

Main 2001.

24 | Dementsprechend sehen Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael diese Zeit

»charakterisiert durch ein neues Produktions- und Wirtschaftsregime, das man als di-

gitalen Finanzmarkt-Kapitalismus bezeichnen kann«. Vgl. Doering-Manteuffel/Raphael,

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Pascal Eitler/Jens Elberfeld14

sprechend in erster Linie im oder ausgehend vom Bereich der Wirtschaft – so zum Beispiel unter dem Stichwort der Flexibilisierung.25

Aus genealogischer Perspektive gilt es, erheblich breiter nach unüber-sichtlichen Gemengelagen und unerwarteten Wahlverwandtschaften zu fra-gen, nach sich wechselseitig informierenden und teilweise dynamisierenden Grenzverwischungen und Übersetzungsleistungen – auch im Zwischenreich unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche – und sich wandelnde Selbstverhält-nisse dabei gerade für die Zeit um und nach 1968 nicht nur als Effekt, sondern auch als Motor von vielfältigen Diffusionen und neuartigen Assoziationen in den Blick zu nehmen – ohne den Bereich der Wirtschaft oder einen beliebigen anderen Bereich als gesellschaftliches Zentrum des historischen Wandels zu antizipieren.26 Ein vorrangig situativer Gesellschaftsbegriff erlaubt und erfor-dert es, sich verändernde Selbstverhältnisse innerhalb einer ebenso komplexen wie konkreten, hochgradig verstreuten und offenbar unabschließbaren Trans-formation des Sozialen zu rekonstruieren und zu ref lektieren.27

Einige markante Entwicklungen innerhalb der Gesellschaftsgeschichte des deutschsprachigen Raumes – nicht nur, aber nochmals verstärkt seit den 1960er und 1970er Jahren – lassen sich in diesem Rahmen unserem Eindruck nach sehr viel umfassender analysieren: der mitunter einschneidende Wandel von Liebesbeziehungen, Familienkonstellationen und Formen der Ernährung beispielsweise ebenso wie die bemerkenswert vielfältige Gestaltung von Frei-zeitmöglichkeiten, Bildungsangeboten und Prozessen der Gentrifizierung,

Nach dem Boom, S. 8f.; siehe zum Beispiel auch die Beiträge zum Themenheft »The

Energy Crises of the 1970s« in: Historical Social Research 39 (2014).

25 | Siehe etwa Dietmar Süß, Stempeln, Stechen, Zeit erfassen. Überlegungen zu einer

Ideen- und Sozialgeschichte der »Flexibilisierung« 1970–1990, in: Archiv für Sozialge-

schichte 52 (2012), S. 139–162; Andresen u. a. (Hg.), Nach dem Strukturbruch?

26 | Dies fordern mehrfach auch Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, tat-

sächlich rücken sie aber immer wieder ökonomische und technologische Veränderungen

ins Zentrum ihrer Analyse, insbesondere aus dem »Blickwinkel einer politischen Öko-

nomie«, siehe nur Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, S. 14; vgl. ebenfalls

Anselm Doering-Manteuffel, Die Vielfalt der Strukturbrüche und die Dynamik des Wan-

dels in der Epoche nach dem Boom, in: Reitmeyer/Schlemmer (Hg.), Die Anfänge der

Gegenwart, S. 135–145: Zwar erklärt Anselm Doering-Manteuffel einleitend zu Recht,

»es [sei] an der Zeit, die Pluralität des Geschehens stärker zu betonen«, doch widmet

er sich daran anschließend wiederum vorrangig ökonomischen und technologischen

Veränderungen.

27 | Es geht diesbezüglich keineswegs darum, jeglichen Begrif f von Gesellschaft zu-

gunsten eines bestimmten Konzepts des Sozialen aufzugeben. Dieser Band ist aller-

dings nicht der passende Ort für eine detaillierte und differenzierte Auseinandersetzung

mit dem Gesellschaftsbegrif f und dabei allen voran mit Bruno Latour.

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Zeitgeschichte des Selbst 15

die Herausbildung von neuartigen Sozialen Bewegungen oder der Siegeszug von sogenannten Sozialen Netzwerken.28 Innerhalb der Governmentality Stu-dies werden diese historisch je spezifischen Entwicklungen in der Regel auf eine vermeintlich omnipräsente Ökonomisierung des Sozialen zurückgeführt – doch lassen sie sich unserem Eindruck nach durch einen nicht selten re-f lexartigen Verweis auf einen zumeist ominös bleibenden Neoliberalismus schwerlich abstrakt herleiten, noch bevor sie überhaupt historisch gründlich rekonstruiert wurden.29

Die Zeitgeschichte des Selbst widmet sich demgegenüber außer ökonomi-schen oder technologischen beispielsweise auch religiösen oder ästhetischen Veränderungen; eindeutig ausgeweiteten Konsumpraktiken kommt in diesem Rahmen keine grundsätzlich größere Bedeutung zu als zeitgleich ebenfalls ausgeweiteten Askesetechniken; neben breit untersuchten Amerikanisierungs-prozessen geraten dabei auch bislang kaum untersuchte Orientalisierungspro-zesse immer öfter in das Zentrum des Interesses – deren unterschiedliche Bedingungen und insbesondere Wirkungen nicht sogleich dialektisch einge-ebnet werden sollten.

Für gewöhnlich bringt die soziologische oder historische Forschung an dieser Stelle – im Kontext des Dualismus von Gesellschaft und Individuum – wenig erkenntnisförderlich den Begriff der Individualisierung in Anschlag30 und setzt diesen darüber hinaus nicht selten und zu Unrecht mit dem Begriff der Privatisierung in eins.31 Der Individualisierungsbegriff zielt in der Regel

28 | Ein Panorama von Themen eröffnet neben Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem

Boom, S. 104–117, vor allem Schildt/Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 245–424;

siehe auch Axel Schildt, Das letzte Jahrzehnt der Bonner Republik. Überlegungen zur Er-

forschung der 1980er Jahre, in: Archiv für Sozialgeschichte 52 (2012), S. 21–46, vor allem

S. 34–45; vgl. insbesondere Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in

der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006; Maren Möhring, Fremdes

Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland,

München 2012; Annika Wellmann, Beziehungssex. Medien und Beratung im 20. Jahrhun-

dert, Köln 2012; Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben

in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014; Sven Reichardt/Detlef Siegfried

(Hg.), Das alternative Milieu. Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepu-

blik Deutschland und Europa 1968–1983, Göttingen 2010.

29 | Kaum eine Verbindung zwischen Neoliberalismus und sich wandelnden Selbst-

verhältnissen eröffnet Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent: Eine

Geschichte des neoliberalen Europa, Berlin 2014.

30 | Siehe ohne Ausnahme alle bereits genannten Gesamtdarstellungen zur Gesell -

schaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

31 | Zu Privatisierungsprozessen um und nach 1968 siehe etwa Norbert Frei/ Dietmar

Süß (Hg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012.

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auf die angebliche Auflösung von gesellschaftlichen »Zwängen« und diesbe-züglich auf einen vermeintlichen Zugewinn an sogenannten »Freiheiten« und eine darauf zurückgeführte Vervielfältigung von Verhaltensweisen vor allem seit den 1960er und 1970er Jahren, fast immer unter Verweis auf einen soge-nannten – von Ronald Inglehart auf den Begriff gebrachten – Wertewandel in der Moderne.32

Der Individualisierungsbegriff unterschätzt in diesem Rahmen jedoch nicht nur zuweilen die weitreichenden Handlungsmöglichkeiten von Men-schen sowie deren unterschiedliche Aneignungsweisen auch schon vor den 1960er oder 1970er Jahren33 und bedient sich dabei sehr häufig einer wenig hilfreichen, weil allzu abstrakten Gegenüberstellung von Moderne und Post-moderne34 oder Moderne und Vormoderne – nicht selten vor dem Hintergrund einer eurozentristischen Unterscheidung zwischen »the West« und »the Rest«. Er missversteht darüber hinaus auch immer wieder die seit den 1960er und 1970er Jahren nochmals verschärft und öffentlich vorangetriebene, scheinbar uferlose und nicht zuletzt politisch eskortierte Zuschreibung von Verantwort-lichkeiten an die Adresse eines entsprechend neuartig aufgestellten Subjekts – als Risiken.35 Dieser Responsabilisierungsprozess in immer weiteren Sphären des Sozialen wurde auch innerhalb der Wertewandelforschung bislang zu we-nig berücksichtigt36 und lässt sich vermittels des eher makrosoziologisch aus-

32 | Siehe lediglich Ronald Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Poli­

tical Styles among Western Publics, Princeton 1977; Helmut Klages, Wertorientierun­

gen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognosen, Frankfurt am Main 1984;

Helmut Klages/Peter Kmieciak (Hg.), Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel, Frank­

furt am Main 1979.

33 | Dies zeigt unter anderem Föllmer, Individuality and Modernity in Berlin.

34 | Vgl. im Zusammenhang der Wertewandelforschung zum Beispiel Andreas Rödder,

Moderne – Postmoderne – Zweite Moderne. Deutungskategorien für die Geschichte

der Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren, in: Thomas Raithel/Andreas

Rödder/Andreas Wirsching (Hg.), Auf dem Weg in eine neue Moderne? Die Bundesrepu­

blik Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren, München 2009, S. 181–201.

35 | Vgl. etwa Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moder­

ne, Frankfurt am Main 1986; Ulrich Beck/Elisabeth Beck­Gernsheim (Hg.), Riskante

Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt am Main 1994;

Anthony Giddens, Modernity and Self­Identity. Self and Society in the Late Modern Age,

Cambridge 1991; ungleich differenzierter: Niklas Luhmann, Individuum, Individualität,

Individualismus, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissens­

soziologie der modernen Gesellschaft, Band 3, Frankfurt am Main 1993, S. 149–258.

36 | Aus genealogischer Perspektive daher eher problematisch: Bernhard Dietz/

Christopher Neumaier/Andreas Rödder (Hg.), Gab es den Wertewandel? Neue Forschun­

gen zum gesellschaftlich­kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, München 2014;

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gerichteten Begriffs der Privatisierung sehr viel besser erfassen und verorten als vermittels des vermeintlich mikrosoziologischen Begriffs der Individuali-sierung. Was sich gerade auch für die 1960er und 1970er Jahre historisch re-konstruieren lässt, ist nicht ein sukzessiver Anstieg von Individualität, sondern ein massenhaft auftretender, öffentlich vermittelter, zweifelsfrei wachsender, aber doch stets phantasmatischer Anspruch auf Individualität – und nichts an diesem Anspruch war oder ist individuell.37

Während der Individualisierungsbegriff ein Selbst weitgehend ahistorisch voraussetzt und lediglich dessen in der Moderne38 angeblich radikale Loslö-sung aus überlieferten Traditionen sowie die daraus resultierende Auseinan-dersetzung mit scheinbar grenzenlosen Wahlmöglichkeiten hervorhebt, be-tont der Subjektivierungsbegriff demgegenüber – im Anschluss an Arbeiten von Michel Foucault39 – die permanente Herstellung von historisch je spezi-fischen Selbstverhältnissen. Ein Selbst besteht so betrachtet keineswegs an und für sich, um schließlich mit unterschiedlichen Situationen oder verschie-denartigen Risiken konfrontiert zu werden, es wird vielmehr innerhalb eben dieser Konfrontation überhaupt erst immer wieder neu und durchaus sehr un-terschiedlich hervorgebracht und gegebenenfalls verändert, nicht nur auf der Ebene der Repräsentation und der Semantiken, sondern auch auf der Ebene der Materialisation und der Praktiken.40 Es wird nicht mehr oder weniger indi-viduell – es wird ein anderes.

Der Subjektivierungsbegriff versucht, makro- und mikrosoziologische Fra-gestellungen stärker miteinander zu verschränken, ohne ein gesellschaftliches Zentrum des historischen Wandels vorwegzunehmen. Im Gegensatz zum In-dividualisierungsbegriff legt er sein Augenmerk dabei aber gerade nicht auf die – vorrangig ideologiekritische und zuweilen kulturpessimistische – Ver-messung und Bewertung von neuen »Freiheiten« oder alten »Zwängen«, son-

Andreas Rödder/Wolfgang Elz (Hg.), Alte Werte – neue Werte. Schlaglichter des Werte-

wandels, Göttingen 2008.

37 | Vgl. ausführlicher Pascal Eitler, Privatisierung und Subjektivierung. Religiöse

Selbstverhältnisse im »New Age«, in: Frei/Süß (Hg.), Privatisierung, S. 140–156.

38 | Vgl. lediglich Ulrich Beck/Anthony Giddens/Scott Lash, Reflexive Modernisierung.

Eine Kontroverse, Frankfurt am Main 1996.

39 | Kanonische Referenzen: Michel Foucault, Technologien des Selbst, in: ders., Dits

et Ecrits, Band 4, S. 966–998; ders., Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefäng-

nisses, Frankfurt am Main 1995; ders., Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1995.

40 | Zu Prozessen der Materialisation beziehungsweise Materialisierung siehe auch

Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt

am Main 1997; Karen Barad, Posthumanist Performativity. Toward an Understanding

of How Matter Comes to Matter, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 28

(2003), S. 801–831; vgl. ebenfalls Villa (Hg.), Schön normal.

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dern auf die, darauf kommt es hier an, im einen wie im anderen Fall alltäglich zu beobachtende Disziplinierung und Normalisierung von Menschen und de-ren sich in diesem Zusammenhang mitunter stark wandelndes Verhältnis zu sich selbst und damit auch zu anderen.41 Er zielt aus genealogischer Perspekti-ve auf die unterschiedlichen Herausforderungen und großen Anstrengungen, die eine Gesellschaft oder eine Gruppe von Menschen – unter bestimmten Bedingungen und mit unterschiedlichen Folgen – einem Menschen auferlegt und abfordert, um sich als »authentisch« und mit sich selbst »identisch« be-zeichnen und behandeln zu können – als ein Selbst, das auch von anderen als ein solches erkannt und anerkannt wird.42

Man selbst zu sein war und ist Arbeit – Arbeit, die nie abgeschlossen und immer weiter vorangetrieben werden kann. Wie jede andere Arbeit war und ist auch diese mannigfach eingebunden in gesellschaftliche Ordnungsver-suche und politische Gestaltungsmaßnahmen – »vor« und »während« nicht grundsätzlich anders als »nach dem Boom«.43 Die Selbstwerdung erweist sich in dieser Sichtweise als niemals vollauf beendet, die Arbeit am Selbst ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern aus genealogischer Perspektive auch eine Zumutung, eine Verpflichtung oder besser noch eine Anrufung.44 In eben diesem Rahmen ist in diesem Band von Subjektivierungspraktiken und Selbsttechnologien beziehungsweise Selbsttechniken oder Subjektkulturen die Rede, innerhalb derer Menschen den sich wandelnden Anforderungen an ein notwendigerweise unabschließbares Selbst nicht nur unterworfen werden, sondern denen sich Menschen vor allem auch selbst und immer wieder neu unterwerfen – nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Bürgertums. Erst indem sich Menschen diese Anforderungen aneignen, sie unterschiedlich reproduzieren und teilweise transformieren, konstituiert sich die moderne Ge-sellschaft – performativ und paradox – als moderne Gesellschaft.45 Dergestalt lassen sich Selbst- und Fremdführung nicht sinnvoll getrennt voneinander behandeln. Insofern es dabei um sehr viel mehr als die Zuschreibung von Ver-antwortlichkeiten geht, eröffnen der Disziplinierungsbegriff und der Normali-

41 | Siehe auch den Beitrag von Andreas Reckwitz in diesem Band. Für die 1960er und

1970er Jahre vgl. ausführlicher Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst.

42 | Zum Begrif f des Selbst siehe nach wie vor Foucault, Technologien des Selbst.

43 | Vgl. beispielsweise Rose, Governing the Soul; Illouz, Die Errettung der modernen

Seele; siehe hierzu etwa auch die Beiträge zum Themenheft »Fordismus« in: Body Poli­

tics 1 (2013).

44 | Zum Begrif f der Anrufung siehe lediglich Louis Althusser, Ideologie und ideologi­

sche Staatsapparate, in: ders., Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur

marxistischen Theorie, Hamburg 1977, S. 108–153; daran anschließend: Butler, Psyche

der Macht.

45 | Vgl. lediglich Stäheli, Poststrukturalistische Soziologien.

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sierungsbegriff ein breiteres Forschungsfeld innerhalb der Sozialwissenschaf-ten im weiteren und innerhalb der Geschichtswissenschaft im engeren Sinne, als es der Privatisierungsbegriff unserem Eindruck nach zu leisten vermag.

Während Disziplinierungsprozesse an relativ klaren Normen und Idealen ausgerichtet sind, verfolgen Normalisierungsprozesse – ein Zentralelement der sich bis heute immer mehr ausweitenden Biopolitik46 – weit stärker ein je spezifisches, situatives Optimum im Vergleich zu statistischen Durch-schnittswerten einschließlich tolerierbaren Abweichungen und modifizierba-ren Erwartungen.47 Zwar kam der bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts all-mählich zunehmenden Normalisierung von Selbstverhältnissen gegen Ende des 20. Jahrhunderts zweifelsfrei eine deutlich höhere Bedeutung zu, doch ist es nach unserem Dafürhalten nach wie vor eine offene Frage, ob Normali-sierungsprozesse – wie mitunter Michel Foucault behauptet hat – Disziplinie-rungsprozesse tatsächlich weitgehend abgelöst haben48 oder inwiefern diese nicht doch gleichzeitig, neben-, mit- oder gegeneinander in unterschiedlichen Sphären des Sozialen in Erscheinung traten und dabei durchaus unterschied-liche Effekte zeitigten. Lässt sich die Zeit um und nach 1968 am ehesten als Niedergang der »Disziplinargesellschaft« beziehungsweise – im Anschluss an Arbeiten von Gilles Deleuze49 – als Durchbruch der »Kontrollgesellschaft« be-greifen? Die Beiträge des vorliegenden Bandes weisen in dieser Frage durchaus in unterschiedliche Richtungen.

46 | Zum Konzept und zur Kritik der Biopolitik vgl. beispielsweise Thomas Lemke, Bio-

politik zur Einführung, Hamburg 2007; siehe nach wie vor auch Michel Foucault, In Ver-

teidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975–1976), Frankfurt

am Main 1999; ders., Wille zum Wissen.

47 | Zur Unterscheidung von Disziplinierungs- und Normalisierungsprozessen siehe un-

ter anderem Foucault, Wille zum Wissen; ders., Überwachen und Strafen.

48 | Siehe zudem Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft; Jürgen Link, Versuch

über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Opladen 1996; vgl. ebenfalls

Peter-Paul Bänziger/Julia Stegmann, Politisierungen und Normalisierung: Sexualitäts-

geschichte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, in: H-Soz-u-Kult, http://

hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010-11-001 (letzter Zugrif f 29.8.2014); Maren

Möhring, Rezension von Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom.

Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, in: sehepunkte, http://

www.sehepunkte.de/2009/05/15518.html (letzter Zugrif f 29.8.2014); siehe auch den

Beitrag von Jens Elberfeld in diesem Band.

49 | Siehe lediglich Gilles Deleuze, Postscriptum über die Kontrollgesellschaften, in:

ders., Unterhandlungen. 1972–1990, Frankfurt am Main 1993, S. 254–262; vgl. auch

Susanne Krasmann, Regieren über Freiheit. Zur Analyse der Kontrollgesellschaft in fou-

caultscher Perspektive, in: Kriminologisches Journal 31 (1999), Heft 2, S. 107–121.

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2. eine überfällige auseinanderseTzung – Themen und KonTroversen

Die Zeitgeschichte des Selbst wird diesen zweifachen Akt der Unterwerfung und das Ineinandergreifen von Selbst- und Fremdführung unserem Eindruck nach nicht angemessen rekonstruieren können, solange sie die reichhaltigen Kontextualisierungsangebote, die zahlreiche Untersuchungen insbesondere zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland eröffnen, wei-terhin vielfach ungenutzt lässt und der Beschäftigung mit ihnen aus dem Weg geht. Diese sehr häufig wechselseitig verweigerte Auseinandersetzung wirkt auch insofern überfällig, als es inzwischen einige wenige Arbeiten gibt, die auf verschiedenen Gebieten fruchtbare Anknüpfungspunkte zwischen einer Ge-sellschaftsgeschichte des deutschsprachigen Raumes und einer Zeitgeschichte des Selbst aufzeigen, so bislang insbesondere auf den Gebieten der Konsum- und der Protestgeschichte.50 Dieser Band versammelt dementsprechend Bei-träge, die nach derartigen Anknüpfungspunkten suchen, und verhandelt diese vor allem im Hinblick auf drei Themen respektive Prozesse, denen in diesem Zusammenhang unserem Eindruck nach besondere Aufmerksamkeit zukom-men sollte: (a) Prozesse der Therapeutisierung, (b) der Politisierung und (c) der Emotionalisierung von Selbstverhältnissen. Um und nach 1968 gewannen diese Prozesse einen niemals zuvor erreichten Grad an gesellschaftlicher Ver-breitung und geschichtlicher Bedeutung.

(a) Mit dem Begriff der Therapeutisierung gerät in einem ersten Schritt einer der Kernbereiche der gegenwärtigen historischen oder soziologischen Forschung zu sich wandelnden Selbstverhältnissen und Subjektivierungs-praktiken in den Blick. Er zielt dabei auf die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland nochmals zunehmende Verschrän-kung eines teilweise neuartigen Wissens über »den« Menschen, vor allem eines psychologischen beziehungsweise psychotherapeutischen Wissens, mit sich entsprechend wandelnden Vorstellungen von »Gesundheit« im engeren und »Glück« im weiteren Sinne.51 Therapeutisierungsprozesse bezogen »Ge-

50 | Siehe zum Beispiel Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft; Siegfried/ Reichardt

(Hg.), Das alternative Milieu; vgl. teilweise auch Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust.

Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, München 2005;

Belinda Davis/Wilfried Mausbach/Martin Klimke/Carla MacDougall (Hg.), Changing the

World, Changing Oneself. Political Protest and Collective Identities in West Germany and

the US in the 1960s, New York 2010. Siehe hierzu mit weiteren Literaturhinweisen auch die

Beiträge von Peter-Paul Bänziger, Massimo Perinelli und Imke Schmincke in diesem Band.

51 | Vgl. insbesondere Stefanie Duttweiler, Sein Glück machen. Arbeit am Glück als

neoliberale Regierungstechnologie, Konstanz 2007; siehe auch Maasen u. a. (Hg.), Das

beratene Selbst.

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sundheit« und »Glück« nicht so sehr auf gesellschaftliche Kontexte oder wider-sprüchliche Interessen, sie machten diese in erster Linie zu einem Problem der »Selbsterkenntnis« und »Selbstentfaltung« und rückten die Arbeit am Selbst nicht nur als prinzipiell unabschließbar, sondern auch als permanent verbes-serungsfähig ins Zentrum des Interesses. Vor diesem Hintergrund erzeugten Therapeutisierungsprozesse einen fortwährenden, ausufernden Handlungs-bedarf.

Recht breit untersucht wurden Therapeutisierungsprozesse bislang vor al-lem im Fall der Sexualitätsgeschichte und anhand der Sexualberatung, nicht erst im Kontext der sogenannten »sexuellen Revolution« zwischen Mitte der 1960er und Anfang der 1970er Jahre und weit darüber hinaus.52 In diesem Zeitraum lassen sich Therapeutisierungsprozesse jedoch bereits in ganz un-terschiedlichen Sphären des Sozialen beobachten, im Angesicht von Erzie-hungsfragen oder familiären Konflikten beispielsweise ebenso wie in Reform-projekten zum Strafvollzug.53 Sie bildeten um und nach 1968 einen immer wichtiger werdenden Teil einer sehr viel umfangreicheren – von Lutz Raphael auf den Begriff gebrachten – »Verwissenschaftlichung des Sozialen«.54

Die Genealogie des Selbst gezielt gesellschaftsgeschichtlichen Fragestellun-gen auszusetzen, heißt in diesem Rahmen, die Untersuchung von Therapeu-tisierungsprozessen aus den zuweilen eher einengenden als weiterführenden Untiefen der Wissenschaftsgeschichte zu lösen, der vielfältigen Zerstreuung und öffentlichen Vermittlung von unterschiedlichen Formen psychologischen beziehungsweise psychotherapeutischen Wissens verstärkt nachzuspüren und dieses genau zu verorten. Gesellschaftlich immer einflussreicher wurde dieses Wissen in den 1960er und 1970er Jahren, als es die Laboratorien und Univer-sitäten verließ und nicht nur von sogenannten Experten, sondern auch von sogenannten Laien massenhaft angeeignet und unterschiedlich abgewandelt wurde. Erst unter diesen Bedingungen wird man rückblickend von einem um-fangreichen und ausufernden Diskurs sprechen können, von einem Wissen,

52 | Siehe ausführlicher nun etwa Bänziger u. a. (Hg.), Sexuelle Revolution?; Wellmann,

Beziehungssex.

53 | Vgl. beispielsweise Jens Elberfeld, »Patient Familie«. Zu Diskurs und Praxis der

Familientherapie (BRD 1960–1990), in: Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst, S. 97–

136; Marcel Streng, »Sozialtherapie ist eine Therapie, die sozial macht«. Therapeu-

tisierungsprozesse im westdeutschen Strafvollzug der langen 1970er Jahre, in: ebd.,

S. 265–290; siehe auch die Beiträge von Jens Elberfeld, Maik Tändler und Myriam

Naumann in diesem Band.

54 | Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und kon-

zeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Ge-

schichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 165–193.

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das die Macht besaß, Selbstverhältnisse zu prägen, teilweise zu initiieren und signifikant zu verändern.55

Auf besondere Aufmerksamkeit stößt dabei gegenwärtig neben der so-genannten Studentenbewegung vor allem das schwer greifbare, rasch aus-ufernde Alternativmilieu der 1970er und 1980er Jahre, innerhalb dessen Therapeutisierungsprozesse in einem bis dato unbekannten Ausmaß aufge-nommen, fortgeführt und in gänzlich unterschiedlichen Sphären des Sozialen handlungsleitend wurden: in Geschlechterverhältnissen ebenso wie in Ernäh-rungsangelegenheiten, in der Gestaltung des gemeinsamen Wohnraums wie auch im Rahmen politischer Protestaktionen, im Sport wie in der Religion.56 Nirgends gewannen Selbstverhältnisse und der Anspruch beziehungsweise Auftrag, »authentisch« und mit sich selbst »identisch« zu sein, um und nach 1968 eine solche Brisanz und eine solche Dynamik wie innerhalb des zahlen-mäßig schwer greifbaren Alternativmilieus; gerade von hier aus schwärmten Therapeutisierungsprozesse und damit zusammenhängende Selbsttechniken – seien es Gesprächsweisen und Entspannungspraktiken oder Erziehungsme-thoden und Urlaubsgewohnheiten – in den 1970er und 1980er Jahren immer weiter in die sogenannte Mehrheitsgesellschaft aus und gewannen eben da-durch sehr bald an historischer Relevanz. An dieser Stelle geht es nicht um In-dividualisierungsprozesse und eine »Entstandardisierung von Lebensläufen«, sondern um neue Standards der Selbst- wie auch der Fremdführung.57 Weder der enorme Bedeutungsgewinn »Holistischer Medizin« oder die kontroverse Auseinandersetzung um den »Neuen Mann« noch die anhaltende Debatte um Gewalt im Alltag oder der dynamische Aufschwung eines Glaubens ohne Kir-

55 | Siehe zum Beispiel Patrick Kury, Der überforderte Mensch. Eine Wissensgeschich-

te vom Stress zum Burnout, Frankfurt am Main 2012; Jens Elberfeld, Unterschichten,

Frauen, Ausländer. Zur Normalisierung von Differenz in Familientherapie und -beratung,

BRD 1960–1990, in: Traverse. Zeitschrif t für Geschichte 18 (2011), Heft 3, S. 105–122;

vgl. auch die Beiträge zum Themenheft »Stress!« in: Zeithistorische Forschungen 11

(2014). Siehe frühzeitig bereits Andrea Bührmann, Das authentische Geschlecht. Die

Sexualitätsdebatte der neuen Frauenbewegung und die Foucaultsche Machtanalyse,

Münster 1995.

56 | Einen breiten Überblick vermitteln insbesondere Reichardt, Authentizität und Ge-

meinschaft; Reichardt/Siegfried (Hg.), Das alternative Milieu; siehe auch Pascal Eitler,

Körper – Kosmos – Kybernetik. Transformationen der Religion im »New Age« (West-

deutschland 1970–1990), in: Zeithistorische Forschungen 4 (2007), Heft 1, S. 116–136.

57 | Siehe beispielsweise Andreas Wirsching, Erwerbsbiographien und Privatheitsfor-

men. Die Entstandardisierung von Lebensläufen, in: Thomas Raithel/Andreas Rödder/

Andreas Wirsching (Hg.), Auf dem Weg in eine neue Moderne? Die Bundesrepublik

Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren, München 2009, S. 83–97. Vgl.

lediglich Eitler, Lebensführung.

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che, weder die Frauenbewegung noch der Umweltschutz lassen sich fernab von Therapeutisierungsprozessen angemessen verstehen.58

(b) Vor diesem Hintergrund lassen sich Therapeutisierungs- und Politisie-rungsprozesse um und nach 1968 oft nicht eindeutig voneinander trennen. Unter dem Begriff der Politisierung wendet sich dieser Band daher in einem zweiten Schritt einem Hauptgegenstand der Gesellschaftsgeschichte des deutschsprachigen Raumes zu, innerhalb der historischen Forschung wird da-bei in der Regel allerdings eher auf den Begriff der Liberalisierung zurückge-griffen.59 Der Politisierungsbegriff eignet sich unserem Eindruck nach jedoch sehr viel besser als dieser, um Prozesse der Selbst- wie auch der Fremdführung adäquat perspektivieren und miteinander verknüpfen zu können, da der Libe-ralisierungsbegriff zumeist – in Übereinstimmung mit dem Individualisie-rungsbegriff und moralisch konnotiert – vermeintlich traditionelle und angeb-lich progressive Verhaltensweisen oder Weltbilder pausenlos gegeneinander ausspielt, oftmals ohne historisch je spezifische Disziplinierungs- oder Nor-malisierungsprozesse angemessen in den Blick zu nehmen, bislang besonders auffällig auf den Gebieten der Sexualitäts- und der Religionsgeschichte.60 Der Liberalisierungsbegriff präfiguriert dabei nicht nur häufig eine simplifizie-rende Erfolgsgeschichte, sondern er antizipiert auch bereits eine folgerichtig stets drohende und nicht minder simplifizierende Verfallsgeschichte – in der Gestalt von vermeintlichen »Auswüchsen« oder mutmaßlichen »Übertreibun-

58 | Siehe etwa Bührmann, Das authentische Geschlecht; Meike Sophia Baader (Hg.),

»Seid realistisch, verlangt das Unmögliche«. Wie 1968 die Pädagogik bewegte, Wein-

heim 2008; Pascal Eitler, Der »Neue Mann« des »New Age«. Emotion und Religion in

der Bundesrepublik Deutschland 1970–1990, in: Manuel Borutta/Nina Verheyen (Hg.),

Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010,

S. 279–304; Jens Elberfeld, Von der Sünde zur Selbstbestimmung. Zum Diskurs »kind-

licher Sexualität« (Bundesrepublik Deutschland 1960–1990), in: Bänziger u. a. (Hg.),

Sexuelle Revolution?, S. 247–284; vgl. ebenfalls die Beiträge zum Themenheft »Gewalt-

verhältnisse« in: Body Politics 1 (2013).

59 | Statt zahlreicher Belege siehe lediglich Ulrich Herbert (Hg.), Wandlungsprozesse

in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945 bis 1980, Göttingen

2002; vgl. spezieller ebenfalls Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberal-

konservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006.

60 | Die beiden großen Kirchen etwa erscheinen demzufolge zumeist – pauschal und

pejorativ – als anti-liberal, anti-individuell oder gar anti-modern. Vgl. ausführlicher etwa

Pascal Eitler, »Gott ist tot – Gott ist rot«. Max Horkheimer und die Politisierung der

Religion um 1968, Frankfurt am Main 2009, S. 310–340.

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gen«. Eine Zeitgeschichte des Selbst sollte jedoch weder einer Erfolgs- noch einer Verfallsgeschichte das Wort reden.61

Es geht uns an dieser Stelle mithin nicht so sehr darum, dass der Liberali-sierungs- ebenso wie der Individualisierungsbegriff innerhalb oder außerhalb der Sozialwissenschaften bereits von vielen Zeitgenossen zur Beobachtung be-ziehungsweise Deutung des gesellschaftlichen Wandels in Anschlag gebracht wurden62 – letztlich ganz ähnlich wie wenig später auch der Disziplinierungs- oder Normalisierungsbegriff. Eine Beobachtungsweise oder eine Deutungs-möglichkeit disqualifizieren sich nicht einfach durch ihre Zeitgenossenschaft beziehungsweise durch ihre Geschichtlichkeit – welche Begriffe blieben der Geschichtswissenschaft unter diesen Bedingungen gerade für die Zeit um und nach 1968?63 Begriffe zur Rekonstruktion und Analyse des gesellschaftlichen Wandels qualifizieren sich aus genealogischer Perspektive vielmehr durch ihr Potenzial, jeden Gegenstand der historischen Forschung nicht nur möglichst vorbehaltlos historisieren (dies vernachlässigt oft der Individualisierungsbe-griff), sondern auch stets kritisch befragen zu können (daran mangelt es meist dem Liberalisierungsbegriff). Dies scheinen uns die von uns zur Diskussion gestellten Begriffe erheblich besser zu gewährleisten.

Eine Genealogie des Selbst wird daher von entsprechenden Untertönen und meist unthematisierten Wertmaßstäben deutlich Abstand nehmen müssen und sich stattdessen den je konkreten Problemen der historischen Akteure widmen, nicht um einem eigenen Urteil auszuweichen, so ein beliebtes und grundsätz-liches Missverständnis, sondern um auch und gerade den vermeintlichen Zuge-winn an sogenannten »Freiheiten« historisch beobachten und kritisch befragen zu können – die eigene »Authentizität« und »Identität«.64 Hierin unterscheidet sich eine Genealogie des Selbst nicht nur von vielen kulturwissenschaftlichen beziehungsweise kulturgeschichtlichen Fragestellungen, die sich dem Begriff der Erfahrung verpflichtet wissen und dabei nicht selten an einem Verständnis

61 | Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass sich mit Blick auf die konkreten Probleme

der historischen Akteure nicht mehr oder weniger begrüßenswerte Entwicklungen und

regelmäßig auch ernsthafte Missstände ausmachen und benennen lassen.

62 | Sehr ausgewogen zum Verhältnis der Zeitgeschichte zu anderen Sozialwissen-

schaften: Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, S. 57–79.

63 | Überzeugend diesbezüglich: Bernhard Dietz/Christopher Neumaier, Vom Nutzen

der Sozialwissenschaften für die Zeitgeschichte, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschich-

te 60 (2012), S. 293–304; überzogen hingegen: Rüdiger Graf/Kim Christian Priemel,

Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer

Disziplin, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), S. 479–508.

64 | Siehe zum Beispiel Bührmann, Das authentische Geschlecht; Magdalena Beljan,

Rosa Zeiten? Eine Geschichte der Subjektivierung männlicher Homosexualität in den

1970er und 1980er Jahren der BRD, Bielefeld 2014.

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vom Menschen festhalten, das einen – gerade historisch sehr problematischen – Dualismus von Individuum und Gesellschaft letztlich fortschreibt.65

Eine Genealogie des Selbst versucht ebenfalls aufzuzeigen, dass und wie »Authentizität« und »Identität« noch stets und engmaschig mit Abgrenzungen und Ausgrenzungen verknüpft waren – auch im Fall von »liberalen« Subjekten und kaum anders als im Fall von »nationalen« Kollektiven.66 Der Begriff der Poli tisierung verweist diesbezüglich auf die gesellschaftliche Umstrittenheit und die breitenwirksame Verbindlichkeit sogenannter »Freiheiten« und sollte mithin nicht als Gegenbegriff zum Begriff der Privatisierung betrachtet werden.

In diesem Zusammenhang gilt es, noch aufmerksamer zu sein für Ambi-valenzen oder besser noch Polyvalenzen, für unterschwellige Inklusions- wie für alltägliche Exklusionsmechanismen, für unvorhergesehene Politisierungs- wie für schleichende Entpolitisierungsprozesse, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Politik der Parteien und der klassischen Figur des engagierten Intellektuellen67 – so etwa mit Blick auf die Rolle von Lesben und Schwulen oder Migrantinnen und Migranten für »alternative« und »subalterne« Politi-sierungsprozesse und Selbsttechniken in den 1960er und 1970er Jahren oder auch im Hinblick auf angeblich vollkommen unpolitische Formen von Musik und Konsum wie im Disco-Boom oder auch im Esoterik-Boom in den 1970er und 1980er Jahren – »nach dem Boom«.68

65 | Zur Kritik an einem Erfahrungsbegrif f, der dementsprechend affirmativ auf »Au-

thentizität« und »Identität« Bezug nimmt, siehe bereits Joan W. Scott, The Evidence of

Experience, in: Critical Inquiry 17 (1991), S. 773–797.

66 | Aus der Nationalismusforschung ist dieser Zusammenhang bereits hinlänglich

bekannt, zum Beispiel im Anschluss an Arbeiten von Benedict Anderson oder Rogers

Brubaker. Aus genealogischer Perspektive wurde dies bislang vor allem auf dem Gebiet

der Geschlechterforschung aufgezeigt; für die Geschlechterforschung diesbezüglich

wegweisend: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991.

67 | Siehe auch die Beiträge von Peter-Paul Bänziger, Imke Schmincke und Julia

Stegmann in diesem Band; vgl. diesbezüglich Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, Hege-

mony and Socialist Strategy. Toward a Radical Democratic Politics, London 1985; zur

Neukonzeption der Politikgeschichte siehe etwa Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.),

Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt am

Main 2005; Willibald Steinmetz/Ingrid Gilcher- Holtey/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Writ-

ing Political History Today, Frankfurt am Main 2013.

68 | Siehe auch die Beiträge von Alexa Geisthövel und Massimo Perinelli in diesem

Band. Vgl. darüber hinaus etwa Alexa Geisthövel/Bodo Mrozek (Hg.), Popgeschichte,

2 Bde., Bielefeld 2014; Beljan, Rosa Zeiten?; Pascal Eitler, »Alternative« Religion. Sub-

jektivierungspraktiken und Politisierungsstrategien im »New Age« (Westdeutschland

1970–1990), in: Reichardt/Siegfried (Hg.), Das alternative Milieu, S. 335–352; Manuela

Bojadžijev/Massimo Perinelli, Die Herausforderung der Migration. Migrantische Le-

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Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass sich die Jahre nach dem sogenannten Strukturbruch lediglich teilweise als »resigniert« oder »pessimis-tisch« begreifen lassen. Verknüpft man die Frage nach sich in diesem Zeit-raum markant wandelnden Formen und Foren der Politik beziehungsweise des Politischen mit der Frage nach sich parallel ebenfalls stark verändernden Selbstverhältnissen und Subjektivierungspraktiken, so wird man um und ge-rade auch nach 1968 nur schwerlich von einem insgesamt vorherrschenden »Ende der Zuversicht« (Konrad Jarausch) sprechen können.69 Anstatt einem »roten« Jahrzehnt zwischen Mitte der 1960er und Mitte der 1970er Jahre ein »schwarzes« Jahrzehnt zwischen Mitte der 1970er und Ende der 1980er Jahre gegenüberzustellen70 oder einem scheinbar alles verändernden Strukturbruch gegen Mitte der 1970er Jahre nachzuspüren, gilt es unserem Eindruck nach, sowohl kleinere Verschiebungen und zahlreichere Brüche als auch mittelfris-tige Konjunkturen und gemeinsame Signaturen der zweieinhalb Jahrzehnte zwischen Mitte der 1960er und Ende der 1980er Jahre eingehender zu un-tersuchen und das Periodisierungsangebot einer Zeit »nach dem Boom« aus genealogischer Perspektive neuartig zu diskutieren. In diesem Sinne sprechen wir von einer Zeit um und nach 1968. Innerhalb dieses Periodisierungsan-gebots dient das Jahr 1968 dabei im Anschluss an Eric Hobsbawm weder als »Anfang« noch als »Ende«, sondern als »Signal«.71

(c) Im Vergleich zu den beiden bislang genannten Prozessen stoßen Emo-tionalisierungsprozesse im deutschsprachigen Raum bisher sehr viel seltener auf ernsthaftes Interesse in der historischen Forschung, so vor allem im Kon-text der Angst vor einem – vermeintlich oder tatsächlich – drohenden Dritten Weltkrieg oder einer – schließlich eingetretenen – Kernschmelze.72 In einem

benswelten in der Bundesrepublik in den siebziger Jahren, in: ebd., S. 131–145; Detlef

Siegfried, Die Entpolitisierung des Privaten. Subjektkonstruktionen im alternativen

Milieu, in: Frei/Süß (Hg.), Privatisierung, S. 124–139.

69 | Vgl. neben Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, vor allem Konrad H.

Jarausch (Hg.), Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen

2008; siehe auch die Beiträge zum Jahrbuchthema »Wandel des Politischen« in: Archiv

für Sozialgeschichte 52 (2012).

70 | Siehe insbesondere Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine Kulturrevo-

lution 1967–1977, Köln 2001; Massimiliano Livi/Daniel Schmidt/Michael Sturm (Hg.),

Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen

christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt am Main 2010.

71 | Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts,

Wien 1995, S. 361.

72 | Vgl. insbesondere Frank Biess, Die Sensibilisierung des Subjekts. Angst und

»neue Subjektivität« in den 1970er Jahren, in: Werkstatt Geschichte 17 (2008), Heft

49, S. 51–72; Axel Schildt, »German Angst«. Überlegungen zur Mentalitätsgeschichte

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dritten Schritt versucht dieser Band zu verdeutlichen, dass Selbsttechniken in-nerhalb von Emotionalisierungsprozessen jedoch keineswegs umstandslos in Therapeutisierungs- oder aber Politisierungsprozessen aufgehen.73 Vielmehr konnten sie diese um und nach 1968 sowohl begleiten als auch verschleppen, befördern oder unterlaufen. Gefühle konnten innerhalb von Politisierungspro-zessen gezielt eingebunden oder ausdrücklich ausgeschlossen werden.74 Emo-tionalität konnte innerhalb von Therapeutisierungsprozessen sowohl als das angebliche Gegenteil als auch als das vermeintliche Ergebnis von Rationalität begrüßt oder aber verabschiedet, das eine Mal als Erkenntnisgegenstand, das andere Mal als Erkenntnismittel gesetzt werden.75 Der bewusste, nahezu pau-senlose Umgang mit den eigenen Gefühlen entwickelte sich nicht erst, aber seit Mitte der 1960er Jahre mehr denn je zu einem immer wichtiger werdenden, öffentlich lautstark beworbenen Aufgabengebiet – Ereignis und Ergebnis – der »Selbstfindung« und »Selbstverwirklichung«, innerhalb der Partnerschaft oder während des Kreativseminars, in Beziehung zu Drogen oder im Zeichen von Yoga, am Arbeitsplatz kaum weniger als während der Schwangerschaft, nicht allein innerhalb des Alternativmilieus, sondern zunehmend auch innerhalb der sogenannten Mehrheitsgesellschaft.76 Da man sich seiner eigenen – seiner

der Bundesrepublik, in: Daniela Münkel/Jutta Schwarzkopf (Hg.), Geschichte als Ex-

periment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt

am Main 2004, S. 87–97; Bernd Greiner/Christian Müller/Dierk Walter (Hg.), Angst im

Kalten Krieg, Hamburg 2009.

73 | Einen breiteren Überblick zur Emotionsgeschichte geben Ute Frevert, Emotions in

History. Lost and Found, Budapest 2011; Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundla-

gen der Emotionsgeschichte, München 2012.

74 | Siehe etwa José Brunner (Hg.), Politische Leidenschaften. Zur Verknüpfung von

Macht, Emotion und Vernunft in Deutschland, Göttingen 2010; vgl. auch die Beiträge

zum Themenheft »Emotions in Protest Movements in Europe since 1917« in: Contem-

porary European History 23 (2014); streckenweise geradezu ärgerlich hingegen: Luc

Ciompi/Elke Endert, Gefühle machen Geschichte. Die Wirkung kollektiver Emotionen

– von Hitler bis Obama, Göttingen 2011.

75 | Vgl. lediglich Illouz, Die Errettung der modernen Seele.

76 | Siehe etwa auch Benno Gammerl, Schwule Gefühle? Homosexualität und emotio-

nale Männlichkeiten zwischen 1960 und 1990 in Westdeutschland, in: Borutta/Verheyen

(Hg.), Die Präsenz der Gefühle, S. 255–278; Peter-Paul Bänziger, Liebe tun. Arbeiten an

einer Emotion am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie 17 (2009),

Heft 1, S. 1–16; Duttweiler, Sein Glück machen; Eitler, Der »Neue Mann«; vgl. frühzeitig

bereits: Jakob Tanner, »The Times They Are A-Changin«. Zur subkulturellen Dynamik der

68er Bewegungen, in: Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), 1968. Vom Ereignis zum Gegenstand

der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998, S. 207–223. Siehe auch die Beiträge von

Sabine Donauer, Florian Schleking, Annika Wellmann und Meike Wolf in diesem Band.

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»wahren« und »tiefen« – Gefühle jedoch niemals ganz sicher sein könne, pro-duzierte dieses Aufgabengebiet einen permanenten Handlungsbedarf. Immer mannigfaltiger und massenhafter wurden Gefühle in diesem Rahmen auch zu einem Gegenstand der – professionellen, kommerziellen – Beratung.77

Erkennbar wird diesbezüglich aber ebenfalls, dass sich wandelnde Selbst-verhältnisse um und nach 1968 nicht unbesehen, ausschließlich oder vorran-gig auf eine sogenannte Ökonomisierung des Sozialen zurückgeführt werden sollten. Auch in diesem Fall behindert ein inzwischen weitverbreitetes master narrative die historische Forschung mittelfristig wohl möglich mehr als es diese kurzfristig befördert. Emotionen sind keineswegs an sich etwas »Priva-tes«, ebenso wenig wie sie an sich etwas »Individuelles« sind; und sie zielen keineswegs immer auf den ständig wieder neu zu taxierenden und zu optimie-renden Marktwert eines Menschen, sondern können stattdessen ebenfalls und gleichrangig die langfristig verfolgte »Suche« nach der »eigenen« sogenann-ten »Mitte« in das Fadenkreuz entsprechender Selbsttechniken rücken. In den 1970er und 1980er Jahren folgte diese »Suche« tendenziell eher religiösen als ökonomischen Logiken und Traditionen. Auch an diesem Punkt hat sich die historische Forschung bislang zu einseitig mit Amerikanisierungs- und zu sel-ten mit – bereits gegen Mitte der 1960er Jahre stark zunehmenden – Orienta-lisierungsprozessen auseinandergesetzt.78

Anstatt Gefühle pauschal als einen perfiden Agenten des Neoliberalismus zu verdächtigen oder aber umgekehrt als einen letzten Hort der Widerständig-keit zu hypostasieren, sollte deren Bedeutung zunächst detailliert erschlossen und sodann umsichtig kontextualisiert werden. Die Zeitgeschichte des Selbst bedarf folglich einer Zeitgeschichte der Gefühle. In diesem Rahmen geraten Gefühle als in unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedlich in Er-scheinung tretende, nicht allein psychisch, sondern insbesondere physisch zu erlernende und einzuübende Selbsttechniken in den Fokus. Offensichtlicher noch als Therapeutisierungs- und Politisierungsprozesse lenken Emotionali-

77 | Einen guten, aber älteren Überblick zur Forschung über Beratung gibt Rainer

Schützeichel/Thomas Brüsemeister (Hg.), Die beratene Gesellschaft. Zur gesellschaft-

lichen Bedeutung von Beratung, Wiesbaden 2004. Für die 1970er und 1980er Jahre

siehe vor allem Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst; Peter-Paul Bänziger/Annika

Wellmann, Problemgeschichten. Zur Struktur und Genealogie massenmedialer Bera-

tungskommunikation im späten zwanzigsten Jahrhundert, in: Psychotherapie und So-

zialwissenschaft 13 (2011), Heft 1, S. 99–118; vgl. auch die Beiträge zum Themenheft

»Rat holen, Rat geben« in: Traverse. Zeitschrif t für Geschichte 17 (2011).

78 | Vgl. lediglich Pascal Eitler, »Selbstheilung«. Zur Somatisierung und Sakralisierung

von Selbstverhältnissen im New Age (Westdeutschland 1970–1990), in: Maasen u. a.

(Hg.), Das beratene Selbst, S. 161–181.

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sierungsprozesse dabei die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft auch auf Selbsttechniken als Körpertechniken.79

Die Zeitgeschichte des Selbst hat sich bislang zu einseitig mit Kommunika-tionsprozessen, Gesprächsmodellen und Geständnispraktiken beschäftigt80 und dabei den Körper und die Rolle von Körpertechniken innerhalb sich wandeln-der Selbstverhältnisse oftmals zu Unrecht vernachlässigt81 – während diese im Fall des 19. oder in Hinsicht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stets sehr ausführlich und überaus gewinnbringend untersucht und kritisch diskutiert wurden.82 Schließlich trat der Körper um und nach 1968 auch im Rahmen von Therapeutisierungs- und Politisierungsprozessen sehr häufig und sehr deutlich in das Zentrum des Interesses – nicht nur die Psyche, sondern auch die Physis, sowohl auf der Ebene der Selbst- als auch auf der Ebene der Fremdführung. Oftmals war es gerade die zunehmend unklarer werdende Unterscheidung von Psyche und Physis oder Rationalität und Emotionalität, die weitgehend neuartige Subjektivierungspraktiken einleitete und begleitete, sei es im Fall einer Tanz-therapie oder einer Paarmassage, einer »befriedigenden«, »befreiten« Sexualität oder einer »exotischen«, »spirituellen« Atemübung, mit Blick auf Gewaltaus-übung in Erziehungsfragen oder im Zusammenhang eines Hungerstreiks.83 Die Zeitgeschichte des Selbst verweist mithin auf eine Zeitgeschichte des Körpers. Die historische Forschung zur durchaus sehr unterschiedlichen Somatisierung

79 | Vgl. insbesondere Pascal Eitler/Monique Scheer, Emotionengeschichte als Kör-

pergeschichte. Eine heuristische Perspektive auf religiöse Konversionen im 19. und 20.

Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 282–313; siehe auch die

Beiträge von Florian Schleking und Tobias Dietrich in diesem Band.

80 | Siehe etwa Illouz, Die Errettung der modernen Seele; Traue, Das Subjekt der Bera-

tung; Nina Verheyen, Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des »besseren Arguments«

in Westdeutschland, Göttingen 2010; Hannelore Bublitz, Im Beichtstuhl der Medien. Die

Produktion des Selbst im öffentlichen Bekenntnis, Bielefeld 2010; Bänziger u. a. (Hg.),

Fragen Sie Dr. Sex!; vgl. teilweise ebenfalls Maasen u. a. (Hg.), Das beratene Selbst.

81 | Als ein weitläufiges, lohnendes Forschungsfeld erscheint der Körper ebenfalls in

Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, S. 110–113, allerdings geht es Anselm

Doering-Manteuffel und Lutz Raphael im Rahmen des Individualisierungs- und Libera-

lisierungsbegrif fs eher um eine teilweise moralisch konnotierte »Manipulierbarkeit des

Körpers«, der Begrif f der Körpertechniken zielt hingegen – im Anschluss an Marcel

Mauss und Michel Foucault – auf die schlicht notwendige, sehr vielfältige, aber doch

stets unabgeschlossene Produktion und Produktivität des Körpers beziehungsweise von

Körpern. Siehe zum Beispiel Netzwerk Körper (Hg.), What Can a Body Do? Praktiken

und Figurationen des Körpers in den Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2012.

82 | Siehe zum Beispiel Sarasin, Reizbare Maschinen; Maren Möhring, Marmorleiber.

Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890–1930), Köln 2004.

83 | Siehe etwa den Beitrag von Marcel Streng in diesem Band.

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von Selbstverhältnissen um und nach 1968 steht insgesamt jedoch noch weitge-hend am Anfang.

Auch in diesem Rahmen versucht der vorliegende Band, erkenntnisförder-liche Kontroversen zu befördern und für eine wechselseitige Auseinanderset-zung zu werben – zwischen der Zeitgeschichte des Selbst und gesellschaftsge-schichtlichen Fragestellungen im weiteren Sinne.

***

Der vorliegende Band geht auf einen vom Arbeitskreis für Körpergeschichte initiierten, interdisziplinären Workshop zurück, der bereits 2010 mit finan-zieller Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung und der Bielefeld Graduate School in History and Sociology an der Universität Bielefeld stattfand. Auch die Drucklegung erfolgte mit finanzieller Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung und mit organisatorischer Hilfe durch den von Ute Frevert geleiteten Forschungsbereich »Geschichte der Gefühle« und die Technischen Dienste am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, allen voran durch Marianne Hauser, Erna Schiwietz und Alisa Warnecke. Anke Poppen vom ranscript Verlag schließlich hat die Veröffentlichung des Bandes umsichtig

begleitet. Für diese reichhaltige Unterstützung bedanken wir uns sehr. Vor al-lem aber danken wir den Mitgliedern des Arbeitskreises für Körpergeschichte und den Autorinnen und Autoren dieses Bandes – für die kollegiale Zusam-menarbeit und die enorme Geduld!

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