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218 Konzertsaal in Raiding 2009 ¥ 3 Konzept Fotos: Müller-BBM, Ulrich Schwarz »Wem der Saal nicht gefällt, der will einen Barocksaal...« “Anyone who doesn’t like this hall must want a Baroque auditorium.” Walter Reicher Detail: Beim neuen Liszt-Zentrum spielten Sie eine besondere Rolle: Sie waren Bauherr, Geschäftsführer und Intendant in einer Per- son. Wie kam es zu dieser Konstellation? Walter Reicher: Ausgangspunkt war der Wunsch der Franz-Liszt-Gesellschaft, im Ge- burtsort des Komponisten ein Konzerthaus in Auftrag zu geben. Als Leiter der Haydn- Festspiele in Eisenstadt bringe ich Erfahrung sowohl als Intendant und Geschäftsführer im Konzertbereich als auch als Jurymitglied in- ternationaler Wettbewerbe mit, deshalb hat man mich gefragt, ob ich die Bauaufgabe in Raiding unterstützen kann. Detail: Was waren Ihre ersten Überlegungen? Walter Reicher: Das neue Gebäude sollte ei- nen unmittelbaren Bezug zum Geburtshaus haben, daher sicherte sich die Gemeinde zunächst die zwei Nachbargrundstücke, die beide bebaut waren. Nach dem Kauf wurde eines der Häuser abgerissen, um Platz für den Neubau zu schaffen, das andere ist derzeit noch bewohnt. Die Mittel und der Raum waren also beschränkt. Daher muss- ten wir im Vorfeld genau überlegen, wie groß ein solcher Konzertsaal sein muss. Mein Ziel war, einen perfekten Kammermu- siksaals für Franz Liszt und seine Musik zu schaffen. Die unterste Grenze, um auf die- sem Feld international mithalten zu können, sind 500 Plätze. In dieser Größenordnung sind Orchester mit bis zu 50 Musikern mög- lich. Größere Konzerte mit 80 Musikern und mehr, wie sie z. B. für die Faust-Symphonie nötig sind, müssen in großen Konzerthäu- sern aufgeführt werden. Für einen exzel- lenten Kammermusiksaal muss natürlich die Akustik hervorragend sein, daher wollten wir von Anfang an die international renommierte Firma Müller-BBM als Berater dabei haben. Detail: Waren die Berater von Müller-BBM schon vor dem Wettbewerb beteiligt? Walter Reicher: Ja, denn es ist sinnvoll, die Saalproportionen, das Raumvolumen pro Person und andere Dinge schon im Wettbe- werb vorzugeben. Müller-BBM haben später die eingereichten Entwürfe auf ihre Taug- lichkeit hinsichtlich der Akustik geprüft. Bei dem internationalen Wettbewerb gingen um die 150 Arbeiten ein – viel mehr als wir ge- dacht hatten. Die Jury bestand aus Archi- tekten, Technikern, Landesgemeindemitglie- dern und mir selbst. Innerhalb von drei Ta- gen wählten wir eine Handvoll Entwürfe aus. Die Einigung war einfach und einstimmig. Die Architekten der ersten drei Plätze haben wir dann nach Raiding eingeladen, sie be- fragt und offen diskutiert, was realisierbar ist. Die Wahl fiel schließlich auf den Entwurf von Kempe Thill, der künstlerische Aspekte mit pragmatischen vereint. Die Zusammen- arbeit verlief hervorragend. Natürlich gibt es immer Verbesserungsmöglichkeiten; in die- sem Fall stand den Architekten nur ihre Ju- gend im Weg, wenn es galt Entscheidungen durchzusetzen oder um Preise zu feilschen, da hätte ein »alter Hase« noch etwas mehr herausholen können. Detail: Sind Sie zufrieden mit dem Resultat? Walter Reicher: Ich finde, das Gebäude passt gut nach Raiding. Es gab zwar einige Kritik, aber wem der Saal nicht gefällt, der will im Grunde einen Barocksaal. Alle anderen sind begeistert, besonders von der Akustik. Wegen der relativ geringen Fläche sind die Nebenräume zwangsläufig beschränkt. Aber wenn das zweite Gebäude auf dem Neben- grundstück wegfällt, können dort ein Archiv, Büros oder andere Ausweichzonen entste- hen. Mit dem Entwurf der Architekten waren wir sehr zufrieden und haben nur Kleinig- keiten geändert. Sie haben sich zum Beispiel eher wenig Gedanken zum Transport der Instrumente, der Unterbringung von Stühlen oder der Platzierung von Lagerräumen ge- macht. Nur mit der Lichtsituation bin ich wirk- lich unzufrieden, das hätte man im ganzen Gebäude anders lösen müssen. Auf der Büh- ne entstehen Lichtbögen, und das Licht ist nicht dort, wo man es braucht. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass man sich Beratung von jemanden geholt hat, der auf Opern spezialisiert ist und nicht auf Konzerte. Auch die Tontechnik ist in Bezug auf Effekti- vität und Flexibilität nicht optimal gelöst, aber für den eigentlichen Zweck – Life-Konzerte unplugged – ist der Saal perfekt. Detail: Waren denn für den Konzertsaal neben Kammerkonzerten auch andere Nutzungen vorgesehen? Walter Reicher: Die Gemeinde hatte sich auch Empfänge, Bälle und Konzerte anderer Musikarten wie Volksmusik vorgestellt. Für den Ganzjahresbetrieb verpachtet die Franz-Liszt-Gesellschaft den Saal an die burgenländischen Kulturzentren, die dort z .B. Kindertheater aufführen. Allerdings ist der Saal nicht für Veranstaltungen wie Bälle oder Theater konzipiert, die optimalen Be- dingungen von Ton, Licht und Raum sind je- weils unterschiedlich; zudem nutzt der Raum sich ab, ohne dass es sich finanziell lohnt. Ausnahmen sind Konferenzen und natürlich Tonaufnahmen, dafür ist der Saal hervorra- gend geeignet, und die Leute zahlen gut da- für. Ich finde Fremdnutzung in Ausnahmefäl- len in Ordnung; die Staatsoper in Wien ver- anstaltet ja auch einmal im Jahr einen Ball. Detail: Wie hoch war das Budget? Walter Reicher: So ein Gebäude kann man so günstig nirgends mehr bauen. Zu Anfang waren 3,5 Millionen Euro als Subvention vor- handen, die EU hat das Projekt gefördert und Landesmittel kamen hinzu. Alles in allem hat es 6,5 Millionen gekostet, und zwar »tutti completti« bis hin zum Klavier und den Parkplätzen. Das ist gar nichts: Schon allein das Grundstück, der Abriss und die Versorgungsleitungen kosteten eine Menge Geld, bevor der Bau überhaupt be- gonnen werden konnte. Detail: Nach fünf Jahren haben Sie dieses Jahr Ihre Intendanz in Raiding abgegeben... Walter Reicher: Die Dauer war von Anfang an begrenzt, ich bin ja nach wie vor Inten- dant der Haydn-Festspiele. Als ich damals um Hilfe gebeten wurde, dachte ich: Wenn ich den Bau schon unterstütze, dann möch- te ich auch die ersten Jahre dort arbeiten. Ich habe die Intendanz für fünf Jahre zuge- sagt, damit die anderen Beteiligten nicht mit dem Resultat »verrecken«, wie man hier in Österreich so schön sagt. Schließlich habe ich sehr viel Herzblut hineingelegt, damit al- les auch wirklich perfekt funktioniert. Walter Reicher studierte Handels- und Theaterwissenschaften sowie Kulturmanagement in Wien. Er ist künstlerischer und kaufmännischer Leiter des Vereins Burgenländische Haydn Festspiele in Eisenstadt. Von 2003 bis 2008 war er Intendant und Geschäftsführer der Franz-Liszt-Ge- sellschaft Burgenland. Walter Reicher studied commercial and theatrical sciences, and cultural management in Vienna. He is artistic and business director of the Society for Burgenland Haydn Festivals in Eisenstadt. From 2003 to 2008 he was director and chief executive of the Franz Liszt Society, Burgenland.

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218 Konzertsaal in Raiding 2009 ¥ 3 Konzept ∂

Fotos:Müller-BBM, Ulrich Schwarz

»Wem der Saal nicht gefällt, der will einen Barocksaal...«

“Anyone who doesn’t like this hall must want a Baroque auditorium.”

Walter Reicher

Detail: Beim neuen Liszt-Zentrum spielten Sie eine besondere Rolle: Sie waren Bauherr, Geschäftsführer und Intendant in einer Per-son. Wie kam es zu dieser Konstellation? Walter Reicher: Ausgangspunkt war der Wunsch der Franz-Liszt-Gesellschaft, im Ge-burtsort des Komponisten ein Konzerthaus in Auftrag zu geben. Als Leiter der Haydn-Festspiele in Eisenstadt bringe ich Erfahrung sowohl als Intendant und Geschäftsführer im Konzertbereich als auch als Jurymitglied in-ternationaler Wettbewerbe mit, deshalb hat man mich gefragt, ob ich die Bauaufgabe in Raiding unterstützen kann.

Detail: Was waren Ihre ersten Überlegungen?Walter Reicher: Das neue Gebäude sollte ei-nen unmittelbaren Bezug zum Geburtshaus haben, daher sicherte sich die Gemeinde zunächst die zwei Nachbargrundstücke, die beide bebaut waren. Nach dem Kauf wurde eines der Häuser abgerissen, um Platz für den Neubau zu schaffen, das andere ist derzeit noch bewohnt. Die Mittel und der Raum waren also beschränkt. Daher muss-ten wir im Vorfeld genau überlegen, wie groß ein solcher Konzertsaal sein muss. Mein Ziel war, einen perfekten Kammermu-siksaals für Franz Liszt und seine Musik zu schaffen. Die unterste Grenze, um auf die-sem Feld international mithalten zu können, sind 500 Plätze. In dieser Größenordnung sind Orchester mit bis zu 50 Musikern mög-lich. Größere Konzerte mit 80 Musikern und mehr, wie sie z. B. für die Faust-Symphonie nötig sind, müssen in großen Konzerthäu-sern aufgeführt werden. Für einen exzel-lenten Kammermusiksaal muss natürlich die Akustik hervorragend sein, daher wollten wir von Anfang an die international renommierte Firma Müller-BBM als Berater dabei haben.

Detail: Waren die Berater von Müller-BBM schon vor dem Wettbewerb beteiligt? Walter Reicher: Ja, denn es ist sinnvoll, die Saalproportionen, das Raumvolumen pro Person und andere Dinge schon im Wettbe-werb vorzugeben. Müller-BBM haben später die eingereichten Entwürfe auf ihre Taug-lichkeit hinsichtlich der Akustik geprüft. Bei

dem internationalen Wettbewerb gingen um die 150 Arbeiten ein – viel mehr als wir ge-dacht hatten. Die Jury bestand aus Archi-tekten, Technikern, Landesgemeindemitglie-dern und mir selbst. Innerhalb von drei Ta-gen wählten wir eine Handvoll Entwürfe aus. Die Einigung war einfach und einstimmig. Die Architekten der ersten drei Plätze haben wir dann nach Raiding eingeladen, sie be-fragt und offen diskutiert, was realisierbar ist. Die Wahl fiel schließlich auf den Entwurf von Kempe Thill, der künstlerische Aspekte mit pragmatischen vereint. Die Zusammen-arbeit verlief hervorragend. Natürlich gibt es immer Verbesserungsmöglichkeiten; in die-sem Fall stand den Architekten nur ihre Ju-gend im Weg, wenn es galt Entscheidungen durchzusetzen oder um Preise zu feilschen, da hätte ein »alter Hase« noch etwas mehr herausholen können.

Detail: Sind Sie zufrieden mit dem Resultat? Walter Reicher: Ich finde, das Gebäude passt gut nach Raiding. Es gab zwar einige Kritik, aber wem der Saal nicht gefällt, der will im Grunde einen Barocksaal. Alle anderen sind begeistert, besonders von der Akustik. Wegen der relativ geringen Fläche sind die Nebenräume zwangsläufig beschränkt. Aber wenn das zweite Gebäude auf dem Neben-grundstück wegfällt, können dort ein Archiv, Büros oder andere Ausweichzonen entste-hen. Mit dem Entwurf der Architekten waren wir sehr zufrieden und haben nur Kleinig-keiten geändert. Sie haben sich zum Beispiel eher wenig Gedanken zum Transport der Instrumente, der Unterbringung von Stühlen oder der Platzierung von Lagerräumen ge-macht. Nur mit der Lichtsituation bin ich wirk-lich unzufrieden, das hätte man im ganzen Gebäude anders lösen müssen. Auf der Büh-ne entstehen Lichtbögen, und das Licht ist nicht dort, wo man es braucht. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass man sich Beratung von jemanden geholt hat, der auf Opern spezialisiert ist und nicht auf Konzerte. Auch die Tontechnik ist in Bezug auf Effekti-vität und Flexibilität nicht optimal gelöst, aber für den eigentlichen Zweck – Life-Konzerte unplugged – ist der Saal perfekt.

Detail: Waren denn für den Konzertsaal neben Kammerkonzerten auch andere Nutzungen vorgesehen? Walter Reicher: Die Gemeinde hatte sich auch Empfänge, Bälle und Konzerte anderer Musikarten wie Volksmusik vorgestellt. Für den Ganzjahresbetrieb verpachtet die Franz-Liszt-Gesellschaft den Saal an die burgenländischen Kulturzentren, die dort z .B. Kindertheater aufführen. Allerdings ist der Saal nicht für Veranstaltungen wie Bälle oder Theater konzipiert, die optimalen Be-dingungen von Ton, Licht und Raum sind je-weils unterschiedlich; zudem nutzt der Raum sich ab, ohne dass es sich finanziell lohnt. Ausnahmen sind Konferenzen und natürlich Tonaufnahmen, dafür ist der Saal hervorra-gend geeignet, und die Leute zahlen gut da-für. Ich finde Fremdnutzung in Ausnahmefäl-len in Ordnung; die Staatsoper in Wien ver-anstaltet ja auch einmal im Jahr einen Ball.

Detail: Wie hoch war das Budget? Walter Reicher: So ein Gebäude kann man so günstig nirgends mehr bauen. Zu Anfang waren 3,5 Millionen Euro als Subvention vor-handen, die EU hat das Projekt gefördert und Landesmittel kamen hinzu. Alles in allem hat es 6,5 Millionen gekostet, und zwar »tutti completti« bis hin zum Klavier und den Parkplätzen. Das ist gar nichts: Schon allein das Grundstück, der Abriss und die Versorgungsleitungen kosteten eine Menge Geld, bevor der Bau überhaupt be-gonnen werden konnte.

Detail: Nach fünf Jahren haben Sie dieses Jahr Ihre Intendanz in Raiding abgegeben... Walter Reicher: Die Dauer war von Anfang an begrenzt, ich bin ja nach wie vor Inten-dant der Haydn-Festspiele. Als ich damals um Hilfe gebeten wurde, dachte ich: Wenn ich den Bau schon unterstütze, dann möch-te ich auch die ersten Jahre dort arbeiten. Ich habe die Intendanz für fünf Jahre zuge-sagt, damit die anderen Beteiligten nicht mit dem Resultat »verrecken«, wie man hier in Österreich so schön sagt. Schließlich habe ich sehr viel Herzblut hineingelegt, damit al-les auch wirklich perfekt funktioniert.

Walter Reicher studierte Handels- und Theaterwissenschaften sowie Kulturmanagement in Wien. Er ist künstlerischer und kaufmännischer Leiter des Vereins Burgenländische Haydn Festspiele in Eisenstadt. Von 2003 bis 2008 war er Intendant und Geschäftsführer der Franz-Liszt-Ge-sellschaft Burgenland.

Walter Reicher studied commercial and theatrical sciences, and cultural management in Vienna. He is artistic and business director of the Society for Burgenland Haydn Festivals in Eisenstadt. From 2003 to 2008 he was director and chief executive of the Franz Liszt Society, Burgenland.

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∂ Konzept 2009 ¥ 3 Prozess 219

Lageplan Maßstab 1:5000 Site plan scale 1:5000

Detail: You played a special role in the im-plementation of the new Liszt Centre. Walter Reicher: It was the wish of the Franz Liszt Society to commission a concert hall in the composer’s birthplace. As the person in charge of the Haydn Festival in Eisenstadt, I have a lot of experience – as director in the concert sector, as manager, and with interna-tional competitions. I was therefore asked whether I could support the development in Raiding. My aim was to create a perfect chamber-music auditorium for the works of Franz Liszt. To compete internationally in this field one needs a hall for an audience of at least 500 people, and it must have excellent acoustics. That was why we wanted Müller-

BBM as consultants. Roughly 150 entries were received in the international competition. The choice ultimately fell on the design by Kempe Thill. Initially, subsidies of €3.5 million were available. The scheme was sponsored by the EU, and regional funds were also put up. All in all, the building cost €6.5 million – down to the piano and parking spaces – which is nothing at all these days. I think any-one who doesn’t like this hall must really want a Baroque auditorium. People are delighted with it, especially with the acoustics. The one aspect with which I’m not really satisfied, though, is the lighting. The Franz Liszt Society leases the auditorium for year-round operations to centres for the

arts and culture in Burgenland, Austria, which mount children’s theatre and other events there. The hall is not conceived for balls or theatre proper, however, since the ideal sound, lighting and spatial conditions differ in each case, and the space would be subject to such wear and tear that it wouldn’t be worth-while financially. The two main exceptions are conferences and sound recordings. My term of office was fixed from the very be-ginning. When I was asked to lend a hand, I agreed to accept the directorship for five years so that others wouldn’t have to take the consequences for what I’d done. I put my whole heart into this, after all, to make sure everything would really work perfectly.

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Außen Kunststoff, innen Holz –der Entwurf der Architekten

Synthetics Externally, Wood Internally –the Architects’ Design

Sabine Drey

RandlageWo in aller Welt liegt Raiding? Die Frage stellt sich sicher jedem, der das neue Konzert-haus besuchen möchte. Der 800 Seelen-Ort im Burgenland gehörte bis 1920 zu Ungarn. Das Geburtshaus des Komponisten Franz Liszt, der dort 1811 auf die Welt kam, diente bereits vor dem Bau des Konzerthauses als kleines Museum. Der berühmte Musiker und seine Musik, so die Hoffnung der Franz- Liszt-Gesellschaft, soll in den kommenden Jahren neue kulturelle Impulse in das struk-turschwache Burgenland bringen. Daher lag der Gedanke nahe, für das Franz-Liszt-Fes-tival, das seit 2006 zweimal jährlich stattfin-det, einen Konzertsaal einzurichten.

Beengte Weite Trotz der weiträumigen ländlichen Umge-bung steht der Konzertsaal recht beengt auf dem winzigen Grundstück inmitten von Ein-familienhäusern. Der Grund, den Neubau nicht einfach an den Ortsrand zu stellen, war der möglichst enge räumliche Bezug zum Geburtshaus. Der Park, der dieses umgibt, erwies sich aber als zu klein; ein Nachbar-gebäude musste weichen. Der neue Saal konnte nur in der Mitte des Parks platziert werden und ist nun von zwei Seiten aus zu-gänglich: vom neuen Parkplatz dahinter und vom Ortszentrum aus. Trotz seiner Größe ist der Bau fast unsichtbar hinter Bäumen und Mauern, die den Park umgeben, versteckt. »Wir hatten überhaupt keinen Spielraum«, so die Projekt architektin Saskia Hermanek, »wir haben die zu gering bemessenen La-

gerflächen im Keller erweitert, da sonst kein Platz war«. Auch nach oben blieb wenig Spiel, die erlaubte Traufhöhe ist bis auf das Letzte ausgereizt: Aus dem acht Meter ho-hen umlaufenden Foyer durfte der Saal noch rund vier Meter zurückversetzt heraus-ragen. Wegen des großen Volumens im Ver-gleich zur kleinteiligen Bebauung Raidings schlugen die Architekten über das Erschei-nungsbild eine Brücke zur Umgebung. Die Fassade ist glatt und weiß, im Erdgeschoss nehmen große Öffnungen Bezug zum Park und rahmen den Blick auf das Geburtshaus.

Hoher Anspruch, niedriges BudgetIn Holland ist vor allem im Wohnungsbau ein sehr niedriges Budget üblich, daher brachte das in Rotterdam ansässige deutsche Archi-tektenteam von Atelier Kempe Thill schon ei-nige Erfahrung im Einsparen von Kosten mit. In Raiding waren zwar die Ansprüche an den Saal hoch – es sollte ein international wettbewerbsfähiger Kammermusiksaal ent-stehen, doch das Budget war mit 5,5 Mio. € sehr begrenzt. So erarbeiteten die Archi-tekten bereits zu Beginn eine entsprechende Strategie: Das Gebäudevolumen musste so kompakt wie möglich sein; bei Fassade, In-nenausbau, Materialwahl und Möblierung konnte gespart werden, während der Saal wegen des speziellen Anspruchs an die Akustik einen höheren Aufwand erforderte.

Der perfekte KammermusiksaalHerzstück des Entwurfs ist der Saal, dessen Dimensionierung und Proportionierung die

Gebäudeform generierte. Das limitierte Bud-get und die Ausrichtung auf Kammermusik führten zu einem monolithischen Saal ohne verstellbare Elemente nach dem Vorbild der Säle des 19. Jahrhunderts. Zur Optimierung der Akustik musste das Raumvolumen min-destens 5000 m3 aufweisen. Die Form der »Schuhschachtel« versprach den besten Raumklang, unterstützt von der Brechung des Schalls alle drei Meter, was zu einer kassettenförmigen Wandausformung führte. Der ganz mit Holz verkleidete Saal ent-spricht dem Bild eines Resonanzkörpers; während der Konzerte wähnt sich der Besu-cher tatsächlich im Inneren eines überdi-mensionalen Instruments. Das Material er-zeugt eine angenehm warme Atmosphäre und nimmt gleichzeitig Bezug zur ländlichen Scheunenarchitektur.

Flatterecho und Co.Obgleich das Architektenteam bereits im Wettbewerb die akustischen Bedingungen berücksichtigte, ergaben sich doch einige für den weiteren Verlauf folgenschwere An-forderungen seitens des Akustikingenieurs Michael Wahl: »Keine parallelen Flächen; 3,5°- Neigung ist das Minimum, sonst ent-steht ein Flatterecho«, hieß es gleich zu An-fang der Planung. Die naheliegende Maß-nahme, die Wände einfach um dieses Maß zu neigen, scheiterte an der beengten Situa-tion; so musste die Saalverkleidung die Nei-gung aufnehmen. Die erste Idee bestand darin, Sperrholzplatten auf einer entspre-chenden Unterkonstruktion gewölbt einzu-

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DETAILplus: Filme, Baustellenfotoswww.detail.de/0131

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∂ Konzept 2009 ¥ 3 Prozess 221

spannen. Die Platten weisen jedoch bei ei-ner Modulgröße von 2,5 ≈ 3,5 m eine Naht-stelle auf, sodass sich die Frage stellte, wel-che Holzart das »nahtlos« leisten kann. Zu-dem war ein Mindestgewicht von 40 kg/m2 zur Verbesserung der Resonanz gewünscht. So fiel die Wahl schließlich auf Brettschicht-holzplatten. Die oberste Schicht wurde so gefräst, dass sie im Randbereich 7 mm und in der Mitte 12 mm aufweist. Als Holzart kam wegen Verfügbarkeit und Kosten nur Fichte in Frage – zum großen Missfallen des Bau-herrn, der sich zunächst an den zahlreichen Astlöchern störte. Ein Paneel in Originalgrö-ße räumte schließlich seine Zweifel aus.

Lüftungs- und Traktorenlärm In einem Konzertsaal müssen auch die Ge-räusche der technischen Anlagen minimiert werden. Der Haustechniker schlug eine Ge-bläselüftung vor. »Weitwurfdüsen in den Pa-neelen konnten wir uns gestalterisch nicht vorstellen«, so Saskia Hermanek. Daher suchte sie nach Alternativen und fand die Lösung schließlich in einer Quelllüftung, die den Zwischenraum unter dem Doppelboden und hinter der Saalverkleidung als Plenum nutzt. Die Luft gelangt über eine flächige Lo-chung der Boden- und Wandplatten in den Saal und wird über die Fugen abgesaugt. Diese sind aus akustischen Gründen auf 8 mm begrenzt. Vorbeifahrende Traktoren können ein Konzert empfindlich stören. Um den Lärmschutz der Saalwände zu ge-währleisten, wurde daher die ursprünglich geplante Holzbinder-Konstruktion verworfen

und die hölzerne Verkleidung auf die tra-gende akustisch entkoppelten Stahlbeton-wände montiert, was sich zudem als kosten-günstiger erwies.

Edler Kunststoff statt billigem PlastikDie Fassadengestaltung orientiert sich an den ländlichen Putzfassaden, sollte jedoch edler und moderner wirken, ohne teuer zu sein. So fiel die Entscheidung auf ein kos-tengünstiges Wärmedämmverbundsystem, das ein Kunststoffüberzug veredeln sollte. Polyurethanbeschichtungen sind zwar auf horizontalen Dachflächen durchaus ge-bräuchlich, die Anwendung auf vertikalen Flächen ist jedoch ungewöhnlich und pro-blematischer: Die leichte Konstruktion droht bei Windsog abzuheben. Dübelungen kön-nen die Haut zwar sichern, hätten jedoch die Dampfbremse zu oft durchbrochen. Eine besonders kräftige Verklebung schien die sinnvollste Befestigung zu sein. Doch auch der Spritzputz darf sich nicht lösen. Der Un-terputz muss dick und grob sein, was un-weigerlich Spuren beim Auftragen hinter-lässt. Die eigentlich unerwünschten Un-ebenheiten erzeugen in der Realität ein le-bendiges Schattenspiel auf der glänzenden Haut. Das Aufspritzen barg weitere Unwäg-barkeiten: Damit die dünne Schicht auch tatsächlich auf der Fassade landet und dort haftet, musste es nicht nur trocken, sondern auch windstill sein. Die Mühe hat sich nicht nur in ästhetischer Hinsicht gelohnt: Das System ist patentiert und erhielt den öster-reichischen Innovationspreis 2006.

Und nochmal Kunststoff»Was bei Aquarien geht, geht auch bei einem Konzerthaus«, so die optimistische Ausgangsprognose des Teams bezüglich der großen Foyerverglasung. Sie behielten recht: Die sprossenlosen Acrylglasscheiben verbinden das Foyer auf zwei Seiten nahtlos mit dem Park. Die 13 bzw. 18 ≈ 4 m großen Scheiben sind im Werk aus mehreren Stü-cken geschweißt und in einem Teil angelie-fert worden. Auf die große Länge dehnt sich das Glas bei Temperaturschwankungen bis zu 6 cm, sodass statt konventionellen Aufla-gern PTFE-Lager die Bewegung aufnehmen. Um den Wärmeschutz einigermaßen zu ge-währleisten, ist das Glas 5 cm dick und nicht ganz pflegeleicht: Es erfordert spezielle Rei-nigungsmittel und verkratzt leicht.

Von Rotterdam nach RaidingUm landeseigene Vorschriften besser im Griff zu haben und jederzeit verfügbar zu sein, fanden die Architekten in Johann Grabner einen Partner vor Ort, der sich so-wohl um Ausschreibung und Baueingabe kümmerte als auch den Bauprozess über-prüfte. Dennoch sah die Projektarchitektin einmal im Monat nach dem Rechten: »Als junge, weibliche, deutsche Architektin hatte ich anfangs einen dreifach schweren Stand. Holland ist da viel emanzipierter. Anderer-seits war ein solches Gebäude nur in Öster-reich realisierbar, der Wille etwas perfekt zu machen, ist hier viel ausgeprägter und der Vorschriftenwald nicht ganz so dicht wie in Deutschland.«

Entwurfsskizzen 1 Schnitt, Axonometrie 2 Innenraum 3 Saalverkleidung 4 Paneel, erste Idee 5 Wand Vorentwurf Holzständer 6 Wand ausgeführt StahlbetonEntwurfsprozess 7 Teambesprechung vor Ort 8 Modelle Kubatur 9 Modell Wettbewerb10 Modell Saal11 Rendering Beleuchtung10 11

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Design sketches 1 Section, axonom. view 2 Interior 3 Hall cladding 4 Panel: initial idea 5 Preliminary design: timber posts 6 Wall as executed in reinf. concreteDesign process 7 Team discussion in Raiding 8 Volumetric models 9 Competition model10 Model of hall 11 Rendering: lighting

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Grundrisse • SchnitteMaßstab 1:500

1 Foyer 2 Kasse/Bar 3 Garderobe 4 Kammermusiksaal 5 Klavier-/Stuhllager 6 kleines Foyer 7 Lager 8 Bühnentechnik 9 Technik10 Luftraum11 Balkon12 Technikhof13 Künstlergarderobe

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BRI: 12 376 m³BGF: 2194 m²Großer Saal: 600 PlätzeSaal ohne Bühne:290 m²Bühne: 80 m²Foyer EG: 320 m²Kosten pro m³: 450 €

Gross volume: 12,376 m3 Gross floor area: 2,194 m2 Large hall: 600 seats Hall (without stage): 290 m2

Stage: 80 m2 Ground floor foyer: 320 m2

Cost per m3: €450

Raiding is a village with 800 inhabitants in Burgenland, Austria. The new concert hall stands in a small park squeezed in between single-family houses. A peripheral foyer is drawn round the central auditorium, which rises four metres higher. Large openings in the white facade create a link to the surround-ing park and frame the view to the neighbour-ing house where Franz Liszt was born. Although the budget was limited at €5.5 mil-lion, this auditorium for chamber music was to be capable of hosting international competi-tions. The architects therefore opted for a compact built volume and economical finish-ings, since a greater outlay would be neces-sary for the acoustics. A spatial volume of at

least 5,000 m3 and a “shoebox” form prom-ised the best solution in this respect. To break the sound waves, the interior was to be lined with coffered spruce panels milled to a convex form and with a minimum weight of 40 kg/m2 to improve the resonance. An air-conditioning system was chosen that exploited the voids in the double-floor con-struction and behind the wall cladding as ple-num spaces. Fresh air enters the hall through openings in the wall panels and the floor, and vitiated air is sucked out via peripheral joints. A cost-saving composite thermal insulation system with a synthetic coating was chosen for the facade, which may be seen as a refer-ence to the traditional rendered walls in the

area. The great effort made to overcome the many technical obstacles in this respect paid off in the end, and not only aesthetically: the system has been patented and was awarded the Austrian State Prize for Innovation in 2006. The large-scale unbroken perspex glazing to the foyer – with two elements 13 ≈ 4 m and 18 ≈ 4 m in size – creates a seamless transi-tion from the building to the park. Tempera-ture differences can cause the sheets to ex-pand by up to 6 cm in length, which is why Teflon bearers were used instead of conven-tional ones; and to provide some degree of thermal protection, the sheets are 5 cm thick. To cope with regulations in Austria, the archi-tects found a local partner in Johann Grabner.

Floor plans • Sections scale 1:500

1 Foyer 2 Box office/Bar 3 Cloakroom 4 Chamber-music hall 5 Piano/chair store 6 Small foyer 7 Store 8 Stage mechanics 9 Mechanical services10 Void11 Balcony 12 Service area13 Dressing rooms

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Direktschall/Direct sound

Ener

gie/

Ener

gy frühe Reflexion/Early reflection

Nachhallbereich/Reverberation range

Zeit/Time

Von der Komplexität des Schalls – die Raumakustik

Spatial Acoustics: the Complexity of Sound

Karlheinz Müller, Michael Wahl

Saalform, Raumvolumen und Saalkapazität Jede Raumform hat maßgebliche Auswir-kungen auf die Akustik. Je nach Nutzung kann eine Form von Vor- oder Nachteil sein. Dieser Einfluss sollte schon in den Entwurf eines Zuhörerraums einfließen. Bereits in der Wettbewerbsaufgabe wurde daher ein Rechteckraum als bewährte »Urform« in der Konzertsaalentwicklung vorgegeben. Der Saal sollte für etwa 600 Personen mit einem mittelgroßen Podium von ca. 90 m2 gestaltet werden. Gleichzeitig ermöglicht ein großer ebener Parkettbereich die Nutzung für Ta-gungs- und Bankettveranstaltungen. Ledig-lich der hintere Bereich weist eine leichte Reihenüberhöhung auf, um gute Sichtver-

hältnisse zu gewährleisten. In einem Konzert-saal werden ca. 10 – 20 % der Schallenergie als Direktschall übertragen. Der Rest wird von Wänden, Decken und Fußböden reflek-tiert, sodass eine Auffächerung des Klangs entsteht. Die Qualität des Direktschalls hängt von einer guten Sicht- und Hörverbindung zwischen Zuhörern und Musikern ab. Dieser und die zeitnahen Reflexionen sind maßgeb-lich für Lautstärke und Klangfarbe; die spä-teren Reflexionen erzeugen den Nachhall. Jede Nutzungsart erfordert eine andere Nachhallzeit für eine gute Akustik: Bei sakra-ler Musik und Symphonien ist sie höher, da eine klangliche Durchmischung erwünscht ist; bei sprachlichen Aufführungen wegen

der Verständlichkeit dagegen kürzer. Beim Franz-Liszt-Konzertsaal, für Kammermusik ohne elektroakustische Verstärkung, liegt die optimale Nachhallzeit bei ca. 1,6 bis 1,8 s im mittleren Frequenzbereich. Raumvolumen und das Verhältnis von absorbierenden und reflektierenden Flächen bedingen die Nach-hallzeit. Da vor allem die Besucher einen we-sentlichen Anteil des Schalls absorbieren, während die architektonischen Oberflächen eher reflektierend wirken, errechnet man das erforderliche Raumvolumen mit einer Kenn-zahl, abhängig von Platzanzahl und Musi-kart. In Raiding wurde daher ein raumakus-tisches Saalvolumen von ca. 5000 m3 schon in der Vorphase festgelegt.

A B

A Übertragungswege von Direktschall und ersten ReflexionenB schematische RaumimpulsantwortA Transmission paths of direct sound and first

reflections B Diagram of spatial impulse reply

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Rhythmus und ModulDie Abmessungen eines Saals und seiner Module werden gerne in mathematisch-geo-metrische Beziehungen gebracht, wie z.B. »Goldener Schnitt« oder »Ein Verhältnis 3:1:1«. Diese Proportionen müssen keines-falls starr eingehalten werden, um eine gute Akustik zu erzielen. Das Rechteck als Grundform sorgt für eine frühe seitliche Schallreflexion und das damit verbundene, für Kammermusik wichtige, räumliche Klangbild. Für den Saalkubus gilt hierbei generell, dass er lang, schmal und hoch sein muss. Der Konzertsaal in Raiding wur-de in einer zweiten Phase entsprechend op-timiert. In Kooperation mit den Architekten wurde ein ganzheitlicher Raum mit klarem Struktur- und Materialkonzept erarbeitet. Es stand die Frage im Vordergrund, ob das ar-chitektonische Kassetten-Modul dem Rhyth-mus der Musik folgen kann oder sogar die Klangstabilität des Raums unterstützt. Ba-sierend auf der Untersuchung unterschied-licher Proportionen und Module entstand ein Grundelement, das an Wänden und Decken zum Einsatz kam. Auch die Balkon-brüstungen passen sich in den Rhythmus der Wandgliederung ein.

Primärstruktur des KonzertsaalsNachdem Raumform und Saalkapazität fest-lagen, wurde die Primärstruktur des Raums erarbeitet. Die Stahlbetonkonstruktion hatte bereits für den späteren akustischen Aus-bau gut geeignete geometrische Abmes-sungen und Proportionen. Zusätzlich war ei-ne in diese Konstruktion integrierte Schall-dämmung gegenüber Außen- und Innenge-räuschen sinnvoll. Das bedeutet, dass Wand-, Decken- und Fußbodenaufbauten die entsprechenden bauakustischen Kenn-werte aufweisen mussten, um eine größt-mögliche Stille im Saal zu garantieren.

SekundärstrukturBei der Innenverkleidung des Saals wurde auf eine alte Bauweise von Theatern zurück-gegriffen: Die Sekundärstruktur wurde wie ein »Möbelstück« in die Primärstruktur ein-gesetzt. Schallstrahlen, die auf diese Ele-

mente auftreffen, werden nach geometri-schen Gesetzen reflektiert, die auch in der Optik gelten. Bei einer rechteckigen Saal-form sollten diese so ausgebildet sein, dass es nicht zu störenden Reflexionen kommt. Gleichzeitig dürfen die Oberflächen den Klang, der durch die Musiker und die Sän-ger auf dem Podium erzeugt wird, nicht zu stark absorbieren. Zunächst wurde ein Stän-derwerk aus Holzleimbindern geschaffen und mit der Stahlbetonkonstruktion verbun-den. In dieses wurden massive Fichtenholz-platten eingelegt, von hinten abgedichtet und befestigt. Das bedeutete Schwerstar-beit, da die Platten bis zu 350 kg wiegen. Nur mit diesem Flächengewicht ist eine kräf-tige Raumresonanz im akustisch interes-santen Frequenzbereich zu erzielen, die für eine Klangstabilität und ein optimales akus-tisches Ambiente im gesamten Saal sorgt. Die Oberflächenstrukturen der Innenflächen sind wichtig, um den Schall stärker zu streu-en. In alten Konzertsälen trug die reiche Or-namentik zur guten Akustik bei. Die Fichten-holzelemente haben daher noch weitere Aufgaben zu übernehmen: Um eine diffuse Verteilung der Töne im Raum zu erzeugen und gleichzeitig »Flatterechos« – periodisch wiederkehrende Reflexionsfolgen, die sich beispielsweise zwischen parallelen Flächen ausbilden können – zu vermeiden, wurden diese Platten dreidimensional gekrümmt. Die konvexe Form, die für den Betrachter kaum sichtbar ist, wurde nur durch den Ein-satz besonderer Werkzeuge erreicht, die ein exaktes Schleifen und Fräsen der Platten er-möglichten.

Bestuhlung und PublikumDer Bestuhlung eines Konzertsaals kommt neben dem Sitzkomfort auch eine entschei-dende akustische Bedeutung zu. Ziel ist es, die unterschiedliche Saalbesetzung so gut wie möglich auszugleichen. Deshalb wurden im Hallraum Messungen an den geplanten Stühlen mit und ohne Publikum durchgeführt. Dabei ist es gerade bei Leichtpolsterstühlen wichtig, dass Sitz- und Rückenpolster sowie der Sitzbezug akus-tisch optimiert werden.

Stille und BelüftungEin wesentlicher Aspekt einer guten Raum-akustik ist die Stille in einem Raum, die nicht von Nebengeräuschen beeinträchtigt wird. Besondere Aufmerksamkeit erforderten da-her die Geräusche der Lüftungsanlage. Die-se sind besonders in Konzertsälen lästig und sollten soweit in den Hintergrund treten, dass Publikum und Musiker sie nicht hören. So wurde bei der Be- und Entlüftung des Saals auf das Prinzip der Luftzufuhr über ein Plenum unterhalb des Saalfußbodens und der Abluftführung über die Deckenkonstruk-tion zurückgegriffen. Auch hier wurde eine Neuerung entwickelt: Durch den gelochten Doppelboden in schachbrettartiger Verle-gung ist die Belüftung des Saals aufgrund der Größe der Zuluftfläche und der daraus resultierenden niedrigen Zuluftgeschwindig-keit im Saal praktisch nicht wahrnehmbar. Es wurden Untersuchungen zur Schallab-sorption des Doppelbodens mit verschie-denen Aufbauten und Lochungen im Hall-raum durchgeführt und in die raumakus-tische Dimensionierung mit einbezogen. Der Lochflächenanteil wurde so dimensio-niert, dass keine zu starke Schallabsorption entsteht, ohne den zur Lüftung erforder-lichen Querschnitt zu unterschreiten. Die Abluftführung erfolgt über die Decken-konstruktion. Hier werden die konstruktiv notwendigen Fugen zwischen Deckenplat-ten und Deckenträgern zur Abluftführung genutzt. Diese Fugen sind minimiert und für den Betrachter nicht erkennbar. Aus raum-akustischen Gesichtspunkten wurden sämt-liche Fugen so dimensioniert, dass schall-absorbierende Effekte infolge der Ausbil-dung eines Hohlraumresonators (Helmholtz-Resonator) ausgeschlossen werden konn-ten. Alle übrigen Fugen, die nicht der Abluft-führung dienen, mussten aufwändig abge-dichtet werden. Als ausgezeichneter Interpretationsraum der Musik von Franz Liszt, aber auch für alle an-deren solistischen und kammermusikali-schen Veranstaltungen, zeigt der Saal, wie lebendig Kammermusik klingen kann, wenn sie in einem entsprechenden akustischen Ambiente stattfindet.

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C Musikvereinssaal, Wien, 1870, Architekt: Theophil von HansenD akustisches RenderingE CNC-Fräse zur Herstellung der KrümmungF gelochter DoppelbodenG Überblick über anzustrebende NachhallzeitenH Messung im Hallraum: Schallabsorption bei besetzter Bestuhlung ohne RandeinflussI Messung im Hallraum: Schallabsorption des gelochten Doppelbodens

C Auditorium of Musikvereinssaal in Vienna, 1870; architect: Theophil von Hansen D Acoustic rendering E CNC milling equipment to create curvature F Perforations in the double-floor constructionG Graph of target reverberation times H Measurement in hall space: sound absorption with

occupied seating without marginal influence I Measurement in hall space: sound absorption of

perforated double floor

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liturgische Werkesymphonische Werke

OperKammermusik

Rock- und PopkonzerteOperette, Musicaltheater

Jazzclub

Kirchen KathedralenMehrzwecksäle

Kino

SprechtheaterVortragsraum

KlassenräumeAufnahmestudio

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Michael Wahl studierte Bauphysik an der Fachhoch-schule für Technik in Stuttgart und ist seit 1989 als beratender Ingenieur und seit 1991 als Gesellschafter bei Müller-BBM in Planegg auf den Gebieten der Thermischen Bauphysik und der Bau- und Raum-akustik tätig.

Karlheinz Müller ist seit 1962 bei Müller-BBM tätig, außerdem ist er Professor für Akustik an der Univer- sität für Musik und Darstellende Kunst in Wien.

As a tried and trusted form for the design of a concert hall, a rectilinear space was deter-mined for the building in Raiding at the com-petition stage. The hall was to accommodate roughly 600 persons and a medium-size plat-form approximately 90 m2 in area. In a concert hall, roughly 10 –20 per cent of the sound en-ergy is transmitted in the form of direct sound. The rest is reflected from the walls, ceiling and floor. The quality of the direct sound depends on good visual and aural links between the audience and the musicians. These factors, plus the more or less simultaneous reflections that occur, are largely responsible for the vol-ume and timbre. Later reflections manifest themselves as reverberation. In the Franz Liszt Hall for chamber music (without electro-acoustic amplification), the optimum reverberation time is approximately 1.6 –1.8 s in the mid-frequency range. The re-verberation time is determined by the spatial volume and the relationship between absorb-ent and reflecting surfaces. Since the audi-ence in particular absorbs a large part of the sound, whereas the built surfaces have a more reflecting effect, the requisite spatial vol-ume is calculated using an index figure, taking account of the number of seats and the type of music to be performed. For the calculation of the spatial acoustics in Raiding, a hall volume of roughly 5,000 m3 was determined at the preliminary stage. Generally speaking, the shape of a hall should be long, narrow and high. The auditorium in Raiding was optimized in this respect in a second design phase. A basic coffered ele-ment was developed that could be applied to the walls, ceilings and even the balcony balustrades. The reinforced concrete structure already had suitable geometric dimensions for the subsequent acoustic fitting out. In determining the internal cladding to the hall, an old idea from theatre construction was ap-plied: the secondary structure was inserted in the primary structure like “a piece of furniture”. Given a hall with a rectangular shape, the ele-ments should be designed in such a way that no disturbing reflections occur. At the same time, the surfaces should not absorb too much of the sound created by the musicians

on the platform. An adhesive-bonded system of studding was fixed to the concrete struc-ture. Solid spruce sheets were then fixed in position in this framework. The sheets weigh as much as 350 kg, for only with this area weight is a strong spatial resonance possible in the frequency range that is of interest acoustically. The surface texture plays an im-portant role in scattering the sound. The rich ornamentation in old concert halls, for exam-ple, is conducive to fine acoustics. In order to ensure a good distribution of sound within the present space and at the same time avoid “flutter echoes”, the spruce sheet elements were given a three-dimensional curvature. The convex form could be implemented only with the use of special tools, however.The seating also plays a decisive role not only in terms of comfort, but acoustically, too. The aim is to balance out different levels of occu-pation in the hall. Measurements were there-fore taken for the proposed seats with and without an audience. Another major aspect of good spatial acous-tics is the sense of stillness achieved. For the air conditioning in the present hall, a principle was adopted whereby the air supply occurs via an underfloor plenum space and the air extract via the soffit. Using a perforated double-floor construction and a chequered layout pattern, the air-supply system designed for the hall is practically inaudible because of the cross-sectional size of the air input and the resultant low speed of air movement with-in the hall. Investigations were made of the sound ab-sorbing properties of the double-floor con-struction. The proportion of open areas in the form of perforations was calculated so as not to result in excessive sound absorption. Joints that had to be created between the soffit pan-els and the ceiling bearers for constructional reasons were used for the removal of vitiated air. All other joints that do not serve ventilation purposes had to be elaborately sealed. The hall has proved to be an excellent venue for the works of Franz Liszt; but in other con-certs for soloists and ensembles, too, one sees how vivid chamber music can sound, given the appropriate acoustic environment.

Michael Wahl studied building physics at the University of Applied Science in Stuttgart. Since 1989, he has practised as a consultant engineer, and since 1991 as an associate of Müller-BBM in Planegg, Germany, in the fields of thermal physics in building, and constructional and spatial acoustics.

Karlheinz Müller has been with Müller-BBM since 1962. He is also professor for acoustics at the University for Music and the Performing Arts in Vienna.

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1 UV-Versiegelung Polyurethan-Spritzfolie 4 mm Epoxidharzbeschichtung Dickschicht-Klebspachtelung 8 mm Gefälledämmung mind. 120 mm Dampfsperre, Anstrich Hohlraumdielen Beton 400 mm 2 Balkenrost BSH Fichte 240/100 mm 3 Konsolen Stahlprofil 4 Paneel Kreuzlagenschichtholz Fichte max. 3640 ≈ 2560 mm, 53 mm (Rand) – 117 mm (Mitte), gefräst, geschliffen, klar lackiert Fugen 8 mm, teilweise perforiert für Quellluftauslass 5 Brettschichtholz Fichte 400/100 mm 6 Schichtholz 12 mm Spanplatte 60 mm Schichtholz 12 mm 7 Parkett Eiche geklebt 8 mm Spanplatte Nut / Feder 2≈ 20 mm Wärmedämmung Steinwolle 80 mm Lattung 40/80 mm Trittschalldämmung 15 mm PE-Folie, Stahlbeton 220–250 mm 8 Dreischichtplatte Fichte 19 mm Spanplatte 19 mm 9 Parkett Eiche geklebt 8 mm Zementestrich mit Fußbodenheizung 75 mm, PE-Folie Trittschalldämmung 35 mm Ausgleichsschicht Polystyrol 30 mm PE-Folie zweilagig, Schutzvlies Stahlbeton 200 mm Mineralwolle 80 mm Gipskarton gelocht 12,5 mm Akustikspritzputz10 Brüstung VSG 2≈ 15 mm, Verkleidung Stirnseite: Spanplatte mit Eichenfurnier11 UV-Versiegelung Polyurethan-Spritzfolie 4 mm Epoxidharzbeschichtung Dickschicht-Klebspachtelung 8 mm Polystyrol-Hartschaum 160 mm Epoxidharzbeschichtung Stahlbeton 250 (bzw. 300) mm12 Acrylglas im Werk verschweißt 18 ≈ 4 m, 50 mm poliert in Stahlrahmen auf PTFE-Lager13 Parkett Eiche geklebt 8 mm Zementestrich mit Fußbodenheizung 80 mm PE-Folie zweilagig Trittschalldämmung 35 mm Polystyrol-Hartschaum 60 mm Schutzvlies, Dampfsperre Bitumenbahn, Stahlbeton 150 mm14 Parkett Eiche geklebt 8 mm Kalziumsulfatplatte mit Fußbodenheizung 40 mm, Aufständerung Stahl 530 mm Stahlbeton 150 mm, Dämmung15 Eichenfurnier Spanplatte auf UK 70 mm16 Putz weiß gestrichen 10 mm

1 ultra-violet seal 4 mm polyurethane sprayed film epoxy-resin coating 8 mm trowelled adhesive seal 120 mm (min.) insulation to falls vapour barrier; coat of paint 400 mm hollow concrete slabs 2 100/240 mm lam. spruce beam grid 3 steel bracket 4 cross-laminated spruce panel max. 3.64 ≈ 2.56 m; 53 mm thick at edge; 117 mm in middle; milled, smoothed, clear varnished; 8 mm joints; partly perforated with fresh-air inlets 5 400/100 mm laminated spruce 6 12 mm laminated wood board 60 mm chipboard 12 mm laminated wood board 7 8 mm oak parquet adhesive-fixed 2≈ 20 mm chipboard (t.+ g.) 80 mm rock-wool thermal insulation 40/80 mm battens 15 mm impact-sound insulation polyethylene (PE) film 220–250 mm reinforced concrete 8 19 mm 3-ply lam. spruce board 19 mm chipboard 9 8 mm oak parquet adhesive-fixed 75 mm cement and sand screed with underfloor heating; PE film 35 mm impact-sound insulation 30 mm polystyrene levelling layer two-layer PE film; protective matting 200 mm reinforced concrete 80 mm mineral wool 12.5 mm perforated plasterboard sprayed sound-absorbent plaster 10 2≈ 15 mm lam. safety glass

balustrade oak-veneered chipboard fascia11 ultra-violet seal 4 mm polyurethane sprayed film epoxy-resin coating 8 mm trowelled adhesive seal 160 mm polystyrene rigid foam epoxy-resin coating 250 (300) mm reinf. concrete wall12 50 mm perspex sheet 18 ≈ 4 m, welded together at works, polished, in steel frame on Teflon bearers 13 8 mm oak parquet adhesive-fixed 80 mm cement and sand screed with underfloor heating two-layer PE film 35 mm impact-sound insulation 60 mm polystyrene rigid foam protective matting; vapour barrier bituminous felt; 150 mm reinf. conc. 14 8 mm oak parquet adhesive fixed 40 mm calcium-sulphate slab with underfloor heating 530 mm steel supporting structure 150 mm reinf. conc.; insulation 15 70 mm on underside chipboard with oak veneer 16 10 mm plaster painted white

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