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HINTERGRUND 15 Freitag, 29. Oktober 2010 Fotos: ZVG (3) thomas.benkö @ringier.ch S chuld ist der Mount Ta- malpais in Kalifornien. Auf den dortigen Schotter- pisten erfand eine Gruppe um Gary Fisher 1973 das Mountainbiken. Und weil Rennvelos zu dünne Pneus hatten, nahmen sie Schwinn Cruiser mit dicken Ballon- reifen. Die hatten kleine 26- Zoll-Räder. In den 80er-Jahren schwappte der Mountain- bike-Trend nach Europa. Die Federung kam hinzu. Und Scheibenbremsen. Aber an der Radgrösse hat sich nichts geändert. Bis jetzt. Seit einigen Jahre setzen viele Amerika- ner auf 29-Zoll-Räder. Kurz: 29er oder Twentyni- ner. Und mit einiger Verspä- tung kommt der Trend zu grossen Grössen mit der Bike-Saison 2011 nach Eu- ropa. «29er machen jetzt ei- nen grossen Teil vom Sorti- ment aus», sagt Damian Wirth, Chef vom «Rocky Mountain»-Importeur Chris Sports. Beispielsweise das Fully Altitude (4499 Fr.) oder das Hard- tail Vertex29 (1799 Fr.). Letzteres konnte der Autor kürzlich austesten. Und war über- rascht. Während Hardtails im Wald sonst eher über die Wurzeln rumpeln als fah- ren, fühlte sich der Trail mit den grossen Rädern ruhig und flowig an. Wer einmal mit Roller- blades über Kies fuhr, weiss, dass grössere Rä- der Unebenheiten ein- fach viel besser schlu- cken. Zudem haften die Rä- der besser am Boden. Und man kommt zügiger voran. Doch wo Fans, da auch Kritiker: «Die 29er sind wie das iPad. Völlig überbewer- tet», sagt ein Bikerkollege keck. Er gibt aber zu, noch keines gefah- ren zu sein. Die Beschleunigung sei mühsamer, die Wendigkeit im Gelände eingeschränkt – und die grossen Räder sind weniger steif. Trotzdem spricht das Fachmagazin «Bike» vom «beeindru- Ritt in den Sonnenuntergang Auf dem Trail mit dem «Altitude 29» von Rocky Mountain. 29er-Fan Oli Mohni, Berner Velomech bei City Cycles. US-Marke «Niner» Ganz auf grosse Räder spezialisiert. Das Rad neu erfunden SIZE MATTERS Aus den USA rollt ein Megatrend heran: 2011 wird das Jahr der grossen 29-Zoll-Räder. «29er sind wie das iPad. Völlig überbewertet.» «Man sitzt mehr im Bike, als auf dem Bike» ERFAHRUNGSBERICHT Velomech Oli Mohni aus Bern sagt: «Das 29-Zoll Bike fährt sich viel ruhiger, spur- treuer und sicherer als ein 26-Zöller. Ausserdem klettert es besser, denn man hat mehr Grip durch mehr Auflage- fläche. Mehr Sicherheit in Kurven und kein Überschlags- gefühl mehr. Man sitzt zwischen diesen grossen Rädern eher im Bike, als auf dem Bike. All dies macht es auch für einen Anfänger attraktiv, es steigert das Selbstbewusst- sein und man ermüdet auf längeren Touren nicht so schnell. Auch für einen geübten 26-Zoll-Fahrer kann es leistungssteigernd und befriedigend sein, ein ruhigeres Bike zu fahren. Abgesehen vom Showeffekt, der auf dem Üetliberg, Gurten & Co. auch seine Wichtigkeit hat. Beim Kauf eines 29er-Bike ist darauf zu achten, dass ein breiter Lenker montiert ist. Dies ist wichtig, weil auch der Hebel des Rades erheblich grösser ist. Auch ist wich- tig, dass grosse Bremsscheiben spezifiziert sind (min- destens 180 mm). Das Wichtigste aber ist, einen 29er selber mal zu fahren. Gehen Sie zu Ihrem Velomech – und schnappen Sie sich ein Testvelo.» ckendsten Fahrerlebnis seit Erfindung der Federga- bel!» Auch immer mehr Schweizer sind vom Thema angetan. «Für Crosscoun- try und Marathon gibt es nichts Besseres», sagt auch Stefan Gruber. Der Chef der Zürcher Bike- schmiede «Transalpes.ch» baut dieses Jahr sein erstes 29er. «Die Ergebnisse spre- chen für sich. An Rennen wie dem legendären Crist- alp im Wallis gabs im Au- gust einen Doppelsieg auf 29-Zöllern». Zum Schluss sei doch noch gesagt, dass der Name «29er» eine Ami-Übertrei- bung ist. Die Felgen ent- sprechen unseren 28-Zoll der normalen Velos. In den USA misst man aber aussen über den Pneu.

29er - Das Rad neu erfunden

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Aus den USA rollt ein Megatrend heran: 2011 wird das Jahr der grossen 29-Zoll-Räder.

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HINTERGRUND 15Freitag, 29. Oktober 2010

Foto

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VG

(3)

thomas.benkö@ringier.ch

S chuld ist der Mount Ta-malpais in Kalifornien.

Auf den dortigen Schotter-pisten erfand eine Gruppe um Gary Fisher 1973 das Mountainbiken. Und weil Rennvelos zu dünne Pneus hatten, nahmen sie Schwinn Cruiser mit dicken Ballon-reifen. Die hatten kleine 26- Zoll-Räder.

In den 80er-Jahren schwappte der Mountain-bike-Trend nach Europa. Die Federung kam hinzu. Und Scheibenbremsen. Aber an der Radgrösse hat sich nichts geändert.

Bis jetzt. Seit einigen Jahre setzen viele Amerika-ner auf 29-Zoll-Räder. Kurz: 29er oder Twentyni-

ner. Und mit einiger Verspä-tung kommt der Trend zu grossen Grös sen mit der Bike-Saison 2011 nach Eu-ropa. «29er machen jetzt ei-nen grossen Teil vom Sorti-ment aus», sagt Damian Wirth, Chef vom «Rocky Mountain»-Importeur Chris Sports. Beispielsweise das Fully Altitude (4499 Fr.) oder das Hard-tail Vertex29 (1799 Fr.).

Letzteres konnte der Autor kürzlich austesten. Und war über-rascht. Während Hardtails im Wald sonst eher über die Wurzeln rumpeln als fah-ren, fühlte sich der Trail mit den grossen Rädern ruhig und fl owig an.

Wer einmal mit Roller-blades über Kies fuhr, weiss, dass grössere Rä-der Unebenheiten ein-fach viel besser schlu-cken. Zudem haften die Rä-der besser am Boden. Und man kommt zügiger voran.

Doch wo Fans, da auch Kritiker: «Die 29er sind wie das iPad. Völlig überbewer-

tet», sagt ein Bikerkollege keck. Er gibt aber zu, noch keines gefah-ren zu sein.

Die Beschleunigung sei mühsamer, die Wendigkeit im Gelände eingeschränkt – und die grossen Räder sind weniger steif. Trotzdem spricht das Fachmagazin «Bike» vom «beeindru-

Ritt in den Sonnenuntergang

Auf dem Trail mit dem

«Altitude 29» von Rocky Mountain.

29er-Fan Oli Mohni, Berner Velomech bei City Cycles.

US-Marke «Niner» Ganz auf grosse Räder spezialisiert.

Das Rad neu erfunden

SIZE MATTERS → Aus den USA rollt ein Megatrend heran: 2011 wird das Jahr der grossen 29-Zoll-Räder.

«29er sind wie das iPad. Völlig überbewertet.»

US-Marke «Niner» Ganz auf grosse Räder spezialisiert.

«Man sitzt mehr im Bike, als auf dem Bike»ERFAHRUNGSBERICHT → Velomech Oli Mohni aus Bern sagt: «Das 29-Zoll Bike fährt sich viel ruhiger, spur-treuer und sicherer als ein 26-Zöller. Ausserdem klettert es besser, denn man hat mehr Grip durch mehr Auflage-fläche. Mehr Sicherheit in Kurven und kein Überschlags-gefühl mehr. Man sitzt zwischen diesen grossen Rädern eher im Bike, als auf dem Bike. All dies macht es auch für einen Anfänger attraktiv, es steigert das Selbstbewusst-sein und man ermüdet auf längeren Touren nicht so schnell. Auch für einen geübten 26-Zoll-Fahrer kann es

leistungssteigernd und befriedigend sein, ein ruhigeres Bike zu fahren. Abgesehen vom Showe� ekt, der auf dem Üetliberg, Gurten & Co. auch seine Wichtigkeit hat. Beim Kauf eines 29er-Bike ist darauf zu achten, dass ein breiter Lenker montiert ist. Dies ist wichtig, weil auch der Hebel des Rades erheblich grösser ist. Auch ist wich-tig, dass grosse Bremsscheiben spezifiziert sind (min-destens 180 mm). Das Wichtigste aber ist, einen 29er selber mal zu fahren. Gehen Sie zu Ihrem Velomech – und schnappen Sie sich ein Testvelo.»

29er-Fan Oli Mohni, Berner

«Man sitzt mehr im Bike, als auf dem Bike»ERFAHRUNGSBERICHTBern sagt: «Das 29-Zoll Bike fährt sich viel ruhiger, spur-treuer und sicherer als ein 26-Zöller. Ausserdem klettert es besser, denn man hat mehr Grip durch mehr Auflage-fläche. Mehr Sicherheit in Kurven und kein Überschlags-gefühl mehr. Man sitzt zwischen diesen grossen Rädern eher im Bike, als auf dem Bike. All dies macht es auch für einen Anfänger attraktiv, es steigert das Selbstbewusst-sein und man ermüdet auf längeren Touren nicht so

ckendsten Fahrerleb nis seit Erfi ndung der Federga-bel!»

Auch immer mehr Schweizer sind vom Thema angetan. «Für Crosscoun-try und Marathon gibt es nichts Besseres», sagt auch Stefan Gruber. Der Chef der Zürcher Bike-schmiede «Transalpes.ch» baut dieses Jahr sein erstes 29er. «Die Ergebnisse spre-

chen für sich. An Rennen wie dem legendären Crist-alp im Wallis gabs im Au-gust einen Doppelsieg auf 29-Zöllern».

Zum Schluss sei doch noch gesagt, dass der Name «29er» eine Ami-Übertrei-bung ist. Die Felgen ent-sprechen unseren 28-Zoll der normalen Velos. In den USA misst man aber aussen über den Pneu.