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203 5 Muskelrelaxanzien 5.1 Substanzübersicht Die im folgenden nur als „Muskelrelaxanzien“ bezeich- neten Substanzen unterbrechen die synaptische Übertra- gung von Nervenimpulsen an der motorischen Endplatte, indem sie mit Acetylcholin um die Bindungsstellen an den nikotinergen Rezeptoren der postsynaptischen Membran konkurrieren. Nach der Wirkungsweise am Rezeptor wer- den depolarisierende und nichtdepolarisierende Relaxanzien unterschieden. Während von den depolarisierenden Sub- stanzen nur ein einziger Wirkstoff klinisch genutzt wird, das Suxamethonium bzw. Succinyl(bis)cholin (Panto- lax ®, Lysthenon ® ), sind Vertreter der nichtdepolarisierenden Relaxanzien mitt- lerweile in großer Zahl verfügbar: Atracurium (Tracrium ® ), cis-Atracurium (Nimbex ® ) und Mivacurium (Mivacron ® ) sowie Vecuronium (Norcuron ® ), Rocuronium (Esmeron ® ) und Pancuronium. Auf sie richtet sich heutzutage das Hauptaugenmerk, und zwar deshalb, weil ihr Nebenwirkungsspektrum deut- lich günstiger als das von Succinylcholin ausfällt. Hinzu kommen einige Neuentwicklungen wie Rapacuronium (in den USA als Raplon ® zugelassen) und eine sehr viel- versprechende Substanz, die sich hinter dem Kürzel „GW 280430A“ verbirgt. Sie werden ebenfalls in diesem Kapitel besprochen. 5.2 Grundlagen der neuro- muskulären Übertragung Die Schnittstelle der neuromuskulären Impulsübertra- gung ist die sog. motorische Endplatte (Abb. 62). Sie stellt die synaptische Verbindung zwischen jeweils einer moto- rischen Nervenfaser und einer Skelettmuskelfaser her. Hierzu bildet die Nervenfaser an ihrem Ende ein Füßchen aus (präsynaptischer Anteil) und steckt dieses dann ge- wissermaßen in eine entsprechend ausgeformte Falte der Muskelzellmembran (postsynaptischer Anteil). Dazwi- schen befindet sich der etwa 50 nm breite synaptische Spalt. Da die neuronalen Signale hierüber nicht hinweg- 5.1 Substanzübersicht 203 5.2 Grundlagen der neuromuskulären Übertragung 203 5.3 Pharmakodynamik der Hauptwirkung 205 5.3.1 Chemische Grundstruktur der Muskel- relaxanzien … 205 5.3.2 Depolarisierende Muskelrelaxanzien … 205 5.3.3 Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien … 207 5.3.4 Dosis-Wirkungs-Beziehung … 207 5.4 Beeinflussung von Organfunktionen und Nebenwirkungen 209 5.4.1 Atmung … 209 5.4.2 Herz und Kreislauf … 209 5.4.3 Histaminfreisetzung … 210 5.4.4 Intrakranieller und intraokularer Druck … 210 5.4.5 Besondere Nebenwirkungen unter Succinylcholin … 210 5.4.6 Interaktionen … 213 5.5 Pharmakokinetik 214 5.5.1 Zeitlicher Ablauf der neuromuskulären Blockade … 214 5.5.2 Elimination der Muskelrelaxanzien … 215 5.6 Wertigkeit der einzelnen Substanzen 217 5.6.1 Succinylcholin … 217 5.6.2 Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien … 218 5.7 Cholinesterasehemmer 220 5.8 Klinische Bedeutung und Anwendung der Muskelrelaxanzien 222 5.8.1 Allgemeines … 223 5.8.2 Beurteilung der neuromuskulären Funktion … 223 5.8.3 Muskelrelaxanzien bei neuromuskulären Erkrankungen … 226 Die spezifischen Muskelrelaxanzien rufen eine selek- tiv-reversible, schlaffe Lähmung der Skelettmuskulatur hervor. Sie sind damit nach der Entdeckung des Curare (d-Tubocurarin) zu einem integralen Bestandteil der All- gemeinanästhesie geworden und werden hier zur Erleich- terung der endotrachealen Intubation und des operativen Vorgehens eingesetzt. Da sie keine Bewußtseins- und Schmerzausschaltung bewirken, müssen sie immer mit Narkotika bzw. Hypnotika und Analgetika kombiniert wer- den. Die bei ihrem Einsatz unvermeidbare Lähmung der Atemmuskulatur macht zudem eine künstliche Beatmung erforderlich. Thiel, Roewer; Anästhesiologische Pharmakotherapie (ISBN 978-3-13-138261-0), © 2004 Georg Thieme Verlag

5 Muskelrelaxanzien - bilder.buecher.de · cholin am Rezeptor, Hierdurch wird eine anhaltende De-polarisation der postsynaptischen Membran verhindert und die Erregbarkeit der Muskelzelle

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203

5 Muskelrelaxanzien

5.1 Substanzübersicht

Die im folgenden nur als „Muskelrelaxanzien“ bezeich-neten Substanzen unterbrechen die synaptische Übertra-gung von Nervenimpulsen an der motorischen Endplatte,indem sie mit Acetylcholin um die Bindungsstellen an dennikotinergen Rezeptoren der postsynaptischen Membrankonkurrieren. Nach der Wirkungsweise am Rezeptor wer-den

• depolarisierende und• nichtdepolarisierende Relaxanzien

unterschieden. Während von den depolarisierenden Sub-stanzen nur ein einziger Wirkstoff klinisch genutzt wird,

• das Suxamethonium bzw. Succinyl(bis)cholin (Panto-lax®, Lysthenon®),

sind Vertreter der nichtdepolarisierenden Relaxanzien mitt-lerweile in großer Zahl verfügbar:

• Atracurium (Tracrium®), cis-Atracurium (Nimbex®)und Mivacurium (Mivacron®) sowie

• Vecuronium (Norcuron®), Rocuronium (Esmeron®)und Pancuronium.

Auf sie richtet sich heutzutage das Hauptaugenmerk, undzwar deshalb, weil ihr Nebenwirkungsspektrum deut-lich günstiger als das von Succinylcholin ausfällt. Hinzukommen einige Neuentwicklungen wie Rapacuronium(in den USA als Raplon® zugelassen) und eine sehr viel-versprechende Substanz, die sich hinter dem Kürzel„GW 280430A“ verbirgt. Sie werden ebenfalls in diesemKapitel besprochen.

5.2 Grundlagen der neuro-muskulären Übertragung

Die Schnittstelle der neuromuskulären Impulsübertra-gung ist die sog. motorische Endplatte (Abb. 62). Sie stelltdie synaptische Verbindung zwischen jeweils einer moto-rischen Nervenfaser und einer Skelettmuskelfaser her.Hierzu bildet die Nervenfaser an ihrem Ende ein Füßchenaus (präsynaptischer Anteil) und steckt dieses dann ge-wissermaßen in eine entsprechend ausgeformte Falte derMuskelzellmembran (postsynaptischer Anteil). Dazwi-schen befindet sich der etwa 50 nm breite synaptischeSpalt. Da die neuronalen Signale hierüber nicht hinweg-

5.1 Substanzübersicht … 2035.2 Grundlagen der neuromuskulären

Übertragung … 2035.3 Pharmakodynamik der Hauptwirkung … 2055.3.1 Chemische Grundstruktur der Muskel-

relaxanzien … 2055.3.2 Depolarisierende Muskelrelaxanzien … 2055.3.3 Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien … 2075.3.4 Dosis-Wirkungs-Beziehung … 2075.4 Beeinflussung von Organfunktionen

und Nebenwirkungen … 2095.4.1 Atmung … 2095.4.2 Herz und Kreislauf … 2095.4.3 Histaminfreisetzung … 2105.4.4 Intrakranieller und intraokularer Druck … 2105.4.5 Besondere Nebenwirkungen unter

Succinylcholin … 2105.4.6 Interaktionen … 2135.5 Pharmakokinetik … 2145.5.1 Zeitlicher Ablauf der neuromuskulären

Blockade … 2145.5.2 Elimination der Muskelrelaxanzien … 2155.6 Wertigkeit der einzelnen Substanzen … 2175.6.1 Succinylcholin … 2175.6.2 Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien … 2185.7 Cholinesterasehemmer … 2205.8 Klinische Bedeutung und Anwendung

der Muskelrelaxanzien … 2225.8.1 Allgemeines … 2235.8.2 Beurteilung der neuromuskulären Funktion … 2235.8.3 Muskelrelaxanzien bei neuromuskulären

Erkrankungen … 226

Die spezifischen Muskelrelaxanzien rufen eine selek-tiv-reversible, schlaffe Lähmung der Skelettmuskulaturhervor. Sie sind damit nach der Entdeckung des Curare(d-Tubocurarin) zu einem integralen Bestandteil der All-gemeinanästhesie geworden und werden hier zur Erleich-terung der endotrachealen Intubation und des operativenVorgehens eingesetzt. Da sie keine Bewußtseins- undSchmerzausschaltung bewirken, müssen sie immer mitNarkotika bzw. Hypnotika und Analgetika kombiniert wer-den. Die bei ihrem Einsatz unvermeidbare Lähmung derAtemmuskulatur macht zudem eine künstliche Beatmungerforderlich.

Thiel, Roewer; Anästhesiologische Pharmakotherapie (ISBN 978-3-13-138261-0), © 2004 Georg Thieme Verlag

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204 5 Muskelrelaxanzien

springen können, müssen sie chemisch auf die Muskel-faser fortgeleitet werden. Dies geschieht mit Hilfe desendogenen Transmitters Acetylcholin (ACh). Acetylcholinwird im Zytosol der präsynaptischen Nervenendigungensynthetisiert und dort in Vesikeln gespeichert. Ankom-mende Nervenimpulse triggern unter Vermittlung durchCalcium seine exozytotische Freisetzung in den synapti-schen Spalt, so daß Acetylcholin nun mit speziellen, dennikotinergen Rezeptoren der postsynaptischen Membran

reagieren kann. Diese Reaktion besteht in einer Rezeptor-stimulation, was zu einer Konformationsänderung desRezeptorproteins und kurzen, lediglich 1 msec dauerndenÖffnung eines assoziierten Kationenkanals führt. Durchden Kanal strömen nun vermehrt Natriumionen nachintrazellulär und depolarisieren die Membran im Bereichder Endplatte. Aus dem Ruhepotential entsteht das sog.Endplattenpotential. Sobald eine kritische Schwelle über-schritten wird (d. h., wenn eine bestimmte Anzahl vonRezeptoren aktiviert ist), wird nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip auch die umgebende Muskelzellmembran, dasSarkolemm, erregt. Das hierbei entstehende Aktions-potential breitet sich dann innerhalb kürzester Zeit überdie gesamte Muskelfaser aus, was eine Kaskade intra-zellulärer Veränderungen in Gang setzt und als Ergebnisdessen eine Muskelkontraktion auslöst.

Nikotinerger Rezeptor

Der nikotinerge Rezeptor ist der Prototyp eines liganden-gesteuerten Ionenkanals. Er befindet sich in den „Schul-tern“ der postsynaptischen Membranfalten, direkt denmit Acetylcholin gefüllten Vesikeln gegenüberliegend, undsetzt sich aus 5 Untereinheiten (α [2], β, γ, δ) zusammen(Abb. 63). Diese sind rosettenförmig angeordnet und bil-den einen nichtselektiven Ionenkanal, durch den Natrium-ionen in die Zelle hinein- und Kaliumionen aus der Zelleherausdiffundieren können. Die beiden α-Untereinheitentragen jeweils eine Bindungsstelle für Acetylcholin bzw.

Abb. 62 Neuromuskuläre Über-tragung und ihre pharmakologi-sche Beeinflussung

Speicherung inVesikeln

Freisetzungdurch

Nervenimpuls

ACh

Nerv

Synapse

Zellmembran

Muskel

präsynaptisch

postsynaptisch

ACh-Synthese

Ca2+ notwendig zurFreisetzung

Mg2+ hemmtFreisetzung

nichtdepolarisierende Relaxanzienblockieren den Rezeptor

Succinylcholin de-polarisiert den Rezeptor

Cholinesterase-hemmer

Re-zeptor

Cholin-esterase

Zunahme der Ionenpermeabilität

Depolarisation der Endplatte(Na+-Einstrom)

fortgeleitetesAktionspotential

elektromechanischeKopplung

Kontraktion

Aktomyosin

Ca2+ notwendig

Abb. 63 Nikotinerger Rezeptorkanal

Na+

SarkoplasmaK+

Na+

K+

AchAcha

b

a

dExtrazellulärraum

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2055.3 Pharmakodynamik der Hauptwirkung

für kompetitive Agonisten und Antagonisten. NikotinergeRezeptoren finden sich unter physiologischen Umständennur im Bereich der Endplatten, so daß Acetylcholin dasaußerhalb liegende Sarkolemm nicht direkt erregen kann.Hier wird das Aktionspotential von potentialgesteuer-ten, also völlig anderen Na+-Kanälen getragen. Erst unterpathologischen Bedingungen, nach Denervierung, wer-den nikotinerge Rezeptorkanäle auch außerhalb der End-platten ausgebildet. Die praktische Bedeutung dieses Pro-zesses wird später eingehend erläutert (s. Abschn. 5.4.5).

Der nikotinerge Rezeptor ist jedoch nicht nur post-synaptisch, sondern auch präsynaptisch lokalisiert. Auchhier wird er durch Acetylcholin erregt; ihm kommt aller-dings eine besondere Funktion zu. Seine Stimulierungermöglicht nämlich eine vermehrte (!) Ausschüttungvon Acetylcholin auf einen weiteren Nervenimpuls. Mannimmt an, daß dieses Acetylcholin als Reserve in rück-wärtigen Speichervesikeln deponiert ist. Bei niedrigerDepolarisationsfrequenz wird es nicht benötigt; erst un-ter Belastungsbedingungen kann, sobald genügend prä-synaptische Nikotinrezeptoren aktiviert sind, auch dieseszusätzliche Acetylcholin mobilisiert werden. Hierdurchwird eine frühzeitige Erschöpfung der Transmitteraus-schüttung bei steigender Impulsrate eines motorischenNervs verhindert. Dieser Mechanismus ist das klassischeBeispiel einer im menschlichen Organismus nur selten zufindenden positiven Rückkopplung.

Inaktivierung von Acetylcholin

In Rezeptornähe befindet sich das membranständige, na-hezu spezifische Enzym Acetylcholinesterase. Es inaktiviertAcetylcholin innerhalb kürzester Zeit (nur wenige msec)durch hydrolytische Spaltung in Cholin und Acetat. DieseMetaboliten können wieder neuronal aufgenommen wer-den und stehen dann erneut für die Synthese von Acetyl-cholin zur Verfügung. Nur ein kleiner Teil Acetylcholindiffundiert unverändert in die präsynaptischen Vesikel zu-rück oder verläßt den synaptischen Spalt in Richtung Blut,wo es, ebenfalls zügig, durch eine unspezifische Cholin-esterase, die sog. Pseudocholinesterase, abgebaut wird. Dierasche enzymatische Spaltung durch die Acetylcholineste-rase führt zu der nur kurzen Verweildauer von Acetyl-cholin am Rezeptor, Hierdurch wird eine anhaltende De-polarisation der postsynaptischen Membran verhindertund die Erregbarkeit der Muskelzelle binnen kurzem wie-derhergestellt, was die schnelle Reaktionsfähigkeit derSkelettmuskulatur ermöglicht.

5.3 Pharmakodynamikder Hauptwirkung

Wie bereits geschildert, können Muskelrelaxanzien dieneuromuskuläre Signalübertragung blockieren, indem siemit Acetylcholin um die Bindungsstellen am nikotinergen

Rezeptor konkurrieren. Gleichwohl bestehen zwischendepolarisierenden und nichtdepolarisierenden Substan-zen recht deutliche Unterschiede in der Wirkungsweise,nachdem die Rezeptorbindung erst einmal zustande ge-kommen ist.

5.3.1 Chemische Grundstrukturder Muskelrelaxanzien

Die Muskelrelaxanzien zeigen strukturelle Ähnlichkeitenmit Acetylcholin (Abb. 64). Wie dieses tragen ihre Mole-küle zwei polare Gruppen in sich, die die biologisch akti-ven Zentren sind und einen bestimmten Abstand von-einander haben müssen, um mit dem Rezeptor reagierenzu können. Während jedoch bei Acetylcholin eine quar-täre Aminogruppe und eine Estergruppe für die Polaritätsorgen, sind es bei den Muskelrelaxanzien immer zweivierbindige Aminogruppen (entweder quartärer oder pro-tonierter tertiärer Stickstoff). Trotzdem finden sich ineinigen nichtdepolarisierenden Relaxanzien ebenso wiein Suxamethonium auch Estergruppen; sie sind aber indie Zwischenkette integriert, die die aktiven Zentren mit-einander verbindet. Die Polarität im Molekül sorgt dafür,daß sich Muskelrelaxanzien quasi ausschließlich im Extra-zellulärraum verteilen (das Verteilungsvolumen im Steadystate beträgt dementsprechend nur 0,2–0,3 l/kg KG).

Suxamethonium ist der Bischolinester der Bernstein-säure. Es wird deshalb auch Succinylbischolin oder kurzSuccinylcholin genannt. Es ist dem Acetylcholin viel ähn-licher, als es die nichtdepolarisierenden Relaxanzien sind;deren polare Gruppen sind nämlich in komplexe Ring-strukturen eingebettet. Das erklärt, warum Succinylcholini. Ggs. zu jenen eine intrinsische Aktivität am nikotinergenRezeptor hat, ihn also nicht nur blockiert.

Die mittlerweile zahlreich vorhandenen nichtdepola-risierenden Relaxanzien unterscheiden sich z. T. rechtdeutlich in ihren chemischen Merkmalen. Hiernach kön-nen sie in drei Gruppen unterteilt werden:

1. die Benzylisochinoline: Atracurium, cis-Atracurium,Mivacurium (sie sind alle Ester!);

2. die Aminosteroide: Vecuronium, Rocuronium, Pancu-ronium, Rapacuronium (u. a. m.)

3. und eine chemisch neue Klasse: die Chlorofumarate(nur GW 280430A).

5.3.2 Depolarisierende Muskel-relaxanzien

Depolarisierende Relaxanzien wie der klassischer Vertre-ter Succinylcholin binden ebenso wie Acetylcholin an denpostsynaptischen nikotinergen Rezeptor und wirken hierzunächst agonistisch (Abb. 62). Dieses führt jedoch imUnterschied zu Acetylcholin zu einer länger anhalten-den Membrandepolarisation („Depolarisationsblock“ oder

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206 5 Muskelrelaxanzien

Abb. 64 Strukturformeln von Acetylcholin, Muskelrelaxanzien und Cholinesterasehemmern

δ–

Acetycholin

Cholinesterasehemmer

Mivacurium

Suxamethonium

Atracurium

Vecuronium

Pancuronium

Rocuronium

O

Neostigmin

O

Physostigmin

+N N+

O

C

C

O

CH3H3C

CH3

+N

O

H3C

CH2C O +N

CH3

CH3

CH3CH2

O

H3C

CH3H3C

CH2

+N

H2C

O

CH2

CH2

O

CH2

H3C

CH3H2C

CH3

+N

OCH3(CH2)3

OCH3

H3CO

H3CO

H2C

OCH3

OCH3

N+

CH3

OC(CH2)2CH

O

(CH2)3

H3CO

OCH3

CH2

OCH3

H3CO

N+

H3C

CH(CH2)2CO

O

CH3

H3CO

H3CO

OCH3

OCH3

CH2 CH2 CO O (CH2)5 O CO CH2

H3C

CH2

OCH3

OCH3

OCH3

H3COCH3

N+

C

N+

OCO

CH3

CH3CO

H

N+

CH3

CH3C

O

O H

N+

C CH3O

CH3

CH3

H

CH2CH CH2N+

N+

O

OCCH3

H

O

CH3

HO

H

H3C

OCN

H3C

H3C

OCN

H

H3C

N+

H

CH3

N CH3

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2075.3 Pharmakodynamik der Hauptwirkung

„Phase-I-Block“). Nach Auslösung der Depolarisation haf-tet Succinylcholin nämlich noch einige Zeit an den Rezep-torbindungsstellen, da es i. Ggs. zu Acetylcholin nur durchdie in der Leber synthetisierte und fast ausschließlich imPlasma vorkommende unspezifische Pseudocholinesterase(PChE; Syn.: Plasma- oder Serumcholinesterase, unspezi-fische Cholinesterase) gespalten werden kann. Solangeaber Succinylcholin an den Rezeptor gebunden bleibt, kannkeine neue Erregung entstehen, geschweige denn fort-geleitet werden; Succinylcholin wirkt in dieser Phase alsoantagonistisch. Die potentialgesteuerten Na+-Kanäle derumgebenden Membran schließen sich nach ihrer Öffnungspontan und verharren dann im inaktivierten (!) Zustand.Gleiches gilt für die nikotinergen Rezeptorkanäle der End-platte. Eine Membranrepolarisation kann aber in dieserPhase nicht stattfinden, sondern erst, nachdem sich Succi-nylcholin vom Rezeptor gelöst hat. Klinisch zeigt sich derDepolarisationsblock initial mitunter in feinen, unkoordi-nierten, kurzdauernden Muskelzuckungen (Faszikulatio-nen oder Fibrillationen). Diese Faszikulationen sind dasKorrelat der Erregung. Nachfolgend allerdings erschlafftdie Muskulatur, weil während der Succinylcholinbindungkein neues Aktionspotential ausgelöst werden kann. Dieschlaffe Lähmung unter Succinylcholin ist demnach Folgeeines partiellen (Ant-)Agonismus.

5.3.3 Nichtdepolarisierende Muskel-relaxanzien

Nichtdepolarisierende Relaxanzien lagern sich ebenfallsdem postsynaptischen nikotinergen Rezeptor an, ohnejedoch eine Depolarisation auszulösen („Nichtdepolari-sationsblock“; Abb. 62). Gegenüber Acetylcholin wirkensie als kompetitive Antagonisten und verursachen deshalbeine rein schlaffe Lähmung. Sobald nur eine der ACh-Bin-dungsstellen an den beiden α- Untereinheiten von einemnichtdepolarisierenden Relaxans besetzt ist, wird der Re-zeptor unempfindlich für Acetylcholin und kann demge-mäß nicht aktiviert werden. Ab einer bestimmten Anzahlnicht durch Acetylcholin aktivierbarer Rezeptoren wirddas Schwellenpotential zur Auslösung einer Depolarisa-tion der Muskelmembran nicht mehr erreicht, so daß auchkeine Muskelkontraktion mehr entstehen kann.

Merke Die Wirkung von Muskelrelaxanzien ist auf die End-platten begrenzt. Eine direkte Erregung der Muskulatur (z. B.durch elektrischen Strom) wird somit nicht verhindert. Das giltim besonderen für die nichtdepolarisierenden Relaxanzien.

5.3.4 Dosis-Wirkungs-Beziehung

Die neuromuskuläre Übertragung zeigt physiologisch einegroße Sicherheitsbreite. Damit sie meßbar beeinträchtigtwird, müssen mindestens 75 % der Rezeptoren im Bereich

der Endplatte von einem Muskelrelaxans besetzt sein (vgl.Abschn. 5.8.2). Erst ab diesem Punkt entwickelt sich alsodas klinische Bild der Muskellähmung. Umgekehrt – unddas sei schon hier angemerkt – liegt darin aber auch einebesondere Gefahr. Wenn nämlich postoperativ die neuro-muskuläre Funktion gerade wieder voll erholt ist, sindeben immer noch etwa 75 % der Rezeptoren blockiert.Schon geringe zusätzliche Beeinträchtigungen (z. B. durchMedikamente) können dann schnell eine erneute Muskel-schwäche provozieren und die Atmung verschlechternoder insuffizient werden lassen.

Quantifizierung der Wirkungvon Muskelrelaxanzien

Zur Quantifizierung der neuromuskulär blockierendenPotenz eines Muskelrelaxans wird zumeist die ED95 ver-wendet. Hierunter versteht man die Dosis eines Relaxans,die für eine 95%ige, also nahezu vollständige Muskel-erschlaffung erforderlich ist. Als zur Intubation geeignetwird i. d. R. die doppelte ED95, die sog. Intubationsdosis, an-gesehen.

Als „Referenzmuskel“, an dem die ED95 für die ein-zelnen Muskelrelaxanzien (mechanomyographisch; sieheAbschn. 5.8.2) erhoben wird (oder vereinbarungsgemäßerhoben werden sollte), dient der M. adductor pollicis. Erwird meistens auch in der Klinik zur relaxometrischenÜberwachung herangezogen, weil er gut zugänglich istund an ihm die Messung einfach auszuführen ist.

Was den Aussagewert der ED95 für den Einsatz vonMuskelrelaxanzien am Patienten angeht, muß man sichvor Augen halten, daß sie lediglich einen Mittelwert re-flektiert. Hinzu kommt, daß die am M. adductor pollicisermittelte ED95 nicht die gleiche Blockadeintensität anallen Muskelgruppen widerspiegelt (s. u.). Sie bietet alsofür die Dosierung im Einzelfall immer nur einen mehroder weniger groben Anhalt. Die Intubationsdosis wurdemit mindestens der doppelten ED95 deshalb so hoch fest-gelegt, um möglichst in jedem Fall optimale Intubations-bedingungen zu gewährleisten, was mit einer geringerenDosis aufgrund der großen Unterschiede in der individu-ellen Empfindlichkeit auf Relaxanzien nicht zu erreichenwäre. Außerdem läßt sich damit die Zeit bis zur Durch-führbarkeit der Intubation verkürzen.

Muskuläre Empfindlichkeit

Die Empfindlichkeit auf Relaxanzien findet sich nicht inallen Skelettmuskelgruppen gleich ausgeprägt, d. h., umdie gleiche Blockadeintensität an den einzelnen Muskelnzu erreichen, werden z. T. unterschiedliche Relaxansdosenbenötigt (Tab. 89). Die Ursachen hierfür sind letztlich nichtklar. Diskutiert werden physiologische, pharmakodynami-sche und pharmakokinetische Faktoren (Zahl und Art derMuskelfasern; Zahl, Verteilung und Affinität der Rezep-toren; Länge der Diffusionsstrecke und Höhe der Durch-blutung).

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208 5 Muskelrelaxanzien

Die Dosisempfindlichkeit unterschiedlicher Muskel-gruppen läßt sich wie folgt zusammenfassen:

1. Am empfindlichsten reagieren die kleinen, dicht in-nervierten Muskeln von: Fingern, Zehen, Augen (Aus-nahme: M. orbicularis oculi), Zunge/Zungengrund,Pharynx und Kiefer.

2. Es folgen die Extremitäten-, Rumpf-, Hals- und danndie Kehlkopfmuskeln.

3. Am resistentesten sind der M. orbicularis oculi sowiedie Atem- und Atemhilfsmuskeln (v. a. das Zwerch-fell).

Die unterschiedliche Empfindlichkeit einzelner Muskel-gruppen auf eine definierte Dosis eines Muskelrelaxansschlägt sich nicht nur in der Blockadeintensität nieder,sondern auch in der Anschlagszeit und Wirkungsdauer.So ist bei Muskeln mit geringerer Empfindlichkeit dieBlockadedauer verkürzt. Die Unterschiede in der Blok-kadedauer zwischen relativ empfindlichen und relativ un-empfindlichen Muskeln können beträchtlich sein und,abhängig vom verwendeten Relaxans, durchaus bis zu30 Minuten betragen. Bei den nur gering empfindlichenMuskeln wäre eigentlich auch ein verlangsamter Eintrittder neuromuskulären Blockade zu erwarten. Hier zeigtsich aber in vivo nicht durchgehend ein dem entsprechen-des Verhalten. So findet sich i. d. R. ein rascherer Blockade-eintritt an der Zwerchfell- und Larynxmuskulatur als amAdductor pollicis. Hierfür scheint die unterschiedlicheDicke der Muskelfasern ausschlaggebend zu sein. Je dickereine Muskelfaser ist, um langsamer tritt die Wirkungeines Relaxans ein. Dies könnte den späteren Wirkungs-eintritt an der peripheren Muskulatur wie dem Adductorpollicis erklären. Unter klinischen Bedingungen mögenweitere Faktoren eine Rolle spielen wie Durchblutung,Temperatur und Anästhesiequalität (siehe auch Abschn.5.4.6). So verlängert z. B. eine Hypothermie die Anschlags-zeit und Wirkungsdauer von Relaxanzien. Eine Hypo-thermie wird aber zuerst die Körperperipherie betreffen

(→ M. adductor pollicis) und zur Durchblutungsabnahmeführen, was hier die Verteilung von Relaxanzien entspre-chend beeinträchtigt.

Im Überblick sieht die typische Reihenfolge der neuro-muskulären Blockade wie folgt aus:

1. Als erstes werden gelähmt: das Zwerchfell, die Inter-kostalmuskeln und der M. orbicularis oculi (für de-ren vollständige Lähmung ist jedoch, bezogen auf denM. adductor pollicis, die 1,5–2fache ED95 erforderlich!).

2. Es folgen die Kehlkopfmuskeln.3. Erst danach werden die peripheren Muskeln (wie der

M. adductor pollicis u. der M. flexor hallucis) relaxiert,in etwa zeitgleich zur Kiefermuskulatur (M. masse-ter).

4. Kurz darauf folgt auch die Lähmung der Pharynx- undZungengrundmuskulatur (z. B. M. geniohyoideus).

Die neuromuskuläre Blockade bildet sich in der gleichen(!) Reihenfolge zurück.

Merke Bei der Beurteilung der Relaxansempfindlichkeitverschiedener Muskeln muß zwischen der (In-vitro-)Dosis-empfindlichkeit und der Reihenfolge des (klinischen) Blockade-eintritts differenziert werden.

Bedeutung für die klinische Relaxometrie. Auch wenn derM. adductor pollicis als Referenzmuskel zur Überwachungder neuromuskulären Funktion dient, so läßt sich nach denobigen Ausführungen doch festhalten, daß seine Lähmungnicht den Blockadeerfolg an den für Intubation und Ope-ration wichtigen Muskeln (Masseter- und Larynxmusku-latur, Zwerchfell) widerspiegelt, und das sowohl hinsicht-lich des Ausmaßes als auch hinsichtlich des zeitlichenAblaufs der Blockade. Dennoch ist es sinnvoll, den Standardder M.-adductor-pollicis-Überwachung beizubehalten.Zum einen werden schon seit langem die pharmako-dynamischen und -kinetischen Kenndaten von Muskel-relaxanzien an diesem Muskel erhoben, was eine umfang-reiche Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet; zumanderen wird an einem solchen „sensiblen“ Muskel einRelaxansüberhang leichter entdeckt als an einem „re-sistenten“, was die Sicherheit des Patienten erhöht. Hier-zu ist allerdings einschränkend anzumerken, daß erst mitder Erholung der Zungengrundmuskulatur, insbesonderedes M. geniohyoideus, die oberen Atemwege während derInspiration aktiv offengehalten werden können. Die Erho-lung erfolgt hier aber langsamer als am M. adductor polli-cis. Würde man nun die neuromuskuläre Überwachungz. B. mit Hilfe des relativ unempfindlichen M. orbicularisoculi durchführen, so könnte man wohl den Zeitraum biszur endotrachealen Intubation ein wenig verkürzen, dieBeurteilung eines Relaxansüberhangs aber wäre dannrelaxometrisch gar nicht mehr möglich.

Merke Die Lähmung des M. adductor pollicis ist nur einmäßiger Indikator der Relaxationsbedingungen für Intuba-tion und Operation.

Tabelle 89 Empfindlichkeit verschiedener Muskeln auf Rela-xanzien

leksuM sisodsnaxaleR)sisoDevitaler(

tiekhcildnifpmEhcannebonov(

)dnemhenbanetnu

suedioyhoineg.M << 1

retessam.M < 1

,sicilloprotcudda.Msicullahroxelf.M

= 1

eretiew.usilacov.MnleksumxnyraL

5,1–1

;ilucosiralucibro.M,selatsocretni.mM

llefhcrewZ

2–5,1

Thiel, Roewer; Anästhesiologische Pharmakotherapie (ISBN 978-3-13-138261-0), © 2004 Georg Thieme Verlag

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2095.4 Beeinflussung von Organfunktionen und Nebenwirkungen

5.4 Beeinflussung vonOrganfunktionenund Nebenwirkungen

5.4.1 Atmung

Die wichtigste Nebenwirkung, die Lähmung der Atemmus-kulatur, erklärt sich unmittelbar aus der Hauptwirkungaller Muskelrelaxanzien. Sie ist unter klinischen Dosen un-vermeidbar. Hiervon betroffen ist auch die Zungengrund-muskulatur. Sie ermöglicht es dem Patienten, die oberenAtemwege aktiv offenzuhalten. Ihre Funktion wird beiabklingender Relaxanswirkung erst als letztes wieder-hergestellt, so daß bis dahin mit Atemstörungen infolgeeiner Obstruktion der oberen Atemwege gerechnet wer-den muß.

5.4.2 Herz und Kreislauf

Die Affinität von Muskelrelaxanzien beschränkt sich nichtauf die cholinergen Rezeptoren der motorischen Endplatte.Grundsätzlich können Muskelrelaxanzien an allen Bin-dungsstellen im Organismus wirken, für die Acetylcholinder physiologische Transmitter ist. Auf diesen Mechanis-mus lassen sich viele ihrer Nebenwirkungen zurückführen.Das besondere Interesse gilt dabei dem Teil des vegetati-ven Nervensystems, der mit nikotinergen (ganglionären)und muskarinergen (postganglionären) Rezeptoren an derHerz-Kreislauf-Regulation beteiligt ist. Hierbei sind fol-gende Interaktionsmuster zu beobachten (Tab. 90):

1. Nichtdepolarisierende Relaxanzien wirken an diesenRezeptoren ausschließlich inhibierend (entsprechendihrer neuromuskulär blockierenden Wirkung). DieBlockade nikotinerger Rezeptoren autonomer Gang-lien („Ganglioplegie“) führt zur Blutdrucksenkung, dieBlockade kardialer muskarinerger Rezeptoren – wiebei Atropin – zur Tachykardie.

2. Succinylcholin kann aufgrund seiner besonderen Stel-lung als partieller Agonist diese Rezeptoren auch sti-mulieren. Mit einer muskarinergen Stimulation amHerzen lassen sich die parasympathomimetischenEffekte wie Sinusbradykardie (bis hin zum Sinusknoten-stillstand) und Knotenersatzrhythmen erklären. Aller-dings kann auch genau das Gegenteil eintreten, eineTachykardie und überdies ein Blutdruckanstieg, dennSuccinylcholin führt ebenfalls zu einer nikotinergen Er-regung, die dann die sympathischen Ganglien betrifft,einschließlich des Nebennierenmarks (→ vermehrteAusschüttung von Adrenalin und Noradrenalin). In bei-den Fällen, d. h. bei nikotinerger oder muskarinergerStimulation, sind ventrikuläre Arrhythmien möglich.

Das Verhältnis von neuromuskulär blockierender Wir-kung zu ganglionär bzw. muskarinerg wirksamer Dosiswird als „autonome Sicherheitsreserve“ bezeichnet.

Sie kennzeichnet die Unterschiede in der Affinität einesRelaxans zu den einzelnen Rezeptortypen. Die autonomeSicherheitsreserve für die heutzutage gebräuchlichennichtdepolarisierenden Substanzen ist relativ hoch (z. B. fürVecuronium 20 : 1); für den Prototyp dieser Klasse, dasd-Tubocurarin, beträgt sie dagegen nur 1 : 1, d. h., hier wa-ren vegetative Nebenwirkungen schon bei üblicher kli-nischer Dosierung die Regel. Für Succinylcholin ist dieautonome Sicherheitsreserve vergleichbar gering. Ob hierjedoch im Einzelfall das Ergebnis einer nikotinergen odermuskarinergen Stimulation im Vordergrund stehen wird,läßt sich nicht vorhersehen. Bei hoher Dosierung, beson-ders nach kurzfristiger Repetition, dominieren allerdingsdie parasympathomimetischen Effekte.

§§§§§ Für die Praxis:1. Rezeptorabhängige Nebenwirkungen sind bei den

modernen nichtdepolarisierenden Relaxanzien zuvernachlässigen; sie spielen nur bei Succinylcholin eineRolle.

2. Muskarinerge kardiale Nebenwirkungen (wie Brady-kardie) treten unter Succinylcholin gehäuft auf, wenndie Substanz in kurzen Abständen wiederholt zuge-führt wird, bei Kleinkindern und digitalisierten Patien-ten auch schon nach der ersten Injektion. Sie könnendurch vorherige Verabreichung von Atropin vermin-dert oder verhindert werden.

Pancuronium. Pancuronium zeichnet eine Besonderheitaus. Diese Substanz wirkt nicht nur leicht vagolytisch, siefördert auch die Freisetzung und hemmt die Wiederauf-nahme von Noradrenalin im Bereich der postganglionärensympathischen Nervenendigungen, was insgesamt zu ei-nem mäßigen Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck füh-ren kann. Auf diese Weise antagonisiert Pancuronium diesympatholytischen und vagalen Effekte der Opioide. Aus-geprägte Tachykardien treten daher nur sehr selten auf.

Tabelle 90 Ganglionäre, muskarinerge und unspezifische hist-aminerge Wirkungen einiger Muskelrelaxanzien

snaxaleR emonotuAneilgnaG

egreniraksuMnerotpezeR

ehcsifizepsnU-nimatsiH

gnuztesierf

nilohclyniccuS noitalumitS noitalumitS gigüfgnireg

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muinorucoR ø ø ø

muinorucnaP ø egißämedakcolB

ø

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210 5 Muskelrelaxanzien

5.4.3 Histaminfreisetzung

Unter klinisch üblichen Dosierungen setzen die heute ge-bräuchlichen Relaxanzien nicht oder nur selten relevanteMengen Histamin frei (Tab. 90). Während es sich hierbeivor allem um eine unspezifische Degranulation von Mast-zellen handelt, die relativ häufig bei Atracurium und Miva-curium zu beobachten ist, zumal nach zügiger Injektion,und hier in aller Regel nur zu lokal begrenzten Reaktionenführt (Erytheme etc.; s. Kap. 1.4.6), sind echte allergischeReaktionen mit schwerer hämodynamischer und broncho-spastischer Symptomatik nur in Einzelfällen für Relaxan-zien beschrieben, am häufigsten noch für Succinylcholin.Die unspezifische Histaminfreisetzung unterliegt zudemeiner Tachyphylaxie, d. h., bei kurzfristig wiederholter Zu-fuhr des Auslösers verringert sich infolge zunehmenderSpeicherentleerung die freigesetzte Histaminmenge. MitAusnahme von Rapacuronium führen Steroidrelaxanzien,insbesondere Vecuronium, in klinischer Dosierung nichtzu einer unspezifischen Histaminfreisetzung. Vecuroniumund wohl auch Rocuronium können aber, bereits in diesemDosisbereich beginnend, die Histamin-N-Methyltrans-ferase in der Leber hemmen und so den Abbau von Hist-amin beeinträchtigen.

Das Ausmaß der unspezifischen Histaminfreisetzungverringert sich bei den einzelnen nichtdepolarisierendenRelaxanzien in der Reihenfolge:

1. potentiell klinisch relevant: Atracurium > Mivacurium> Rapacuronium

2. klinisch nicht relevant: Rocuronium > cis-Atracurium> Pancuronium > Vecuronium.

§§§§§ Für die Praxis:Die gängigen Muskelrelaxanzien führen auf nichtaller-gischem Wege nur selten zu einer klinisch relevantenHistaminfreisetzung.

5.4.4 Intrakranieller und intra-okularer Druck

Nichtdepolarisierende Relaxanzien können den intrakra-niellen (ICP) und den intraokularen Druck (IOP) leichtabsenken. Die Drucksenkung ist unspezifischer Natur,sie ergibt sich mittelbar aus der muskelrelaxierendenWirkung (wie Verminderung des Beatmungsdrucks mitVerbesserung des hirnvenösen Abflusses, Relaxierung deräußeren Augenmuskeln). An der ICP-Reduktion scheintauch eine Herabsetzung afferenter neuronaler Aktivität inMuskelspindeln beteiligt zu sein, die zu einer geringenVerminderung der Hirndurchblutung führt. Außerdemwerden durch die Unterdrückung von Husten und Pressenintrakranielle und intraokulare Druckspitzen vermieden.

Unter Succinylcholin dagegen können beide Drückevorübergehend mäßig ansteigen. Der ICP-Anstieg wirdmit einer geringfügigen Zunahme der Hirndurchblutung

in Verbindung gebracht. Hierbei geht man davon aus, daßdie durch Succinylcholin ausgelöste Zunahme der moto-rischen Aktivität über afferente Bahnen zu einer zerebra-len Stimulation führt. Der Mechanismus der IOP-Erhöhungist nicht genau bekannt; möglicherweise liegt er in einerinitialen Kontraktion der quergestreiften Augenmuskulatur.Während eine Succinylcholin-induzierte ICP-Steigerungdurch vorherige Injektion eines nichtdepolarisierendenRelaxans in subrelaxierender Dosis, die sog. Präkurarisie-rung, vermindert, oftmals auch verhindert werden kann,ist ein solcher Effekt in bezug auf den IOP nach wie vorumstritten.

5.4.5 Besondere Nebenwirkungenunter Succinylcholin

Muskelschmerzen

Muskelschmerzen, der so genannte Muskelkater1, tretennach Gabe von Succinylcholin insbesondere bei jungenLeuten auf. Ihre Pathogenese ist noch nicht eindeutig ge-klärt. Früher nahm man als Ursache eine Anhäufung vonMilchsäure in der Skelettmuskulatur an. Heute vermutetman den Grund in muskulären Mikroverletzungen, die imZusammenhang mit den durch Succinylcholin ausgelöstenFibrillationen stehen sollen. Als Folge der Schädigung wer-den Autolyseprodukte gebildet. Sie können zum Ödemmit Erhöhung des Gewebedrucks führen und so eine Isch-ämie in den betroffenen Muskeln verursachen. Damiteinhergehende Muskelschmerzen treten verzögert in Er-scheinung, das heißt frühestens einige Stunden nach derNarkose, ihr Höhepunkt ist zumeist nach 1–3 Tagen er-reicht. Sie bilden sich über einen Zeitraum von maximaleiner Woche nach Anwendung von Succinylcholin spon-tan zurück. Durch eine „Präkurarisierung“ lassen sie sichzwar nicht immer verhindern, zumindest aber doch ver-mindern.

Hyperkaliämie

Bei bestimmten Erkrankungen oder Veränderungen, dieprimär oder sekundär die Skelettmuskulatur betreffen(Tab. 91), kann Succinylcholin eine exzessive Steigerungder Kaliumkonzentration im Plasma hervorrufen. Währendes i. d. R. durch die Succinylcholin-induzierte postsynapti-sche Depolarisation nur im Bereich der motorischen End-platte zu einem Kaliumaustritt aus der Muskelzelle kommtund dadurch der Plasmakaliumspiegel nur kurzfristig umetwa 0,5–1,0 mmol/l ansteigt, ändert sich die Situation,wenn die Skelettmuskulatur generalisiert oder doch zu-mindest in größeren Anteilen geschädigt ist oder (ge-

1 Der Begriff „Muskelkater“ ist eine sog. Volksetymologie, abgeleitet von„Katarrh“.

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2115.4 Beeinflussung von Organfunktionen und Nebenwirkungen

netisch bedingte) Anomalien aufweist. Hier bilden sichACh-Rezeptoren auch extrasynaptisch, also außerhalb derEndplatten, und zwar entlang der gesamten Muskelmem-bran („Up-Regulation“). Das hat zur Folge, daß eine Norm-dosis Succinylcholin nicht nur im Bereich der Endplattewirksam wird, sondern über die Membran hinweg einengeneralisierten Kaliumausstrom bewirkt, der erheblicheAusmaße annehmen kann. Die ganze Muskelmembranreagiert gewissermaßen „endplattenartig“. Die Folge einerderartigen massiven Kaliumfreisetzung sind exzessiveHyperkaliämien, die zu bedrohlichen Arrhythmien bis hinzum hyperkaliämischen Herzstillstand führen können (Ka-liumspiegel von 10 (!) mmol/l und mehr sind keine Sel-tenheit).

Im Hinblick auf den klinischen Schweregrad solltezwischen

• den angeborenen, progressiven Muskeldystrophienund der (subklinischen) Myopathie, die zur Entwick-lung einer malignen Hyperthermie (MH) disponiert,auf der einen Seite und

• einer „einfachen“ Up-Regulation der ACh-Rezeptorenauf der anderen Seite

differenziert werden. Am gefährlichsten ist die Succinyl-cholinanwendung bei der MH-Myopathie und bei denprogressiven Muskeldystrophien (insbesondere vom TypDuchenne); in diesen Fällen kann Succinylcholin eineRhabdomyolyse2 induzieren (bei der MH-Myopathie dar-über hinaus eine lebensbedrohliche hypermetabolischeKrise). Die Mortalität einer durch Succinylcholin ausge-lösten Asystolie ist bei gleichzeitiger Rhabdomyolysedeutlich höher, als wenn es lediglich infolge einer Rezep-tor-Up-Regulation zur akuten Kaliumfreisetzung kommt.Während in den beiden ersten Fällen, also bei Vorliegeneiner primären Myopathie, die abnorme Empfindlichkeitauf Succinylcholin von vornherein vorhanden ist und le-

benslang bestehenbleibt, entwickelt sie sich im anderenFall erst allmählich mit dem Einsetzen der Rezeptorver-änderungen. So zeigt sich nach Eintritt einer Muskelde-nervierung oder -läsion die klinische Überempfindlichkeitauf Succinylcholin innerhalb von 2–3 Tagen (nach Immo-bilisierung wohl erst nach 1 Woche), sie erreicht nach ca.1 Woche ihren Höhepunkt und hält dann für mindestens6–12 Monate an. In Einzelfällen kann sie wahrscheinlichauch hier lebenslang persistieren (z. B. Querschnittsyn-drom).

Notabene Die bei disponierten Patienten durch Succinyl-cholin auslösbare exzessive Hyperkaliämie läßt sich durcheine „Präkurarisierung“ nicht verhindern!

Aus dem Geschilderten lassen sich folgende Leitsätze zumGebrauch von Succinylcholin formulieren:

1. Der Einsatz von Succinylcholin ist bei primären Myo-pathien (Tab. 91) absolut kontraindiziert.

2. Die weiteren in Tab. 91 aufgeführten Prädispositionenfür Succinylcholin-induzierte Hyperkaliämien sindebenfalls als absolute Kontraindikationen anzusehen,zumindest dann, wenn die pathologischen Verände-rungen größere Muskelgruppen betreffen und seitmindestens 48 Stunden bestehen.

3. Succinylcholin sollte bei elektiven Eingriffen nur dannverwendet werden, wenn eine primäre Myopathieausgeschlossen ist.

Succinylcholin und Niereninsuffizienz. Die Anwendbar-keit von Succinylcholin bei Patienten mit terminaler Nie-reninsuffizienz wird mit Blick auf die Kaliumfreisetzungnicht einheitlich beurteilt. Jedoch zeigen terminal Nieren-insuffiziente unter diesem Aspekt keine besondere Emp-findlichkeit, d. h., der Kaliumplasmaspiegel wird durchSuccinylcholin nicht stärker als beim Normalpatientenangehoben; erhöhte Plasmaspiegel bestehen lediglich län-ger fort, entsprechend der Nierenausscheidungsstörung.Außer bei Hyperkaliämie kann Succinylcholin hier alsoeingesetzt werden.

2 Zerstörung der Oberflächenmembran des Muskels mit Austritt vonZellbestandteilen wie Myoglobin, Kalium und Creatinkinase

neihtapoyMerämirP neihportaleksuM neihtapoyMerädnukeS nenoisälleksuMetkeriD

nevissergorprednemroFellasrednoseb(eihportsydleksuMpyThcuareba,ennehcuDpyT)brEpyTdnureneiK.urekceB

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:gnureivitkanileksuMgnureisilibommIednreuadgnal–

– )netneitapvisnetnI.B.z(

Tabelle 91 Prädispositionen für Succinylcholin-induzierte Hyperkaliämien

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212 5 Muskelrelaxanzien

Muskelkontrakturen

Bei myotonischen Erkrankungen (Myotonia congenita, Dystro-phia myotonica [Curschmann u. Steinert], Paramyotonia con-genita) kann Succinylcholin generalisierte oder auf einzelneMuskeln beschränkte Kontrakturen hervorrufen. Dies kann zuVerletzungen führen und bei Beteiligung der Kehlkopf- oderMassetermuskulatur die Intubation unmöglich machen. Des-halb und wegen einer zu erwartenden Wirkungsverlängerungist Succinylcholin bei Patienten mit Myotonien absolut kon-traindiziert. Unabhängig davon kann Succinylcholin auch beiPatienten ohne myotonische Prädisposition Masseterspasmenauslösen, am häufigsten bei Kindern. Diese Masseterspasmenkönnen ein diagnostisches Zeichen für eine maligne Hyper-thermie sein; sie können aber auch isoliert, also ohne Bezugzur MH auftreten.

Intragastraler Druck

Als Folge der durch Succinylcholin hervorgerufenen Mus-kelfaszikulationen und einer dadurch bedingten abdomi-nellen Kompression kann der intragastrale Druck leichtansteigen, was möglicherweise eine Regurgitation undAspiration von Mageninhalt begünstigt. Besonders magdies auf Patienten mit „vollem Magen“, Ileus oder beiSchwangeren zur Sektioentbindung zutreffen, bei Patien-ten also, bei denen ja der intraabdominelle Druck schonprimär erhöht ist. Jedoch muß man sich auf der anderenSeite vergegenwärtigen, daß faszikulationsbedingt nichtnur der intragastrale Druck zunehmen kann, sondern

ebenfalls der Verschlußdruck des gastroösophagealenSphinkters, und das stärker als der intragastrale Druck,was einer Regurgitation sogar vorbeugen würde. Unge-achtet dessen lassen sich Faszikulationen i. d. R. durcheine „Präkurarisierung“ verhindern, so daß dann die Aus-gangssituation unbeeinflußt bleibt. Aus diesem Grundwird auf die „Präkurarisierung“ zumeist nicht verzichtet,wenn Succinylcholin zur „Blitzintubation“ beim nichtnüchternen Patienten eingesetzt wird.

Dualblock

Repetitive Gaben von Succinylcholin können ebenso wieeine kontinuierliche Infusion die blockierenden Eigen-schaften der Substanz verändern (die hierzu erforder-liche kumulative Dosis beträgt etwa 5–10 mg/kg KG). Auseinem zunächst nur verlängerten Depolarisationsblock(Phase-I-Block) entwickelt sich dann eine Art langanhal-tender Nichtdepolarisationsblock (Phase-II- oder Dual-Block). Der genaue Mechanismus hierfür ist nach wie vornicht bekannt. Ein Dualblock entsteht ebenfalls, wennSuccinylcholin bei atypischer Pseudocholinesterase nichthydrolysiert werden kann und so im synaptischen Spaltkumuliert (siehe Abschn. 5.5.2). Die beiden Blockformenkönnen nur relaxographisch, nicht aber klinisch unter-schieden werden (siehe Abschn. 5.8.2). Der Dualblock sollim Gegensatz zum Depolarisationsblock partiell durchCholinesterasehemmer (siehe Abschn. 5.7) antagonisier-bar sein.

Tabelle 92 Nebenwirkungen von Succinylcholin im Überblick

hcsimanydokamrahptgnideb

:tgnidebsnoitasiraloped

-leksuM,nemsapsleksuM,nenoitalukizsafleksuMnezremhcs

dnuneralukoartni,nelleinarkartnisedgnuregietSskcurDnelartsagartni

nerutkarFnovnoitakolsiD

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neimhtyhrrayhcaTredo-ydarB

noitalumitSegreniraksum(gnuregietssnoitavilaS)nesürdlehciepSred

:airaV

eimäilakrepyH

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tgnidebhcsitenegokamrahp -ipytaiebedakcolBetregnälreveimrehtrepyHengilamesaretsenilohcoduesPrehcs

tgnidebhcsitenikokamrahp nalegnaMmenebrowreiebedakcolBetregnälrevesaretsenilohcoduesP

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2135.4 Beeinflussung von Organfunktionen und Nebenwirkungen

5.4.6 Interaktionen

Klinisch am bedeutsamsten sind diejenigen Interaktionen,die sich aus der

• Kombination von Muskelrelaxanzien untereinanderoder

• von Muskelrelaxanzien mit volatilen Anästhetikaergeben.

Kombination verschiedenerMuskelrelaxanzien

Nichtdepolarisierendes Relaxans + Succinylcholin. DieseKombination wird am häufigsten praktiziert, und zwar inForm der bereits erwähnten „Präkurarisierung“. Hierbeiwird kurz vor Succinylcholin ein nichtdepolarisierendesRelaxans in geringer, subrelaxierender Dosis (ca. ¼ derED95) injiziert. Dadurch lassen sich die meisten Begleit-erscheinungen und Nebenwirkungen von Succinylcholin(Faszikulationen, Muskelschmerzen, Bradykardie etc. [s. o.]),die sich aus seiner depolarisierender Wirkung ergeben,verhindern, zumindest aber abschwächen. Allerdings wirdder Wirkungseintritt von Succinylcholin leicht verzögert,und dessen Dosis muß geringfügig erhöht werden. DieIntubationsdosis von Succinylcholin wiederum verstärktdie Wirkung anschließend applizierter nichtdepolarisie-render Relaxanzien.

Nichtdepolarisierendes + nichtdepolarisierendes Relaxans.Eine Kombination dieser Art führt oft zu synergistischenEffekten und so zur gegenseitigen Wirkungsverstärkungwie auch zur Wirkungsverlängerung. Werden Relaxanzienderselben chemischen Klasse miteinander kombiniert, soist lediglich eine additive Wirkung zu erwarten. Eine Po-tenzierung kann dagegen nur dann eintreten, wenn es sichum Substanzen mit unterschiedlichen chemischen Grund-gerüsten handelt (z. B. Benzylisochinolin + Aminosteroid).Das liegt daran, daß die Wirkung von Relaxanzien nichtauf die postsynaptischen ACh-Rezeptoren beschränkt seinmuß, sondern weitere Angriffspunkte an der prä- undpostsynaptischen Membran umfassen kann. Unter dieserVoraussetzung können sich dann die Wirkungsprofile er-gänzen. Für die Praxis bedeutet dies, daß mit der Applika-tion eines kurzwirkenden nichtdepolarisierenden Relaxans(z. B. Mivacurium) nach einem langwirkenden (z. B. Pan-curonium) zum Ende einer Operation nicht eine Wirkungs-verkürzung, sondern genau das Gegenteil erreicht werdenkann. Dieses Vorgehen sollte daher unterbleiben.

Volatile Inhalationsanästhetika

Volatile Anästhetika wirken zwar vor allem zentral mus-kelrelaxierend, üben in geringem Maß aber auch direkteinen hemmenden Einfluß auf die muskelzelluläre Mem-bran aus. Allein schon durch ihre zentrale Wirkung ver-

Tabelle 93 Interaktionen mit Muskelrelaxanzien

gnukriwsnaxaleR sumsinahceM

akitehtsänAelitaloV ↑↑↑ -ednimreViebnoitanimilEredgnuregözreV;*rehpirep,lartnezgnutulbhcrudnereiNdnu-rebeLredgnur

N2 noneX,O tkeffEniek

akitoibitnA (↑ ) ↑− ↑ )etknupsffirgnAehcsitpanystsopdnu-ärp(nedeihcsrev

akitehtsänalakoL ↑↑ aNneränarbmemredgnurednimreV + tiekgihäftieL-

akimhtyhrraitnA ↑ aNredgnurednimreV:neznatsbuS-I-essalK -+ tiekgihäftieL

netsinogatnamuiclaC ↑ aCnovgnureikcolBehcsitpanystsopdnu-ärp +2 nelänaK-

akiteruidnefielhcS ↑ aCnehcsitpanysärpsedgnummeH +2 smortsniE- )?(

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avisluvnokitnA ↓↓ )?(noitkudnimyznEehcsitapeh

eimäisengamrepyH ↑↑ gnuztesierF-hCAnehcsitpanysärpredgnummeH

eimäzlakopyH ↑ gnuztesierF-hCAnehcsitpanysärpredgnummeH

eimäilakopyH ↑ slaitnetopnarbmemehuRsedgnukneS

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eimrehtopyH ↑↑ -narbmeMrehcsimehcoib.urehcsilakisyhpgnumasgnalreVessezorp

↑ verstärkt/verlängert; ↓ abgeschwächt/verkürzt; * geringe oder fragliche klinische Relevanz

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214 5 Muskelrelaxanzien

stärken und verlängern sie konzentrationsabhängig dieneuromuskuläre Blockade nichtdepolarisierender Rela-xanzien, so daß deren zur Erzielung eines bestimmtenRelaxationsgrads nötige Dosis reduziert werden kann.

Merke Ein volatiles Anästhetikum reduziert in einer end-exspiratorischen Konzentration von 1 MAC den Verbrauchnichtdepolarisierender Relaxanzien um ca. 30 %.

Andere Pharmaka

Einige Antibiotika, v. a. die Aminoglykoside, können ebensowie Lokalanästhetika, Antiarrhythmika, Calciumantagonis-ten, Schleifendiuretika, wie z. B. Furosemid, und Lithiumdie Wirkung von Relaxanzien verstärken und verlängern.Dagegen können Antikonvulsiva wie Phenobarbital, Phe-nytoin und Carbamazepin die Wirkung nichtdepolari-

sierender Relaxanzien vom Steroid-Typ verkürzen, so daßhiervon häufigere Repetitionsdosen benötigt werden. Dieklinische Relevanz ist jedoch in allen Fällen eher geringeinzuschätzen.

Allgemeine Einflußfaktoren

Zu einer Wirkungsverlängerung bzw. -verstärkung vonRelaxanzien führen Hypothermie, Störungen im Säure-Ba-sen-Haushalt und Elektrolytverschiebungen wie Hyper-magnesiämie, Hypokalzämie oder Hypokaliämie.

5.5 Pharmakokinetik

5.5.1 Zeitlicher Ablauf der neuro-muskulären Blockade

Um die einzelnen Relaxanzien hinsichtlich des Wir-kungsablaufs miteinander vergleichen zu können, werdenfolgende Begriffe verwendet: die Anschlagszeit, die Wir-kungsdauer und der Erholungsindex (Abb. 65, Tab. 94).

Klinische Bedeutungder einzelnen Parameter

Die Anschlagszeit ist der Gradmesser für die Durchführ-barkeit der endotrachealen Intubation. Gute Intubations-bedingungen dürfen spätestens dann erwartet werden,wenn die Reizantwort am M. adductor pollicis vollständigunterdrückt ist (s. auch Abschn. 5.3.4 u. 5.8.2).

Die klinische Wirkungsdauer (DUR25) markiert dieZeitspanne, in der für die meisten operativen Eingriffe eineausreichende Muskelerschlaffung besteht. Muskelrelaxan-zien werden nach der klinischen Wirkungsdauer der ein-fachen (!) ED95 in kurz (< 10 min), mittellang (10–30 min)und lang (> 30 min) wirkende Substanzen unterschieden(Tab. 95).

1 nach den Empfehlungen einer Konsensuskonferenz zur Standardisierung der wissenschaftlichen Untersuchungen von Muskelrelaxanzien; 2 exakt: vomBeginn der Injektion, wobei für die Bolusinjektion eine Injektionsdauer von ca. 5 sec zugrunde gelegt wird. MR = Muskelrelaxans; DUR = „duration“

Tabelle 94 Parameter zur Beurteilung des zeitlichen Ablaufs einer neuromuskulären Blockade

retemaraP noitinifeD 1

tiezsgalhcsnA noitkejnisuloBrednovennapstieZ 2 -zieRredgnukcürdretnUnegi%59renienehcierrEmuzsibRMseniegnukriWnelamixambusredttirtniEmuzsib.h.d,trowtna

reuadsgnukriW

RUD(hcsinilk 52 ) noitkejnisuloBrednovennapstieZ 2 .wzbgnugartrebÜneräluksumoruenredgnulohrEruzsibRMsenie52fuatfarkleksuMred strewsgnagsuAsed%

RUD(tmaseg 09 ) noitkejnisuloBrednovennapstieZ 2 gnulletsrehredeiWnettelpmokuzehanosla,negi%09ruzsibRMsenietfarkleksuMred

xednisgnulohrE tfarkleksuMredgnulohrEregi%57dnu-52nehcsiwzennapstieZ

Abb. 65 Zeitlicher Verlauf einer neuromuskulären Blockade,dargestellt anhand der Veränderung der muskulären Einzelreiz-antworten und der korrespondierenden Rezeptorblockade

Kont

rakt

ions

-am

plit

ude

(%)

Ant

eil b

lock

iert

erRe

zept

oren

(%)

Wirkungsdauer 90

Wirkungsdauer 25

Anschlagszeit Erholungsindex

95

100

0

Zeit

75

MR

MR = Injektion eines Muskelrelaxans

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2155.5 Pharmakokinetik

Der Erholungsindex gibt Aufschluß über die Ge-schwindigkeit, mit der die Wirkung von Relaxanzienabklingt. In der Phase, in der sich die neuromuskuläreFunktion von 25 % bis auf 75 % des Ursprungswerts erholt,reicht der Relaxationsgrad für operative Bedürfnisse i. d. R.allerdings nicht mehr aus; jedoch ist die (Spontan-)At-mung hier noch erheblich beeinträchtigt.

Die Gesamtwirkungsdauer (DUR90) spiegelt die Zeitbis zur nahezu vollständigen Erholung der Muskelkraftwider. Sie entspricht etwa der doppelten DUR25 und kor-reliert klinisch mit einer suffizienten Eigenatmung undder Extubierbarkeit der Patienten.

Die einzelnen Zeitparameter sind dosisabhängig. Dabeigilt, daß höhere Relaxansdosen die Anschlagszeit verkür-zen und die Wirkungsdauer verlängern. Eine Ausnahmedavon macht lediglich der Erholungsindex bei Mivacu-rium, Atracurium und cis-Atracurium; er bleibt über einengrößeren Dosisbereich nahezu konstant.

Eine komplette tabellarische Übersicht zu den phar-makologischen Daten und Eigenschaften der gebräuch-lichen Muskelrelaxanzien findet sich in Tab. 101. Es seijedoch betont, daß es sich bei diesen Daten lediglich umMittelwerte handelt, von denen der Wert im Einzelfallwegen hoher interindividueller Variabilität recht deutlichnach oben oder unten abweichen kann.

5.5.2 Elimination der Muskelrelaxanzien

Hydrolyse durch Pseudocholinesterase

Succinylcholin wird so gut wie vollständig und Mivacuriumzum überwiegenden Teil durch die im Plasma befindlichePseudocholinesterase (PChE) hydrolytisch gespalten undauf diese Weise inaktiviert. Damit ist die Wirkungsdauerder genannten Relaxanzien in erster Linie eine Funktionder Konzentration und Aktivität dieses Enzyms. Da dieHydrolysierungskapazität der PChE ausgesprochen hochist, erreicht von beiden Substanzen überhaupt nur einkleiner Teil der injizierten Menge den Extrazellulärraumund damit die motorische Endplatte. Im Falle von Succinyl-cholin sind es nur etwa 10 %. Bei normaler Enzymaktivitätist Succinylcholin deshalb das am kürzesten wirkende kli-nisch eingesetzte Muskelrelaxans.

Erst eine Abnahme der PChE-Aktivität um mehr als80 % äußert sich in einem deutlich verlängerten neuro-muskulären Block nach einer Normdosis von Succinylcho-lin oder Mivacurium (Tab. 96), weil nun beide Substanzenin hoher Konzentration zur motorischen Endplatte gelan-gen. Eine solch hochgradige Verminderung bis hin zumvollständigen Fehlen der PChE-Aktivität findet sich nur beihomozygoten genetischen Defekten (Tab. 97). Die Häufig-keit der homozygoten Fehlanlage mit Bildung einer „aty-pischen PChE“ wird mit ca. 1 : 2 500 angegeben, die deskompletten Fehlens des PChE-Gens mit 1 : 100 000 („silentgene“). Unter diesen Umständen ist die Elimination vonSuccinylcholin und Mivacurium erheblich verlangsamt.

Die relaxierende Wirkung einer Normdosis entspricht danneiner 20–30fachen Überdosierung und kann mehrereStunden anhalten (bis zu 5 h bei homozygot atypischer

↓ gering vermindert; ↓↓ mäßig bis stark vermindert; ↓↓↓ sehr stark ver-mindert; ↓↓↓↓ sehr stark bis vollständig vermindert; * klinische Relevanzin Form einer deutlich verlängerten Wirkung von Succinylcholin und Miva-curium

Tabelle 96 Zustände mit verminderter Aktivität der Pseudo-cholinesterase

nehcasrU redtätivitkA-nilohcoduesP

esaretse

hcsigoloisyhp

esierG,enerobegueN ↓

tfahcsregnawhcstäpS ↓

negnuknarkrE

esoeryhtopyH ↓

negnuknarkrerebeLerewhcs ↓↓

zneiziffusninereiNegithcilfpesylaid ↓↓

emongilaM ↓↓

noitirtunlaMerewhcs ↓↓

tiehknarksgnunnerbreV ↓↓

etnemakideM

avitpezartnoK ↓

ediokitrokokulG ↓

)dimahpsohpolcyC.B.z(akitatsotyZ ↓↓

remmehesaretsenilohC ↓↓↓ *

etahpsohplyklA ↓↓↓ *

eserehpamsalP ↓↓↓ *

hcsiteneg

tnelis„/esaretsenilohcoduesPehcsipyta“eneg

↓↓↓↓ *

Tabelle 95 Unterteilung von Muskelrelaxanzien nach Wir-kungsdauer

reuadsgnukriW dnereisiraloped dnereisiralopedthcin

zruk nilohclyniccuS A034082WG

gnallettimsibzruk ,muirucaviMmuinorucapaR

gnallettim ,muirucartA,muirucartA-sic

,muinoruceVmuinorucoR

gnal muinorucnaP

Thiel, Roewer; Anästhesiologische Pharmakotherapie (ISBN 978-3-13-138261-0), © 2004 Georg Thieme Verlag

Page 14: 5 Muskelrelaxanzien - bilder.buecher.de · cholin am Rezeptor, Hierdurch wird eine anhaltende De-polarisation der postsynaptischen Membran verhindert und die Erregbarkeit der Muskelzelle

216 5 Muskelrelaxanzien

PChE und bis zu 10 h beim „silent gene“). Eine physiolo-gische Funktion der PChE ist nicht bekannt, so daß die Trä-ger des Defekts keine Ausfallerscheinungen zeigen. Siewerden daher oftmals erst zufällig anhand der prolongier-ten neuromuskulären Blockade nach der üblichen Dosisvon Succinylcholin oder Mivacurium erkannt. Therapeu-tisch bestand früher die Möglichkeit einer Substitutionmit aus humanem Plasma gewonnener konzentrierterCholinesterase; die Produktion des Präparats wurde aberinzwischen eingestellt. Mit größeren Mengen gefrier-getrocknetem Plasma (ab 4–6 Einheiten FFP) kann zwarweiterhin PChE zugeführt werden; dabei sind jedoch dasVirusübertragungsrisiko und die Volumenbelastung zuberücksichtigen. Am besten ist es deshalb, die Spontan-erholung unter apparativ unterstützter Beatmung undausreichender Sedierung des Patienten abzuwarten. DieDiagnose einer prolongierten Wirkung von Succinylcholinoder Mivacurium sollte mit Hilfe der Relaxometrie/-gra-phie gesichert werden. Bei Verdacht auf einen genetischenPChE-Defekt ist der Patient darüber zu informieren, vor-zugsweise in Form eines ärztlichen Attests. Da die hydro-lytische Aktivität der PChE vom Genotyp abhängt, solltezudem eine humangenetische Untersuchung erwogenwerden.

Pseudocholinesterase. Die Pseudocholinesterase ist ein sauresGlykoprotein mit einer Molmasse von ca. 350 000 Dalton. Siewird hauptsächlich in der Leber synthetisiert und anschlie-ßend ins Plasma sezerniert. Wegen ihrer hohen Molmassekann sie den Plasmaraum nicht verlassen. Ihre Halbwertszeitbeträgt hier 5–10 Tage. Die PChE ist relativ substratunspe-zifisch und hydrolysiert sowohl Cholin- als auch Nichtcholin-ester (z. B. Succinylcholin, Mivacurium; Ester-Lokalanästhetika;aber auch zirkulierendes Acetylcholin!3). Zur laborchemi-schen Bestimmung ihrer enzymatischen Aktivität wird zu-meist Butyrylthiocholin als Testsubstrat benutzt (daher bis-weilen auch die Bezeichnung „Butyrylcholinesterase“). DieAktivität der normalen Enzyms beträgt bei Erwachsenen zwi-schen 2 500 und 8 000 IE/l. Zum Aufspüren und Unterscheidenabnormer Enzymvarianten sind spezielle Untersuchungenerforderlich. Hierzu wird häufig Dibucain, ein Ester-Lokal-anästhetikum, verwendet. Dibucain wird durch die normalePChE, nicht aber durch deren atypische Varianten hydro-lysiert. Die quantitative Substratumsetzung wird prozentualals sog. Dibucainzahl ermittelt. Die Dibucainzahl ermöglichtRückschlüsse auf die Qualität der PChE (Tab. 97); der zu-grundeliegende Genotyp kann jedoch exakt nur mit einerGenanalyse bestimmt werden.

3 Hierdurch wird eine über den Freisetzungsort hinausgehende ACh-Wir-kung verhindert.

Tabelle 98 Clearance von Muskelrelaxanzien im Überblick

1 bei Atracurium und cis-Atracurium im gesamten Extrazellulärraum in Form des spontanen Hofmann-Zerfalls; 2 Pseudocholinesterase; 3 z.T. neuromuskulärblockierende Metaboliten

esylordyHamsalPmi 1

ehcsitapeHgnureisilobateM

gnudiehcssuAeräiliB)trednärevnu(

gnudiehcssuAelaneR)trednärevnu(

ehcsifizepsnUesylordyhretsE

nilohclyniccuS 89 EhCP% 2 < 2 %

muirucaviM 08–07 EhCP% 2 51 – 01 % 01.ac %

muirucartA 08–06 natnops% 01 – 04 % 01 – 02 %

muirucartA-sic 09–08 natnops% 01 – 02 %

muinoruceV 03 – 04 %3 02–01 % 04 – 05 %

muinorucoR 01 – 02 %

muinorucnaP 02 – 03 %3 01.ac % 06 – 07 %

Tabelle 97 Genetische Varianten der Pseudocholinesterase

E1uE1u = homozygot für normales Gen; E1uE1a = heterozygot für atypisches Gen; E1aE1a = homozygot füratypisches Gen; E1sE1s = homozygot für stummes Gen; * Normdosis zur Intubation

pytoneG lhazniacubiD)%nitätivitkA-EhCP=(

tiekgifuäH RUD 52 ieb*nilohclyniccuS

RUD 52 ieb*muirucaviM

1E u 1E uu 001–08 09 % nim5 nim02–51

1E u 1E a –05 1 07 1 : 002 nim03–01 nim04–53

1E a 1E a –01 1 02 1 : 2 005 h5sib h5sib

1E s 1E s 0 1 : 001 000 h01sib h01sib

Thiel, Roewer; Anästhesiologische Pharmakotherapie (ISBN 978-3-13-138261-0), © 2004 Georg Thieme Verlag