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® Club of Logistics 33. TAGUNG AM 11. UND 12. NOVEMBER 2019 STEIGENBERGER GRAF ZEPPELIN, STUTTGART Systemrelevant! Die digitalisierte Logistik wird zum Impulsgeber des Wirtschaftsstandorts Deutschland

70 Programm November 2019 · Pomadigkeit der deutschen Automobilhersteller muss als Warnung dienen: Sie hat diese Traditionsindustrie in eine gefährliche Schieflage gebracht. Damit

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®Club ofLogistics

33. TAGUNG AM 11. UND 12. NOVEMBER 2019STEIGENBERGER GRAF ZEPPELIN, STUTTGART

Systemrelevant!Die digitalisierte Logistik wird zum Impulsgeberdes Wirtschaftsstandorts Deutschland

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„Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wennman sie selbst gestaltet“, schreibt der amerikanischeInformatiker Alan Kay all jenen ins Stammbuch, die sichüber den Mangel an Sicherheit und Berechenbarkeit inunserer Epoche beschweren. Wohl dem, der’s kann, wirdmancher Ängstliche entgegnen und Zukunft als etwasdefinieren, das meistens schon da ist, bevor wir damitrechnen. Proaktiv Zukunft gestalten versus reaktiv Zukunfterfahren – in diesem Spannungsfeld agiert auch dieLogistikindustrie, die an so vielen Fronten gleichzeitigherausgefordert wird wie niemals zuvor. Inwieweit es denUnternehmen gelingt, proaktiv zu denken und zu handeln,davon wird die Wettbewerbsfähigkeit des LogistikstandortsDeutschland abhängen. Denn die hoch agile Logistikindus-trie ist auf Grund ihrer wachsenden Verflechtung mitSektoren wie Produktion, Handel und Dienstleistungenlängst zu einem systemrelevanten Wirtschaftsfaktor inDeutschland aufgestiegen. Daraus erwächst geradezu eine„Verantwortung zur Zukunftsfähigkeit“: Wie künftig dieLogistik tickt, so tickt auch die deutsche Wirtschaft.

Aufbruchin den Umbruch

Logistik – verschmähter Star der deutschen Wirtschaft

Seit Jahrzehnten gilt die Automobilindustrie als DER entscheidendeTragbalken des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Eine Industrie,die es seit den Zeiten Kaiser Wilhelms des Zweiten gibt, wurdevon deutschen Ingenieuren zur Perfektion entwickelt und ist nochheute das Synonym für die Wirtschaftskraft unseres Landes.

Doch die Zeit droht über das Relikt aus dem 19. Jahrhundert hin-wegzurollen. Kriminelles Verhalten, mafiöse Verhältnisse, arroganteInnovationsverweigerung bei alternativen Antrieben und autonomenTechnologien und die trügerische Sicherheit bewährter Rücken-deckung durch den Staat werfen einen bedrohlichen Schatten aufdie Zukunft der bislang eindeutig systemrelevanten Branche derdeutschen Wirtschaft. Ob die Automobilindustrie Deutschlandsihren internationalen Rang halten kann, ist keineswegs sicher,eher sind Zweifel angebracht.

Allerdings hat sich in den letzten Jahren ein zweiter Wirtschaftszweigals systemrelevant etabliert: die Logistikindustrie, der drittgrößteökonomische Sektor im Land. Ohne vergleichbare staatliche Unter-stützung (ja nicht selten sogar unter staatlichem Gegenwind) hatsich unsere Logistik weltweit eine Führungsposition erarbeitet,wie ein Blick auf einschlägige Rankings beweist. Mit dem gewaltigenPotenzial, das die Digitalisierung für die Logistik der Zukunft be-reithält, ist die Vision, dass diese Industrie Deutschlands Wohl-standszugpferd Nummer 1 sein wird, nicht zu verwegen. NeueGeschäftsmodelle, eine stetige Anpassung an die Marktanforde-rungen und unbedingte Innovationsbereitschaft können dieseVision realisieren.

Doch dies gilt nur dann, wenn die Unternehmen der Logistikindustriediese Chance erkennen und entsprechend handeln. Die allzu oftnoch zu beobachtende Unbeweglichkeit muss überwunden werden,wenn die Logistik nicht global zurückfallen soll. Das bedeutet,dass sich die Unternehmen je nach Situation neu erfinden müssen,dass sie bereit sein müssen, ihre bisherigen Erfolgskonzeptefallenzulassen, wenn es das Marktumfeld erfordert und dass sievom Technologienutzer zum Technologietreiber werden. DiePomadigkeit der deutschen Automobilhersteller muss als Warnungdienen: Sie hat diese Traditionsindustrie in eine gefährlicheSchieflage gebracht. Damit dies der Logistikindustrie nicht auchbevorsteht, muss sie sich den vielfältigen Anforderungen desdigitalen Zeitalters stellen und sich für das in der Wirtschafts-geschichte so noch nie dagewesene Phänomen permanenterUmwälzungen fit machen – Veränderungen, die aus allenerdenklichen Richtungen jederzeit eine Neuorientierung desHandelns erforderlich machen können: Technologie, Politik,Wirtschaft und Handel, Gesellschaft usw.

Nicht weniger ist also von der Logistikindustrie gefragt als einbewusster, nachhaltiger Aufbruch in den Umbruch.

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Internationale politische Umwälzungen undVerschiebungen

Das Ende der Blöcke

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war dominiert durch einenklar abgegrenzten Status quo: der Einteilung der Welt in zweigegnerische Machtblöcke, die – abgesehen von einer Reihe vonblockfreien Staaten – das Geschehen in machtpolitischer wie wirt-schaftlicher Hinsicht bestimmten. Zwar wurden unter der festge-

zurrten politischen Großwetterlage regionale Konflikte militärischausgetragen (Stellvertreterkriege, Revolutionen, Unterdrückungvon Unabhängigkeitsbestrebungen und so weiter), von großenErschütterungen blieb diese Konstellation jedoch verschont.

Für die westlichen Unternehmen bedeutete dies: klar definierteMärkte, deren Aufwärtsentwicklung unter dem Schutzschirm derUSA und später Europas relativ ungestört voranschreiten konnte.Dies schaffte klare, gut berechenbare Wachstumsperspektiven. InEuropa und Ostasien zunächst durch den Wiederaufbau nachdem verheerenden Desaster der beiden Weltkriege, später – durchwachsenden Wohlstand befördert – durch sich ständig intensi-vierende Handelsbeziehungen.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat sich diese Situationgrundlegend verändert. Aus der zweigeteilten ist eine multipolareWelt geworden, in der sich „alte“ große Player wie die USA,Russland und die EU neuen Großmächten, vor allem Japan, Chinaund Südkorea, aber bald auch Indien und weiteren Schwellen-ländern aus Asien und Lateinamerika gegenübersehen. Zwar istdie Todfeindschaft der beiden unvereinbaren Wirtschafts- undPolitiksysteme totalitärer Kommunismus und demokratischerKapitalismus überwunden. Doch dafür haben sich unterschiedlicheAusformungen von demokratischen, halb demokratischen, auto-ritären und diktatorischen Systemen erhalten oder neu herausge-bildet. Vom tyrannischen Nordkorea über islamistische Regime,autoritären Staaten wie Russland und China bis hin zu Staaten,

Das Zeitalter der Unkalkulierbarkeit

Dass die Welt, in der wir leben, verglichen mit der des 20. Jahr-hunderts erheblich volatiler, unvorhersagbarer und komplexer ge-worden ist, wird von niemandem ernsthaft zu bezweifeln sein.Planbarkeit von mittel- und langfristigen Aktionen und Kontrolleüber Strategien und Prozesse haben sich drastisch verringert. Die„neue Unberechenbarkeit“ hat viele Ursachen, die meist mitei-nander verflochten sind und sich aus politischen, wirtschaftlichen,gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen ergeben.Mit den Folgen dieser Entwicklung müssen die Unternehmen allerBranchen fertig werden. Besonders drastisch treffen sie aber dieLogistikindustrie, die in ihrer Drehscheibenfunktion zwischen Pro-duktion, Handel und Endkunde allen zur Volatilität beitragendenFaktoren gleichzeitig ausgesetzt ist. Ein Überblick über die wich-tigsten Treiber der Veränderungen macht dies deutlich.

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die minimale oder gute demokratische Voraussetzungen erfüllen, reichtdas Spektrum.

Viele Kräfte, wenig Gleichgewicht

Für die Wirtschaft bringt dies eine Vielzahl von Komplikationen mit sich:Erwartungen und Forderungen bezüglich Verhaltensregeln sowie Werte-und Rechtsauffassungen kollidieren und schaffen eine Situation, die nichtselten von Sanktionen, Brüchen von Handelsregeln, Tauziehen überMarktabschottungen und von Technologiediebstahl bestimmt ist. Hinzukommen unterschiedliche Regulierungsregionen, schnell aufflammendemilitärische Auseinandersetzungen oder Umstürze in den betreffendenLändern. Nicht zuletzt führte das Wüten des internationalen Terrorismuszu exorbitant ausgeweiteten Sicherheitsmaßnahmen, die zu organisato-rischen und finanziellen Belastungen beitragen.

Mit der digitalen Transformation und der damit zusammenhängendenzunehmenden Abhängigkeit von IT-Systemen bei Unternehmen undStaaten droht auch ein ganz neues Niveau von Gefahren für wichtigeEbenen der Sicherheit. Cyberkriminalität, Spionage und von Nationenangefachte Cyberkriege stellen eine gewaltige und weiter dramatischanwachsende Herausforderung für Wirtschaft, Staat und Gesellschaftdar. Angriffe auf die im Entstehen begriffenen Smart-Grids und digitalenInfrastrukturen sind keine entfernte Möglichkeit, sondern sehr realeBedrohungsszenarien.

Bremsen für Globalisierung und Freihandel

Zugleich erwacht ein Trend zum Leben, den noch vorwenigen Jahren kaum jemand auf der Rechnung hatte: dieGlobalisierung erhält Gegenwind. Einen gewissen Anteildaran hat eine veränderte Einstellung der Verbraucher inden Industriestaaten zu Sozial- und Umweltstandards beiHerstellung und Transport von Produkten sowie dieBevorzugung regional erzeugter Lebensmittel und Güter.Unterstützung für „die Region“ ist heute für eine wachsendeZahl von Verbrauchern ein Kriterium für die Wahl bestimmterProdukte, mit weitreichenden Folgen für Logistik und Handel.

Nach einer Phase ungebremster Propagierung des Freihan-dels kommen derzeit protektionistische Strömungen auf,die Ausdruck der Tatsache sind, dass bei aller Anerkennungder Segnungen des Freihandels Ungleichgewichte undNachteile für bestimmte Regionen oder Wirtschaftssektorennicht mehr überall unhinterfragt hingenommen werden.Faktoren wie etwa ungleiche Zollniveaus, die Abschottungmancher Regionalmärkte gegen den internationalen Wett-bewerb und Zensureingriffe in die Internetwirtschaft moti-vieren zu Gegenmaßnahmen. Dass beispielsweise die chi-nesische Führung nach Aufnahme des Landes in die Welt-handelsorganisation WTO kaum einen der erhofften Frei-handelswünsche erfüllt hat, sondern das Abkommen inerster Linie zur Stärkung der eigenen Position nutzt undTechnologiediebstahl sowie aggressive Handels- und expan-sive Militärstrategien verfolgt, hat zu einem Umdenken imWesten beigetragen. Insbesondere in den USA, aber auchzunehmend in Europa und Ostasien setzt sich die Ansichtdurch, dass die globalisierte Welt nicht durch schranken-losen Handel allein zu definieren ist, solange es unüber-brückbare Differenzen in Fragen von Recht und Unrecht,Freiheit und Mitbestimmung oder Offenheit und Fairnessgibt. Dass China fast ein Monopol auf seltene Rohstoffehat, die für alle Staaten von zentraler Bedeutung für zivilund militärisch kritische Produkte und Infrastrukturen sind,macht deutlich, dass strategische Überlegungen in manchenSituationen den uneingeschränkten Freihandel begrenzenkönnen. So werden die Stimmen lauter, die aus politischenGründen ein Verbot mancher Übernahmen von Unternehmenmit kritischem Know-how durch chinesische Firmen fordern,und der Politik nach der Strategie eines Geschäftsmannsbetreibende US-Präsident bringt Zölle als Schutzmauerngegen unfaire Handelspraktiken ins Spiel. Da derzeit dieZeichen eher auf Zunahme als auf Reduzierung der Span-nungen zwischen den Systemen des Westens und den auto-kratischen und diktatorischen Regimen beispielsweise dermilitärischen Großmächte Russland und China stehen, istmit weiteren Einschränkungen des Freihandels zu rechnen.

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Technologische Innovationen

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Digitalisierung schafft unbegrenzte Möglichkeiten

Einer der wichtigsten Treiber der Veränderung in Gesell-schaft und Wirtschaft ist der technologische Fortschritt,insbesondere die explosive Entwicklung digitaler Techno-logien.

Ob es sich nun bei der Digitalisierung um eine Revolutionoder nur eine Evolution handelt, dazu liefern die Debattenüber das Thema unserer Zeit ganz gegensätzliche Ansich-ten. Vielleicht liegt die Lösung des Problems in der Unter-scheidung zwischen der digitalen Technologie selbst undihren Folgen.

Seit Beginn der Digitalisierung mit der Entwicklung pro-grammierbarer Rechenmaschinen haben sich digitaleMaschinen und Geräte über sämtliche Arbeits- und Lebens-

bereiche hinweg ausgebreitet. Die Art und Weise, wie wir produzieren,transportieren, arbeiten, kommunizieren, uns informieren, wie wir ein-kaufen, Dienstleistungen nutzen oder Service- und Lebenspartner finden– dies alles veränderte sich damit grundlegend. Digitale Technologieschafft eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten für Wissenschaft, Me-dizin, Gesundheit, Verwaltung, Produktion, Handel und Logistik sowiejede Form von Service.

Geschäftsmodelle, die zur Gänze auf digitaler Basis fußen, greifen inallen Wirtschaftssegmenten die traditionellen Erfolgsmodelle an – vonAmazon bis Zalando reihen sich unzählige Beispiele aneinander, und eswerden täglich mehr. Always-on-Economy, App-Economy, Sharing Economy– eine Fülle fundamental neuer Businesswelten ist im Entstehen undverdankt sich ausschließlich der Digitalisierung.

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Gleichzeitig erzeugt der flächendeckende Zugang zu modernstenEndgeräten und dem Internet neue Ansprüche bei den Nutzern,etwa die Forderung nach individualisierten Produkten und Services,nach Schnelligkeit und Bequemlichkeit – und natürlich nachmöglichst geringen Kosten. Dadurch kommt es zu einer Umwälzungder Wertschöpfungsketten: Der frühere passive Abnehmer derErzeugnisse von Fertigungs- und Dienstleistungsunternehmen,der Endkunde, wird zum aktiven Mitspieler, der direkt in dieDesign-, Herstellungs- und Logistikprozesse einwirkt.

Veränderungsdruck für Unternehmen

All dies bedeutet einen bisher so nicht dagewesenen Druck aufdie Unternehmen. Sie müssen reaktionsschnell, effizient undinnovativ auf Kundenanforderungen eingehen können, und zwaram besten nicht durch Reagieren, sondern proaktiv. Das wiederumkann bedeuten, dass sie sich kurzfristig neue Design-, Entwick-lungs- und Produktionskapazitäten für Innovationen schaffenmüssen, die eventuell nur für begrenzte Zeit benötigt werdenund nach ihrer Nutzung schnell wieder angepasst oder abgebautwerden können. Neue Vertriebsstrukturen und eine Echtzeit-kundenansprache stehen ebenfalls auf dem Programm.

Eines wird daraus deutlich: Die Möglichkeiten, die die Evolutionder digitalen Technologie mit sich bringt, führen unmittelbar zueiner Revolution der Rollen und Prozesse innerhalb unserer Wert-schöpfungsketten, mit disruptiven Folgen für die Unternehmen.

Wie immer ist technologischer Fortschritt mit Chancen und Risikenverbunden. Im Falle der Logistikindustrie bedeutet die digitale

Transformation beispielsweise zunächst Vorteile dadurch, dasssie sich Methoden der Echtzeitverfolgung von transportiertenGütern zunutze machen kann, um die Servicequalität und dieKundenzufriedenheit zu steigern; dass mobile Endgeräte in Ver-bindung mit Business-Apps die Prozesseffizienz und die Pro-duktivität steigern; dass die Nutzung von Onlineplattformenneue Vertriebs- und Vernetzungsoptionen ermöglicht, die Her-steller, Logistik, Handel und Kunden zu einer dynamischen Ver-bindung zusammenführen und bisher unrealisierbare Geschäfts-modelle ermöglichen; dass im Zuge der Verwirklichung desIndustrie-4.0-Konzepts die Wertschöpfungsketten zu Wertschöp-fungsnetzwerken mutieren werden; dass die Integration vonTechnologien wie Augmented oder Virtual Reality, künstlicheIntelligenz, maschinelles Lernen und neuronale Vernetzung auchlogistische Prozesse transparenter, effizienter und intelligentermachen; oder dass digitale Technik in Verbindung mit Robotikund Automatisierung innovative Lieferoptionen bereitstellt, etwaautonome Fahrzeuge, Drohnen oder Exoskelette.

Gleichzeitig bedeutet die Digitalisierung aber das Aus für manchetraditionelle Geschäftsidee, die Logistikunternehmen seit Jahrzehn-ten erfolgreich gemacht hat. Zum Beispiel ist das reine Befüllenvorhandener Assets ohne zusätzliche Services in der Zukunftkeine Erfolgsoption mehr. Noch gravierender wird der drittstärksteIndustriezweig Deutschlands vielleicht von einer Revolution derProduktionswelt verändert werden, nämlich dann, wenn die ad-ditive Fertigung all ihre Möglichkeiten ausschöpft – etwa dadurch,dass Kunden nicht mehr Ersatzteile bei Zulieferern ordern, sondernin 3-D- oder 4-D-Druckern selbst fabrizieren.

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StaatlicheRegulierungswellen

Der bürokratische Dschungel, in dem Unternehmen navigierenmüssen, wird nicht nur dichter, sondern auch unberechenbarer.Drastisches Beispiel: Nach jahrelangem Tauziehen erzieltenBundesregierung und Kernkraftwerksbetreiber eine Überein-stimmung über eine Laufzeitverlängerung der bestehendenKraftwerke. Kaum war die Tinte unter den Dokumenten trocken,kam es zu einer Kehrtwende biblischen Ausmaßes: Der Ausstiegaus der Kernenergie wurde beschlossen, mit drastischen Folgenfür die Energieversorgungsinfrastruktur in Deutschland. Hinzukommen zahlreiche weitere Regulierungen, die auf sozial- undumweltpolitische Weichenstellungen reagieren, die nicht unbe-dingt vorhersehbar sind: Mietpreisbremsen, Feinstaubredu-zierungsmaßnahmen bis hin zu Fahrverboten (intensiviert seitder „Dieselkrise“), Verkehrsminimierung in den Innenstädten,Mindestlohn, umweltpolitisch motivierte Umsteuerung hin zualternativen Antrieben (insbesondere Richtung eMobility) –dies sind nur die offensichtlichsten Regulierungen der letztenJahre. Und jährlich sind neue zu erwarten, aus Berlin ebensowie aus Brüssel. Ein heißer Tipp sind vielleicht Vorschriften übereine gendergerechte Toilettenlandschaft in den Firmen …

Für die Unternehmen in Deutschland heißt dies: Mit zusätzlichempersonellen und finanziellen Aufwand ist jederzeit zu rechnen,belastende „Neuerungen“, „Maßnahmen“ und „Regelungen“sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie setzen der Agilitätvon Geschäftsstrategien und -modellen Grenzen, und zwar ineiner Zeit, in der genau diese Eigenschaft von den Unternehmenals wettbewerbsentscheidend gefordert wird.

Obwohl die Politik gebetsmühlenartig den „Bürokratieabbau“verspricht, ist nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte indieser Richtung nicht mit einem nennenswerten Erfolg zu rechnen.Möglicherweise kommt den Unternehmen aber der Jahrhundert-trend Digitalisierung zu Hilfe. Prozessautomatisierung im Zugeder digitalen Transformation sowie ein effizientes E-Governmentkönnten bei kluger Handhabung die Belastung der Unternehmendurch bürokratische Anforderungen verringern.

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Ein veränderter Verbraucher

Die Rahmenbedingungen von Gesellschaften sind und waren immerim Fluss. Doch auch hier zeigt sich eine Beschleunigung gegenüberfrüheren Jahrzehnten, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Anzahl derEinflussgrößen erhöht – etwa dadurch, dass die zunehmende Inter-nationalisierung zu einer kulturellen Vermischung führt oder techno-logische Möglichkeiten die Handlungs- und Entwicklungsoptionender Menschen ausweiten.

Zudem verändern sich die Wünsche und Erwartungen der Verbraucher.Individualisierte Produkte und Services, hohe Ansprüche an Qualitätund Kundenfreundlichkeit sowie wachsendes Sozial- und Umwelt-bewusstsein beeinflussen auf mehreren Ebenen auch die Service-strategien der Logistikindustrie – von den Belastungen der Umweltdurch den Warentransport bis zur Bezahlung von Fahrern. Da gleich-zeitig die Billigmentalität der Deutschen in Sachen Dienstleistungenungebrochen ist (Services sollen im Idealfall perfekt und kostenlossein), entsteht dabei ein wachsender Kostendruck, dem die gegen-wärtigen Pricing-Modelle nicht gewachsen sind. Verabschieden müs-sen sich die Logistiker auch vom traditionellen Denken in Assets. DasInteresse der Kunden orientiert sich sprunghaft hin zu komplexenServices, die Auslastung von Assets ist für sie kein Thema.

Speziell die Logistikindustrie sieht sich noch einem besonderenHindernis gegenüber: einem außerordentlich schlechten Image.Umweltverschmutzung und Sozialdumping sind zwei derMerkmale, die die Öffentlichkeit mit derjenigen Industrie ver-bindet, welche maßgeblich zur gefeierten Exportweltmeister-schaft Deutschlands beiträgt und uns zuverlässig mit Güternund Waren versorgt. Allen Bemühungen zum Trotz sind aufdiesem Sektor kaum Fortschritte zu verzeichnen: Das Ansehender Logistik ist vergleichsweise miserabel. Obwohl sie derdrittstärkste Industriezweig der deutschen Wirtschaft ist, giltsie als „unsexy“, bietet wenig attraktive Arbeitsplätze an undwird in erster Linie als Umweltproblem wahrgenommen. ImWettstreit um die besten Köpfe des Landes hat die Logistikeine wesentlich schlechtere Ausgangsposition als viele andereBranchen. Innerhalb der Gesellschaft sieht sie sich zudemeiner schizophrenen Einstellung gegenüber: Immer höhereAnsprüche an Liefergeschwindigkeit und Pünktlichkeit sollenbei minimalen Gebühren befriedigt werden, während gleich-zeitig gute Bezahlung des Personals und die Einhaltunghöchster Sozial- und Umweltstandards eingefordert wird.

Gesellschaftliche Umbrüche

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Tauziehen um Arbeitskräfte

Dies hat eine auch fatale Wirkung auf die Versorgung derLogistikindustrie mit Arbeitskräften, insbesondere Fahrern.Die Unternehmen klagen zunehmend über Fachkräftemangelund rechnen damit, dass sich diese Situation noch verschärfenwird. Doch wo die Reise in Deutschland bezüglich qualifizierterArbeitskräfte letztendlich hingeht, lässt sich kaum mit aus-reichender Sicherheit vorhersagen. Zu viele Faktoren wirkenhier zusammen und nur wenige davon erlauben belastbarePrognosen.

Dazu gehört zunächst die Bevölkerungsentwicklung. Sie wirdsich trotz eines kurzfristigen Anstiegs der EinwohnerzahlDeutschlands durch die Zuwanderungswelle der letzten Jahrebald wieder im Rückwärtsgang bewegen, was eigentlich zurVerschlechterung der Arbeitskräftesituation führen würde.Demgegenüber steht aber die fortschreitende Digitalisierungund Automatisierung der Prozesse. Dadurch verringert sichdie Anzahl der pro Prozess benötigten Arbeitsstunden erheblich,was Mitarbeiter freisetzt und mit einem Rückgang der insge-samt in einem Unternehmen erforderlichen Arbeitsplätze ein-hergeht. Wie sich diese Trends am Ende ausbalancieren, istschwer zu sagen, insbesondere deshalb, weil viele kommendeAutomatisierungsphasen noch in den Kinderschuhen stecken

– etwa die Nutzung künstlicher Intelligenz und das maschinelleLernen.

Die Personalsituation in den Unternehmen wird jedoch noch durcheine ganz andere Entwicklung beeinflusst: der Integration derGeneration Z in die Arbeitswelt. Ihr wird eine stark von der Vor-gängergeneration abweichende Einstellung zur Arbeit an sich undzum Verhältnis von Arbeit und Freizeit attestiert–, und zwar ineiner gerade für die hoch flexible Logistikindustrie gefährlichenRichtung: Wo beispielsweise bisher hohe Flexibilität hinsichtlichArbeitszeiten und Treue zum Arbeitgeber gefordert und erbrachtwurden, müssen die Unternehmen künftig wohl mit weit kom-plizierteren Verhältnissen rechnen. Die heranwachsende GenerationZ setzt nach übereinstimmenden Erkenntnissen der Forschung aufeine bessere Balance zwischen Arbeits- und Freizeit, klar definierteund festgeschriebene Arbeitszeiten, detailliert vorgegebene Abläufeund Aufgaben sowie demokratische Entscheidungsprozesse undein hoch kooperatives Umfeld. Gleichzeitig nimmt die innere Bereit-schaft ab, einem bestimmten Arbeitgeber treu zu bleiben. Wer beider Konkurrenz bessere Arbeitsbedingungen vorfindet, wird kaumzögern, abzuwandern. Und im Gegensatz zu früheren Jahrzehntenist eine Gehaltsanhebung kein Wundermittel mehr, das Mitarbeiterautomatisch bei der Stange hält.

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„Wer im Paradies lebt, will nichts ändern. Wer aber nichts ändernwill, lebt bald nicht mehr im Paradies“, sagt der Schweizer Publizistund Politikwissenschaftler Gerhard Kocher. Wenn es auch nur wenigeLogistikunternehmen geben dürfte, die ihre Situation als paradiesischbezeichnen würden, so ist doch festzuhalten, dass die Stellung derdeutschen Logistikindustrie derzeit beispiellos stark ist. Doch dassdies so bleibt, ist keineswegs garantiert, und wie in anderen erfolgs-verwöhnten Industrien auch, so lassen sich bei manchen Managernder Branche Selbstzufriedenheit und Hochmut erkennen – der jabekanntlich vor dem Fall kommt. Ein einfaches „Weiter-so“ kannangesichts der beschriebenen komplexen Zukunftslandschaft nichtmehr das Mittel der Wahl sein.

Die zahlreichen Herausforderungen, denen sich die Logistik gleichzeitigzu stellen hat, können mit traditionellen Konzepten auf Dauer nichtbewältigt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Logistikindustrieihr schlechtes Image nicht ablegen kann.

Um in dieser Situation den Erfolg zu sichern, bedarf es neuer kreativerAnsätze und mutiger Strategien. Vor allem gilt es, ein Unternehmens-klima permanenter Innovation zu schaffen. Gefordert werden zuneh-mend proaktives Denken und Handeln sowie ständiges Überprüfenund Anpassen bestehender Konzepte und Optionen, aber auch die

Jeder (Logistiker) istseines Glückes Schmied

Fähigkeit, die eigenen Geschäftsmodelle komplett zu verändern,und die Bereitschaft, bei Bedarf selbst zum Produzenten,Händler oder Dienstleister zu werden. Die Forderung, proaktivzu sein, ist von allen Seiten zu hören. Doch was zeichnetproaktives Handeln aus? Zunächst gehören dazu die objektiveAnalyse der eigenen Ist-Situation und ein realistischer Blickauf die Zukunft. Darüber hinaus gilt es, eindeutig dieVerantwortung für die eigene Situation anzuerkennen undaufgrund dieser Erkenntnisse aktiv zu werden. Konkret kanndies bedeuten, die eigenen Geschäftsmodelle zu revolutionierenund innere Strukturen zu schaffen, die es erleichtern, aus derFalle des ständig nur auf äußere Einflüsse Reagierensherauszukommen.

Voraussetzung für eine agile Selbstdefinition der Logistik istdie Akzeptanz eines sich ständig wandelnden Business-Um-felds, in dem Mut zu Neuem und zum ergebnisoffenen Auspro-bieren unkonventioneller Wege (beispielsweise auch neuerTechnologien) zur Selbstverständlichkeit wird. Die Zeit, in derLogistikunternehmen sich auf Dauer in einer Marktnischeeinrichten und damit erfolgreich agieren können, ist vorbei.Stattdessen stehen sie vor der Aufgabe, sich in ständig verän-derten Situationen immer wieder neu zu erfinden.

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Welche gesellschaftlichen und politischen Herausforde-rungen kommen auf die Logistikindustrie zu und wie solltesie damit umgehen?

Wie verändern Digitalisierung und Plattformökonomiedas Spielfeld für die noch immer auf Assets fixierte Logistik?

Lohnt sich Logistik noch? Was muss geschehen, damitLogistikleistungen angemessen bezahlt werden?

„Ist das noch Logistik?“ Wie wird sich der Charakter derLogistik in der Zukunft verändern?

Wir freuen uns auf eine anregende underkenntnisreiche Tagung.

Klare Erfolgswege in die Zukunft dürfte es kaum geben. Doch mancheUmorientierung lässt sich durchaus erahnen. Ein Beispiel: Für einzelneUnternehmen wird die Luft immer dünner werden, wenn eine kritischeMasse an Finanz- und Personalkapazität unterschritten ist. EinerStärkung gemeinsamen Handelns über Unternehmensgrenzen hinwegkommt daher wachsende Bedeutung zu. Zusammenarbeit muss da-bei nicht immer in traditionelle Konsolidierung münden. FlexibleBündnisse können auch situations- oder fallspezifisch funktionieren:konkurrieren oder kooperieren, je nachdem was in einem gegebenenUmfeld vorteilhaft ist. Zu den Erfolgsrezepten wird gehören, flexibleFormen der Kooperation zu entwickeln und mehr Gemeinsamkeitund Solidarität (etwa beim solidarischen Durchsetzen fairer Preisefür Logistikdienstleistungen) zu wagen als bisher.

Vielleicht steht am Ende dieses Selbstüberprüfungsprozesses einfundamentaler Bewusstseinswandel, der dem Unternehmen denAnstoß dazu gibt, sich von einem Logistikunternehmen mit Zusatz-services zu einem Dienstleistungsanbieter mit (unter anderen) Logistik-services weiterzuentwickeln. Die Zeit, in der eine Optimierung desBestehenden ausreichte, um in der Zukunft zu bestehen, dürfte vorbeisein.

Die Zukunft wird denen gehören, die rechtzeitig die Zeichen der Zeiterkennen und handeln, statt von den Ereignissen getrieben zu werden.Denn wie der Schriftsteller Karl Ferdinand Gutzkow erkannte: „Bitterist es, das heute zu müssen, was man gestern noch wollen konnte.“

Auf dem Kongress des Club of Logistics in Stuttgart stehen die folgen-den Fragestellungen im Mittelpunkt der Gespräche und Diskussionen:

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