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Der Leuchtthurm auf Cap Wrath. Roman in 3 Theilen. von Philipp Galen.

 · – 2 – ERSTER THEIL. ERSTES KAPITEL. LORD THOMAS LOWDALE UND SEINE FAMILIE. Wir ersuchen den freundlichen Leser, in diesem ein-leitenden Kapitel unserer Erzählung einen kurzen

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  • Der Leuchtthurm aufCap Wrath.

    Roman in 3 Theilen.von

    Philipp Galen.

  • – 2 –

    ERSTER THEIL.

    ERSTES KAPITEL. LORD THOMAS LOWDALE UND SEINEFAMILIE.

    Wir ersuchen den freundlichen Leser, in diesem ein-leitenden Kapitel unserer Erzählung einen kurzen Blickauf den ländlichen Norden Englands im Winter zu wer-fen, und wenn wir diesmal die Zeit der Handlung nicht,wie sonst, mit einer bestimmten Jahreszahl bezeichnen,so geschieht es nicht etwa, weil wir den Lesenden dar-über in Ungewißheit lassen oder seiner Phantasie einenfreieren Spielraum gönnen wollen, sondern allein darum,um gewisse Thatsachen, die wir zu berichten haben wer-den, nicht allzugrell in den Vordergrund zu stellen, da sieohnehin die Zeit ihres Vorgehens nur zu deutlich an derStirn tragen dürften.

    Es ist also Winter und wir befinden uns in England aufdem Lande. Der Winter in England auf dem Lande aberist ein ganz anderer als bei uns. Wir gemüthlichen Deut-schen suchen zu dieser frostigen Jahreszeit die schützen-den Mauern unserer Städte auf, drängen uns möglichstdarin zusammen, um der Unbill der Witterung so besserzu entgehen und die Vergnügungen der Geselligkeit, dieGenüsse der Kunst nach Gefallen auszudeuten; wir den-ken, wir arbeiten, ja, wir ›parlamentiren‹ im Winter, nach-dem wir denn Stoff dazu im Sommer und Herbst gesam-melt. In den heißen Tagen dagegen, wenn die Strahlender Sonne und der Staub unsre Straßen unerträglich ma-chen, verlassen wir gern unsre dunstigen Stuben, dann

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    gehen wir in den grünen Wald, erklettern die romanti-schen Berge, freuen uns über den reinen blauen Him-mel, athmen die süßen Düfte von Thälern und Flurenein und hören mit wonneschauerndem Herzen die Sän-ger des Waldes und Feldes ihren Lobgesang ins den son-nenklaren Aether hinaufschmettern.

    In England dagegen ist es etwas ganz Anderes. Hierprangen die Parks, die Gärten, die Auen im Sommer fastvergeblich in ihrem leuchtendsten Schmucke, die Blu-men verblühen und verduften, ohne daß sie das Augeihres in der Ferne schweifenden Herrn sieht; die schönenBurgen und Schlösser mit ihren unzähligen Schätzen undSammlungen stehen leer und unberührt, denn gerade inder besten Jahreszeit drängt sich der vornehme Brite indie staubig heiße, von Menschen und Rauch überfüllteStadt, da arbeitet, da politisirt, da hält er seine weltbe-wegenden Reden, da endlich zeigt der sich in seinemReichthum und seiner Pracht, oder in seiner Seltsamkeitund Laune den Augen des neugierigen Publicums, dasbei dem Glanze seiner hervorragenden Häupter und Crö-susse den eigenen Kummer, die eigene Noth vergißt undseine meerumflossene Insel für den Gipfelpunkt Europas,seine Nation für die erste aller übrigen, seine Landsleu-te für die Vorkämpfer und Matadore der Gesittung undBildung hält.

    Hat das von Menschen, Nebel, Rauch und Koth flu-thende London aber seine donnernden Reden gehört,

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    den Anblick seiner in Gold, Geist und Spleen ›machen-den‹ Helden genossen und haben diese ihre neuen Toi-letten, Moden und Seltsamkeiten bis zum Ueberdruß anden Tag gebracht, weht der kalte Westwind über die kah-len Stoppeln, dreht die Sonne dem stolzen Albion denRücken und versilbert der kühle Reif den üppigen Ra-sen, dann schüttelt der stolze Brite den Staub von sei-nen Füßen, läßt seine Koffer packen und dampft und rolltund reitet hinaus in das freie Land, um beim brausendenHerbst- und Winterstürme am lodernden Feuer zu sitzen,im Schneegestöber und Regenguß durch die Gebüsche zukriechen und Füchse zu hegen, oder in seinem von Goldund Marmor strotzenden Hause Nachbarn und Freundezu bewirthen und mit ihnen zu speisen und zu zechen,bis der grauende Morgen mit hohlen Augen in die vonToasten dröhnenden Fenster schaut.

    So will es die unbezwingliche Mode, das unverbrüch-liche Herkommen, und weil es der Herzog, der Earl, derViscount und der Baronet so treiben, so treiben es auchdie zahllosen kleineren Herren so, denn es wäre ein un-verzeihlicher Verstoß gegen die Heiligkeit des uralten Ge-brauchs, man liefe Gefahr, für einen abtrünnigen SohnAlbions gehalten zu werden, wollte man hierin nur umeines Haares Breite von der alle Jahre wiederkehrendenOrdnung abweichen. Auch in diesem Punkte wie in tau-send anderen ist der Brite ein Mensch des Vorurtheils,des blinden Befolgens alterthümlichen Herkommens, wienicht minder der seltsamsten Widersprüche und vollen-detsten Abgeschmacktheiten, und in ihm tritt leider nur

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    zu oft der Mensch der Sitte, des Gemüths, ganz in denHintergrund, während er alle übrigen Menschen für Bar-baren hält, wenn sie das Leben und die Dinge des Lebensnicht durch seine seltsam gefärbte Brille betrachten – ja,wenn sie auch nur die Gabel anders fassen und halten,als er es unter seinen Landsleuten zu sehen gewohnt ist.

    Doch es dürfte wohl nöthig sein, dem Leser den Ort nä-her zu bezeichnen, an den er sich aus kurze Zeit mit unsbegeben soll. Es ist die Grafschaft Westmoreland im Nor-den Englands, etwa dreißig und einige Meilen1 von derschottischen Gränze entfernt, jene Grafschaft, die durchihre reizenden Seen, ihre schön gestalteten Berge undFelsen, ihre Gärten und Bäume, so wie durch den Reicht-hum und die Fülle der Schlösser ihres alten Adels be-rühmt geworden ist.

    Es ist Abend und zwar der Abend eines der ersten Tagedes eben begonnenen Neujahrs. Die Luft ist fast windstill,aber kälter als man sie in dem milden Klima Englands zulieben pflegt. Seit vierundzwanzig Stunden ist die wei-te, im Sommer so lachende und grüne Landschaft miteiner dünnen Schneehülle bedeckt, die unter dem kla-ren Sternenhimmel, der seine Glorie so eben über Thalund Berg entrollt, wie eine funkelnde Silberfläche leuch-tet. Auch die mehr oder minder fernen Bergriesen, diedas liebliche Thal umschließen, glitzern mit ihren schne-eigen Häuptern hoheitsvoll im zitternden Mondstrahle,

    1Es sind hier und in der Folge, wenn das Wort Meile ohne Beisatzgebraucht wird, stets englische Meilen gemeint, von denen etwa fünfaus eine deutsche gehen.

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    der sein helles Licht, von keinem Wölkchen beschattet,über Nähe und Ferne breitet.

    Ringsum im hügel- und baumreichen Parke, der dasschöne Lowdale-Castle weit nach allen Seiten umzieht,herrscht eine wohlthuende Stille; die zahmen Thiere,Hirsche und Rehe, welche denselben in großen Schaarenbei Tage durchwandern und beleben, haben sich schonlange in ihre warmen Stellungen zurückgezogen. Nurwenn man die unter ihrer ungewohnten Schneelast seuf-zenden Tannen betrachtet, die in malerischen Gruppendie großen Rasenflecke zieren und ihre Aeste und Zwei-ge gleichsam voll duldender Ergebung zur Erde senken,bringt diese tiefe Stille den Eindruck melancholischerTrauer und Oede hervor; im Uebrigen ist der Anblick,welchen die zum Theil hellerleuchteten Fenster des ein-samen Herrensitzes gewähren, freundlich und einladendgenug.

    Auf einer sanft ansteigenden, mit dem schönsten Ra-sen bedeckten Anhöhe, von der herab mit feinstem Kies-sande bestreute Wege nach allen Richtungen in den mei-lenweiten Park führen, erhebt sich in seinem alten feuda-len Stolze und seiner aristokratischen Pracht das herrli-che Schloß des Viscount von Lowdale.

    Mächtig streben die alten, grauen Quadersteine, ausdenen es erbaut, in zwei weitläufigen Stockwerken zu ei-ner ansehnlichen Höhe empor, fast auf allen Seiten von

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    uralten Epheuranken umklammert, die, niemals durch ir-gend ein Hinderniß beschränkt, fast zu Bäumen mit fuß-dicken Stämmen herangewachsen sind. Wie die Zwing-burg eines mittelaltrigen Großen blicken seine mannig-faltig gestalteten und reich ausgezackten Zinnen dro-hend und finster weit in das freie Land hinein und aufdie benachbarten Gebirgsketten hinaus, und nur der imAbteistyle in jüngerer Zeit hinzugefügte Anbau, der dieprächtige Eintrittshalle mit antiken Statuen und sonsti-gen Sammlungen umschließt, verleiht dem ernsten Gan-zen einen milderen, man möchte sagen, frommeren An-strich, obgleich die Frömmigkeit im reich geschmücktenInnern desselben, wenigstens in dieser abendlichen Stun-de, keine Vertreter finden dürfte.

    Der Besitzer dieses herrlichen Schlosses und der da-zu gehörigen Ländereien ist einer jener reichen engli-schen Nabobs, von denen wir schon oft so viel Interes-santes und Langweiliges, Natürliches und Unnatürliches,Alltägliches und Seltsames gehört und gelesen haben, de-ren Race auf den großen britischen Inseln nie ausstirbt,die sich ewig neu recrutirt und von Zeit zu Zeit, wennsie handelnd, redend oder faullenzend vor das Auge be-obachtender Menschen tritt, alle Welt vorübergehend inStaunen setzt.

    Allerdings gehörte Lord Lowdale nicht zu den zehn be-kannten reichsten Familien Großbritanniens, er hatte kei-ne Million Pfund jährlicher Einkünfte zu verzehren, allein

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    ein erkleckliches Einkommen von jährlich etwa zweimal-hunderttausend Pfund besaß er gewiß, ohne jedoch da-mit auskommen zu können, was in dem seltsamen Eng-land keine ganz ungewöhnliche Sache ist. Wie diese Her-ren es anfangen, solche ungeheure Summen zu vergeu-den, denn verzehren können sie sie nicht und sie nützlichzu verwenden, besitzen nur Wenige von ihnen das Ge-schick, wie sie sogar noch obendrein Schulden auf Schul-den häufen, weiß Gott allein, sie selbst wissen es viel-leicht am wenigsten, da sie weder von dem Werthe desGeldes einen Begriff, noch Einsicht in die Art und Weisezu haben scheinen, wie sie von Hunderten ihrer Zugehö-rigen bestohlen und betrogen werden.

    Viscount Lowdale nun bezog seine Einkünfte aus zahl-losen Besitzungen in Cumberland, Westmoreland, Walesund Schottland, wo er überall herrliche Schlösser, Wälderund Felder besaß, welche letztere in den Händen zahlrei-cher und angesehener Pächter waren. Außerdem hatte erprachtvolle Wohnungen in London und Edinburg, und ober vielleicht zuguterletzt noch manches Geld in industri-ellen Unternehmungen angelegt, wußte sein Rentmeisterin Lowdale-Castle besser und genauer als er selber.

    Was den Stammbaum des Viscounts betrifft, so wärderselbe ehemals sehr weit und nach verschiedenen Rich-tungen hin verzweigt gewesen, denn die Familie hatte ei-ne beträchtliche Anzahl reich begüterter und durch Amtund Würden angesehener Vorfahren gezählt, die häufigaus anderem als reinem englischen Blute stammten, wie

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    dies bei vielen vornehmen und geringen britischen Fami-lien der Fall ist, ein Umstand, dem gerade, wie der geist-reiche Ethnograph Kohl sagt, die Frische, Gesundheit undKräftigkeit der Engländer und die Schönheit ihrer Frau-en zuzuschreiben ist, worin auch wir ihm unbedingt bei-stimmen müssen. Gegenwärtig indessen war die Zahl dereigentlichen Familienglieder nur auf Lord Lowdale selbst,seine beiden Kinder und einen unverheiratheten Bruderbeschränkt, der seinen Familiennamen aufgegeben undin Folge einer Erbschaft einen andern angenommen hat-te, wie das in England so häufig geschieht.

    Zu dem normännischen, sächsischen, norwegischenund anderen Blute, welches sich Jahrhunderte lang in dieAdern der Lowdales ergossen, war nun zuletzt noch einreiner Quell ächtesten schottischen Blutes gekommen,denn des jetzigen Viscounts Mutter war die Tochter einesvollblütigen schottischen Lords und Clanhäuptlings ge-wesen, die ihrem Gemahle große Capitalien und außer-dem Besitzungen zugebracht, die trotz ihrer hohen nor-dischen Lage ganz geeignet waren, einem armen besitz-losen deutschen Grafen den bittersten Neid zu erregen.Außer diesen Besitzungen aber hatte den gegenwärtigenLord diese Verbindung seines Vaters mit der Aussicht aufden Titel eines Earls, sogar wenn er alt genug dazu wur-de, auf den eines Herzogs bereichert, eine Aussicht, diebeiläufig Mylord Lowdale’s Hoffnung und einziges Stre-ben ausmachte, denn Rang, Titel und Reichthum kannselbst ein englischer Großer nie genug auf dieser titel-und genußsüchtigen Erde erringen. –

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    Nach allem diesen, sollte man meinen, hätte unser gu-ter Lord mit einer gewissen Dankbarkeit und Liebe aufdiese schottische Mutter – die außerdem noch viel mehrfür ihn gethan, als wir zu erwarten berechtigt sind –und ihre Mitgift blicken sollen, allein dem war durch-aus nicht so. Geld und Güter hatte er allerdings gern undmit scheinbarem Danke angenommen, aber daß diesel-ben von Schottland gekommen, erregte nur zu oft seinenganzen Vorrath von Galle – und der war gerade nichtklein – und die Bitterkeit derselben trübte leider sehrhäufig das herrliche Bewußtsein seiner Macht und seinesReichthums, denn das arme, unschuldige Schottland warihm, wie vielen seiner vornehmen Landsleute, ein Steindes Anstoßes in seinem sonst so glatten Leben, Schott-land liebte er durchaus nicht, – ob allein aus jenem sohäufig in England gefundenen und nur auf Eitelkeit undNationalstolz begründeten Vorurtheile, oder auch ob auspersönlichen Gründen – das wird uns hinreichend dieFolge lehren.

    Aus diesem Grunde besuchte er auch seit vielen Jah-ren nicht mehr seine schönen schottischen Besitzungen,er schien sie ganz vergessen zu haben, und wenn ihn derZufall oder eine vorübergehende Nothwendigkeit daranerinnerte, war er den ganzen Tag verstimmt, und werihm in dieser Stimmung in den Weg trat, etwa mit ei-ner Bitte oder einem Wunsche, der konnte im Voraus aufeine kaustische und ganz gewiß abschlägige Antwort ge-faßt sein.

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    Dieser Widerwille und die Geringschätzung, die bis-weilen sogar in einen deutlich wahrnehmbaren Haß ge-gen das Vaterland seiner Mutter ausartete, ging so weit,daß er seine Besitzungen daselbst um jeden Preis an denersten besten Käufer verhandelt hätte, wären ihm in die-ser Beziehung die Hände durch gewisse Familienverhält-nisse nicht gebunden gewesen, und der Advocat, der ihmdie Mittel geliefert, die Verbindung mit jenem Lande fürimmer und gänzlich zu lösen, hatte auf große Dankbar-keit bei dem Viscount rechnen können, obwohl derselbesonst kein allzugroßer Verehrer und Befolger dieser edel-sten aller Tugenden war. Nicht um sich für diese geringeZuneigung zu ihnen und ihrem Lande zu rächen, viel-mehr um ihren eigenen Gefühlen Rechnung zu tragen,erwiderten die Schotten, über welche Viscount Lowdalezu gebieten hatte, diese Abneigung mit gleicher Münze,das heißt, sie liebten ihren gnädigen Herrn ganz und garnicht, im Gegentheil, sie fürchteten und vermieden ihnauf jede Weise, und nur der dringendste Nothfall konn-te einen seiner schottischen Pächter bewegen, Sr. Lord-schaft Nachsicht und Gnade persönlich in Anspruch zunehmen. Ja, sie enthielten sich sogar nicht, in geheimenUnterredungen gegenseitig das Geständniß abzulegen,daß wenn zu der Zeit, als Viscount Thomas Lowdale dieErbschaft seines Vaters antrat, noch die alten Clanver-hältnisse im Schwunge gewesen wären wie vor hundertJahren, ihm leicht hätte begegnen können, was auch an-deren unbeliebten Söhnen verstorbener Stammhäupterbegegnet war, daß nämlich der ganze Clan sich gegen

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    seine Erhebung gesträubt und an seiner Stelle seinen vielgeliebteren Bruder Colin, den jetzigen Admiral, Sir ColinCameron, zum Hänptling gewählt haben würde.

    Wir sprachen vorher von einer gewissen StimmungLord Lowdale’s, und in der That, diese bittere Stimmung,nicht allein gegen Schottland, sondern auch gegen sichselbst und alle Welt, nahm bei ihm seit einer Reihe vonJahren zum Erstaunen seiner ganzen Umgebung einenimmer trüberen und unheimlicheren Ausdruck an. In sei-ner Jugend war er zu jenem in England nur zu bekann-ten nationalen Uebermuth geneigt gewesen, der ›das lie-be Ich‹ als den Haupt- und Angelpunkt der menschlichenGesellschaft zu betrachten liebt, er ließ nicht ungern Ge-ringeren gegenüber seine ganze Macht und Herrlichkeitin ein grelles Licht treten, er spiegelte sich gern im Glanzeseines Reichthums, in der überströmenden Fülle seinesirdischen Glücks, und nun, bei vorgerücktem Alter, wur-de er bisweilen sehr still, nachdenklich, ja bedrückt, oderer fiel jäh aus einem Extrem in’s andere: jetzt aufbrau-send und stolz, sank er plötzlich, gleichsam tief gede-müthigt, in sich selbst zusammen, und das geschah amhäufigsten, wenn er eben unerwartet an seine schottischeAbstammung, seine Mutter, überhaupt an seine Verbin-dung mit Schottland erinnert wurde.

    Und merkwürdig genug! Gleichsam als wolle ihn dasVerhängniß für diese seltsame Abneigung, diesen Aus-druck eines unnatürlichen Widerwillens bestrafen und

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    nur noch häufiger an die verhaßte Abstammung erin-nern, hatte es ihm ganz gegen seine und die allgemei-ne Erwartung eine schottische Gemahlin beschieden. Wiedas zugegangen war, hat sich Lord Lowdale selbst nieganz klar machen können, und auch wir müssen vor derHand annehmen, daß es eben nichts anderes als eine selt-same und unerklärliche Fügung gewesen sei. Dennoch,eine wie große Quelle von Unmuth aus dieser Ehe fürden Lord hervorsprudelte – das größte Uebel derselben,eine wahre Fülle von Elend, war nicht ihm selbst, viel-mehr der schottischen Gemahlin zu Theil geworden. Die-se arme Frau hatte in ihrem kurzen Leben nur einen Irr-thum begangen und war demselben zum Opfer gefallen– eben daß sie Lord Lowdale zu ihrem Gatten und Be-schützer gewählt. Als Tochter des reichen Lord Reay, mitgroßer körperlicher Schönheit, geistigen Vorzügen undherrlichen Eigenschaften des Herzens begabt, hatte siedas Schicksal gehabt, auf verschiedenen Gründen zweisehr verschieden begabten Brüdern zugleich zu gefal-len, denn Lord Lowdale hatte, wie wir schon angedeutet,noch einen Bruder, den wir später noch genauer kennenlernen werden. Welchem von beiden sie eigentlich ihreNeigung geschenkt, wurde ihr leider nur zu spät klar.

    Entschieden und Jedermann erklärlich, begünstigte sieanfangs den jüngeren Bruder, der damals nur selten in ih-re Nähe kommen konnte, da er als Seeoffizier oft von sei-nem Vaterlande entfernt sein mußte; aber der Umstand,daß Mr. Thomas Lowdale der ältere Bruder, also der Er-be seines damals noch lebenden Vaters war, fiel bei ihren

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    Verwandten und Rathgebern zu schwer in die Wagschaa-le und so ward sie, ohne völlig frei in ihren Entschlie-ßungen zu sein, die Frau eines Mannes, dem sie, wennsie glücklich werden wollen, niemals hätte zu nahe kom-men sollen. Erst nachdem sie einige Jahre an seiner Seiteoder vielmehr in seinem Hause gelebt, seinen Charak-ter, seine Selbstsucht, seine geistige Trägheit und seinennationalen Dünkel kennen gelernt und dabei erfahren,daß es für ihn nichts Gleichgültigeres auf der Welt ge-be, als eine junge Frau voll warmer Gefühle und zärtli-cher Regungen, erkannte sie mit tödtlichem Schrecken,daß Thomas Lowdale nicht die Achtung und Neigung ei-nes liebenden Weibes verdiene, und daß alle Schätze derErde und alle Titel und Würden der Welt nicht im Stan-de seien, ein empfindsames Herz zu befriedigen und mitirdischer Wonne zu füllen. Nachdem sie dann zwei Kin-dern das Leben gegeben, fühlte sie sich von ihrem kurzenErdendasein erschöpft; sie empfahl ihre Kinder in einemflehenden Gebete Gott und in einem aus vollem Herzenquellenden Schreiben dem Edelmuthe und der unwan-delbaren Liebe des jüngeren Bruders ihres herzlosen Gat-ten und – ließ sich in die kostbare Gruft betten, welchemit ihrem kalten Marmor schwer auf so Vielen lag, dieeinst ihren Namen getragen, aber gleich ihr die Sorgenund Täuschungen dieser Welt nun glücklich überwundenhatten.

    Doch, kehren wir wieder zu Lord Lowdale zurück, derschon lange vor der Gattin, auch Vater und Mutter be-graben; aber sowohl des Einen wie der Anderen Existenz

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    in seinem neuen berauschenden Leben nur zu bald ver-gessen hatte. Er war so recht in der That ein Typus jenervon der Natur so verschwenderisch bedachten – nicht be-gabten – großbritannischen Nabobs, die dem Zufall: dererstgeborene Sohn ihrer Eltern zu sein, Alles verdanken.Wäre er der Nachgeborene gewesen, er hätte nichts alsden einfachen Namen seines Vaters und die paar Gna-denpfennige erhalten, die ihm das Wohlwollen seines äl-teren Bruders zugeworfen. Durch sich selbst wäre er nunund nimmer irgend etwas Nennenswerthes geworden.

    Er hatte von der Natur, wie gesagt, weder Talente,noch sonst eine erwähnenswerthe Gabe empfangen, kei-ne Fähigkeit stand ihm zu Gebote, mittelst deren, er sichaus dem Sumpfe des alltäglichen Lebens zu einer ansehn-lichen Staffel menschlichen Erdenglücks emporarbeitenhätte können. Sein lässiger Geist, nachdem er alles ir-dische Gute genossen, was er mühelos zu erlangen soglücklich gewesen, wäre zweck- und planlos durch dasLeben gewandelt und er wäre ein namenloser, unbekann-ter Mensch geblieben, wie es deren auf dieser Welt wieSand am Meere giebt.

    So hatte er nichts gelernt und nie zu arbeiten und zudenken verstanden. Und wie sein Geist träge und stumpf,so war sein Herz kalt und lieblos geblieben, inmitten derFülle verlockender Anregungen, die ihm wie selten ei-nem Sterblichen das reiche Leben geboten. Was um ihnher vorging – in politischer Beziehung that er wenigstensdurch seine Anwesenheit, durch Ja- und Neinsagen sei-ne Schuldigkeit – was um ihn her vorging in geselligen

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    Kreisen, in Kunst, Wissenschaft und Industrie, in der Ent-wicklung der Völker und Nationen wie des Einzelnen – ernahm keine Notiz davon. Ob seine Pächter zufrieden wa-ren oder nicht, ob sie praßten oder darbten – es machteihm nie die geringste Sorge. Ob er mit seinem Reicht-hum nützen, ob er der Welt oder einem Einzelnen damiteine Wohlthat erweisen konnte, das war nie eine Fragegewesen, die sein Blut auch nur eine Minute in Wallunggesetzt. Er lebte, weil er gerade lebte und weil ihm dasLeben einmal als eine zu genießende Gabe von der Vor-sehung zu Theil geworden war; und um wenigstens an-ständig und angenehm zu leben, beutete er alle Genüs-se aus, die ihm seine Mittel zu verschaffen im Standewaren, ohne ihm jedoch die geringste Mühe zu verur-sachen. Mühe! Ach, war es nicht schon mühselig genug,sich zu Bett zu legen und am hellen Mittag wieder auf-zustehen, sich von einem ungeschickten Kammerdienerankleiden, in den Wagen heben zu lassen und herumzu-fahren durch den abscheulichen Nebel, den kalten Regenund den unausstehlichen Wind, um weiter nichts, als umsich von den dummen Gesichtern des vorbeikeuchendenVolkes anglotzen zu lassen? War es nicht mühselig genug,in der Hitze nach London zu reisen, den langweiligenParlamentssitzungen beizuwohnen und Ja oder Nein zusagen, wobei man doch das Eine oder Andere bisweilenin Erwägung ziehen mußte? Ferner, war es nicht mühse-lig, die endlosen Auseinandersetzungen seines Rentmei-sters anzuhören und mit, über die Faulheit der Menschenschaudernder Haut zu vernehmen, daß dieser oder jener

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    Pächter mit zwanzig Pfund in Rückstand geblieben? Oderwohl gar mit den Erziehern seiner Kinder – die gelehr-ten Unsinn schwatzen – ein paar Worte zu reden, dieserKinder, deren rasches Wachsthum an Körper und Geistihn zu seinem Schrecken alle Tage daran erinnerte, daßdie Jahre seines eigenen Lebens eins nach dem andernschwänden und dabei die Mühseligkeiten immer zahlrei-cher würden? –

    Wir glauben genug von unserm erhabenen Lord gesagtzu haben, um ihn hinreichend zu kennzeichnen, das Wei-tere wird der Verlauf unserer Erzählung thun, wir wollendaher nur noch einige Worte über seine Kinder hinzu-fügen, bis wir sie später selbst in Augenschein nehmenwerden.

    Die Kinder des Lords, ein Knabe und ein vier Jahre jün-geres Mädchen, waren vortreffliche Kinder, auf die jederVater in jeder Beziehung hätte stolz sein können, aberwenn sie auch das Gegentheil gewesen wären, diesen Va-ter hätte es nicht aus seiner apathischen Ruhe gebracht,da er sich aus seiner Tochter gar nichts und aus seinemSohne nur insofern etwas machte, als er dermaleinst derErbe seiner ›mit so vieler Mühe erworbenen‹ Titel undReichthümer werden sollte.

    Lionel, der Sohn und einstige Erbe, wurde sowohldurch den aus der Ferne wirksamen Einfluß seinesOheims, Colin Lowdale, wie durch die mit den Absich-ten dieses edlen Mannes übereinstimmenden Wünscheseiner Mutter schon in frühester Jugend den Händen ei-nes Mannes überliefert, der vollkommen geeignet war,

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    den Geist und die Neigungen eines gutgearteten Knabenauf die besten Wege zu lenken und ihn auf seine einsti-ge Bestimmung, nicht allein ein so großes Vermögen zubesitzen, sondern es auch nützlich anzuwenden, würdigvorzubereiten. Es geschah dies auf die verständigste, ein-fachste und natürlichste Weise, indem der wackere Er-zieher dem lenkbaren Knaben frühzeitig schon die Lie-be zum Guten, Schönen und Wissenswerthen beibrach-te, ihn zum Wohlthun gegen Aermere anleitete und ihnaller Ueberhebung und jedes Hochmuths entkleidete, inwelchen Kinder vornehmer und reicher Eltern leider nurzu oft zu verfallen pflegen. Die Studien des klassischenAlterthums, die in England weit früher begonnen wer-den, als bei uns, weit mehr in das Leben dringen undnicht allein das Eigenthum der gelehrteren Stände blei-ben, erfüllten mit ihren göttlichen Gestalten und erha-benen Beispielen schon im Knabenalter seinen strebsa-men Geist, aber der verständige Erzieher sorgte dafür,daß sein Schüler kein einseitiger Nachbeter griechischerund römischer Cultur und Sprache wurde, sondern denGeist derselben in das moderne Leben übertrug und vorallen Dingen die Fortschritte des Wissens und Leistensder Gegenwart sich zu eigen machte.

    So lernte Lionel schon früh Vieles und Gutes, und trotzseines reichlichen theoretischen Wissens war er doch denpractischen Disciplinen am lebhaftesten zugeneigt. Dar-um wäre er auch am liebsten Seemann geworden unddazu trug wohl nicht minder die erfolgreiche Laufbahndes Oheims, als sein längerer Aufenthalt in der Nähe der

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    nördlichen Küsten seiner Heimat bei, wo er damals häufi-ger als in späteren Jahren mit dem weitgereisten Oheimzusammentraf. Allein an die Erfüllung dieses Wunschesdurfte er nur im Stillen denken. Als einziger Sohn undErbe eines großen Besitzes war er auf einen stillerenKreis des Wirkens und Schaffens angewiesen, und wenner hier auch genügend seinen Neigungen folgen mochte,so lag die See mit ihrem abenteuerlichen und gefährli-chen Leben doch den Plänen seines Vaters viel zu fern,der schon damit genug gethan zu haben glaubte, daß erseinem Sohn gestattete, in der Nähe der Mutter und, de-ren Wunsche gemäß, in ihrem geliebten Schottland zuleben.

    Lady Lowdale nämlich hatte sich in den letzten Jah-ren ihres Lebens nach ihrem Lieblingsaufenthaltsort imNorden ihrer Heimat, nach Meanach-Lodge am Shin-Seezurückgezogen, und mit ihres Gemahls Bewilligung wa-ren ihr die Kinder mit den Erziehern und Lehrern dahingefolgt. Auch nach dem bald erfolgten Tode der Mut-ter blieben Jene daselbst und sogen hier aus den unver-löschbaren Jugendeindrücken die Liebe zu ihrem schö-nen Vaterlande ein, welchem auch der Oheim, wie allein den Bergen Geborenen, mit ganzem Herzen ergebenwar. Lord Lowdale kam damals noch häufiger nach denschottischen Hochlanden als gegenwärtig und er sah sei-ne Kinder wenigstens alle Jahre einmal auf einige Wo-chen, wo er bisweilen auch mit seinem Bruder zusam-mentraf, der seine Urlaubsferien stets auf seinem Privat-gute an der Nordküste Schottlands verlebte.

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    Die beiden Geschwister, Lionel und Georgiana, auf die-se Weise von dem hochtrabenden englischen Glanz- undStadtleben abgesondert, auf sich und ihre nächste ver-traute Umgebung angewiesen, faßten schon frühzeitig ei-ne ungemein zärtliche Neigung zu einander, so daß mansie in allen freien Stunden beisammen sah, wie sie dennauch viele ihrer Studien gemeinschaftlich betrieben. Erstals Lionel in’s Jünglingsalter getreten war und mit seinemErzieher die Universität Oxford bezog, fand die erste,Jahre dauernde Trennung statt, die beiden Theilen diegrößten Schmerzen verursachte. Indessen waren beideGeschwister in der frischen Luft des Nordens zu gesun-den und kräftigen Gestalten herangereift, und wie Lio-nel unter seinen Studiengenossen allgemein bewundertward und für einen der hoffnungsreichsten Studentengalt, so wurde Georgy im weiten Umkreise ihrer Heimatfür das schönste und blühendste Mädchen gehalten, wel-ches sich je in den hochländischen Seen gespiegelt hatteund durch die hochländischen Berge gewandelt war.

    Was nun die Studien Lionel’s insbesondere betrifft sowar derselbe natürlich nicht auf ein besonderes Feld dar-in angewiesen. Er betrieb sie nur, um seinen Geist imAllgemeinen zu bereichern und so viel des Wissenswert-hen wie möglich in seinem Kopfe aufzuspeichern. Alleinschon nach wenigen Jahren fand er aus eigener Anschau-ung, daß die enggezogenen Kreise des Lehrens und Ler-nens in Oxford, noch dazu auf eine höchst steife und pe-dantische Art betrieben, seinen Erwartungen keineswegsentsprächen, und er sehnte sich hinaus in eine freiere

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    Welt, in eine allgemeinere Anschauung der Dinge undPersonen, und namentlich wollte er erfahren, nicht alleinwie die auf dem Kothurn einherstolzirenden Engländer,sondern wie auch andere, leichter und geistig freier sichbewegende Nationen die Welt, und was in ihrem Rahmengeschah, betrachteten.

    Da war es denn vor allen Dingen das im Lehren undLernen so eigenthümlich glücklich begabte Deutschland,welches den jungen strebsamen Mann auf seine berühm-ten Academieen lockte, und nachdem er durch wieder-holte Bitten von seinem Vater, der nie ein anderes Landals England und Schottland gesehen und zu sehen für nö-thig erachtet, die Erlaubniß dazu erhalten, begab er sichmit seinem Erzieher auf Reisen durch Frankreich nachDeutschland.

    Erst nach mehreren Jahren kehrte er vollauf befriedigtund von höheren Lebensplänen begeistert, nach Hausezurück, holte seine theure Schwester, die so lange inSchottland verweilt, nach Westmoreland und blieb mitihr eine Zeitlang bei dem Vater daselbst, da sein Oheimdamals als Contre-Admiral und Befehlshaber einer an-sehnlichen Flottenabtheilung in den ostindischen Gewäs-sern kreuzte.

    Allein selbst das schöne Westmoreland und der Um-gang mit den Freunden und Gefährten seines Vaters ge-nügten dem feiner entwickelten Geiste des jungen Welt-bürgers nicht lange, er hatte eine lebhaftere Bewegung

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    frisch aufkeimenden Lebensathems in Deutschland ken-nen gelernt, das schon damals seiner langsamen Wie-dergeburt hoffnungsvoll entgegenging, und so kehrte ernoch einmal dahin zurück, um im Umgange mit den acht-barsten Gelehrten der größten norddeutschen Universi-tät seine Lieblingsstudien weiter verfolgen zu können.

    Noch einen Blick müssen wir nun, bevor wir zu unsrerErzählung zurückkehren, noch auf das Verhältniß wer-fen, in welchem die Kinder des Lords zu ihrem Oheim,dem Admiral, standen, und dann auf diesen selbst vor-läufig ein kleines Streiflicht fallen lassen. Je kälter näm-lich mit den zunehmenden Jahren die Beziehungen zwi-schen Viscount Lowdale und seinen Kindern wurden, jeweniger regen Antheil Ersterer an der Entwicklung derletzteren, an ihren Neigungen und Bestrebungen nahm,und je mehr sie ihm sogar im Laufe der Zeiten entfremdetworden, um so dringender fühlten sie selbst das Bedürf-niß nach dem Verkehr und der Liebe eines ihrer Bluts-verwandten, an denen ihre nur auf wenige Augen be-schränkte Familie an und für sich so arm war, und so wares kein Wunder, daß ihre ganze Neigung um so zärtlicherdem wackeren Oheim zufiel, der sich jeden Augenblickgeneigt zeigte, die Kinder seiner einzigen Jugendliebe,die diese ihm sogar in der Todesstunde als ein theuresVermächtniß anvertraut, mit liebenden Armen zu umfas-sen und in der That und Wahrheit ihr Vater und Ratherzu sein, da der wirkliche Vater es nach allen seinen bishe-rigen Handlungen und seinem an den Tag gelegten Cha-rakter nur dem Namen nach zu sein schien. Und in dieser

  • – 23 –

    Beziehung war die Liebe der jungen Leute auf den richti-gen Mann gefallen.

    Der ehemalige Colin Lowdale, der von einer kinderlo-sen Schwester seiner Mutter ein kleines Besitzthum miteinem Schlößchen nebst düsteren Wäldern, Felsen undAbgründen im äußersten Norden der Hochlande ererbtund damit den Namen Sir Colin Cameron angenommenhatte, war ein Mensch, wie er selten so rein und unbe-scholten, so wacker und edel unter den Ersten seines Vol-kes gefunden werden dürfte. Als jüngerer Sohn von sei-nem Vater vernachlässigt, von seiner schönen Mutter niegeliebt, fast gehaßt – aus Gründen, die wir noch genauerzu entwickeln haben werden –, von seinem hübscherenBruder, dem stolzen Erben, kaum beachtet und in der Ju-gend wenigstens über die Maaßen geringgeschätzt, hat-te er sich frühzeitig aus dem elterlichen Hause fortge-sehnt. Ein ferner Verwandter von Einfluß, dem seine Nei-gung zur See bekannt geworden, hatte ihn zur Marinegebracht und Colin hatte sich seinem neuen Dienste miteinem Eifer und einer Ausdauer gewidmet, die frühzei-tig ihre Früchte trugen und ihn sogar aus einem überausschwächlichen und hinfälligen Knaben zu einem frischenJüngling und wenigstens dauerhaften Manne machten.Aber nicht allein fleißig, unermüdlich im theoretischenStudium seiner schönen Wissenschaft, war er auch einMensch der That geworden, und, furchtlos jeder Gefahrin’s Auge blickend, hatte er schon als Midshipman Lor-beern errungen, die ihm den Neid aller Kameraden und

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    die Achtung aller Vorgesetzten erwarben, wovon ein ra-sches Avancement die nächste Folge war.

    Aber je rascher Colin eine Stufe nach der andern er-stieg, je höher ihn seine Vorgesetzten achteten, je mehr ervon der Welt sah und je reicher der Schatz seiner Erfah-rungen wurde, um so eigenthümlicher entwickelte sichder Charakter und das Gemüth dieses mit so herrlichenEigenschaften ausgestatteten Ehrenmannes. Von Naturmit einem überaus warmen Herzen begabt, wandte derstrebsame Seemann seine ganze Neigung dem Wohle derihm untergehenen Menschheit zu, und alle seine sparsa-men Mittel, sowohl die von der Tante ererbten, wie dieihm sein Dienst eintrug, benutzte er nicht zum eigenen,sondern zum Besten Derer, die in näherer Beziehung zuihm standen, wenn sie seines Beistandes bedurften, undhatte er ihrer Noth abgeholfen, dann theilte er den klei-nen Rest noch hülfsbedürftigen Fremden mit.

    Als sein Vater starb und sein Bruder Thomas ViscountLowdale wurde, überwies ihm dieser, in einer Anwand-lung von alle Welt überraschender Großmuth, eine Ren-te von dreitausend Pfund; Colin aber, zu stolz, um einAlmosen aus der Hand des übermüthigen Bruders anzu-nehmen und überdieß seiner eigenen Hände Werk ver-trauend, wies die Rente zurück, indem er sein Einkom-men zu seinem Leben und seinen Zwecken für genügenderklärte.

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    Daß hierdurch die geringe Neigung zwischen den bei-den Brüdern, wenigstens auf Seiten des Lords, nicht zu-nahm, versteht sich bei dem hochfahrenden Wesen des-selben von selbst. Von jetzt an bekümmerte er sich ebenso wenig um den ›prahlerischen Admiral im Ei,‹ wie erihn nannte, als er sich um seine Kinder bekümmert, hat-te aber in seiner gleichgültigen Lauheit nichts dagegen,daß das Verhältniß jener beiden Parteien immer innigerund herzlicher sich gestaltete. Erst in viel späterer Zeiterhielt der jüngere Bruder in den Augen des älteren ei-ne viel höhere Bedeutung, und dürfte der Grund davonmit ein Hauptmotiv unsrer Erzählung bilden, weshalb wirhier noch nicht darüber sprechen dürfen. Indessen, wiedie Gefühle des Lords für seinen Bruder danach beschaf-fen sein mochten, ob er ihn zu fürchten oder zu achtenUrsache hatte, Sir Colin Cameron war als Linienschiffsca-pitain vor sechs Jahren nach Indien gesegelt und, wie esschien, war noch längere Zeit keine Aussicht vorhanden,daß er von seinem dortigen Posten, wo unterdessen derKrieg ausgebrochen, zurückkehren werde.

    In dieser Beziehung konnte also der Lord beruhigtsein, und als er vor zwei Jahren die Kunde vernahm, SirColin sei nach einem blutigen und siegreichen Gefech-te gegen die rebellischen Sikhs zum Contre-Admiral derGroßbritannischen Flagge in den ostindischen Gewässernernannt, zuckte er mitleidig die Achseln, brummte eini-ge unverständliche Worte vor sich hin, die so viel als:»Hol’ ihn der Teufel!« bedeuten mochten, und reiste von

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    London, wo er gerade war, nach dem einsamen Lowdale-Castle ab, um dem Händeschütteln der ihm über seinesBruders Avancement Glückwünschenden eiligst aus demWege zu gehen.

    Mittlerweile waren beide Brüder alt und grau ge-worden und Lord Lowdale zählte zu der Zeit, wo wirihm zum ersten Male in Lowdale-Castle begegnen wer-den, sechsundfünfzig Jahre, ein Lebensalter, über dessenunvermerkt erstiegene Höhe er natürlich nicht überausglückselig war.

    Für Lionel und Georgy Lowdale war die lange Abwe-senheit des Admirals ein Gegenstand des tiefsten Bedau-erns; sechs lange Jahre hatten sie ihn nicht gesehen undjedes Jahr wuchs ihre Sehnsucht, sein edles Antlitz wie-der zu erblicken und die warme Hand eines Ehrenman-nes zu drücken, der Ihnen schon in den Kinderjahrenmehr Liebe und Zärtlichkeit, als der eigene Vater im gan-zen Leben erwiesen hatte.

    So standen im Allgemeinen die Dinge, als wir an je-nem Winterabende das schöne Lowdale-Castle in seinerEinsamkeit liegen sahen, und was sich im Einzelnen bisdahin im Schooße der Familie begeben, werden wir ausdem Verlauf dieses Abends erfahren, zu dessen Schilde-rung wir nun im nächsten Kapitel schreiten müssen.

    ZWEITES KAPITEL. DAS GENESUNGSFRÜHSTÜCK UND DERUNHEILVOLLE BRIEFBEUTEL.

    Es mochte etwa acht Uhr Abends sein, als die Stil-le, die auf der nächsten Umgebung Lowdale-Castle’s lag,

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    durch eine von Außen kommende Störung unterbrochenwurde. Von der Südseite her, in der Richtung des zu-nächst gelegenen Städtchens, ließ sich der Hufschlag ei-nes galoppirenden Pferdes vernehmen und alsbald wur-de ein einzelner Reiter sichtbar, der verschiedene fest-verschlossene Ledertaschen an ihren Riemen um Brustund Schulter trug. Es war der jugendliche Postbote, dernach Lowdale-Castle und den umliegenden Ortschaftenund Pachtungen regelmäßig Abends acht Uhr seine De-peschen brachte und die Antworten darauf Mittags zwölfUhr am anderen Tage wieder abholte. Der kleine Reiterwußte sehr genau Bescheid auf dem gräflichen Gute undso sprengte er auch diesmal flüchtig an der großen Ein-trittshalle des stattlichen Herrensitzes vorüber, lenkte sei-nen muthigen Klepper vor die Rückseite desselben undhielt hier endlich vor einem Pförtchen, dessen metalle-nen Klopfer er sogleich in heftige Bewegung setzte.

    Alsbald that sich auch die Thür auf und ein Dienererschien, um ihm den Briefbeutel abzunehmen und Mr.Drummond, dem Rentmeister und Sachwalter Mylords,zu überreichen, der in der Regel auf Lowdale-Castlewohnte, aber seinen Herrn auch häufig nach anderen Or-ten, wenn derselbe seinen Aufenthalt dahin verlegte, be-gleitete, um jeden Augenblick bereit zu sein, sämmtlicheGeschäfte abzuwickeln, die Sr. Herrlichkeit etwa der Zu-fall in den Weg werfen könnte.

    Mr. Drummond war vollkommen vertraut mit ViscountLowdale’s Angelegenheiten, privaten sowohl wie öffentli-chen, und es gab wohl nur wenige Dinge in des Letzteren

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    Leben, von denen er nicht wenigstens einige Kunde ge-habt hätte. Mylord Lowdale hatte auch alle Ursache, demalten Diener, der als der Sohn eines ansehnlichen Päch-ters seines Vaters, in früheren Jahren sein Spielgefährtegewesen war, volles Vertrauen zu schenken; derselbe lei-tete und ordnete Großes wie Kleines nach dem Wohlge-fallen seines Herrn, eignete sich nur auf höchst anstän-dige Weise den bisweiligen Ueberfluß desselben an undstand Tag und Nacht zu seinen Befehlen, wiewohl da-mit keine nennenswerthe persönliche Anhänglichkeit anSeine Lordschaft verbunden war, der es, Dank seiner her-rischen Gemüthsart, seiner Launen und Hartherzigkeit,verstanden hatte, alle seine Untergebenen, die ihm gernmit Leib und Seele zugethan gewesen wären, nach undnach von sich abwendig zu machen.

    Um so herzlicher dagegen war Mr. Drummond der Fa-milie des Viscount zugeneigt; für Linny und Georgy, wiedie vertrautesten Diener unter sich die Kinder des Lordsnannten, wäre er durch’s Feuer gegangen, und für denschon so lange abwesenden Admiral hegte er Gefühle dertiefsten Ehrerbietung und der ungeheucheltsten Bewun-derung. Ob also Mr. Drummond mehr im Interesse allerdieser Personen oder ob er aus Pflichtgefühl in Bezug aufdie ihm anvertrauten Geschäfte so überaus thätig und ar-beitsam war, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls zog erfür seine Person nicht den Kürzeren dabei, er war schonlange ein wohlhabender Mann und Besitzer eines kleinenGutes, das er seinem Schwiegersohne übergeben hatte,

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    da er selbst aus alter Gewohnheit den Diensten des rei-chen Viscount nicht entsagen mochte.

    Mr. Drummond nahm an diesem Abend aus den Hän-den des Lakaien den ziemlich gefüllten Briefbeutel mitalthergebrachtem würdigen Schweigen entgegen, öffne-te ihn mit dem ihm anvertrauten Schlüssel, las die Auf-schriften der Briefe, machte bei einigen mit ironischemLächeln seine stillen Bemerkungen und wandte sich dannmit gleichgültiger Miene an den wartenden Lakaien, in-dem er ihn fragte:

    »Wie weit sind die Herren im Speisesaal?«»Sie werden bald fertig sein, Mr. Drummond, denn sie

    sind schon längst bei den Nüssen!« lautete die Antwort,und bald darauf zog sich der Mann, der sie gesprochen,wieder zu seinen anderweitigen Geschäften zurück. –

    Begeben wir uns nun auf die vordere Seite des Schlos-ses und nähern uns so den prachtvollen Gemächern, wel-che der Herr desselben bewohnte und worin er jetzt sei-ne Gäste bewirthete. Wenn wir die Vorgänge darin auchnicht genauer zu mustern beabsichtigen, so müssen wirsie doch wenigstens oberflächlich aus der Ferne betrach-ten, um im Allgemeinen von den Verhältnissen des Tagesunterrichtet zu werden.

    So ersteigen wir denn die sorgfältig vom Schnee ge-säuberten Marmorstufen der Eingangshalle und stellenuns einige Augenblicke unter dem hohen Spitzbogen derhalb offenen Vorhalle auf. Von hier aus konnte man durchden bei Tage durch eine Glaskuppel erleuchteten Emp-fangssaal, dessen Nischen mit kostbaren antiken Statuen

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    oder deren Nachbildungen ausgestattet waren, auf diein diesem Augenblick der Schein zahlloser Wachskerzenfiel, bis in den dahinter liegenden Banketsaal blicken.

    Dieser war ein mäßig großer, sehr hoher und fast qua-dratförmiger Raum, dessen polirtes Eichenholzgetäfel imWiderscheine dreier mit grünen Wachskerzen reich be-steckter Krystallkronen lebhaft blitzte. An den zwölf ge-waltigen Strebepfeilern, welche die mit seltenen Stucca-turen bekleidete gothische Decke stützten und um denfreien Mittelraum eine Art Säulengang bildeten, erblick-te man kunstvoll geordnete Waffengruppen, Wappen undsonstige dem Hause eines so reichen und vornehmenMannes Schmuck und Zier verleihende Dinge. In diesembehaglichen Raume nun, den die Flammen zweier großerKamine von dunkelfarbigem Granit angenehm erwärm-ten, stand ein ungeheurer massiver Speisetisch, ebenfallsvon polirtem Eichenholz, und darum saßen auf hochleh-nigen, schön geschnitzten Sesseln zwölf bis sechszehnHerren, deren übereinstimmende Tracht: scharlachrotheFracks, weiße Lederhosen und Stulpenstiefel mit Sporenverrieth, daß sie sämmtlich nach Vollendung einer ge-meinschaftlichen Jagd sich hier um den gastlichen TischViscount Lowdale’s versammelt hatten. Es war ein solen-nes Gabelfrühstück, welches diese Herren mit vortreffli-chem Appetite und noch größerem Durste einnahmen;dasselbe hatte um zwei Uhr Nachmittags begonnen undschien eben jetzt gegen acht Uhr Abends sein Ende errei-chen zu wollen.

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    Die reich gekleideten und, damit auch ja kein Laut ih-rer Tritte auf dem mit dicken orientalischen Teppichenbedeckten Boden hörbar wäre, weich beschuhten Die-ner hatten sich schon lange zurückgezogen; sie saßenoder standen träge plaudernd in den Vorzimmern, tran-ken hier und da, wie die Herren, ihr zu rechter Zeit in Si-cherheit gebrachtes Fläschchen, und nur dann und wannrief einen oder den andern von ihnen der Klang einersilbernen Schelle in das Tafelzimmer zurück, um ihn zuveranlassen, ein paar neue Flaschen von dieser oder jenerSorte herbeizubringen.

    Auf der spiegelblanken Tischplatte selbst stand einauserlesenes Dessert in silbernen Schüsseln und Körben.Südfrüchte aller Art lockten mit ihrem lieblichen Duf-te den Appetit der Tafelnden heraus, Nüsse wurden ge-knackt, Mandeln zerdrückt und Flaschen von allen Far-ben und Gestalten rollten auf massiv silbernen, kleinenWagen auf der glatten Platte hin und her, bald diesembald jenem Herrn einen frischen Vorrath des verführeri-schen Inhalts zuzuführen.

    Schon draußen vor der Halle, deren Thüren mittelstgeschliffener Spiegelfenster jetzt im Winter verschlossengehalten wurden, deren schwerseidene Vorhänge aberan diesem Abend zurückgeschlagen waren, konnte manein verworrenes Geräusch von mehr laut durch einanderschreienden als redenden Stimmen, gemischt mit schal-lendem Gelächter vernehmen. Gott Bacchus hatte schonlängst seinen schalkhaften Umzug gehalten und mit sei-ner gemüthlichen Fackel die empfänglichen Herzen der

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    trinkenden Herren in Brand gesetzt. Witzworte und Ge-spött, humoristische und sarkastische Ausrufungen, flo-gen hinüber und herüber, das anfängliche Lächeln undLachen war schon in ein wildes Gejauchze übergegan-gen, wenn hie und da ein treffendes Schlagwort fiel, undlaute Hurrahs folgten schließlich rasch auf einander beiden zahllosen Toasten, die die überfließenden Lippen dergöttlich angehauchten Gäste hören ließen. Gesundheitenwurden auf Gesundheiten ausgebracht; dazwischen kamdie Politik auch dann und wann zur Geltung, über Frau-en und Mädchen in London – glücklicher Weise war kei-ne Dame im ganzen großen Hause – wurde gewitzelt undgehechelt, kurz, man besprach und belachte Alles und Je-des – nur von dem eigentlichen Zweck und der Veranlas-sung dieses ›göttlichen‹ Frühstücks sprach kein Menschund doch war dieselbe eine sehr ernste und wichtige und– wie man annehmen muß – auch eine sehr angenehmefür den Gastgeber selber.

    Geben wir diese ernste und wichtige Veranlassung hiermit wenigen Worten an.

    Wie wir wissen, war der Sohn Lord Lowdale’s nachDeutschland gegangen, um seinem inneren Triebe ge-nugzuthun und mit Männern von Ruf und Bildung ininnigeren Verkehr zu treten, als durch Briefwechsel mög-lich war. Dreiviertel Jahre waren seitdem verstrichen undvon Zeit zu Zeit waren, weniger an den Viscount alsan die zurückgebliebene Schwester gerichtet, über dasWohlbefinden des Reisenden befriedigende Briefe einge-troffen. Da plötzlich, ungefähr vor zwei Monaten, lief ein

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    Schreiben von einem Diener Lionel’s ein, daß sein jungerHerr bedenklich erkrankt, ja daß zu fürchten sei, dersel-be werde dem Nervenfieber, das ihn ergriffen, erliegen.Man habe den vornehmen Patienten in ein sehr comfor-tables Krankenhaus gebracht, wo ihm allerdings die bestePflege von Seiten des Arztes und der Krankenpfleger zuTheil werde, allein er, der Schreiber dieses, sei dennochaußerordentlich besorgt und fast außer Stande, diese Be-sorgniß noch länger allein zu ertragen.

    Dieses Schreiben rief in Lowdale-Castle, wo es alsbaldanlangte, eine große Bestürzung hervor; der Vater desKranken gerieth in sichtbare Unruhe, am meisten aber littdie zärtlich besorgte Schwester und nach kurzem Beden-ken trug sie dem Lord die Bitte vor, sie mit ihrer Gesell-schafterin, ihrer ehemaligen Erzieherin, einer vortreffli-chen alten Dame, nach Deutschland reisen und sich per-sönlich nach dem Befinden des geliebten Bruders erkun-digen zu lassen.

    Lord Lowdale gab dieser natürlichen Bitte sogleich Ge-hör, um so lieber, als er nun selbst von der ›so langwei-ligen‹ Reise befreit wurde, auf deren UnvermeidlichkeitMr. Drummond schon wiederholt angespielt hatte. LadyGeorgiana reiste also nach Deutschland ab und traf denBruder sogar kränker, als sie erwartet, allein ihre schriftli-chen Aussagen über seine Pfleger stimmten vollkommender Meinung des treuen Dieners bei, und so gab auch sieeinige Hoffnung auf baldiges Besserwerden.

    Drei Tage nach Ankunft dieser Nachricht jedoch liefeine neue schlimrnere ein. Lionels war dem Tode nahe

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    und somit wenig Hoffnung vorhanden, sein Leben erhal-ten zu sehen. Acht Tage später aber kamen rasch nacheinander zwei günstigere Meldungen und endlich vor et-wa vier Wochen die völlig beruhigende, daß Lionel demLeben erhalten sei und der Genesung sichtbar entgegen-schreite.

    Lord Lowdale athmete auf. Nun brauchte er an keinfeierliches Begräbniß mehr zu denken, wobei er doch je-denfalls die Hauptrolle hätte spielen müssen. Sein ein-ziger Sohn blieb ihm überdieß erhalten und seine Hoff-nung auf eine legale Fortpflanzung des alten Stammbau-mes war nicht vergeblich gewesen.

    Die Kunde von der gefährlichen Erkrankung des Erbenhatte sich durch Zeitungen und Privatmittheilungen wieein Lauffeuer unter den näheren und ferneren Bekanntender Lowdale’schen Familie verbreitet und es langten vonallen Seiten Erkundigungen und theilnehmende Aeuße-rungen auf dem Gute in Westmoreland an. Als nun aberdie Genesung des Kranken allmälig vorschritt, erschie-nen alle Tage Glückwünschende in Person auf Lowdale-Castle, drückten dem Vater die Hand und sprachen un-verholen ihre Freude über die günstige Wendung der Din-ge auf.

    Daß Besuche in der Nachbarschaft, lange vorher ange-sagte Jagden, Diners und Soupers während der traurigen

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    Tage des Zweifels und der Besorgniß um den abwesen-den Kranken, nicht ganz von der Hand gewiesen wer-den konnten, versteht sich bei dem genußsüchtigen Vis-count von selbst, ja einige angenehme Zerstreuungen wa-ren ihm vielleicht jetzt nothwendiger denn je. Er speistestets und überall mit dem besten Appetit und ritt munterauf die Fuchsjagd vor wie nach, wie es einmal in seinerHeimat im Winter gebräuchlich war.

    So kam es denn auch, daß seine am lebhaftesten theil-nehmenden Nachbarn ihn durch Winke und Wünscheveranlaßten, eine Genesungsfeier zu veranstalten, unddaß Mylord nicht abgeneigt war, denselben zu willfah-ren, haben wir bereits erfahren, obwohl das Fest selbsterst stattfand, nachdem die Wiederherstellung des Soh-nes schon ziemlich lange erfolgt war. –

    Das Genesungsfrühstück war zu Ende und die Lakaienmeldeten den im Speisesaal auf den Sesseln lehnendenund gähnenden Herren, daß die Wagen vorgefahren sei-en und die Pferde gesattelt vor der Thür ständen. Es er-folgte ein allgemeiner plötzlicher Aufbruch, denn es gabnun nichts mehr zu genießen in Lowdale-Castle, was einlängeres Abwarten bei übervollem Kopf und Magen ge-rechtfertigt hätte. Die Gäste schüttelten daher ihrem Wir-the die Hände und der Wirth schüttelte sie ihnen wieder,mit einer Umständlichkeit, einem Eifer und einer Wär-me, daß man hätte glauben sollen, eine unendliche Liebeverbinde die Herzen und man trenne sich nur schwer vonden gastlichen Pforten des edlen Herrenhauses.

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    Endlich war auch der letzte Händedruck ausgetauschtund einer der Gäste nach dem andern verschwand durchdie breite Glaspforte der Statuenhalle, die dabei eine sokalte Luft hereinließ, daß der zurückbleibende Hausherrvor Frost schauerte und sich so schnell wie möglich indie Tiefe des Speisesaales zurückzog, um am hellen Ka-minfeuer sich wieder in einen behaglicheren Zustand zuversetzen.

    Viscount Lowdale stand hier einige Minuten allein undschaute mit gläsernem Auge auf die verödete glänzen-de Tischplatte, um die noch eben so fröhlich lärmendeGäste versammelt gewesen waren. Die vielen Kerzen derschimmernden Krystallkronen warfen ein helles Licht aufden einsamen Mann und wir haben somit die beste Ge-legenheit, ihn bei dieser strahlenden Beleuchtung unsrerBetrachtung zu unterwerfen.

    Wie alt Viscount Lowdale war, wissen wir schon; auchsah er eigentlich nicht älter aus, obgleich eine gewisseLässigkeit oder Mattigkeit in der Haltung erkennen ließ,daß er stark und rasch gelebt habe. Er war ein Mann vonziemlich kräftigem Körperbau, mittelgroß, aber fleischigund voll, namentlich in der Gegend, auf deren Füllungund Befriedigung sein Koch so viele Mühe verwandte.Die Jägerkleidung, in der auch er vor unsre Augen tritt,stand ihm nicht übel, er bewegte sich frei und untadel-haft darin, jedoch, dünkt uns, hätte dieser etwas schwerbewegliche Mann noch besser ausgesehen, wenn er inweniger strahlende Farben gekleidet gewesen wäre.

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    Vor allen Dingen aber müssen wir seinen Kopf undsein Gesicht betrachten, denn beide geben ja immer denHauptmaaßstab ab, weß Geistes Kind ein Mann undMensch ist, mag er vornehm oder gering, reich oder arm,alt oder jung sein. Der Kopf nun war groß, voll und rundund wurde steif, vornehm und mit übertriebenem Selbst-gefühl getragen. Von einem kahlen, glänzenden Schädel,der nur an beiden Seiten von einem dünnen, grauen undkünstlich gekräuselten Haarwuchs eingefaßt war, lief ei-ne ungeheuer hohe und breite Stirn herab, die in ei-ner stark entwickelten, aber nicht unschönen Nase mitweit geblähten Flügeln endigte. Das Gesicht war über-aus fleischig, die Hautfarbe mit Ausnahme der weißenStirn stark gebräunt und namentlich jetzt, wo Bacchusauch ihm sein Siegel aufgedrückt, von einem lebhaftenTone augehaucht. Seine Augen waren groß, hellblau undschienen in einem kleinen See wässriger Feuchtigkeit zuschwimmen. Die vollen Wangen waren glatt geschoren,eben so Kinn und Oberlippe, nicht die geringste Spurvon Bart zeigte sich auf dem ganzen Gesicht. Die star-ken Lippen des ziemlich großen und nicht gerade edlenMundes verriethen Sinnlichkeit und Genußsucht und dievortrefflichen Zähne entsprachen dem massiven Bau desUnterkiefers, der unter dem Kinn in einer etwas fetterenUnterlage endete, als für die Schönheit eines menschli-chen Gesichts durchaus nothwendig ist.

    Im Ganzen war es ein Gesicht, das keinen wohlthuen-den Eindruck hervorbrachte; es war zu stark, um edel,

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    der Ausdruck darin zu hochfahrend, um Vertrauen er-weckend zu sein und es schien, als ob unter der glat-ten Oberfläche dieser feinen Haut, die sich oft zu ei-nem gleißnerischen Lächeln verzog, ein zweites verdeck-tes Gesicht laure, als ob in der Tiefe dieses blaßblau-en, kalten, wasserreichen Auges eine nicht ganz frei vonSchuld sich fühlende Seele schlummre, die doch mit ei-serner Hartnäckigkeit den wohlbekannten Irrthum fest-hält, den begangenen Fehler nur zu übertünchen bemühtist, und als ob der von der Natur in das Innere diesesKopfes gepflanzte Geist mit egoistischer Verblendung inabsichtlichen Fesseln gehalten würde, gleichsam als seider Besitzer desselben gewissermaßen stolz darauf, ihnnicht zum Durchbruche, zur vollen Entwicklung seinerMacht haben kommen zu lassen.

    Man wundere sich nicht über letzteren Ausspruch.Aber es sind uns schon oft im Leben dergleichen Men-schen aufgestoßen. Sie gehörten sämmtlich einer be-stimmten, auf exclusivem Standpunkt stehenden, oder zustehen sich einbildenden Klasse an, die sich etwas zu Gu-te darauf thut, daß sie sich nicht zu bemühen brauche,Kenntnisse zu sammeln, wie sie ihrer Meinung nach je-der Bauernsohn sammeln kann, wenn er dazu angehal-ten wird, und Fähigkeiten zu äußern, die nur für Men-schen erforderlich sind, die ihre Stellung in der Welt zurArbeit und zum mühseligen Erwerbe zwingt.

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    Für’s Erste genüge diese Schilderung Lord Lowdale’s;sein Charakter wird sich nur zu bald aus seiner Hand-lungsweise genauer entwickeln. Nachdem er nun eini-ge Minuten am Feuer gestanden und namentlich ›dieKehrseite seines Ichs‹ der wohlthätigen Einwirkung derFlamme ausgesetzt hatte, wurde seine Einsamkeit durchseinen ersten Kammerdiener William unterbrochen, derin der Thür erschien und einen fragenden Blick auf sei-nen Herrn warf.

    Lord Lowdale verstand diesen stillen und kundigenBlick, er hielt es aber nicht der Mühe werth, ein Wort anden Mann zu richten; er erhob nur ein wenig die Handund deutete damit über die Schulter nach einem benach-barten Zimmer hin.

    Auch der Diener verstand sogleich den erhaltenenWink, nahm eine Flasche von der verödeten Speiseta-fel, ein blitzendes reines Krystallglas, fügte ein silbernesKörbchen mit Feigen und Mandeln hinzu und trug allediese Gegenstände, leise wie ein Schatten dahingleitend,in Mylords Privatzimmer.

    Kaum war er jedoch den Augen seines Herrn ent-schwunden, so geruhte derselbe sich ebenfalls in Bewe-gung zu setzen und, anfangs etwas schwankend, dannaber bald sich in seine gewöhnliche gravitätische Haltungzwingend, folgte er dem Diener mit vornehmer Gemäch-lichkeit nach.

    Dieser langsame Gang durch die lange Reihe pracht-voller Zimmer in seinem schönen Schlosse hatte etwas

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    Charakteristisches an sich. Die Füße Mylords traten et-was schwer und unsicher auf, aber sie glitten dennochunhörbar über die weichen Teppiche fort, die den ge-täfelten Fußboden aller Säle bedeckten. Von den vielennoch brennenden Kerzen fast tageshell erleuchtet, lagenalle diese glänzenden Räume in prunkvoller und dochschweigsamer Herrlichkeit, und als Viscount Lowdale trä-ge durch einen nach dem anderm wandelte, bald hier,bald da ein erhabenes Kunstwerk menschlichen Fleißesund Genies gleichsam mit Gönnermiene überflog, lächel-te er befriedigt, als fühle er wohl, wie reich, wie erhabenüber so vielem sterblichen Gesindel er als Besitzer dieserSchätze sei, und als wolle er sagen oder denken: »Werkann mir Etwas anhaben – bin ich nicht ein glücklicher,ein beneidenswerther Mann?«

    Nur einmal hielt er auf diesem langen Gange in ei-nem der am hellsten erleuchteten Zimmer an, nicht et-wa, um ein bevorzugtes Kunstwerk genauer zu betrach-ten, nein, um ein ganz anderes Meisterstück in näherenAugenschein zu nehmen, das in seinen Augen wenigstensdas größte von allen vorhandenen war seine eigene Ge-stalt und sein eigenes hochherrliches Gesicht.

    Obgleich in den englischen Schlössern nur wenigeSpiegel gefunden werden und nicht wie in Frankreich,und theilweise auch in Deutschland, alle Zimmer im Ue-berfluß damit versehen sind,1 so gelangte Mylord doch,bevor er die ebenfalls erleuchtete Bibliothek erreichte, in

    1In der Regel findet man in England, mit Ausnahme des Ankleide-zimmers, nur einen Spiegel über dem Kamin in die Wand eingefügt,

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    ein Gemach, in welchem ein großer kostbarer venetiani-scher Trumeau in eine Wand eingelassen war, um ein ge-genüberhängendes Bild mit einem majestätischen Was-serfall wirkungsvoll wiederzugeben. Vor diesem Spiegelblieb er stehen, bevor er vorüberschritt, denn es kam ihmvor, als schreite ihm aus dem Glase seine eigene Gestaltin ganzer Größe und Vollendung entgegen. Der Lord tratdicht an das Glas heran und betrachtete sich genau vomKopf bis zu den Füßen. Seine Herrlichkeit mußte mit die-ser Betrachtung zufrieden sein, denn sie lächelte wohl-wollend – ein seltener Ausdruck in diesen kalten Zügen– besah dann seine weißen Zähne, strich mit der Handüber die wenigen Locken seines kahlen Schädels – aberda war er schon weniger befriedigt, und mit einer hasti-gen Bewegung wandte er sich von dem verrätherischenSpiegel fort und schritt langsam in sein Privatgemach,welches unmittelbar an die Bibliothek stieß.

    Dieses kleine Gemach war eins der einfachsten unddoch gemüthlichsten im ganzen Schlosse. Es war miteinem dichten persischen Teppich belegt, bis zum Drit-tel seiner Höhe mit polirtem Nußbaumholze bekleidetund auf den Tapeten von seegrünem Damast hingen ei-nige treffliche Gemälde von einem holländischen Mei-ster, der die verschiedenen Ereignisse auf einer Fuchsjagd

    der überdieß wegen seines schwer zu erreichenden hohen Stand-punkts wenig oder gar nicht zur Besichtigung zu brauchen ist.

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    anschaulichst darzustellen verstanden hatte. Der einla-dendste Platz in demselben aber befand sich vor dem Ka-min von roth und grün gesprenkeltem, herrlich geschlif-fenen Granit, auf dessen breitem Gesimse in der Mit-te zwischen einer kostbaren Uhr und japanischen Vasendas in weißen Marmor gehauene Wappen der Lowdalesprangte, in seinem Hauptfelde einen Falken zeigend, dereine Taube in den Krallen hält.

    In dem Kamine selbst prasselte ein helles Kohlenfeu-er, davor stand ein zierliches Gitter von Bronze und vordiesem breitete sich ein großer Teppich von künstlich zu-sammengestickten Leopardenfellen auf, auf dem es sichzwei mächtige schneeweiße Windhunde, die am Morgendieses Tages auf der Jagd ihre Schuldigkeit erfüllt habenmochten, möglichst bequem zu machen versuchten.

    Auf diesen Teppich nun, dem Feuer ganz nahe, hat-te der Kammerdiener bereits ein auf vergoldeten Löwen-klauen ruhendes Tischchen mit einer köstlichen Plattevon russischem Malachit gerückt und auf dieselbe die Ka-raffe mit edlem Xeres, das Krystallglas und das silberneKörbchen mit Früchten gestellt. An die Seite des Tischeswar ein grüner Sammtsessel gerollt, der die Bequem-lichkeit selbst zum Niederlassen herauszufordern schien,und Alles dem darauf Sitzenden so nahe zur Hand gelegt,daß er ohne jede Mühe das Begehrte erreichen konnte.

    Als Viscount Lowdale mit triumphirender Miene in die-sen zierlichen und behaglich erwärmten Raum trat; er-wartete ihn schon der aufmerksame Kammerdiener, um

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    den Jagdrock des gnädigen Herrn mit einem veilchenfar-benen, mit Seide gefütterten Hausrocke zu vertauschen,was das Werk eines Augenblicks war. Sodann ließ sichder Lord in den Sessel fallen, seufzte einmal auf, wie Je-mand, dem das Leben mehr Mühe macht als es werth ist,und starrte in die Kohlengluth, als wolle er sie fragen,was nun noch nach diesem schweren Tagewerke von ihmverlangt werden könne.

    Die Stille, die in dem traulichen Gemache herrschteund die nur kurze Zeit durch das freudige Knurren derHunde unterbrochen worden, als ihr Herr in das Zim-mer getreten war, hatte etwas Unheimliches an sich, wasselbst Mylord zu bemerken schien, denn er wandte sichplötzlich zu dem an der Thür stehenden Diener um undsagte mit einer etwas schwerfällig über die Zunge glei-tenden Stimme:

    »Was giebt’s?«»Soll ich Mr. Drummond benachrichtigen, Mylord, daß

    er eintreten darf? Er wünschte Ew. Lordschaft noch andiesem Abend zu sprechen.«

    Seine Lordschaft nickte schweigend mit dem Kopfe –und William entfernte sich, indem er die Thür lautlos hin-ter sich schloß.

    Wiederum herrschte tiefe Stille in dem Gemache, nurdie Hunde stöhnten leise, vielleicht im Traume den Ha-sen noch einmal verfolgend, den sie am Morgen zu Todegehetzt. Das Feuer brannte leise knisternd fort, aber demViscount loderte es nicht hell genug, er ergriff daher diesilberne Handhabe des spiegelblanken Schüreisens, fuhr

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    damit zwischen die trägen Kohlen und stocherte sie zulebhafterer Gluth an. Als auch das zu Stande gebracht,lehnte er sich in seinen Sessel zurück, streckte die Fü-ße auf das Kamingitter über die Hunde fort, faltete dieHände vor dem Bauche und mochte, behaglich lächelnd,denken: »O, o! Jetzt erst fühle ich mich wohl. Ach, es istdoch ganz prächtig, Abends nach schwerem Tagewerkeso ungestört ruhen zu können! Jetzt soll mich Niemandmehr stören und aus meinem wohlverdienten Behagenbringen!«

    In diesem Augenblick ging die Thür lautlos wieder aufund herein trat in feiner schwarzer Kleidung die wohlge-nährte Gestalt Mr. Drummond’s, das behäbig lächelndeGesicht seinem Herrn zukehrend, als habe er eine stilleFreude im Herzen und sei im Stande, auch Anderen einesolche zu bereiten. Unter dem linken Arme aber trug erden ledernen Briefbeutel, den kurz vorher der reitendePostbote gebracht hatte.

    Lord Lowdale mußte einen sehr ernsten oder höchstglücklichen Gedankengang verfolgen, denn er hörte we-der, noch sah er den eintretenden ersten Diener und Be-amten seines Hauses; er fuhr vielmehr fort, in die kni-sternde Gluth zu starren und dabei unbewußt mit demeinen Stiefelabsatz den Rücken des ihm zunächst liegen-den Windhundes zu scheuern.

    Eine ziemliche Weile schon dauerte diese schweigsameScene, als ihr Mr. Drummond eine Ende zu machen be-schloß. Er räusperte sich ganz leise und sagte dann mit

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    seiner sanftesten und fast vertraulich klingenden Stim-me: »Guten Abend, Mylord!«

    »Ah!« rief der Angeredete und drehte den Kopf mit ei-ner halben Wendung dem Rentmeister entgegen, »bist Duda, Drummond? Das ist gut, he! Na, das hätten wir aucheinmal wieder hinter uns!«

    »Ew. Herrlichkeit meinen das Frühstück, nicht wahr?Ja, das ist vorbei und Ihre Gäste sind vergnügt wie immernach Hause gefahren.«

    »Ja, das sind sie, haha! Manchem Reiter wird es etwassauer werden, im Sattel zu bleiben, haha! Ich kenne das!Doch – Du hast da den Briefbeutel – was giebt es Neues?«

    »Mancherlei, wie es scheint, Mylord. Aber vor allenDingen habe ich hier etwas sehr Angenehmes. Sehen Sieda!«

    Dabei hielt er ihm einen rasch auf dem Beutel gezoge-nen Brief so dicht vor die Augen, daß Seine Herrlichkeitdieselben nur aufzuschlagen brauchte, um die Anschriftzu lesen. Er hatte auch sogleich begriffen, was der Rent-meister meinte, denn mit einer etwas lebhaften Bewe-gung sich ansrichtend, rief er:

    »Was? Von meinem Sohne? Eigenhändig?«»Ja, Mylord, Gott sei Dank, eigenhändig von ihm. Er

    kann also wieder schreiben und das ist die größte Freude,die ich seit drei langen Monaten erlebt habe.«

    »Ha, das ist gut, recht gut. Gieb her – den will ich mirzum Dessert aufsparen. So! Hm!«

    »Ja, Mylord, und nun werden wir den guten jungenHerrn hoffentlich bald hier sehen.«

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    »Oho! So rasch wird es nicht gehen. Aber ich bin schondamit zufrieden. Nun – Du hast ja da eine ganze Samm-lung von Briefen. Ach – ich bin müde und abgespannt.Da, setze Dich an den Tisch dort, nimm die Lampe hierfort – das Licht sticht mir in die Augen – so, und lies mireinen nach dem andern vor.«

    Mr. Drummond that wie ihm befohlen und bald saßer auf einem Tabouret an einem kleinen Tischchen, demLord gegenüber, der sich bequem in den Sessel zurück-lehnte, die Augen mit der Hand beschattete und sie dannnoch schloß, gleichsam um so noch ungestörter den er-warteten Vortrag hören und bedenken zu können.

    Mr. Drummond legte den Beutel auf den Teppich unddas Packet Briefe vor sich auf den Tisch, nahm dann denersten, öffnete ihn und sah nach der Unterschrift. »Er istvon Sir James Clarke unterzeichnet,« sagte er darauf. »Er-warten Sie von ihm Etwas?«

    »Nicht daß ich wüßte. Na, was bringt er denn? Vor-wärts!«

    »Mylord!« las Mr. Drummond, »Ew. Lordschaft glaub-ten bei Ihrer letzten Anwesenheit in London, daßRob Stokes, der Faustkämpfer, »seine bei dem neuli-chen Kampfe empfangenen Wunden glücklich über-stehen würde und gingen mit mir die bewußte Wetteein. Seit gestern nun ist die Sache entschieden, derMann ist gestorben, die Wette also für Sie – verlo-ren.«

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    »Ja, ja doch!« warf der Lord nachlässig hin und machteeine gleichgültige Handbewegung. »Und für ihn gewon-nen. Ich weiß schon. Es betraf tausend Pfund, glaube ich.Gut, Drummond, packe sie morgen ein und sende sie SirJames, damit ist die Sache abgemacht. Ich werde ein an-dermal vorsichtiger sein. Der Teufel! Ich hätte den dum-men Kerl für unsterblich gehalten, aber inwendig war ergewiß hohl und faul, wie eine alte Eiche. Bah! Weiter!«

    Mr. Drummond notirte sich Einiges in seinem Notiz-buche und öffnete dann den zweiten Brief. »Dies Schrei-ben,« sagte er, »ist vom Secretair des ersten Lords derAdmiralität – wollen Ew. Herrlichkeit ihn selbst lesen?«

    Viscount Lowdale wehrte den hingehaltenen Brief un-willig ab. »Nein, nein,« sagte er, »lies Du; der Admirali-tätslord kann mir nichts von Bedeutung zu sagen haben.«

    »Mylord,« las Mr. Drummond. »Im Auftrage Sr. Lord-schaft beehre ich mich, Ew. Herrlichkeit die vertrau-liche Mittheilung zugehen zu lassen, daß gestern imAdmiralitätsrath beschlossen ist, dem Antrage desHerrn Contre-Admirals Sir Colin Cameron Folge zugeben und ihm aus Gesundheitsrücksichten den er-betenen Urlaub zur Rückkehr nach Europa zu bewil-ligen. Da Seine Lordschaft denkt, daß es Ew. Herr-lichkeit sehr angenehm sein werde, einen theurenBlutsverwandten nach so langer Trennung wieder zubegrüßen, so wollte mein Herr sich die Freude nicht

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    versagen, der Erste zu sein, Sie von diesem unvor-hergesehenen Umstande in Kenntniß zu setzen. Ichhabe die Ehre u. s. w.«

    Mr. Drummond schwieg und sah seinen Herrn freu-dig lächelnd an. Dieser schwieg ebenfalls, lächelte abernicht, sondern senkte den Kopf nur tiefer auf die Brustund sann eine Weile über irgend Etwas nach. »Nun,«sagte er endlich mit gepreßter Stimme, »der Mann ent-wickelt einen Eifer in Privatangelegenheiten, den er bes-ser auf sein Amt verwenden könnte. Hm!«

    »O,« warf Mr. Drummond ein, »er freut sich nur in Ew.Herrlichkeit Seele, und allein darum hat er sich so be-eilt.«

    »Ja, ja doch, ich glaub’s ja! – Also aus Gesundheitsrück-sichten – Urlaub – auf wie lange, steht nicht da, wie?«

    »Nein, Mylord!«»Hm! Er scheint also krank zu sein, denn umsonst ver-

    läßt Sir Colin nicht sein Schiff.«»Sie werden ihn also endlich wiedersehen, Mylord!«Lord Lowdale seufzte. »Endlich!« sagte er mit unwill-

    kürlich ironischer Betonung. »Ja, wie man es nehmenwill! Doch an dies Wiedersehen glaube ich noch nichtrecht. Mein Herr Bruder liebt die Orte und Gegendennicht, die ich liebe, und so werden wohl unsre Wege nochein Weilchen aus einander laufen.«

    Diese mit einer merklichen Verstimmung gesproche-nen Worte, die eine nur mit Mühe unterdrückte unwilli-ge Miene begleitete, setzten den Rentmeister zwar nicht

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    in Verwunderung, denn er kannte ja das Verhältniß zwi-schen beiden Brüdern, aber sie kränkten ihn in der See-le des ehrenwerthen Admirals, dem er von Kindesbeinenan so ergeben war, wie alle übrigen Diener des Hauses.Er blieb daher eine Weile stumm, bis Lord Lowdale mitfrostigem Tone und einer ermunternden Handbewegungsagte: »Weiter! Hast Du noch mehr solche angenehmeNachrichten?«

    Mr. Drummond brach abermals ein Couvert auf undlas, ohne einen Blick auf die Unterschrift zu werfen:

    »Mein theurer Lord! Als Ew. Herrlichkeit mir dasletzte Mal die Ehre Ihres Besuches in London zuTheil werden ließen, war ich glücklich, denn ich wargesund durch Ihre heilbringende Nähe, und gut ge-launt durch Ihren liebenswürdigen Humor. Jetzt, daSie fort sind, bin ich unglücklich, krank und in Noth.Ich bitte Sie dringend, mir möglichst bald die ver-heißene Summe zu senden und küsse in Gedanken–«

    »Halt!« unterbrach der Lord den Lesenden. »Von Wemist dieser unsinnige Bettelbrief?«

    »Er ist unterzeichnet Julia Caprivi –«»Ah, ah, so so! Nun verstehe ich den Scherz. Es ist gut,

    Drummond, Du brauchst nicht weiter zu lesen. Gieb denWisch her. Er ist von der kleinen schwarzäugigen Ita-lienerin, die so hübsch singt. Weißt Du was? SchreibeDir die Adresse ab, sie wird dabei stehen, und schickeihr morgen zweihundert Pfund, das wird reichen, bis ich

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    nach London komme und mich von ihrer Noth überzeu-ge.«

    Der Rentmeister schrieb sich abermals einige Notizenin sein Buch und las dann noch drei oder vier ähnlicheSchreiben, die wir übergehen, weil sie nichts besondersInteressantes boten. Als er aber mit dem letzten fertigwar, stand er vom Stuhle auf, als wollte er sich entfernen,womit Lord Lowdale auch einverstanden zu sein schien.Jener aber traf keine Anstalten zum Gehen, sondern be-hauptete seinen Platz, wobei man ihm anmerkte, daß ernoch etwas Besonderes auf dem Herzen habe.

    »Willst Du noch etwas?« fragte endlich der Lord gleich-gültig und gähnend.

    »Ja, Mylord, ich habe noch eine Bitte. Es ist ein Mannim Hause, der Sie zu sprechen wünscht. Er hat schon denganzen Tag hoffnungsvoll in meinem Zimmer gesessenund sehnsüchtig die Stunde erwartet, wo er die Ehre ha-ben würde, Sie zu sehen.«

    »Was ist es für ein Mann?«

    »Es ist der Pächter Ferguson vom Stack-See in denHochlanden,« sagte Mr. Drummond mit weichem undnachdrücklichem Tone, in dem eine warme Fürbitte lag.Kaum aber war der Name des Mannes über seine Lippengekommen, so fuhr der Viscount wie von einer Schlangegestochen empor, sein dunkles Gesicht überzog eine zor-nige Röthe und er stieß mit Heftigkeit die Worte hervor:»Ferguson? Vom Stack-See? Was will der Kerl hier?«

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    »Mylord,« versetzte der Rentmeister mit demüthigerMiene, »der arme Mann dauert mich. Er ist in diesem har-ten Winter mehr als dreihundert Meilen von seinen Ber-gen herabgekommen, um Ihnen sein Leid zu klagen undIhr Herz zu erweichen. Er richtete die Bitte an mich, ihmfür dieses eine Jahr fünfzig Pfund Pachtzins zu erlassen;da ich aber strenge Befehle von Ihnen in diesem Punk-te habe, so konnte ich aus eigener Machtvollkommenheitseine Bitte nicht erfüllen. Sie aber können es und so er-wartet er Ihre gnädige Entscheidung.«

    Lord Lowdale stand von seinem Stuhle plötzlich aufund that einige hastige Schritte durch das Zimmer. »Bet-telei, Bettelei, und immer wieder Bettelei!« rief er grim-mig. »Ich will den Kerl, den Taugenichts, nicht sehen.Jag’ ihn fort, mich soll er ungeschoren lassen, und zahlenmuß er.«

    »Mylord,« sagte Mr. Drummond weich, aber fest. »Neh-men Sie ihn nur wenigstens an, er wartet sonst bis mor-gen und hat eine traurige, schlaflose Nacht.«

    »Die habe ich oft genug gehabt.«»Aber gewiß nicht aus den Gründen wie er, Mylord.«»Oho! Nimmst auch Du die Partei dieser verdammten

    faullenzerischen Schotten?«»Wo ich muß – ja, Mylord! Nehmen Sie den Mann an,

    sehen Sie und hören Sie ihn, und ich bin überzeugt, Siewerden von seinen dringenden Bitten gerührt werden, erverdient Ihre Nachsicht.«

    »Das wird sich finden!« rief der Lord, noch immer zor-nig hin und hergehend. »Dies Gesindel von da oben klagt

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    und lamentirt immer und hat nie Geld. Ich habe auchkeins und klage und lamentire nie. Von wem soll ich esnehmen, wenn meine Pächter nicht zahlen, wie? Soll ichnoch mehr borgen, als ich schon geborgt habe?«

    »Die kleine Summe, um deren Fristung der Mann bit-tet, Mylord, macht Ew. Herrlichkeit nicht ärmer als Siesind,« wagte der Rentmeister halblaut hinzuwerfen.

    »Das sind alte, mir bekannte Ausreden von Dir,« fuhrihn der Lord an. »Also ich soll und muß mich noch zugu-terletzt ärgern! Du hättest mir das heute ersparen kön-nen!«

    »O, Mylord, es ist ja heute ein so glücklicher Tag! Siehaben das Fest der Genesung Ihres einzigen Sohnes undErben gefeiert.«

    Lord Lowdale ging unmuthig im Zimmer auf und ab,aber schon langsamer. »Laß ihn kommen,« sagte er end-lich, »aber nur fünf Minuten habe ich übrig, und darausfolgt noch nicht, daß ich ihm den verfallenen Pachtzinsstunden will.«

    Mr. Drummond verbeugte sich, nahm den Briefbeutelund die gelesenen Briefe auf und einen Augenblick späterhatte er das Zimmer verlassen.

    Als Lord Lowdale allein war, fuhr er noch eine Weilefort, schnaubend und brummend durch das Zimmer zugehen. Nicht die kleine Summe Geldes, die er nach sogroßen Ausgaben an diesem Tage noch einbüßen sollte,verstimmte ihn, sondern daß es gerade einer der verhaß-ten Schotten war, der ihn dazu veranlaßte, verdroß ihnauf das Tiefste. Der alte, tiefgewurzelte Haß gegen das

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    so oft geschmähte Land und seine Bewohner brach mitaller Heftigkeit wieder hervor, denn das Vorurtheil in sei-nem Kopfe war größerund hartnäckiger, als das Mitleidin seiner Brust, welches des Rentmeisters Fürbitte, diesich nur selten vernehmen ließ, anzuschüren begonnenhatte. Wäre er noch länger allein geblieben, so hätte sichvielleicht das letztere siegreich Bahn gebrochen, aber ge-rade als die Wageschaale zu Gunsten des Hochländersstieg, drückte sie der Anblick desselben wieder zu Bo-den, da das Gesicht und die ganze Erscheinung des HülfeSuchenden irgend einen wunden Fleck in seinem Herzenberühren mochte.

    Mr. Drummond war es selbst, der dem zagendenPächter die Thür öffnete und diesen mehr in das Zim-mer schob, als daß er es freiwillig betreten hätte. DerMann schritt also herein, wagte kaum sein von Kummerverschleiertes Auge in dem glänzenden Raume umher-schweifen zu lassen und stand dann, demüthig das Hauptbeugend, sprachlos und mit behenden Lippen vor seinemstrengen Gebieter.

    Es war eine kräftige Gestalt, die sich dem reichen Vis-count zeigte und diesen in allen Dimensionen bei Wei-tem überragte. Und doch lag eine Bescheidenheit, eineDemuth, eine Unterwürfigkeit in seinem ganzen Wesen,die ihn auf den ersten Blick als den Knecht des mächti-gen Mannes erscheinen ließ, der so hart und kalt vor ihmstand.

    Ferguson trug diesmal englische Kleider, was er nurdann that, wenn er seine Berge verließ und die Gränzen

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    seiner abgelegenen Heimat überschritt; deshalb fühlte ersich in ihnen auch nicht behaglich und er sah aus wieein Landmann, der Sonntags zur Kirche geht und in demsteifen, selten getragenen Putze sich gezwungen und be-klommen bewegt. Von Gesicht war er eben nicht beson-ders ansehnlich und hübsch, was die einzelnen Züge be-trifft, aber im Ganzen lag auf dem derben, ausdrucksvol-len Antlitz eine Biederkeit und Trenherzigkeit, die das inder Miene ausgeprägte Gesicht seiner Armuth und au-genblicklichen Hülfsbedürftigkeit nur noch ergreifendermachte.

    Der Pächter vom Stack-See liebte seinen Herrn ebennicht und hatte keinen besonderen Grund dazu; als eraber vor seinem Angesichte stand, kam das Bewußtseinder Unterthänigkeit über ihn und er wurde von einer auf-wallenden Empfindung heimgesucht, die nur selten inder Brust eines treuen und schlichten Hochländers ganzerlischt. Er verbeugte sich daher tief und ehrfurchtsvoll,blieb dann in der bezeichneten Haltung vor ihm stehenund sagte:

    »Mylord, verzeihen Sie, daß ich Sie so spät störe, aberich bin nur von der Noth bedrängt gekommen, weil ichvon Ihnen allein Hülfe und Beistand hoffe. O Mylord, zu-erst jedoch bringe ich Ihnen viele und warme Grüße mit–«

    »Von Wem?« fragte der Lord Lowdale kalt und ließ sichwieder in seinen Sessel fallen.

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    »Von dem Orte, wo Ihre Wiege stand, von unseren Ber-gen, die Ihre Frau Mutter und Ihre gute Gemahlin so gernbetraten.«

    Lord Lowdale senkte das Haupt, nicht etwa aus Rüh-rung, sondern weil ihn seltsame und ohne Zweifel unan-genehme Gedanken ergriffen. Er schwieg.

    »Mylord,« fuhr Ferguson mit wärmerem Tone und zit-ternder Stimme fort, »es war ein weiter Weg, den ich mitder Sorge um Weib und Kind im Herzen bis hierher zu-rückgelegt. Der Wind brauste wild um mich und der kalteRegen und Schnee näßte mir die Glieder bis in das Herzhinein. Aber die Hoffnung machte mir dennoch den lan-gen schweren Weg kurz und süß und –«

    »Macht es auch kurz, was wollt Ihr?« unterbrach ihnder Viscount mit unwilliger Handbewegung.

    Ferguson zuckte wie von einer eisigen Hand berührt,zusammen, aber der angeborene Stolz in seiner Brust er-wachte und er richtete sich straff in die Höhe und warfzum ersten Mal einen vollen Blick auf den ungemüthli-chen Gebieter.

    »Mylord,« begann er mit einem ganz anderen Aus-druck in der Stimme, auf der die Rührung wie von einemkalten Winde weggeblasen war, »ich habe am ersten Tagedieses Jahres hundertundfünfzig Pfund an Sie zu zahlen.Hundert habe ich flüssig, sogar auch die fünfzig anderen,aber letztere brauche ich nothwendig für meine Familieim Frühjahr und Sommer –«

    »Das glaube ich, wer brauchte nicht Geld? – Ich auch.«

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    »O ja! Aber, Mylord, meine sechs Kinder sind alle ge-fährlich krank gewesen –«

    »Mein Sohn auch!«»Ich habe es leider gehört – Gott gebe ihm baldige Ge-

    nesung, zu Ihrer Freude. Aber mein Hafer ist auch imvorigen Herbst mißrathen –«

    »Mir ist noch mehr mißrathen als blos der Hafer.«»Auch habe ich die Klauenseuche unter meinen Schaa-

    fen gehabt –«»Schweigt mir von Eurer Seuche still – in meinem Hau-

    se will ich selbst das Wort nicht hören – und – und –Ihrlangweilt mich und – ich brauche mein Geld so gut wieIhr.«

    »Gott weiß es, ja, Mylord, das Geld ist eine kostbareSache, aber Sie können sich auf andere Weise helfen, ichnicht.«

    »Wie? Wollt Ihr mir gute Lehren geben? Das fehlte mirnoch. Und damit ist die Sache abgethan. Ihr zahlt oderIhr packt Euch von meinem Grund und Boden. Das istmein letztes Wort. Ich kann mein Land besser verwerthenals durch Eure armselige Pachtung. Amerika ist größerals Schottland – folgt Euern Brüdern und nehmt meinenGlückwunsch auf die Reise mit.«

    Die bisher ruhig liegenden Hunde erhoben sich bei die-sen laut und heftig gesprochenen Worten von ihrem wei-chen Lager, richteten die Köpfe empor und als sie denFremden vor sich sahen, schossen sie zähneknirschendauf ihn zu, mit dem besten Vorsatze, ihm sein einzigesPaar Beinkleider zu zerreißen. Als sie dem Pächter aber

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    nahe gekommen waren, stieß dieser einen so drohendenund seltsamen Zischlaut aus, daß die Thiere erschrockenund zugleich von einem Rufe ihres Herrn besänftigt, andas Feuer zurückkrochen. Ferguson wandte den furchtlo-sen Blick von den Hunden auf den Viscount zurück. »Istdas Ihr Ernst, was Sie so eben gesprochen haben?« fragteer fast sanft.

    »Ja, es ist mein Ernst.«Der Hochländer senkte den buschigen Kopf noch de-

    müthiger als vorher. Er war tief verletzt, aber auch ent-schlossen.

    »Es ist gut,« sagte er mit ergreifender Wehmuth, »ichwerde Ihnen meine letzten fünfzig Pfund geben und Gottbitten, daß er mir andere Herzen zuführt, die mehr Mit-leid mit ihres Gleichen haben, als das Ihre. Nach Amerikaaber gehe ich nicht, wie die Anderen, oder Sie müßtenmich aus meinem Hause stoßen – und auch dann geheich nicht aus Schottland. Auch Schottland ist groß, undein ehrliches Herz und eine fleißige Hand, haben nochimmer Brod daselbst gefunden. Leben Sie wohl, Mylord!Sie haben mich hart behandelt und doch bitte ich Gott,Sie zu segnen, das ist so unsere Art, und auch reiche Leu-te können in manchen Dingen den Segen Gottes gebrau-chen. Sehen Sie, wie Sie fertig werden, wenn es um SieAbend wird, denn auch Ihnen kann einmal die Sonne desGlücks untergehen!«

    Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen, so war erverschwunden, Lord Lowdale in einem trüben Gemischseltsamer, unklarer Empfindungen zurücklassend. Aber

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    das dauerte bei dem zwiefach gestählten Herrn nicht lan-ge, im nächsten Augenblicke schon sprang er auf, denPächter zurückzurufen, nicht etwa, um ihm die schuldi-gen fünfzig Pfund zu erlassen, sondern um ihn zu strafenfür die Keckheit, die er in seinen Worten verrathen. Al-lein er besann sich, nahm seinen Platz wieder ein undindem er einem der knurrenden Hunde einen wüthen-den Fußtritt versetzte, sagte er, mit blitzenden Augen indie Flammen starrend:

    »Ein erbaulicher Abend, bei meiner Ehre! Und das solldas Ende eines Festtages sein? Ha, dieser Schotte! Hater nicht einen Kopf wie ein Stier, von Eisen und Stein,und eine Zunge, frech wie sie die alten Hexen da obenin den verteufelten Bergen haben? Nun freilich, das istihre Stärke: keifen, keifen können sie Alle, und von Gottreden, aber den Teufel haben sie im Leibe. Doch still –ist dies Gesindel werth, daß man sich darüber erhitzt?Haha!«

    Und er lachte eine Weile griesgrämig vor sich hin, riebsich dann die Hände und füllte das Glas mit dem fun-kelnden Xeres, worauf er es halb leerte und die einzel-nen Tropfen kostend über die Zunge gleiten ließ. Plötz-lich aber wurde er wieder ernst, fing trotz seines Vorsat-zes, gleichgültig zu bleiben, abermals an sich zu ärgernund sann eine Weile über ›das verteufelte Land da oben‹und ›die stierköpfigen Kerle‹ nach, bis sein unstät umher-blickendes Auge endlich auf den Brief fiel, dessen Auf-schrift unverkennbar die Hand seines Sohnes geschrie-ben.

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    »Ach,« sagte er mit einem Male heiterer und ergriff ihnschon hastig, »der soll mein Dessert sein – der kann mirnichts Unangenehmes bringen – denn die anderen Brie-fe, die Drummond mir vorgelesen, waren doch nicht soganz nach meinem Geschmack. – Was für einen kräftigenStrich der Junge schon wieder hat! O, Linny ist aus mei-nem Stamme, er ist stark, er fällt nicht auf einen Hieb –und nun, nun wollen wir sehen, was er mir zu sagen hat– ei der Tausend, das ist ja ein langer Brief. Seine Krank-heit hat ihn redselig gemacht, ah! das ist doch noch einSymptom von Schwäche!«

    Und nachdem er die Lampe wieder dicht vor sich aufden Tisch gestellt, las er folgende Worte:

    »Mein theurer Vater! Was Du auch schon von Geor-gy über meine Krankheit und die Verhältnisse erfahrenhaben magst, in denen ich mich hier befinde, ich mußDir noch einmal das Wichtigste erzählen, so weit ichmich des Vergangenen erinnern kann. Ja, mein Vater, ichbin dem Tode, der mich schon umfangen hatte, entzo-gen und dem Leben wieder gegeben, und ich fühle michjetzt schon alle Tage kräftiger werden, nachdem ich vierWochen lang in einem Zustande der Schwäche lag, daßich kein Glied, nicht einmal die Zunge zu bewegen ver-mochte. Wahrscheinlich in Folge einer Erkältung fühlteich mich schon lange unwohl, aber nicht gewohnt, aufKleinigkeiten der Art zu achten, bezwang ich mich undsetzte meine alltäglichen Beschäftigungen, Unterredun-gen und sogar meine Spazierritte fort.«

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    »Das ist recht,« unterbrach sich der Lesende, indem erwieder ein paar Tropfen Wein schlürfte, »ganz meine Artund Weise. Man hat ihn nicht verweichlicht, sehe ich.Aber ach! der Brief ist doch sehr lang! Und er seufzteschwer auf, indem er das Blatt zum Weiterlesen wiedervor die Augen hob.

    »Eines Morgens aber, als ich erwachte, fühlte ich michkrank, mein Kopf schmerzte stark und meine Hände fie-berten. Schon am Abend dieses Tages hatte ich das Be-wußtsein verloren. Wie lange es mir fehlte, habe ich erstspäter erfahren, es waren sechs ganze Wochen. Als ichjedoch zum ersten Male wieder mit halbem Bewußtseinerwachte, sah ich mich in einem unbekannten, sehr com-fortablen Zimmer, und ein bekanntes Gesicht und zweifremde Gesichter schauten mich gleich liebevoll und auf-merksam an. Doch nicht lange dauerte dieser erste klareBlick in die wirkliche Welt hinein, ich fiel in tiefen Schlafzurück und nur im Traume erschienen mir jene Gesichter,die mir alle drei so wohl gefallen und mich so überausberuhigt hatten. Als ich abermals zu mir kam oder er-wachte, sah ich sie wieder an meinem Bette versammeltund diesmal erkannte ich wenigstens das eine von ih-nen. Es war meine liebe gute Georgy, die von Westmore-land gekommen, um mich in weiter, weiter Ferne von derHeimat zu pflegen. O, welcher Entschluß, welch schöneThat, welche sich selbst vergessende Aufopferung! Baldlernte ich dann auch die beiden anderen Personen näherkennen. Der junge Mann mit den ernsten, warmen, tief-forschenden Blicken war mein Arzt, und die noch jüngere

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    schwarzgekleidete Dame mit den bleichen Wangen unddem sprechenden braunen Sammtauge seine Schwester,meine Krankenpflegerin, die man in dem Hospitale, inwelches man mich gebracht, Diakonissin nennt, worun-ter Du Dir aber etwa keine geschorene Klosterschwester,wie man sie in katholischen Ländern findet, zu denkenhast, sondern eine Lady, die aus innerem menschlichenTriebe und vielleicht auch, weil äußere Verhältnisse ei-ner feindseligen Welt sie dazu veranlaßten, sich der Pfle-ge der