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hat die Bekl. zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Videoaufführung nach Maßgabe ihrer Richtlinien zur An- erkennung und Bewertung von Fortbildungsmaßnahmen der Kategorie D unterfällt, die als Anerkennungsvoraus- setzung den Nachweis der Qualifizierung und Auswer- tung des Lernerfolgs in Schriftform erfordert. Dass etwaige Fortbildungsteilnehmer dieser Voraussetzung nachgekom- men wären, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass in Zukunft Ablehnungsentscheidungen der Bekl. zu Veranstaltungen des Kl. zu erwarten sind, die auf gleich- artigen Erwägungen beruhen wie der angefochtene Be- scheid, ist angesichts der abweichenden Themen der Fort- bildungen bzw. Kongresse (z. B. zum Thema „Jugendliche Frequenzen im Alter“ im September 2013) nicht hinrei- chend erkennbar. Dagegen spricht auch, dass die Bekl. den im September 2012 durchgeführten Kongress des Kl. vor- tragsbezogen geprüft und zwei Vorträge anerkannt hat. DOI: 10.1007/s00350-014-3628-0 Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen AMG §§ 72 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 1. Zur Abgrenzung von Funktionsarzneimitteln zum Vorprodukt (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –). 2. Für die Abgrenzung der Arzneimittel zu Vorpro- dukten ist maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Erzeugnisses abzustellen. Für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel muss bereits im Zeitpunkt der Herstellung eindeutig feststehen, dass seine künf- tige Zweckbestimmung ausschließlich darin besteht, durch Anwendung im menschlichen Körper arzneili- chen Zwecken zu dienen. An diesem Ausschließlich- keitskriterium fehlt es, wenn – neben dem Einsatz als Arzneimittel – auch ein Einsatz der Produkte in der Lebensmittelindustrie erfolgt. Ergänzend ist auf den Herstellungsprozess abzustellen. 3. Eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann statthafterweise nur erhoben werden, wenn die Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses ange- strebt wird. Für eine Konkretisierung genügt bereits, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betei- ligten über die Berechtigung oder Befugnis bestehen und die Klägerin mit der nicht ganz entfernt liegenden Möglichkeit rechnen muss, dass ihr Verhalten durch die Behörde mit einem Bußgeld geahndet werden wird, wenn sie sich deren Auffassung nicht anschließt. (Leitsätze 2 und 3 vom Bearbeiter) VG Hamburg, Urt. v. 19. 2. 2013 – 11 K 1683/11 Problemstellung: § 2 AMG enthält Legaldefinitio- nen zum Arzneimittelbegriff, die für die Anwendbarkeit des Gesetzes von erheblicher Bedeutung sind. Die Frage der Abgrenzung von Arzneimitteln zu anderen Kate- gorien, Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsergän- zungsmitteln oder Diäten, Medizinprodukten, Bioziden etc. ist für die Verkehrsfähigkeit von Produkten, aber auch für ihre Bewerbung und Produktaufmachung von grundlegender Relevanz. Im Zuge der 15. AMG-No- velle ist der Arzneimittelbegriff aus Art. 1 Nr. 2 lit. a, b der Richtlinie 2001/83/EG in das nationale Recht über- führt worden. § 2 Abs. 1 AMG unterscheidet danach zwischen sog. Präsentationsarzneimitteln einerseits und Funktionsarzneimitteln andererseits. Die neugefasste Arzneimitteldefinition in § 2 Abs. 1 AMG geht weiter- hin davon aus, dass Arzneimittel aus Stoffen oder Zu- bereitungen aus Stoffen bestehen. Es bleibt damit dabei, dass Vorstufen von Arzneimitteln, also Ausgangs- oder Grundstoffe, die erst durch weitere Verarbeitungsschrit- te ihre Bestimmung erhalten, noch keine Arzneimittel sind (vgl. hierzu Heßhaus, in: Spickhoff [Hrsg.], Medizin- recht, 1. Aufl. 2011, AMG, § 2, Rdnrn. 1 ff.). Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Arzneimitteleigenschaft nicht vom Erreichen einer bestimmten Produktionsstu- fe abhängig ist. Ein Stoff überschreitet die Grenze zum Arzneimittel, wenn seine Bestimmung zur Anwendung i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG erkennbar vorliegt. Mit- hin können auch Zwischenprodukte Arzneimittel dar- stellen (vgl. Guttmann, in: Prütting [Hrsg.], FAKomm- MedR, 2. Aufl. 2012, AMG, § 2, Rdnr. 4). In der anliegenden Entscheidung hatte sich das VG Hamburg mit der Frage zu befassen, ob aus den USA eingeführte Granulate, die nicht ausschließlich dazu be- stimmt sind, als Arzneimittel verwendet zu werden, son- dern die daneben auch Anwendung in der Lebensmit- telindustrie finden, als Funktionsarzneimittel i. S. von § 2 Abs. 1 AMG anzusehen sind. Das Gericht hat diese Frage in Anlehnung an die einschlägige Rechtsprechung des EuGH verneint. Zum Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Einordnung von durch die Kl. importierten Erzeugnissen als Arzneimittel. Die Kl. ist ein Chemieunternehmen, das sich u. a. mit der Einfuhr und dem Vertrieb von Dritten hergestellter Erzeugnisse befasst, ins- besondere auch Magnesium- und Calciumcarbonat der Marke „de- stab TM “. Sie bezieht u. a. von einem Hersteller aus den USA folgende Produkte: – Destab Calcium Carbonate 95 MD Ultra 250 – Destab Calcium Carbonate 90 SE Ultra 250 – Destab Magnesium Carbonate 90 S und führt diese in sog. Gebinden, d. h. Säcken und Tonnen in das Bundesgebiet ein. Auf diesen befinden sich in englischer Sprache u. a. der Qualitätshinweis „direct compression“ sowie der Hinweis „Caution for further manufacturing proceedings or repacking“. Die Produkte befinden sich in Granulatform und sind mineralogischen Ursprungs. Die Kl. verkauft die drei Produkte an Arzneimittelher- steller – hierbei das „Destab Magnesium Carbonate 90 S“ an die Firma F. – sowie an Lebensmittelhersteller. Eine Umfüllung oder Umetikettierung durch die Kl. findet nicht statt. Die Firma F., die eine entsprechende Erlaubnis nach dem AMG besitzt, stellt aus dem Produkt „Destab Magnesium Carbonate 90 S“ das Fertigarzneimittel „OsvaRen Filmtabletten“ her. Dieses besteht aus: Calciumacetat 435–468 mg, Magnesiumcarbonat 235 mg, vor- verkleisterter Stärke, Maisstärke, Sucrose, Gelatine, Croscarmellose Natrium, Magnesiumstearat, natives Rizinusöl und Hypromellose; arzneilich wirksame Bestandteile sind ausschließlich die Stoffe Calci- umacetat und Magnesiumcarbonat. Erforderlich für die Herstellung der Filmtabletten „OsvaRen“ sind u. a. folgende Herstellungsschrit- te: Eingangsprüfung des Stoffes Calciumacetat, Eingangsprüfung des Stoffes Magnesiumcarbonat, Dosierung und Einwaagen dieser Stoffe und Hilfsstoffe gemäß Herstelleranweisung, Herstellung einer homogenen Menge der Zubereitung für die Herstellung einer Char- ge, Inprozesskontrolle, Herstellung der Darreichungsform Tablette, Herstellung der Darreichungsform Filmtablette, Endkontrolle, Frei- gabe der Charge gemäß § 16 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstel- lungsverordnung (AMWHV). Die Kl. besitzt keine Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG für die streitgegenständlichen Erzeugnisse. Die Bekl. teilte der Kl. telefo- nisch sowohl im Jahr 2009 als auch 2010 mit, sie sei der Ansicht, dass die Importware als sog. Bulkware einzustufen sei, deren Einfuhr ei- ner Erlaubnis nach § 72 AMG bedürfe. Am 18. 4. 2011 bekräftigte die Bekl. daraufhin die zuvor telefonisch geäußerte Ansicht gegenüber der Kl. und stellte für das weitere Vorgehen fest, dass entweder eine Feststellungsklage zu erheben oder eine Erlaubnis nach § 72 AMG zu beantragen sei. Die Kl. hat am 25. 7. 2011 Klage erhoben. Eingesandt vom Förderverein des VG Hamburg, Lübeckertordamm 4, 20099 Hamburg; bearbeitet von Rechtsanwalt Rudolf Günter, Fachanwalt für Medizinrecht, WOTAXlaw Partnerschaftsgesellschaft, Krefelder Straße 123, 52070 Aachen, Deutschland Rechtsprechung MedR (2014) 32: 119–123 119

Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen

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Page 1: Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen

hat die Bekl. zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Videoaufführung nach Maßgabe ihrer Richtlinien zur An-erkennung und Bewertung von Fortbildungsmaßnahmen der Kategorie D unterfällt, die als Anerkennungsvoraus-setzung den Nachweis der Qualifizierung und Auswer-tung des Lernerfolgs in Schriftform erfordert. Dass etwaige Fortbildungsteilnehmer dieser Voraussetzung nachgekom-men wären, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Dass in Zukunft Ablehnungsentscheidungen der Bekl. zu Veranstaltungen des Kl. zu erwarten sind, die auf gleich-artigen Erwägungen beruhen wie der angefochtene Be-scheid, ist angesichts der abweichenden Themen der Fort-bildungen bzw. Kongresse (z. B. zum Thema „Jugendliche Frequenzen im Alter“ im September 2013) nicht hinrei-chend erkennbar. Dagegen spricht auch, dass die Bekl. den im September 2012 durchgeführten Kongress des Kl. vor-tragsbezogen geprüft und zwei Vorträge anerkannt hat.

DOI: 10.1007/s00350-014-3628-0

Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen

AMG §§ 72 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1

1. Zur Abgrenzung von Funktionsarzneimitteln zum Vorprodukt (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –).

2. Für die Abgrenzung der Arzneimittel zu Vorpro-dukten ist maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Erzeugnisses abzustellen. Für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel muss bereits im Zeitpunkt der Herstellung eindeutig feststehen, dass seine künf-tige Zweckbestimmung ausschließlich darin besteht, durch Anwendung im menschlichen Körper arzneili-chen Zwecken zu dienen. An diesem Ausschließlich-keitskriterium fehlt es, wenn – neben dem Einsatz als Arzneimittel – auch ein Einsatz der Produkte in der Lebensmittelindustrie erfolgt. Ergänzend ist auf den Herstellungsprozess abzustellen.

3. Eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann statthafterweise nur erhoben werden, wenn die Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses ange-strebt wird. Für eine Konkretisierung genügt bereits, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betei-ligten über die Berechtigung oder Befugnis bestehen und die Klägerin mit der nicht ganz entfernt liegenden Möglichkeit rechnen muss, dass ihr Verhalten durch die Behörde mit einem Bußgeld geahndet werden wird, wenn sie sich deren Auffassung nicht anschließt. (Leitsätze 2 und 3 vom Bearbeiter)VG Hamburg, Urt. v. 19. 2. 2013 – 11 K 1683/11

Problemstellung: § 2 AMG enthält Legaldefinitio-nen zum Arzneimittelbegriff, die für die Anwendbarkeit des Gesetzes von erheblicher Bedeutung sind. Die Frage der Abgrenzung von Arzneimitteln zu anderen Kate-gorien, Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsergän-zungsmitteln oder Diäten, Medizinprodukten, Bioziden etc. ist für die Verkehrsfähigkeit von Produkten, aber auch für ihre Bewerbung und Produktaufmachung von grundlegender Relevanz. Im Zuge der 15. AMG-No-velle ist der Arzneimittelbegriff aus Art. 1 Nr. 2 lit. a, b der Richtlinie 2001/83/EG in das nationale Recht über-führt worden. § 2 Abs.  1 AMG unterscheidet danach

zwischen sog. Präsentationsarzneimitteln einerseits und Funktionsarzneimitteln andererseits. Die neugefasste Arzneimitteldefinition in § 2 Abs. 1 AMG geht weiter-hin davon aus, dass Arzneimittel aus Stoffen oder Zu-bereitungen aus Stoffen bestehen. Es bleibt damit dabei, dass Vorstufen von Arzneimitteln, also Ausgangs- oder Grundstoffe, die erst durch weitere Verarbeitungsschrit-te ihre Bestimmung erhalten, noch keine Arzneimittel sind (vgl. hierzu Heßhaus, in: Spickhoff [Hrsg.], Medizin-recht, 1. Aufl. 2011, AMG, § 2, Rdnrn. 1 ff.). Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Arzneimitteleigenschaft nicht vom Erreichen einer bestimmten Produktionsstu-fe abhängig ist. Ein Stoff überschreitet die Grenze zum Arzneimittel, wenn seine Bestimmung zur Anwendung i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG erkennbar vorliegt. Mit-hin können auch Zwischenprodukte Arzneimittel dar-stellen (vgl. Guttmann, in: Prütting [Hrsg.], FAKomm-MedR, 2. Aufl. 2012, AMG, § 2, Rdnr. 4).

In der anliegenden Entscheidung hatte sich das VG Hamburg mit der Frage zu befassen, ob aus den USA eingeführte Granulate, die nicht ausschließlich dazu be-stimmt sind, als Arzneimittel verwendet zu werden, son-dern die daneben auch Anwendung in der Lebensmit-telindustrie finden, als Funktionsarzneimittel i. S. von § 2 Abs. 1 AMG anzusehen sind. Das Gericht hat diese Frage in Anlehnung an die einschlägige Rechtsprechung des EuGH verneint.

Zum Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Einordnung von durch die Kl. importierten Erzeugnissen als Arzneimittel.

Die Kl. ist ein Chemieunternehmen, das sich u. a. mit der Einfuhr und dem Vertrieb von Dritten hergestellter Erzeugnisse befasst, ins-besondere auch Magnesium- und Calciumcarbonat der Marke „de-stabTM“. Sie bezieht u. a. von einem Hersteller aus den USA folgende Produkte:

– Destab Calcium Carbonate 95 MD Ultra 250– Destab Calcium Carbonate 90 SE Ultra 250 – Destab Magnesium Carbonate 90 Sund führt diese in sog. Gebinden, d. h. Säcken und Tonnen in das

Bundesgebiet ein. Auf diesen befinden sich in englischer Sprache u. a. der Qualitätshinweis „direct compression“ sowie der Hinweis „Caution for further manufacturing proceedings or repacking“. Die Produkte befinden sich in Granulatform und sind mineralogischen Ursprungs. Die Kl. verkauft die drei Produkte an Arzneimittelher-steller – hierbei das „Destab Magnesium Carbonate 90 S“ an die Firma F. – sowie an Lebensmittelhersteller. Eine Umfüllung oder Umetikettierung durch die Kl. findet nicht statt.

Die Firma F., die eine entsprechende Erlaubnis nach dem AMG besitzt, stellt aus dem Produkt „Destab Magnesium Carbonate 90 S“ das Fertigarzneimittel „OsvaRen Filmtabletten“ her. Dieses besteht aus: Calciumacetat 435–468 mg, Magnesiumcarbonat 235 mg, vor-verkleisterter Stärke, Maisstärke, Sucrose, Gelatine, Croscarmellose Natrium, Magnesiumstearat, natives Rizinusöl und Hypromellose; arzneilich wirksame Bestandteile sind ausschließlich die Stoffe Calci-umacetat und Magnesiumcarbonat. Erforderlich für die Herstellung der Filmtabletten „OsvaRen“ sind u. a. folgende Herstellungsschrit-te: Eingangsprüfung des Stoffes Calciumacetat, Eingangsprüfung des Stoffes Magnesiumcarbonat, Dosierung und Einwaagen dieser Stoffe und Hilfsstoffe gemäß Herstelleranweisung, Herstellung einer homogenen Menge der Zubereitung für die Herstellung einer Char-ge, Inprozesskontrolle, Herstellung der Darreichungsform Tablette, Herstellung der Darreichungsform Filmtablette, Endkontrolle, Frei-gabe der Charge gemäß § 16 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstel-lungsverordnung (AMWHV).

Die Kl. besitzt keine Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG für die streitgegenständlichen Erzeugnisse. Die Bekl. teilte der Kl. telefo-nisch sowohl im Jahr 2009 als auch 2010 mit, sie sei der Ansicht, dass die Importware als sog. Bulkware einzustufen sei, deren Einfuhr ei-ner Erlaubnis nach § 72 AMG bedürfe. Am 18. 4. 2011 bekräftigte die Bekl. daraufhin die zuvor telefonisch geäußerte Ansicht gegenüber der Kl. und stellte für das weitere Vorgehen fest, dass entweder eine Feststellungsklage zu erheben oder eine Erlaubnis nach § 72 AMG zu beantragen sei.

Die Kl. hat am 25. 7. 2011 Klage erhoben.

Eingesandt vom Förderverein des VG Hamburg, Lübeckertordamm 4, 20099 Hamburg; bearbeitet von Rechtsanwalt Rudolf Günter, Fachanwalt für Medizinrecht, WOTAXlaw Partnerschaftsgesellschaft, Krefelder Straße 123, 52070 Aachen, Deutschland

Rechtsprechung MedR (2014) 32: 119–123 119

Page 2: Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen

Sie trägt im Wesentlichen vor, dass es sich bei den Erzeugnissen le-diglich um Wirkstoffe i. S. des Art. 1 Nr. 3a der Richtlinie 2001/83/EG und noch nicht um Arzneimittel handele.

Die Kl. hat beantragt, festzustellen, dass die Einfuhr der Produkte in Gebinden durch sie ohne Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG zulässig ist.

Die Bekl. ist dem entgegengetreten und vertritt die Ansicht, es handele sich bei den Erzeugnissen um ein Funktionsarzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Besondere Relevanz sei hierbei dem Merkmal der „pharmakologischen Wirkung“ beizumessen.

Aus den Gründen: I. Die Klage ist als Feststellungskla-ge zulässig (dazu sub 1.) und begründet (dazu sub 2.).

1. Die Feststellungsklage ist zulässig, § 43 Abs. 1 VwGO.a) Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des

Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kl. ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Eine derartige Feststellungs-klage kann statthafterweise nur zur Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses, d. h. nur unter der Voraussetzung er-hoben werden, dass die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Die Beteiligten streiten hier in Bezug auf die von der Kl. in Verkehr gebrachten Erzeugnisse darüber, ob die Ein-fuhr dieser Erzeugnisse der Erlaubnispflicht nach § 72 Abs. 1 Nr.  1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln, Arzneimittelgesetz – AMG – i. d. F. v. 19. 10. 2012 (BGBl. I S. 2192) unterfällt. Dieser Streit hat sich in der für die Fest-stellungsklage erforderlichen Weise auch konkretisiert, weil die Bekl. sowohl mit dem Gesprächsvermerk v. 21. 4. 2011 als auch dem nachfolgenden Schriftwechsel eine eindeutige behördliche Aussage zu der nach ihrer Ansicht bestehenden Erlaubnispflichtigkeit getätigt hat. Es genügt bereits, dass Meinungsverschiedenheiten über eine Berechtigung oder Befugnis bestehen und die Kl. mit der nicht ganz entfernt liegenden Möglichkeit rechnen muss, dass ihr Verhalten durch die Bekl. mit Bußgeld geahndet werden wird, wenn sie sich ihrer Auffassung nicht anschließt (vgl. Kopp/Schen-ke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 43, Rdnr. 19 m. w. N.). Vor-liegend ist das Inverkehrbringen eines Arzneimittels ohne Erlaubnis gemäß § 96 Nr. 5 AMG sogar strafbewehrt, so dass die Kl. darüber hinaus mit der nicht ganz entfernt liegenden Möglichkeit eines Strafverfahrens zu rechnen hat.

b) Da die Kl. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachtei-le aufgrund der streitigen Erlaubnispflichtigkeit auch ein wesentliches Interesse daran hat, eine verwaltungsgericht-liche Klärung herbeizuführen, besteht auch das erforderli-che Feststellungsinteresse i. S. von § 43 Abs. 1 VwGO. Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die zuständige Behörde anderer Auffassung betreffend die Er-laubnispflichtigkeit ist und die Kl. ihr künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren will (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., Rdnr. 24 m. w. N.). So ist es hier.

c) Die Klage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Kl. darauf zu verweisen wäre, ihre Rechte im Wege der Verpflichtungsklage zu verfolgen, § 43 Abs. 2 VwGO. Die Feststellungsklage ist nur dann ausgeschlossen, wenn durch eine Verpflichtungsklage Rechtsschutz in zumindest glei-chem Umfang und mit gleicher Effektivität erreicht werden würde. Das ist – wie hier – nicht der Fall, wenn die Kl. die beabsichtigte Handlung als erlaubnisfrei ansieht (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., Rdnr. 29 m. w. N.).

2. Die Klage ist begründet, da die Kl. einen Anspruch auf die Feststellung hat, dass die Einfuhr ihrer Produkte ohne eine Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG zulässig ist. In Betracht kommt allein eine Erlaubnispflichtigkeit nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Hiernach bedarf einer Erlaubnis, wer – wie hier die Kl. – gewerbs- oder berufsmäßig aus Ländern, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Uni-on oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind – wie hier die USA –, Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG in die Bundesrepublik einführt.

Nicht entscheidungserheblich ist vorliegend, ob die ein-geführten Destab-Produkte einen Wirkstoff i. S. des natio-nalen bzw. europarechtlichen Wirkstoffbegriffes darstellen; jedenfalls stellen sie kein Arzneimittel i. S. des § 2 Abs.  1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG dar (dazu sub a)). Unter Berück-sichtigung des europarechtlichen Arzneimittelbegriffs folgt keine andere Auslegung des nationalen Arzneimittelbegriffs (dazu sub b)). Auf eine Erweiterung der nationalen Ermäch-tigungsgrundlage aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung kann sich die Bekl. nicht erfolgreich berufen (dazu sub c)). Auch eine unmittelbare Drittwirkung der sog. Humanarzneimittel-Richtlinie – Richtlinie 2001/83/EG des europäischen Parlaments und des Rates v. 6. 11. 2011 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarz-neimittel (ABl. L 311 v. 28. 11. 2011, S. 6), zuletzt geändert durch die sog. Fälschungsrichtlinie (Richtlinie 2011/62/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 8. 6. 2011 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arznei-mitteln in die legale Lieferkette, ABl. L 174 v. 1. 7. 2011) – zu Lasten der Kl. kommt nicht in Betracht (dazu sub d)).

a) Bei den eingeführten Destab-Produkten handelt es sich weder um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG – da sie ersichtlich bereits keine Gegenstände i. d. S. sind – noch um ein solches nach § 2 Abs. 1 AMG.

§ 2 Abs. 1 AMG unterscheidet zwischen sog. Präsentati-onsarzneimitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG) und Funktions-arzneimitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG).

Ein Präsentationsarzneimittel liegt hier nicht vor, da die Destab-Produkte weder ausdrücklich als solches Mittel bezeichnet werden noch sonst bei einem durchschnittlich informierten Adressaten auch nur schlüssig, aber mit Ge-wissheit der Eindruck entsteht, dass sie in Anbetracht ihrer Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müssen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –, juris, Rdnrn. 12 ff. m. w. N.). Denn die in Säcken bzw. Tonnen eingeführten Granulate werden weder vom Hersteller noch von der Kl. als Arzneimittel beworben. Dies ergibt sich insbesondere auch aus den abgedruckten Hinweisen (über-setzt: „Zur Weiterverarbeitung oder Abfüllen durch den Großhandel“) bzw. aus den Produktinformationen der Kl.

Entgegen der Ansicht der Bekl. handelt es sich bei den Destab-Produkten aber auch nicht um sog. Funktionsarz-neimittel gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG.

Hiernach sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen Körper angewen-det oder einem Menschen (oder einem Tier) verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funkti-onen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (§ 2 Abs.  1 Nr.  2 lit.  a AMG) oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. b AMG). Die Voraussetzungen der hier einzig in Be-tracht kommenden Definition des Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG sind nicht gegeben. Im Einzelnen:

aa) In dem Urt. v. 3. 3. 2011 hat sich jüngst das BVerwG ausdrücklich mit der Abgrenzung der Arzneimittel zu Vorprodukten befasst. Dort handelte es sich zwar um ein Präsentationsarzneimittel, dennoch hat es zum Begriff des Funktionsarzneimittels ausgeführt:

„[17] Das BVerwG hat deshalb in seiner bisherigen Rechtsprechung für die Unterscheidung zwischen Arznei-mitteln und bloßen Vorprodukten – in Bezug auf Funk-tionsarzneimittel – darauf abgestellt, ab welcher Produk-tionsstufe die Bestimmung eines Anwendungszwecks i. S. des § 2 Abs. 1 AMG möglich ist und erkennbar vorliegt. Danach genügt es für die Anwendung des Arzneimittel-rechts, dass ein Stoff mit seiner Herstellung für arzneiliche Zwecke bestimmt ist. Ob bei der Weiterverarbeitung ein

Rechtsprechung120 MedR (2014) 32: 119–123

Page 3: Abgrenzung Arzneimittel zu Vorstufen

chemisch-physikalischer Prozess stattfindet, durch den ein völlig neuer Stoff entsteht, der schließlich erst am mensch-lichen Körper angewandt wird, ist für die Einordnung als Arzneimittel unerheblich, solange für ein Produkt bereits im Zeitpunkt der Herstellung eindeutig feststeht, dass sei-ne künftige Zweckbestimmung ausschließlich darin be-steht, durch Anwendung im menschlichen Körper – wenn auch erst im notwendigen Zusammenwirken mit einem anderen Stoff  – arzneilichen Zwecken zu dienen (Urt. v. 29. 11. 1984  – BVerwG 3 C 6.84  –, Buchholz 418.32 AMG Nr. 10; s. auch BGH, Beschl. v. 6. 11. 2007 – 1 StR 302/07 –, PharmR 2008, 209; Kloesel/Cyran, AMG, § 2, Anm. 27; Sander, AMG, § 2, Anm. 4).

[18] Nach Auffassung des erkennenden Senats spricht ei-niges dafür, diese ausschließlich an der Zweckbestimmung orientierte Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Vorprodukten enger zu fassen, um zu vermeiden, dass bei ei-nem mehrstufigen Herstellungsprozess jede Art von Vorpro-dukten oder sogar Rohstoffe bereits dem Arzneimittelbegriff unterfallen, sobald ihre Bestimmung zur Weiterverarbeitung zu einem Mittel mit arzneilichem Zweck erkennbar ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Vorstufen nicht allein des-halb bereits Arzneimitteleigenschaft haben, weil sie zu einem Arzneimittel weiterverarbeitet werden. Aus diesem Grund finden sich im Arzneimittelgesetz neben dem Arzneimittel-begriff Bestimmungen über Wirkstoffe, Zwischenprodukte oder Ausgangsstoffe sowie – bezogen auf pflanzliche Arznei-mittel – über die Arzneimittel und die pflanzlichen Stoffe oder Zubereitungen, die sie enthalten (§ 4 Abs. 29 AMG). Um dieser im Gesetz angelegten Unterscheidung Rechnung zu tragen, könnte es geboten sein, als begrenzendes Kriteri-um für die Arzneimitteleigenschaft von Produkten in einem mehrstufigen Herstellungsprozess darauf abzustellen, dass keine wesentlichen Bearbeitungsschritte bis zum abgabefer-tigen Endprodukt mehr erforderlich sind (so auch Sander, AMG, § 2, Anm. 4; OVG Lüneburg, Urt. v. 24. 10. 2002 – 11 LC 207/02 –, juris, Rdnr. 38; VGH München, Beschl. v. 24. 8. 2009 – 9 CS 09.1023 –, juris, Rdnr. 13).

[19] Die Frage bedarf aus Anlass dieses Falles keiner ab-schließenden Klärung. Die von der Kl. importierten TCM-Granulate fallen auch dann unter den Arzneimittelbegriff, wenn neben der arzneilichen Zweckbestimmung zusätzlich darauf abgestellt wird, dass bis zur Abgabe an den Endver-braucher keine wesentlichen Verarbeitungsschritte mehr er-forderlich sind. Die Produkte haben in der Form, in der sie aus dem Herstellungsland nach Deutschland importiert werden, die Stufe eines bloßen Vorprodukts oder Ausgangsstoffes be-reits überschritten. Die wesentlichen Produktionsschritte er-folgen im Herkunftsland durch die industrielle Verarbeitung der pflanzlichen Rohstoffe und bestimmter Zusatzstoffe zu Granulaten mit einem standardisierten Wirkstoffverhältnis. Nach den Feststellungen des VG werden die Granulate in den Apotheken lediglich nach individuellen Rezepturen ge-mischt („kombiniert“) und sodann an den Endverbraucher abgegeben. Dieser letzte Verarbeitungsschritt stellt nach der Verkehrsanschauung keine wesentliche Weiterverarbeitung dar. Zwar entsteht erst durch den Apotheker ein individuell auf die jeweiligen Patienten zugeschnittenes Heilmittel. Das Abwiegen, Portionieren und Zusammenstellen gleichartiger Substanzen zu einer Mischung führt aber nicht zu einem wesentlich anderen oder neuen Produkt. Die den TCM-Granulaten zugeschriebenen pflanzlichen Wirkstoffe wer-den durch diesen Vorgang nicht weiter verändert oder auf-bereitet. Die Granulate sind schon anwendungsfertig in dem Zustand, in dem sie von der Klägerin eingeführt werden. Dass sie in der Regel nicht als Einzelgranulat, sondern als Mischung verschiedener Granulate eingenommen werden, ändert daran nichts.“

bb) Unter Berücksichtigung der in dieser Entscheidung skizzierten Rechtsprechung, die maßgeblich auf die Zweck-bestimmung des Erzeugnisses abstellt, handelt es sich hier

um kein Funktionsarzneimittel. Denn in der präsentierten Form sind die Granulate gerade nicht ausschließlich dazu bestimmt, als Arzneimittel verwendet zu werden, sondern sie finden daneben auch Anwendung in der Lebensmittelin-dustrie. Zwar mag der Bekl. zuzustimmen sein, dass bereits bei der Herstellung in den USA die Granulate in besonders guter Qualität hergestellt werden und sie somit zum Einsatz in der Arzneimittelindustrie auch besonders geeignet sein mögen. Nicht zu folgen ist aber der Ansicht der Bekl., dass der Einsatz der drei Granulate in der Lebensmittelindustrie jedenfalls dahinter zurücktreten, d. h. unerheblich sein soll. Im Anschluss an die vorstehend wiedergegebene Entschei-dung des BVerwG v. 3. 3. 2011 ist weiterhin zu fordern, dass für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel bereits im Zeitpunkt der Herstellung eindeutig feststehen muss, dass seine künftige Zweckbestimmung ausschließlich darin be-steht, durch Anwendung im menschlichen Körper arzneili-chen Zwecken zu dienen (Rdnr. 17). An diesem Ausschließ-lichkeitskriterium fehlt es vorliegend, da jedenfalls – neben dem Einsatz als Arzneimittel – auch ein Einsatz der Produk-te in der Lebensmittelindustrie erfolgt; es ist daher gerade keine ausschließliche Verwendung zu arzneilichen Zwecken gegeben. Es gibt zudem keine Anhaltspunkte für die Ver-mutung, dass der Hersteller der Produkte deren Einsatz nur in der Arzneimittelindustrie vorsieht und ihm der Einsatz außerhalb der Arzneimittelherstellung unbekannt wäre.

Sofern – entsprechend den Ausführungen des BVerwG in Rdnr. 18 – nunmehr ergänzend auf den Herstellungsprozess abzustellen sein sollte, handelt es sich bei dem Magnesiumcar-bonat auch danach nicht um ein Arzneimittel, sondern wei-terhin um ein Vorprodukt. Es kann dahinstehen, ob schon das Herstellen einer neuen Charge mit dem Calciumacetat zu einem anderen Produkt mit anderen Eigenschaften führt. Anders als im Sachverhalt der oben dargelegten Entscheidung entsteht hier jedenfalls durch die Weiterverarbeitung des Gra-nulats zu den Tabletten „OsvaRen“ bereits nach allgemeiner Verkehrsanschauung ein neues Produkt – nunmehr in der Darreichungsform „Tablette“ bzw. „Filmtablette“. In dem der Entscheidung v. 3. 3. 2011 zugrunde liegenden Fall wa-ren die sog. TCM-Granulate bereits verbrauchsfertig und das Abwiegen, Portionieren und Zusammenstellen gleichartiger Substanzen stellte keine wesentlichen Bearbeitungsschritte mehr dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –, ju-ris, Rdnr. 19). Vorliegend wird das Destab-Magnesiumcar-bonat aber nicht lediglich abgewogen, portioniert und zu-sammengestellt. Vielmehr unterliegt es vielfältigen weiteren Verarbeitungsschritten (wie etwa dem Herstellen einer ho-mogenen Menge der Zubereitung für die Herstellung einer Charge, der Herstellung der Darreichungsform Tablette und der Herstellung der Darreichungsform Fimtablette), die nach allgemeiner Verkehrsauffassung schon aufgrund der Verände-rung der Darreichungsform – und der hiermit verbundenen anderen Aufnahmemöglichkeiten der arzneilich wirksamen Bestandteile im Körper – wesentlich sind.

Ferner ist der Bekl. nicht in ihrer Auffassung zu folgen, dass es hier maßgeblich auf die wesentliche Bearbeitung der Carbonate im Ausland ankäme. Denn ausdrücklich führt das BVerwG in seiner Entscheidung v. 3. 3. 2011 in Rdnr. 19 zunächst aus, dass für die Beurteilung der Arzneimittelei-genschaft zu berücksichtigen sei, ob bis zur Abgabe an den Endverbraucher keine wesentlichen Verarbeitungsschritte mehr erforderlich sind. Sodann stellt es zwar fest, dass bei den TCM-Granulaten die wesentlichen Produktionsschrit-te im Herkunftsland erfolgt seien; indes wird darüber hi-naus noch auf den letzten Verarbeitungsschritt (im Inland) abgestellt. Dies wird nach den dort getroffenen Feststellun-gen des VG verneint, da die Granulate in dem dortigen Fall in den Apotheken lediglich noch kombiniert und sodann an den Endverbraucher abgegeben werden (s. auch BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –, juris, Rdnr. 14 a. E.). So ist es hier nach Einführung der Erzeugnisse bis zur Abgabe

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an den Endverbraucher aber gerade nicht. Vielmehr wurde das Magnesiumcarbonat derart umgewandelt, dass es – im Gegensatz zu den TCM-Granulaten – im abgabefertigen Endprodukt nicht mehr erkennbar ist.

cc) Der Rechtsprechung des BVerwG lässt sich entgegen der Ansicht der Bekl. auch im Übrigen nicht entnehmen, dass allein auf die Eignung der Produkte für die Arzneimit-telherstellung abzustellen sein soll. Vielmehr entspricht es der Rechtsprechung – insbesondere zur Abgrenzung zum Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel  –, dass maßgeb-lich auf die pharmakologische Wirkung – die nachgewiesen sein muss – abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26. 5. 2009 – 3 C 5/09 –, NVwZ 2009, 1038, 1039 f. m. w. N.). Die phar-makologische Wirkung eines Produktes muss hierbei über einen bloßen Einfluss auf die normalen Lebensvorgänge hi-nausgehen; verlangt wird vielmehr eine wirkliche, erhebli-che Veränderung der Funktionsbedingungen des menschli-chen Körpers und eine nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel ( BVerwG, Urt. v. 25. 7. 2007 – 3 C 22/06 –, juris, Rdnr. 22). Erforderlich ist hiernach eine gezielte Steu-erung der Körperfunktionen von außen; die pharmakolo-gische Wirkung ist nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleich-bar, bei der der Körper die benötigten Bestandteile selbst identifiziert und modifiziert ( BVerwG, Urt. v. 25. 7. 2007 – 3 C 22/06 –, juris, Rdnr. 23). Maßgeblich für die Beurtei-lung des Arzneimittels ist hierbei die normale Anwendungs-weise ( BVerwG, Urt. v. 26. 5. 2009 – 3 C 5/09 –, NVwZ 2009, 1038, 1039). Da die eingeführten Granulate in den hier vorliegenden Gebinden in normaler Anwendungsweise aber nur zur Weiterverwendung bzw. zum Abfüllen durch den Großhandel und gerade nicht zu einer bestimmten Anwendung beim Menschen vorgesehen sind, mag zwar – isoliert für die Granulate betrachtet – eine pharmakologi-sche Wirkung zu bejahen sein. Indes genügt dies nach den oben dargelegten Ausführungen des BVerwG mit Urt. v. 3. 3. 2011 allein nicht zur Bejahung der Funktionsarzneimit-teleigenschaft – unabhängig davon, dass die pharmakologi-sche Wirkung der eingeführten Produkte in den Gebinden unter Betrachtung der „normalen Anwendungsweise“ hier auch Zweifeln unterliegt, da die Produkte nicht zur An-wendung für den Endverbraucher bestimmt sind. Denn bei einem Produkt kann nach den vorstehenden Ausführun-gen des BVerwG die pharmakologische Wirkung nur dann bejaht werden, wenn sein Hersteller bzw. Anwender damit gezielt, d. h. zweckgerichtet die Körperfunktionen beein-flussen will. Diese Zweckgebundenheit des Produkts prägt das Funktionsarzneimittel; seine Eignung zur Beeinflussung von Körperfunktionen allein reicht dagegen nicht aus.

dd) Soweit sich die Bekl. auf den Schutzzweck des Arz-neimittelgesetzes beruft und [darlegt], aus Gründen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes der Bevölkerung sei der Arzneimittelbegriff weit auszulegen, kann sie hiermit nicht erfolgreich gehört werden. Denn das BVerwG hat in seiner Entscheidung v. 3. 3. 2011 diesen Schutzzweck bereits ausdrücklich in seine Auslegung des Arzneimittelbegriffes einbezogen (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –, juris, Rdnrn. 14, 20). Da die Kammer dieser Rechtspre-chung folgt, ist der Schutzzweck des Arzneimittelgesetzes auch in Bezug auf die Produkte der Kl. ausreichend be-rücksichtigt. Darüber hinaus ist der Gesundheitsschutz vor-liegend – insofern anders als im Sachverhalt, der der Ent-scheidung des BVerwG v. 3. 3. 2011 zugrunde lag – bereits deswegen gewahrt, weil Stoffe importiert werden, die ge-rade nicht „ohne wesentliche Weiterverarbeitung“ verwen-det werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 3. 2011 – 3 C 8/10 –, juris, Rdnr.  20). Der Arzneimittelhersteller F. unterliegt unstreitig bei Herstellung der Filmtabletten „ OsvaRen“ der Erlaubnispflicht nach nationalem Arzneimittelrecht; zu-dem finden die Granulate in der eingeführten Form gerade nicht Anwendung auf den Endverbraucher.

b) Aus dem sog. europarechtlichen Arzneimittelbegriff ergibt sich nichts anderes.

So orientiert sich das BVerwG in ständiger Rechtspre-chung an derjenigen des Europäischen Gerichtshofes (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. 7. 2007 – 3 C 22/06 –, juris, Rdnr. 19, Rdnr. 28; Urt. v. 26. 5. 2009 – 3 C 5/09 –, NVwZ 2009, 1038, 1039; vgl. auch EuGH, Urt. v. 29. 4. 2004 – Rs. C-150/00  –, Kommission/Österreich, Rdnr.  75; Urt. v. 15. 11. 2007 – Rs. C-319/05 –, Kommission/Bundesrepu-blik Deutschland, Rdnrn. 55 und 59 – Knoblauchpräpa-rat; Urt. v. 15. 1. 2009 – Rs. C-140/07 –, Hecht Pharma GmbH, Rdnrn. 39 ff. – Red Rice 330 mg Kapseln; Urt. v. 30. 4. 2009 – Rs. C-27/08 –, Bios Naturprodukte GmbH, Rdnrn. 18 ff. – Weihrauch H 15-Tabletten; s.  auch Mül-ler, in: Kügel/Müller/Hofmann [Hrsg.], AMG, 2012, § 2, Rdnr.  58; BT-Dr.  16/12256, S.  41). Eine Richtungsän-derung lässt sich auch der jüngsten Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 6. 9. 2012 – Rs. C-308/11 –, Chemische Fabrik Kreussler & Co. GmbH, Rdnrn. 28 ff. – Mundspüllösung).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion fällt, von Fall zu Fall zu treffen; dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu be-rücksichtigen, insbesondere seine pharmakologischen Ei-genschaften. Das Produkt muss die physiologischen Funk-tionen nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Darin liegt das wesentliche Kriterium, auf dessen Grundlage – ausgehend von den Wirkungsmög-lichkeiten des Erzeugnisses – zu beurteilen ist, ob ein Funk-tionsarzneimittel i. S. des Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG vorliegt (vgl. EuGH, Urt. v. 15. 11. 2007 – Rs. C-319/05  –, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Rdnrn.55 und 59 – Knoblauchpräparat; Urt. v. 15. 1. 2009 – Rs. C-140/07 –, Hecht Pharma GmbH, Rdnrn. 39 ff. – Red Rice 330 mg Kapseln; Urt. v. 30. 4. 2009 – Rs. C-27/08 –, Bios Naturprodukte GmbH, Rdnrn. 18 ff. – Weihrauch H 15-Tabletten; Urt. v. 6. 9. 2012 – Rs. C-308/11 –, Che-mische Fabrik Kreussler & Co. GmbH, Rdnrn. 28 ff. – Mundspüllösung). Maßgeblich für die Beurteilung ist die normale Anwendungsweise (EuGH, Urt. v. 29. 4. 2004 – Rs. C-150/00  –, Kommission/Österreich, Rdnr.  75; Urt. v. 30. 4. 2009 – Rs. C-27/08 –, Bios Naturprodukte GmbH, Rdnr. 22). Des Weiteren entspricht es der Rechtsprechung des EuGH, bei dieser Beurteilung zu berücksichtigen, ob die Substanz zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflus-sung der physiologischen Funktionen im oder am mensch-lichen Körper angewandt oder einem Menschen verabreicht werden kann; hierbei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Ver-breitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (EuGH, Urt. v. 6. 9. 2012 – Rs. C-308/11 –, Chemische Fa-brik Kreussler & Co. GmbH, Rdnr. 34; Urt. v. 15. 1. 2009 – Rs. C-140/07 –, Hecht Pharma GmbH, Rdnr. 31), wobei wiederum auf den normalen Gebrauch des fraglichen Er-zeugnisses abzustellen ist (EuGH, Urt. v. 30. 4. 2009 – Rs. C-27/08 –, Bios Naturprodukte GmbH, Rdnr. 22 m. w. N.). Jüngst hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfah-ren betreffend die Auslegung von Art.  1 Nr.  2 lit.  b der Richtlinie 2001/83/EG darüber hinaus entschieden, dass vom Vorliegen einer pharmazeutischen Wirkung einer Sub-stanz in diesem Sinne nicht nur dann ausgegangen werden kann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Mo-lekülen dieser Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders kommt, sondern dass bereits eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem belie-bigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Be-standteil genügt (EuGH, Urt. v. 6. 9. 2012 – Rs. C308/11 –,

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Chemische Fabrik Kreussler & Co. GmbH, Rdnrn. 28 ff., zur Einstufung einer Mundspüllösung als Arzneimittel).

Damit entspricht der europarechtliche Arzneimittelbe-griff dem des deutschen Arzneimittelgesetzes in der Ausle-gung des BVerwG. Er gebietet mithin keine andere Ausle-gung des oben dargelegten Arzneimittelbegriffs.

c) Entgegen der Ansicht der Bekl. kann sie sich auch nicht erfolgreich auf eine richtlinienkonforme Auslegung des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AMG berufen.

Die Richtlinie 2001/83/EG wurde durch die 12. AMG-Novelle v. 30. 7. 2004 (BGBl.  I S.  2031) umgesetzt (vgl. BT-Dr. 15/2109, S. 24 ff.); deren letzte Änderung durch die Richtlinie 2011/62/EU wurde durch das zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschrif-ten v.  19. 10. 2012 (BGBl.  I S.  2192) umgesetzt (vgl. BT-Dr.  17/0341, S.  39 ff.) – wobei diese Umsetzung die hier maßgeblichen Vorschriften der §§ 2 Abs. 1, 72 Abs. 1 AMG unberührt lässt. Zu Unrecht beruft sich die Bekl. vorliegend auf Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richt-linie 2011/62/EU i. V. mit Art. 40 Abs. 3 des Titels IV der Richtlinie 2011/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2011/62/EU. Denn selbst bei unvollständiger Umsetzung dieser Richtli-nien – unterstellt, es handele sich bei den streitgegenständ-lichen Erzeugnissen auch um Wirkstoffe i. S. des § 4 Nr. 19 AMG bzw. Art. 1 Nr. 3 a der Richtlinie 2011/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2011/62/EU – findet die richtlinienkonforme Auslegung ihre Grenze im Auslegungskanon des nationalen Rechts; eine richtlinienkonforme Auslegung contra legem ist unionsrechtlich bereits nicht zulässig (vgl. EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – Rs. C-212/04 –, Adeneler, Slg. 2006, I-6057, Rdnr.  110; – Rs. C-268/06  –, Impact, Slg. 2008, I-2438, Rdnrn. 100 ff.). Der Wortlaut in § 72 Abs. 1 Nr. 2 AMG er-fasst aber nur bestimmte, enumerierte Wirkstoffe bzw. in § 72 Abs.  1 Nr.  3 AMG bestimmte Stoffe („menschlicher Her-kunft“), die hier aufgrund der mineralogischen Herkunft der eingeführten Erzeugnisse gerade nicht gegeben sind. Der kla-re Wortlaut der Vorschrift bildet insofern jedenfalls die Gren-ze einer Auslegung – unabhängig davon, dass auch bereits inhaltliche Bedenken gegen eine richtlinienkonforme Aus-legung i. S. der Bekl. bestehen, da die Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2011/62/EU für Wirkstoffe aus-drücklich nur eine Meldepflicht und keine Erlaubnispflicht normieren dürfte (vgl. Art. 52a der Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2011/62/EU sowie Erwägungsgrund Nr. 20 der Richtlinie 2001/83/EG).

d) Eine unmittelbare Drittwirkung der Richtlinie 2001/ 83/EG i. d. F. der Richtlinie 2011/62/EU zugunsten der Bekl. scheidet aus. Denn im Verhältnis des Bürgers zum Staat (sog. vertikale Drittwirkung) verbietet sich eine unmittel-bare Drittwirkung von vorneherein zu Lasten des Bürgers (hier: der Kl.) – unabhängig von ihren sonstigen Vorausset-zungen (st. Rspr., vgl. nur EuGH, Urt. v. 19. 1. 1982 – Rs. C-8/81 –, Becker, Slg. 1982, 53 ff., Rdnrn. 21 ff.).

Regress wegen der Verordnung von der Versorgung ausgeschlossener Lifestyle-Arzneimittel

SGB V §§ 34, 106

So genannte Lifestyle-Arzneimittel sind kraft Ge-setzes von der Verordnung in der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen; die Festsetzung eines Re-

gresses setzt deshalb nicht die Bekanntgabe des Aus-schlusses durch die Arzneimittelrichtlinien voraus.BSG, Urt. v. 12. 12. 2012 – B 6 KA 50/11 R (SG Potsdam)

Problemstellung: Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung wird in vielfältiger Weise durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesaus-schusses (GBA) bestimmt, etwa durch die ausnahmsweise Aufnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in die Leistungspflicht oder durch den Ausschluss oder die Einschränkung der Verordnungsfähigkeit unwirt-schaftlicher oder nicht zweckmäßiger Arzneimittel. Die Kompetenz des Bundesausschusses aus der allgemeinen Richtlinienermächtigung in § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ging nach Auffassung des BSG jedoch nicht so weit, dass in den Arzneimittelrichtlinien die Abgrenzung des Krankheits-begriffs als Leistungsvoraussetzung hätte geregelt werden können, um etwa Arzneimittel, die gegen die erektile Dysfunktion eingesetzt werden, aus der Versorgung aus-zuschließen (BSGE 85, 36 – SKAT). Die seit langem in den Arzneimittelrichtlinien hierzu und zu anderen sog. „Lifestyle“-Arzneimitteln aufgenommenen Regelungen hatten danach keine konstitutive Wirkung.

Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurden auf-grund dieser Rechtsprechung zum 1. 1. 2004 in § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V Arzneimittel, bei deren Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, aus der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen. In § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V werden konkrete Anwendungsgebiete aufgeführt, bei denen „insbesondere“ diese Vorausset-zung durch den Gesetzgeber als erfüllt angesehen wird; nach S. 9 „regelt“ der GBA das Nähere.

Darüber, ob nach diesem gesetzlichen Regelungs-konzept der Ausschluss bereits durch Gesetz oder erst durch die umsetzende Regelung des GBA wirksam wird, bestand Streit. Mit der Formulierung in S. 7 „sind aus-geschlossen“ sprach der Wortlaut einerseits für einen gesetzlichen Ausschluss, der allerdings aufgrund der ver-wendeten unbestimmten Rechtbegriffe in der prakti-schen Rechtsanwendung nicht ohne weiteres umzusetzen war; die Befugnis des GBA nach S.  9 zur „Regelung“ des Näheren sprach andererseits für eine eigene Entschei-dungskompetenz des GBA mit konstitutiver Wirkung. Das SG hatte vertreten, dass das Arzneimittel mit dem zugelassenen Anwendungsgebiet der Behandlung von Adipositas bis zur Veröffentlichung des Beschlusses des GBA, mit dem es in die Liste der ausgeschlossenen Arz-neimittel in einem Anhang der Arzneimittelrichtlinien aufgenommen wurde, verordnungsfähig war, und des-halb einen von der Prüfungsstelle wegen der Verordnung dieses Arzneimittels festgesetzten Regress gegen einen Vertragsarzt aufgehoben. Das BSG hat entschieden, dass der Ausschluss nicht erst mit einer Regelung des GBA und deren Bekanntmachung wirksam wurde, sondern sich aus dem Gesetz selbst ergibt. Zwar drängt sich aus den Entscheidungsgründen, in denen die Funktion des GBA mit der Präzisierung der auslegungsbedürftigen Be-griffe und der „Entscheidung“ in Zweifelsfragen durch ein sachverständiges Gremium in einem formalisierten Verfahren beschrieben wird, die Frage nach einem Be-urteilungsspielraum und damit nach einem Letztent-scheidungsrecht des GBA jedenfalls in Zweifelsfällen, die nicht (wie hier) unter ein in S. 8 aufgeführtes Regelbei-spiel fallen, auf. Gleichwohl hat das BSG sich eindeutig festgelegt, dass der Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 7 bis 9 SGB V im Gesetz selbst geregelt ist und nicht erst mit der Bekanntgabe einer Entscheidung des GBA wirksam wird. Die Vertragsärzte tragen damit das Regressrisiko für Verordnungen, für die noch nicht geklärt ist, ob der Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V greift.

Eingesandt von RiBSG i. R. Prof. Dr. iur. Thomas Clemens, Kassel; bearbeitet von RiSG Dr. iur. Arend Becker, Sozialgericht Berlin, Invalidenstraße 52, 10557 Berlin, Deutschland

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