12
100 Jahre AFET – 100 Jahre Erziehungshilfe Band I Teil I – Quellen und Materialien zusammengestellt und kommentiert von Martin Scherpner und Christian Schrapper Teil II – Autorenbeiträge 1906–2005 AFET-Veröffentlichung Nr. 66/2006

AFET-Veröffentlichung Nr. 66/2006 100 Jahre AFET 100 Jahre …blog.ermisch.de/wp-content/uploads/2011/07/buch.pdf · 2011. 7. 6. · Layout: ermisch | Büro für Gestaltung, Hannover

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • 100 Jahre AFET – 100 Jahre ErziehungshilfeBand I

    Teil I – Quellen und Materialienzusammengestellt und kommentiert von Martin Scherpner und Christian Schrapper

    Teil II – Autorenbeiträge

    1906–2005

    100

    Jahr

    e AF

    ET10

    0 Ja

    hre

    Erzi

    ehun

    gshi

    lfe AFET-Veröffentlichung Nr. 66/2006

    Band

    IAF

    ET-V

    eröf

    fent

    lichu

    ng N

    r. 66

    /200

    6

    AFET_009 Umschlag 06-04-19.indd 1 19.04.2006 18:35:54 Uhr

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |�

    AFET e.V. – Bundesverband für Erziehungshilfe (Hrsg.)Osterstraße 2730159 Hannoverwww.afet-ev.de Teil IQuellen und MaterialienZusammengestellt und kommentiert von Martin Scherpner und Christian Schrapper Teil IIAutorenbeiträge AFET-Veröffentlichung Nr. 66/2006, Bd. IApril 2006

    gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Bonn

    Layout: ermisch | Büro für Gestaltung, HannoverDruck: Carl Küster Druckerei, Hannover

    Impressum

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |� Vorwort

    Einleitung

    Wie können über 100 Jahre Entwicklung und Wirkung eines so vielgestaltigen, heute Bundesverband für Erziehungshilfe genannten, sozialen Gebildes angemessen gewürdigt werden, erstreckte sich sein Wirken doch über so verschiedene histo-rische Epochen mit so unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und admi-nistrativen Rahmenbedingungen, wie sie zwischen 1906 und 2005 in Deutschland prägend waren? Verbandsgeschichten können als „Erfolgsgeschichten“ erzählt werden, mit eingehender Würdigung der Verdienste und Honoratioren ihrer Zeit oder Verbandsgeschichte kann als Gesell-schaftsgeschichte resümiert werden, mit einer kritischen Einordnung der Funkti-onen und Bedeutungen des verbandlichen Handelns für die einschlägigen fachlichen und sozialpolitischen Herausforderungen der jeweiligen Epoche. Runde Geburts-tage, beim AFET ist es eher ein rund-er Namenstag, sind eben ein Anlass zu bilanzieren, Verdienste ebenso wie Irrtü-mer und Fehler. Historische Meilenstei-ne sind eine Zeit zu würdigen, aber auch eine Zeit, sich selbstkritisch möglichen Fehleinschätzungen und ihren Folgen zu stellen. Ein Verband, der die öffentliche Sorge um die Erziehung und Ausbildung junger Menschen organisieren wollte und will, hat es dabei nicht leicht, haben sich doch in den zurückliegenden 100 Jahren

    die Vorstellungen über das, was jeweils als „richtige“ Erziehung angesehen wur-de, vielfach verändert. Welche Maßstäbe sollen und können also angelegt werden, um Positionen und Wirkungen eines Ver-bandes zu bewerten?

    Schon für die Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum des Allgemeinen Fürsorgeerzie-hungstages (A.F.E.T.) haben wir uns für eine Konzeption entschieden, die nicht fertige Erkenntnisse und Beurteilungen anbietet. Wir wollten versuchen, das Ma-terial aus den Archiven so aufzubereiten, dass die Leserinnen und Leser eingela-den werden, sich eigene Urteile zu bilden. Verbandgeschichte soll lesbar werden, mit ihren Erfolgen und Verdiensten eben-so wie für eine kritischen Einordnung in die jeweilige Zeit. Sicherlich ist auch eine „Materialaufbereitung“ nicht frei von ei-genen Erkenntnisinteressen und Ein-schätzungen, doch wir haben versucht, Raum zu lassen für Interpretationen der Leserinnen und Leser. Für das 100 Jäh-rige konnten wir hiermit die Quellen und Materialien zur Verbandsgeschichte des AFET nicht nur für die weiteren 25 Jahre aktualisieren, sondern das so entstandene Gesamtwerk kann auch insgesamt über-arbeitet und in neuer Form professionell gestaltet vorgelegt werden. Dafür ist al-len zu danken, die dies ermöglicht haben.

    Historische Stichtage von Organisationen sind auch ein Anlass, nach dem Nutzen ihres Bestehens zu fragen. Wem also hat der AFET genützt und wem nützt heute ein Bundesfachverband für Erziehungs-hilfe? Zuerst und wesentlich den Insti-tutionen, die seine Mitglieder wurden und sind. Ihnen nutzte der Verband, In-teressen zu artikulieren und zu vertreten, nach außen wie nach innen, er sorgte für die Entwicklung von Positionen, schaff-te Orientierung und regulierte die Kon-kurrenz. Zum zweiten nutzte ein Verband den „Kooperateuren“, denn abgestimmte und verständigte Positionen sind leich-ter und produktiver zu bearbeiten, als „Wildwuchs“. In diesem Sinne waren und sind Verbände wie der AFET auch für das politische Gemeinwesen nützlich, sor-gen doch organisierte Interessen eher für produktive Auseinandersetzung und ermöglichen Kompromisse. Was bleibt, ist die unbestimmte Hoffnung, dass ein Verband wie der AFET auch für die Kin-der und Eltern nützlich sein konnte, die in seinen Mitgliedseinrichtungen betreut wurden, wenn auch nur mittelbar, da er die zeitgemäße Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte und ihrer ge-sellschaftspolitischen Legitimation be-fördern wollte. Wie weit es den beteilig-ten Menschen im AFET dabei gelungen ist, Versorgung, Erziehung und Ausbil-

    dung in Achtung vor der Würde jedes jun-gen Menschen zu sehen und zu gestalten, kann der Maßstab sein, um aus den vor-gelegten Quellen und Materialien zur Ver-bandgeschichte zwischen 1899 und 2005 eigene Einschätzungen zu gewinnen.

    Martin Scherpner und Christian SchrapperFrankfurt am Main und Koblenz im März 2006

  • ��| �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfeTeilI����–����

    1889

    –191

    8

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |�� TeilI����–����

    Der Gründungsimpuls für eine Zusammen-kunft von Leitern, Direktoren und Vorste-hern preußischer Zwangserziehungsan-stalten ab 1889, von der 15 Jahre später der erste Allgemeine Fürsorgeerziehungs-tag nach Breslau einberufen wurde, war die veränderte gesellschaftliche Funktion und der rechtliche Rahmung öffentlicher Erziehung. Die Begründung einer Straf-unmündigkeit junger Menschen, zuerst bis zum 12. Lebensjahr, erst mit dem Ju-gendgerichtsgesetz von 1922 bis zum 14. Lebensjahr, erforderte alternative öf-fentliche Sanktionen bei Abweichung und Kriminalität junger Menschen. Mit dem Preußischen Zwangserziehungsgesetz von 1878, seit 1900 Fürsorgeerziehungs-gesetz, wurde die Lösung hierfür staatlich sanktioniert: Mit den Mitteln der Erzie-hung und Besserung sollte diese Aufgabe bearbeitet werden, teils in den schon tra-ditionsreichen konfessionellen Rettungs-häusern und Heimen, teils aber auch in eigens dafür eingerichteten staatlichen Anstalten. So umstritten die „richtigen“ pädagogischen Konzepte für diese an-spruchsvolle Aufgabe waren, so groß wa-ren auch die organisatorischen Probleme der Abstimmung zwischen den beteilig-ten Ministerien, Behörden, Trägern und Einrichtungen.1 Dabei prägte der deut-

    1 Dazu ausführlich mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen: Carola Kuhlmann/Christian Schrapper: Zur Geschichte der Erziehungshilfen von der Armenfürsor-ge bis zu den Hilfen zur Erziehung; in: Vera Birtsch/Klaus Münstermann/Wolfgang Trede (hg.): Handbuch der Erziehungshilfen, Münster 2001, S. 282-328.

    sche Weg der gesellschaftspolitischen Bearbeitung der Umbruchprobleme einer sich rasant modernisierenden Industrie-gesellschaft zwischen restriktiven Sozi-alistengesetzten und fürsorglichen Sozi-algesetzen auch den Sektor öffentlicher Erziehungsleistungen jenseits von Familie und Schule. In der Aufbruchstimmung der Gründerjahre zwischen der Reichsgrün-dung und dem Ausbruch des Ersten Welt-kriegs wurde diese durchaus program-matisch Fürsorge-Erziehung genannte Aufgabe mit großen Erwartungen ausge-stattet: Nicht nur Straffälligkeit von Kin-dern sollte sanktioniert werden, sondern die Folgen unzureichender Sozialisation sollten bereits „vorbeugend“ und vor allem produktiv bearbeitet werden, um jun-ge Menschen für ein erfolgreiches Leben auszurüsten. 2

    Nur vor diesem Hintergrund großer Um-brüche und Erwartungen ist die rasante Entwicklung von einer noch informellen Zusammenkunft preußischer Anstalts-direktoren 1889 zu einem schon 1906 reichsweit tätigen und international ver-bundenen Verbands für Fürsorgeerzie-hung zu verstehen, zumal der AFET in die-

    2 Vgl. grundlegend: Delev J.K. Peukert: Grenzen der Sozialdisziplinierung. Aufstieg und Krise der deut-schen Jugendfürsorge 1878 bis 1932, Köln 1986 und exemplarisch für Westfalen-Lippe: Markus Köster: Die Fürsorgeerziehung; in: Markus Köster/Thomas Küster(HG.): Zwischen Disziplinierung und Integrati-on. Das Landesjugendamt als Träger öffentlicher Ju-gendhilfe in Westfalen und Lippe (1924-1999), Pader-born 1999, S. 155-170.

    sen Jahren nicht der einzige Fachverband war, der die Aufgaben der Fürsorgeerzie-hung zu organisieren suchte. Im Unter-schied zum Deutschen Verein für öffent-liche und private Fürsorge konzentrierte sich der AFET auf ein Arbeitsfeld und vor allem auf die Organisation der Fürsorge-erziehungs-Tage, also eines regelmäßigen Forums für fachöffentliche Diskussion und Meinungsbildung.3

    Der Ausbruch des ersten Weltkrieges im August 1914 beendete diese Aufbruch-phase auch für den AFET jäh. Innerhalb weniger Monate sahen sich die Erzie-hungsanstalten mit den Anforderungen einer Kriegsgesellschaft konfrontiert. Wurden 1915 noch die Zöglinge gezählt, die gefallen, verwundet, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet oder befördert wur-den, so standen zwei Jahre später die An-wendung und Durchsetzung von Anord-nungen zur „Sicherung der öffentlichen Ordnung“ im Mittelpunkt der Verband-stätigkeit. Aber auch in den Quellen des AFET wird erkennbar, wie schon im letz-ten Kriegsjahr die Eckpunkte der Nach-kriegsfürsorge herausgearbeitet wurden, so im AFET die Forderung nach einem er-weiterten Jugendgerichtsgesetz und nach neuen, kompetenteren Jugendämtern.

    3 Vgl. dazu mit zahlreichen HInweisen: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Hg.): Forum für Sozialreformen. 125 Jahre Deutscher Verein für öf-fentliche und private Fürsorge, Berlin 2006.

    1889–1918 Die Gründerjahre

  • ��| �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfeTeilI����–����

    (Aus: Gesetz-Sammlung für die Königlichen

    Preußischen Staaten, S. 132)

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |�� TeilI����–����

    Gründungszeit1889-1912

    Schon im Jahre 1889 hatten sich eine Reihe von Anstaltsleitern aus den preußi-schen Provinzen Brandenburg, Schlesien und Westpreußen zusammengefunden, um in einen Erfahrungsaustausch einzu-treten und sich über die Methoden zu ver-ständigen, nach denen die auf Grund des Zwangserziehungsgesetzes vom 13. März 1878 in öffentliche Erziehung überwie-senen Minderjährigen zu behandeln wa-ren. Der Kreis der Teilnehmer hatte sich von Jahr zu Jahr erweitert. Auch in den westlichen preußischen Provinzen sowie in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg war das Interesse wach geworden, und bei einer Zusammenkunft, die im Jahre 1900 in Hannover stattfand, waren bereits fast alle deutschen Bundesländer mit Ausnahme der Süddeutschen vertreten.

    (Wolff, 60 Jahre AFET, in: AFET Mitglieder-Rund-

    brief 3-4/1966, S. 17 f.)

    (Seiffert, in: Bericht über die Verhandlungen

    des AFET vom 7. bis 10.Juli 1908 in Straßburg/

    Elsass, S. 94 f.)

    ���� erste Zusammenkunft von Leitern und Vorstehern Preußischer (Zwangs-) Erzie-hungsanstalten in Strausberg, Mark

    ����erste allgemeine, freie und öffentliche Konferenz der Berufsarbeiter und Freunde des Fürsorge (Zwangs-) Erziehungswe-sens, Tempelburg (bei Danzig)

    ��0�Beschluss, den „Allgemeinen Fürsorge-Erziehungs-Tag“ (A.F.E.T.) das erstemal 1906 nach Breslau einzuberufen, Berlin

    ��0�erster Allgemeiner Fürsorge-Erziehungs-Tag in Breslau

    ����Eintragung in das Vereinsregister, Konsti-tuierung als A.F.E.T. e.V.

    1906 ist demnach nicht der Geburtstag, sondern eher der Namenstag des AFET.

    ChronologiederEntstehungundGründung

  • ��| �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfeTeilI����–����

    Im Besitze Ihrer werthen Adresse beehreich mich Euer Wohlgeboren zu der am 25. u.26. d. Monats in Thale a/Harz stattfindendenKonferenz der Vorsteher an Rettungshäu-sern, Zwangserziehungs- und Besserungs¬Anstalten unter Anschluß der Tagesord-nung mit dem Bemerken ergebensteinzuladen, daß die Versammlung imHotel „Ritter Bodo“ stattfindet.Im Hotel „Ritter Bodo“ ist für dieTeilnehmer der Conferenz Logis zum Preisevon 2,75 Mark incl. Kaffee bestellt.Der DirectorKrause

    Anden Herrn Director derRettungsanstaltDüsselthalp. Düsseldorf-Grafenberg

    Einladung 1893

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |�� TeilI����–����

    Tagesordnung

    für

    die am 25. und 26. Mai stattfindende Konferenzder Vorsteher an Rettungshäusern, Zwangserziehungs – und Besserungs - Anstalten zu Thale a /Harz

    Am 25. Mai von Vormittag 10 Uhr ab:

    I. Thema: Die Maßnahme gegen jugendliche Straftäterunter Berücksichtigung des gegenwärtigen Zwangs-erziehungswesens in Preußen, sowie wünschens-werthe Reformvorschläge.Referent: Inspector Kaeßler - Lublinitz Ob/Schl.

    2. Thema: Die staatlich überwachte Erziehung verwahrloster Kinder und jugendlicher Verbrecher nach den von der internationalen Kriminalisten Vereini-gung (:Gruppe Deutsches Reich:) gemachten Vorschlägen.Referent: lnspector Räther - Herrnprotsch p. Breslau3. Besichtigung der Erziehungsanstalt Neinstedt.

    Am 26. Mai von Vormittags 10 Uhr ab:

    4. Thema: Warum haben Zwangserziehungs- und Besserungs-Anstalten ihre Zöglinge ganz besonders zur Selbst-ständigkeit und Thatkraft zu erziehen und wie lösen sie diese Aufgabe? Referent: Vorsteher Pautz - Stolp i /Pom.5. Thema: Angemessene Beschäftigung der in Anstalten untergebrachten Zwangszöglinge.Referent: Vorsteher Kauder - Schubin i/Pos.

    Tempelburg, den 7. April 1893

    KrauseDirector

    Tagesordnung 1893

  • ��| �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfeTeilI����–����

    Leitsätze

    l. Die bestehenden gesetzlichen Bestim-mungen in Bezug auf die Behandlung ju-gendlicher Verbrecher haben zu einem befriedigendem Ergebnis bisher nicht ge-führt, weil unsere Strafrechtspflege ihr Augenmerk wesentlich darauf richtet, nach Eintritt einer Straftat durch entspre-chende Vergeltung von der Wiederholung abzuhalten, den Grundsatz des Vorbeu-gens aber zu wenig berücksichtigt.

    2. Dem Weiterumsichgreifen der Verwil-derung, Verrohung und Begehung straf-barer Handlungen der Jugend kann nur durch angemessene Erziehung vorgebeugt werden.

    3. Die Erziehung verwahrloster und ver-brecherischer Kinder, sowie solcher, die in Gefahr stehen zu verwahrlosen, ist vom Staate zu überwachen,

    4. Die staatlich überwachte Erziehung hat auch ohne das Vorliegen einer strafbaren Handlung bei Kindern einzutreten, welche das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und in der Erziehung so sehr ver-nachlässigt sind, daß sittliche Verwahr-losung eingetreten oder zu befürchten ist. (Satz 4 der Vorschläge der intern. krim. Vereinigung)

    5. Als Endtermin der staatlich überwach-ten Erziehung bildet das zurückgelegte 18. Lebensjahr die Regel, das vollendete 21. Lebensjahr die gestattete Ausnahme. (Die kriminologische Vereinigung schlägt vor, die staatlich überwachte Erziehung regel-mässig bis zum 21. Lebensjahr dauern zu lassen und nur in Ausnahmefällen frühere Entlassungen zu gestatten).

    6. Die staatlich überwachte Erziehung er-streckt sich auf eine von der Obrigkeit ge-regelte und beaufsichtige Erziehung.a) in einer geeigneten fremden Familie,b) in einer unter staatlicher Aufsicht

    stehenden Erziehungsanstalt (Privat-anstalt),

    c) in einer staatlichen Erziehungsanstalt (Der Vorschlag der kriminologischen Vereinigung, daß die zur staatlich über-wachten Erziehung überwiesenen Kin-der auch in der eigenen Familie belassen werden können, ist praktisch undurch-führbar).

    7. Zur Durchführung der staatlich über-wachten Erziehung sind besondere Erzie-hungsämter zu bilden.

    8. Sowohl für die privaten als auch für die staatlichen Anstalten ist zu fordern:a) Sie sind für das männliche und weibli-

    che Geschlecht getrennt einzurichten.b) Die nach dem 14. Lebensjahr der staat-

    lich überwachten Erziehung überwie-senen Zöglinge müssen tunlichst von denen getrennt gehalten werden, welche vor diesem Zeitpunkt einer Erziehungs- anstalt überwiesen sind.

    c) Als Leiter sind Männer von pädago-gischer Bildung zu wählen, die als Lehrer und Erzieher sich bereits bewährt haben und Geschick und Verständnis zur Lei-tung einer Anstalt besitzen.

    d) Den Schulunterricht erhalten die An-staltszöglinge in der Anstaltsschule. (Wegen des schädlichen Einflusses auf ihre Mitschüler sind sie vom Besuche der öffentlichen Volksschule auszu-schließen).

    Leitsätze 1893

  • �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfe |�� TeilI����–����

    1906Erster Allgemeiner Fürsorge-Erziehungs-Tag

    (Aus: Bericht über die Verhandlungen des AFET

    vom 11. bis 14. Juni 1906 in Breslau, S. 3)

    Als die Fürsorgeerziehungsgesetzgebung im Anschluß an das Inkrafttreten des Bür-gerlichen Gesetzbuches in den deutschen Ländern am 1. April 1901 in Kraft trat, regte sich alsbald bei der Behörde, die für die Durchführung der Fürsorgeerziehung verantwortlich waren, wie auch bei den Erziehungsheimen und Erziehungsver-einen, denen die Betreuung der Minder-jährigen anvertraut wurde, der Wunsch, in einen ständigen Erfahrungsaustausch miteinander einzutreten. Dies war um so nötiger, als die Behörden sich gar nicht in der Lage sahen, für die nunmehr in viel grö-ßerer Zahl als bisher ihnen zugewiesenen Erziehungsfälle die erforderlichen Ein- richtungen selbst zusätzlich zu den vor-handenen staatlichen und kommunalen Heimen zu schaffen. Sie entschlossen sich daher, in erster Linie aus pädagogischen, aber auch aus finanziellen Gründen, sich der erzieherischen Erfahrungen zu bedie-nen, die bereits bisher in Heimen und Or-ganisationen der Freien Jugendwohlfahrt, insbesondere der Inneren ‚Mission und des Caritasverbandes, gemacht wurden waren. Gelingen konnte die gemeinsame Arbeit jedoch nur, wenn unter den Beteili-gten eine Basis des Vertrauens Platz griff, und wenn von vornherein eine ständige wechselseitige Aussprache über alle orga-nisatorischen und methodischen Fragen, die bei der Durchführung der pädago-gischen Aufgaben jeweils auftauchten, sichergestellt werden konnten. Aus diesen Motiven heraus ist der „Allgemeine Für-sorgeerziehungstag“ im Jahre 1906 ge-gründet worden.

    (Wolff 1966, a.a.O., 1966, S.17)

    Vorsitzender der „Konferenz der Be-rufs-Arbeiter und Freunde des Fürsorge- (Zwangs-)Erziehungswesens“ war Direk-tor Krause, Tempelburg (Westpreußen), gewählt 1891. auf der ersten allgemeinen und öffentlichen Konferenz. Er wird 1903 aus Krankheitsgründen „kommissarisch“ abgelöst von Direktor Pastor Seiffert, Strausberg (Mark Brandenburg), der end-gültig 1904 zum Vorsitzenden gewählt wird.

    (vgl.: Krause, Geschichte der Entstehung und

    Entwicklung unserer Konferenz, in: AFET 1908,

    Bericht über die Verhandlungen des AFET vom

    7. bis 10. Juli 1908 in Straßburg / Elsass, S. 59-66)

  • ��| �00JahreAFET–�00JahreErziehungshilfeTeilI����–����

    Es waren warmherzige, lebendige und zugleich sehr sachkundige Persönlich-keiten, die sich damals zu gemeinsamer Arbeit zusammenfanden. Männer der Verwaltung wie Hauchecorne, Blessmann (Schatzrat und Dezernent bei der Provinzi-alverwaltung in Hannover), Schmidt (De-zernent für die Fürsorgeerziehung bei der Provinzialverwaltung der Rheinprovinz), Hartmann (Dezernent für die Fürsorge-erziehung bei der Provinzialverwaltung in Hannover), Vormundschaftsrichter wie Landsberg (Langjähriger Vormundschafts-richter in Lennep / Rheinland), Friedeberg (Landgerichtsdirektor in Berlin, Kommen-tator des RJWG) und Hertz (Richter und später Leiter der Behörde für öffentliche Jugendfürsorge in Hamburg), Pädago-gen und Psychologen wie Johannes Pe-tersen (Organisator der Jugendfürsorge in Hamburg und langjähriger Leiter der dortigen Jugendbehörde), Friedrich-Wil-helm Försters (Prof. für Sozialpädagogik in München, später in Zürich) und Wal-ter Hoffmann (Prof. für Sozialpädagogik in Leipzig), warmherzige Kinderfreunde, Erzieher und Organisatoren wie Prälat Werthmann (1. Präsident des Kath. Cari-tasverbandes in Freiburg), Prälat Bartels (Leiter des Kath. Erziehungsvereins in Pa-derborn) Frau Agnes Neuhaus (Vorsitzen-de des Kath. Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder in Dortmund), ferner Pastor Backhausen (Leiter der Erziehungs-arbeit im Stephansstift in Hannover-Klee-feld), Pastor Hennig (Vorsteher des Rauhen Hauses in Hamburg-Horn), Pastor Jahn (Vorsteher der Züllchower Anstalten in Pommern; seinerzeit in Deutschland weit-bekannt geworden durch seine Propa-

    ganda für die Bedeutung des Spiels in der Erziehung), Pastor Steinwachs (Vorsteher der Anstalten in Neinstedt bei Thale/Harz) Pastor Buschmann (Vorsteher der Mäd-chenerziehungsheime in Teltow, später in Eilenburg/Sachsen), Pastor Isermeyer (Vorsteher des Frauenheims in Himmelst-hür bei Hildesheim), Direktor Knauth (Lei-ter des Staatl. Erziehungsheims in Wabern /Hessen, später Dezernent für die Angele-genheiten der Fürsorgeerziehung in Ber-lin), Pastor Pfeiffer (Geschäftsführender Direktor des Kinderrettungsvereins in Ber-lin, später Vorsteher des Rauhen Hauses in Hamburg), Pastor Voigt (Leiter der Erziehungsheime in Rickling /Holstein), Direktor Remppis (Direktor des Staatl. Er-ziehungsheims in Wabern/ Hessen), Sach-kenner der Jugendwohlfahrt wie Wilhelm Polligkeit (Geschäftsführender Direktor des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und Professor an der Universität Frankfurt a. M.) und Professor Klumker (Geschäftsführer des Archivs für Berufsvormünder und Professor an der Universität Frankfurt a. Main), das waren die Frauen und Männer, die den AFET „ins Leben riefen oder sich ihm alsbald nach seiner Gründung anschlossen, um dann jahrelang, ja jahrzehntelang mitzuarbei-ten. Von den später Hinzugekommenen sind Namen wie Amtsgerichtsrat Blu-menthal (Amtsgerichtsrat und Vormund-schaftsrichter in Altona), Prälat Kreutz (Präsident des Kath. Caritasverbandes in Freiburg) Frau Hedwig Weyl (Stadträtin und Dezernentin bei der Stadtverwaltung in Berlin), Direktor Schlosser (Direktor des Kinderheims der Stadt Chemnitz) u. a. zu nennen.

    (Wolff 1966, a.a.O. 1966, S. 17 f.)

    Erstes „Vereinsorgan bzw. Korrespondenz-Blatt“ der Konferenz wurde der Rettungs-hausbote, in dem auch Ergebnisse der Kon-ferenz bis 1900 veröffentlicht wurden.

    (vgl.: Krause 1908, a.a.O., S. 61)

    1900 erscheint der erste Tagungsbericht; solche Berichte werden in der Form aus-führlicher stenographischer Protokolle der Referate und Verhandlungen bis 1929 veröffentlicht.

    (siehe: AFET-Bibliographie auf der anliegenden CD)