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22. LITERATURTAGE BIELEFELD: DIE KUNST DES ERZÄHLENS Literaturtage 2017 | Stadtbibliothek am Neumarkt | 06.10. – 10.11.2017 | 19 Uhr Ein gutes Wort einlegen für den Zufall

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22. LITERATURTAGE BIELEFELD: DIE KUNST DES ERZÄHLENS

Literaturtage 2017 | Stadtbibliothek am Neumarkt | 06.10. – 10.11.2017 | 19 Uhr

Ein gutes Wort einlegen für den Zufall

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Indes, ich möchte hier ein gutes Wort einlegen für den Zufall. Odo Marquard erläutert in seinem Essay Apologie des Zufälligen aus dem Jahre 1986 das Unerwartete und Kontingente als Grundbestandteil menschlichen Lebens. Auch wenn der Mensch in modernen Konzeptionen das Ensemble seiner Auswahlentscheidungen sei, entgehe er der Schicksalszufälligkeit seines Lebens nicht. Hingegen erachteten Philosophie und Alltagspraxis den Zufall als eine möglichst auszuschaltende Größe. Und hat heute der Zufall in Zeiten von Big Data und erweiterter predictability menschlichen Verhaltens sogar nahezu ausgedient, wie uns die Softwareingenieure glauben machen wollen? Mit dem Zufall würden Phantasie und Kunst gleichermaßen vergehen. Der Zufall gehört zum Menschlichen und Allzumenschlichen. Selbst dann, wenn er als logische Konsequenz gleichzeitiger Prozesse, die den Betrachtern verborgen sind, erklärbar wäre. Es sind die Lebens- und Schick-salszufälle, die uns prägen. Die Literatur wiederum fasst die menschliche Existenz und das Allzumenschliche in Worte; ohne Zufall ist sie nicht denkbar. Nicht ohne den Zufall, als Autorin oder Autor zu reüssieren, nicht ohne das Unvorhergesehene als Motiv in der Literatur. Wir wollen mit den Literaturtagen 2017 ebenfalls ein gutes Wort einlegen für den Zufall und den Glücksfall guter Literatur! Ab dem 6. Oktober können Sie bei den Literaturtagen Bielefeld dem Zufall in den neuen Büchern und Romanen, die Ihnen die Autorinnen und Autoren, die wir vorstellen, nachspüren, und sich ihren Texten ausliefern. Wieder haben wir Autorinnen und Autoren aus Deutschland und auf Deutsch schreibende Schriftstellerinnen und Schrift-steller eingeladen. Die Literaturtage Bielefeld sind wie im vergangenen Jahr zudem international ausgerichtet. Aus Frank-reich, dem Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, erwarten wir zum Auftakt der Literaturtage Marie NDiaye. Sie sind herzlich eingeladen in die Stadtbibliothek Bielefeld am Neumarkt zu Literaturbegegnungen im bekannten Format von Lesung, Gespräch und musikalischer Begleitung! Für die bewährte Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Bielefeld, der Literarischen Gesellschaft OWL / Literaturhaus Bielefeld, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit und weiteren Förderern bedanke ich mich herzlich! Seit letztem Jahr beginnen unsere Lesungen um 19h. Der Einlass ist jeweils ab 18.30h.

Ihr Harald Pilzer, Direktor der Stadtbibliothek Bielefeld

»Ein gutes Wort einlegen für den Zufall«

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Stadtbibliothek, Neumarkt 1 | Einlass: 18.30 Uhr, Beginn: 19.00 Uhr. Stadtbahnhaltestellen Hauptbahnhof oder Jahnplatz. 500 kostenpflichtige Parkplätze in den Untergeschossen, Einfahrt Kavalleriestraße. Eintrittspreis 8,– €, ermäßigt 6,– €, Dauerkarte: 50,– €.Vorverkauf ab 15. September in der Stadtbibliothek am Neumarkt: Mo 14 – 18 Uhr, Di, Mi, Do, Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 14 Uhr | Tel. 0521 51-68 38.Ticket-Vorverkauf, auch mit Online-Kartenvorbestellung, bei der Tourist-Information Bielefeld http://www.bielefeld-ticketservice.de | Tel. 0521 51-69 99 Hier der kurze Klick zur Eintrittskarte:

Aktuelle Informationen zu den Literaturtagen finden Sie stets unter www.stadtbibliothek-bielefeld.de. Zu den Veranstaltungen der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V. haben die Mitglieder freien Eintritt. Mitglieder der Literarischen Gesellschaft erhalten zur Veranstaltung am 26. Oktober eine ermäßigte Eintrittskarte.

Informationen

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Fr 06. Okt 19 Uhr Marie NDiaye Die Chefin. Roman einer Köchin Roman

Do 12. Okt 19 Uhr Christoph Ransmayr Cox oder Der Lauf der Zeit Roman

Fr 13. Okt 19 Uhr Fatma Aydemir Ellbogen Roman

Mi 18. Okt 19 Uhr Jonas Lüscher Kraft Roman

Do 19. Okt 19 Uhr Ingo Schulze Peter Holtz. Sein glückliches Leben Roman

Fr 20. Okt 19 Uhr Klaus Nüchtern Kontinent Doderer. Eine Durchquerung Sachbuch

Di 24. Okt 19 Uhr Petina Gappah Die Schuldigen von Rotten Row Stories

Mi 25. Okt 19 Uhr Anna Kim Die große Heimkehr Roman

Do 26. Okt 19 Uhr Lukas Bärfuss Hagard Roman

Do 02. Nov 19 Uhr Natascha Wodin Sie kam aus Mariupol Roman

Di 07. Nov 19 Uhr Katharina Hacker Skip Roman

Mi 08. Nov 19 Uhr Joachim Radkau Geschichte der Zukunft Sachbuch

Fr 10. Nov 19 Uhr Kristina Pfister Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten Roman

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Fr 06. Oktober 19 Uhr

Marie NDiaye DIE CHEFIN | ROMAN EINER KÖCHIN Eröffnung der Literaturtage mit Harald Pilzer, M.A. Direktor der Stadtbibliothek Bielefeld, und Prof. Dr. Ludwig Huber, Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V. Der Roman wurde aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer übersetzt. Originaltitel: La cheffe, roman d'une cuisinière. Übersetzung am Veranstaltungsabend: Dr. Beate Teubert, Universität BielefeldLesung der deutschsprachigen Texte: Michael Grunert, Schauspieler, Theaterlabor Bielefeld

O ja, natürlich, das hat man sie oft gefragt. … Und wenn man nachhakte, meinte sie lediglich: Man muss nur etwas Geschmack haben, es ist nicht schwierig. In einem langen Vortrag greift ein Erzähler, der seiner Chefin über lange Jahre verbunden war, lange Zeit in ihrem Restaurant gearbeitet hat, und obgleich halb so alt ihr in unerwiderter Liebe zugetan war, die Fragen eines potentiellen Publikums auf. Die sich natürlich nach den Geheimnissen ihrer Kochkunst stellen, die geheimnisvoll bleibt und anscheinend die Speisenden in einer Art einbezieht, die mehr als Genuss bedeutet: Sie haben das Beste aus mir herausgeholt, möchten sie der Köchin nach dem Dessert erklären. So bleibt vieles phantastisch und mysteriös und alle Versuche des Erzählers weiter in die Biographie der Verehrten vorzustoßen, führen zu immer neuen Fragen, wenigen Antworten und immer neuen Aufklärungsversuchen. Ja, die Chefin war eine friedliche Schwärmerin, eine verhaltene Fanatikerin, ihre Glut war verborgen und tief, und nur die Pinie kannte sie, die sie durch das Fenster beobachtete und deren eigenes asketisches Feuer unter der Rinde eingeschlossen war. Und so folgen wir gebannt dem Erzähler und seinen Wendungen und Ansätzen, wollen etwas über die Chefin und ihr Leben, ihre Herkunft und ihre Familie hören und lesen weiter. Die Kunst der Marie NDiaye verdankt sich einer neuartigen Form der Antibiographie, einer Biographie, die demonstriert, dass nur dann Wahrheit erreicht wird, wenn die Geheimnisse nicht ausgeplaudert, sondern Satz für Satz, Abschnitt für Abschnitt verheimlicht werden. Eine Biographie als Geheimnis hinter einer Biographie. (Aus der Verlagsankündigung)

Musikalische Begleitung: Thomas Schweitzer, Saxophon

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Marie NDiaye wurde 1967 in Pithiviers bei Orléans geboren. Sie galt als literarisches Wunderkind, begann bereits mit 12 Jahren zu schreiben und veröffentlichte mit siebzehn ihren ersten Roman. Es folgte ein breites episches und dramatisches Schaffen. Nach vielen Umzügen lebt sie derzeit mit ihrer Familie in Berlin. Für ihren Roman Drei starke Frauen, der auch 2010 auf Deutsch erschien, wurde ihr 2009 der Prix Goncourt verliehen, der bedeutendste französische Literaturpreis. 2010 wurde sie zusammen mit ihrer Übersetzerin Ursula Kalscheuer mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt (Berlin) ausgezeichnet sowie 2015 mit dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund. Seither erschienen auf Deutsch der Erzählband Ein Tag zu lang (2012) und Ladivine (2014).Über diesen Roman schrieb Ina Hartwig in der Süddeutschen Zeitung: Mit biblischer Wucht umkreist der Roman Schuld, Opfer, Verleugnung, Reue, Gewalt. Und das, obwohl häufig von Liebe die Rede ist, zur Mutter, zum Ehemann, zu den eigenen Kindern. Marie NDiaye schreibt in einem klassizistisch anmutenden Stil, geschult am psychologischen Roman des 17. Jahrhunderts, einem Stil, der auch dann nicht aufgegeben wird, wenn die Lüge in die Liebe einzieht, wenn Liebe ihre Fratze zeigt und umschlägt in Zweifel und Entfremdung.

Die französischsprachigen Anteile der Veranstaltung werden ins Deutsche übersetzt, die übersetzten Texte liest der Schauspieler Michael Grunert.

Mit freundlicher Unterstützung durch den Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V.

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Christoph Ransmayr COX ODER DER LAUF DER ZEIT | ROMANModeration: Harald Pilzer

Der Kaiser von China hatte gefragt. Obgleich die glanzvollsten Häuser Englands und des gesamten Kontinents mit den Uhren aus der Manufaktur des Londoner Uhrmachermeisters Alistair Cox ausgestattet waren, hatte nie jemand aus dem hochgestellten Empfängerkreis nach dem Schöp-fer all der ingeniösen und einmaligen Werke gefragt. Doch der Kaiser von China Qianlong, der – historisch verbürgt – von 1711 bis 1796 lebte, hatte nach ihm gefragt, und ihm das Angebot unterbreitet nach China, nach Beijing in die Verbotene Stadt zu kommen und für ihn dort Uhren zu entwerfen. Nach langer Reise mit der Sirius landen Cox und seine drei Begleiter schließlich in der Küstenstadt Hanzhou, von wo die Reise auf dem künstlich geschaffenen Kaiserkanal weiter geht nach Beijing mit einer Flotte von 35 prächtigen Dschunken, auf deren einer der gottgleiche und zeitlose Sohn des Himmels, der Kaiser, mitreist. Allein dies ist eine maßlose Zurschaustellung von Macht, Prunk und Würde. Und dann erst die Verbotene Stadt mit ihren Plätzen, Palästen und Pavillons. Doch der Kaiser erwartet keine Uhren, keine mechanischen Spielzeuge, die Cox und seine Begleiter für die lange Reise sorgfältig ausgesucht und präpariert hatten. Qianlong, der Herr der zehntausend Jahre, möchte, dass Cox für ihn die Zeit einfange. Der Kaiser wollte, dass Cox ihm für die fliegenden, kriechenden oder erstarrten Zeiten eines menschlichen Lebens Uhren baute, Maschinen, die gemäß dem Zeitempfinden … den Stunden- oder Tageskreis anzeigen sollten – das wechselnde Tempo der Zeit.

Christoph Ransmayr, dessen Romane häufig das Reisen und die Bewegung der Protagonisten in Raum und Zeit thematisieren, man denke nur an den Atlas eines ängstlichen Mannes aus dem Jahre 2012 oder der Darstellung einer österreichischen Polarexpedition in seinem frühen Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis aus dem Jahre 1984, verdichtet den Topos der handwerklichen Zeitherstellung ausgehend von einem historischen Stoff und angesiedelt im 18. Jahrhundert mit sprachlicher Eleganz und betörenden Bildern zu einem Phantasiestück über das Zeitempfinden.t

Musikalische Begleitung: Franziska Rees, Cello

Do 12. Oktober 19 Uhr

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Christoph Ransmayr, geboren 1954 in Wels / Oberösterreich, studierte von 1972 bis 1978 in Wien Philosophie und Ethnologie. Nach Tätigkeiten in Wissenschaft und Journalistik ist er seit 1982 freier Schriftsteller. Sein Roman Die letzte Welt aus dem Jahre 1988, der von Ovids Metamorphosen handelt, die wiederum als carmen perpetuum von der unablässigen und ewigen Neu- und Umgestaltung der Welt handeln, wirkt wie das poetische Pendant zum perpetuum mobile – dem Ewigkeitstraum eines Uhrmachers. Die Liste der Preise und Auszeichnungen für Ransmayr ist lang. Genannt seien hier nur aus den letzten Jahren der Fontane-Preis (2014), der Prix Jean Monnet de Littérature Européenne (2015) und der Prix du Meilleur livre étranger aus dem gleichen Jahr.

Andreas Platthaus lobte in der FAZ Ransmayrs Roman im Superlativ: Denn das ist Ransmayrs Cox auch, und zwar gegen die Behauptung, diese Figuren wären ‚keine Gestalten unserer Tage‘: ein Exerzitium über eine anthropologische Grundfrage und damit absolut modern. Die elegante Prosa, die noch dem Schrecklichsten Schönheit zu verleihen versteht, ist ein Charakteristikum dieses Autors, das wir lange zu kennen glaubten. Doch hier erst gelangt es zur Vollendung.

Mit freundlicher Unterstützung durch die Sparkasse Bielefeld und den Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V.

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Fatma AydemirELLBOGEN | ROMANModeration: Prof. Dr. Ludwig Huber

Mein Name ist Hazal Akgündüz, mein Thema lautet: Überleben. Aber ihre Träume sehen weit mehr vor: Hazal ist Ärztin und voll reich. Respekt. Hazal ist siebzehn, lebt im Wedding, ihre Familie stammt aus der Türkei und ihre Freundinnen heißen Gül und Elma. Ihre Zukunftsaussichten sind eher düster, eine Lehrstelle ist nicht in Sicht, und die Jobberei in der Bäckerei ihres Onkels nichts, was ihren Erwartungen entspräche. Genauso wenig wie das traditionelle Familienleben mit einem eher abwesenden, Taxi fahrenden Vater, einer wenig prägenden Mutter, aber einer Großmutter, die vor allem Hazals Bruder Onur verhätschelt, einen ins Kleinkriminelle abrutschenden Halbstarken. Frustration, Ent- täuschung und der Eindruck dauerhafter Zurücksetzung erzeugen einen unguten Gefühlscocktail aus Resignation und Wut. Zuweilen gemildert durch einen Joint aus Eugens Vorrat. Aber heute ist Hazals achtzehnter Geburtstag und es soll ein besonderer Geburtstag werden. Also machen sich die drei Freundinnen zurecht und auf in den Club ihrer Wahl. Dann nimmt das unvermeidlich Wirkende seinen Verlauf. Aus der Abweisung durch den Türsteher entwickelt sich grenzenlose Wut und der betrunkene Student auf der U-Bahn-Station ist zufällig der falsche Mann mit den falschen Worten und dem falschen Grinsen am falschen Ort. Es kommt zur Auseinandersetzung, zum handfesten Streit, zu ungebremster Gewalt. Hazal bleibt nur die Flucht zu ihrem Facebook-Freund Mehmet nach Istanbul, womit der zweite Teil des Buches beginnt. Doch ist dies die Lösung?

Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin berichtet Fatma Aydemir in zuweilen spröder, geradezu aufsässiger Sprache von einer jungen Frau, die hin- und hergerissen ist, sich eingepfercht fühlt in einer Welt, die nicht die ihre ist, und die doch für alle anderen genauso wenig Respekt übrig hat, wie ihrer Wahrnehmung nach die Umwelt ihr entgegenbringt. Als literarische Figur bietet sie wenig Identifikationsanreize. Das Gewebe der integrierenden Gesellschaft ist fadenscheinig und dünn, die Härte des Daseins und einer eher allseitigen Hoffnungslosigkeit spiegelt sich in der überaus klaren, nichts beschönigenden Sprache. Sicherlich steckt hinter vielem ein aufrichtiges Authentizitätsbemühen, das zugleich die Frage nach der soziologischen Verallgemeinerbarkeit der Figur Hazal aufwirft.

Musikalische Begleitung: Thomas Schweitzer, Saxophon

Fr 13. Oktober 19 Uhr

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Fatma Aydemir, geboren 1986 in Karlsruhe, legt hier ihren aufregenden Debütroman vor. Von 2007 bis 2012 studierte sie Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 lebt sie in Berlin und ist Redakteurin bei der taz. Als freie Autorin schreibt sie für zahlreiche Zeitschriften, unter anderem Spex und das Missy Magazine.

Diese Heldin zeigt keine Reue, schreibt Phillip Bovermann in der Süddeutschen Zeitung. Am wenigsten glaubt Hazal an sich selbst. Das ändert sich im Verlauf von Ellbogen. Doch die Art und Weise, wie der Debütroman von Fatma Aydemir diese Selbstfindung erzählt, enthält jede Menge Sprengstoff.

Der Roman wird zurzeit vom Theater Bielefeld für die Bühne adaptiert.Premiere: Sa 18.11.2017, Theater am Alten Markt.

Mit freundlicher Unterstützung durch den Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V.

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Mi 18. Oktober 19 Uhr

Jonas LüscherKRAFT | ROMAN Moderation: Harald Pilzer

Gelehrtenrepublik Tübingen. Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Walter Jens. Die Ehe am Ende. Finanzielle Sorgen. Innerhalb dieser Ko-ordinaten bewegt sich Richard Kraft, seines Zeichens Rhetorikprofessor und Nachfolger von Walter Jens, als ihm, der Zufall will es, ein ehemaliger Weggefährte aus der gemeinsamen Berliner Zeit, der eher zufällig zu Dissidentenehren gelangte und jetzt in Stanford lehrende ehemalige Kommilitone Istvan Pánczél aus Ungarn, eine Preisfrage übermittelt. 1 Million Dollar für die beste in 18 Minuten im Cemex-Auditorium der Stanford-University vorgetragene Antwort auf die von G.W. Leibniz inspirierte Frage, warum, wenn denn alles gut sei, und die Welt die beste aller denkbaren Welten, sie dennoch verbesserungswürdig sei? Ausgelobt durch den im Silicon Valley zu Reichtum gekommenen Digitalunter-nehmer Tobias Erkner. Für einen gewieften Gelehrten wie Kraft eigentlich ein Klacks, denn in noch nahezu jeder Runde konnte er mit steilen Thesen aufwarten und diese, wenn ihm auch die Zahlen fehlten, aus einem unerschöpflichen Theorievorrat des abendländischen Denkens garnieren und ausgestalten, was ihn wiederum ins Zentrum der Diskussion katapultiert. Jetzt aber in Stanford scheinen Kraft die Ideen und Argumente auszugehen. Er wirkt überfordert, vom way of life, von der digitalen Welt, vom digitalen Fortschritt, zu dem er ein ambivalentes Verhältnis pflegt, denn einerseits hat er seine Habilitation dank eines Computers kommod erledigt, andererseits ist das digitale Zeitalter bislang Werke vom Schlage der Odyssee oder Hölderlins Hyperion schuldig geblieben. Kann Kraft dennoch seinen Restoptimismus aktivieren? Ähnlich wie Wladimir Nabokovs unvergleichlicher, hochgelehrter Professor Timofej Pnin, der an einer mittelbedeutenden Universität in einem mittelbedeutenden US-Bundesstaat scheitert, versagt Kraft angesichts der Zumutungen einer neuen Welt, für die es ihm an einem Kriterien- und Erklärungssystem mangelt. Jonas Lüschers Akademikerroman ist amüsant, lehrreich und tragisch zugleich. Und er ist auf seine Art ein Zusam-mentreffen der Neuen Welt mit dem alten Europa; denn Kraft, der Ärmste, müht sich für seine Antwort einen europäischen Ton zu finden und dies ausgerechnet an einem Arbeitsplatz unter dem Porträt des spöttisch blickenden ehemaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld.

Musikalische Begleitung: Harald Kießlich, Akkordeon / Flügel

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Jonas Lüscher, 1976 in Schlieren bei Zürich geboren, absolvierte zunächst eine Lehramts- ausbildung in der Schweiz und studierte dann nebenberuflich Philosophie in München. Daran schlossen sich eine mehrjährige Tätigkeit am Institut Technik-Theologie-Naturwissen-schaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie ein Promotionsprojekt an der ETH Zürich an, in dessen Rahmen er in Standford hospitierte. Seit 2014 arbeitet Jonas Lüscher als freier Schriftsteller. Einem größeren Publikum wurde er rasch über die 2013 publizierte Novelle Frühling der Barbaren bekannt. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2016 mit dem Hans-Fallada-Preis.

Die kühle Intellektualität dieses Autors ist ein schöner Fremdkörper in einer Zeit, in der Reflexionsprosa nicht allzu hoch im Kurs steht. So berechtigt es auch sein mag, Literatur zu einer Hilfskraft der Einfühlung zu machen, um der Diversität der Lebenswelten gerecht zu werden, so wohltuend ist der Laserblick eines Jonas Lüscher … schrieb Christoph Schmidt in der Süddeutschen Zeitung.

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Ingo SchulzePETER HOLTZ. SEIN GLÜCKLICHES LEBEN | ROMANModeration: Klaus-G. Loest

Peter Holtz ist unglaublich naiv und trotzdem hellsichtig. Er ist ein Fragender und hat doch eine Mission: In diesem Roman kämpft er für eine bessere Welt und erfindet den Punk. Er versteht nicht, warum man das Geld nicht einfach abschafft. Er setzt sich für eine christlich-kommunistische Demokratie ein. Seine Selbstlosigkeit belohnt die in Ostdeutschland neu eingeführte Marktwirtschaft mit einem Vermögen von 60 Millionen Euro. Was ist da bloß schiefgegangen? Und vor allem: Wie wird Peter Holtz das Geld mit Anstand wieder los?

Ingo Schulze äußert über seinen Helden: Er ist ein Heimkind und glaubt zutiefst an den Kommunismus. Er nimmt ihn beim Wort, so wie er später das Christentum beim Wort nehmen wird und auch die Verheißungen des westlichen Kapitalismus. Er selbst wird darüber zur absurden Figur, aber ebenso wird es, nach meiner Lesart auch die jeweils real existierende Gesellschaftsform, in der er sich bewegt. … Ein Simplicius, der bei mir Peter Holtz heißt.

Der Autor stellt hier auf seine unvergleichliche Art erneut Grundsatzfragen, erzählt mit Witz und Verweisen in die Literaturgeschichte von dem, was alle bewegt: vom Geld.

Musikalische Begleitung: Matthias Klause-Gauster am Flügel

Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren, lebt, nach Arbeitsaufenthalten in St. Petersburg und New York, heu INGO SCHUL

Do 19. Oktober 19 Uhr

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Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren, lebt, nach Arbeitsaufenthalten in St. Petersburg und New York, heute in Berlin. Sein Studium der klassischen Philologie schloss er mit einem Text über Euripides ab und arbeitete zunächst als Schauspieldramaturg. Politisch engagierte er sich im Neuen Forum und war nach der Wende Mitherausgeber des Altenburger Wochenblattes. Bereits sein erstes Buch 33 Augenblicke des Glücks, 1995 erschienen, wurde sowohl von der Kritik als auch dem Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Einzelne Erzählungen sind im New Yorker abgedruckt worden. Simple Storys: Roman aus der ostdeutschen Provinz, sein spektakulärster Erfolg, ist inzwischen zur Schullektüre geworden. Danach schrieb er unter anderem sein Opus magnum Neue Leben und die Erzählungen Handy, die mit dem Preis der Leipziger Buchmesse gewürdigt wurden. Das Künstlerbuch Einübung ins Paradies erschien im letzten Jahr. Ingo Schulzes Werk ist mit zahlreichen, auch internationalen Preisen ausgezeichnet und in 30 Sprachen übersetzt worden.

Elmar Krekeler urteilte in der Literarischen Welt über Neue Leben: Das ist nicht Wende- das ist Weltliteratur. Ingo Schulze ist ein großer Erzähler äußerte bereits Günter Grass.

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Klaus NüchternKONTINENT DODERER. EINE DURCHQUERUNG | SACHBUCH

Moderation: Harald Pilzer

Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will. Den Beginn des Romans Ein Mord den jeder begeht aus dem Jahre 1938 mögen viele als Bonmot kennen, den Autor Heimito Von Doderer nicht. Vom Spiegel 1957 als Spätzünder deklariert und gleichwohl zum Thronfolger für die verwaisten Thronsessel der deutschen Literatur ernannt, blieb der 1896 geborene Wiener, dem erst in den frühen fünfziger Jahren mit der Strudlhofstiege der literarische Durchbruch gelang, und dessen Roman Die Dämonen 1956 rechtzeitig zum 60. Geburtstag eine geradezu fulminante Aufnahme fand, dennoch eine Art Geheimtipp, nicht gerade massentauglich und dies nach seinem Tod 1966 erst recht. Zu Unrecht, wie der österreichische Literaturkritiker Klaus Nüchtern findet, der zum fünfzigsten Todestag im vergangenen Jahr den Kontinent Doderer neu vermessen hat. Ein Kontinent, der geographisch Wien heißt, und aus sieben, zum Teil dickleibigen Romanen, vielen Erzählungen und Tagebüchern, besteht, die abschrecken mögen, die jedoch raffiniert konstruiert sind, einen spannungsreichen Aufbau zeigen, zeitgeschichtlich aktuell sind und einen zuweilen ins Groteske übersteigerten Humor pflegen. So erfindet Doderer in den Merowingern, einem nicht-historischen Familienroman, die Firma Hulesch & Quenzel. Sie zeichnet verantwortlich für alle die Produkte, die in einer nicht-digitalen Welt zu enervieren vermögen wie Nadeln ohne Öhre oder Badarmaturen, an denen man sich mit Sicherheit stößt.

Bei einem Autor, der von 1896 bis 1966 lebte, bleibt die Zeit des Nationalsozialismus nicht ohne biographische Einwirkung und Doderers zumindest befragenswerte Haltung – auch wenn durch Hilde Spiel rehabilitiert – hat nicht zuletzt die Rezeption des Werks seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts behindert, genauso wie sein Konservatismus und seine Art zu schreiben als nicht mehr zeitgemäß galten. Was treibt also Klaus Nüchtern an oder um? Verpasst man etwas, wenn man Doderer auslässt? Na, keine Frage! Und darauf hinzuweisen ist auch das eigentliche Anliegen dieses Buches. Es will zeigen, wie die Literaturmaschine Doderer funktioniert und wie man sie zum eigenen Pläsier nutzen kann.

Musikalische Begleitung: Franziska Rees, Cello

Fr 20. Oktober 19 Uhr

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Klaus Nüchtern, geboren in Linz an der Donau, studierte Germanistik und Anglistik in Wien. Er leitete das Feuilleton der Zeitung Falter, für die er nach wie vor als Kolumnist und Kritiker tätig ist. 2011 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik, zuletzt erschien 2012 Buster Keaton oder die Liebe zur Geometrie.

Friedmar Apel schrieb in der FAZ: Klaus Nüchtern wirbt informativ, auch was die biographischen Hintergründe angeht, und höchst unterhaltsam für Doderer. Sein Verzeichnis der Personen der Romane mit charakteristischen Aussprüchen und Beschreibungen ist nicht nur nützlich für den Leser, sondern auch ein Lesevergnügen für sich, in dem Doderers herrlich schräger Humor bestens zur Geltung kommt. Diesem Urteil kann man sich überzeugt anschließen und den Amtsrat Julius Zihal als einen von vielen Leseeinstiegen in den Wiener Kosmos Doderers empfehlen oder René von Stangeler, Doderers literarisches Alter ego.

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Petina Gappah DIE SCHULDIGEN VON ROTTEN ROW | STORIESAus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Originaltitel: Rotten Row.Einführung und Übersetzung: Dr. Gisela Feurle, Zimbabwe Netzwerk e.V.Lesung der deutschsprachigen Texte: Carmen Priego, Theater Bielefeld.Moderation: Klaus-G. Loest

In der Rotten Row, der geschichtsträchtigen Straße mitten in Zimbabwes Hauptstadt Harare, liegt der Strafgerichtshof. Das ist der Ausgangspunkt für die zwanzig miteinander verknüpften Stories, in der berüchtigte Sammeltaxifahrer, Marktfrauen, Friseurinnen, korrupte Polizisten, gerissene Anwälte und redselige Richter lebendig werden. Es sind einprägsame Figuren, quer durch alle Gesellschafts- schichten, Rassen und Geschlechterzuordnungen von denen mit Leidenschaft erzählt wird. Aber auch die Mittelmäßigkeit des Justizsystems, sowie Ursachen und Auswirkungen der Kriminalität werden durch die vitalen Erzählungen greifbar.

DIE ZEIT lobte ihre überschießende Sprachmächtigkeit, der Stern ihren Blick auf das heutige Simbabwe.

Die Schuldigen von Rotton Row ist ein buntes Panorama der von Globalisierung und Traditionen gleichermaßen geprägten modernen simbabwischen Gesellschaft, mit dem Petina Gappah erneut ihren unvergleichlich pointierten Humor, ihre besondere Beobachtungsgabe sowie ihr Gespür für tiefgründige, universelle Figuren unter Beweis stellt.

Musikalische Begleitung: Thomas Schweitzer, Saxophon

Di 24. Oktober 19 Uhr

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Petina Gappah, 1971 in Sambia geboren, wuchs im damaligen rassentrennenden Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe, mit ihrer Muttersprache Shona auf. Sie studierte Jura an der University of Zimbabwe, dann in Cambridge und promovierte an der Universität Graz. Als Juristin und Journalistin arbeitete sie in Genf. 2009 erschien ihr erstes Buch, der Erzählungsband An Elegy for Easterly, für den sie mit dem Guardian First Fiction Award ausgezeichnet wurde. Die Farben des Nachtfalters heißt ihr im letzten Jahr publiziertes Romandebüt, in dem es um die Gefängnisinsassin Memory geht, die, an Albinismus erkrankt, einer amerikanischen Journalistin ihr Leben erzählt, während sie in tiefer Einsam-keit auf die Vollstreckung ihres Todesurteils wartet.

Die Autorin schreibt auf Englisch und hat durch den Schriftsteller Joseph Conrad die Kurzgeschichte für sich entdeckt. Zurzeit lebt sie mit ihrem Sohn als DAAD-Stipendiatin in Berlin.

Petina Gappah ist eine glänzende Erzählerin, lobte Nobelpreisträger J.M. Coetzee als 2009 ihr Debüt erschien. Colson Whitehead, Pulitzer-Preisträger 2017, formulierte: Petina Gappahs Rotten Row steht für das heutige Harare wie Dickens für das viktorianische London. In Rotten Row hat Gappah einen Weg gefunden, beißende Gesellschaftskritik mit den Anforderungen der Unterhaltung zu verknüpfen, und das Ergebnis ist wirklich brillant. Financial Times

Die englischsprachigen Anteile der Veranstaltung werden ins Deutsche übersetzt, die übersetzten Erzählungen liest die mit dem Theatertaler der Theater- und Konzertfreunde Bielefeld ausgezeichnete Schauspielerin und Autorin Carmen Priego vor.

In Kooperation mit dem Zimbabwe Netzwerk e.V.

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Anna KimDIE GROSSE HEIMKEHR | ROMANModeration: Angelika Teller

Was wissen wir eigentlich über die Geschichte Koreas? Dass es ein geteiltes Land ist, wie einst Deutschland. Dass Nordkorea, regiert von einem Despoten in Erbfolgemanier, eine gefährliche und unkalkulierbare Atommacht ist, die ihre Bevölkerung indoktriniert und hungern lässt.Südkorea hingegen hat Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften ausgerichtet, ist bekannt für Computer- und Automarken und hatte im vergangenen Jahr einen veritablen Politikskandal um die Präsidentin Park. Aber was wissen wir in Europa tatsächlich über die jüngere Geschichte Koreas, den Kalten Krieg in diesem Teil der Welt?Nach der Lektüre dieses Buches wird deutlich, dass unser Wissen recht dürftig ist. Anna Kim erzählt uns in Die große Heimkehr einen Teil dieser koreanischen Geschichte. Die eigentliche Handlung des Romans beginnt 1960 in Seoul. Im Mittelpunkt stehen der junge Johnny Kim, seine Geliebte Eve Moon und sein Kindheitsfreund Yunho Kang. Die drei sind auf der Flucht vor der Nord-West-Jugend, einer paramilitärischen, regimetreuen Schlägertruppe des südkoreanischen Diktators Rhee. Johnny gerät mit ihnen in einen tödlich endenden Streit. Gemeinsam fliehen die Freunde auf illegalem Weg nach Japan. Doch Osaka ist für sie keine wirkliche Rettung. Sie sind fremd sowohl unter den Japanern als auch unter den dort lebenden Koreanern. Als ein Mädchen im koreanischen Viertel Osakas verschwindet, wird Johnny verdächtigt.

Die große Heimkehr ist ein historischer Roman und erzählt zugleich eindringlich an Hand individueller Schicksale, wie Menschen in unmenschlichen Systemen zu überleben suchen.

Musikalische Begleitung: Valentin Katter, Trompete/Flügelhorn und Nils Rabente am Flügel

Mi 25. Oktober 19 Uhr

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Wenn eine Geschichte so unfassbarer Grausamkeiten so berührend nachhallt, dann ist das wunderbare Literatur.

Sabine Vogel, Frankfurter Rundschau

Anna Kim wurde 1977 in Südkorea geboren und wuchs in Gießen und Wien auf.2004 erschien ihr erstes Buch Die Bilderspur. Die große Heimkehr ist bereits ihr vierter Roman.Anna Kim erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien für ihre literarischen Arbeiten.

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Lukas BärfussHAGARD | ROMAN Moderation: Dr. Maria Kublitz-Kramer, Literarische Gesellschaft

Das Leben vollzieht sich in ruhigen Bahnen. … Selten wird hier eine Existenz nach dem vierzigsten Lebensjahr anders zu Ende gehen als mit einem allmählichen Verglühen, was vielleicht der falsche Begriff ist, da er ein Brennen voraussetzt.

Philip, ein Liegenschaftsverwalter Ende Vierzig, bestens eingefügt in das normierte Gefüge, wird sich innerhalb von 36 Stunden ruinie-ren. Anfangs ist es ein Spiel, das er jederzeit abbrechen könnte. Um eine Wartezeit zu überbrücken, folgt der termingetriebene Mann aus einer Laune heraus einer wildfremden Frau quer durch Zürich. Genauer gesagt, er folgt ihren Schuhen, die ihm als Erstes auffallen: pflaumenblaue Ballerinas. Wissend um die Ungehörigkeit, bleibt er ihr, deren Gesicht er nicht einmal sehen kann, trotzdem distanziert auf den Fersen, wird dadurch erst zum Schwarzfahrer, dann zum Betrüger. Er will ja nur sehen, wohin die junge Frau geht. Er lässt sich betören, genießt ihre Gesten, ihre Anmut, sieht das Licht auf ihrem Haar. Vielleicht könnte ihn seine Sekretärin Vera retten, die allerdings, wegen einer flauen Liebschaft, den entscheidenden Anruf im Büro verpasst. Und da gibt es die übergenaue Kinderfrau, die illegal in der Schweiz lebt. Eigentlich sollte Philip sich um die vielleicht inzwischen verunglückten Senioren kümmern, denen er das Ferienhausobjekt in Spanien verkaufen will. Eine völlig andere Dimension der Unsicherheit wird im Handlungshintergrund virulent, als Philip von der spurlos verschwundenen Boeing 777 der Malaysia Airlines und anderen verstörenden Weltereignissen erfährt. Während die Energiereserven seines Smartphone-Akkus kontinuierlich absacken, die Hinweise auf die Pegelstände durchziehen den Roman, rennt der effektivitätsgetrimmte Mann weiter in sein Unglück.

Musikalische Begleitung: Matthias Klause-Gauster am Flügel

Do 26. Oktober 19 Uhr

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Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun, in der Schweiz, ist Dramatiker, Romancier und Essayist. Seine Stücke werden weltweit gespielt, seine Romane liegen in zwanzig Sprachen übersetzt vor. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt, wie seine Romanfigur Philip, in Zürich.

In der Süddeutschen Zeitung wird dieser glaubwürdige und doch so rätselhafte Text resümiert: Bärfuss erschafft … ein starkes Relief unserer Gegenwart, … erkundet den Menschen in der gegenwärtigen Phase des Maschinenzeitalters. Unter der Hand verfolgt der Roman eine starke These: dass das Smartphone unsere Lebenswelt grundlegend verändert und die menschliche Triebstruktur umstülpt. … Mit einer Ambivalenz, wie sie nur in der Literatur möglich sei, würde der Übertretungsgestus ausgekostet.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft OWL, Literaturhaus Bielefeld e.V.

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Do 02. November 19 Uhr

Natascha WodinSIE KAM AUS MARIUPOL | ROMANModeration: Angelika Teller

Ihr Leben als Fremde in Deutschland war vermutlich keine neue Erfahrung für sie, sondern eine Fortsetzung dessen, was sie seit jeher kannte. Ich hatte mir seit jeher ein falsches Bild von ihr gemacht. Sie war keine Entwurzelte, sondern eine Wurzellose von Anfang an, schon geboren als eine Displaced Person.

Zu dieser schmerzlichen Erkenntnis kommt Natascha Wodin in ihrem Buch auf der Suche nach ihrer Mutter - Jewgenja Jakowlewna Iwaschtschenko, die sich im Alter von 36 Jahren ertränkte. Zu diesem Zeitpunkt war Natascha Wodin zehn Jahre alt und lebte mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester in verschiedenen, deutschen Lagern für Displaced Persons. Auch sie fühlte sich ausgestoßen, nicht zugehörig – das Russenkind. Nach nunmehr sechzig Jahren begibt sich die Tochter via Internet auf die Suche und findet mit Hilfe des genealogiebesessenen Konstantin tatsächlich Spuren ihrer Familie aus Mariupol, einer Stadt am Asowschen Meer.Das spärliche Wissen über die eigene Herkunft füllt sich an mit nie gekannten Familienmitgliedern und deren Lebensgeschichten, die geprägt waren von den Verheerungen des 20. Jahrhunderts, dem grausamen Bürgerkrieg nach der Revolution 1917, der stalinistischen Willkürherrschaft und den deutschen Verbrechen in der Sowjetunion.Natascha Wodin schafft es, die historischen Ereignisse, die untrennbar mit den persönlichen Schicksalen der Familie verbunden sind, und die eigenen Vorstellungen miteinander zu verknüpfen. Dabei bleibt ihre Sprache gleichermaßen sachlich wie emotional. Es ist ein bewegendes Geschichts- und Geschichtenbuch.Dafür erhielt die Autorin den Alfred-Döblin-Preis sowie den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse.

Musikalische Begleitung: Das Lemming-Duo

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Sigrid Löffler sagte in ihrer Laudatio zur Verleihung des Alfred-Döblin-Preises an Natascha Wodin:

Empathie entsteht nur für einzelne Menschen … Nur an menschlichen Einzelschicksalen, wie bruchstückhaft auch immer, lässt sich aufzeigen, wie Geschichtsereignisse in individuelle Biographien eingreifen und wie grundlegend das Zeitgeschehen das Leben des Einzelnen bestimmt.

Natascha Wodin wurde 1945 in Fürth als Tochter verschleppter sowjetischer Zwangsarbeiter geboren. Sie absolvierte eine Sprachenschule und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin. Seit 1981 ist Natascha Wodin freie Schriftstellerin. Viele ihrer Bücher tragen deutlich autobiografische Züge wie z.B. Die gläserne Stadt (1983), Einmal lebt ich (1989), Nachtgeschwister (2009). Für ihre literarischen Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet.

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Katharina Hacker SKIP | ROMANModeration: Dr. Saskia Fischer, Universität Bielefeld

Skip, die titelgebende Figur des neuesten Romans von Katharina Hacker, macht urplötzlich eine Erfahrung, die alles verändert: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht – ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Selbst unsicher, was zu tun ist, steht er ihnen bei, ja versetzt sich ganz in sie hinein. Die Aufgabe, die ihn durch ganz Europa, immer wieder aber auch nach Tel Aviv, wo er lebt, zurücktreibt und die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt seine Familie fast auseinanderbrechen.

Hackers Text wirft damit auch die großen Fragen unserer Zeit auf: Wie lässt sich in Zeiten von Terror und Gewalterfahrungen und ganz generell angesichts von Tod und Zerstörung das eigene Leben leben? Inwiefern fordert das Leid der Anderen unsere ganze Empathie?

Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, studierte ab 1986 Philosophie, Geschichte und Judaistik an der Universität Freiburg. 1990 wechselte sie an die Hebräische Universität Jerusalem. Seit 1996 lebt sie als freie Autorin in Berlin.

Musikalische Begleitung: Matthias Kämper am Flügel

Di 07. November 19 Uhr

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1997 debütierte Katharina Hacker mit dem Buch Tel Aviv. Eine Stadterzählung, es folgten der Erzählungsband Morpheus oder Der Schnabelschuh und die Romane Der Bademeister und Eine Art Liebe. Anschließend schrieb sie den viel beachteten Roman Die Habenichtse, für den sie 2006 den Deutschen Buchpreis erhielt, sowie den Gedichtband Überlandleitung. Es folgten die Prosatexte Alix, Anton und die anderen und Die Erdbeeren von Antons Mutter. Skip wurde vor zwei Jahren erstmals publiziert.

Über diesen Roman hieß es im Deutschlandradio Kultur: Poetisch und lebensklug verbindet Katharina Hacker den Alltag zwischen Tel Aviv und Berlin mit großen philosophischen Fragen … ein politisches Manifest und Aufklärung für Sinne und Verstand. Für NDR Kultur ist das Buch ein literarischer Glücksfall.

Eine Kooperationsveranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e. V., Bielefeld, und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. mit der Stadtbibliothek Bielefeld.

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Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.

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Joachim Radkau GESCHICHTE DER ZUKUNFT: PROGNOSEN, VISIONEN, IRRUNGEN IN DEUTSCHLAND VON 1945 BIS HEUTEModeration: Klaus-G. Loest

Den Kindern der 50er Jahre, die Bücher wie Das Neue Universium mit großen Augen verschlungen haben, war völlig klar, dass in Kürze Roboter im Haus arbeiten und vielleicht sogar die Macht übernehmen, Ferienausflüge zum Mars gebucht und kleine Atomreaktoren im Garten aufge-baut werden. Sind wir heute nur Besserwisser? Radkaus Buch bleibt bei diesem verführerischen, aber viel zu simplen Gestus selbstverständ-lich nicht stehen. Die Zukunftserwartungen der Nachkriegszeit sind nur zu erfassen, wenn der Blick viel weiter reicht. Hier geht es umfassend um Wirtschaft, Politik, Kultur, um höchst unterschiedliche Zukunftskonstruktionen in Ost und West, um das völlig unerwartete Wirtschafts- wunder, das zu einem viel schnelleren Wiederaufbau führte als viele zu hoffen gewagt hatten. Was wird aber aus Wald und Landwirtschaft als Lebensgrundlagen? Kommen die Russen oder doch die Roboter? Ist zuerst eine Bildungs- und dann eine Wirtschaftskatastrophe zu er-warten? Auch die Frage, wo Arbeit und Einkommen bleiben, wenn die Arbeitswelt bald vollautomatisiert sein würde, ist keineswegs neu. Wir begegnen aber auch fast vergessenen Prognosen. Der Historiker erinnert an die Zick-Zack-Idee zum gesellschaftlichen Fortschritt, die Jürgen Kuczynski äußerte, Pichts Bildungsalarm, Robert Jungks Entwicklung vom Technikeuphoriker zum gewichtigen Atomkraftgegner und an Ernst Blochs Hoffnungsphilosophie vor dem Hintergrund der Heimatlosigkeit.Joachim Radkau hat erforscht, wie sich die Deutschen seit 1945 ihre Zukunft ausgemalt haben. Hoffnungen und Ängste, Unkenrufe und Utopie-Blasen, fatale Irrtümer und unerwartete Wendungen: Im Rückblick staunt man, wie sicher wir zu wissen glauben, was auf uns zukommt. Ein ungewöhnlicher Blick auf die deutsche Geschichte von einem der originellsten Historiker unserer Tage, wie er nicht nur von seinem Verlag charakterisiert wird.

Musikalische Begleitung: Matthias Kämper am Flügel

Mi 08. November 19 Uhr

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Joachim Radkau, Jahrgang 1943, habilitierte sich mit einer Studie über Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft, lehrte als Professor bis vor acht Jahren Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld und wohnt heute in einem 120 Jahre alten Haus in Bielefeld-Schildesche.

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Radkau bekannt als er im Jahr 2000 die Weltgeschichte der Umwelt unter dem Titel Natur und Macht veröffentlichte. Zu seinen weit über Historikerkreise hinaus beachteten Werken zählen Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, seine vielschichtigen Biografien Max Weber: Die Leidenschaft des Denkens und Theodor Heuss. Letztere wurde ausgezeichnet mit dem Einhardpreis für die herausragende Biographie einer Persönlichkeit, deren Wirken in einer engen Beziehung zu Europa steht.

Über dieses, vom Bayrischen Rundfunk als kluges und äußerst amüsantes Geschichtsbuch titulierte neueste Werk, schrieb Elisabeth Von Thadden in der Wochenzeitung DIE ZEIT:Atomtod, Bildungskatastrophe, Siegeszug des Sozialismus, Waldsterben – Joachim Radkau hat aus den abgelegensten Quellen zusammengetragen, welche Prognosen, Visionen und Irrungen in Deutschland seit 1945 die Zukunftserwartungen bestimmt haben ... Die Lieblingszutaten in dieser Geschichte sind die Ironie, das Unverfügbare, das Offene, das Paradox. Und Radkaus Lieblingsgegner ist die große Meistererzählung von der einen Historie.

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Kristina Pfister DIE KUNST, EINEN DINOSAURIER ZU FALTEN | ROMANModeration: Angelika Teller

Was fange ich an, wenn ich mit dem Studium fertig bin, aber noch lange nicht fertig für den sogenannten Ernst des Lebens? Alles scheint vorgezeichnet und verlangt nach Anpassung, und auch die Lebensläufe sollten lückenlos und erfolgversprechend sein.

Es waren drei Monate hier, dann drei dort, dann drei woanders, vierzig Wochenstunden und vierhundert Euro, während meine ehemaligen Kommilitonen Fotos von neuen Freunden, die sie auf Auslandssemestern kennengelernt hatten, von ihren neuen Errungenschaften, die sie sich von ihrem ersten Gehalt gekauft hatten, Bildern und Partys zum Studienabschluss ins Internet stellten… Ich wohnte in Wohnblöcken am Rande der Stadt und war ständig erkältet.

Das Leben scheint sinn- und ereignislos an Annika vorüberzuziehen. Sie ist Mitte zwanzig, hat einen Abschluss in Kulturwissenschaften, langweilt sich und ist dabei ziemlich einsam. Ihre gleichaltrige Nachbarin Marie-Louise hingegen verkörpert das genaue Gegenteil. Sie ist draufgängerisch, unvernünftig, leichtsinnig und planlos. Zwischen den beiden ungleichen Frauen entsteht eine enge Freundschaft und gemeinsam verbringen sie einen Sommer voller Dynamik. Für Annika ist es ein Aufbruch.

Musikalische Begleitung: Valentin Katter, Trompete/Flügelhorn und Nils Rabente am Flügel

Fr 10. November 19 Uhr

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Pfisters Roman ist ein Plädoyer für das Ausscheren, das Abweichen, für das Beharren auf eigene Fragen und Wünsche. Einfache Antworten darauf, wie genau das geht und wohin das führt, gibt es in Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten natürlich nicht. Carola Ebeling, ZEIT-ONLINE

Kristina Pfister, Jahrgang 1987, ist in Bamberg geboren. Sie hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften studiert. Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten ist ihr erster Roman.

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Weitere Veranstaltungen in der Stadtbibliothek am Neumarkt Kein Vorverkauf. Näheres siehe www.stadtbibliothek-bielefeld.de unter Aktuelles

Fr 22. September, 19.00 Uhr Hellmuth Opitz: In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten. Buchpremiere des neuen Gedichtbands. Sechs Jahre nach seinem erfolgreichen Gedichtband Die Dunkelheit knistert wie Kandis setzt der neue Band schon vom Titel her einen Kontrast. Die neuen Gedichte sind ernster, wirklichkeitsbewusster und welt-anschaulicher. Gleichzeitig verfügen sie über Qualitäten, für die Hellmuth Opitz bekannt ist, die große Bildintensität und das ironische Augenzwinkern. Diese Gedichte sind wie Akkus aus Sprache. Sie laden Wirk-lichkeiten lyrisch auf, bringen alltägliche Momente zum Leuchten und erzählen Geschichten, die sehr fein be-obachtet sind. Dabei kommen sie so mühelos und unangestrengt daher, dass man immer wieder überrascht ist, wie unmerklich sich umgangssprachliche Lakonie in poetische Magie verwandeln kann. Die Bielefelder Singer/Songwriterin Kristin Shey sorgt mit ihren filigranen und intimen Songs für die musikalische Begleitung.Eintritt 8,- / 6,- Euro

Mi 27. September, 20.00 UhrLiteraturkritiker im Gespräch: Andreas Platthaus, FAZ.Moderation: Prof. Dr. Kai Kaufmann

Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse hat die Literarische Gesellschaft in ihrer Reihe Literaturkritik- Gespräche Andreas Platthaus eingeladen, den Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.Eintritt 8,- / 5,- Euro. © F.A.Z. -

Foto: Wolfgang Eilmes

© Helga Schöning

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Weitere Veranstaltungen in der Stadtbibliothek am Neumarkt Kein Vorverkauf. Näheres siehe www.stadtbibliothek-bielefeld.de unter Aktuelles

Fr 29. September, 19.00 Uhr Autorenlesung Gerhard Henschel: in und über Bielefeld.Die Romanwelt des Satirikers fängt das OWL-Feeling der 80er Jahre ein.Er kehrt zurück an den Ort des Grauens. Der Literatur-Allrounder Gerhard Henschel – Verfasser vieler preisgekrönter Romane, kulturhistorischer Sachbücher, Satiren und Bob-Dylan-Übersetzer – liest aus sei-nen stark autobiografisch geprägten Romanen. Der lokale Bezug: Der fiktive Romanheld Martin Schlosser war viele Monate lang Zivildienstleistender bei der Bielefelder Arbeiterwohlfahrt. Anschließend studierte er in Bielefeld die klassischen Taxifahrerfächer Literaturwissenschaft und Soziologie. In seiner Lesung wird Henschel diese Zeit rekapitulieren und außerdem einen Potpourri aus Zungenbrechern und satirischen Texten zum Besten geben.Eine Gemeinschaftsveranstaltung der Stadtbibliothek Bielefeld mit der Literarischen Gesellschaft Bielefeld und der Literaturkommission für Westfalen. Eintritt beträgt 8,- / 6,- Euro.

Do 16. November, 19.00 UhrZerreißprobe im Literaturcafé: Aktuelle Bücher in der Kritik.In Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V.

Fr 17. NovemberWeltweiter Vorlesetag: Ein Lesemarathon.Mit Unterstützung des Vereins der Freunde und Förderer der Stadtbibliothek e.V.

© Jochen Quast

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Die Literaturtage Bielefeld sind eine Produktion der Stadtbibliothek Bielefeld.Neumarkt 1 | 33602 Bielefeld | 0521 51-5000 | [email protected]

Programmverantwortung: Harald Pilzer M.A.Programmkoordination: Klaus-G. Loest, Angelika TellerHeftredaktion: Harald Pilzer, Klaus-G. Loest, Angelika TellerGestaltung: com,ma Werbeberatung GmbH, Bielefeld

Impressum:

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Wir unterstützen die Literaturtage

und nicht nur das …

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Einfach gut für Bielefeld.Lesen eröffnet neue Welten.Darum unterstützen wir gernedie Literaturtage 2017.

Weil etwas Guteszu lesen so wichtig ist.

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