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Aktuelles in Kürze SCHWEIZER BEVÖLKERUNG: TECHNIK- UND WISSEN- SCHAFTSFREUNDLICH, ABER ... Im September 1995 hat die UNIVOX bei 709 Stimm- und Wahlberechtigten Interviews durchgeführt, um zu erfahren, welche Einstellung die Bevölkerung zu Wissenschaft und Technik hat. Die Repräsentativ-Befragung (ganze Schweiz, ohne Tessin) wurde vom Zürcher Institut «cultur prospectiv» konzipiert und kommentiert. Die Studie belegt die zentrale Stellung der Werte Arbeit und Umwelt und zeigt, dass Schweizer und Schweizerinnen Wissenschaft und Forschung hauptsächlich durch ihre Produkte und Anwendungen wahr- nehmen und bewerten. Von Seiten der Wissenschaft, Forschung und Industrie wird der Bevölkerung häufig Unverständnis und Nicht- wissen im Bereich Wissenschaft und Technik vorgewor- fen. Dieser Vorwurf stimmt jedoch nicht, wie die von MEIER & NEF (1997) publizierte Arbeit belegt. Die Studie wurde im Auftrag der Gruppe für Wissenschaft uHd For- schung, des Schweizerischen Wissenschaftsrates und der Eidgenössischen Bundeskanzlei vom Institut «cultur pro- spectiv» erarbeitet. Laut dieser Studie bedeuten mode rne Wissenschaft und Technik für 66% der Befragten «aufs Ganze gesehen eher ein Segen für die Menschheit»; sie vereinfacheH bei 56% das Leben uHd sind bei 54% Hoffnungsträger dafür, dass die Schweiz international «technisch wieder ganz vorne dabei ist». Gut schneiden die Hochschulen ab: 72% der Befragten verstehen die UniversitäteH als Zukunftschance, und nur eine Minderheit sieht in ihneH einen geldverschliHgenden Elfen- beinturm. Das Gros der Bevölkerung unterstützt also Wissen- schaft und Technik, doch ist das einfache, optimistische Bild der 50er und 60er Jahre einer differenzierteren und kritische- ren Beurteilung gewichen. Die Studie zeigt, dass Grosstech- nologien eher als problematisch empfunden werden, wäh- rend Kleintechnologien (vor allem im Bereich der individu- ellen Nutzung in Arbeit, Haushalt oder Freizeit) meist positiv bewertet werden. High-tech auf den hinteren Rängen Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Schweizer und Schweizerinnen Wissenschaft und Technik eng mit eigenen Werthaltungen und dem sozialen Nutzen verknüpfen. Dies zeigt sich deutlich, wenn man die Leute nach den For- schungsprioritäten fragt: Techniken, die Arbeitsplätze erhal- ten und die Umwelt entlasten, stehen in der Wertskala ganz oben. High-tech-Projekte hingegen (GentechHologie sowie EHtwicklung neuer Computer- und Telematiksysteme) findet man hinten in der Prioritätenliste. Der Widerspruch ist offensichtlich: Einerseits werden moderne Technik und Wissenschaft als Motor der Entwick- lung und Garanten für eine gesicherte Zukunft verstaHden, andererseits haftet ihnen aber auch der Ruf an, dass sie über Rationalisierungen Arbeitsplätze vernichten. Dies, obschon Führungskräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft immer wie- der versichern, dass es gerade die Investitionen in High-tech sind, die neue Arbeitsplätze schaffen und die Umweltproble- me lösen helfen. «Der Beweis, dass dem so ist, ist eben bis jetzt nicht überzeugend geführt worden», kommentiert der Soziologe Hans-Peter Meier, Mitinhaber des Zürcher Instituts «cultur prospectiv» und einer der Autoren der Studie. Die Erfahrung der Bevölkerung besage vielmehr, dass beispielsweise Tau- sende von Bankangestellten ihre Stelle verloren hätten, in anderen Branchen jedoch kaum neue Arbeitsplätze geschaf- fen würden. Gemäss Meier berührt eiHe Technik und Wissen- schaft, die Arbeitsplätze vernichtet, ohne neue zu schaffen, den Kern schweizerischer Identität. Geht es um die zentralen Werte Arbeit und Ökologie als Ziel der Entwicklung, gibt es kaum Unterschiede zwischen den sozialen Schichten und den Sprachregionen. Ausweg aus der Krise: eine Polarisation Hingegen sind sich die Befragten nicht einig, wie die Krise zu lösen ist. 50% setzen eher auf die marktorientierte Strate- gie: Das beste seien InvestitioneH in die Sektoren Wissen- schaft uHd Technik, um konkurrenzfähig zu bleiben (Sozial- ausgaben sind für dieses Lager eine Last und langfristig eiHe Fehlinvestition). Die sozial orientierte GrHppe setzt andere Prioritäten: Sie will das knappe Geld vor allem für soziale Zwecke einsetzen (die Schaffung des sozialen Gleichge- wichts hat Vorrang). Die Umfrage bestätigt zudem frühere Trends, wonach die Westscheizer ein bedeutend grösseres Vertrauen in die neuen Technologien haben und eher der ersten Strategie zuneigen, während Deutschschweizer eher den zweiten Weg bevorzugen. Sozial angepasste High-tech-Lösungen sind gefragt Um diesen Graben zu überbrücken, schlägt Meier zehn Emp- fehlungen und Massnahmen vor. So plädiert er beispielswei- se für eine Wissenschafts- und Technologiepolitik, die ihre Prioritäten an den beiden Werten Arbeit und Ökologie misst. Es sollen Projekte lanciert werden, die für alle sichtbar den Beweis liefern , dass High-tech tatsächlich Arbeit schafft. Er rHft die Ver antwortlichen dazu auf, nicht nur neue Einzelpro- 32

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Aktuelles in Kürze

SCHWEIZER BEVÖLKERUNG: TECHNIK- UND WISSEN-SCHAFTSFREUNDLICH, ABER ...

Im September 1995 hat die UNIVOX bei 709 Stimm- und

Wahlberechtigten Interviews durchgeführt, um zu erfahren,

welche Einstellung die Bevölkerung zu Wissenschaft undTechnik hat. Die Repräsentativ-Befragung (ganze Schweiz,

ohne Tessin) wurde vom Zürcher Institut «cultur prospectiv»

konzipiert und kommentiert. Die Studie belegt die zentrale

Stellung der Werte Arbeit und Umwelt und zeigt, dass

Schweizer und Schweizerinnen Wissenschaft und Forschung

hauptsächlich durch ihre Produkte und Anwendungen wahr-

nehmen und bewerten.

Von Seiten der Wissenschaft, Forschung und Industriewird der Bevölkerung häufig Unverständnis und Nicht-wissen im Bereich Wissenschaft und Technik vorgewor-fen. Dieser Vorwurf stimmt jedoch nicht, wie die vonMEIER & NEF (1997) publizierte Arbeit belegt. Die Studiewurde im Auftrag der Gruppe für Wissenschaft uHd For-schung, des Schweizerischen Wissenschaftsrates und derEidgenössischen Bundeskanzlei vom Institut «cultur pro-spectiv» erarbeitet.

Laut dieser Studie bedeuten moderne Wissenschaft undTechnik für 66% der Befragten «aufs Ganze gesehen eher einSegen für die Menschheit»; sie vereinfacheH bei 56% dasLeben uHd sind bei 54% Hoffnungsträger dafür, dass dieSchweiz international «technisch wieder ganz vorne dabeiist». Gut schneiden die Hochschulen ab: 72% der Befragtenverstehen die UniversitäteH als Zukunftschance, und nur eineMinderheit sieht in ihneH einen geldverschliHgenden Elfen-beinturm. Das Gros der Bevölkerung unterstützt also Wissen-schaft und Technik, doch ist das einfache, optimistische Bildder 50er und 60er Jahre einer differenzierteren und kritische-ren Beurteilung gewichen. Die Studie zeigt, dass Grosstech-nologien eher als problematisch empfunden werden, wäh-rend Kleintechnologien (vor allem im Bereich der individu-ellen Nutzung in Arbeit, Haushalt oder Freizeit) meist positivbewertet werden.

High-tech auf den hinteren RängenDie Ergebnisse der Studie zeigen, dass Schweizer undSchweizerinnen Wissenschaft und Technik eng mit eigenenWerthaltungen und dem sozialen Nutzen verknüpfen. Dieszeigt sich deutlich, wenn man die Leute nach den For-schungsprioritäten fragt: Techniken, die Arbeitsplätze erhal-ten und die Umwelt entlasten, stehen in der Wertskala ganzoben. High-tech-Projekte hingegen (GentechHologie sowie

EHtwicklung neuer Computer- und Telematiksysteme) findetman hinten in der Prioritätenliste.

Der Widerspruch ist offensichtlich: Einerseits werdenmoderne Technik und Wissenschaft als Motor der Entwick-lung und Garanten für eine gesicherte Zukunft verstaHden,andererseits haftet ihnen aber auch der Ruf an, dass sie überRationalisierungen Arbeitsplätze vernichten. Dies, obschonFührungskräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft immer wie-der versichern, dass es gerade die Investitionen in High-techsind, die neue Arbeitsplätze schaffen und die Umweltproble-me lösen helfen.

«Der Beweis, dass dem so ist, ist eben bis jetzt nichtüberzeugend geführt worden», kommentiert der SoziologeHans-Peter Meier, Mitinhaber des Zürcher Instituts «culturprospectiv» und einer der Autoren der Studie. Die Erfahrungder Bevölkerung besage vielmehr, dass beispielsweise Tau-sende von Bankangestellten ihre Stelle verloren hätten, inanderen Branchen jedoch kaum neue Arbeitsplätze geschaf-fen würden. Gemäss Meier berührt eiHe Technik und Wissen-schaft, die Arbeitsplätze vernichtet, ohne neue zu schaffen,den Kern schweizerischer Identität. Geht es um die zentralenWerte Arbeit und Ökologie als Ziel der Entwicklung, gibt eskaum Unterschiede zwischen den sozialen Schichten und denSprachregionen.

Ausweg aus der Krise: eine PolarisationHingegen sind sich die Befragten nicht einig, wie die Krisezu lösen ist. 50% setzen eher auf die marktorientierte Strate-gie: Das beste seien InvestitioneH in die Sektoren Wissen-schaft uHd Technik, um konkurrenzfähig zu bleiben (Sozial-ausgaben sind für dieses Lager eine Last und langfristig eiHeFehlinvestition). Die sozial orientierte GrHppe setzt anderePrioritäten: Sie will das knappe Geld vor allem für sozialeZwecke einsetzen (die Schaffung des sozialen Gleichge-wichts hat Vorrang). Die Umfrage bestätigt zudem frühereTrends, wonach die Westscheizer ein bedeutend grösseresVertrauen in die neuen Technologien haben und eher derersten Strategie zuneigen, während Deutschschweizer eherden zweiten Weg bevorzugen.

Sozial angepasste High-tech-Lösungen sind gefragtUm diesen Graben zu überbrücken, schlägt Meier zehn Emp-fehlungen und Massnahmen vor. So plädiert er beispielswei-se für eine Wissenschafts- und Technologiepolitik, die ihrePrioritäten an den beiden Werten Arbeit und Ökologie misst.Es sollen Projekte lanciert werden, die für alle sichtbar denBeweis liefern, dass High-tech tatsächlich Arbeit schafft. ErrHft die Verantwortlichen dazu auf, nicht nur neue Einzelpro-

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Aktuelles in Kürze

dukte, sondern ganze Systemlösungen zu entwickeln, diejeweils Technologie und Arbeitsplätze oder Technologie undUmweltschutz integrieren.

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen auch klar,dass die breite Bevölkerung kaum zwischen Grundlagen-und Anwendungsforschung unterscheidet. Wissenschaft undForschung werden nach ihren Produkten und Anwendungenbeurteilt. Die Wissenschafter und Wissenschafterinnen ori-entieren sich jedoch gerade umgekeh rt. Ihr Interesse endetmeist bei der Umsetzung und Anwendung - an der gleichenGrenze, wo bei der Bevölkerung das Interesse beginnt. Wis-senschaft und Forschung müssen also lernen, sich dem Mannund der Frau auf der Strasse durch ihre Anwendungsmöglich-keiten und Produkte darzustellen. Wichtig ist auch, dassForschung und Wissenschaft positive und negative Auswir-kungen von EntwickluHgen transparent machen - und zwarbevor die Öffentlichkeit an verunglückten AnwendungenWertungskorrekturen vornimmt.

LiteraturMEIER, H.-P. & NEF, R. 1997. Wissenschaft und Technik im Bild derSchweizer Bevölkerung. - Schweizerischer Wissenschaftsrat, Be rn.Der Bericht wird in der ersten Hälfte 1997 erscheinen.

GRUNDLAGENFORSCHUNG FÜR DIE PRAXIS:

WIE WACHSEN XENON-KRISTALLE?

In der Metallurgie verstehen es die Fachleute zum Teil schon

seit Jahrtausenden, verschiedenste Metalle und Legierungen

herzustellen. Doch was im Mikrobereich beim Übergang vom

flüssigen in den festen Zustand geschieht, blieb lange Zeit

unbekannt. Anhand von Experimenten mit Xenon haben nun

Physiker und Physikerinnen vom Laboratorium für Festkör-

perphysik der ETH Zürich wichtige Informationen über die

dabei stattfindenden geometrischen Gegebenheiten gewon-

nen.

Dass eine metallische Schmelze erstarrt, sobald dieSchmelztemperatur unterschritten wird, ist allgemeiH be-kannt. Doch noch immer hat die Wissenschaft grosseSchwierigkeiten, zu erklären, welche Veränderungen beimWechsel vom flüssigen in den festen Zustand im mikrosko-pischen Bereich auftreten. Beim Erstarren bilden sich winzi-ge Kristalle in Tännchenformen, Dendriten genannt. Dendri-ten gibt es übrigens nicht nur bei Metallen und Legierungen:Sie werden auch in den Wolken erzeugt, wenn sich Wasser-dampf beim Abkühlen in Schneekristalle verwandelt.

Über die Entstehung der DendriteH existieren verschiede-ne Theorien, jedoch nur wenige BeobachtuHgeH im Mikrobe-reich. Das von Jörg Bilgram vom Laboratorium für Festkör-perphysik aH der ETH Zürich geleitete Team ist eines derwenigen, das auf diesem Gebiet experimentell arbeitet. Diemeisten Physiker und Physikerinnen gehen diese Fragen theo-retisch an. Gross war deshalb die Begeisterung, als BilgramsArbeitsgruppe nun-mit Experimenten zeigen konnte, was neueBerechnungen von Efim Brener aus Chernogolovka in Russ-land ergeben hatten (BlsANG & BILGRAM, 1996).

Ideale ModellsubstanzDie ETH-Arbeitsgruppe hat für ihre Studien Xenon alsModellsubstanz gewählt. Dieses Edelgas weist eine ähnlicheSchmelzentropie auf wie Metalle, hat aber verschiedeneVorteile: So bleibt Xenon beispielsweise in flüssigem uHdfestem Zustand transparent. Mit einer speziell entwickeltenOptik lässt sich deshalb gut beobachten, wie dendritischeXenon-Kristalle heranwachsen. Allerdings hat diese Metho-de auch Nachteile: Erstens sind dafür recht tiefe Temperatu-ren erforderlich (Xenon erstarrt bei ca. -112 °C), und zwei-tens ist das Material sehr teuer (flüssiges Xenon kostet etwaso viel wie das entsprechende Volumen Gold).

Damit das Dendriten-Wachstum nicht verfälscht wird, istes wichtig, möglichst reines Xenon zu verwenden. Zudemmüssen die Kristalle unter exakt kontrollierten TemperatHrenwachsen. Im Fall der ETH-Experimente lag der Reinheits-grad bei 99,9999%, und die mit der Versuchsanlage erreichteTemperaturstabilität war besser als 10- 4 K über mehrereStunden. Sobald die Temperatur des flüssigen Xenons stabilist, wird sie auf zwei bis zwanzig Hundertstelgrad unter denErstarrungspunkt von -111,7603 °C gesenkt. Nun beginnt ander Spitze einer Hohlnadel die Kristallisation. Das eigentli-che Experiment dauert bloss 10-60 min und wird mit einerVideokamera aufgenommen. Ihre Erkenntnisse gewinnt dieForschungsgrHppe durch Auswe rtung der Video-Sequenzen.Je nach Wachstumsgeschwindigkeit analysieren sie alle einbis dreissig Sekunden ein Bild. Dazu dient ein Computerpro-gramm, das automatisch die Umrisse des Kristalls erfasst.

Geometrie der DendritenbildungWas kam nun bei der Analyse der vielen tausend Aufnahmenheraus? Es zeigte sich beispielsweise, dass der «Stamm» derDendriten nicht rund ist, wie man bisher in theoretischenÜberlegungen angenommen hatte - im Querschnitt tretenvielmehr vier kreuzförmig angeordnete Rippen auf. Auf die-sen Rippen wachsen dann die Seitenäste (vgl. Abb.). DieETH-Gruppe konnte auch zeigen, dass die Rundung der

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Aktuelles in Kürze

Spitze keine perfekte Parabel ist, sondern etwas von dieserForm abweicht. Ferner hat die Auswertung der Bilder erge-ben, dass die ersten Seitenäste stets in gleicher EntfernungvoH der Dendritenspitze aus dem Stamm wachsen. Das For-schungsteam kam zum Schluss, dass das Wachstum der Sei-tenäste durch thermische Fluktuationen ausgelöst wird. Wodie Kristallisation erfolgt, wird latente Wärme frei und ver-zögert dadurch in der unmittelbaren Umgebung die Erstar-rHng. Rasch wachseHde Seitenäste behindern also durch dievon ihnen erzeugte Wärme die Entwicklung benachbarterkleinerer Äste. Solche könHen teilweise auch wieder schmel-zen.

Ein Xenondendrlt während des Wachstums: Die Spitze zeigt dieparabelähnliche Form. Der Dendrit hat vier Seitenrippen (zweiliegen in der Bildebene, zwei stehen senkrecht dazu). Auf denRippen entwickeln sich die Seitenäste. Weit entfernt von der Den-dritenspitze fehlen einige Seitenäste, sie wurden von ihren Nach-barn «aufgefressen». Die Länge des abgebildeten Dendriten beträgtetwa 3 mm (Bild Laboratorium für Festkörperphysik, ETH Zürlch).

Solche Einzelheiten sind von grosser praktischer Bedeu-tung für die Metallurgie, denn wenH die Metallurgen diegeometrischen Gegebenheiten der Dendritenbildung verste-heH, können sie die Kristallgrösse gezielt beein flussen. Jekleiner die DeHdriten sind, desto homogeHer ist das MaterialuHd desto besser ist die Qualität.

LiteraturBISANG, U. & BILGRAM, J.H. 1996. Shape of the tip and the forma-tion of sidebranches of xenon dendrites. - Phys. Rev. E 54,5309-5326.

UMWELTSCHONENDE ANBAUVERFAHREN DANKHERBIZIDRESISTENTEN NUTZPFLANZEN?

Transgene herbizidresistente Kulturpflanzen werden in der

Landwirtschaft zur Realität. Um eine Standortbestimmung

durchzuführen und um möglichst sinnvolle Anwendungskon-

zepte zu erarbeiten, organisierte die Schweizerische Gesell-

schaft für Phytomedizin eine Fachtagung über Nutzen und

Risiken herbizidresistenter Nutzpflanzen.

Bis heute wnrden mindestens 25 Pflanzenarten mit Tole-ranz gegenüber dem Herbizid Glufosinat, 13 gegenüber Gly-phosat, 8 gegenüber Imidazolinon oder Sulfonylharnstoffenund 7 gegenüber BromoxyHil im Freiland getestet. Raps,Sojabohne, Baumwolle, Mais, Zuckerrübe und Kartoffel ge-hören zu den am intensivsten untersuchten Kulturpflanzen.Bereits sind die ersten herbizidresistenten Nutzpflanzen inverschiedeneH Ländern auf dem Markt: IH KaHada beispiels-weise wurdeH im Frühjahr 1995 GlufosiHat-verträglicheRapssorten und Glufosinat zur selektiven Unkrautbekämp-fung zugelassen. Auch in Europa wird noch in diesem Jahr-zehnt mit der Kommerzialisierung von herbizidresistentenZuckerIüben, Raps uHd Mais gerechnet.

Allerdings darf Hicht vergessen werden, dass praxistaug-liche transgene Linien oft eine schmale genetische Basishaben und die Stabilität der Fremdgenexpression unter Feld-bedingungen in vielen Fällen noch nicht befriedigend ist.

Keine Erfindung der Gentechnologie

Dass bestimmte Pflanzen gegenüber gewissen Herbizidenresistent sind, ist ein natürliches Phänomen. Ohne dieseEigenschaft gäbe es keine selektive Wirkung der Herbizide.Das Zuchtziel Herbizidresistenz kann sowohl mit konveHtio-nellen als auch mit gentechHischeH Methoden erreicht wer-den. Letztere sind aber vielfältiger, denn mit der Gentechniksind neue ResisteHzquellen erschlossen worden. So könHeHvor allem die enzymatischen Abbauwege, die für einigeHerbizide in gewissen Bodenbakterien vorhanden sind, ge-nutzt werden.

Ein Vertreter der Agrochemie erläuterte dieses VorgeheHan der Fachtagung in Zürich am Beispiel des TotalherbizidsGlufosinat, auch Phosphinothricin (PPT) genannt. PPThemmt in Pflanzen das essentielle Enzym Glutamin-Synthe-tase. Dadurch wird Ammoniak in den Zellen angereichert,und die Pflanzen sterbeH schliesslich ab. Streptomyces-Bak-terien besitzen das sogenanHte PAT-EHzym (Phos-phinothricin- Acetyl Transferase), welches PPT durch eiHehochspezifische Acetylierung seiner Aminogruppe inaktivie-

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Aktuelles in Kürze

ren kann. Überträgt man das PAT-Gen in Nutzpflanzen, kön-nen diese das Herbizid ebenfalls abbauen und sind deshalbresistent gegen diesen Wirkstoff.

Gefragt sind sinnvolle AnwendungskonzepteNackter Boden um die Nutzpflanzen gilt heute nicht mehr alsideal. In der modernen, ökologisch ausgerichteten Landwirt-schaft sind begrünte Anbauverfahren gefragt. Unkräuter sol-len nur noch dann bekämpft werden, wenn sie die Nutzpflan-zen konkurrenzieren und Ertrags- und Qualitätseinbussenverursachen. Dies ist oft nur währeHd einer kurzen Zeitspan-ne der Fall.

Vielfach scheitert dieses Konzept jedoch daran, dass demBauer nur Herbizide zur Verfügung stehen, welche lediglichfrühe Unkrautstadien wirkungsvoll bekämpfen. Hier bietennun herbizidresistente Nutzpflanzen eine interessante Mög-lichkeit, wie verschiedene Referenten von der Eidgenössi-schen Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau inZürich-Reckenholz betonten. DenH iH herbizidresistentenNutzpflanzen-Beständen liessen sich Totalherbizide einset-zen, die auch ältere Entwicklungsstadien aller Unkräutererfolgreich bekämpfen. Dadurch könnten die positiven Aus-wirkungen einer Zusatzbegrünung möglichst lange genutztwerden.

Hingegen erachten es die Experten als wenig sinnvoll,herbizidresistente Nutzpflanzen nur mit dem Ziel zu verwen-den, auf einfache und billige Weise unkrautfreie Nutzpflan-zenbestände zu erreichen. Erfahrungen der Vergangenheithaben nämlich gezeigt, dass eine solche Anwendung nur zueiner Verschärfung von Problemen wie etwa Selektion her-bizidresistenter Unkräuter, Bodenerosion und Verlust derVielfalt der Ackerbegleitflora führt.

SicherheitsaspekteDa die heute eingesetzten herbizidresistenten Nutzpflanzendurch gentechnische Methoden entstanden sind, wird überdiese transgenen Sorten heftig debattiert. Fundamentalisti-sche Pro und Kontra Gentechnologie-Diskussionen bringenjedoch nichts, wie es ein Referent formulierte. Vielmehr giltes, mögliche Risiken mit langfristig angelegten Experimen-ten abzuklären. So muss beispielsweise bei Nahrungsmitteln,welche von transgenen Pflanzen stammen, untersucht wer-den, ob diese allergene oder toxische Eigenschaften haben.«Im Falle der PPT-toleranten Nutzpflanzen hat ein Vergleichdes PAT-Proteins mit allen beschriebenen Protein-Sequenzenkeinerlei Homologie mit bekannten allergenen oder toxi-schen Proteinen ergeben», versicherte der Vertreter der Agro-chemie.

Die Beurteilung muss von Fall zu Fall erfolgenEin anderes Risiko ist die Gefahr des Gentransfers von derKulturpflanze auf verwandte Wildpflanzen und möglicheFolgen auf das Ökosystem. Wie die Fachtagung zeigte,kommt es dabei sehr auf die verwendete Nutzp flanze an. BeiMais und Soja beispielsweise ist ein Auskreuzen der Resi-stenz auf verwandte Unkräuter nicht denkbar, weil keine sonahe verwandten Unkräuter vorhanden sind. Bei Pflanzenmit einem starken Genfluss - etwa bei Luzerne und Gräsern- sieht die Sache aber schon anders aus. Deshalb ist eswichtig, dass die Risikoabschätzung für jede Nutzpfl anzeund jedes Herbizid einzeln erfolgt. Auch wäre es sinnvoll,biologische Mechanismen zu nutzen, welche die Übertra-gung der Fremdgene auf verwaHdte Kultur- oder Wildformenverhindern (z. B. mütterliche Vererbung der Plastiden). «Nurwenn wir Schritt für Schritt vorgehen, lässt sich abklären, obdie Sache wirklich so gut ist, wie sie im Moment tönt»,meinte der PräsideHt der Schweizerischen Gesellschaft fürPhytomediziH zum Schluss der Fachtagung.

Die Referate der Tagung «Herbizidresistente Nutzpflanzen - aus derSicht der Herbologen» wurden im Bulletin der SchweizerischenGesellschaft für Phytomedizin «SGP Info 2/96» publiziert (Sekre-tariat: Phytomedizin, ETH Zentrum, Unlversitätstr. 2, 8092 Zürich,Tel. 01/632 38 71, Fax 01/632 11 08).

FORSCHUNGSPROJEKT «TECHNIKFOLGEN-ABSCHÄTZUNG TRANSGENER NUTZPFLANZENIN DER SCHWEIZ»

Risiken und NutzeH eiHes Abbaus gentechnisch veränderterNutzpflanzen wurden in einem Forschungsprojekt desSchwerpunktprogramms «Biotechnologie» des Schweiz.Nationalfonds untersucht. Ziel des Projektes war es, Ent-scheidungsgrundlagen für die Beurteilung eines zukünftigenAnbaus transgener krankheits- und schädlingsresistenterNutzpflanzen zu liefern. Ein wichtiges Merkmal des Projektsist der Einbezug des Biolandbaus und der Integrierten Pro-duktion in die Analyse. Die Auswahl der Themen konzen-trierte sich auf naturwissenschaftliche und ökonomischeAspekte.Der Abschlussbericht liegt nun unter dem Titel «Gentechnischveränderte krankheits- und schädlingsresistente Nutzpflanzen -Eine Option für die Landwirtschaft?» vor. Die Herausgeber sindE. SCHULTE & O. KAPPELI. Band l: «Materialien» (1996, 631 S.,Fr. 50.-); Band 2: «Auswertung» (erscheint April/Mai 1997). Zubeziehen über: Fachstelle für Biosicherheitsforschung und Technik-folgenabschätzung des Schwerpunktprogramms Biotechnologie,BATS, CH-4058 Basel. Tel. 061-690 93 10, Fax 061-690 93 15.

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Aktuelles in Kürze

SCHUTZMASSNAHMEN BEI BAUMFLECHTEN

Bisher sind in der Schweiz nur wenige flechtenreiche Gebiete

kartiert worden. Angaben über die absolute Häufigkeit kön-

nen deshalb für keine Artgemacht werden. Doch vermuten die

Fachleute aufgrund von Herbarstudien und Feldbeobachtun-

gen, dass viele Flechtenarten in letzter Zeit in ihrer Verbrei-

tung stark zurückgegangen oder teilweise bereits ausgestor-

ben sind. Um Klarheit darüber zu erhalten, wurde 1994 das

Projekt «Rote Liste der Baum- und Erdflechten» gestartet.

Bei deH FlechteH bildeH PilzfädeH mit einzelligen Algeneine Symbiose, wobei die zur Photosynthese fähige Alge deHFlechtenpilz ernährt. Für die systematische Klassifizierung

ist der Pilzpartner entscheideHd. Die Bestimmung der Flech-ten ist recht aufweHdig, uHd zahlreiche iH deH Alpen vorkom-meHde ArteH siHd noch gar nicht genau beschrieben. Fach-leute schätzen, dass in der Schweiz gegen 2000 verschiedeHeFlechtenarten vorkommen.

Durch die Industrialisierung bedrohtFlechten wachsen auf ganz unterschiedlichen SubstrateH wieetwa Borke, nackter Erde oder FelsflächeH. Im Laufe ihrerJahrmillionen alteH Stammesgeschichte haben diese Orga-nismeH verschiedene Wuchsformen entwickelt (vgl. Abb. 1).Viele Arten haben recht enge ökologische Ansprüche undwachsen beispielsweise nur auf wenigen BaumarteH. Leidergehören die Flechten in den hochindustrialisierten LänderHzu den am stärksten bedrohten Organismen; nahezu 3/4 derArten gelten hier als vom AussterbeH bedroht (vgl. Abb. 1).Die wichtigsteH Gründe für ihr Verschwinden sind ihre hoheEmpfindlichkeit gegenüber Luftverschmutzung sowie ver-änderten Lebensräumen. Umweltforscher uHd -forscherin-nen machen sich dies zunutze und setzeH bestimmte Flech-tenarten als ZeigerorgaHismen für Stickstoffversorgung,Säureeintrag oder Lichtverhältnisse ein.

Bisher sind in der Schweiz nur wenige flechtenreicheGebiete kartiert worden. Um eine Rote Liste erstellen zukönnen, braucht maH einerseits aktuelle regionale Verbrei-

tungs- und HäufigkeitsaHgaben der Flechten. Andererseitswollen die Forscher uHd Forscherinnen bei diesem Projektauch populatioHsbiologische, insbesondere verbreituHgsbio-logische IHformationen erarbeiten. In methodischer AHleh-nung an das «Schweizerische LaHdesforstinventar» und andas «Naturräumliche IHventar der Schweizerischen Moos-flora» wird seit 1994 eiH vom Bundesamt für Umwelt, Waldund Landschaft subventioniertes ForschuHgsprojekt durch-geführt. Dabei befasst sich der von Philippe Clerc (CoHser-vatoire et jardin botaHiques, Genf) geleitete Teil mit derAuswertung von Herbarien uHd mit der Erhebung erdbewoh-HeHder FlechteH. Ein zweiter, von Christoph Scheidegger(EidgeHössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee uHdLandschaft, WSL, Birmensdorf) koordiHierter Projektteil be-fasst sich mit der ErhebuHg der baumbewohnenden Flechten.MaH hat sich auf diese beiden Habitatstypen beschräHkt, weildiese beiden GrHppen einerseits stark gefährdet sind uHdandererseits taxonomisch so gut bearbeitet siHd, dass zuver-lässige Artbestimmungen in vernünftiger Zeit durchgeführtwerden können.

Rote Liste: Kombination zweier ErhebungsmethodenDie Untersuchung epiphytischer, das heisst borkenbewoh-nender FlechteH erstreckt sich über die gesamte Schweiz,vom TieflaHd bis zur alpinen Baumgrenze. Damit das For-schungsziel mit vertretbarem AufwaHd erreicht werden kann,wenden die Wissenschafter und WisseHschafterinHen zweiErhebungsmethoden kombiHiert an (SCHEIDEGGER, 1997).Auf 2% aller Kilometer-SchHittpuHkte der SchweizerischenLaHdes-KoordinateH (total 826 Probeflächen) werdeH auf 5 agrossen Kreisflächen sämtliche baumbewohnende Flechten-arten erfasst. Diese Methode erlaubt es, das ganze Gebiet inhomogener IHtensität zu bearbeiten und dadurch regionalefloristische Unterschiede eiHdeutig festzustellen. Durch diegeHaue Lokalisierung der Probeflächen ist es möglich, dieAufHahmen beispielsweise in 10 Jahren zu wiederholeH, umVerschiebungen in der Artenzusammensetzung sowie Zu-oder Abnahmen der Flechten Hachzuweisen.

Abb. 1. A: Die Lungenflechte Lobaria pulmonaria ist im Mittelland sehr selten geworden. In niederschlagsreichen Lagen der Alpen ist dieseauffällige Blattflechte weit verbreitet (siehe auch Bild I). B: Cladonia pleurota ist eine erdbewohnende Becherflechte. In den rotenFrIchtkörpern prodnziert der Pilz Sporen. Kleine Körnchen, welche vom Flechtenlager abbrechen, dienen als vegetative Verbreitungsein-heiten. C: Usnea longissima ist die längste Bartflechte (siehe auch Bild H). D: Die Schriftflechte Graphis elegans ist eine sehr selteneKrustenflechte niederschlagsreicher Laubwälder. E: Die Wolfsflechte Letharia vulpina ist nur in den inneralpinen Trockentälern heimisch.Die Art ist dort aber sehr häufig an Lärchen und Arven zu finden. Die Flechte wurde früher zum Vergiften von Füchsen und Wölfen verwendet.F: Lobaria amplissima ist eine vom Aussterben bedrohte Blattflechte niederschlagsreicher Bergwälder. G: Lobaria scrobiculata ist imMittelland ausgestoIben. Diese Art wird bereits bei geringer Luftverschmntzung geschädigt. H: Usnea longissima ist im Verlauf diesesJahrhunderts stark zurückgegangen und ist heute in der Schweiz vom Aussterben bedroht. I: Lobaria pulmonaria lebt auf moosüberwach-senen Stämmen von Laubbäumen. K: Parmotrema reticulatum ist in der Schweiz nur von der Alpensüdseite bekannt, wo sie in schattigenKastanien-Selven vorkommt (Bilder Christoph Scheidegger, WSL).

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Aktuelles in Kürze

Die mit dieser Methode erhobenen Daten sind repräsen-tativ. Um seltenere Arten in einem für eine Rote Liste er-wünschten Mass zu erfassen, braucht es aber noch ein ande-res Vorgehen. In ausgewählten 20 x 20 km Flächen wählendeshalb die jeweiligen Bearbeiter Fundorte mit besondersreich entwickelter Flechtenflora aus und nehmen diese mög-lichst vollständig floristisch auf.

Künstliche Vermehrung bedrohter FlechtenZahlreiche seltene Baumflechtenarten sind heute nur nochvon einigen wenigen Trägerbäumen bekannt. VerschiedeneUntersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass solchePopulationen unter den gegebenen Bedingungen nicht in derLage sind, sich ausreichend auf umliegende Bäume zu ver-jüngen. Die Forscher und Forscherinnen vermuten, dass esvielen Flechten heute nicht mehr geliHgt, mit der Dynamikihres Lebensraumes Schritt zu halten. Die Gründe dafürdürften vor allem in der ineffizienten Verbreitungsbiologieund in der langsamen Entwicklung liegen. Deshalb suchendie Flechtenspezialisten der WSL auch nach Methoden, umgefährdete Arten künstlich zu vermehren.

Der Wissenschafter Christoph Scheidegger demonstrie rtdie Problematik am Beispiel der Lungenflechte Lobaria pul-monaria, welche im Mittelland stark gefährdet ist (vgl. Abb.1, A und I). Lobaria pulmonaria ist eine vergleichsweiseraschwüchsige Art: 1 cm Längenzuwachs einzelner Lappenpro Jahr ist unter idealen Bedingungen durchaus realistisch.Frisch ausgesäte Verbreitungseinheiten der gleichen Art be-nötigen jedoch rund 4 Monate, bis sie sich auf ihrem Substratgenügend verankert haben, so dass sie bei einem Regengussnicht weggewascheH werden. Bis sich ein erster 1 nun grosserLappen entwickelt hat, vergehen ungefähr 2 Jahre. Auchwährend der folgenden Jahre ist das Wachstum nicht vielrascher, so dass vermutlich mehr als 30 Jahre vergehen, bisvegetative Verbreitungseinheiten beider Symbiose-Partnergebildet werden. Erste Sporen entstehen noch viel später, undnur unter optimalen ökologischen Bedingungen.

Heute gelingt es, von stark gefährdeten Kleinpopulatio-nen, etwa von Lobaria pulmonaria, die symbiotische Ver-

breitungseinheit an bislang unbesiedelte Bäume zu trans-plantieren und dadurch die Population zu vergrösse rn(SCHEIDEGGER, 1995) (vgl. Abb. 2). Wie weit aber durch einesolche Praxis die genetische Vielfalt gefährdeter Populatio-nen erhalten werden kann, ist noch unbekannt und wirdgegenwärtig an der WSL von Stefan Zoller im Rahmen einerDissertation untersucht.

Abb. 2. Künstliche Verbreitnng der Lungenflechte. Das linke Stadi-um zeigt eine auf einer Baumwollgaze ausgekeimte Verbreitungs-einheit (4 Monate nach Versuchsbeginn). Das rechte Bild zeigt einEntwicklungsstadium nach 15 Monaten. Aus der Spitze derwurstförmigen Verbreitungseinheit hat sich ein Lagerlappen gebil-det. Der Balken entspricht 0,l mm. (Bilder Christoph Scheidegger,WSL)

LiteraturSCHEIDEGGER, C. 1995. Early development of transplanted isidioidsoredia of Lobaria pulmonaria in an endangered population. -Lichenologist 27, 361-374.

SCHEIDEGGER, C. 1997. Baumbewohnende Flechten - zwei For-schungsansätze zu ihrer Erhaltung. - Wald und Holz l/97, 31-34.

SUSANNE HALLER-BREM

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