Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind „Organisierte Interessen“,

Embed Size (px)

Citation preview

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    1/8

    2

    Was

    sind Organisierte Interessen ?

    2.1

    Ji:m

    er Notwendigkeit un er Schwierigkeit des Definierens

    Es klingt so einfach und plausibel, von jeder wissenschaftlichen Errterung

    zu verlangen, die wichtigsten Begriffe zunchst zu definieren. Vielen erscheint

    es geradezu ein Kennzeichen wissenschaftlichen Arbeitens zu sein, mit einer

    Definition die Diskussion wissenschaftlicher Probleme zu beginnen.

    An eine Definition knpfen sich allerdings eine Menge Fragen, die an Grund

    probleme wissenschaftlichen Arbeitens berhaupt rhren. Kann der Begriffet

    was

    ber das Wesen eines Gegenstandes aussagen?

    Kann

    man vor der eigent

    lichen Errterung eines Gegenstandes ihn bereits verbindlich festlegen? Ist jede

    Eingrenzung nicht auch eine vorschnelle Ausgrenzung? Sind deshalb mit der

    Definition nicht schon weitreichende Vorentscheidungen ber Methode und

    Gegenstand verbunden? Ersetzt man bei einer Definition nicht nur Begriffe, ob

    bekannt oder unbekannt, durch andere Begriffe, die dann wieder definiert wer

    den mten und wieder und wieder bis zum Unendlichen?

    Die Entscheidung fr eine Definition determiniert deshalb bereits zu Beginn

    einer wissenschaftlichen Errterung zweierlei:

    - Die Form der Definition legt Grundentscheidungen ber die Art und Weise,

    Wissenschaft zu betreiben, fest.

    - Der Inhalt der Definition trifft eine Grundentscheidung ber den zu bearbei

    tenden Gegenstand.

    DefinitionsfOrmen gibt es zahlreiche. Die erste Unterscheidung unterteilt ety-

    mologische, der Sprachentwicklung und dem Sprachgebrauch entlehnte Defini

    tionen von festgesetzten, selbst entwickelten Definitionen. Der Sprachkonvention

    nachsprende Definitionen sind

    fr

    den wissenschaftlichen Gebrauch nur be

    grenzt ntzlich, da sie selten eindeutig sind, sondern die zeitlichen und regiona

    len BegrifiSdifferenzen aufzeigen. Nur am Rande sei vermerkt: Fr die politische

    Begriffs und Ideengeschichte und damit auch

    fr

    die \braussetzungen von

    efi-

    nitionen sind berlegungen zur Vtbrtgeschichte und zur konventionellen

    Bedeu-

    tung des

    Vtbrtes

    in der Alltagssprache allerdings auerordentlich hilfreich.

    Unter den festgesetzten Definitionen

    wird

    als wichtigstes zwischen der Nomi

    naldefinition und Realdefinition unterschieden.

    Nominaldefinition - Die Nominaldefinition legt die Bedeutung eines bestimmten Terminus durch

    Aufzhlen einer begrenzten Anzahl von Merkmalen fest. Sie ersetzt also

    eine Bezeichnung (z.B. Demokratie) durch eine oder mehrere Eigenschaften

    (z.B. Herrschaft des \blkes durch freie Wahl von Herrschaftsorganisationen

    auf Zeit). Die Nominaldefinition will nur eine begriffliche (nominelle) Ver-

    einbarung festlegen, sie will keine bindende Aussage ber die Wrrklichkeit

    24

    U. Alemann, Organisierte Interessen in der Bundesrepublik

    Springer Fachmedien Wiesbaden 1989

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    2/8

    machen. Sie wird deshalb korrekterweise meist so formuliert: Ich definiere

    Demokratie als

    ...

    oder: Ich werde unter Demokratie

    im

    folgenden verste

    hen ... Nominaldefinitionen sind deshalb plausible und vernnftige Verein

    barungen, die ein anderer begrifflich ganz anders fassen

    kann.

    - Die Realdefinition dagegen geht von einer

    Art

    Begriffsrealismus aus. Sie

    Realdefinition

    will mit ihrer Aussage

    das

    tatschliche , ,Wesen des Gegenstandes erfassen

    und widerspiegeln. Sie wird formuliert als: Demokratie ist ... oder: Es ist

    das Wesen der Demokratie, da ... Ob es berhaupt mglich ist, mit einer

    Realdefinition

    das

    wirkliche Wesen einer Sache zu erfassen, ohne alle nur

    denkbaren Einzelheiten des Gegenstandes vollstndig aufzuzhlen, ist in der

    Wissenschaftstheorie strittig.

    Wir werden uns hier auf die Verwendung von Nominaldefinitionen beschrn

    ken, wenn wir im nchsten Abschnitt , ,organsierte Interessen nher betrach

    ten. Dazu werde ich auch etymologische Erluterungen zur Begriffsgeschichte

    von Interesse und Organisation heranziehen, und ich werde ber konkur

    rierende Definitionen berichten. Nach diesen Erluterungen zu den Begriffen

    Organisation und Interesse werde ich

    dann

    im

    dritten Schritt eine Nominaldefi

    nition von Organisierte Interessen vorschlagen.

    2.2 Organisation

    Die Allgegenwart von Organisation fr jeden Menschen in unserer Gesell

    schaft wird von Gnter

    Baschges

    plastisch illustriert:

    In Organisationen oder in engem Kontakt mit ihnen verbringt der einzelne als Mit

    glied, Klient oder Kunde oder in anderer Weise Betroffener einen wesentlichen Teil seines

    Lebens.

    In

    Organisationen wird

    er

    geboren, erzogen, gebildet und ausgebildet, verwahrt

    und umerzogen. Von Organisationen wird

    er

    versorgt, betreut, gesttzt und kontrolliert.

    In

    Organisationen bt

    er

    seinen Beruf aus und geht

    er

    seiner Arbeit nach, verdient

    er

    sei

    nen Lebensunterhalt und macht

    er

    Karriere - oder auch nicht.

    In

    Organisationen erfhrt

    er

    aber auch, was Kooperation und Konflikt, was Status und Prestige,

    was

    Herrschaft und

    Abhngigkeit,

    was

    Fremd- und Selbstbestimmung,

    was

    Schicht- und Klassenzugehrig

    keit bedeuten Baschges

    1976,

    S. 14).

    , ,Unsere Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft

    Etzioni

    1967, S. 9)

    - dies ist eine Grundaussage der Organisationssoziologie. Der Satz meint, da

    in unserer hoch arbeitsteiligen Industriegesellschaft die soziale Beziehung , ,Or

    ganisation eine dominante Rolle spielt.

    Fr die Organisationssoziologie ist jedes gewerbliche Unternehmen und

    je -

    der Betrieb, jede Verwaltung und sonstige staatliche Institution, jede Armee

    und jedes Krankenhaus, jede kirchliche Krperschaft oder supranationale Ein

    heit wie die UNO eine Organisation.

    Die Organisationssoziologie ist eine Spezialdisziplin der Sozialwissenschaf

    ten, die aus der Verwaltungslehre und

    der

    Betriebswissenschaft hervorgegangen

    ist. Traditionell richtete sie

    ihr

    Augenmerk besonders auf die Erreichung eines

    25

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    3/8

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    4/8

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    5/8

    28

    4. das

    Bedrfnis nach wiederholter Gratifikation, denn lange Zeitabstnde

    zwischen Gratifikationen wirken frustrierend;

    5. das

    Bedrfnis nach Stabilitt im Verteilungsmuster

    der

    Belohnungen, weil

    sich dadurch eine emotionale Stabilitt ergibt, die Angst vorbeugt;

    6.

    das

    Bedrfnis nach Vielfalt

    der

    gesellschaftlichen Struktur;

    da

    die Gesell

    schaftsmitglieder in unterschiedliche soziale Statusgruppen hineingeboren

    werden, besteht ein Bedrfnis nach Vielfalt

    der

    sozialen Rollen und

    Normen.

    Dieser Katalog von Bedrfnissen nach

    tzioni

    beansprucht keine objektive

    Gltigkeit. Aber es ist ein interessanter Versuch, verschiedene Bedrfnistheo

    rien zu integrieren. Wenn ich eben formuliert habe, da die individuelle Dimen

    sion des Interessenbegriffs auf die Bedrfnisse verweist, so sollte nun

    der

    Un

    terschied zwischen Interessen und Bedrfnissen klargeworden sein: Bedrf

    nisse sind die Voraussetzungen von Interessen. Interesse als individuelle

    Dimension ist demnach die aus physischen Antrieben und menschlichen

    Grundbedrfnissen folgende Anteilnahme von Personen an anderen, an einer

    Sache

    oder

    einem Geschehen.

    d ie materielle

    Die materielle Dimension von Interesse verweist auf die Erzielung von Nut-

    Dimension zen in

    der

    Interaktion mit anderen. Dies ist besonders ein Thema der kono

    mie. Im Englischen ist bekanntlich die Wortbedeutung als Nutzen, Vorteil, Zins

    (interest) erhalten geblieben. Interesse ist nicht nur ein Handlungsmotiv

    zur

    Be

    drfnisbefriedigung, sondern auch

    der

    aktiven Nutzenmehrung. Gerhard Him-

    melmann

    1976,

    S. 114) fhrt dazu aus:

    - die ideelle

    Dimension

    , ,Im

    Interesse sammeln sich die mit Bestrebungen, Einstellungen, Attitden und Triebfe

    dern verbundenen nutzenorientierten Bedrfnisse. Anders als

    der

    Trieb ist Interesse

    zweckorientiert, kalkuliert und handlungsmotiviert. (

    ...

    Interesse setzt Kalkulation, Mit

    telaquisition

    zur

    Bedrfnisbefriedigung voraus. Wo Mittel zur Bedrfnisbefriedigung ak

    quiriert werden mssen, besteht auch Knappheit an Mitteln der Bedrfnisbefriedigung .

    Interesse haben wir nun als Bedrfnisbefriedigung in

    der

    individuellen Di

    mension und als Nutzenmehrung in

    der

    materiellen Dimension kennengelemt.

    Ich mchte diesen beiden als dritte noch die ideelle Dimension hinzufgen,

    denn Interessen erschpfen sich nicht in Befriedigung von Nutzen und materiel

    len Bedrfnissen. Im oben zitierten Katalog von

    tzioni

    waren insbesondere

    auch immaterielle Bedrfnisse enthalten. Die ideelle Dimension von Interessen

    bezieht sich gerade

    auf

    den immateriellen Nutzen

    und

    auf

    die Rechtfertigungen

    und Ideologien fr die Durchsetzung von Ansprchen

    und

    Zielen. Dies ist be

    sonders auch ein Thema

    der

    politischen Philosophie. So definiert Jrgen

    Ha-

    bermas 1973, S. 244):

    Interesse berhaupt ist

    das

    Woblgefallen,

    das

    wir mit einer Vorstellung von der Existenz

    eines Gegenstandes oder einer Handlung verbinden.

    Habermas

    fhrt

    seine Diskussion

    des

    philosophischen Interessenbegriffs zu

    rck

    auf Kant und Fichte, was

    wir hier nicht weiter vertiefen knnen.

    Fr

    uns

    bleibt aus dieser dritten Dimension wichtig,

    da

    viele Menschen

    ihre

    Interessen

    selbst nicht auf konkrete Bedrfnisse und Nutzen zurckfhren knnen, son-

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    6/8

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    7/8

  • 7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,

    8/8

    Ich werde den Begriff , ,organisierte Interessen bevorzugt verwenden, weni

    ger hufig, aber doch bedeutungsgleich auch , ,lnteressenorganisationen . Denn

    es geht mir mehr um die gesellschaftlichen und politischen Interessen als um

    die Organisationen.

    31