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Alicia Stricker

Aids und ein Lebenwie ein Traum

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1. Auflage 20012. Auflage 2002

© 2001 by CLV × Christliche Literatur-VerbreitungPostfach 11 01 35 × 33661 BielefeldSatz: CLVUmschlag: Andreas Fett, MeinerzhagenDruck und Bindung: Ebner Ulm

ISBN 3-89397-466-0

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Eine verlorene Kindheit ---------------------------------- 7Harte Jungs, Heroin und ein frühes Todesurteil ---- 13Einer greift ein ------------------------------------------- 19Ein neues Leben ----------------------------------------- 53Gottes Liebe führt weiter ------------------------------- 79Im Schatten des Todestals ----------------------------- 99Infos über AIDS ----------------------------------------111

Inhalt

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s war ein Schock für meinen Vater – doch auch seinoffensichtlicher Ärger konnte nichts an der Tatsache

ändern, dass auch das zweite Kind, welches meine Mut-ter gebar, wieder ein Mädchen war. Vielleicht war esseine Enttäuschung, die ihn veranlasste, mir den schreck-lichen Namen Eustachia zu geben. Doch Gott sei Dankließ das meine Mutter nicht zu. So bekam ich den Na-men Alicia – Alicia Pulido-Ramos.

Ich wuchs in der Peripherie Madrids auf, im QuartierChristobal de los Angeles. Es liegt an der Südgrenzeder spanischen Metropole und war damals wohl eineder heruntergekommensten Gegenden Madrids. So et-was, wie man sich unter den Bronx vorstellt. Wenn ichBrot kaufen musste, passierte ich schon zwei Drogen-

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Eine verlorene Kindheit

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umschlagplätze. Polizeikontrollen waren etwas Alltägli-ches. Auf der Straße und auf Kinderspielplätzen lagenSpritzen herum.

Meine Familie war – wie man sich denken kann – allesandere als reich. Wir mussten uns in einer Dreizimmer-wohnung zurechtfinden – meine Eltern, meine beidenSchwestern, mein kleiner Bruder und meine Großmut-ter. Meine ältere Schwester starb bei einem Autounfall,als ich acht Jahre alt war.

Der Ärger meines Vaters darüber, dass ich kein Jungewar, schien sich nie wieder zu legen. Das zeigte sich anverschiedenen Dingen, am deutlichsten jedoch, wennich Vater bei der Arbeit half. Dort wurde mir klar, dassich für ihn minderwertig war.

Als selbstständiger Malermeister war mein Vater froh übereine helfende Hand. So nahm er mich mit. Auch wennich kein Junge war, konnte ich anpacken. Doch jedes-mal entschuldigte er sich bei den Auftraggebern gleichals Erstes, dass ich »nur ein Mädchen« sei, aber meineArbeit trotzdem ganz gut mache. Ich wiederum strengtemich mächtig an, um mir so doch noch die Anerken-nung meines Vaters zu erwerben. Wie tat es mir da weh,wenn er am Ende der Woche meinem kleinen Bruderden Lohn gab – meinem kleinen Bruder, der gar nichtsarbeitete, sondern Comics anschaute, während ich undVater mich abmühten! Ihm gab er »Lohn« und ich ging

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leer aus! Das war es, was ich von meinem Vater übermeinen Wert und meine Wichtigkeit lernte.

Um meinem Vater nicht Unrecht zu tun, möchte ich er-wähnen, dass seine Kindheit wohl noch trauriger warals meine. Selbst als Waisenkind in einem Kloster auf-gewachsen, ist ihm nicht nur väterliche, sondern auchmütterliche Liebe versagt geblieben. Sein Leben langblieb er uns Kindern gegenüber hart und kalt, ebensobehandelte er auch meine Mutter. Bevor er mit 56 anLungenkrebs starb – er war starker Raucher – entschul-digte er sich bei meiner Mutter noch für alles, was er ihrangetan hatte.

»Sei froh, dass wir Kleider haben und sei nicht so pinge-lig!«, schimpfte meine Mutter. Wie hasste ich diese ge-tupfte Bluse mit den kitschigen Rüschen! Was für eineSchande, so in die Schule gehen zu müssen! Wiederwürden mich alle auslachen, hänseln und verspotten.Doch das schien meine Mutter wenig zu interessieren.Nicht, dass sie mich nicht geliebt hätte, nein, in einergewissen Weise liebte sie uns Kinder von ganzem Her-zen. Oft sagte sie uns: »Für euch würde ich auch denMond geben, wenn ich könnte.«

Doch meine Mutter war eine einfache Frau. Sie wuchsin der schweren Nachkriegszeit als Halbwaise auf. IhrVater wurde von Francos Zivilgarde exekutiert. Der Schul-besuch war ihr nur zwei oder drei Jahre vergönnt. Oft

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musste sie auf der Straße betteln, um etwas zu beißenzu haben. Als sie dann heiratete, ging ihr Leben im glei-chen Stil weiter: Vier Kinder am Hals, ein Mann, derkeine Verantwortung übernahm und der frühe Tod ihrerersten Tochter. So lernte sie das Leben als einen ständi-gen Kampf ums Überleben kennen und hatte wahrschein-lich wenig Zeit, um über die tieferen Bedürfnisse desMenschen nachzudenken. Jedenfalls nahm sie uns Kin-der, trotz ihrer tiefen, emotionalen Liebe, nie ernst.

Nicht nur wegen der altmodischen Kleider fühlte ich michvon ihr immer wieder unverstanden und allein gelas-sen: Wenn ich von der ganzen Klasse verhauen wurde,griff sie nicht ein. Obwohl ich mir sehnlichst wünschte,sie würde mich doch wenigstens einmal von der Schuleabholen, tat sie das nie. Und als ich später im LaufsportFreude, gewissen Erfolg und etwas Anerkennung fand,interessierte sie das überhaupt nicht und sie unterstützemich in keiner Weise.

Ich glaube, ich war ungefähr 14 als ich mich fragte,was für einen Sinn ein solches Leben haben sollte. Ichstellte mir vor, wie es laufen würde: Nach Abschluss derSchule arbeiten gehen, dann heiraten, dann …? »Nein«,beschloss ich, »so werde ich nie leben!« Das Chaos beiuns zu Hause war mir genug. »Wozu lebe ichüberhaupt?«, grübelte ich, »und wo gehe ich hin?« »Ar-beiten, Streiten, Geld sparen (damit man Rechnungenbezahlen kann), Sorgen, Mühen und dann … Sterben?

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– Nein, so werde ich niemals leben, ganz bestimmt nicht«,beschloss ich. »Ich werde einen tollen Beruf lernen, dermir Spaß macht, mir Erfüllung gibt und auch genug Kohleeinbringt, damit ich leben kann, wie ich will.«

So ein toller Beruf, der mir die Erfüllung meiner Träumeversprach, war für mich Stewardess. So besuchte ichneben der Mittelschule eine Abendakademie, die mirdie nötige Ausbildung geben würde, um schon bald inschicker Uniform durch die Lüfte zu düsen. Wie glück-lich war ich bei dieser Vorstellung!

Doch mein Traum fand schon bald ein jähes Ende. »Ali-cia, du kannst die Akademie nicht mehr besuchen, wirhaben zu wenig Geld für so etwas«, erklärte mir Mutterkurz und knapp. Es gab keine Diskussion. Ich war totalniedergeschlagen. Was für eine Ungerechtigkeit! Dahabe ich endlich einmal Freude an etwas, ein Ziel fürmein Leben …! – und dann ist plötzlich alles vorbei.Und alles nur wegen dem blöden Geld! Aber mich fragtja keiner. Keiner interessiert sich für meine Träume, fürmeine Wünsche, für mich selbst.

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it meinen Leistungen in der Mittelschule ging es ständig bergab. Ich hatte keine Motivation mehrzu lernen. Wozu auch? Ich würde nie einen Beruf lernenkönnen, der mir Erfüllung und Unabhängigkeit brachte.Es war alles so sinnlos.

Mehr und mehr bewunderte ich einige Typen, die an unse-rer Schule als die bösen Jungs bekannt waren. Harte Typen,die niemand auslachte, die sich nicht um gute Noten undgeregelte Arbeit scherten, aber dafür jede Menge Actionhatten. Mir schien, sie machten das Beste aus diesem be-schissenen Leben. Sie machten einfach, was sie wollten undnahmen auf Nichts und Niemanden Rücksicht. Hoffnungkam auf, in dieser Clique die Freiheit, die Erfüllung und dieAnerkennung zu finden, nach denen ich mich sehnte.

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Harte Jungs,Heroin und …

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Bald war ich immer öfter in ihrer Gesellschaft und miteinem älteren Jungen befreundet. Der rauchte Haschund nahm auch andere Drogen. Das wollte ich natür-lich auch probieren und so fing ich an, Hasch zu rau-chen.

Das war schon eine coole Sache. Jetzt hatte ich einenFreund (mit dem ich kleines Mädchen nur allzu bald in-tim wurde), war mit den härtesten Jungs der Schule zu-sammen und verstand etwas von Dingen (Drogen), wo-von die anderen keine Ahnung hatten. Ich war nicht mehrdie kleine, dumme Alicia, die jedermann einfach ausla-chen und »verarschen« konnte! – Wirklich?

Mein Freund fing bald an, Heroin zu spritzen und ge-dankenlos rannte ich ihm nach ins Verderben. Mit 16setzte ich mir meinen ersten Schuss und so schnell wieman sich nur denken kann, ging meine Talfahrt weiterbergab. Schnell war ich vom Heroin abhängig und stän-dig auf der Suche nach Geld und Stoff. Erfüllung? – Naja, viel Zeit zum Nachdenken hatte ich als Sklave derDroge nicht mehr.

Als ich 17 war, geschah die Katastrophe – ich wurdeschwanger! Da hatte man auf einmal bei uns zu HauseGeld: Geld, um mir den Flug nach London und dieKosten einer Abtreibung zu zahlen. Sogar Großmuttergab willig her, was sie auf die hohe Kante gelegt hatte,um der Familie diese Schande zu ersparen.

Harte Jungs, Heroin und ein frühes THarte Jungs, Heroin und ein frühes THarte Jungs, Heroin und ein frühes THarte Jungs, Heroin und ein frühes THarte Jungs, Heroin und ein frühes Todesurteilodesurteilodesurteilodesurteilodesurteil

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Mit einem Mal hatte das kleine Mädchen ganz viel »Dreckam Stecken«. Es hatte ein ungeborenes Kind auf demGewissen, unwiederrufbar, unwiederbringlich! Wahr-scheinlich war mir nie elender zumute, als damals beimAufwachen in der Londoner Abtreibungsklinik. Allein, ineinem fremden Land, halb auf Entzug und mein Lebenbelastet mit einer Abtreibung.

Zu Hause war man natürlich ganz froh, dass »das Pro-blem« aus der Welt geschafft war. Doch mein Gewissenblutete, als hätte man mit einer Axt hinein geschlagen.Heute noch fällt es mir unglaublich schwer, daran zudenken, was ich damals getan habe.

Es kam, was kommen musste – die Beziehung zu mei-nem Freund ging bald auseinander. Ich war total kaputtund hatte weit mehr als meine Unschuld verloren. Tiefverletzt in meiner Seele suchte ich mehr denn je Halt,Anerkennung und Erfüllung. Als hätte ich nichts ausmeinen Fehlern gelernt, suchte ich all das wieder in Be-ziehungen mit Männern. Doch keine dieser Beziehun-gen half, sondern – wie man sich leicht denken kann –verschlimmerten nur meine Not.

Und weiter ging es abwärts auf der Achterbahn zur Hölle.In meiner Zeit war das Thema AIDS noch nicht so bekannt.Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das ersteMal davon gehört habe. Jedenfalls kam es unter uns Jun-kies immer noch vor, dass wir die Spritzen austauschten.

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»Und du bist also sicher, dass du nicht infiziert bist?«,frage ich Lolo, meinen Junkiekollegen. »Nein, bin ichnicht«, gab er knapp zurück. Bereitwillig nahm ich dieSpritze aus Lolos Hand.

Endlich konnte ich mir den heiß geliebten Stoff in dieVenen spritzen, der mir so viel Wärme und Frieden gab– nicht ahnend, dass dieser Einstich mein ganzes Lebenfür immer verändern würde. Denn Lolo war infiziert. Dasstellte sich ein paar Wochen später heraus, als wir zudritt einen Aids-Test machten. Na ja, man sollte das haltmachen – alle machten es, also auch ich. Als ich ging,um das Resultat abzuholen, war ich nicht besondersnervös. »Bestimmt ist alles in Ordnung«, dachte ich. DieKrankenschwester gab mir das Kuvert in die Hand. Ichöffnete es: ALICIA PULIDO-RAMOS, Befund: HIV-posi-tiv. Ich starrte auf das Stück Papier, das mir mit zweiWorten mein Todesurteil verkündete. »Jetzt ist alles aus.Ich bin 18 und habe alles verspielt. Ich sterbe – vielleichtlebe ich nur noch ein Jahr. Ich sterbe – unwiderruflich.Es ist alles aus. Ich kann nie mehr zurück«, ging es durchmeinen Kopf.

Der Schock hielt einige Tage an. Doch mein frühes To-desurteil bewirkte etwas Seltsames in mir. Anstatt michnun vollends in die Sucht zu stürzen und meine Todes-angst im Rausch zu ersticken, dämmerte es mir, dass ichunbedingt aufhören musste mit den Drogen, frei wer-den musste von diesem verfluchten Gift. Ich entschloss

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mich, nicht mehr zu fixen (spritzen), sondern nur nochzu sniffen (den Stoff durch die Nase einnehmen). Ichmusste frei werden und Antwort auf eine Frage finden,die mich nun immer drängender verfolgte: Was ist derSinn des Lebens?

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espenstische Geräusche. «Ntsch – ntsch – ntsch!«Die unheimlichen, dämonischen Geräusche kom-

men immer näher. Ist das ein Alptraum? Fang ich andurchzudrehen? Ich weiß es nicht, aber wer so etwasnicht selbst erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was fürein Schreck mir in die Knochen fährt, als ich diese ge-spenstischen Geräusche mitten in der Nacht höre.

Am nächsten Tag erzähle ich meiner Familie davon. Dienehmen das jedoch nicht besonders ernst, zumal meineSchwester und meine Großmutter, die mit mir das Zim-mer teilen, nichts von diesem dämonischen Schmatzengehört haben. Doch als es Abend wird und ich einschlafe,fangen die Geräusche wieder an – wie in einem Horror-film. Und auch wenn es kaum zu glauben ist, meine

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Ein greift ein

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Mutter und mein Bruder, die in anderen Zimmern schla-fen, wachen auf. Sie wachen wegen dieser Geräuscheauf, die aus meinem Zimmer kommen und immer lauterwerden. Natürlich denken sie, dass ich selbst so gräss-lich mit meinem Mund schmatze. Beide stehen auf undschauen nach. Die Geräusche sind laut und kommenaus meiner Nähe, aber ich schlief und beide, meineMutter und mein Bruder, sehen genau, dass ich meinenMund kein bisschen bewege. Die Sache ist um so ge-spenstischer, weil meine Großmutter und meine Schwes-ter Silvia, die neben mir schlafen, von dem Lärmwiederum nicht die geringste Notiz nehmen.

In der darauffolgenden Nacht bin ich, soweit ich micherinnern kann, allein. Wiederum beginnt der unheimli-che Spuk. »Ntsch – ntsch – ntsch!« Es ist ja schon un-heimlich genug, wenn es einmal spukt, doch dies warschon die dritte Nacht und diesmal ist das Schmatzengreifbar nah. Weil meine Mutter und mein Bruder es dieNacht vorher auch gehört haben, weiß ich, dass es sichnicht nur um drogenbedingte Halluzinationen handelnkann. Das Grauen überfällt mich. »Ntsch, ntsch, ntsch.«»Es« kommt immer näher. Ich breche in Angst und Panikaus. »Es« wird mich verschlingen! Intuitiv, ohne zu wis-sen was ich sage, schreie ich: »Jesus, rette mich!«

Noch heute kann ich mir nicht erklären, warum ich denNamen Jesus um Hilfe rief. Religion spielte nie eine Rollein unserer Familie. Wir gingen nicht zur Kirche. Meine

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Eltern hielten – wie viele Spanier seit dem Bürgerkrieg –nicht viel von dieser Institution. Zu gut wusste jeder, dassder Tyrann Franco sich auf sie gestützt hatte. Und so gingman bei uns weder zur Kirche, noch redete man überGott. Nur in der Schule mussten wir vor dem befreiendenPutsch 1977 noch beten, aber soweit ich mich erinnereauch nicht zu Jesus, sondern zur Jungfrau Maria.

Jesus rette mich! – schrie es aus mir heraus, doch dieWorte schienen mir wie von jemand anderem in denMund gelegt zu sein. Oder sprach meine Zunge aus,wonach sich mein Herz sehnte, wovon aber mein Ver-stand gar nichts wissen konnte?

Wie auch immer, jedenfalls wurde dieses Gebet augen-blicklich erhört: Die Dämonen und ihr grausiges Schmat-zen waren sofort und für immer verschwunden. Doch esscheint, als ob dieses »drei-Worte-Gebet« noch weit mehrin meinem Leben auslöste. Denn es war genau in derZeit meiner unheimlichen Erlebnisse, als sich Zufälle umZufälle häuften – Zufälle, die mich aus der Hölle vonChristobal de los Angeles in die Schweiz brachten, woich ein total neues Leben kennen lernte.Auf verschlungenen Wegen

Irgendwie gelang es mir, trotz meiner Drogensucht zuarbeiten. (Wie froh bin ich heute, dass mich meine Suchtnie soweit brachte, dass ich mich prostituierte!) EinesTages rief mich der Direktor der Firma, in der ich arbei-

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tete, ins Büro und sagte, ich solle doch mal Urlaub amMeer machen. Das würde mir gut tun, meinte er, undmir vielleicht helfen, auf andere Ideen zu kommen. Na-türlich würde mir das gut tun, erwiderte ich, nur fehlemir dazu das nötige Kleingeld.

Zu meinem Erstaunen bot der Direktor an, auf der Bankein Wort für mich einzulegen, damit ich einen Kreditaufnehmen könne. Jeden Monat würde der Kredit danneinfach mit einem Teil des Lohnes abbezahlt werden.Also so was, seit wann haben Direktoren denn so vielInteresse an ihren Mitarbeitern! Nicht mal ich selbst wäreauf so eine gute Idee gekommen. Freudig nahm ich sei-nen Vorschlag an, bekam das Geld und buchte einHotelzimmer und eine Busfahrkarte nach Benidorm, derTouristenmetropole an der Südküste Spaniens.

»Morgen fahr ich ans Meer! Ist das nicht toll?«, prahlteich beim abendlichen Joint mit den Typen aus demQuartier. »Mensch erzähl keinen Scheiß Alicia, ist daswahr?«, fragte Pili. »Ja, hier ist mein Ticket und meineHotel-Reservierung.« – »Das ist toll«, schaltete sich PilisFreund ein, »aber ich hab noch eine viel bessere Idee.«– »Und die wäre?«, fragte ich erstaunt. »Wir fahren mor-gen alle zusammen hin. Ich habe ein Auto und ein Zelt.Wir campen. Ist doch viel cooler zu viert.« – »Du bist javerrückt, das geht doch nicht«, wendete jemand ein. Undnun redeten wir noch lange hin und her bis in die Nachthinein. Am Schluss waren alle zu dem Abenteuer bereit.

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Verrückt! Ich ließ mein bereits bezahltes Hotelzimmersausen, um mit meinen Freunden zusammen zu cam-pen. Mit dem restlichen Geld kaufte ich Kokain, das ichauch großzügig meinen Freunden spendierte. – Ein wei-terer, dummer Fehler in meinem Leben.

Am dritten Tag meines Urlaubs verletzte ich mich beim Fuß-ballspielen auf dem Campingplatz an meiner rechten Fer-se. Ich musste zum Arzt und bekam einen Gips. Aus war‘smit Baden! Zum Meer war es sowieso ein ganzes Stück,jedenfalls zu weit, um mit einem Gips dahin zu humpeln.Meinen »guten Freunden«, deretwegen ich Hotelzimmerund alles hatte fahren lassen, schien das ziemlich egal zusein. Sie ließen mich sowohl tagsüber allein im Zelt zurück,als auch am Abend, wenn sie in die Bars gingen!

Da saß ich nun allein da, doof wie immer. Ein erbärmli-cheres Bild kann man sich ja kaum vorstellen. Wie sollein solcher Urlaub mir helfen aus dem Schlamassel raus-zukommen?! Mir war wirklich zum Heulen zumute. Meineinziger Trost waren die netten Ausländer gleich im Zeltnebenan. Sie luden mich immer wieder auf ein Bier einund so war ich trotzdem nicht ganz allein.

Ein Mädchen aus dieser Gruppe Ausländer warbesonders nett. Sie hieß Nicole und versuchte mit mirüber alles Mögliche zu quatschen. Sie kam aus derSchweiz und konnte ein wenig französisch, so wie ichauch. So klappte die Verständigung halbwegs. Diese

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Nicole war wirklich toll drauf, eine richtige Powerfrau,selbstbewusst und selbstständig. So wollte ich auch sein.Als wir uns verabschiedeten, sagte sie: »Komm mich dochmal in der Schweiz besuchen.«

Grüne Hügel ratterten an meinen Augen vorbei, Kühe,Kirschbäume, Apfelbäume, frisch gemähte Wiesen, klei-ne Städtchen und Bauerndörfer wie aus dem Bilderbuch.»Ein schönes Land«, registrierten meine Hirnzellen, wäh-rend ich zum Zugfenster hinausschaute. Ich war auf demWeg zu Nicole. »Wenn ich schon eine Einladung in dieSchweiz habe, dann muss ich das ausnutzen«, dachtesich die reiselustige Alicia. Mehr dachte ich nicht. EinBesuch für eine Woche. Doch wie entscheidend wichtigfür mein weiteres Leben diese eine Woche sein würdeund dass ich in dieser einen Woche den Menschen ken-nen lernen sollte, der mir einmal mehr bedeuten würdeals jedes andere sterbliche Wesen auf diesem Planeten,das ahnte ich in diesem Moment nicht.

Nicole nahm mich in all die Kneipen mit, in denen sieverkehrte und stellte mir eine Reihe ihrer Freunde vor.Während wir in einem besonders coolen Laden saßen,fiel mein Blick auf einen Jungen in einer total verfilztenJeansjacke. Ich sah nur seinen Rücken und trotzdemspürte ich, dass er sehr depressiv war, total ernst undbelastet. Irgendwie wollte ich ihm helfen. »Wer ist das,Nici?«, fragte ich. »Oh, das ist der Michi«, antworteteNicole mit wenig Interesse. »Sieht so aus, als hätte er

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ziemliche Probleme.« – »Ach, er ist fast immer so schlechtdrauf.« – »Können wir ihm denn nicht helfen? Ich meine,wir könnten ihn vielleicht zu einem Joint einladen, dawürde er bestimmt ein wenig fröhlicher werden.«

Nicole, die lebensfrohe Natur, ging sofort auf meinenVorschlag ein. Sie klopfte Michael auf die Schulter underzählte ihm von unserem Vorhaben. Er war natürlichfür einen Joint, dazu noch mit zwei Mädchen, immer zuhaben. Und so saßen wir schon bald zu dritt draußenauf einer Bank und versuchten uns zu unterhalten. Indiesem Moment lernte ich meinen Mann kennen, eineFührung Gottes? – Unmöglich, was hat Gott schon zutun mit Haschisch, mit abenteuerlustigen Mädchen undFlirtereien! – Oder vielleicht doch?

In diesem Moment, während Nicole Michael erzählte,wer ich sei und dass ich es war, die ihn eigentlich zumJoint einladen wollte, weil ich sah, dass er Problemehatte und ihm helfen wollte, wusste Michael ein Ge-heimnis, von dem er mir erst sehr viel später erzählte.

Michael, der Junge mit den traurigen Augen, diemanchmal voller Hass glühten, der Junge mit den T-Shirts von denen Dämonenfratzen grinsten, der Junge,der nur richtig froh war, wenn höllischer Speed-Metaldröhnte, er hatte genau in dem Augenblick, als ich ihnzum ersten Mal sah, dort in der Bar, während er in seinBierglas starrte, einen Notschrei zum Himmel gesandt.

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In der Verzweiflung seines Herzens schrie er, ohne dassirgendein Mensch es hören konnte: »Gott, wenn es dichwirklich gibt, dann gib mir einen Menschen, nur einenMenschen, der sich für mich und für meine Problemeinteressiert.« Genau das war geschehen. Ich, ein Mäd-chen aus Spanien auf einem einmaligen Blitzbesuch inseiner Heimat, hatte genau das 10 Minuten später ge-tan. Zufall? Für ihn war klar, dass hinter unserer Begeg-nung der lebendige Gott stand.

An diesem Tag blieben wir noch lange zusammen undmit Händen und Füßen philosophierten wir über diesesund jenes und hatten das Gefühl, wir würden uns ganzgut verstehen und so ziemlich in allem übereinstimmen.

Während ich nach Spanien zurückflog keimte in mir derEntschluss, in die Schweiz zu »fliehen«. In diesem Landkönnte ich frei werden von den Drogen und von denMenschen, die mir in Madrid das Leben schwer mach-ten. Die Schweiz präsentierte sich schön, fortschrittlichund modern. Die Menschen wirkten zwar sehr kalt, aberdie wenigen Leute, die ich kennen gelernt hatte, warenalle ganz nett. Mit ihnen könnte ich es schaffen. Ge-dacht – getan. Ein paar Monate später, Ende Sommer1988, reiste ich zum zweiten Mal in die Schweiz. Gottweiß, woher ich das Geld für die Reise hatte. Diesmalwollte ich nicht nur einen Urlaubstrip machen, diesmalreiste ich ein mit dem Entschluss, eine Arbeit zu findenund zu bleiben.

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Nicole war ganz aus dem Häuschen, als sie mich plötz-lich mit meinem Köfferchen vor ihrer Haustür stehen sah.Ich hatte sie zwar aus Madrid angerufen und gesagt,dass ich kommen würde, doch wenn man verschiedeneSprachen spricht, meint man manchmal nur, man wür-de sich verstehen … Diese Tatsache sorgte übrigens spä-ter in meiner Ehe noch für ein böses Erwachen!

Nicole nahm mich einfach in ihre Wohnung auf. »Hastdu wenigstens Geld?«, fragte sie. »Nein, ich hab allesfür Zug und Taxi verbraucht, um vom Flughafen bis zudir zu kommen.« Meine Güte, damals habe ich wirklichvöllig gedankenlos gelebt! Gott sei Dank, Nicole warhilfsbereit und flexibel.

Das war schon eine steile Nummer. Obwohl ich es ihrgesagt hatte, verstand meine herzensgute Freundin näm-lich auch nicht (Sprachbarriere), dass ich drogenabhän-gig war und hier davon loskommen wollte. Sie merkteauch nicht, dass ich ziemlich den Entzug spürte (er warnicht so stark, weil ich schon lange nur noch gesniffthatte), sie fand nur, dass ich schon meine Macken hat-te. Trotzdem tat sie, was sie konnte, um mir zu helfen.

»Du willst also hier bleiben, als Ausländerin in derSchweiz? Da stehen die Chancen aber schlecht.« Nacheinigem Rumfragen und Nachdenken fand meine Niciheraus, dass die einzige Möglichkeit für eine Aufenthalts-genehmigung das Finden einer Au-pair-Stelle für mich

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war – ein Kinder- und Hausmädchen das gleich bei derFamilie wohnt. Der Gedanke gefiel mir. Und überhaupt,mir war es nicht wichtig, was ich tun würde, sonderndass ich nur nicht zurück nach Madrid müsste.

Bei einem Freund von Nicole, der auf dem Land wohn-te, ließ ich mir einen Drachen auf den Oberarm täto-wieren. Und wen traf ich da? Den Bekannten von mei-nem ersten Besuch – Michael. Auch er ließ sich tätowie-ren. Ganz erfreut von dieser Gemeinsamkeit und überdiesen Zufall (für Michael war es Gott – nur sagte er dasniemandem), der uns wieder zusammengeführt hatte,vertieften wir unsere Freundschaft.

Würde ich in diesem Land bleiben können? Erstmalmusste ich eine Stelle finden. Zum Glück dachte ichdamals nicht so viel nach. Sonst hätte ich vielleicht garnicht angefangen, mich als Kindermädchen zu bewer-ben. Wer will schon für seine Kinder ein Mädchen mitkurz geschorenen Haaren, deren Oberarm von einemDrachen geziert wird, die noch nicht einmal Deutschkann und die Drogen nimmt! Ich nahm zwar kein Hero-in mehr, doch rauchte ich täglich jede Menge Haschisch.(Natürlich sagte ich beim Vorstellungsgespräch nicht,dass ich Drogen nahm. Aber bei meinem Outfit hättesich das ja jeder denken können.)

Doch, oh Wunder, ich bekam eine Stelle als Kindermäd-chen und zwar bei der allerersten (!) Adresse, wo wir

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nachfragten! Vielleicht lag es daran, dass es ziemlichmoderne Leute waren, wie es sie in der Schweiz ja häu-fig gibt. Jedenfalls stellten sie mir nicht viele Fragen,sondern sagten einfach zu. Ich konnte im nächsten Schul-jahr, im August 89, dort anfangen.

Ich fuhr weiter »Achterbahn«, doch langsam schien sichdie Kurven nach oben zu wenden. Es gab nur einenHaken: vorher musste ich doch noch nach Spanien zu-rück, um alle Papiere zu regeln. Dann würde ich dortvon der Schweizer Ausländerpolizei eine Bewilligungbekommen.

Auf dem Weg in meine Heimat, hoch über den Wolken,versuchte ich über alles nachzudenken. Irgendwie spürteich, dass das eine ganz große Chance in meinem Lebenwar, vielleicht die letzte. Die durfte ich auf keinen Fallverpassen. »Wenn ich jetzt nur keinen Blödsinn mache«,sagte ich mir immer wieder. »Wenn ich nur nicht wieder indie Drogen stürze und mir das alles vermassle.«

Zu Hause erzählte ich voller Freude, was mir in derSchweiz alles passiert war, und dass ich schon bald dortals Kindermädchen arbeiten könne. Wie immer glaub-ten sie mir nicht. »Die Alicia lügt ja sowieso nur denganzen Tag, der kann man ja nicht trauen«, meintensowohl meine Mutter wie auch alle anderen. Damit hat-ten sie nicht ganz Unrecht, ich log und stahl mir dasGeld für meinen Drogenkonsum nun ja schon seit Jah-

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ren zusammen. Aber jetzt wollte ich das ja alles ändern!Wollte ehrlich sein, ein neues Leben beginnen! Aberkeiner glaubte mir. – Mit der Unterstützung meiner Fa-milie konnte ich also nicht rechnen.

Trotzdem hatte ich nach kurzer Zeit genug Geld zusam-mengetrieben für ein Flugticket nach Zürich und ichkonnte mir sogar noch einige Schweizer Franken wech-seln. Nun stand meinem Glück eigentlich nichts mehrim Weg.

Um ein Haar hätte ich mir das Ganze kurz vor Schlussnoch vermasselt. In der Zeit wo ich auf die Papiere ausder Schweiz wartete, kaufte ich nämlich eine ziemlichgroße Menge Heroin für mich und meine Freunde, soviel Heroin, wie ich noch nie in meinem Leben gekaufthatte. Kaum hatte ich das Zeug in meiner Tasche, liefich der Polizei in die Hände. Weil ich ein wenig die Ge-setze kannte, wusste ich, dass ich ziemlich in der Klem-me saß. Wer mit einer solchen Menge erwischt wurde,musste mindestens drei Tage in Haft bleiben und wurdestrafrechtlich verfolgt und registriert. Kaum gute Voraus-setzungen, um die Bewilligung der Schweizer Auslän-derpolizei zu bekommen!

Mit solchen Gedanken saß ich einige Stunden trübsin-nig auf der Polizeistation. »Warum mache ich nur immereinen solchen Blödsinn. War das wirklich nötig gewe-sen?« Ich verlor allen Mut. Nachdem ich genug Zeit

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gehabt hatte, um über meine Dummheit nachzudenken,ging plötzlich die Tür auf. Ein Polizist sagte trocken: »Siekönnen gehen.«

So war ich unverhofft und unverdient wieder in der Frei-heit. Die Tür in die Schweiz war nicht ins Schloss gefal-len. Jedoch war ich immer noch nicht dort, und erst imNachhinein erkenne ich, wie sehr alles auf des MessersSchneide stand.

Drei Tage vor meinem Abflug ging mir meine Familiedermaßen auf die Nerven mit ihrer Kritik (sie hatten es jaauch nicht einfach mit mir), dass ich nicht mehr nachHause ging. Ich pennte irgendwo. Ich zählte jeden Tag.Doch dann, am Morgen des großen Tages, verschlief ich!

Ich wachte auf und starrte erschrocken auf meine Uhr,es war bereits fünf nach acht. Das Flugzeug flog umviertel vor elf, aber ich musste eine Stunde vorher dortsein. Mit einem Taxi brauchte ich etwa eine Stunde zumFlughafen. »Das wird knapp, aber ich könnte es nochschaffen«, schoss es mir durch den Kopf. »Schnell,schnell, schnell – nach Hause, die gepackte Tasche mit-nehmen, zum Taxistand laufen …« Doch Moment mal:»Oh nein, ich habe ja gar kein Geld mehr! Ich hab jaalles verbraucht und ganz vergessen, mir etwas für denWeg zum Flughafen zurückzulegen.« (Hätte ich es nichtselbst erlebt, würde ich heute gar nicht glauben, dassman so gedankenlos leben kann!)

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Zuhause angekommen, warf ich die Tür auf, packtemeine Sachen zusammen und erzählte meiner »Jaja«(Oma) die ganze Geschichte. Die glaubte dem »Krebsder Familie«, wie mein Vater mich nannte, natürlich keinWort. Kindermädchen in der Schweiz, Flugzeug, Taxi,keine Zeit – eine weitere Junkie-Geschichte, nur um anGeld zu kommen. Wir fingen an zu streiten. Schließlichgab sie mir ärgerlich etwa 2500 Pesetas.

Ich spurtete zum Taxistand. »Wie viel kostet es zum Flug-hafen ‚Barajas‘?« keuchte ich. »Bei diesem Verkehr ge-gen 4000 Pesetas.« Die Antwort des Taxifahrers traf michwie der Blitz. Mein Flugzeug in die Freiheit sah ich schonohne mich davonfliegen. Schnell erzählte ich ihm mei-ne Geschichte. »OK, ich glaub dir«, freundlich stellteder Fahrer die Zähluhr ab und fuhr mich, so schnell esging, durch die überfüllten Straßen Madrids zum Flug-hafen.

Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dassich das Flugzeug gerade noch in der letzten Sekundeerwischte. Dieses Flugzeug brachte mich nicht nur indie Schweiz, es brachte mich an den Ort, wo alles neuwerden sollte. Neu und schöner, als ich es mir je hätteträumen lassen.

Ein Direktor, der sich selbstlos um mich kümmerte; derdumme Entschluss, das bezahlte Hotelzimmer fahren zulassen; ein ärgerlicher Unfall beim Fußball spielen; un-

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treue Freunde; eine ungewöhnlich nette Fremde, derenSprache ich nicht verstand; eine Familie, die mir grund-los ihr Vertrauen schenkte, ein Polizist, der mich laufenließ; eine Großmutter, die mir wider Willen Geld gabund ein Taxifahrer, der mich fast zum halben Preis zumFlughafen brachte – viele »Zufälle« brachten mich anden Ort, wo ich ein neues Leben und eine neue Identitätbekommen sollte.

Zufälle – oder eine unsichtbare Hand, die alle Wider-stände gegen meine Ausreise einfach aus dem Wegräumte? Mir scheint es heute, dass mein kurzes Gebet:»Jesus rette mich!« noch viel länger nachhallte, als iches mir denken konnte.

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Meine Stelle in der Schweiz hätte nicht besser für michzugeschnitten sein können. Die Familie zahlte mir nichtnur die Krankenkasse, den Deutschkurs und einen klei-nen Lohn – ich hatte sogar eine Wohnung für mich al-lein. Das hat wahrscheinlich nur eines von tausend Au-pair-Mädchen. Arbeitsbeginn war erst um 11 Uhr undum 18 Uhr war schon wieder Schluss. Für SchweizerVerhältnisse ist das wie Urlaub. Doch mehr hätte eindrogengeschädigtes Mädchen wie ich kaum ertragen.So konnte ich also meine Arbeit tun und hatte genugFreiraum, um den Schock der ganzen Umstellung zuverarbeiten.

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Mein Arbeitsort war etwa 40 km von dem Wohnort mei-ner Freundin Nicole entfernt. So oft ich konnte, fuhr icham Wochenende zu ihr. So kam es, dass ich auch Mi-chael wieder traf und wir waren oft zusammen.

Michael rief mich an, besuchte mich, holte mich mit sei-nem Motorrad ab oder mit dem Auto seines Freundes,war nett und half mir, wo es ging. Michael war andersals alle anderen Jungs, das spürte ich sofort. »Er willnicht etwas (Sex) von mir, sondern er will mich beschüt-zen, für mich dasein«, dachte ich. Das gab mir ein Ge-fühl der Sicherheit, das ich bis dahin nicht kannte.Andrerseits war mir sein Interesse an mir nicht Recht.Weil ich HIV-positiv war, konnte ja nie etwas aus unswerden. Ich fand es nicht fair, wenn ich ihm das ver-schweigen würde.

Ich musste es ihm also sagen, koste es was es wolle.Denn mein neues Leben hier in der Schweiz wollte ichnicht auf Lügen aufbauen. In Madrid hatte ich jahre-lang nur noch gelogen und das belastete mich sehr. Ichmerkte, dass ich in der Lüge nie glücklich und nie freiwerden konnte. Ich wollte nicht mehr so leben wie frü-her! So nahm ich allen Mut zusammen und erzählte ihmvon meiner Krankheit. Ich sagte ihm, dass deshalb eineBeziehung zwischen uns nicht möglich sei. Mir war klar,dass Michael nach dieser Nachricht nichts mehr mit mirzu tun haben wollte. Er, der einzige Junge, der aufrich-tig an mir interessiert war.

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Doch er reagierte ziemlich gelassen auf mein Bekennt-nis. Er meinte nur, dass das für ihn kein Problem sei. Daauch sein eigener Bruder HIV-positiv sei, wisse er mitder Krankheit genau Bescheid. Ich war erleichtert undschöpfte wieder Hoffnung.

Wir blieben also weiterhin zusammen. Oder wie soll ichdas nennen? Nein, wir hatten kein »Verhältnis«. Wir hiel-ten nicht einmal Händchen. Wir küssten uns nicht einmal,obwohl wir oft Tag und Nacht zusammen waren! Miteinem gegenseitigen Respekt, der unserer Generationfremd war, blieben wir auf Distanz. Wenn man bedenkt,in welcher Gesellschaft wir uns bewegten und was fürMoralvorstellungen wir hatten, ist das wirklich ein Wun-der. Wahrscheinlich war meine Krankheit der Haupt-grund, dass wir eine vollkommen »reine« Beziehunghatten. Andererseits wollte ich mich einfach auch aufkeine Geschichten mehr einlassen, die am Schluss nurweh tun, und Michael respektierte das völlig. So konn-ten wir uns auf gesunde Weise kennen und respektierenlernen, in einer Beziehung, die nicht sexuell belastet war.Das war notwendig, damit das zarte Band der Freund-schaft sich festigen konnte. Wären wir nicht enthaltsamgeblieben, wäre unsere Beziehung zweifellos im Nu indie Brüche gegangen. (Nicht, dass wir damals so tiefeGedanken gehabt hätten, aber im Nachhinein könnenwir das ganz deutlich sehen.)

Für mich war es eine wunderschöne Zeit. Einen Freund

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zu haben, der sich für mich interessierte, nicht aus Ei-gennutz, sondern aus … hm, ja was war es denn – Lie-be? Ja es war Liebe, doch damals verstand ich unterLiebe andere Dinge.

Ich dachte nicht viel über alles nach. Ich dachte nichtan die Zukunft und wie sich unsere Beziehung entwi-ckeln sollte. Ich genoss einfach die Zeit und lebte in denTag hinein.

Eines Tages überraschte Michael mich völlig. Als ich ihmerzählte, dass ich in Madrid einige Jahre an der Nadelgehangen hatte und in die Schweiz gekommen sei, umfrei zu werden von Heroin, sagte er mir gerade heraus:»Du brauchst Jesus.« Ich dachte: »Ich hör wohl nichtRecht. Ausgerechnet der sagt so etwas. Der ist ja lustig.Hat selbst Probleme und ist depressiv, zieht sich ständigseine ‚Metallica‘ und ‚Suicidal Tendencies‘ rein und re-det davon, dass ich Jesus brauche.«

Mein Jahr ging schnell zu Ende. Inzwischen war Winterund langsam musste ich der Tatsache ins Auge sehen,dass diese einzigartige, schöne Zeit bald ihr Ende neh-men würde. Als Au-pair-Mädchen bekommt man nurfür ein Jahr eine Aufenthaltsgenehmigung und die kannnicht verlängert werden. Das bedeutete für mich, zurückin die Hölle von Madrid, in mein Quartier, wo die Dea-ler vor der Haustüre stehen. Legal gab es einfach keineMöglichkeit, länger in der Schweiz zu bleiben. Meine

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ganze Welt brach zusammen. Hier könnte ich leben, hiermusste ich nicht Heroin nehmen, hier gab es Menschendie mich liebten! Und nun sollte ich das alles verlassenmüssen? Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen.

Es ist Montag, kalt, grau und nass, ein wüster Märztag.Ich mache blau. Anstatt zu arbeiten, gehe ich mit einerFreundin ins Hallenbad. Am Abend warte ich bei ihr zuHause auf Michael. Er kommt von der Arbeit und istfroh, mich zu sehen. Wir reden über dies und das. ImLaufe des Gesprächs sage ich ihm, dass ich im Sommerwieder zurück nach Madrid muss. Ich bemühe mich, dasso gelassen wie möglich zu sagen: »Na ja, es gibt haltkeinen anderen Weg, es ist halt so.« Doch damit wolltesich Michael nicht abfinden: »Es muss doch einen Weggeben.« – »Nein, gibt es nicht, ich hab mich schon überallerkundigt. Die einzigen Möglichkeiten, hier zu bleiben,wären entweder im zwielichtigen Milieu zu arbeiten oderzu heiraten und beides kommt für mich nicht in Frage.«Michael bleibt ruhig – vielleicht eine halbe Minute (spä-ter sagte er mir, er hätte in dieser Zeit ein Stoßgebet zumHimmel gerichtet). Er sieht mich an. »Gut, dann heira-ten wir.«

Ich bin wie vor den Kopf gestoßen, darüber habe ichnicht einmal im Traum nachgedacht. Heiraten – uij –ich glaube, er weiß nicht wovon er redet. »Nein, dasgeht nicht«, wehre ich ab. Doch er bleibt hartnäckig,argumentiert und nach einer Viertelstunde gebe ich mich

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geschlagen: »Also gut, wenn du meinst, dann heiratenwir.« Plötzlich bin ich voller Freude und er auch. »Dasfeiern wir jetzt! Ich lade dich zu einer Pizza und einerFlasche guten Wein ein«, lacht Michael mich an. Draußenfällt dicker Schneeregen und zum ersten Mal laufen wirHand in Hand über die Straßen. Kann das Leben nochso romantisch sein?

Als Michaels Eltern spitz kriegten, dass ihr Sohn eineunbekannte Ausländerin heiraten wollte (der Kerl hattemich ihnen nie vorgestellt), waren sie natürlich nichtgerade sehr begeistert. Trotzdem wollten sie mich ken-nen lernen und so wurde das erste Treffen organisiert.Bei Kaffee und Kuchen unterhielten wir uns über diesesund jenes. Ich war überrascht von ihrer Freundlichkeit.Ich spürte, dass diese Menschen anders waren.

Michaels Eltern waren Christen. Damals hatte ich keineAhnung, was Christen sind. Zudem verstand ich sowiesodas meiste nicht, mein Deutsch war ja immer noch mehrschlecht als recht. Trotzdem spürte ich etwas besonde-res bei Michaels Eltern und seiner Schwester Miriam. Inihrer Wohnung waren überall Spruchkärtchen mit Bibel-versen. Immer wieder zog es meinen Blick auf dieseKärtchen. Heute sagen meine Schwiegereltern, dass ichoft lange davor stand und sie zu lesen versuchte.

Als ich meiner Mutter per Telefon mitteilte, dass ich heira-ten wolle, glaubte sie mir nicht und schimpfte: ich Egoist

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wolle sicher nur wieder unschuldige Leute ausnutzen.Schlussendlich kam sie mit meiner kleinen Schwester trotz-dem zur Hochzeit. Die war am 29. Juni 1990.

Es war ein Sommertag, wie man ihn sich nicht schönervorstellen kann. Wäre es nach uns gegangen, hätten wirwahrscheinlich klammheimlich, in Jeans, einfach kurz einPapier unterschrieben und das wäre unsere Hochzeit ge-wesen. Glücklicherweise sorgten Michaels Eltern dafür,dass wir doch noch so etwas wie eine normale Hoch-zeitsfeier hatten. Normal – bis auf die Hochzeitsleute. Aufdem Weg zum Standesamt stritten wir uns noch über ir-gendeine Kleinigkeit. Doch als wir unser Treuegelübdeunterschrieben, waren wir auf einmal voller Freude undwussten, dass wir einen großen Schritt getan hatten.

Doch diese Freude hielt nicht lange an. Um große Schritteerfolgreich zu tun, braucht man auch eine gesundeSchau fürs Leben, und große Liebe muss mit Charakter-stärke gepaart sein, damit sie Bestand hat. Uns fehltedas eine wie das andere.

Streit war dann auch schon bald auf der Tagesordnungund es wurde je länger, desto schlimmer. Es geschahgenau das, was eigentlich jeder (außer uns) schon vor-ausgesehen hatte. Unsere Ehe war ein einziger Trüm-merhaufen. Zwar hatten wir einige positive Vorsätze ge-fasst, wir wollten auch Gott in unsere Ehe mit einbezie-hen, lasen zusammen in der Bibel (Michael hatte mir

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inzwischen eine spanische Übersetzung besorgt). Dochdiese halbherzige Hinwendung zu Gott war kaum dieangemessene Therapie für zwei Drogen und Heavy-Metalgeschädigte Chaoten wie uns. Selbst das Bibellesen ar-tete meist in Streit aus. Wer weiß, in was für einer Tragö-die wir noch geendet hätten, wäre es nicht bald zu einergroßen Wende gekommen …

Nach einem heftigen Streit hatte ich endgültig die Nasevoll. »Selbst in einer Beziehung, die auf Liebe gegründetist, kann ich keine Erfüllung finden!« Es schien alles keinenSinn zu haben. Ich war verzweifelt. Wie konnte es sein,dass ich den Mann, den ich liebte, gleichzeitig hasste? Lie-ber sterben als so zu leben! Ich griff zum Telefonhörer.»Mama, ich komme nach Hause, ich halte das nicht mehraus hier«, sagte ich unter Tränen. Darauf fingen wir wiederan zu streiten und Michael machte mir heftige Vorwürfe.Dann wollte er seine Eltern anrufen. Nein, die wollte ichnicht sehen. Ich schrie ihn an, dass das nicht fair sei undrannte zur Wohnung hinaus. Michael rannte hinter mir her,ohne seinen Eltern, deren Telefonnummer er schon ge-wählt hatte, auch nur ein Wort sagen zu können.

Ich stand hinter der Ecke der Hausmauer und sah, wiemein Mann nervös ums Haus gelaufen kam, und Rich-tung Wald schaute. Ich blieb still. Als er mich nicht sah,rannte er zum Wald hinauf, in der Annahme ich sei dort.»Soll er doch verschwinden«, dachte ich zornig. Als erjedoch im Wald verschwand, tat mir alles sehr leid. Ich

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wollte nicht, das unsere Beziehung eine Ende nahm. Ichliebte ihn ja – so gab ich mir einen Ruck und ging hinterihm her. 1

Mein Mann rannte in der Zwischenzeit verzweifelt in denWald. Als ich ihm eröffnet hatte, dass ich zurück nachSpanien gehen wollte, brach für ihn eine Welt zusam-men. Sein Bruder war ein alter Junkie, darum wusste ergenau, dass ich in meiner alten Umgebung niemals vondem Teufelszeug los kommen, sondern sofort rückfälligwerden würde. Er hatte mich geheiratet, um mich ge-nau davor zu retten. So sehr liebte er mich. Und nunwar er, der mich retten wollte, Schuld daran, dass ichzurück ging, um im Heroin unterzugehen!

Doch im Wald war niemand. Plötzlich blieb er stehenund wurde ganz ruhig. Es war ihm, als hörte er eineStimme sagen: »Wohin willst Du denn noch laufen, Mi-chael? Du kannst nirgendwo mehr hinlaufen. Siehst dunicht, dass du schon die ganze Zeit läufst und läufst, –wohin willst Du denn eigentlich?«

Plötzlich begriff er, dass es der lebendige Gott war, derihm begegnete und mit ihm sprach. Sein ganzes Lebenwar er vor Gott davongelaufen und hatte Gottes Liebe

1 Michaels Lebensgeschichte wird in dem Buch »Tanz am Ab-grund«, CLV, ausführlich erzählt. (siehe Hinweis am Ende desBuches, Seite 125)

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abgewiesen und verachtet. Er begriff in einer Sekunde,was er bis dahin trotz aller christlichen Erziehung nieverstand: Dass Gott Liebe ist und dass Gottes Gebotenicht grausame Verbote, sondern Ausdruck seiner Liebesind, die uns Menschen vor dem Verderben bewahrenwollen. Vor dem Verderben, in das er nun hinein ge-rannt war!

In dieser Begegnung mit Gott überfiel Michael das Be-wusstsein, dass er es wirklich nicht verdient hatte, jetztnoch von Gott Gnade und Vergebung zu bekommen.Doch mit dieser Erkenntnis begriff er plötzlich, dass Je-sus genau wegen dieser unverzeihlichen Schuld für ihnam Kreuz gestorben war. Es war ihm, als hörte er Jesussagen: »Ich habe schon längst alles gewusst und dirschon längst alles vergeben, ich warte schon die ganzeZeit darauf, dass du dies alles einsiehst.«

Hat Gott diese trotzige Ehefrau hinter der Hauseckebenutzt, um Michael zu begegnen? Jedenfalls war dasTiming perfekt: Nachdem Michael Gottes Stimme bisins Innerste seines Herzens vernommen hatte, drehte erum und ging langsam zurück und traf auf mich, die ich,vom schlechten Gewissen getrieben, ihm doch nachge-gangen war.

Soweit ich mich erinnern kann, sprachen wir kein Wort.Traurig und geknickt gingen wir gemeinsam zu unsererWohnung zurück, ohne eine Ahnung, wie es weitergehen

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sollte. Inzwischen standen schon meine Schwiegerelternin unserer Wohnung. Irgendwie hatten sie gemerkt, dassder wortlose Telefonanruf von uns kam und dass wir inSchwierigkeiten steckten. »Was wollen die denn hier«,dachte ich, »die haben mir ja gerade noch gefehlt.«

Als wir ihnen dann zu erklären versuchten, wie es zudem Streit gekommen war, entbrannte im Nu wiederein heftiger Streit. Wir beschuldigten uns gegenseitigund schrien uns an. Es war, als könnten wir nicht anders,als beherrsche uns eine böse Macht. Plötzlich, ohneAnkündigung, fing Michaels Vater an laut zu beten undbat den Herrn Jesus, jetzt Ruhe zu schenken. Und tat-sächlich, wir wurden still und konnten wieder normalreden.

Unsere Schwiegereltern erzählten uns dann, dass einesogenannte Zelt-Evangelisation in der Nähe stattfindeund luden uns ein, mit ihnen hinzugehen. Ich hatte ei-gentlich nicht sonderlich Lust dazu. Aber Michael willig-te nach seiner Begegnung mit Jesus im Wald (von der erweder mir, noch sonst jemandem etwas erzählt hatte)natürlich sofort ein.

Dank einer Simultanübersetzung hörte ich an dieser Zelt-Evangelisation zum ersten Mal eine Predigt in meinerMuttersprache. Ich fand, dass der Mann die Wahrheitsagte, obwohl ich seine Einstellungen für ziemlich alt-modisch hielt.

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Zwei, drei Tage nach diesem Anlass meldete sich Mi-riam bei uns, Michaels Schwester. Sie war mir sehr sym-pathisch. Sie strahlte Freude und Frieden aus und ichdachte: »Die will uns wirklich helfen.« Sie erzählte uns,dass es in St. Gallen, einer Stadt etwa 30 km von unsentfernt, am Samstagabend einen Bibelkreis in spani-scher Sprache gab. Dahin würde sie uns gerne einmalmitnehmen. Michael war ja seit neuestem immer fürsolche religiöse Sachen zu haben, er stimmte zu. Ichaber dachte: »Ausgerechnet Samstag, da ist doch immeram meisten los.« – »Na ja, so schlimm kann es ja auchnicht sein, einmal dahin zu gehen«, argumentierte eineandere Stimme in mir und so erklärte ich mich ebenfallseinverstanden.

Meine Reise abwärts lief ohne Hindernisse, wie ge-schmiert. Doch aufwärts – da ging es nur mit viel Wider-stand. Auch diese gute Weichenstellung in meinem Le-ben hätte ich im letzten Moment beinahe zerstört.

»Was, heute Abend ist eine Party? Hast du etwa davongewusst?« Ich war sehr aufgebracht. Es war der Samstag,an dem wir in den Bibelkreis gehen sollten. Nun fragteuns ein Freund, ob wir auch zur Party von XY gehen wür-den und Michael antwortete schnell, dass wir heute schonetwas anderes vorhätten und wollte dann schnell das The-ma wechseln. Aber nicht mit mir! Als er meine zornige

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Frage bejahte, fauchte ich ihn an: »Was, und du hast mirnichts gesagt! Spinnst du eigentlich? Meinst du, ich gehzu einem langweiligen Bibelabend, wenn heute Abendeine Party ist! Ich ruf sofort Miriam an und sage ab.«Während ich wütend am Telefon die Nummern eintippte,hörte ich meinen Mann sagen: »Du kannst ja machen,was du willst, aber ich finde es nicht in Ordnung, dassman in letzter Minute absagt, wenn man mit jemandemwas abgemacht hat.« – »Gut, dann komm ich halt mit.«Ich knallte den Hörer auf: »Aber das ist das erste und dasletzte Mal, dass ich dahin fahre.«

Von jenem Samstag an gingen wir jedesmal in den Bi-belkreis. Ich weiß nicht mehr, über was dort gesprochenwurde, aber wir beide fühlten, dass wir dort am richti-gen Platz waren. Wir spürten an diesen Bibelabendeneinen Frieden, der uns auch die ganze Woche erleich-terte. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung: dieseschlichten Bibelstunden brachten mir mehr Erfüllung alsdie tollsten Partys.

Nach etwa einem Monat, es war inzwischen September,hörte ich, dass am nächsten Samstag keine Bibelstundesei, weil die meisten ans »Campamento« (Camp) in dieBerge fuhren. Dieses Campamento war eigentlich einWochenende in einem christlichen Bergheim. Dort gabes Vorträge über den christlichen Glauben und es ka-men außer aus unserer Gruppe auch Spanisch spre-chende Leute aus anderen Städten der Schweiz.

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»Da will ich auch hin!« Neugierig und entdeckerfreudigwie ich bin, wollte ich mir diese Gelegenheit nicht ent-gehen lassen, etwas Neues zu erleben. Meine Sponta-nität stellte die Organisatoren vor ein Problem, dennder Anmeldeschluss für dieses Wochenende war längstvorbei und alle Plätze bereits belegt. Doch die wohlmei-nenden Christen wollten uns nicht enttäuschen und sowaren wir am nächsten Wochenende mit MichaelsSchwester und deren Freundin unterwegs in die Berge.Während wir durch die traumhaften Schweizer Alpenkurvten und spanische christliche Lieder hörten, warenwir bereits voller Vorfreude, gespannt, was uns diesesWochenende bringen würde.

Am Freitagabend, beim Eröffnungsvortrag, stellte sichder Redner vor. Er erzählte wie er zum lebendigen Glau-ben an Jesus Christus gekommen war, nachdem er zuerstjahrelang Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen war.Das war ganz interessant, für mich jedoch nicht entschei-dend. Im Lauf des Abends zitierte jemand einen Versaus der Bibel, der für mich aus allem anderen heraus-stach. »Kommt doch, wir wollen miteinander rechten,spricht der HERR: Wenn eure Sünden wie Scharlach sind,sollen sie weiß werden wie der Schnee; wenn sie rot sindwie Purpur, sollen sie wie Wolle werden« (Jes. 1,18).

»Das ist genau das, was ich brauche! Ja, meine Sündensind rot wie Blut, mein Leben ist voll damit. Sie belastenmich Tag und Nacht und es gibt nichts, womit ich sie

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ungeschehen machen kann. Und hier wird mir völligeVergebung angeboten – das muss ich haben!«

Noch am gleichen Abend zeigte ich den Vers meinemMann und sagte: »Das hat mich angesprochen und daswill ich haben.« Am nächsten Tag redete ich mit Miriamund ihrer Freundin darüber und wir beteten dann zu-sammen. Doch der entscheidende Schritt geschah erstam Abend.

Nach dem letzten Vortrag wurde angekündigt, dass manSonntagmorgen das Abendmahl feiern werde. Abend-mahl? – »Da will ich auch dabei sein«, flüsterte ich Mi-chael zu. Ich solle mit den verantwortlichen Leutendarüber sprechen, erwiderte er darauf und erklärte, dassei eine ernste Angelegenheit und da könne nicht ein-fach jeder so teilnehmen. Wenn‘s weiter nichts ist! Wirsuchten nach dem Vortrag also die Leiter des Campsauf, um mit ihnen über diese Sache zu reden.

Da saßen wir nun zu viert. Max und Raimundo erklärtenmir und meinem Mann, dass am Abendmahl nur Leuteteilnehmen sollen, die sich für Jesus »entschieden ha-ben«, das heißt, ihm mit ganzem Herzensentschluss nach-folgten. Wir beteuerten, dass das bei uns der Fall sei (naja, in der Zeit waren wir immer noch fleißige Kiffer) unddass wir da jedenfalls gerne dabei wären. »Es ist einfachhier oben an Jesus zu glauben. Aber wollt ihr ihm auchunten, in der normalen Welt, nachfolgen, wenn ihr wieder

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unter euren Freunden und Arbeitskollegen seid?« for-derten uns die Beiden heraus. Als erfahrene Christenhatten sie an solch christlichen Freizeiten schon genü-gend Scheinbekehrungen erlebt, die im Alltag keinenBestand hatten. So wollten sie uns weise von einer vor-eiligen, nur auf Emotionen gegründeten Entscheidungabhalten. Es entwickelte sich ein längeres Gespräch. Jemehr die beiden jedoch versuchten, uns ein vorschnel-les Bekenntnis auszureden, um so sicherer wurden so-wohl ich, als auch mein Mann, dass wir uns wirklich mitHaut und Haaren Jesus ausliefern und ihm nachfolgenwollten.

Als Max und Raimundo sahen, dass unser Entschlussfest stand, fragten sie uns, ob wir denn schon ganz be-wusst mit unseren Sünden gebrochen und uns im GebetJesus übergeben hätten. Mein Mann erzählte von sei-nem Erlebnis im Wald und dass er seither Jesus nachfol-gen wolle. Auch ich erzählte von meinem Gebet amMorgen und von dem Bibelvers, der mich ins Herz ge-troffen hatte. »Wollt ihr eure Entscheidung hier und jetztvor uns noch einmal festmachen?«, fragte uns Max miteinem eindringlichen Blick. »Es spricht eigentlich nichtsdagegen, sicher ist sicher«, war unsere Antwort. So be-kannten wir dem Herrn Jesus unsere Sünden (was unsso bewusst war) und baten ihn, in unser Leben zu kom-men als Herr und Heiland. Als ich im Gebet meine Sün-den bekannte, flossen mir die Tränen nur so übers Ge-sicht. Ich stockte oft, aber irgendwie schaffte ich es. Auch

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Max und Raimundo beteten dann, aber an ihre Wortekann ich mich nicht mehr erinnern.

»Können wir nun am Abendmahl teilnehmen?«, hakteich nach, als das Gebet zu Ende war. Wenn unsere Le-bensübergabe an Jesus Christus aufrichtig gewesen sei,könne man eigentlich nichts dagegen einwenden, ant-worteten die Beiden. Nur sollten wir dann morgen inder Nachmittagsversammlung öffentlich Zeugnis gebenvon unserer Bekehrung, damit auch die anderen Leuteerfuhren, was mit uns geschehen war. Wir waren damiteinverstanden.

Auf dem Weg ins Bett war ich total froh. Ich spürte einentiefen Frieden in meinem Herzen, etwas, was ich kaumbeschreiben kann, vielleicht sind die Worte »eine heiligeErregung« die passendsten. Vor dem Schlafen bat ichGott, mich doch rechtzeitig zu wecken, denn das Abend-mahl begann schon um 7 Uhr und ich hatte keinenWecker dabei. Bei einem Langschläfer und Morgenmuffelwie mir brauchte es da schon ein Wunder! Das Wundergeschah: Punkt 6 Uhr wachte ich auf und war soforthellwach. Ich fühlte mich wie noch nie zuvor in meinemLeben, es erfüllte mich ein tiefer Friede und eine tiefeFreude. Michael ging es genau so.

Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, schlichen wirzu zweit durch die langen Gänge des riesigen Bergheims.Alles war still, die meisten Teilnehmer des Camps schlie-

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fen noch. Einige wenige waren in einem kleinen Raumversammelt. In der Mitte auf dem Tisch lag Brot undWein. Wir nahmen zum ersten Mal in unserm Leben amAbendmahl teil. Es war ganz und gar unspektakulär. Ei-nige lasen ein paar Bibelstellen vor, einige beteten, wirsangen ein paar Lieder und nahmen Brot und Wein.Doch für mich war das Ganze ein unbeschreiblichesGlück.

Ohne viel zu verstehen, wusste ich, dass ich am Zielmeiner Reise angekommen war. Ich hatte den Sinn desLebens gefunden: Heim kommen zu Gott. Ja tatsäch-lich, ich fühlte, dass mir alle meine Sünden vergebenwaren. Sie waren weg. Mein Konto, das eben noch blut-rot war und mich schwer belastete, war nun schnee-weiß.

Meine Freude war doppelt, weil es Michael genau gleicherging. Unter dem Heim lag dicker Nebel, hier obenwar die Luft klar und hell und etwa so fühlten wir uns,als schwebten wir in den Wolken. Es war, als wären wirnach jahrelanger Tunnelfahrt endlich ans Licht gekom-men. Alles, was wir sahen, schien uns wie das Paradies:die Menschen, die Natur, die Bibelworte, die Gebete,alles.

Als ich am Nachmittag aus meinem Leben erzählen soll-te, brach ich nach wenigen Worten in Tränen aus undkonnte nicht viel sagen. Mein Mann nach mir erzählte

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voller Freude, wie er sein Leben lang vor Jesus davon-gelaufen, nun aber von ihm gefunden worden sei. Erschloss mit dem Bibelwort: »Darum, ist jemand in Chris-tus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen,siehe, es ist alles neu geworden!« (2. Kor. 5,17).

Dieser Vers schien wie für uns geschrieben worden zusein. Alles war neu. Als wir am Sonntagabend nachHause kamen, stellten wir erstaunt fest, dass immer nochein Klumpen Haschisch auf dem Tisch lag. Das hattenwir total vergessen. Wir schauten uns gegenseitig an undsagten wie aus einem Mund: »Das brauchen wir ja jetztnicht mehr, jetzt wo wir Jesus haben.« Wir versorgtenden Klumpen in einer Truhe und gingen schlafen. Wirhatten ja Erfüllung gefunden, jetzt mussten wir sie nichtmehr woanders suchen. So einfach war das. Beide rauch-ten wir schon jahrelang täglich Haschisch. Sich ohneJoint schlafen zu legen, das gab es bei uns einfach nicht.Aber all das war wie weggeblasen. Gleich zu Beginnunseres neuen Lebens mit Jesus erfuhren wir, dass dieWorte der Bibel nicht nur leere Worte sind, sondern dassin ihnen Kraft und Leben ist.

Alles war neu. Die Woche darauf besuchte uns einFreund, der mehrere Monate in Mexiko verbracht hatte.Als er einen Joint drehte und wir ihm sagten, dass wirnicht mehr rauchten, weil unser Leben jetzt Jesus gehör-te, reagierte er sehr überrascht. Er sagte, dass er sofortgespürt habe, als er seinen Fuß in unsere Wohnung setz-

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te, dass etwas anders wäre. Es war ihm vorgekommen,als würde ein anderer, positiver Geist in dieser Woh-nung sein. Da hatte er allerdings Recht. In uns wohntenämlich jetzt der Geist Gottes. Der Geist des Friedensund der Freiheit. Deshalb brauchte ich keine Drogenmehr, denn der Friede, den mir Jesus täglich gab, warweit besser als alles, was Rauschgift mir bis jetzt vermit-telt hatte.

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s ist fast zu schön um wahr zu sein« sagte ich Mi-chael wenige Wochen nach unserer Umkehr zu

Gott. Es war fast nicht zu glauben, dass so etwas, wie wires erlebten, wirklich wahr sein konnte. Doch der Friedeund die Freude blieb. Es war nicht wie bei den Drogen, womit der Zeit die frustrierende Ernüchterung einsetzte.

So wuchsen wir in unser neues Leben hinein. Fleißig la-sen wir unsere Bibeln (wir lasen ja auch schon vorher abund zu), redeten mit Gott über unser Leben und schlos-sen uns auch schon bald einer christlichen Gemeindean. Einige unserer alten Freunde akzeptierten unserenGlauben, ganz nach dem Motto: wenn es euch hilft,dann ist es sicher gut für euch, aber mich interessiert esnicht. Andere jedoch gingen uns aus dem Weg und

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Ein neues Leben

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gaben sich genervt. Davon ließen wir uns nicht allzusehr irritieren, man sah an den verschiedenen Reaktio-nen ja nur, wer wirklich unsere Freunde waren.

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Ende gut – alles gut? Nein, ein Leben mit Jesus ist keinMärchen und eine Beziehung zu Jesus löst auch nichtauf einen Schlag alle Probleme. Ein Problem war tat-sächlich auf einen Schlag gelöst – nämlich mein aller-größtes, mein Sündenproblem. Meine Sünden, die meinGewissen all die Jahre belastet und die mich Gott ent-fremdet hatten, die waren weg. Damit hatte ich dieGrundlage, um überhaupt all die andern Probleme, diesich in meinem Leben aufgetürmt hatten, lösen zu kön-nen. Durch die Bibel konnte ich nun Gottes Gedankenüber das Leben kennen lernen, im Gebet konnte ichGottes Kraft in Anspruch nehmen, in der christlichenGemeinde fand ich den benötigten menschlichen Zu-spruch und der Geist Gottes der jetzt spürbar in mirwohnte, warnte mich vor falschen Wegen und gab mirin Schwierigkeiten die Gewissheit, dass ich letztendlichdoch als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würde.

Ja, die Grundlage hatte ich, aber nun begann für micheine harte Lehrzeit. Denn ich hatte vieles zu lernen unddas in sehr kurzer Zeit.

Unsere Ehe war, wie ich es vorher beschrieben habe,

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ein einziger Trümmerhaufen. Wir hatten es nie gelernt,Konflikte zu lösen und Konflikte gab es natürlichweiterhin. Es war uns in Fleisch und Blut übergegan-gen, dass wir bei Meinungsverschiedenheiten laut wur-den und einander alles Mögliche an den Kopf warfen.Es fiel uns sehr schwer dieses Verhalten zu ändern, undes verursachte noch lange viele Schmerzen in unsererEhe. Auch die Beziehungen, die ich vor meiner Heiratmit andern Männern gehabt hatte, haben tiefe Wun-den in meine Seele geschlagen. Viele dieser Wundenbelasteten sowohl mich, als auch unsere Ehe noch jah-relang.

Dann war da noch Michael, der Mann, den ich aus Lie-be geheiratet hatte. Er war auch kein Engel. Er war viel-mehr, wie ich feststellen musste, trotz all seiner Liebe zumir ein ziemlich extremer Typ. War er vorher ein vergif-teter Heavy-Metal Freak gewesen, so schlug er jetzt ziem-lich ins andere Extrem. Wenn es um den Glauben ging,hatte er nun ganz hohe und strenge Ideale. Das kammir meist ziemlich übertrieben vor, sicher auch deshalb,weil ich in seinem Leben oft nur wenig sehen konnte vonFriede, Freude, Geduld und all den anderen guten Din-gen, welche die Bibel die Früchte des Geistes nennt.

Dazu kam noch, dass er das Gefühl hatte, mich bevor-munden zu müssen. In diesem Gefühl wurde er gehörigbestärkt, als wir über Weihnachten meine Familie inMadrid besuchten. Kaum war ich nämlich in meiner al-

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ten Umgebung, war ich wie von einer unsichtbaren Machtgetrieben, wieder das gleiche zu tun, was ich immergetan hatte. Ich kaufte Heroin und sniffte jeden Tag einekleine Dosis. Es war furchtbar. Schon auf der Heimreisebekannte ich Michael alles und bat Jesus um Verge-bung. Nach diesem Ereignis war er natürlich überzeugt,dass er mir nur helfen würde, wenn er mir ständig sagte,was ich tun und lassen sollte.

In dieser Zeit fühlte ich mich oft einsam und unverstan-den. Wer als Spanierin in der kalten Schweiz leben muss,hat es ja an sich schon schwer genug, um das gefühls-mäßig zu verkraften. Aber ich musste außer der neuenSprache und Mentalität noch viel, viel mehr lernen.

Als Kind wurde ich nie zur Verantwortung hin erzogenund als Teenager floh ich mit Drogen vor der Realität.Was hatte ich bis jetzt vom Leben gelernt? Mein Lebens-stil war seit ich denken konnte: Ich will machen was ich ich ich ich ichund wie ichichichichich will. Ob das klug ist oder nicht, das interes-siert mich nicht. Ich dachte nie an morgen, sondern leb-te immer nur aus dem momentanen Empfinden heraus.Doch jetzt war ich verheiratet, ich konnte nicht mehrimmer tun, was ich wollte. Jetzt gehörte ich zu Jesus undhatte ihm zu gehorchen und nicht mehr meinen Empfin-dungen. Jetzt hatte ich meine eigene Wohnung, musstekochen, Miete, Strom und Wasser zahlen, und daswiederum hieß Arbeiten gehen und mit dem Geld sinn-voll hauszuhalten. Das alles war mir furchtbar steil!

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Mit dem Geld haushalten zum Beispiel, das war mir völligfremd. Und so waren die Finanzen immer wieder einPunkt, wo wir uns in die Haare kriegten. Ich war es ge-wohnt, das Geld, das in meiner Tasche war, einfachauszugeben. Ob etwas teuer oder günstig war, daraufschaute ich nicht so sehr. (Wie jeder Junkie hatte auchich jahrelang mit großen Geldbeträgen jongliert ummeine Sucht zu finanzieren. Da verliert man mit der Zeitalle gesunden Relationen.) Doch Michael, ein sehr ge-nauer Schweizer, (manchmal befürchte ich, dass auchnoch eine schottische Ader in ihm fließt) erklärte mir,dass man auch Geld sparen muss, nicht nur um Endedes Monats die Rechnungen begleichen zu können, son-dern auch um die jährlichen Staats- und Gemeinde-steuern zu bezahlen; ganz zu schweigen von dem Geld,das man sich noch zusätzlich zurücklegen sollte für Ur-laub und größere Anschaffungen … »Hilfe!« Wie ge-sagt, in diesem Punkt kriegten wir uns oft in die Haare.

Und dann jeden Tag früh aufstehen. Jeden Tag! Aufste-hen wenn es noch dunkel ist, nur um dann an der Arbeitvon einer griesgrämigen Chefin zur Schnecke gemachtzu werden. Ich kann nicht mehr! »Michael, heute gehich nicht zur Arbeit, ich glaub ich bin ein wenig krank!«

Meine erste Arbeitsstelle verlor ich nach einigen Wochen.Auch bei der zweiten ging es nicht lange gut. Bei derdritten dachte ich: »Da halte ich es keine 3 Monate aus!«Doch langsam lernte ich in der ‚Schule Gottes‘. So nen-

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ne ich diese Zeit der harten Umstellung. Ich blieb in die-ser Firma, bis Gott mich an einen anderen Ort führte.

Ich blieb dort, obwohl meine Arbeit wirklich nicht gera-de attraktiv war: am Fließband Ketten für Kettensägenzuschneiden. Das war meine tagtägliche Beschäftigung,zusammen mit 5 anderen Frauen, die (wie ich) ziemlichgiftig sein konnten. Anfangs hätte ich mich mit meinerVorgesetzten fast geprügelt und die Dienstälteste, einefrustrierte, geschiedene Frau, ließ mir einmal die Luftaus dem Fahrrad. Als ich aber nach Jahren die Firmaverließ, waren wir alle gute Kolleginnen und es tat unsallen Leid, dass wir auseinander gehen mussten.

So lernte ich in vielen mühsamen, kleinen Einzelschrit-ten zuerst einmal ein normales Leben zu führen und dazunoch ein christliches. Aus dem Total-Egoisten, der 24Stunden am Tag nur an sich selbst dachte, wurde lang-sam ein Mensch, der auch die Wünsche anderer re-spektierte, Frieden dahin brachte, wo Streit war und an-deren glaubwürdig erzählen konnte, dass man nur beiJesus Rettung finden kann – für dieses Leben und auchfür das Leben nach dem Tod.

Um anderen Menschen wirklich weiterhelfen zu können,braucht man ein persönliches, geistliches Leben, einetiefe Beziehung zu Gott. Die hatte ich auch nicht aufeinen Schlag mit meiner Umkehr. Vielmehr dauerte esJahre, bis sich so eine Beziehung entwickelte.

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Am Anfang verstand ich mehr oder weniger nur einenVers der Bibel: »Wenn eure Sünden rot wie Karmesinsind, wie Schnee sollen sie weiß werden.« Ich wusste,dass ich das brauchte und haben wollte. Wie hingegenein Leben für und mit Gott aussah und vor allem werGott war, das war mir nicht sehr klar.

Zuerst tat ich verschiedene Dinge, weil ich von anderenhörte, dass ein Christ dies und jenes tut, oder eben nichttut. Am meisten prägte mich da mein Mann und seineFamilie. Sie waren es vor allem, die mir sagten, wasGottes Wille sei. Das war zwar einerseits hilfreich, weiles mir half, richtige Entscheidungen zu treffen und michvor einigen Dummheiten bewahrte. Gleichzeitig war dasjedoch auch ein Problem, denn Gottes Meinung war fürmich oft nur Michaels Meinung oder ich war unsicher,ob Michaels Meinung nun wirklich auch Gottes Mei-nung war. Ich stand immer noch nicht auf eigenen Fü-ßen. Das musste ich noch lernen, genau so, wie wennein Kleinkind das Gehen lernen muss.

Doch wie lernt man das, in seiner Beziehung zu Gottauf eigenen Füßen zu stehen? Da war z.B. das Rau-chen. Jesus befreite mich mit einem Schlag von meinerDrogensucht, ich hatte kein Bedürfnis mehr Drogen zunehmen, aber mit den Zigaretten war das eine andereSache. Ich rauchte weiterhin und ich liebte es zu rau-chen. Michael ermahnte mich: »Rauchen ist wirklich nichtgesund. Das will Gott bestimmt nicht und schau was

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hier steht: ‚Wisset ihr nicht das ihr Gottes Tempel seidund der Geist Gottes in euch wohnt?‘ 1.Kor 3,16 DerHeilige Geist hat bestimmt keine Freude, wenn du dirdie Lungen mit giftigem Rauch füllst.« Michael sagte:»Gott sagt…« Das war mein Problem, das war mir furcht-bar steil. Es leuchtete mir ein, dass mein Mann Rechthatte, aber überzeugt war ich trotzdem nicht. Ich ver-suchte aufzuhören, schaffte es aber nicht. Versuchte eswieder, vergeblich. Dann rauchte ich heimlich, umwenigstens vor andern gut dazustehen. Das war wirklichein Krampf.

Schließlich aber merkte ich, dass es wirklich auch derWille meines Herrn und Erretters war, dass ich meinenKörper nicht weiter mit dieser sinnlosen Sucht zerstörte(immerhin war mein Vater vor wenigen Monaten an Lun-genkrebs gestorben!). In mir tobte ein Kampf: ich willJesus gehorchen, aber ich will nicht auf meine geliebtenZigaretten verzichten! Endlich bat ich Jesus unter Trä-nen und auf Knien, er möge mich doch von dieser Suchtbefreien. Und dann hatte ich Sieg. Ich hörte auf zu rau-chen und schon bald freute ich mich über diese neueFreiheit.

Solche Erlebnisse führten dazu, dass ich Gott und seineKraft persönlicher kennen lernte. Auch das regelmäßigeBibellesen half mir allmählich, mein eigenes, geistlichesLeben zu haben. Mehr und mehr stand ich auf eigenenFüßen und wusste nicht nur, was ich glaubte, sondern

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auch warum ich es glaubte. Ich wurde ein Mensch, derseine eigenen Überzeugungen hat. Etwas, was ich niein meinem Leben gehabt hatte.

Diese harte Umstellung, die harte Schule, wie ich esnenne, dauerte einige, lange Jahre. Trotz allem war eseine schöne Zeit. Denn in all den Kämpfen lernte ichJesus besser kennen. Ich machte die Erfahrung, dassich nie mehr allein war. Er gab mir immer wieder Trost,neue Kraft und neuen Mut.

Es wurde mir eine Freude für ihn zu leben, von unseremgemeinsam verdienten Geld einen Teil in die Mission zugeben und anderen Menschen von ihm zu erzählen.Letzteres brachte mir zwar meistens Spott ein, aber esgab auch Menschen, die hören wollten. Zum BeispielRosa, eine Arbeitskollegin: sie sagte mir, dass sie mehrvon Jesus wissen wolle und bekehrte sich bald. Einandermal sprach ich eine Südamerikanerin an, die aufder Straße Sachen verkaufte, auch ihr konnte ich eineBibel schenken und sie mitnehmen zum Spanierkreis,bis sie ausgewiesen wurde und nach Peru zurückkehrenmusste.

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Jesus hatte »alles neu« gemacht – galt das auch für meineKrankheit? Leider zeigte ein erneuter Test, dass das tod-bringende Virus immer noch in meinem Blut war. Konn-

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te Gott diese Krankheit heilen? Ich zweifelte keinen Au-genblick daran. Er hatte mich von meiner Sucht geheilt,warum nicht auch davon.

Ich hatte schon von einigen Christen gehört, die aufGebet hin von schweren Krankheiten geheilt wurden.Aber ich wusste sehr wohl auch, dass Heilung nicht immerGottes Wille ist. Ich hatte von dem Apostel Paulus gele-sen, dass er von seinem ‚Pfahl im Fleisch‘ nicht befreitwurde, obwohl er Gott ernstlich dreimal darum bat. Mitmeiner Schwägerin Miriam betete ich mehrere Male fürmeine Heilung. Doch mir schien, als würde mir Gott mitden selben Worten antworten, mit denen er damals Pau-lus geantwortet hatte. »Lass dir an meiner Gnade genü-gen, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollendet«(2. Kor. 12,9).

Ich akzeptierte diese Antwort. Bis jetzt war ich ja gesund,und das obwohl schon einige Jahre vergangen warenseitdem das ´Todesurteil‘ ausgesprochen worden war.Vielleicht wollte mir Gott noch viele Jahre Gesundheitschenken, trotz des Virus im Blut … Zudem musste icherkennen, dass sich mein Leben seit ich infiziert war, pa-radoxer Weise vielmehr zum Guten gewendet hatte.Damals war nicht alles aus, wie ich gedacht hatte, son-dern das wirkliche Leben fing erst an. Und ich merkteauch, dass mich die Krankheit näher zu Gott brachte. Alldies betrachtet, musste ich zugeben, dass mir die Krank-heit bisher mehr ein Segen als ein Fluch gewesen war.

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Vielleicht wollte Jesus einfach bewirken, dass mir durchdie Krankheit tiefer bewusst wurde, wie sehr ich Tag fürTag aus seiner Gnade leben konnte und von ihm abhän-gig war. Oft betete ich: »Herr, wenn eine Heilung meineBeziehung zu Dir verschlechtern würde, dann will ich nichtgeheilt werden.« Falls ich doch einmal daran sterbenmüsste, dachte ich, so hatte ich ja keine Angst mehr vordem Tod. Ich wusste, wohin ich gehen würde. Ich hatteFrieden. Der Vater im Himmel wusste um alles.

Damals erzählte ich nur wenigen Menschen von meinerKrankheit. Ich hatte Angst, auf Ablehnung zu stoßen. DieseAngst verstärkte sich noch, als unter den Christen ein Buchüber das Thema Aids kursierte. Es war von einem gläubi-gen Doktor und Professor geschrieben. Er warnte darineindringlich, dass die Ansteckungsgefahr bei Aids vielgrößer sei, als man das allgemein zugebe. Er »belegte«in seinem Buch, dass schon bei der Benutzung von glei-chem Besteck Ansteckungsgefahr bestünde usw. Ich wuss-te, dass das nicht stimmte. War doch Michael, mit demich schon Jahre zusammenlebte, immer noch HIV nega-tiv. Miriam aber, die uns wirklich sehr liebte und bestimmtkeine Vorurteile hatte, war durch dieses Buch sehr verun-sichert. Das alles bestärkte mich natürlich nicht geradedarin, mit meiner Krankheit ans Licht zu kommen. War-um sollten durch unnötige Ängste viele Beziehungen ge-trübt werden? Auf der anderen Seite kamen Gedankenhoch wie: Was werden wir unseren Freunden sagen, fallsdie Krankheit doch einmal ausbricht? Werden sie uns dann

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Vorwürfe machen, weil wir es ihnen die ganze Zeit ver-schwiegen haben? In dieser Weise belastete die Krank-heit mich und meinen Mann schon.

Mit der Ehe und einem Leben frei von Drogen kam auchder Wunsch nach Kindern. Wie liebte ich Kinder undwie gerne hätte ich ein Kind von meinem Mann gehabt!Doch ich war HIV-positiv. Eine Schwangerschaft war mithohem Risiko verbunden – für mich und für das Kind.Und obwohl ich nach einem Jahr nicht gleich gestorbenwar, konnte ich doch nicht wissen, wie lange ich nochleben würde. Ich musste meinen Kinderwunsch begra-ben. Das war für mich wie ein zweites Todesurteil.

Auf einmal schien es mir, als ob jede Frau schwangersei. Wie beneidete ich sie! Dann musste ich wieder anmeine Abtreibung denken. Ich hätte selbst ein Kind ha-ben können, doch das ließ ich töten. Das war bitter undmachte mich sehr verbittert. Bei Gott konnte ich michnicht beschweren. Dass ich HIV positiv war, hatte ich jaselbst verschuldet. Ich konnte mich nicht mehr freuenüber das Leben. Jede schwangere Frau, jedes kleine Kindstachen mir ein Messer in die Seele und ließen Bitterkeitin mir hochkommen.

Wohin konnte ich mit dieser Not gehen, als nur zu mei-nem Herrn. Im Gebet schüttete ich ihm mein Herz aus,nicht nur einmal, immer wieder. Und es wurde deutlich,dass Jesus der auferstandene, lebendige Herr ist, der

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Heiland, der heute noch heilt. Er zeigte mir, dass ich mitihm auch ohne Kinder glücklich sein kann. Er machtemir klar, dass er einen Plan für mein Leben hat, einenvollkommenen Plan und das seine Wege für mich dasAllerbeste beinhalten – ob mit oder ohne Kinder. Icherlebte vollkommene Befreiung und konnte mich wiederüber jedes Kind und mit jeder schwangeren Frau vonHerzen freuen!

Eine weitere Befreiung erlebte ich, als wir beschlossen,jedem Mitglied unserer Gemeinde in einem persönli-chen Gespräch von meiner Krankheit zu erzählen. Wirtaten das mit ziemlicher Sorge. Waren unsere Glaubens-geschwister richtig aufgeklärt über Aids oder würden siemit falschen Ängsten reagieren oder gar mit Anschuldi-gungen?

Unsere Befürchtungen waren umsonst. Nicht einer rea-gierte negativ oder war seit dem weniger herzlich zu miroder ängstlich wegen seiner Kinder. Einige fingen sogaran zu weinen, weil sie mich so sehr liebten. Einmal mehrdurfte ich den Sieg christlicher Liebe erfahren und wur-de so durch meine Glaubensgeschwister sehr gestärkt.

Heute bin ich viel freier, wenn es darum geht, von mei-ner Krankheit zu reden. Natürlich werfe ich es nicht je-dem wildfremden Menschen an den Kopf. Aber alle, dieich zu meinen Freunden zähle, werde ich früher oderspäter davon in Kenntnis setzen.

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Das Leben mit Jesus machte mir Freude. Er hatte michvon den Drogen befreit, mir einen Mann geschenkt, denich liebte und mir die Angst vor dem Tod genommen.Nur schon aus diesem Grund war es für mich selbstver-ständlich, dass ich anderen Leuten von ihm erzählen wollte.Dankbarkeit war ein weiteres Motiv, gerne für ihn zu le-ben. Neben dem Engagement in unserer christlichenGemeinde benutzten wir einen Teil unseres Urlaubs, umChristen und Missionare im Ausland zu besuchen. Daswar eine große Erfahrung für mich, wenn ich mich mitLeuten, die ich vorher nie gesehen hatte, im Nu so tiefverbunden fühlte, als wären sie meine Brüder und Schwes-tern. (Tatsächlich sind sie es ja auch. Die Bibel lehrt, dassjeder, der Jesus annimmt, ein Kind Gottes wird und zurgroßen Familie der Christen gehört, ganz gleich welcherHautfarbe oder Nationalität er angehört). Auf unserenBesuchen im Ausland erlebte ich die Realität dieser Wahr-heit. Was für ein Unterschied zu früher, wo man selbstlangjährigen Freunden nicht vertrauen konnte!

Weiterhin fuhren wir jährlich auch zu Bibelfreizeiten. Wäh-rend einer solchen Freizeit, im Sommer 1994, bekamenmein Mann und ich einen entscheidenden Anstoß, der unserLeben wiederum in ganz neue Bahnen lenken sollte.

Wir hatten uns also wieder einmal eine Woche Urlaubgenommen, um Gemeinschaft mit anderen Christen und

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Vorträge aus Gottes Wort zu genießen. Wie jedes Jahrwaren verschiedene Missionare zu Gast und berichte-ten über die Arbeit in anderen Ländern. Von diesen Be-richten war ich sehr angesprochen. Immer wieder hörteich, wie dringend überall Leute gesucht würden, die denMenschen etwas über Gott und sein Wort erzählen könn-ten. Mein Mann hielt oft Bibelstunden und Vorträge inunserer Gemeinde – sollte es Gottes Wille sein, dassauch wir uns in ein fremdes Land aufmachten, um dadie frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen?

Schon länger betete ich, dass mir Gott doch zeigenmöge, was sein Wille für mein Leben sei. Interessanter-weise hatte Michael die gleichen Gedanken wie ich alser diese Berichte hörte. Wir fühlten wir uns gedrängtgemeinsam Gott zu sagen, dass wir bereit seien ins Mis-sionsfeld in ein fremdes Land zu gehen, falls er das vonuns haben wolle.

Das Leute gebraucht wurden, war uns ganz klar. Aber obausgerechnet wir dazu ausersehen wären, das war unsnicht klar. Wir waren ja selbst erst wenige Jahre mit Jesusunterwegs und hatten auch unsere eigenen Probleme. Aufder anderen Seite lernten wir an dieser Freizeit junge Leu-te kennen, die bereit waren für Gott loszuziehen. Ein jun-ges Ehepaar wollte schon in Kürze in den Kongo ausrei-sen und ein junger Mann berichtete von der Arbeit inKroatien, das damals noch mitten im Krieg war. Wir hat-ten das Gefühl, dass Gott auch uns in die Mission rief.

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Aber die Frage blieb, war das Gott oder waren es einfachunsere Empfindungen? Gott würde es uns schon klarmachen – zu seiner Zeit. Unsere Aufgabe war es nun,einfach in dieser Sache zu beten. Anderen Christen woll-ten wir vorerst noch nichts von unseren Gedanken sa-gen. Die Sache sollte erst noch reifen. Seit dieser Freizeitbetete ich jeden Tag, dass uns Gott Klarheit geben solle.

Ein Jahr später, ich war immer noch in dieser Sache aufder Suche nach göttlicher Weisung, hatte Michael diegrandiose Idee, im Sommerurlaub seiner Schwester Mi-riam bei den Umbauarbeiten zu helfen. Im Urlaub arbei-ten! Ich war gar nicht begeistert, wir arbeiteten ja dasJahr über schon genug. Ein Badeurlaub in Mallorca, sowie letztes Jahr, hätte mir mehr zugesagt. Doch diesmalblieb Michael stur. Bei seiner Schwester gab es noch ei-nen Holzboden zu verlegen und es lag auf der Hand,dass er als gelernter Bodenleger da mit anpacken sollte.

Also gut. Wir fuhren zu Miriam nach Salzburg (vor eini-gen Jahren hatte sie geheiratet und wohnte nun in Ös-terreich.) Meine zwei sauer verdienten Wochen Urlaubsollten also ziemlich ereignislos werden …

In diesem »Urlaub« lud uns Andreas, ein Freund meinesSchwagers, zum Mittagessen ein. Er war, genauso wiemein Schwager, Lehrer an einer praxisorientierten Bibel-schule. Während des Essens fragte ich dann so aus demBauch heraus, ob er sich vorstellen könne, dass die Schu-

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le, wo er unterrichte, auch etwas für uns sein. »Das kannich mir gut vorstellen«, war seine Antwort.

Dieses kurze Gespräch blieb nicht ohne Folgen. Wiede-rum waren Michael und ich einer Meinung. Wir hattendas Gefühl, dass Gott wollte, dass wir diese Schule be-suchten. Wir beteten. Immer deutlicher schien es unsGottes Wille zu sein. Also fragten wir die Leiter unsererchristlichen Gemeinde, was sie davon hielten. Nach-dem sie für die Sache gebetet hatten, gaben sie uns‚grünes Licht‘. Wir füllten die Unterlagen aus und schick-ten sie nach Österreich.

Nun folgte banges Warten. Würden sie uns annehmen?Wenn ja, dann mussten wir unsere Arbeitsstelle und un-sere Wohnung kündigen. War das wirklich der richtigeWeg? Ich hatte keine Angst, denn wir hatten ja so vielgebetet und auch die Gemeindeleitung um Rat gefragt,und immer noch konnte Gott ein rotes Stoppsignal ge-ben, z.B. indem wir einfach nicht angenommen wurden.(In dieser Intensivschulung gibt es pro Jahr nur immerPlatz für acht Schüler).

Dann im Januar 1996 kam die Antwort: wir konnten andem Lehrgang 96/97 teilnehmen! Der »ereignislose«Arbeitsurlaub brachte mein Leben definitiv in neue Bah-nen. Nun wurde es also ernst: unsere Jobs mussten ge-kündigt werden. Würden wir wieder eine Stelle finden,wenn wir nächstes Jahr zurück kämen? Auch unsere

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schöne Wohnung mussten wir kündigen. Wie würde eswerden, wenn die Schulung beendet war? Würden wirzurück kommen? Oder vielleicht auch nicht? Werdenwir nach dieser Ausbildung direkt ins Ausland gehen?Wir hatten keine Ahnung, doch wir vertrauten einfachGott, dass er uns recht führen würde. Das Leben warjetzt plötzlich sehr spannend und so erfüllt. Wir warenvoller Erwartungen, was für großartige Dinge wir mitunserm Gott erleben würden. In diesen letzten Monatenin der Schweiz schien er uns ganz nah zu sein.

Auf nach Salzburg! Wieder in ein anderes Land. Zumzweiten Mal wechselte ich meine Heimat. Österreichgefiel mir sehr gut. In der Schule lernte ich so vieleneue Dinge. Und immer gab es etwas zu tun: Umfra-gen an der Uni starten, Leute besuchen, in Bibelge-sprächsrunden erzählen, wie ich zu Jesus gefundenhatte. Die Schulung war sehr vielseitig und die christ-liche Gemeinde, die in der Nähe der Schule war, sehrlebendig. Mir kam es so vor, als ob hier die Christenviel mehr Lebensfreude genossen, als ich es von un-serer Gemeinde in der Schweiz gewohnt war. Manging irgendwie natürlicher und offener mit den Men-schen um. Zudem waren die Menschen hier viel offe-ner für Gottes Wirken. Durch all das wurde ich sehrermutigt. Die Botschaft von Jesus Christus erlebte ichmit neuer Eindrücklichkeit, mir wurde bewusst, dassJesus noch viel größer ist, als ich ihn bisher kennengelernt hatte.

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In diesem Jahr wurde mir klar, dass Jesus uns so an-nimmt, wie wir sind. Das wusste ich zwar schon vorher,aber unbewusst schleppte ich doch die Meinung mit mirherum, dass man als Christ eben ‚so und so‘ sein müs-se, dass wir gute Christen sind, wenn wir einer bestimm-ten Schablone entsprechen. Jetzt begriff ich: mein Schöp-fer will, dass ich ihm diene so wie ich bin, so wie er michgeschaffen hat. Er will, dass ich, sein Geschöpf, ihmEhre mache mit meiner speziellen Eigenart. Diese Er-kenntnis war für mich sehr befreiend.

Keine Zeit hat nur Sonnenseiten. Manchmal war es auchstressig. Besonders als ich nebenbei noch den Führer-schein machte. Den Führerschein – also so was – Alicialernt Auto fahren! Für mich war das eine große und schwie-rige Sache. Denn außer der Pflichtschule hatte ich inmeinem Leben noch nie eine Ausbildung abgeschlossen.Zudem hatten wir ja auch kein Geld, weil wir ja an dieserSchule waren und nichts verdienten. Nie wäre ich auf dieIdee gekommen, den Führerschein zu machen. Doch einLehrer der Bibelschule ermutigte mich dazu. Das Geld?In der Gemeindekasse lagen immer wieder Kuverts mitGeld für uns von anonymen Spendern.

Und die Zukunft? Je mehr wir in der Schule lernten,desto mehr kamen wir zu der Überzeugung, dass eseigentlich besser wäre, vorerst in die Schweiz zurück-zukehren. Wir wollten wieder einer geregelten Arbeitnachgehen und all das Gelernte in unserer Heimatge-

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meinde anwenden. Doch wieder sollte es anders kom-men, als wir gedacht und geplant hatten.

Die Fähre, auf der wir nach Bosnien übersetzen, machtnicht gerade einen sicheren Eindruck. Ich habe keineLust hier den Fluss runtergespült zu werden, auf deranderen Seite macht mir die spannende Fahrt schonSpaß. Andreas, mit dem wir runterfahren, ist ja schonmehrmals hier gewesen. So gefährlich kann es alsogar nicht sein.

Es ist Ostern. In Bosnien liegt immer noch Schnee. DerFriedensvertrag ist gerade ein gutes Jahr alt und dasLand sieht aus, als hätte man gerade gestern noch ge-kämpft. Die Brücken sind zerstört, überall Militär, dieHäuser oft bis auf die Mauern niedergebrannt. Plötzlichnimmt uns ein heller Scheinwerfer die Sicht. Wir könnennur noch Schritt-Tempo fahren.

Zum Glück ist es nur ein Stützpunkt der IFOR, der inter-nationalen Friedenstruppen. Wir kommen uns vor wie ineinem Kinofilm: Panzer, Sandsäcke, Stacheldraht, Wach-türme, Scheinwerfer. Ein Amy-Soldat mit Gewehr imAnschlag kontrolliert unsere Pässe, funkt unsere Namendurch – wir können weiter fahren. Alles ist unheimlichund abenteuerlich.

Doch nicht Abenteuerlust trieb uns zu dieser Fahrt nachSarajevo, sondern der Wunsch, vielleicht Klarheit zu be-

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kommen, ob dort der uns von Gott zugewiesene Platz war.(In der Bibelschule hatten wir oft für Sarajevo gebetet,die Stadt, die fast vier Jahre belagert und zerbombt wor-den war. Vor einem Jahr waren uns bekannte Christendorthin gefahren – mit humanitärer Hilfe und christli-cher Literatur. Sie hatten Vorträge organisiert und promptgab es einige Dutzend Menschen, die Interesse bekun-det hatten, mehr zu hören. Seitdem fuhr immer wiederjemand hin um Hilfe zu bringen und Bibelstunden zuhalten. Aber Sarajevo lag nicht gerade »auf dem Weg«.Es war nötig, dass jemand dort beständig wohnen wür-de, um den Interessierten weiterzuhelfen. Sollten wir diese»Gesuchten« sein? Als wir vor einiger Zeit in KroatienEinladungen zu Bibelvorträgen verteilten, fragten wir unsdamals schon, ob wir selbst vielleicht einmal in dieserRegion wirken würden.)

Es ist mitten in der Nacht. Es brennt kaum ein Licht inBosniens verschneiter Hauptstadt. Das Haus wo wir schla-fen sollen ist verschlossen. Auch das noch! Wir fahrendurch die Stadt um den Jungen zu finden der vergessenhat, den Schlüssel zu hinterlegen. Scharen von Polizis-ten durchkämmen die menschenleeren Straßen. Ich weißnicht ob das beruhigend oder beängstigend ist. Die Ru-inen zerschossener Wohnblocks wirken bedrohlich. Ineinem dunklen Quartier hält Andreas vor einem Wrack,das einmal ein Wohnblock war. Tatsächlich, er geht hin-ein, hier drin wohnen also noch Leute – der Junge mitdem Schlüssel.

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So lange es geht, schlaf ich aus. Das Bett in dem ichliege, ist schöner als man es dem vergammelten Hauszugetraut hätte. Während und nach dem Frühstück lassich mich von warmer Luft anblasen. Die kleinen Elektro-Öfen sorgen wenigstens für ein bisschen Wärme in demkalten Haus. Heute werden wir einige Leute besuchenund am Abend ist eine Bibelstunde, die mein Mann hal-ten soll.

Andreas kennt bereits viele Leute in Sarajevo. Auf dereinen Seite der Altstadt gehen wir den steilen Hügelhinauf, um eine Frau zu besuchen. Auf dem Hügel aufder anderen Seite der Stadt wohnt eine andere Fami-lie. So gehen wir also kreuz und quer hinauf und hin-unter und sehen einiges von der Stadt. Der Schnee decktetwas von dem Schmutz zu. Aber an jeder Ecke siehtman stumme Zeugen der sinnlosen Gewalt, die hierdie Menschen terrorisiert hat. Praktisch jedes Haus ist»verwundet«: Einschusslöcher von Gewehrkugeln undGranatsplittern, dann wieder ein riesiges Loch von ei-ner Granate, ein ausgebranntes Zimmer, ein abge-schossener Balkon. Löcher auch in den Straßen,manchmal mit roter Farbe aufgefüllt, die an das Bluterinnert, das hier geflossen ist. Was wohl die Menschen,an denen wir vorübergehen, in ihrer Seele mit sich he-rumtragen müssen?

Bei einer moslemischen Familie werden wir dann herz-lich aufgenommen. Es wird gehörig aufgetischt. Ich

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wundere mich über die Freundlichkeit. Man spürt nichtsvon dem Leid, das sie erlebten, keine Verbitterung. DieGastgeberin war mit ihren Kindern und ihrer Mutterwährend des Krieges in Deutschland. So können wiruns auch gut mit ihnen in Deutsch unterhalten. Sie er-zählt, wie sie alle mitten in der Belagerung nach Sara-jevo zurückkehrten, weil sie gehört hatten, dass ihrMann verwundet sei. Das ist alles sehr interessant undzugleich bin ich froh, dass mir das bosnische Essenschmeckt.

Im Laufe dieser Tage lernen wir dann auch die Leutekennen, die mehr von Gott erfahren möchten: alte undjunge Leute. Als wir sie sehen, erinnern wir uns an dieWorte der Bibel: »Diese sind wie Schafe die keinen Hir-ten haben.« Sollen wir diejenigen sein, die diesen Men-schen den Weg zu Gott zeigen? Ist dies der Platz, derfür uns richtig ist? »Alicia, könnest du dir vorstellen,hier zu wohnen?« fragt mich Andreas. Na ja, dieseWohnung hatte wirklich keinen Komfort. Die Möbelwaren alt und dreckig. Es war feucht. Wasser gab esnur einmal am Tag – und das nur kalt. Das war wirk-lich nicht gerade mein Stil. Trotzdem antworte ich:»Wenn es sein muss, könnte ich mir das schon vorstel-len.«

Auch Michael denkt darüber nach, ob das wohl unserPlatz sei. Wir beten darüber und haben Ruhe bei demGedanken. Doch wir wollen nichts überstürzen.

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Langsam wurde die Zeit knapp. Im Sommer war derLehrgang an der Schule zu Ende und wir wussten immernoch nicht, was wir nachher tun sollten. Täglich betetenwir um Führung. Mein Mann suchte Rat bei den Lehrernder Schule und natürlich auch bei den Leitern unsererGemeinde. Sie alle meinten, dass sie sich gut vorstellenkönnten, dass uns Gott nach Sarajevo schicken wollteund ermutigten uns zu gehen.

Nur ein Leiter forderte uns nochmals heraus, indem erfragte: »Schön, jetzt seid ihr motiviert, aber habt ihr euchauch überlegt, was ihr tun werdet, wenn es hart und engwird? Werdet ihr dann immer noch den Glauben habenoder einfach wieder aufgeben? Ich kenne viele Missio-nare die nur noch seufzen, wie schwer das alles ist undso weiter. Das sind meine Befürchtungen!«

Natürlich hatten wir über solche Sachen nachgedacht!Das war es ja genau, was uns unsicher machte: Wür-den wir durchhalten? Wäre es uns nicht zu viel, alleinim fremden Land? Im Gebet hatte ich Gott diese Be-denken längst mitgeteilt und er hatte mir durch sein Worteine Antwort gegeben. In Josua 3,15-16 las ich: »Undsobald die Träger der Lade an den Jordan kamen, unddie Füße der Priester, welche die Lade trugen, in denRand des Wassers tauchten, (der Jordan aber ist vollüber alle seine Ufer die ganze Zeit der Ernte hindurch),

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da blieben die von oben herabfließenden Wasser ste-hen; sie richteten sich auf wie ein Damm. … Und dasVolk zog hindurch, Jericho gegenüber. Und die Priester,welche die Lade des Bundes des HERRN trugen, stan-den festen Fußes auf dem Trockenen in der Mitte desJordan; und ganz Israel zog auf dem Trockenen hinüber,bis die ganze Nation vollends über den Jordan gegan-gen war.«

Das Volk Gottes hatte von Gott den Auftrag erhaltenüber den Jordan zu gehen, eigentlich eine unmöglicheAufgabe für sie. Aber Gottes übernatürliche Kraft er-möglichte es ihnen trotzdem, den Fluss unbeschadet zuüberqueren. Doch wann lernten sie diese Kraft kennen?Erst als ihre Füße das Wasser berührten – erst dann. Sowusste ich, dass mir der Herr die Kraft geben würde dieich brauche, aber erst dann, wenn ich sie brauchte.

Diese Zusage Gottes beschwichtigte meine Ängste. Auchgab es mir große Ruhe wenn ich sah, mit welchem Ernstmein Mann die Sache anging. Er wollte wirklich GottesWillen tun und war nicht einfach von Abenteuerlust oderEnthusiasmus gepackt. Er betete immer wieder und such-te den Rat erfahrener Leute.

Gottes Wort sagte: »Geht!« Unser Herz sagte: »Geht!«Unsere Gemeindeleiter sagten: »Geht!« Erfahrene Män-ner sagten: »Geht!« Im Frühsommer 1997 stand unserEntschluss fest, nach Sarajevo zu ziehen. Nach vielem

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Beten und vielem Lernen war es so weit. Was würdenwir erleben? Würde Gott uns tatsächlich versorgen, mitallem was wir brauchten?

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n allem versorgt. Gleich von Anfang an zeigte unsGott, dass er hinter uns stand. Mein Mann und ich

hatten es uns zum Grundsatz gemacht, nie andere umGeld zu bitten. Jesus verspricht ja in der sogenanntenBergpredigt, das diejenigen, die vor allem für das ReichGottes Sorge tragen, keinen Mangel haben werden. Wirwollten Gott ehren, indem wir ihn beim Wort nahmen.Wenn er verspricht für uns zu sorgen, dann brauchenwir keinem Menschen unsere Bedürfnisse mitteilen.

Über das, was wir so alles brauchen würden, hatten wir– ehrlich gesagt – kaum nachgedacht. Uns schien es soselbstverständlich, dass Gott sich darum kümmern wür-de. Wir hatten uns die ganze Zeit nur gefragt, ob wir dierichtigen Leute für diese Aufgabe wären und ob es jetzt

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die richtige Zeit sei, zu gehen. Erst als wir darüber Klar-heit hatten, sahen wir auf einmal, was für materielleBedürfnisse es da zu decken galt!

Die Mieten in Sarajevo waren nach dem Krieg entsetz-lich hoch, dazu kam noch, dass der Vermieter das Geldgerne zwei Jahre im Voraus gehabt hätte. Das war einebeträchtliche Summe und wir hatten nach unserem Jahrin der Schule keine Mark mehr »auf der Seite«. Was tun?»Bittet, so wird euch gegeben.« Wir sagten unserem neu-en Arbeitgeber (Gott) welchen Betrag wir benötigten undschon nach kurzer Zeit waren 20.000.- DM auf unsermKonto eingegangen. Der oder die Spender dieses größ-ten Betrages, den wir jemals bekommen haben, bliebenanonym.

Eine zweite Sache die uns nun plötzlich einfiel, war, dasswir ja ein Auto brauchten. »Nun also ein Auto brauchenwir auch noch, Herr«, betete Michael. Ich fügte schnellnoch hinzu: »Aber bitte eines mit Servolenkung, Herr.Du weißt ja, dass ich erst gerade den Führerschein ge-macht habe und mich gar nicht auskenne mit etwasanderem.« Mein Mann Michael fand es natürlich einwenig unverschämt von mir, dass ich für den Luxus einerServolenkung betete. Er meinte, ein Missionar müssteeinfach mit dem zufrieden sein, was da ist und nichtnoch alle möglichen Extrawünsche haben. Das war sei-ne Meinung, doch ich sagte mir: was ich gebetet habe,habe ich gebetet.

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Am Mittwoch hatten wir für das Auto gebetet, am Sonn-tag nach dem Gottesdienst kam ein freundlicher Mannauf uns zu. Er sagte, er habe gehört, dass wir in die Mis-sion gehen würden und fragte uns, wann denn der vor-aussichtliche Ausreisetermin sei. »Mitte Juli«, erwidertenwir. »Das passt ja wie geschmiert!« rief er aus. Darauferklärte er uns, dass er und seine Frau vor einem halbenJahr beschlossen hätten, ihr Auto für Missionare zur Ver-fügung zu stellen. Sie müssten sich nämlich wegen desbevorstehenden Familienzuwachses ein größeres kaufen.Das neue Auto habe er bereits bestellt, der Lieferungster-min sei Mitte Juli, also genau dann, wenn wir ausreisenwollten. Wieder einmal war Gottes Timing phänomenal,seine Fürsorge überwältigend: er hatte ein Auto für unsbesorgt, noch bevor uns einfiel das wir eins brauchten.Ein Auto, nicht irgendein Schrotthaufen! Als wir den Wa-gen sahen, staunten wir: Er sah aus, als wäre er nagel-neu. Der treue Mann schenkte uns ein Auto, das in einemsehr guten Zustand war. Wir strahlten, mit so einer schnel-len Gebetserhörung hatten wir nicht gerechnet. Doch ichkonnte mir die Frage nicht verkneifen, die mir unter denFingernägeln brannte: »Hat es eine Servolenkung?« Siewurde mit einem liebevollen Lächeln bejaht.

Ja, Gott kann man wirklich beim Wort nehmen. EineFrau aus der Gemeinde bot sich an, für uns die Kran-kenversicherung zu übernehmen, und auch für die Au-toversicherung machte sich jemand stark. »Euer Vaterweiß, was ihr bedürfet.«

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Und meine Gesundheit? War sie nicht auch ein Bedürf-nis? Weitere Bluttests zeigten, dass leider keine wunder-same Heilung geschehen war. Ich war immer noch HIV-positiv. Meine Blutwerte hatten sich sogar weiter ver-schlechtert. Der Arzt riet mir dringend dazu, mit eineraufwendigen Therapie anzufangen. Doch wie sollte dasgehen, wenn ich nun nach Bosnien zog? Wie sollte ichständig die nötigen Blutkontrollen durchführen lassen?Hatte Gott mir nicht zugesagt, dass mir seine Gnadegenügen solle? War ich nicht all die Jahre bei besterGesundheit gewesen – auch ohne Medikamente? War-um sollte ich jetzt mit einer Therapie anfangen, derenNebenwirkungen mich vielleicht krank machen würden?Warum sollte meine Krankheit ein Hindernis werden fürdie Missionsarbeit, zu der ich berufen war? Nein, meineKrankheit darf kein Hindernis werden für das Reich Got-tes! Nach intensivem Gebet beschloss ich, weiter ohneMedikamente zu leben. Ich vertraute darauf, dass Gottmir die Gesundheit erhalten würde.

Obwohl ich wirklich darauf vertraute, gab es immerwieder Tage, wo mich die Angst packte. In Gedankensah ich mich sterben, Abschied nehmen von meinemMann, der mir mehr als alles in meinem Leben bedeu-tete. Solche Visionen erschütterten mich aufs Mark. Oftbrach ich in Tränen aus und bekannte Michael meineÄngste. »Werde ich Jesus auch noch treu sein, wenn ichleiden muss? Werde ich dann mit meinem Verhalten eingutes Beispiel sein?« fragte ich weinend. In solchen

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Momenten tröstete mich Michael und zeigte mir, dasses vollkommen falsch ist, so zu denken: »Seid nicht be-sorgt um den morgenden Tag, denn der morgende Tagwird für sich selbst sorgen. Jeder Tag nun hat an seinemÜbel genug« (Mt. 6,34). »Wenn Gott nicht will, dass wiruns für die Zukunft sorgen, müssen wir es auch nichttun. Was nützt es, wenn wir uns all das Schlimme aus-malen, was uns eines Tages treffen könnte? Er hat ver-sprochen, uns alle Kraft zu geben, die wir brauchen,aber zu der Zeit in der wir sie brauchen werden undnicht vorher. Er gibt uns nicht Kraft für imaginäre Nöteeiner ´dunklen Zukunft´«, weiter sagte er: »Wir müssenalle einmal sterben, aber nur einmal, das ist genug. Wiedumm von uns, wenn wir aus Angst hundertmal ster-ben. Heute bist du gesund. Heute sind wir zusammen.Dann freu dich heute darüber. Wie schade, wenn wiralle Tage unseres Gesundseins traurig sind, weil wir unsfürchten, morgen krank zu werden.«

Ich begriff, dass ich falsch lag und gegen Gedankendieser Art kämpfen musste. Auch wenn es sehr schwie-rig war, gegen diese aufsteigenden Gedanken anzuge-hen. Sie sind einfach da und bevor du es merkst, be-schäftigst du dich mit ihnen. Das Wissen, das Gott nichtwollte, dass ich so denke, half mir in meinem Kampf.Ich sollte mich nicht mit Sorgen für das ungewisse Mor-gen zerfleischen. Ich musste lernen, was Paulus im 2.Ko-rintherbrief schreibt, nämlich dass ich »jeden Gedankengefangen nahm unter den Gehorsam Christi«.

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Fing ich wieder an, mich in Bezug auf die Zukunft zufürchten, sagte ich mir selbst: »Stopp, Gott will das nicht,höchstens der Teufel der mich entmutigen will.« Im Ge-bet suchte ich Kraft, meine Gedanken zu kontrollierenund mit der Zeit hatte ich Sieg in dieser Sache. Ich konntemich wieder des Lebens freuen – ohne Angst vor derZukunft.

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Der Muezzin ruft zum Gebet. Ich drehe mich noch einmalum, mir ist es zu früh zum Aufstehen. Michael ist schonim Wohnzimmer. Mit dem feuchten Holz versucht er indem alten Ofen ein Feuer anzumachen. Qualm, lüften,nochmals Qualm, wieder lüften und dann geht es lang-sam – es wird warm im Haus. Doch nun heißt es für ihnWasser in die Kanister zu füllen. Das kostbare Gut fließtimmer noch nur ein bis zweimal am Tag. Immer amMorgen früh und meistens auch am Mittag. Das ratio-nierte Wasser motiviert mich zum Aufstehen, solange esfließt, kann ich mit warmem Wasser das Gesicht wa-schen. Während ich meine Morgentoilette mache, holtMichael noch eine Kiste Holz herein. Der Ofen brauchtden ganzen Tag über Betreuung.

Wir leben jetzt in Bosnien, in Sarajevo, der Stadt, woEuropa und der Orient sich die Hand geben. Kirchenund Moscheen zieren die gleichen Plätze. Häuser imösterreichischen und türkischen Stil säumen die gleichen

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Straßen. Diese Mischung gibt der Stadt einen besonde-ren Flair. Ich liebe diese Stadt. Ich liebe ihre Märkte mitdem saftigen Gemüse, dem vielen Trubel, den Verkäu-fern, die immer zu einem Spaß aufgelegt sind.

Vor dem Frühstück möchte ich noch meine Begegnungmit Gott haben, die Zeit, wo ich beim Beten und beimLesen der Bibel versuche, seine Stimme zu hören. Dannum 10 Uhr kommt Sandra, unsere Sprachlehrerin. Eineunglaublich witzige und nette Person.

Es ist furchtbar! Die bosnische Sprache ist ein entsetzli-ches Gebilde aus nichts als Grammatik. Fälle, Fälle,nur Fälle und dann gibt es weibliche, sächliche undmännliche Zahlen und bei vier ist man immer noch inder Einzahl! Heute bin ich wieder total frustriert, am Randder Verzweiflung. »Ich höre auf. Das lerne ich nie. Machtihr zwei ohne mich weiter.« Zum X-ten mal ermutigenmich Sandra und Michael. Doch heute mag ich nichtmehr. Ich gehe raus. Warum muss ich schon wieder eineneue Sprache lernen. War Deutsch nicht schon schwergenug? Aber das hier ist noch viel komplizierter.

Um das Chaos perfekt zu machen, lerne ich bosnischvon der deutschen Sprache aus, deren Grammatik mirselbst bis zum heutigen Tag ein Rätsel geblieben ist. Jareden, das macht mir Spaß, doch Grammatik lernen –nein Danke. Aber es ist zum verrückt werden, die Leuteverstehen mich dauernd falsch, wenn ich nicht die rich-

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tigen Fälle und Verbformen gebrauche. Das ist frustrie-rend. Und überhaupt, das Reden mit den Leuten ist fastgenau so anstrengend wie das Lernen. Nach zwei Stun-den bei unserer Nachbarin Dervischa raucht mir jeweilsder Kopf. Sie labert und labert und ich verstehe nichteinmal die Hälfte. Wenn ich ihr sage, sie solle langsa-mer reden, weil ich sie nicht verstehe, redet sie nichtlangsamer, sondern einfach lauter!

So fühle ich mich in der ersten Zeit in Bosnien oft ein-sam, isoliert von den Menschen und weit weg. Weit weg,von der christlichen Gemeinde. Das ist wahrscheinlichdas Schwerste von allem. Wie fehlt mir die Gemeinschaft,das gemeinsame Beten und Singen, das Feiern desAbendmahls am Sonntag. Nie hätte ich gedacht, dassich all das so sehr vermissen würde und wie sehr esmeinen Glauben in den vergangenen Jahren geprägtund gestärkt hatte.

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»Was werdet ihr tun, wenn es hart und eng wird?« »Dannwird uns Gott die Kraft geben, die wir brauchen.« Selbst-verständlich, oder? Ein Gott der für alle materiellen Be-dürfnisse sorgen kann, der kann sicher auch für die Be-dürfnisse der Seele sorgen.

Ja, in diesem fremden Land lernte ich meine Seele undihre Bedürfnisse noch besser kennen. Wie war es mög-

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lich, dass sie nicht vertrocknete bei all den Schwierig-keiten? Wie behielt ich den Glauben, dass ich trotz al-lem am rechten Ort war? Nun, es war genau so, wiemir Gott durch sein Wort gesagt hatte. In dem Moment,als mein Fuß das Wasser berührte, wurde es trockenund zu einem Weg für mich. Das Wunder lässt sich kaumbeschreiben, aber vom ersten Tag an fühlten Michaelund ich uns in Bosnien zu Hause. Es war unser Land unddie Leute waren unsere Leute. Diese tiefe Verbundenheitlässt sich mit nichts erklären. Nie fühlte ich vorher soetwas – weder als ich in Schweiz gezogen war, noch alswir später in Österreich wohnten. Nur das fremde Bos-nien war mir auf anhieb vertraut und geliebt. Diese Lie-be musste von Gott sein. Warum sollte mir ein Landauch nur sympathisch sein, das mir nur eine Bruchbudebot und eine Sprache, die mich zum Narren hielt? Nein,ich spürte, dass mir Gott die Liebe zu diesem Land undden Menschen gab. Diese Liebe war für mich der Be-weis, dass wir am rechten Platz waren und gab mir dieKraft, diese schwere Anfangszeit zu überstehen.

Doch diese mühselige Anfangszeit war auch wieder einewertvolle Schule für mich. Vielleicht wäre es unterhalt-samer von unserer abenteuerlichen Autofahrt auf einer»gottverlassenen«, eisigen Bergstraße zu erzählen, odervon unserer Konfrontation mit einer Gruppe bärtigerFundamentalisten, die uns arg bedrängten, aber Ge-schichten gibt es viele, sicher auch spannendere, dochwie Gott die erste Zeit in Bosnien benutzte um meinen

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Charakter zu verändern, scheint mir viel wichtiger. Dennwenn es etwas gibt, was mich und mein Leben reich unddamit auch erzählenswert macht, dann sind es wenigerdie vielen aufregenden Erlebnisse, sondern vielmehrGottes Arbeit an mir selbst.

Es war für mich eine sehr demütigende Angelegenheit,die Sprache nicht zu können. Dadurch war ich völligausgeliefert, ich fühlte, dass ich nichts in der Hand hat-te. Wir hatten mit Vermietern, Handwerkern und Polizis-ten zu tun. Normalerweise verhandelte Michael mit ih-nen. (Als Frau wäre ich sowieso nicht ernst genommenworden.) Wie oft dachte ich dann: »Dieser Typ will unsdoch nur übers Ohr hauen! Warum ist Michael so gut-gläubig, da wäre doch ein wenig mehr Misstrauen an-gesagt.« In mir schrie es, doch ich konnte nichts tun.Konnte nicht einmal etwas sagen. Mein misstrauischerGesichtsausdruck reichte jedoch oft aus, um die Lagezu verschlechtern. (Der Bosnier mag es nämlich nicht,wenn man ihm nicht traut.) Was konnte ich tun? Ichmusste lernen, meine Sorgen Gott zu übergeben. Durchmeine Krankheit hatte ich ja schon ein wenig Übungdarin, jetzt musste ich aber lernen, dass auch unser Ver-mieter und all die anderen Leute in Gottes Hand waren,dass niemand uns betrügen konnte, wenn Gott das nichtzuließ. (Tatsächlich wurden wir in der ganzen Zeit dortnoch nie betrogen, Vermieter, Handwerker und Beamteverhielten sich immer korrekt uns gegenüber.) Es fällteinem gar nicht so leicht, die Sorgen Gott zu überge-

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ben, doch hier musste ich es einfach lernen, weil mirmeine Hilflosigkeit so deutlich vor Augen stand. Früherdachte ich immer, ich werde mir schon zu helfen wissen.Doch jetzt waren mir Mund und Hände gebunden, ichverstand ja weder Sprache noch Mentalität. Ich konntenur mit meinen Ängsten und Befürchtungen im Gebetzu Jesus gehen. So wuchs ich in meiner Abhängigkeitvon Jesus. Er wurde größer, ich wurde kleiner.

Früher rannte ich einfach drauf los, tat was ich wollteund wie ich es wollte. Doch nun musste ich für allesbeten, um Rat und Hilfe bitten. Denn hier im Balkan warich schwächer und verletzbarer geworden. Wirklich?Dadurch, dass ich nicht mehr so ‚selbstsicher‘ drauf losstürmte, sondern anfing nachzudenken und zu beten,wurde ich nach und nach von meiner Unsicherheit be-freit, die mich mein Leben lang auf Schritt und Tritt ver-folgt hatte. Gottes Liebe hatte mich von einer weiterenBeengung befreit. Ich wurde befreit von der Menschen-furcht, als ich lernte, dass der Allmächtige in jeder Situ-ation die Sache im Griff hat.

Eine weitere Lektion in dieser Schule waren die ärmli-chen Verhältnisse in denen wir die ersten zwei Jahrenlebten. Die Bruchbude, in die es sogar hinein regnete,war wirklich nicht mein Stil. Wenn ich wählen müsstezwischen Holzbaracke und Luxusvilla, würde ichzweifelsohne die Villa wählen. Trotzdem gefiel es mir indem dunklen, feuchten Loch, wo wir wohnten. Ja,

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zeitweise fand ich es sogar richtig schön dort. Wie wardas möglich? Irgendwo steht in der Bibel: »Besser einGericht Gemüse und Liebe dabei, als ein gemästeterOchs und Hass dabei.« In meiner Situation: »Besser eineBruchbude und der Friede Gottes dabei, als eine Luxus-villa ohne den Frieden Gottes darin.«

OK, ich fand das Ganze auch nicht immer so roman-tisch. Einmal gab es in unserem Quartier den ganzenTag kein Wasser. Das fand ich besonders ärgerlich, daeine Dusche schon längstens überfällig war. In der Bi-belstunde lamentierte ich darüber, wie schlimm es dochsei, den ganzen Tag vergeblich auf Wasser zu warten.Doch die Leute lachten nur und sagten: »Aber Alicia,das ist doch nicht schlimm, wenn es nur einen Tag so ist,wir hatten 3 Jahre kein Wasser.«

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Was ist nicht alles geschehen, seit ich mich mit demHIV-Virus infiziert hatte! Damals dachte ich: das ist meinfrühes Todesurteil. Doch schon seit langem sehe ich,dass damals mein Leben eigentlich erst anfing. Wohinmich Gott seitdem gebracht hat, das ist wirklich einWunder.

Nicht nur geografisch (in Frankreich geboren, in Spani-en aufgewachsen, in der Schweiz geheiratet, in Öster-reich den Führerschein erworben und schließlich in Bos-

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nien gelandet), sondern auch was meinen inneren Men-schen betrifft, hat mich Jesus eine erstaunliche Reisegeführt. Hier in Bosnien durfte ich anderen Menschenzum Segen sein. Ich, die ich nichts gelernt habe – dieAlicia, die nichts kann. Mich kann der geniale Herr desUniversums gebrauchen um Menschen Freude, Trost undHoffnung zu bringen.

Junge Frauen rufen mich an, fragen um Rat. »Du bistdie Einzige, die mir wirklich sagt, was sie denkt«, sagtdie eine. »Es war Alicia, die mir half diese Versuchungzu überwinden«, erzählt eine andere. Eine leidgeprüfteFrau, die meine Mutter sein könnte, nennt mich ihre Leh-rerin und ihre Tochter. In der Kinderstunde darf ich Kin-der zu Jesus führen und andere darin anleiten, Kinderzu unterrichten. Es kommt vor, dass Bekannte ihren Freun-den, die in großen Problemen stecken, von uns erzäh-len und uns bitten, dass wir uns doch mit ihnen treffen,um ihnen aus der Patsche zu helfen. Ist das nicht einWunder? Ich, der ´Krebs der Familie‘, wie mich meinVater nannte, ich, die ich weder eine psychologische,noch eine andere Schule abgeschlossen habe, ich darfanderen eine Stütze sein. Orientierungslos trieb ich inder Dunkelheit des Lebens dahin, aber nun kann ich fürandere, die weit mehr Bildung und Lebenserfahrunghaben als ich, ein Licht und ein Wegweiser sein.

Von Gott geliebt, von Ihm gesucht und gefunden undvon seiner Liebe geschult und verändert! Das allein kann

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mein Leben erklären. Das Evangelium von Jesus Christusist nicht einfach eine Religion, es ist Realität. »Blinde wer-den sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden ge-reinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt,und Armen wird gute Botschaft verkündigt« (Mt. 11,5).

Ich war lahm, völlig unfähig Gottes Willen zu tun, einSklave der Drogen und meines eigenen Dickkopfes.Heute lebe ich in der Freiheit des Willens Gottes. Wiewar ich beschmutzt und verletzt von der Sünde! Abernun bin ich wirklich gereinigt und geheilt.

Und die schlimme Kindheit – wie kann ein liebender Gottso etwas zulassen? Hier in Sarajevo gibt es eine Antwortauf diese Frage. Als geheilter Mensch kann ich andereverstehen und ihnen helfen, selbst heil zu werden. Gera-de hier, wo die Menschen einen Krieg miterleben muss-ten, gibt es viele, die von der Sünde schwer verletzt wor-den sind. Sie haben schlimmeres Unrecht und Grauenmiterlebt, als ich mir auch nur vorstellen kann. Das weni-ge was ich erlebt habe, hilft mir nun, ihnen zu helfen.

Und Aids – dieser Alptraum, diese furchtbare Krankheit,die alle Träume zerstört? Wenn Gott mich liebt, warumheilt er mich dann nicht von dieser Geißel? Das Erstaun-liche ist, dass – trotz Aids – mein Leben wie ein Traumist. Erst seitdem ich mit diesem Schrecken erregendenVirus infiziert bin, hat sich mein Leben zum Guten ver-ändert – haben sich Träume erfüllt. Meine Krankheit ist

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nicht nur ein tödlicher Schatten in meinem Leben ge-blieben. Immer wieder merke ich, wie dadurch die Her-zen der Menschen, mit denen wir zu tun haben, geöff-net werden. Einige leiden selbst an einer Krankheit, an-deren hat der Krieg eine Schwester, einen Enkel odereinen Sohn entrissen. Dadurch, dass ich selbst leide,kann ich ihnen glaubwürdiger Gottes Liebe bezeugenund den Glauben, der uns trotz allen Leides wieder Frie-de, Freude und Hoffnung geben kann. Mein Krankheitist kein Hindernis für Gott, sondern vielmehr ein Werk-zeug in seiner Hand, um anderen zu helfen.

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Die meisten Menschen, und leider sogar viele Christen,denken von Gott nicht viel Gutes. Sie meinen, er sei einstrenger Mann, der hohe Anforderungen stellt und derganz darauf aus sei, uns die Freude zu verderben. Ihmzu gehorchen empfindet man als mühsam, weil mandenkt, man werde dadurch in seinem Vergnügen sehrbeschnitten. Natürlich ist genau das Gegenteil der Fall!Unser Schöpfer hat all das Schöne nicht geschaffen, nurum es zu verbieten, das Problem ist vielmehr, dass wirmit unserer Sünde und unserem Egoismus alles verder-ben. Jesus sagte: »Ich bin gekommen, auf dass sie Le-ben haben und es in Überfluss haben« (Joh. 10,9).

Gottes Liebe ließ mich diese Wahrheit deutlich erfah-ren. Als Jesus in mein Leben kam, begann er Stück für

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Stück alle Bereiche meines Charakters und meines Le-bens zu heilen, so dass jedes Jahr meines Lebens glück-licher wurde.

Sein Heilungsprozess wird besonders in unserer Ehe deut-lich. Wie viel Reibungspunkte gab es doch da, die immerwieder zum Streit führten! Vieles lernten wir mit der Zeit,doch einige Probleme schienen unlösbar zu sein. »Jesusmacht alles neu«, steht in der Bibel. Doch manchmaldachte ich, dass wohl einige Dinge erst im Himmel neuwerden würden. Aber Gottes Liebe hat einen genauenZeitplan und weise Behandlungsmethoden.

Seit wir in Bosnien wohnten, war ich sozusagen pausen-los mit meinem Mann zusammen. Niemand musste zurArbeit in die Firma gehen, wir waren sozusagen jetztKollegen. Gemeinsam lernten wir die Sprache, gemein-sam besuchten wir Leute, gemeinsam machten wir Bi-belstunden, buchstäblich Tag und Nacht waren wir zu-sammen. Da brachen alte Konflikte wieder auf, unsereverschiedenen Charaktere prallten erneut zusammen.Manchmal meinte Michael, es wäre einfach besser, je-der würde mehr für sich arbeiten. So könnten wir unnö-tige Reibungspunkte vermeiden.

Aber das war nicht Gottes Plan. Er hatte gerade eben zueinem weiteren Feinschliff angesetzt. Er wollte nicht, dasswir bei dem stehenblieben, wo wir angekommen wa-ren, sondern er fuhr fort, alles neu zu machen, wie er es

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versprochen hatte. Unsere neue Situation, die uns oftSchmerzen bereitete, war nichts anderes als die Antwortauf unsere Gebete. Jesus wollte uns auch in unsererEhe die ganze Fülle schenken, jedoch nicht durch einen»allmächtigen Fingerschnipp«, wie wir uns das vorstell-ten, sondern dadurch, dass er, der große, weise Töpfer,uns wieder auf seine Töpferscheibe nahm.

Wir rieben uns aneinander in unserer gemeinsamenArbeit, aber dadurch wurde mein kantiger Charakterweiter zurechtgeschliffen. Langsam merkte ich, dass vieleProbleme in der Ehe ihre Ursache darin hatten, dass ichoft einfach furchtbar dickköpfig war. Ich merkte, dassich nicht fair gegenüber meinem Mann war. Früher recht-fertigte ich solches Verhalten immer mit Sätzen wie »ichbin halt einfach so« und »das mag ich halt einfach nicht«.Doch Jesus zeigte mir, dass seine Liebe anders ist, nichtso egoistisch. Diese Liebe ist mit Opfern verbunden, siesucht nicht sich selbst, sondern dem andern zu gefallen.Langsam machte es »klick« bei mir und endlich war ichbereit, mich verändern zu lassen. Ein Buch über Ehe,das wir gemeinsam lasen, half uns weiter, uns besser zuverstehen und unsere Liebe dem anderen gegenüberbesser auszudrücken.

Ein weiteres Mal wurde mein Leben wie ein Traum. Indem Jahr, als wir unseren 10. Hochzeitstag feierten, (alswäre das Datum geplant) heilten alle Wunden und er-füllten sich alle Träume. Man kann sich kaum eine ro-

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mantischere, erfüllendere Beziehung vorstellen, als wirsie heute haben.

Die Liebe meines Mannes zu mir wuchs in dem gleichenMaß wie die meine zu ihm. Er scheint es wirklich ernst-haft zu glauben, wenn er mir beständig beteuert, ich seidie schönste und beste Frau der Welt. Ja, wie sehr michGott liebt, das sehe ich oft in der Liebe meines Manneszu mir. Jetzt ist Ehe nicht mehr ein ständiger Kampf, son-dern sie ist harmonisch, ein Genuss über den ich Gott,meinen Schöpfer und Retter, anbeten kann. Wir sind einTeam, eine Einheit geworden, die einander ergänzenund sich aneinander freuen. Wie gut hat Gott doch al-les gemacht, wie gut sind seine Gedanken über Mannund Frau – ich kann nur staunen.

»Nicht fünf Rappen« hätten die Leute für unsere Ehe ge-geben, aber nun sieht man uns unser Glück einfach an.

»Und ihr liebt euch tatsächlich immer noch so viel wieam ersten Tag? … Was, noch mehr als damals?« dasscheint meiner jungen Friseuse ganz unmöglich. Ich ver-suche ihr zu erklären, dass das Geheimnis unseresGlücks Jesus ist, der in der Mitte unserer Ehe steht. Dochich weiß, wenn man ihn nicht kennt, wird man das nieganz verstehen können und sucht und findet andere Er-klärungen.

Aber dennoch bleibt es so, dass ich von Gott geliebt bin

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– mit einer bedingungslosen, unwandelbaren Liebe, undin dieser Tatsache liegen mein Glück und mein Wertbegründet.

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nde gut – alles gut? Noch einmal sollte ich geschüt-telt werden, so lang und so heftig wie noch nie zuvor

in meinem Leben.

Zuerst war es nur eine Grippe. Wie jede Grippe warf auchdiese den dunklen Schatten meiner Krankheit wieder aufmein Gemüt. Doch ein weiteres Mal genas ich und konn-te so nach Österreich fahren – zur jährlichen Glaubens-konferenz. Dort würde ich viele Freunde sehen und mei-nen Geburtstag feiern. Darauf freute ich mich!

Trotz einer leichten Schwäche konnte ich die Tage genie-ßen. Wir hatten das schönste Herbstwetter, das man sichvorstellen kann. »Schicke dich an, deinem Gott zu begeg-nen.« Dieser Bibelvers zierte das Kalenderblatt an mei-nem Geburtstag. Er schreckte mich auf. Wie ein dunkler

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Im Schatten des Todestals

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Schatten störte er das Idyll der goldenen Herbsttage inden Österreichischen Alpen. »Was soll das heißen? Mussich sterben?« Ich versuchte den Gedanken abzuschütteln,doch der Konferenz-Redner warf meine Sinne wieder zu-rück zu dem ernsten Thema. Er redete von der Hoffnungder Auferstehung, er redete davon, dass die Hoffnungdes Christen über das Grab hinausgeht. Die Worte gin-gen bis in das Innerste meines Herzens, ich war ange-rührt vom Geist Gottes, immer wieder kamen mir die Trä-nen. »Was willst Du mir sagen Herr?« fragte ich.

Zurück in Sarajevo erkältete ich mich wieder. »Ach, wer-de ich denn nie mehr gesund?« ärgerte ich mich. Undwirklich, es schien nicht besser zu werden. Die heftigenKopfschmerzen ließen auf eine Stirnhöhlenentzündungschließen. Ana, unsere gute Freundin und ›Mutter‹ inBosnien, brachte mich zum Röntgen in die Ambulanz.Wieder einmal dankte ich Gott für Ana. (Sie, die erfah-rene Krankenschwester, ist eine der ersten Menschen,die wir in Bosnien kennenlernten, die sich auch zu ei-nem Leben mit Jesus entschieden haben. Wie oft halfsie mir, wenn ich krank war oder brachte mich direktzum richtigen Arzt, wenn ich einen nötig hatte.)

Das Röntgen brachte keine neuen Erkenntnisse. MeineStirnhöhlen waren nicht entzündet, doch meine Schwä-che blieb. Dazu kamen nun aber auch noch Gleichge-wichtsstörungen. Ich konnte nicht mehr gerade gehenund meine linke Hand nicht mehr kontrollieren. Es war

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so schlimm, dass ich nicht einmal mehr ein Email schrei-ben konnte. War nun die Krankheit AIDS ausgebrochen?Sollte mein schönstes Lebensjahr zugleich mein letztessein? Oder war es nur eine seltsame Grippe unter der –wie wir hörten – auch andere litten? Ich war unruhig:»Wenn ich nur wüsste, was mich da so am Boden hält!«Ich versuchte dieses und jenes, um zu Kräften zu kom-men, doch nichts half. Ana arrangierte einen Termin miteiner HIV-Spezialistin im Spital in Sarajevo. Sowohl mirals auch Michael war bewusst, dass die Situation ernstwar. Wir beteten ernstlich, dass Gott uns führen und derÄrztin helfen möge, uns den richtigen Rat zu geben.

Es ist Mittwoch, der 8. November. Den Weg ins Spitalkann ich nicht mehr alleine gehen. Michael rechts undAna links stützen mich. Das schöne, warme Wetter gibtTrost an diesem schweren Tag, ebenso die sympatischeÄrztin, die einen ruhigen und kompetenten Eindruckmacht. Nachdem ich ihr meine Symptome und meineletzten Blutwerte geschildert habe, ist sie sichtlich be-wegt: »Wann können Sie nach Österreich fahren? Kön-nen Sie heute noch fahren? Fahren Sie so schnell wiemöglich – verlieren Sie keinen Tag!« Sie erklärt uns, dasssie auch hier ein CT (Computertomografie) machen unddies und jenes untersuchen könnten, aber dass sie ein-fach nicht die Möglichkeiten hätten, die uns in Öster-reich zur Verfügung stehen würden. »Hier haben wir nichteinmal die Medikamente, die für eine HIV-Therapie be-nötigt werden« fährt sie fort. »Glauben Sie mir, ich wür-

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de Sie liebend gerne aufnehmen und behandeln, aberin Ihrem Land kriegen Sie die bessere Hilfe.« Sie schautuns ernst und bestimmt an: »Darum fahren Sie so schnellwie möglich. Verlieren Sie keinen Tag mehr. Sie sind janoch so jung.« (Michael bemerkt, wie sie bei den letztenWorten ganz feuchte Augen bekommt. Aber das sagt ermir erst später.)

Das war eine klare Botschaft. Wir dankten Gott, dass erdurch die Ärztin so deutlich zu uns geredet hatte. Zumerstenmal spürte ich wieder ein klein wenig Frieden inmeinem Herzen. Der Herr wollte, dass ich nach Öster-reich ging. Er führte mich immer noch. Auch jetzt imSchatten des Todestals. Denn da war ich angelangt, ohneZweifel. Ob ich sterben würde, war nicht klar, aber demSchatten des Todes musste ich jedenfalls begegnen.

Alles ging schnell: Koffer packen, Leute verständigen,einen Imbiss vorbereiten. Ich sah, dass Michael ruhigblieb, aber er war nicht entspannt. Auch er war über-müdet von den vergangenen Tagen. Im Glauben, dassuns Jesus die Kraft geben würde, setzten wir uns amAbend ins Auto und fuhren los. Noch nie ging die Fahrtso schnell und so reibungslos wie diesmal. An jedemGrenzposten – und davon gibt es eine ganze Menge –wurden wir nur durchgewunken. Und Jesus gab mir tat-sächlich Kraft für die Fahrt. Mir war weder übel nochhatte ich Kopfweh, oft konnte ich sogar schlafen. Mi-chael hielt irgendwie bis Salzburg durch.

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Es ist Donnerstagnachmittag. Im Rettungswagen fahrenwir zu einem anderen Krankenhaus. Das CT im Landes-krankenhaus (LHK) ist defekt. Auch hier sind die Ärzteder Meinung, dass keine Zeit zu verlieren sei. Ein Zettelklärt mich auf, was bei dieser Untersuchung alles schiefgehen kann. Die Risiken, welche die Untersuchung mitsich bringt, sind nicht gerade beruhigend, aber ich un-terschreibe, dass ich damit einverstanden bin. Ich habeja keine andere Wahl. Dann geht es in die »Röhre«. ZumGlück ist Michael die ganze Zeit bei mir!

Die »Röhre« erweist sich als harmlos, es tut nicht weh, istauch nicht unangenehm. Aber nun kommt ans Licht,oder auf den Bildschirm, was mich in den vergangenen10 Tagen »so unten gehalten hat«. Ganz und gar nichtberuhigend: ein walnussgroßer, weißer Fleck in der Nähedes Zentralhirns, der noch einen weit größeren Schleierum sich trägt. – Was ist das?

Man fährt mich ins Untersuchungszimmer. Ein Arztkommt, ein anderer geht. Einer telefoniert: »Wegen derPatientin Alicia … das ist eine verzwicktere Geschichte… könnten wir nicht noch heute Abend ein MRI (Kern-spindtomografie) machen … jedenfalls werden wir dieBilder noch den Neurochirurgen vorlegen …« – »Wassagten sie da Herr Doktor, habe ich richtig gehört, Neu-rochirurgen? Muss ich operiert werden, habe ich einenGehirntumor?«, frage ich ängstlich nach, als der Neu-rologe den Hörer auflegt. »Am besten hören sie vorerst

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mal nicht zu genau hin« gibt dieser ein wenig trockenzurück. »Wir müssen jetzt nur alle Möglichkeiten abklä-ren. Ich gebe zu, dass sich einiges für Sie beunruhigendanhört.«

Allerdings, das alles ist sehr beunruhigend. Weil es inder Klinik keinen Platz mehr gibt, liege ich die ganzeNacht im Untersuchungszimmer. Neben mir flimmert einBildschirm. Ein MRI wird doch nicht mehr gemacht. Vordem Schlafen kommt nochmals eine Ärztin. Sie machtmir einen überarbeiteten Eindruck. Sie klärt mich darüberauf, dass man möglicherweise ein »Schant« machenmüsse, das heißt in den Schädel eine Art Abflussrohr fürdie Hirnflüssigkeit installieren. Eine horrende Vorstellung!Damit lässt sie mich allein.

Trotz aller Untersuchungen kann mir kein Arzt sagen,was der weiße Fleck in meinem Gehirn zu bedeuten hat.Es sei entweder eine Entzündung (Toxoplasmose) oderein Tumor, doch um das zu bestimmen, müsse man ebenein MRI machen.

Der Psalmschreiber konnte schreiben: »Auch wenn ichwanderte im Tal des Todesschattens fürchte ich michnicht.« Ich muss bekennen, dass ich mich jetzt sehr fürch-te. Dazu kommen noch rasende Kopfschmerzen. Ichsollte nach all den Anstrengungen schlafen, aber das istjetzt unmöglich. Doch, Chemie sei Dank, erlöst michein pharmazeutischer Beruhigungstrunk von meinen

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Schmerzen und Ängsten und endlich finde ich mal einpaar Stunden Ruhe im Schlaf.

Am nächsten Tag werde ich endlich in ein richtiges Zim-mer verlegt, auf die erlösende Untersuchung jedochwarte ich den ganzen Tag vergeblich. Wieder muss ichin Ungewissheit in die Nacht. Wieder plagen mich Angstund Schmerzen.

Am Samstag kann das MRI endlich gemacht werden.(Das ist eine »Röhre« wie das CT, nur ist das Ergebnisgenauer.) Doch nun erfahre ich enttäuscht, dass manauch mit dieser Untersuchung nicht klären kann, ob icheinen Tumor oder »nur« eine Entzündung im Gehirnhabe. Um das herauszufinden muss man eine Gewebe-probe entnehmen. Am Montag würde ich unter dasMesser, oder besser gesagt, unter den Bohrer kommen!Erneut werde ich verlegt. Von der Neurologie in die Neu-rochirurgie.

Die Vorstellung, ein Loch in den Kopf gebohrt zu be-kommen, ist so ziemlich das Letzte, was ich hören möch-te. Trotzdem bin ich jetzt ein wenig ruhiger. Wenigstensweiß ich nun, was auf mich wartet … alles ist besser alsUngewissheit.

Die Operation verläuft ohne Komplikationen und als icherwache hörte ich seit Tagen die erste gute Nachricht:»Es ist kein Tumor!«

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Langsam legt sich der Schrecken. Ich komme zurück insLKH um die Toxoplasmose, eine typische HIV-Infektion, zubehandeln. Ich liege da – eine Woche, zwei Wochen, dreiWochen … es ist mir furchtbar. Natürlich gefällt es keinemMenschen im Spital, noch weniger, wenn es so lange dau-ert. Aber für ein Nervenbündel wie mich ist das wirklicheine sehr schwere Prüfung. Immer wieder weine ich, wennmein Mann am Abend nach Hause geht. Ich will nicht al-lein schlafen, ich will nicht allein im Dunkeln sein …

Doch wie sehr Gott mich liebt, wurde gerade in dieserZeit so deutlich. Ich hatte alles, was man sich nur den-ken kann. Ein Königskind hätte keine bessere Behand-lung bekommen können als ich. Ich hatte im Spital immerein Einzelzimmer mit Dusche und WC, ich genoss einehervorragende Küche und die Glaubensgeschwister ausder Christlichen Gemeinde in Salzburg milderten mirden Aufenthalt so gut sie es nur konnten. Einer brachtemir sein Handy, so war ich also für alle erreichbar undkonnte jederzeit Michael anrufen. Ein anderer installier-te sein Videogerät und fast jeder Besucher brachte mir»leicht verdauliche« Filme mit, die die tristen Tage ver-kürzten. Besuch bekam ich in Hülle und Fülle – meinVater im Himmel wusste, was ich brauchte. Die erstenvier Wochen im Spital war ich ab Mittag selten eine Stun-de allein. Oft reichten sich die Besucher die Türklinke.Mein Zimmer war voller Blumen, Kekse, Karten und Ge-schenke. Selbst die Freunde aus Bosnien schickten Kar-ten und Briefe und riefen an. Eine Freundin versicherte

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mir am Telefon, dass sogar sie für mich bete, obwohl sienicht wisse, wie das geht.

Wie sehr zeigte mir Gott durch all diese Menschen, wiewertvoll ich ihm bin. In der Schule war ich die Außensei-terin und der Prügelknabe, aber nun bin ich von Hun-derten geliebt!

Allerdings muß ich zugeben, dass ich all die Liebesbe-weise meines Gottes kaum wahrnahm. Denn ich hatteMühe, Ja zu sagen zu diesem Weg der Krankheit unddes Leidens (die vielen Medikamente, die ich zu schlu-cken hatte, verursachten mir pausenlose Bauchschmer-zen) und ich hatte Angst. Angst, dass noch schwerereWege auf mich warteten – Wege, an denen ich seelischzerbrechen würde.

Ja, die dunkle Wolke über meinem Leben wollte nichtverschwinden. Wie froh war ich, als ich endlich aus demSpital entlassen wurde, aber kaum draußen, musste ichschon wieder rein. Mein Blutbild hatte sich rapide ver-schlechtert, es bestand die Gefahr innerer Blutungen.Wird das denn nie mehr gut? Werde ich nun doch ster-ben? Nein, die Ärzte, »Jongleure der Chemie«, schaff-ten es auch diesmal. So konnte ich nach 10 Tagen wiederentlassen werden. »Bis wann?«, fragte ich mich. Ich hat-te jede Sicherheit verloren. »Besser, ich freue mich nichtmehr zu sehr. Was nützen Hoffnungen, wenn sie nurenttäuscht werden?«

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Und tatsächlich, kaum ging es mir ein wenig besser,bekam ich Fieber, das von Übelkeit und Durchfall be-gleitet war. Wir beteten, doch nichts half. Ich musstewieder ins Spital eingeliefert werden. Weihnachten imSpital! Etwas Schlimmeres hätte ich mir kaum vorstellenkönnen. Aber langsam schien Gottes Schleifprozess auchin dieser Schule erste Früchte zu zeigen. Meine dritteZeit im Spital ertrug ich seelisch besser, obwohl ich kör-perlich ganz am Ende meiner Kräfte war.

Mittwoch, der 27. Dezember. Endlich kann ich mit der HIV-Therapie anfangen. Ich bin froh, um all die Fortschritte, wel-che die Medizin in den vergangenen Jahren errungen hat.Alte Freunde, bei denen die Krankheit einige Jahre früherausgebrochen ist, sind längst tot. Doch ich habe berechtigteHoffnung, noch viele weitere Jahre leben zu können.

Samstag, der 30. Dezember. Heute werde ich aus demSpital entlassen. Ich bin noch sehr schwach, habe aberkein Fieber mehr und es ist mir nicht mehr ganz so übel.Man hat herausgefunden, das meine letzte Krankheitvon einem Pilz verursacht wurde. Er sollte kein allzu gro-ßes Problem darstellen.

Sonntag, der 31. Dezember. Endlich wieder einmal inder Gemeinde. Beim Singen kommen mir die Tränen.Ich kann nicht singen. Ich weiß nicht, wie ich mich fühle.

Silvester feiern wir im kleinen Freundeskreis. Am Abend

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freue ich mich auf einem verschneiten Hügel am Wald-rand über den sternenklaren Himmel und das von Feuer-werk erleuchtete Salzburg. Ein neues Jahr – was liegt vormir? Der Herr weiß es. Langsam fasse ich Mut. Er ließ michnicht sterben, er scheint noch weitere Pläne für mein Lebenzu haben. Aber noch stehe ich in dieser schwersten Prü-fung meines Lebens mittendrin. Einmal werde ich Gott si-cher auch für sie danken können. Einmal werde ich sehenkönnen, wie reich ich auch durch diesen schweren Wegbeschenkt worden bin. Aber jetzt fällt mir alles sehr schwer.Jetzt muss ich mich darauf konzentrieren, dass ich den Blickdes Glaubens nicht verliere und mich nicht entmutigen lasse.

Täglich habe ich 17 Tabletten zu schlucken. Das ist mir,im wahrsten Sinn des Wortes, manchmal zum Kotzen.Man sagt, dass man sie mit der Zeit besser erträgt. Mansagt, dass es vielen ganz gut gehe mit dieser Therapie.Aber garantieren kann man halt nichts, weil jeder Menschanders reagiert. Ich muss mutig sein und glauben. Wennalles gut geht, werde ich in einem Monat bereits wiederauf dem Weg nach Bosnien sein, in das Land, wo meinHerz ist. Wenn alles gut geht, werde ich wieder lebenkönnen, leben mit Kraft und ohne Schmerzen und Übel-keit. Werde ich das?

Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.Er weidet mich auf grünen Auen, er führt mich zustillen Wassern. Er erquickt meine Seele. Er leitetmich in Pfaden der Gerechtigkeit um seines Na-

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mens willen. Auch wenn ich wandere im Tal desTodesschattens, fürchte ich kein Unglück, denn dubist bei mir, dein Stecken und Stab, sie trösten mich.Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts mei-ner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt,mein Becher fließt über. Nur Güte und Gnadewerden mir folgen mein Leben lang und ich wer-de wohnen im Haus der HERRN lebenslang.

Psalm 23

Was macht mein Leben wertvoll – meine Zukunft hell?Ich bin von Gott geliebt! In seiner Hand, von ihm ge-führt. Er lässt mich seine Liebe erleben und schenkt mirGeborgenheit. Einundzwanzig Jahre lang spürte ichnichts von dieser Liebe. Ich war blind dafür, bis ich michhilflos an Jesus klammerte, bis ich bereit wurde, ihm dieFührung meines Lebens zu überlassen.

Auch wenn ich den Blick für diese Liebe manchmal ver-liere, kann ich sie immer dann, wenn ich mich ihm an-vertraue, sehen, spüren und erfahren. Und dann weißich – trotz aller offenen Fragen – am Ende wird allesgut, denn Er hat versprochen, dass den Menschen, dieGott lieben, alles zu einem guten Ziel dienen wird.

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ahrscheinlich keine andere Krankheit hat in denvergangen 15 Jahren für mehr Gespräch ge-

sorgt als AlDS. In großem Stile versuchten viele Länderihre Bevölkerung aufzuklären, Hollywood produzierte Fil-me zu dieser Thematik, Benetton versuchte sogar denSchrecken, den diese Krankheit unter den Menschen ver-ursacht hat, zu vermarkten.

In letzter Zeit ist diese erste Welle der Angst und des Ge-sprächs ein wenig abgeebt, doch kann dies nicht als Ent-warnung gelten. Die Aidsepidemie, die weltweit schon 19Mio Menschenleben gefordert hat, ist weiter auf dem Vor-marsch, vor allem in Afrika und den Entwicklungsländern.

Derzeit leben Weltweit etwa 35 Mio Menschen mit HIV/

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AIDS. Im Jahre 1999 infizierten sich 5,4 Mio Menschenmit dem Virus und 2,8 Mio verstarben an AIDS. Die WHOsieht keine Möglichkeit, die weitere Ausbreitung des HIVin den nächsten Jahren unter Kontrolle zu bringen. Wasist diese Krankheit und was sollten wir von ihr wissen?

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AIDS (aquired immune deficiency syndrome zu deutscherworbende Immunschwäche) wird folgendermassendefiniert. »AIDS ist eine durch das HI-Virus hervorgeru-fene Erkrankung, bei der neben einem Defekt der zellu-lären Immunität opportunistische Infektionen und/oderbestimmte Krebsarten vorliegen.«

In für den Laien verständlicher Sprache heißt dies, dassdas HIVHIVHIVHIVHIV (Humanes Immunschwäche Virus) das Immun-system des Menschen zum Zusammenbruch führt undinfolge dessen der Infizierte an bestimmten Arten vonKrankheiten erkrankt bzw. stirbt. Verschiedene Lungen-entzündungen, Tuberkulose, Toxoplasmose, Krebs undPilzinfektionen sind typische, AIDS-definierende Erkran-kungen.

Man kann das Krankheitsbild von HIV-AIDS in drei gro-be Stadien Einteilen:

A: mit dem HIV infiziert, aber ohne Krankheitssymptome(asymptomatische Phase)

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B: das Stadium von Vorfelderkrankungen (Fieber, Nacht-schweiss, Gewichtsverlust, Müdigkeit etc.)

C: die Erkrankung an AIDS (Sie wird festgestellt, wenneine symptomatische AIDS-Erkrankung vorliegt.)

Das HIV wird durch Blut, Samenflüssigkeit und Schei-densekret übertragen. Ist man infiziert, bilden sich nacheinigen Wochen Antikörper, an denen man bei einemTest feststellen kann, ob man HIV-positiv ist. Bis zu 2Monate (sehr selten auch länger) nach der Infizierung,ist das HIV bzw. sind die Antikörper dagegen im Blutnicht nachweisbar (sog. »diagnostisches Fenster«). Dasist die gefährlichste Zeit, andere zu infizieren, da manselbst nach einem Test nicht weiß, dass man infiziert ist.Zudem ist das noch »unsichtbare« Virus in dieser Phasesogar weit infektiöser als danach.

Wer sich nicht auf HIV testen lässt, kann jahrelang infi-ziert sein und nichts davon merken. Im Normalfall leidetder HIV-Infizierte in der ersten Phase (A) an keinerleiBeschwerden. Er ist »gesund« wie ein normaler Mensch.Er hat jetzt auch kein AIDS, sondern ist nur mit dem HIVinfiziert, das aber irgendwann zu AIDS führen wird.

Trotzdem ist in dieser asymptomatischen Phase, in derman nichts vom HIV spürt, das Virus aktiv. Durch dieHIV Infektion wird ein Prozess in Gang gesetzt, bei demfalsche oder unvollständige Signale an Immunzellen

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übermittelt werden. Das führt zu einem Verlust der so-genannten Helferzellen, die für das menschliche Immun-system notwendig sind.

Das Fortschreiten der Krankheit kann in diesem Stadiuman der Abnahme der Zahl der Helferzellen gemessenwerden. Das Wohlbefinden des Infizierten ist in der Regeldavon aber nicht beeinträchtigt. Diese unauffällige Pha-se der Krankheit dauert in der Regel etwa 5-15 Jahre.1

Dann kommt es zu einer raschen Verminderung der Helfer-zellen, es kommt zu den Vorfelderkrankungen und dann zumAusbruch von AIDS mit seinen typischen Krankheitsbildern.Die mittlere Überlebenszeit nach dem Eintritt in das Vollbildvon AIDS beträgt in Industrieländern ca. 2-4 Jahre.2

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1981 wurde man in den USA durch gehäufte Fälle vonPneumocystis carinii (Lungenentzündung) und anderen

1 Es gibt aber auch Virusvarianten, sie sich schnell und in gro-ßer Menge vermehren, bzw. Menschen die »empfänglicher«für das HI-Virus sind als andere, so dass es zu einem viel schnel-leren Ausbruch von AIDS kommen kann, bereits innerhalb derersten 3 Jahre nach der Infizierung.

2 Diese kann aber durch die heute zur Verfüngung stehende an-tiretrovirale Therapie deutlich verlängert werden. Siehe weiterunten »Therapie von HIV/AIDS«

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spezifischen Krankheiten auf die AIDS-Epidemie aufmerk-sam. Diese Epidemie war schon Jahre zuvor in Ganggekommen, wurde aber nicht als solche erkannt, da diean AIDS Erkrankten ja an verschiedenen, »normalen«Krankheiten sterben.

Als man in den frühen 80er Jahren eine gemeinsameUrsache dieser gehäuften Fälle spezifischer Krankheitenentdeckte, reagierte die Gesundheitsbehörde kaum. Dazunächst nur Homosexuelle und Drogensüchtige daranerkrankten, führte man sie auf den besonderen Lebensstildieser Population zurück. Diese Einstellung änderte sichauch nicht, als 1983 das HIV als Ursache von AIDS ent-deckt wurde. Als man die wirkliche Bedrohung für dieBevölkerung erkannte, war es bereits zu spät. Es gabbereits Millionen von Infizierten auf der ganzen Welt.

Es gab und gibt viele Theorien und Gerüchte über dieHerkunft von HIV. Man muss bei dieser Frage berück-sichtigen, dass man heute mindestens zwischen drei ver-schiedenen HIV –Typen unterscheidet, von denen zweiwiederum eine ganze Reihe von Subtypen haben.

Es gilt als gesichert, dass das HIV in Äquatorialafrikadurch Wirtswechsel von Schimpansen auf Menschenentstanden ist. Das Jagen und Schlachten von Schim-pansen ist in Afrika weit verbreitet, ein Wirtswechsel istalso leicht erklärbar. Schimpansen selbst jedoch erkran-ken nicht an AIDS.

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Vom Herzen Afrikas kam das Virus dann mit Verände-rung der Sozialstrukturen (Landflucht, Industrialisierung,Krieg, Prostitution) in größere Städte der Küstenregio-nen, von dort in den 60er Jahren mit haitianischen Rück-wanderern aus Zaire zuerst nach Haiti, dann via Poin-caré / Port au Prince mit amerikanischen Sextouristenweiter in die städtischen Ballungsgebiete des amerika-nischen Ostens (New York/ Miami) und von dort aus andie Westküste der USA, nach Europa und schließlich indie ganze Welt.

Das Virus breitet sich nach wie vor in den Entwicklungs-ländern rasch aus. Die meisten Infektionen werden durchsexuelle Kontakte übertragen. Besonders alarmierend istdie Zahl der Neuinfektionen in Schwarzafrika, Latein-amerika, Indien und Thailand. In diesen Ländern gleichtder ungeschützte, geschlechtliche Kontakt einem russi-schen Roulette.

In Afrika findet sich die höchste Durchseuchung welt-weit. 70% der weltweit HIV-Positiven leben in den Län-dern südlich der Sahara. Die Infizierung beträgt in deneinzelnen Ländern zwischen 10 – 25% der Bevölkerung.In Simbabwe sind sogar bis zu 50% der Schwangereninfiziert, von denen über 30% ihre Infektion an ihre Kin-der weitergeben werden.

Trotz aller Warnung blüht der Sextourismus weiter undso ist damit zu rechnen, dass AIDS durch die Sextouris-

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ten auch in den Industrieländern in noch im größeremMaß verbreitet wird.

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Bei normalen sozialen Kontakten ist eine HIV-Übertra-gung ausgeschlossen. Händeschütteln, Umarmungen,Trinken aus dem gleichen Glas, gemeinsames Benützenvon Besteck oder Toilette können nicht zu einer Infektionführen. Auch in Schwimmbecken und Saunen bestehtkeine Gefahr, auch nicht durch Anhusten oder Annie-sen. Durch Tiere (auch Stechmücken) oder Tierprodukteist das Virus nicht übertragbar.

Die Übertragung erfolgt fast ausschließlich durch Ge-schlechtsverkehr, Spritzentausch bei intravenösem Dro-gengebrauch oder von der infizierten Mutter auf ihr un-geborenes Kind.Infektiös sind Samenflüssigkeit, Scheidensekret, Blut undLiquor. Eine Prävention scheint deshalb theoretisch nichtschwer. Bei absoluter gegenseitiger Partnertreue in einerHIV-freien Partnerschaft hat das Virus keine Chance,ebenso nicht bei strikter geschlechtlicher Enthaltsamkeit.

Das strikte Verwenden eines Präservativs außerhalb ei-ner treuen HIV-freien Beziehung, sowie das Verwendenvon Einmalnadeln – und spritzen könnte die Aidsepide-mie praktisch zum Erliegen bringen. Jedoch gilt zu be-denken, dass die Verwendung eines Präservativs die In-

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fektionsgefahr zwar drastisch vermindert, jedoch nicht100% ausschließt. Safer sex ist nicht safe sex.

Man kann heute nicht mehr von Risikogruppen spre-chen, sondern nur mehr von einem risikoreichen Ver-halten. Am häufigsten wird das HIV durch Geschlecht-verkehr verbreitet.

Bei Geschlechtsverkehr besteht für die Frau ein etwa 4mal höheres Infektionsrisiko, als für den Mann. Bei Anal-verkehr (vor allem bei Homosexuellen praktiziert) be-steht ein über 20 mal höheres Infektionsrisiko, als beivaginalem Geschlechtsverkehr. Das größte Risiko einerInfektion besteht jedoch bei Spritzentausch und – trauri-ger weise – für das ungeborene Kind einer infiziertenMutter.

Das Risiko durch eine Bluttransfusion infiziert zu werdenist sehr gering. Blutkonserven und Spender werden immergetestet. Trotzdem besteht ein Restrisiko (in Industrielän-dern 1:1 Million, in Afrika 1:1000), das durch das sog.»diagnostische Fenster« bedingt ist, den Zeitraum vonder Ansteckung, bis zur Nachweisbarkeit von Antikör-pern im Blut. Es ist unmöglich dieses Restrisiko auszu-schalten.

Für Bluter scheidet seit 1985 eine Infektion über Blut-produkte aus, Faktorenkonzentrate sind heute absolutsicher.

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Eineinhalb Jahrzehnte lang waren die Erfolge im Kampfgegen AIDS eher enttäuschend. Mit der Einführung derantiretroviralen Therapie 1995 (HAART – highly activeantiretoviral therapy) gibt es jedoch Hoffnung im Kampfgegen AIDS. Die antiretroviralen Therapien bestehen auseiner Kombination verschiedener Medikamente (manunterscheidet zwischen 3 verschiedenen Medikamenten-gruppen). Durch antiretrovirale Therapie ist man heutein der Lage, das HI-Virus zu bekämpfen, es vermehrungs-unfähig zu machen und, in den meisten Fällen, bis un-ter die Nachweisbarkeitsgrenzen zurückdrängen.Dadurch ist der Körper wieder in der Lage, die für dasImmunsystem so wichtigen Helferzellen aufzubauen. Je-doch kann die Therapie HIV/AIDS nicht heilen. Wird dieTherapie abgebrochen, wird das Virus wieder aktiv unddie Krankheit kommt zu einem (erneuten) Ausbruch. Daes sich also um eine lebenslange Therapie handelt, mussan einer besseren Verträglichkeit der Medikament gear-beitet werden.

Zudem wurde der anfängliche Optimismus durch Resis-tenzen gedämpft, die das HIV in vielen Fällen auf dieverschiedenen Wirkstoffe und deren Kombinationen bil-det. Es wird hart daran gearbeitet, dieses Problem zuüberwinden. In den vergangen Jahren gelang es, dieTherapie entscheidend zu verbessern. Man kann heuteauf eine ganze Palette von hochwirksamen Medikamen-

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ten zurückgreifen. Die Einnahmemodalitäten und dieVerträglichkeit für den Patienten haben sich entschei-dend verbessert. Jüngste Forschungsergebnisse gebenAnlass zur Hoffnung, dass bald Medikamente auf denMarkt kommen werden, die weit wirksamer Resistenzenverhindern können.

Trotz immer wieder publizierten optimistischen Presse-meldungen ist aber die Entwicklung eines Heilmittels odereines Impfstoffes gegen AIDS noch nicht in Sicht. Dasgesteckte Ziel für die kommenden Jahre ist, das dassHIV bei optimaler Therapie als chronische Krankheit nichtmehr zu einem irreversiblen Zusammenbruch der Im-munabwehr und damit zu AIDS und zum Tod führt.

Bei all den positiven Meldungen der letzten Jahre vonmedizinischer Seite her, bleibt aber doch ein Wehrmuts-tropfen: Für die 90% aller HIV-Infizierten in den Entwick-lungsländern haben sie wenig Bedeutung. Die hohenKosten der modernen Präparate lassen sie nur für diereichen Industrienationen erschwinglich werden.Schlussgedanken

Zusammenfassend muss also gesagt werden, dass AIDSnach wie vor ein globales Problem, eine nicht abschätz-bare Bedrohung für die gesamte Bevölkerung ist. TrotzLichtblicke aus der Welt der Medizin, bleibt die Präventi-on die einzig wirkliche Chance, eine weitere Ausbrei-tung von AIDS zu verhindern.

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Erfolgreiche Prävention ist auch aus medizinischer Sichtnur möglich, durch vernünftiges, um nicht zu sagenmoralisches, Verhalten des Einzelnen. AIDS kann unsalle betreffen, deshalb muss sich jeder selbst schützen.

Je mehr der Einzelne über AIDS weiß, um so eher kann er beisich selbst bei seinen Angehörigen und Freunden ein Infekti-on vermeiden oder vermeiden helfen, und um so besser kanner bereits Infizierte verstehen und schon Erkrankten helfen.

Es wurden im Gebiet der Aufklärung in den letzten 15Jahren große Anstrengungen unternommen. Leider mussman feststellen, dass eine Verhaltensänderung trotz desWissens um die Gefahren nur in geringem Ausmaß ein-getreten ist. Die überwiegende Mehrheit der Jugendli-chen kümmert sich nicht um das Risiko. Die Lücke zwi-schen Praxis und Theorie ist riesig.

Diese Fakten sollten zu denken geben. Es wird gesagt,dass das Predigen von Moral an der Realität der heutigenGesellschaft vorbeischießt. Dies mag stimmen, doch esscheint, dass ohne es ein Gespür für Moral unmöglichist, seine Triebe von der Vernunft leiten zu lassen, was füreine erfolgreiche Prävention unabdingbar ist. In diesemSinne sind angesichts der AIDS Problematik alle, Eltern,Pädagogen, Lehrer, Seelsorger, Psychologen, Medizinerund Politiker aufgefordert, sich herausfordern zu lassen.

Michael Stricker

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Medizinische Daten entnommen aus dem Skriptum vonDr. Max Kronawetter »HIV/AIDS Epidemiologie, Über-tragung, Diagnostik, Klinik, Therapie und Pflege«, durch-gesehen und auf Richtigkeit überprüft von Dr. ThomasHawranek

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A. HartmannNoras Suche

128 SeitenISBN 3-89397-457-1

Für eine junge Frau entwickelt sichdas Leben immer mehr zum Alp-traum – Einsamkeit, Angst, Unver-standensein und ein tiefes Misstrau-en allen Menschen gegenüberbestimmen ihre Gefühle.Das Elternhaus empfindet sie alsfreudlos und bedrückend, die Figurmacht ihr Probleme, zum Lernenfehlt weitgehend die Konzentration.Sie zieht sich immer mehr in ihreeigene Welt zurück.Es gibt nur eine Befriedigung, einenTrost – das Essen, auch wenndanach regelmäßig das schlechteGewissen und die Angst vor Entde-ckung quälen.Schleichend wird aus der Gewohn-heit eine Sucht und ein Teufelskreisbeginnt!Gibt es einen Ausweg?

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W. BühneTanz am Abgrund

128 SeitenISBN 3-89397-470-9

Peter – ein ganz normaler Donners-tag – doch der Schuss auf einemenschliche Zielscheibe verändertein Leben für immer ...Michael – ein Schrei nach Liebe, derin die Finsternis führt und fast in derVerzweiflung endet ...Eva – ein Leben zum Kotzen – trotzder tiefen Sehnsucht nach derWärme und Geborgenheit einerFamilie ...Walter – der Armut entronnen – imBesitz von Macht, Geld und Frauen,und dennoch weit entfernt vomGlück ...Michael – die Faszination derGewalt und das bittere Ende, als einHooligan ihr wahres Gesicht er-kennt ...Fünf Menschen stehen vor derFrage: »Bin ich geboren, um zusterben?« – und finden am Endedoch das wirkliche Leben.

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R. BladtSinas Sehnsucht

224 SeitenISBN 3-89397-464-4

Sie ist sechszehn, voller Träume undHoffnung – doch das Leben scheintfür Sina etwas anderes zu bieten:Frust, Einsamkeit, Enttäuschungen,zerrüttete Familienverhältnis.

Mit ihrer Freundin Nadine (undanderen jungen Leuten) fühlt siesich ziemlich allein gelassen mitvielen quälenden Fragen.

Doch dann trifft sie einen, derAntworten hat.

Wird sich die Tür zur Hoffnungöffnen? Gibt es echte Liebe undGeborgenheit jenseits von Eden?

Leseprobe auf den folgenden Seiten

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Doch dann kam Sina zur Besinnung. Langsam ließ siedas Telefon sinken. Was tat sie da? Eine Woche langhatte er sich nicht gerührt, und sie brachte es nicht malfertig, ihn ein paar Stunden warten zu lassen. Eigentlichwollte sie ihn doch gar nicht mehr. Sie wollte Robin, jetzt,in dieser Sekunde, wurde ihr dies so klar wie nie zuvor.Was war nur an Lars, dass es sie trotzdem so unwider-stehlich zu ihm hinzog? Dass sie schwach wurde, wennsie bloß an ihn dachte, und ihm alles verzieh?

Denn so konnte er nicht mit ihr umgehen. Erst großeVersprechungen machen und danach nichts mehr vonsich hören lassen. Es war genauso verletzend, als wennjemand Liebe und Zärtlichkeit geradezu herausforderteund sie dann von sich stieß. Ja, genau das hatte Robingetan. Lars, dass der egoistisch und rücksichtslos war,das hatte sie sich vorstellen können. Aber zu Robin passtees nicht. Nicht zu ihm, nicht zu seinem Glauben, nichtzu seinem Gott …

Als Sina merkte, dass sie nur noch dastand und grü-belte, legte sie das Telefon zurück. Sie ging in die Kü-che, aß achtlos ihren Teller leer, räumte auf und stellteden Geschirrspüler an.

Sie würde Lars nicht anrufen. Wenn er sich noch malmeldete und sie auch erreichte, dann war das etwas ande-res. Wie sie darauf reagieren würde, wusste sie jetzt nochnicht. Von sich aus jedoch würde sie nichts tun. Sie wünschte,sie hätte die Energie, den Notizzettel mit Lars‘ Telefonnum-mer wegzuwerfen. Aber das brachte sie nicht fertig. Siefaltete ihn zusammen und steckte ihn in ihr Adressbuch.

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Dieses Haus! Wie oft hatte er davor gestanden! Ständigwar er durch die Tür gegangen. Erst hin und wieder,nachher immer öfter und jetzt fast täglich.

»Komm morgen vorbei, dann kriegst du das Geld.«»Komm in zwei Stunden, wir ziehen wieder los.«Und er war gekommen, jedes Mal war er gekom-

men, auch wenn Ängste, Ratlosigkeit und Schuldbewusst-sein immer größer geworden waren. Aber nun wollte ernicht mehr. Nun wollte er klarmachen, dass es vorbeiwar. Eigentlich hatte es keinen Sinn, diesen Bittgang zuwagen. Er wusste selbst, es war zu spät, er konnte sichnicht davonmachen. Sie würden ihn nicht gehen lassen.Aber versuchen, es wenigstens versuchen.Was sollte erauch sonst tun? Welche Möglichkeit blieb ihm noch?

Die Haustür war nur angelehnt, Jan stieß sie auf, stiegdie uralten, knarrenden Treppen hoch. Sein Herz klopf-te ihm bis zum Hals, am liebsten hätte er kehrtgemacht.Wie würde er sich verhalten, der sich in der Regel nurder Boss nannte, obwohl er einen ganz normalen Vor-namen besaß? Freundlich und herablassend, wie er Janmeist behandelt hatte? Das wohl kaum. Eher spöttischund eiskalt. Vielleicht aber auch gemein und brutal, so,wie er oft mit seinen Opfern umgegangen war …

Jan atmete tief durch. Würde er jetzt vielleicht selbstOpfer werden, er, der bisher zu den Tätern gehört hatte?

Die Wohnungstür! Dunkel, schmutzig, in der unterenEcke der Totenkopf eingekratzt, das Zeichen des Bos-ses. Jan schluckte. Seine Hand zitterte. Noch hatte ernicht geläutet. Noch konnte er zurück. ›Umkehren, bloß

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umkehren!‹ beschwörte ihn eine Stimme in seinem In-nern. Wild schüttelte er den Kopf. Er besaß so oder sokeine Chance. Jetzt hatte er es bis hierher geschafft,jetzt wollte er es auch durchstehen. Entschlossen drück-te er den Klingelknopf.

Nichts rührte sich. Sollte er noch mal …? Da hörte erSchritte, das Rasseln der Innenkette, einen Spaltbreit gingdie Tür auf. »Wer ist da?« Eine Mädchenstimme. Janerkannte sie gleich, es war die Schwester vom Boss.

»Ich bin es«, stammelte er, »ich will zu deinem Bruder.Ich muss ihm … Ist er da?«

Sie öffnete jetzt ganz die Tür, zog ihn in die Woh-nung, ließ die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fal-len. »Du! Was willst du hier?« stieß sie hervor. »Weißt dudenn nicht, dass … Mach bloß, dass du wegkommst,du Zwerg, sonst kriegen sie dich auch noch.«

»Wer kriegt mich? Was soll ich wissen? Was ist pas-siert?«

»Sie haben Sven verhaftet«, erzählte sie nun ganz sach-lich. »Heute Morgen, als er zur Arbeit wollte. Ich wusste janie was Genaues, aber wenn das alles stimmt, was dierausgekriegt haben … Und meine Mutter musste mit. Siehaben ihr einfach nicht geglaubt, dass sie Null Ahnunggehabt hat, obwohl das genau so war. Wie soll sie dennauch was mitgekriegt haben? Sie hat geschuftet von mor-gens bis abends, damit ihr Goldsohn sich alles kaufenkonnte, wozu er selbst kein Geld gehabt hat. Nichts wusstesie. Aus allen Wolken ist sie gefallen, als die ihr sagten,was er in Wirklichkeit getrieben hat. So, …

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