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Sieht süß aus, so eine Ziege. Als wolle sie gestrei- chelt werden. Als müsse man sie sofort zwischen den Hörnern kraulen. Als gehöre das dazu, zu einem Hof voller Ziegen. ≈ Alles Käse. 60 61 Sabine Jürß Ziegenkäse Sabine Jürß Ziegenkäse

Alles Käse. - Scellebelle · RALpastellblauen Containern, vor denen dunkelweinrote Dahlien stehen. Innen drin ist es so peinlich sauber, dass ... So sehen Ziegenkäse aus? Wie weiße

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Sieht süß aus, so eine Ziege. Als wolle sie gestrei-chelt werden. Als müsse man sie sofort zwischen den Hörnern kraulen. Als gehöre das dazu, zu einem Hof voller Ziegen. ≈

Alles Käse.

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Sabine Jürß Ziegenkäse

Sagt Sabine Jürß und krault die Ziege, die gerade ihren Oberkörper über den Zaun schiebt, dann doch hinter den Ohren. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Tiere untereinander unterhalten, alles andere ist überbewertet, sagt die 58­Jährige. Is´ nix mit übertriebenen Streicheleinheiten zwischen Tier und Mensch auf dem Hof Scellebelle. Die 40 Tiere sind die Basis der Existenz von Sabine Jürß, da bleibt kein Raum für Kuscheln, das ist ein Knochenjob, sieben Tage die Woche – bei Wind, Winter und Fieber.

Wer Sabine Jürß auf ihrem Hof trifft, ist erst einmal ernüchtert. Die Käserei findet sich in zusammen­geschobenen Containern, die Ziegen gucken aus der Tiefe des Stalls. Da ist kaum Raum für Romantik – und das ist gut und gewollt so. Geh mir weg mit diesem ganzen Bauer­sucht­Frau­Kram. Das ist an der Realität so was von vorbei. Sagt Sabine Jürß ein wenig verärgert. Sie muss es wissen, sie hatte einen Hof in Südoldenburg, 120 Tiere stark, Stress und irgendwann kaum noch zu bewälti­gen. Die Pachtkosten liefen ihr davon, dann also ab nach Münster, dahin, wo die leben, die einen guten, einen richtig guten Ziegenkäse zu schätzen wissen. Hin auf ein Gelände, wo der große Hof nebenan die grünen Wiesen zur Verfü­gung stellt und dafür gerne den Ziegenmist nimmt. Es sei kein einfacher Schritt gewesen. Aber der richtige.

Nicht einfach deshalb, weil es auch hier so ist wie überall sonst. Du stellst dir vor, dass es schnell klappt, mit den Behördengängen, den Genehmigungen. Und du weißt ein wenig später: So schnell geht es dann doch nicht. Monate vergingen, Nerven zerrissen, die Herde schrumpfte. Sabine Jürß konnte viele Tiere, die aus sehr guten französischen Linien stammen, gut verkaufen.

Heute leben 40 Tiere in dem Stall, der zum Klettern animiert, in den jetzt der Herbstwind pfeift, der Frischluft en masse bietet. 40 Tiere, das klingt nach wenig. Und ist doch viel. Denn sie wollen zweimal am Tag gemol­ken werden. Ohne Ausnahme, Feiertag, Krankheitstag. Mit mehr als 40 Grad Fieber hat sie hier schon gestanden, hat die Tiere gemolken und die Milch gleich weggekippt – an Weiterverarbeitung war nicht zu denken. Aber so richtig häufig krank wirst du nicht; zwei Tage die Woche auf dem Wochenmarkt, einen weiteren auf dem ökologischen Bauernmarkt, jeden Tag mit dem Rad den einen Kilome­ter zum Ziegenhof Scellebelle, Arbeit an der frischen Luft, dann wieder zurückgeradelt.

Echte handwerkliche Arbeit sei das, so, wie sie sie in Frankreich kennenlernte. Als sie in jungen Jahren denen über die Schulter schaute, die in Frankreich für den besten Käse sorgten, den sie je gegessen hatte. So was wollte sie auch. So leben, so arbeiten. Sich keine

Gedanken über ihre Wochenstundenzahl machen, sich nicht den Kopf zerbrechen über das, was heute so modern ist. Ich habe meine Work­Work­Balance gefunden, eine Arbeit, die ich liebe, genau wie meine Ziegen. Mal mit den Leuten plaudern auf dem Markt, dann wieder still mit den Ziegen arbeiten. Wobei, so richtig still ist es hier nicht, die Herde macht einen aufmerksamen, harmonischen Eindruck, Meckern im positiven Sinne also.

Noch etwas ruhiger wird es in den RAL­pastellblauen Containern, vor denen dunkelweinrote Dahlien stehen. Innen drin ist es so peinlich sauber, dass man einen fast schon schüchternen Blick von außen durch die Fenster wirft. Mal reingehen? Vergiss es. Wo die Käse vor sich hin reifen, ist kein Platz für Neugierde, kein Raum für Keime, die haben hier nichts zu suchen. So wie das draußen kein Streichelzoo ist, ist das hier keine Ausstellung rund um den Reifungsprozess von Ziegenkäse. Wer sich die Liste derer, die sie beliefert, anschaut, der ahnt, warum es hier nicht um Romantik und Pädagogik, sondern um Qualität geht. Und sonst nichts. Die Spitzenrestaurants der Umgebung ordern hier, wer hier kauft, der weiß, dass Qua­lität Geld kostet. Und sich nicht um die Ecke, im Supermarkt­regal findet. Wer einen Blick in die Kühlkammer wirft, der ist erstaunt. So sehen Ziegenkäse aus? Wie weiße Pyramiden, nur mit quadratischer Grundform? In Frankreich sehen sie so aus. Und deshalb auch hier, so die logische Antwort. Nicht nur dieser Käse ist ein Rohmilchkäse, einer, der reifen muss, den man nicht stören darf in seiner Balance. Der ruht in sich, der wird gekühlt auf den Markt gebracht, dort weiter gekühlt und dann dem übergeben, der weiß, wie er damit umgehen muss. An verschicken? Ist nicht zu denken, das hier, das ist eine sensible Ware, nichts für das Hin­ und Her­gerutsche im Lieferwagen, nichts für das Dahinschwitzen in Logistikzentren.

Zwischen drei Tagen und vier Wochen dauert der Reifeprozess, ehe aus der Ziegenmilch das geworden ist, was Kenner schätzen. Dazu muss kein französisches Blut durch den Gaumen fließen, dazu müsse man nur das Einer­

lei der Kühltheke hinter sich lassen, sagt Sabine Jürß. Dabei hat sie nicht nur Franzosen in ihrem Angebot, sondern auch Engländer und Schweizer, wie sie ihre Käse nennt. Wobei es streng genommen nicht ihre, sondern fremde Käse sind, zugekauft oder getauscht mit Kollegen, die genau so wie sie arbeiten, sich auf die eine Sache fokussieren. Das ist vielleicht auch der Grund, warum sich Sabine Jürß nie um Ziegenfleisch gekümmert hat. Überzählige Zicklein verkauft sie an Mäster, zu dünn ist der Betrag, den du bekommst, wenn du dich mit dem Thema Fleischgewinnung beschäf­tigst. Und zu groß die Gefahr, dich zu verzetteln. Mach das, was du kannst. Und das so richtig.

Also hat sie damals aus einer Herde von 2.500, natürlich französischen, Tieren ihre Ziegen ausge­sucht. Hat genau, mit Kennerblick hingeschaut. Und verfügt so heute über eine Gruppe lustig dreinschauender Tiere, bei denen geklärt ist, wer das Sagen hat, wer folgt, wer die Rolle der Aufstrebenden übernimmt, wer sich langsam auf das Altenteil verabschiedet. In Spitzenzeiten geben Ziegen im Durchschnitt drei, auch mal dreieinhalb Liter Milch am Tag. Aber mit den Spitzenzeiten ist es langsam vorbei, wenn es gen Winter geht. Dann wird keine Milch gegeben, dann stehen sie drinnen und je nach Wetterlage auch draußen, lassen sich den Wind über die stets in Bewegung erschei­nende Nase pusten und genießen das, was Ziegen am liebsten tun: Ziege sein.

Zeit also, um Urlaub zu machen? Komplett überbewertet, sagt Sabine Jürß nur knapp und winkt ab. Da sei endlich Raum, um sich dem Stall zu widmen, zu reparie­ren, nach dem Rechten zu schauen und mal ein gutes Buch zu lesen.

Wir verkneifen uns, als wir den Hof verlas­sen, die Frage nach dem Rentenalter, nach dem, was geht, wenn es nicht mehr geht. Die Antwort können wir uns auch selber geben: Es geht doch. Gut sogar. Und wird noch lange gehen. Alles andere: Fragen, die sich jetzt nicht stellen.

Das Leben kann herrlich einfach sein. —

Alles Quatsch.

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