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Allgemeine Informationen – Reports – · PDF filesiehe das Internet­Kapitel über Hysterie). ­ Eigenartiges Konkurrenz­, ja Bedrohungs­Gefühl vieler Narzissten; daher

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Page 1: Allgemeine Informationen – Reports –  · PDF filesiehe das Internet­Kapitel über Hysterie). ­ Eigenartiges Konkurrenz­, ja Bedrohungs­Gefühl vieler Narzissten; daher

Seelisch Kranke unter unsAllgemeine Informationen – Reports – Kommentare

Prof. Dr. med. Volker Faust

Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit

NARZISSMUS

Selbstverliebtheit – Selbstbezogenheit – Selbstbewunderung – Egoismus

Narzisstische Wesenszüge (überhöhte Anspruchshaltung, unkritische Selbsteinschätzung, ausnützerische und egoistische Einstellung, Neid und Überheblichkeit) nehmen offenbar zu in unserer Zeit und Gesellschaft.

Noch folgenschwerer wird es dann, wenn es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt: selbstgefällig, dünkelhaft, aufgeblasen, wichtigtuerisch, großspurig; dabei unrealistisch überzeugt von eigenen Eigenschaften wie Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder gar idealer Liebe. Dazu weitere Belastungen wie Gier nach übermäßiger Bewunderung und unbegründete Erwartungen, als etwas Besonderes behandelt zu werden (wenn noch hysterische Züge dazukommen). Außerdem die Tendenz, ande­re auszubeuten, insbesondere was zwischenmenschliche Beziehungen (Partnerschaft, Familie), aber auch Finanzen, Position u. a. anbelangt. Gegebenfalls sogar ein unverständlicher Mangel an Mitleid, Zuwendung und Hilfsbereitschaft, dafür neidisch und manchmal sogar bösartig eifersüchtig. Kurz: eine Belastung besonderer Art.

Bei dieser Aufzählung fallen einem grundsätzlich ein oder mehrere Beispiele ein. Kein Wunder: Auch diese Menschen nehmen offenbar zu.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht als Einführung in den um­fangreicheren Beitrag über Narzissmus (von der zeit­typischen Selbstver­liebtheit bis zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung).

Der Begriff Narzissmus ist in aller Munde, derzeit mehr den je. Dabei muss man allerdings die zeit­typische egoistische Selbstverliebtheit (charakteristische Überschriften: Hochkultur des Scheins, der Egoismus nimmt zu, die „Allergrößten“ u. a.) von der seelischen Krankheit narzisstische Persönlich­keitsstörung abgrenzen.

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Narziss war in der alt­griechischen Sage ein Jüngling, der sich in sein Spiegelbild verliebt hatte, weshalb man einen in sich selbst verliebten Men­schen auch heute noch im Volksmund einen Narzissten nennt. Narzissmus ist also eine Mischung aus Selbstverliebtheit, Selbstbezogenheit, Selbstbe­wunderung und damit oft auch Egoismus.

Die medizin­historische, insbesondere neurosen­psychologische Geschichte des Narzissmus ist allerdings ein weites Feld, beginnend vom Auto­Erotismus (der erwähnten Selbstverliebtheit) Ende des 19. Jahrhunderts über die sexu­elle Perversion (bei der der eigene Körper so behandelt wird, als handle es sich um ein Sexualobjekt) bis zum „primären“ und „sekundären“ Narzissmus vom Vater der Psychoanalyse, Professor Dr. Siegmund Freud, der den Nar­zissmus als „libidinöse Besetzung des Ich“ verstanden wissen wollte (Einzel­heiten siehe Fachliteratur sowie das umfangreiche Kapitel über Narzissmus in unserer Internetserie „Psychiatrie heute“, dort auch eine Übersicht über die wichtigsten Angebote auf dem Fachbuch­Markt).

Doch schon früher wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der Narziss­mus auch eine normale Entwicklungsphase sein kann (z. B. als narzisstischer Schutzmechanismus gegen bedrohliche Triebimpulse). Neuerdings wird wieder vermehrt die Auffassung vertreten, dass Narzissmus an sich ein gesunder, normaler und notwendiger Teil der seelischen Entwicklung und des Seelenlebens überhaupt darstelle. Die sich im Laufe der Zeit entwickelte nega­tive Tönung dieses Begriffes sollte wieder der Vergangenheit angehören. Andererseits gibt es nach Meinung vieler Psychiater und Psychotherapeuten bedrückende narzisstische Störungen von Krankheitswert, und zwar nicht nur für andere, letztendlich auch für die Betreffenden selber; und zwar zunehmend, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung und wechselndem Belastungs­Schwerpunkt.

Die narzisstische Wesensart

Der ausgeprägte Wunsch nach Ruhm und Erfolg in unserer Zeit und Gesell­schaft, das heftige medien­geleitete Konkurrieren auf den Weg dorthin und der unsanfte Umgang mit den anderen, vor allem den Verlierern kennzeichnen die derzeit gängige „narzisstische Wesensart“, sagen die Experten.

Die sieben Todsünden neu konzipiert

Sind die sieben Todsünden der kirchlichen Morallehre noch zeitgemäß? Oder besteht Bedarf nach einem neuen „Sündenkatalog“? Der britische Kultursender Radio 4 machte die Probe auf Exempel und lud seine Hörer ein, eine moderne Liste der schlimmsten Sünden unserer Zeit und Gesell­schaft zu erstellen.

Von den sieben historischen Todsünden:

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Hochmut – Neid – Zorn – Wolllust – Habgier – Trägheit – Völlerei

schaffte es nur die Trägheit (heute als Apathie bezeichnet) in das aktuelle (und deutlich erweiterte) Sündenregister, nämlich:

Selbstsucht – Heuchelei – Gleichgültigkeit – Intoleranz – Ignoranz (bewusste Unwissenheit) – Täuschung – Vergeudung – Grausamkeit – Zynismus.

Aus PSYCHOLOGIE HEUTE 2 (2005) 9

Narzissten, das sind Menschen, die besonderen Wert darauf legen, von anderen als überlegen, großartig und unerreichbar dazustehen. Sie reden fast ausschließlich von sich, ihren Ideen und Erfolgen. Dagegen bringen sie dem, was andere zu berichten haben, wenig Interesse oder sogar offene Gering­schätzung entgegen. So wirken sie meist „arrogant, überheblich oder einge­bildet“.

Als wichtige Ursachen gelten das Konkurrenz­, ja Bedrohungsgefühl vieler dieser Menschen. Sie sind sich ihrer selbst nicht sicher und können deshalb auch nicht offen, freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig und hilfreich sein. Die anderen werden nicht nur als potentielle Konkurrenten, sondern auch als Be­drohung empfunden, die die eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen bloßstellen könnten. Diese seelische Labilität bahnt eine besondere Empfind­lichkeit, ja Kränkbarkeit, ggf. heftige feindselige bis Rache­Impulse für eine (scheinbar) erlittene Demütigung.

Außerdem sind viele Narzissten unfähig, wirklich zu verzeihen und damit oft nachtragend (kennzeichnend der originelle, aber nicht falsche Satz aus Psy­chotherapeuten­Kreisen: „Gott­Vater vergibt, ein Narzisst nie...“).

Gott-Vater verzeiht – ein Narzisst nie...

Narzissten pochen nicht nur unverbesserlich auf ihr Recht, sie können auch Kränkungen nur schwer verzeihen, falls überhaupt.

Tatsächlich können auch psychologische Persönlichkeitstests beweisen, dass Narzissten nicht nur schneller als andere beleidigt oder gekränkt sind, sondern in der Tat auch nicht verzeihen können. Unabhängig von der Schwere des Unrechts und davon, ob sich die „Täter“ entschuldigen, bleiben sie meist unversöhnlich.

Und wenn sie verzeihen, dann nur unter der Bedingung der Wiedergutma­chung: Das ihnen angetane Unrecht muss in irgendeiner Form vergolten werden. Für sie steht das eigene „Recht“ im Vordergrund. Zwischen­menschliche Kompromisse, Respekt für den anderen, Loyalität oder Fair­

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ness sind nicht ihre Sache. Sie sind nicht bereit, den „Tätern“ ihre Schuld „einfach so zu erlassen“.

Dass sie sich damit selber den größten Schaden zufügen, zeigt die psy­chosomatische Stress­Forschung. Sie hat nachgewiesen, dass Feindselig­keit und Nicht­verzeihen­Können nicht nur anstrengend, sondern auch auf der seelischen Schiene schließlich organisch riskant bis gefährlich sind, vor allem für Herz­Kreislauf und seelische Stabilität. Verzeihen dagegen entlastet.

Aus A. Huber (PSYCHOLOGIE HEUTE 8 (2005) 17. Die Untersuchungen der Sozialpsy­chologen R. Baummeister u. Mitarbeiter zitierend, z. B. im Journal of Personality and Soci­al Psychology 6/2004).

Zwar haben nicht wenige Menschen mit solchen Wesenszügen zu kämpfen, doch der Narzisst (die Schreibweise der Experten ist uneinheitlich, die einen sprechen vom Narziss, die anderen vom Narzisst) entwickelt aktive Stabilisierungs­Strategien, die zum zusätzlichen (umfeld­bedingten) Problem werden: partnerschaftlich, familiär, Angehörige, Freundeskreis, Nachbarschaft, Berufsalltag u. a. Früheres Schlagwort: „Profil­Neurose“.

Nun sind die Übergänge von „normal“ zu „gestört“, zumindest aber „grenz­wertig“ meist fließend. So gibt es durchaus auch positive Aspekte, die den nar­zisstischen Persönlichkeitsstil charakterisieren. Beispiele:

Sinn für das Besondere (z. B. durch erhöhte Leistungsorientierung, Bevorzu­gung ausgefallener Kleidung, elitäres Kunst­Empfinden, gepflegte Umgangs­formen und status­bewusstes Auftreten). Außerdem ehrgeizige Anstrengungen im Bereich der eigenen (möglicherweise auch einseitigen oder gar begrenz­ten) Fähigkeiten und Kompetenzen mit erhöhter Leistung in Schule/Studium, im Beruf, Sport­ und Freizeitbereich.

Leider ist bei einer solchen Anspruchshaltung und narzisstischen Wesensart mit verstärkter Kränkbarkeit, wenn nicht gar mit Neidgefühlen zu rechnen. Dazu kommt eine starke Sensibilität für negative Affekte (Gemütsregungen), insbesondere was Depressivität (Niedergeschlagenheit, was noch nicht krank­hafte Depression bedeuten muss) und Angstbereitschaft anbelangt. Das ist fast eine heimliche Grundstimmung des Narzissten, die er allerdings nach außen heftig in Abrede stellt oder sogar über­kompensatorisch bekämpft (s. o.).

Dies wiederum führt – besonders bei lähmender Selbstunsicherheit und vor allem in entsprechenden Belastungssituationen – zwar zu einer Aktivierung aller Kräfte, damit aber auch zu einer fast spiralförmigen (Negativ­)Entwick­lung:

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Auf der einen Seite die Meinung, zwischenmenschlich zu wenig Akzeptanz (Angenommen­, Eingebunden­Sein, letztlich eigentlich Respekt) zu finden, auf der anderen der Versuch, die brüchige Selbstsicherheit durch erneute Über­steigerung und Selbstdarstellung zu festigen (Teufelskreis).

In einer solchen Entwicklung kann dann der Bereich des „Normalen“ (gesell­schaftlich gesehen: des Üblichen) verlassen werden; der Betroffene droht sich der narzisstischen Störung zu nähern (s. u.).

Das wird vor allem dann unübersehbar, wenn der Narzisst im abgehobenen Maße von seiner Bedeutung überzeugt ist und die eigenen Fähigkeiten so un­sensibel übertreibt, dass man spürt: Hier soll ein immer unsicherer werdendes Selbstwertgefühl stabilisiert werden. Bei ausgeprägter Kränkbarkeit drohen dann schließlich ängstlich­depressive Krisen, ja mitunter sogar eine wachsende „Lebensmüdigkeit“.

Am heftigsten pflegen übrigens narzisstisch Gestörte auf andere (echte oder vermeintliche) Narzissten zu reagieren. Da pflegen dann „die Wogen beson­ders hoch zu gehen“.

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung

Unter einer Persönlichkeitsstörung versteht man ein tief eingewurzeltes Fehl­verhalten mit entsprechenden zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Konflikten (frühere bedeutungsgleiche oder ­ähnliche Begriffe: abnorme Persönlichkeit, Psychopathie, Charakterneurose, dissoziale Persönlichkeit, Soziopathie u. a.). Nach Ursache und Verlauf dominieren erbliche, psycholo­gisch verstehbare und sogar hirnorganische Faktoren (meist mehrschichtige Entstehungsweise); die genetischen (Erb­)Aspekte pflegen den größeren Teil einzunehmen, was die (Psycho­)Therapie auch so schwer macht und den Be­handlungserfolg oft begrenzt.

Die diagnostischen Kriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, wie sie beispielsweise die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) vor­gibt, lauten (modifiziert nach Arbeitskreis OPD):

Tiefgreifendes Muster von Großartigkeit in Phantasie oder Verhalten, Bedürf­nis nach Bewunderung und Mangel an Empathie (Einfühlungsvermögen). Kon­kret sollen dabei mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein:

• Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung und Wichtigkeit (über­treibt beispielsweise Leistungen und Talenten, erwartet als bedeutend angesehen zu werden – ohne entsprechende Leistungen).

• Beschäftigt sich dauernd mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder ideale Liebe.

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• Ist überzeugt, etwas Besonderes und Einmaliges zu sein und deshalb nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit hohem Status verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu können.

• Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung.

• Anspruchshaltung und unbegründete, vor allem übertriebene Erwartung an eine besonders günstige Behandlung oder die automatische Erfüllung dieser überzogenen Erwartungen.

• Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen; Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen.

• Mangel an Empathie (s. o.); Ablehnung, Gefühl und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.

• Häufig Neid auf andere oder die Überzeugung, andere seien neidisch auf einen selber.

• Arrogante, hochmütige Verhaltensweisen, Einstellungen, Attitüden (innere Haltung).

Ein spezielles Problem ist die Neigung zur Selbstbeschädigung (auch durch Alkohol, Tabak, Medikamente, gesundheitsschädigendes Verhalten in sportli­cher oder sonstiger Hinsicht) bis hin zu ernsteren Selbsttötungs­Impulsen. Dies vor allem bei ausgeprägter Kränkbarkeit.

Durch ihre Art viel zu fordern und wenig zu geben sind narzisstische Persön­lichkeiten und vor allem Persönlichkeitsstörungen in ihrer Umgebung wenig beliebt, was dann auch einen verhängnisvollen Teufelskreis anheizt. Das kann allerdings lange dauern; „Narzissten kommt man im Allgemeinen recht spät auf die Schliche“.

Narzissmus im Alltag

Von narzisstischen Wesenszügen bis zur narzisstischen Persönlichkeitsstö­rung: eine unsystematische Auswahl zur ersten Übersicht*

­ Neigung, vor anderen als besonders überlegen, großartig und unerreich­bar dazustehen, fast ausschließlich über sich und von sich zu reden. Den Problemen, Sorgen, Kümmernissen, Nöten und Aufgaben anderer gegen­über wenig Interesse oder sogar offene Geringschätzung.

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­ Halten sich für etwas Besseres, was sie andere auch gerne spüren lassen. Gelten deshalb auch häufig als (Zitate): eitel, geziert, eingebildet, dünkel­haft, selbstherrlich, überheblich, selbstgefällig, anmaßend, arrogant, hochmütig, selbst­verblendet, wichtigtuerisch, prahlerisch, großschnäuzig, aufgeblasen, blasiert, von der Affekt­Hascherei bis zum „Größenwahn“ u. a. (besonders wenn noch hysterische Wesenszüge hinzukommen – siehe das Internet­Kapitel über Hysterie).

­ Eigenartiges Konkurrenz­, ja Bedrohungs­Gefühl vieler Narzissten; daher auch die Selbstunsicherheit und fassadenhafte Überheblichkeit. Und die Unfähigkeit, seinen Mitmenschen freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig oder hilfreich zu begegnen. Narzissten erleben die anderen schnell als potentielle Konkurrenten, als gefährliche „Niedermacher“, kurz: als Bedro­hung ihrer scheinbaren Selbstherrlichkeit. Ihre größte Furcht sind ihrer eigenen (auch vermeintlichen) Unzulänglichkeiten und Schwächen, die ggf. bloßgestellt werden könnten. Diese versteckten Minderwertigkeitsge­fühle führen zu ausgeprägter Empfindlichkeit, ja Kränkbarkeit, ggf. zu hef­tigen feindseligen bis Rache­Impulsen über eine (scheinbar) erlittene De­mütigung.

­ Narzissten sind oft unfähig, wirklich zu verzeihen – und damit nach­tragend. Statt Großzügigkeit, Nachsicht, und Verzeihung fordern sie – wenn auch uneingestanden und selbstverständlich nicht nach außen formuliert –, „Vergeltung für das ihnen angetane Unrecht“. Sie sind nicht bereit, den „Tätern“ ihre Schuld „einfach so zu erlassen“ (Wiedergutma­chung um jeden Preis).

­ Deshalb der hartnäckige Versuch, „nie mehr der Kleinste, am besten der Allergrößte zu sein“. Konsequenz: „Profil­Neurose“, sich ständig hervor­tun, aus der Masse herausragen, ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit aufzublasen, seine eigenen Leistungen und Talente ständig hervorzuheben, in Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schön­heit oder idealer Liebe (siehe diagnostische Kriterien) eingesponnen zu sein, übermäßige Bewunderung zu erwarten und naives Anspruchsden­ken zu pflegen.

­ Und wenn sich eine Niederlage abzeichnet, dann diese einfach positiv um­zuwerten. Beispiel: Misserfolg ist einfach die Unfähigkeit der anderen, die eigene Größe zu erkennen. Oder noch lächerlicher: „Die sind ja nur neidisch“.

­ Auch in Freundeskreis und sogar Partnerschaft die gleichen Probleme: immer und überall auf den eigenen Vorteil bedacht, selbst „im Kleinen“. Narzissten schaffen es meist mehr zu bekommen, als sie geben. So lassen sie andere ständig um ihre eigenen Probleme kreisen. Wenden sich diese schließlich genervt ab, kann es der Narzisst überhaupt nicht begreifen, dass man nicht ständig ein offenes Ohr für ihn hat. Sein

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Mangel an Gefühl, Zuwendung und Herzenswärme verbaut ihm die primi­tivsten Erkenntnisse im Sinne von „Geben und Nehmen muss ein ausge­glichenes Verhältnis haben“.

Interessant auch die alte Erkenntnis, dass Narzissten gerade das wollen, was sie selbst am wenigsten zu bieten haben (viele Beispiele aus dem Alltag). Im zwischenmenschlichen Bereich übrigens auch oft eine rasche und meist unbegründete Eifersucht – und damit entsprechende Szenen.

­ Beziehungsstörung bzw. gar Beziehungsunfähigkeit. Beispiele: Dem Part­ner ständig signalisieren, wie viele des anderen Geschlechts sich permanent und bewundernd um ihn scharen; oder noch eindeutiger: er sei nur ein Partner auf Abruf, sobald sich etwas Besseres findet...; nach dem Bruch bei nächster Gelegenheit mitteilen, dass man jetzt die „Bezie­hung seines Lebens gefunden habe“; gegenüber Kranken mit der eigenen Gesundheit prahlen, bei wirtschaftlichen Niedergang die eigene Absi­cherung rühmen; bei befürchteter Alterung ständig mit Lobeshymnen zur eigenen Person verunsichern.

Und wenn auf die Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle des anderen halb­wegs eingegangen wird, dann häufig ungnädig, missbilligend, abwertend, verächtlich, geringschätzig, respektlos, wenn nicht gar vernichtend, z. B. als Zeichen von Schwäche, Niedergang, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Krankheitsanfälligkeit, mangelhafter Begabung u. a.

Oder kurz: Von narzisstisch Gestörten geht nicht selten eine gefühlsmä­ßige Kälte und ein allseits irritierender Mangel an fürsorglichem Interesse oder zumindest Verständnis für die Bedürfnisse anderer aus. Das wird allerdings in vielen Fällen erst relativ spät deutlich. Das Umfeld der Nar­zissten und insbesondere die Partner merken lange nicht, was sich hier abspielt – zu ihren Lasten.

­ Neigung, sich zur Selbst­Stabilisierung besonders privilegierten Gruppen anzuschließen. Diese anderen „Allergrößten“ werden dann nicht be­kämpft, sondern akzeptiert, aber nicht um ihrer Position oder Leistung willen, sondern als Ausweis eigener Größe.

­ Kleine „narzisstische Alltags­Charakteristika“ (Beispiel­Auswahl): nur von „Spitzen­Experten“ beraten, betreut, behandelt und bedient werden („für mich ist das Beste gerade gut genug“); ständig auf Komplimente aus sein; erwarten, dass man ihnen grundsätzlich entgegenkommt und erstaunt bis erbost sein, wenn dies nicht automatisch geschieht (Warteschlange, Si­cherheitsempfehlungen, bevorzugte Behandlung u. a.); nicht nur Erwartung, auch konkrete Manipulationen, um bestimmte Privilegien oder Mittel an sich zu reißen, die der Narzisst verdient zu haben glaubt, gleich­gültig, was das für Konsequenzen für andere hat; oberflächliche alltägli­che Konversation, die letztlich nur der eigenen Selbst­Darstellung dient

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(oder Informationen von anderen, um sich damit in eine vorteilhafte Positi­on zu bringen); Neigung, ihre eigene Angelegenheiten unangemessen de­tailliert, langwierig und nur auf Verständnis, Anerkennung und Lob aus­gerichtet zu besprechen (und nicht etwa zu diskutieren, das könnte ja Kri­tik enthalten). Und die Probleme anderer kaum wahrzunehmen, ge­schweige denn zu erörtern u.a.m.

* Weitere Einzelheiten siehe das ausführliche Narzissmus­Kapitel in der Internet­Serie „Psychiatrie heute“.

Geschlecht – Alter – Ursachen – Mehrfachbelastung

Die bisher vorliegenden Vorschläge zu Definition, Klassifikation, Häufigkeit, Geschlecht, Ursachen u. a. sind zwar noch umstritten (z. B. APA gegen Welt­gesundheitsorganisation ­ WHO), lassen aber zumindest einige charakteris­tische Erkenntnisse zu:

Männer sind (bisher) häufiger betroffen als Frauen, Letztere holen auf. Kon­krete Zahlen liegen nicht vor (je nach Studie breit streuend zwischen 2 und 35% in der Allgemeinbevölkerung?).

Altersmäßig dominieren die mittleren Lebensjahre. Es beginnt bei Her­anwachsenden (seltener schon in Kindheit und Jugend, dort wird es in der Regel noch nicht hingenommen und kann sich deshalb auch nicht voll entfal­ten), hat offensichtlich seinen Gipfel in den erwähnten mittleren Lebensjahren und pflegt im Allgemeinen im Rückbildungsalter (d. h. nach den Wechseljah­ren, die ja auch den Mann treffen) etwas zurückzugehen.

Es gibt aber auch Fälle, in denen gerade im „dritten Lebensalter“ der Narziss­mus (späte) Blüten treibt. Dort nimmt er dann allerdings die allseits erkennba­ren „alters­typischen egoistischen Züge“ an, die – wie in Kindheit und Jugend – ebenfalls nicht (mehr) so selbstverständlich und tolerant hingenommen werden und deshalb mitunter eine etwas klagsame, fast lächerliche Form annehmen können. Wer sich diese Wesensart allerdings von seiner Position her (partnerschaftlich, familiär, wirtschaftlich, finanziell, beruflich, kulturell u. a.) leisten kann, wird dann auch im höheren Alter ein schwer ertragbares Problem bleiben.

Die Ursachen sind ähnlich wie bei den meisten Persönlichkeitsstörungen (s. o.).

Die psychosozialen Folgen sind – im Gegensatz zu gerade noch vertretbaren narzisstischen Wesenszügen (s. o.) – sehr viel folgenschwerer, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Die Konsequenzen für Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz u. a. mitunter sehr herb – nebenbei für beide Sei­ten. Denn das Leidensbild neigt zu chronischem Verlauf.

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Interessantes Phänomen: die Ko­Morbidität (wenn eine Krankheit zur anderen kommt: Mehrfachbelastung). Hier fallen am häufigsten – wie erwähnt – narziss­tische Persönlichkeitsstörungen mit hysterischen zusammen (narzisstische Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen). Noch dramatischer ist die Kombination aus Narzissmus und Borderline­Persönlichkeitsstörung, wenn nicht gar antisozialer Persönlichkeitsstörung. Seltener sind Kombinationen mit paranoiden (wahnhaften) Persönlichkeitsstörungen, mit affektiven (Gemüts­) Störungen wie Depression oder manischer Hochstimmung, mit Ess­Störungen, Medikamenten­ und/oder Rauschdrogenabhängigkeit. Interessant, wenngleich noch nicht ausreichend erforscht: die gleichzeitige Belastung von narziss­tischer Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit­/Hyperaktivitätsstö­rung (ADHS/ADS).

Erhebliche Probleme kann der so genannte „maligne (bösartige) Narzissmus“ auslösen, besonders in der Kombination: narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung. Auch wird immer deutlicher, dass die (derzeit wieder öfter notgedrungen zur Diskussion stehende) Amok­Gefahr, viel mit narziss­tischer Kränkbarkeit zu tun hat, sei es im persönlichen Bereich, sei es poli­tischer Fanatismus. So ist auch die erhöhte Selbsttötungsgefahr zu erklären, die nicht zuletzt in einen so genannten „Sensations­Suizid“ münden kann.

Einzelheiten siehe das ausführliche Narzissmus­Kapitel sowie die entspre­chenden Beiträge in dieser Internet­Serie.

Lässt sich Narzissmus heilen?

Die (psychotherapeutische) Behandlung narzisstischer Wesenszüge kann manches lindern helfen, eine völlige „Kehrtwendung der Wesensart“ ist eher unwahrscheinlich. Noch problematischer wird es bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen. Sie brauchen spezifische Kenntnisse, viel Ver­ständnis, Nachsicht und Geduld (auf Deutsch: „ein dickes Fell“) und können – selbst nach abgeschossener Psychotherapie – eine Lebensaufgabe bleiben. Dann allerdings nicht nur für das belastete Umfeld, auch für den Betroffenen selber. „Die Gesellschaft ist nicht wehrlos“; das bekommt auch irgendwann der hartnäckigste Narzisst zu spüren (und dann geht das klagende Selbstmitleid los).

Denn nicht nur die seelische Stabilität und psychosoziale Stellung, auch die körperliche Gesundheit vieler narzisstischer Persönlichkeitsstörungen (auch bei „nur“ narzisstischer Wesensart) ist – wie erwähnt – brüchig; und dies ins­besondere über die psychosomatische Schiene (Stichwort: Psycho­Neuro­Im­munologie).

Das heißt konkret: Wenn die Reserven aufgebraucht und die Kräfte erschöpft sind („auch der gnadenloseste Narzisst ist und bleibt letztlich ein Mensch mit den bekannten Grenzen“) geht es erst einmal an die individuellen Schwach­

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punkte des Narzissten, teils seelisch, teils zwischenmenschlich, teils körper­lich. Und davon gibt es mehr, als der Betreffende bisher ahnte.

Der Schwerpunkt liegt in der Regel auf psychosomatischem Gebiet, d. h. un­verarbeitete seelische Probleme äußern sich körperlich, wenn auch ohne krankhaften organischen Befund. Beispiele: Kopf(schmerzen), Herz­Kreislauf, Magen­Darm, Wirbelsäule und Gelenke und nicht zuletzt die körpereigene Abwehr (das Immunsystem), das geschwächt dann für eine Vielzahl von stän­digen Infekten verantwortlich ist.

Medikamentös sollte man eher zurückhaltend sein. Bei schließlich ängstlich­deprimierter Dauerverstimmung werden aber ggf. Antidepressiva, in (mitunter inszenierten) Krisensituationen Benzodiazepin­Tranquilizer empfohlen (kurz­fristig und in Tropfenform).

Die langfristigen Heilungsaussichten aber sind und bleiben meist unklar. Nar­zissten sind eine Belastung, zuerst für andere, später auch und vor allem für sich selber – oft ein Leben lang.

Schlussfolgerung

Nicht alle Narzissten sind „gnadenlose Psychopathen“ im Sinne einer extre­men narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Die schicksalhafte Bandbreite des narzisstischen Alltags erstreckt sich von leicht gestört (und damit noch schwe­rer erkennbar, zumindest erstaunlich lange) über mittelgradig belastet bis zu jenen Extremen, die dann allerdings mit einer konsequenten Ausgrenzung durch ihr gepeinigten Umfelds rechnen müssen, spätestens wenn sich irgend­wann einmal die persönlichen oder beruflichen Macht­Verhältnisse zu Lasten des Narzissten verschieben.

Eines aber fällt immer wieder auf, auch im dezenten und lange schwer durch­schaubaren Rahmen:

Narzissten haben ein Defizit, was den respektvollen, einfühlsamen und hilfs­bereiten Umgang mit anderen Menschen anbelangt. Das ist zuerst das harte Los der Mit­Betroffenen – und schließlich ihr eigenes.

Weitere Informationen siehe die Internet­Serie Psychiatrie heute

http://www.volker-faust.de/psychiatrie

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