Upload
tranxuyen
View
217
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Analysis auf Mannigfaltigkeiten
Vorlesung im SoSe 2015
2+1
JProf. Dr. Jens Rottmann-Matthes
24. Juli 2015
Inhaltsverzeichnis
1 Untermannigfaltigkeiten 1
1.1 Untermannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Der Tangentialraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten 23
2.1 Maßtensor und Gramsche Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3 Hausdorff-Nullmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3 Der Gaußsche Integralsatz 37
3.1 Der Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2 Vorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2.1 Lokale Graphendarstellung einer Untermannigfaltigkeit . . . . . . 39
3.2.2 Differenzierbare Zerlegung der Eins . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.4 Anwendungen und klassische Satze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz 57
4.1 Multilinearformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.2 Differentialformen im Rm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.2.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.2.2 Außere Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
4.2.3 Zuruckholen von Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.3 Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.3.1 Orientierung einer Untermannigfaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . 77
4.3.2 Orientierung von Tangentialraumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
4.3.3 Orientierung des Randes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
IV Inhaltsverzeichnis
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes . . . . . . . . 83
4.4.1 Integration von Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
4.4.2 Der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von Stokes . . . . . . . . . . 92
4.5.1 Pfaffsche Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.5.2 Der Satz von Gauß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.5.3 Der klassische Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
A Notationen 93
Literaturverzeichnis 95
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
Einleitung
Worum geht es in dieser Vorlesung?
• Ziel dieser Vorlesung ist es, eine Integration auf Flachen und allgemeiner Unter-
mannigfaltigkeiten des Rm zu entwickeln.
• Wesentliche Ziele werden der Intgralsatz von Gauß
∫
G
divF dx =
∫
∂G
〈F, ν〉 dS,
welcher eine Verallgemeinerung des Hauptsatzes der Differential- und Integralrech-
nung ist, und der Satz von Stokes
∫
M
dω =
∫
∂M
ω
sein, welcher seinerseits wieder eine Verallgemeinerung des Satzes von Gauß ist.
• Ein wesentlicher Teil dieser Vorlesung wird zunachst darin bestehen, all die Dinge
mathematisch rigoros zu erklaren, die in der Formulierung der beiden Satze auf-
tauchen: Unter anderem, was fur Mengen G sollen zugelassen sein, was soll ∂G
bedeuten, was dS? Insbesondere ist zu erklaren, was wir unter einer Unterman-
nigfaltigkeit M verstehen, was unter ihrem Rand ∂M , was eine Differentialform ω
ist, was die außere Ableitung dω einer Differentialform und zu guter letzt, wie das
Integral einer Differentialform uber eine Untermannigfaltigkeit definiert sein soll.
• Wir entwickeln in dieser Vorlesung die Theorie der Untermannigfaltigkeiten so,
dass sie relativ einfach fur den Fall allgemeiner Mannigfaltigkeiten angepasst wer-
den kann. Zudem werden wir den Satz von Gauß mit Singularitaten beweisen. Bei
dem Satz von Stokes werden wir uns jedoch auf den Fall glatt berandeter Un-
termannigfaltigkeiten beschranken und auch in der Theorie der Differentialformen
werden wir uns auf den Fall beschranken, dass sie in einem Gebiet gegeben sind.
Literatur
Gute Dienste bei der Vorbereitung dieser Vorlesung haben mir folgende Bucher geleistet,
• Amann-Escher Analysis Bd 2 und 3 [2] und [3]
• Forster Analysis Bd 3 [4]
• Konigsberger Analysis Bd 2 [8]
• Nobeling Integralsatze der Analysis [10]
• Agricola-Friedrich Vektoranalysis [1]
• Janich Vektoranalysis [7]
• Spivak Calculus on Manifolds [11]
• Lang Real and Functional Analysis [9]
Zum Teil habe ich mich auch bei der Vorlesung Analysis III bedient, die ich selber als
Student bei Prof. Dr. W.-J. Beyn in Bielefeld gehort habe.
Sprechstunde
Dienstags 14:00-15:30
Klausur
Am 19.8.2015
Ubungen
Jede zweite Woche, beginnend mit dem 28.4.2015
1 Untermannigfaltigkeiten
Vorbemerkungen
In diesem Abschnitt fuhren wir zunachst ein paar Dinge aus der Topologie ein, die
wir im Laufe der Vorlesung benotigen werden. Ferner wiederholen wir einiges aus den
Grundvorlesungen um die Notationen festzulegen.
Da wir stets Untermannigfaltigkeiten M ⊂ Rm betrachten werden, benotigen wir
zunachst einmal eine Topologie auf derartigen Mengen.
Definition 1.1 (Relativtopologie). Sei M ⊂ Rm. Die Menge T = M ∩ U : U ⊂Rm, U offen ist die Menge aller in M offenen Mengen, sie definiert eine Topologie auf
M , die Relativtopologie.
Wir schreiben V ⊂off
M fur eine Teilmenge V ⊂ M , die in M offen ist. Damit ist
auch klar, was eine in M kompakte Teilmenge ist. (Zur Erinnerung: Eine Menge M in
einem topologischen Raum heißt kompakt, wenn jede offene Uberdeckung der Menge
eine endliche Teiluberdeckung besitzt.)
Lemma 1.2. Eine Menge K ⊂ M ⊂ Rm ist kompakt relativ M genau dann wenn K
kompakt in Rm ist.
Beweis.”⇐“: Sei Vi ⊂
off
M , i ∈ I, eine Familie offener Mengen mit⋃i∈I Vi ⊃ K. Dann
existieren Ui ⊂off
Rm mit Vi =M∩Ui, i ∈ I. Daher folgtK ⊂ ⋃i∈I Ui und weil K kompakt
in Rm ist, existiert I ′ ⊂ I, I ′ endlich, mit K ⊂ ⋃i∈I′ Ui und daher K ⊂ ⋃i∈I′ Vi.
”⇒“: Sei Ui ⊂
off
M , i ∈ I, eine Familie offener Mengen mit⋃i∈I Ui ⊃ K. Wegen K =
K ∩ M ⊂ ⋃i∈I(Ui ∩ M) und weil (Ui ∩ M)i∈I offene Uberdeckung von K in M ist,
existiert I ′ ⊂ I, I ′ endlich, mit K ⊂ ⋃i∈I′(Ui ∩M) ⊂ ⋃i∈I′ Ui.
Nun ein paar Erinnerungen:
• SindM1,M2 topologische Raume, so heißt eine Abbildung φ :M1 →M2 Homoomor-
phismus genau dann, wenn φ bijektiv ist und sowohl φ also auch φ−1 stetig sind.
2 1 Untermannigfaltigkeiten
• Sei U ⊂off
Rk, φ ∈ C1(U,Rl). Dann ist die Jacobimatrix in t ∈ U
Dφ(t) =
(∂φi
∂tj(t)
)
i=1..lj=1..k
=(∂tjφi(t)
)i=1..lj=1..k
=(∂jφi(t)
)i=1..lj=1..k
∈ Rl,k.
Insbesondere ist Dφ(t) ∈ L(Rk,Rl) (also eine lineare Abbildung von Rk nach Rl)
und Dφ ∈ C(U,L(Rk,Rl)
).
• Seien U, V ⊂off
Rl. Dann heißt eine Abbildung φ : U → V Cα-Diffeomorphismus,
α ∈ N∗, falls φ : U → V bijektiv ist und sowohl φ als auch φ−1 von der Klasse Cαsind.
1.1 Untermannigfaltigkeiten
Definition 1.3 (Untermannigfaltigkeit). • Eine MengeM ⊂ Rm heißt k-dimensionale
Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm, α ∈ N∗, genau dann wenn:
Fur alle x0 ∈M existieren T ⊂off
Rk und ϕ : T →M mit x0 ∈ ϕ(T ) und
1. ϕ(T ) ⊂off
M ,
2. ϕ : T → ϕ(T ) ist ein Homoomorphismus,
3. ϕ ∈ Cα(T,Rm) mit RangDϕ(t) = k∀t ∈ T .
Dann heißen
ϕ: (lokale) Karte von M um x0,
T : (lokales) Kartenblatt von M ,
ϕ(T ): Kartengebiet .
• Ist φ(T ) =M , so heißt die Karte global.
• Eine Familie von Karten (ϕj, Tj), j ∈ I, I eine Indexmenge, mit M ⊂ ∪j∈Iϕj(Tj)heißt ein Atlas von M .
• Eine isolierte Punktmenge ist eine 0-dimensionale Untermannigfaltigkeit.
• Die leere Menge ∅ ist eine Untermannigfaltigkeit jeder Dimension.
• Eine Abbildung mit den Eigenschaften 2. und 3. heißt Einbettung .
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.1 Untermannigfaltigkeiten 3
Beispiele. • Eine offene Teilmenge U ⊂off
Rm ist eine m-dimensionale Unterman-
nigfaltigkeit, eine globale Karte ist id : U → U .
• Die 1-Sphare S1 = x ∈ R2 : x21 + x22 = 1 ist eine 1-dimensionale UMfk von R2.
Eine Familie von Karten:
ϕj :Tj = (j, j + π) → S1
t 7→ (cos t, sin t), j ∈ R.
Abbildung 1.1: Zwei Karten fur die S1
Im folgenden Satz zeigen wir noch drei weitere Moglichkeiten, wie Untermannigfaltig-
keiten beschrieben werden konnen. Je nach Bedarf werden wir dann im spateren Verlauf
die eine oder andere der Moglichkeiten benutzen.
Satz 1.4. Sei M ⊂ Rm. Dann sind aquivalent:
1) M ist k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit, (Darstellung mittels Karten)
2) fur alle x0 ∈M existieren Ω ⊂off
Rm Umgebung von x0 und ein Cα-Diffeomorphismus
ψ : Ω → ψ(Ω) mit
ψ(Ω ∩M
)=(Rk × 0) ∩ ψ(Ω),
die Abbildung ψ heißt lokale Plattung von M , (Darstellung mittels Plattungen)
3) fur alle x0 ∈M existiert eine Umgebung Ω ⊂off
Rm von x0 und ein f ∈ Cα(Ω,Rm−k),
so dass Ω∩M = f−1(0) und RangDf(x) = m− k fur alle x ∈ Ω gilt (Darstellung
als Faser)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4 1 Untermannigfaltigkeiten
4) fur alle x0 ∈ M existiert U ⊂off
Rk und h ∈ Cα(U,Rm−k), sowie eine Permutation
der Koordinaten π : Rm → Rm, so dass
x0 ∈ W =π(y, h(y)
): y ∈ U
⊂off
M.
(Lokale Graphendarstellung)
Beweis. 1) ⇒ 2) Sei x0 ∈M und (ϕ, T ) Karte um x0, ϕ(t0) = x0. O.B.d.A. erfullen die
ersten k Zeilen der Jacobimatrix
Dϕ1(t0)...
Dϕk(t0)
=: A, det(A) 6= 0.
Dann definiere φ ∈ Cα(T × Rm−k,Rm) durch
φ :T × Rm−K → Rm
(t, z) 7→ ϕ(t) + (0, z),∈ Cα.
Diese Funktion erfullt φ(t, 0) ∈ M fur alle t ∈ T . Außerdem lautet die zugehorige
Jacobimatrix
Dφ(t0, 0) =
(A 0
∗ Im−k
), detDφ(t0, 0) = detA 6= 0,
ist also invertierbar. Nach dem Inverse-Funktionen-Satz gibt es dann W0 ⊂off
Rm, W0 ⊂T × Rm−k, Umgebung von (t0, 0), so dass φ|W0 : W0 → φ(W0) ein Cα-Diffeomorphismus
ist. O.B.d.A. nehmen wir an W0 = Br(t0, 0) (offener Ball mit Radius r um (t0, 0)). Nun
sei T0 := t ∈ Rk : (t, 0) ∈ W0 ⊂off
T . Damit folgt ϕ(T0) ⊂off
M und es gibt ein Ω0 ⊂off
Rm
mit ϕ(T0) = M ∩ Ω0. Dann ist Ω = φ(W0) ∩ Ω0 in Rm offene Umgebung von x0 und
ψ := (φ|W0)−1|Ω, Ω erfullen die Bedingung von 2):
Offensichtlich ist ψ : Ω → ψ(Ω) ein Cα Diffeomorphismus. Ferner gilt Ψ(M ∩ Ω) =(Rk × 0
)∩ ψ(Ω), denn
”⊂“ (t, z) ∈ ψ(M ∩ Ω) ⇒ ∃x ∈ M ∩ Ω ⊂ ϕ(T0), also x = ϕ(t′) = φ(t′, 0) fur ein
(t′, 0) ∈ W0, so dass
(t, z) = ψ(φ(t′, 0)) = (t′, 0).
”⊃“ (t, 0) ∈ ψ(Ω) ⊂W0, also
(t, 0) = ψ(x), x ∈ Ω ⇒ x = φ(t, 0) = ϕ(t) ∈M ∩ Ω.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.1 Untermannigfaltigkeiten 5
(a) Darstellung via Karten
(b) Darstellung via Plattungen
(c) Darstellung als Faser
(d) Lokale Graphendarstellung
Abbildung 1.2: Visualisierung der verschiedenen Moglichkeiten, eine Untermannigfaltig-
keit zu beschreiben.
2) ⇒ 3) Sei x0 ∈ M und seien ψ,Ω wie in 2), ferner sei pr : Rk × Rm−k → Rm−k,
pr(y, z) = z die Projektion auf die letzten m− k Komponenten. Dann erfullt f = pr ψdie Bedingung von 3), denn fur x ∈ Ω gelten
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
6 1 Untermannigfaltigkeiten
(i) f(x) = 0 ⇔ ψ(x) ∈ Rk × 0 ∩ ψ(Ω) ⇔ x ∈ Ω ∩M
(ii) Df(x) = D pr(ψ(x)
)Dψ(x) =
(0 Im−k
)Dψ(x) und RangDf(x) = m−k, denn
Dψ(x) ist invertierbar und Rang(0 Im−k
)= m− k.
3) ⇒ 4) Sei x0 ∈M und Ω, f wie in 3). Weil RangDf(x0) = m−k konnen wir nach ei-
ner geeigneten Permutation der Koordinaten o.B.d.A. annehmen, dass die Untermatrix(∂k+1f(x0) . . . ∂mf(x0)
)invertierbar ist. Mit dem Satz uber implizite Funktionen
folgt, dass eine offene Umgebung U ⊂ Rk von y0 = (x01, . . . , x0k) und eine offene Umge-
bung V ⊂ Rm−k von z0 = (x0k+1, . . . , x0m) existieren, sowie ein h ∈ Cα(U, V ) mit
(f(y, z) = 0, y ∈ U, z ∈ V
)⇔(y ∈ U, z = h(y)
),
also W =(y, h(y)
): y ∈ U
= U × V ∩M ⊂
off
M .
4) ⇒ 1) Sei x0 ∈ M , U, h wie in 4). Dann ist ϕ : U → M, y 7→ ϕ(y) = (y, h(y)) ein
Element von Cα(U,Rm) und eine lokale Karte um x0.
Fur spatere Anwendungen bemerken wir noch, dass jede Plattung in kanonischer Weise
eine Karte induziert:
Bemerkung 1.5. Sei x0 ∈ M , Ω ⊂off
Rm, x0 ∈ Ω, ψ : Ω → ψ(Ω) eine Plattung,
also ψ ist Cα-Diffeomoprhismus mit ψ(Ω ∩M) = (Rk × 0) ∩ ψ(Ω). Dann ist (ϕ, T ),
gegeben durch T =t ∈ Rk : (t, 0) ∈ ψ(Ω)
und ϕ(t) = ψ−1(t, 0) fur t ∈ T , eine Cα-
Karte von M um x0. Speziell folgt mit der Projektion auf die ersten k Komponenten
pr : Rk × Rm−k → Rk, pr(t, r) = t:
ϕ pr ψ|M = idM .
Beweis. Es ist T ⊂off
Rk, denn T ×0 = Rk×0∩ψ(Ω)︸ ︷︷ ︸offen
ist offen in Rk×0, außerdem
ist x0 ∈ φ(T ) und es gelten
1. ϕ(T ) = ψ−1(ψ(Ω ∩M)
)= Ω ∩M ⊂
off
M ,
2. ψ, ψ−1 sind stetig ⇒ ϕ und ϕ−1 = ψ|M sind stetig,
3. ϕ ∈ Cα(T,Rm) ist klar, da ϕ = ψ−1 ι : T → Rm, wobei ψ−1 ∈ Cα(ψ(Ω),Rm
)und
ι : Rk → Rm, t 7→ ι(t) = (t, 0) ist in C∞(Rk,Rm) mit ι(T ) ⊂ ψ(Ω).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.1 Untermannigfaltigkeiten 7
Beispiele. • Die m− 1-Sphare M = Sm−1 = x ∈ Rm : ‖x‖2 = 1:
Sei f : Rm \ 0 → R, x 7→ f(x) =∑m
i=1 x2i − 1, dann ist f ∈ C∞(Rm \ 0,R1).
Offensichtlich ist M = f−1(0) und außerdem Df(x) = (2x1, . . . , 2xm) 6= 0 fur alle
x ∈ Rm \ 0. Damit sind die Bedingungen von Satz 1.4 erfullt und Sm−1 ist eine
Cα Untermannigfaltigkeit des Rm fur jedes α ∈ N∗.
• Die Menge der orthogonalen Matrizen O(m) =A ∈ Rm,m : A⊤A = I
:
Sei f : Rm,m → Rm,msym , A 7→ f(A) = A⊤A − I, f ∈ C∞. Offensichtlich sind
dimRm,m = m2 und dimRm,msym = 1
2m(m+ 1). Fur A ∈ Rm,m und H ∈ Rm,m sind
Df(A)H := limt→0t 6=0
f(A+ tH)− f(A)
t
= limt→0t 6=0
A⊤A+ t(A⊤H +H⊤A) + t2H⊤H − A⊤A
t= A⊤H +H⊤A. (1.1)
Ferner ist Df(A) surjektiv fur A ∈ O(m):
Sei B = B⊤ ∈ Rm,msym und setze H := 1
2AB. Dann gilt Df(A)H = B.
Ubung 1.1.1. Nun ist noch zu zeigen, dass dann auch Df(A) fur A nahe A
surjektiv ist um den Beweis, dass es sich bei O(m) um eine Untermannigfaltigkeit
handelt, zu beenden.
Definition 1.6. Eine UntermannigfaltigkeitM ⊂ Rm, die eine kompakte Teilmenge des
Rm ist, heißt geschlossen.
Ubung 1.1.2. Beispiele geschlossener Untermannigfaltigkeiten sind Sm und O(m).
Ubung 1.1.3. Keine nichtleere, geschlossene Untermannigfaltigkeit besitzt eine globale
Karte.
Ubung 1.1.4. Geben Sie einen Atlas fur S2 ⊂ R3 an.
Von nun an sei stets M 6= ∅ eine k-dimensionale Cα Untermannigfaltigkeit des Rm,
wir werden dies nicht mehr explizit erwahnen, wenn wir dann von einer Karte (ϕ, T )
von M sprechen, so habe die stets die entsprechende Glattheit.
Wir haben einen Atlas definiert als eine Familie von Karten, deren Kartengebiete ins-
gesamt die gesamte Untermannigfaltigkeit uberdecken. Ferner haben wir in den Ubungen
gesehen, dass in vielen Fallen eine Untermannigfaltigkeit mehr als eine Karte benotigt.
Damit werden Punkte von M typischerweise von mehreren Karten uberdeckt und es
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
8 1 Untermannigfaltigkeiten
stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Karten zusammenhangen und was passiert,
wenn man von der einen Karte zu einer anderen wechselt. Dies ist der Inhalt des folgen-
den Satzes.
Satz 1.7. Sind (ϕ, T ), (ϕ, T ) zwei Karten von M mit U := ϕ(T ) ∩ ϕ(T ) 6= ∅. Dann ist
die Abbildung
Φϕϕ := ϕ−1 ϕ : V → V ,
wobei V := ϕ−1(U), V = ϕ−1(U) ein Cα-Diffeomorphismus.
Die Abbildung Φϕϕ heißt Kartenwechsel.
Abbildung 1.3: Kartenwechsel von Karte ϕ zu Karte ϕ.
Beweis. Als Durchschnitt relativM offener Mengen ist U ⊂off
M , weil ϕ und ϕHomoomor-
phismen sind, sind damit auch V, V ⊂off
Rk.
Außerdem sind ϕ−1 ϕ : V → V und ϕ−1 ϕ : V → V Homoomorphismen.
Sei nun t0 ∈ V beliebig und setze x0 := ϕ(t0). Es sei Ω ⊂off
Rm, x0 ∈ Ω, ψ : Ω → ψ(Ω)
Plattung von M . O.B.d.A. sei Ω so gewahlt, dass M ∩ Ω ⊂ U .
Setze
W ′ :=y ∈ Rk : (y, 0) ∈ ψ(M ∩ Ω)
, W := ϕ−1(M ∩ Ω), W := ϕ−1(M ∩ Ω).
Es sindW, W offene Teilmengen vonRk. Als Hintereinanderausfuhrung von Cα-Abbildungensind auch ψ ϕ ∈ Cα(W,W ′) und ψ ϕ ∈ Cα(W ,W ′), ferner sind es Homoomorphismen
mit
(ψ ϕ)−1 : W ′ → W = ϕ−1 ψ
∣∣W ′
und(ψ ϕ
)−1:W ′ → W = ϕ−1 ψ
∣∣W ′.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.2 Der Tangentialraum 9
Weil ϕ(W ) ⊂M und ϕ(W ) ⊂M , folgt
ψ ϕ =: (g1, . . . , gk, 0, . . . , 0) ⇒ g := (g1, . . . , gk) ∈ Cα(W,W ′),
ψ ϕ =: (g1, . . . , gk, 0, . . . , 0) ⇒ g := (g1, . . . , gk) ∈ Cα(W ,W ′).
Nun sei t ∈ W beliebig. Dann folgt
RangDg(t) = RangD(ψ ϕ)(t) = RangDψ(φ(t)
)︸ ︷︷ ︸invertierbar
Dϕ(t)︸ ︷︷ ︸Rang=k
= k.
Ebenso sieht man
RangDg(t) = k ∀t ∈ W .
Nach dem Satz uber inverse Funktionen sind damit g : W → W ′ und g : W → W ′
Cα-Diffeomorphismen. Dies zeigt
g−1 g = (ψ ϕ)−1 (ψ ϕ) = ϕ−1 ϕ = Φϕϕ ∈ Cα(W, W ),
g−1 g = (ψ ϕ)−1 (ψ ϕ) = ϕ−1 ϕ =(Φϕϕ
)−1 ∈ Cα(W ,W ).
Fur spater bemerken wir noch
Lemma 1.8. Sind (ϕi, Ti), i = 1, 2, 3 Karten von M ,⋂3i=1 ϕi(Ti) = U 6= ∅. Dann gilt
fur alle x ∈ U :
detDΦϕ1ϕ3(t3) detDΦϕ3ϕ2(t2) detDΦϕ2ϕ1(t1) = 1, wobei ti =(ϕi)−1
(x).
Beweis. Es sind Φϕiϕj : Vj → Vi mit Vi := (ϕi)−1(U) ⊂
off
Rk, i = 1, 2, 3, Cα-Diffeomorphismen.
Wegen
Φϕ1ϕ3 Φϕ3ϕ2 Φϕ2ϕ1(t) = t ∀t ∈ V1
folgt die Behauptung aus der Kettenregel und dem Determinanten-Multiplikationssatz.
1.2 Der Tangentialraum
Wie in der Analysis ublich sind viele Dinge fur lineare Gebilde einfach zu erklaren und
der allgemeine, nicht-lineare Fall wird auf den linearen zuruckgefuhrt. Eine lineare Ap-
proximation an eine Mannigfaltigkeit in einem Punkt ist der zugehorige Tangentialraum,
den wir nun erklaren werden.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
10 1 Untermannigfaltigkeiten
Definition 1.9. Fur U ⊂off
Rk und p ∈ U heißt die Menge
TpU :=(p, v) : v ∈ Rk
der Tangentialraum an U im Punkt p, die Elemente von TpU heißen Tangentialvektoren
an U in p.
Der Menge TpM gibt man eine Vektorraumstruktur, indem man erklart:
Addition: (p, v) + (p, v) := (p, v + v) ∀(p, v), (p, v) ∈ TpM ,
Skalarmultiplikation: λ · (p, v) := (p, λv) ∀(p, v) ∈ TpM,λ ∈ R.
Abbildung 1.4: Anschauung zum TpRk.
Bemerkungen. 1. Offensichtlich ist der Tangentialraum TpU isomorph zum Vek-
torraum Rk.
2. Wenn aus dem Zusammenhang klar ist, aus welchem Tangentialraum ein Tangen-
tialvektor kommt, so identifizieren wir den Raum mit dem Rk und schreiben nur v
anstelle von (p, v).
3. Fur U, V ⊂off
Rk mit p ∈ U ∩ V gilt TpU = TpV , insbesondere also TpU = TpRk.
4. Sind p, q ∈ U ⊂off
Rk und p 6= q, so gilt TpU ∩ TqU = ∅.
Nun kann man die Ableitung als Abbildung zwischen Tangentialraumen interpretieren:
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.2 Der Tangentialraum 11
Definition 1.10. Fur U ⊂off
Rk, f ∈ C1(U,Rl), p ∈ U nennt man die lineare Abbildung
dfp :TpU → Tf(p)Rl
(p, v) 7→(f(p), Df(p)v
) (1.2)
das Differential von f im Punkt p.
Bemerkung. Fur das Differential sind auch noch die Begriffe Tangential, Tangential-
abbildung, Ableitung oder Totalableitung ublich.
Ubung 1.2.1. Zeigen Sie: Fur U ⊂off
Rk, f ∈ C1(U,Rl) und p ∈ U ist das Differential
eine lineare Abbildung zwischen Tangentialraumen, genauer:
dfp ∈ L(TpU,Tf(p)Rl).
Lemma 1.11. 1) Ist f ∈ C1(U, V ), U ⊂off
Rk, V ⊂off
Rl und g ∈ C1(V,Rm), so gilt die
Kettenregel
d(g f)p = dgf(p) dfp ∀p ∈ U.
2) Falls f ∈ C1(U, V ), U, V ⊂off
Rk ein C1-Diffeomorphismus ist, so ist dfp : TpU →Tf(p)V ein Vektorraumisomorphismus.
Beweis. 1) Sei (p, v) ∈ TPU . Dann rechnet man
dgf(p) dfp(p, v) = dgf(p)(f(p), Df(p)v
)
=(g(f(p)
), Dg
(f(p)
)Df(p)v
)= d(g f)p(p, v).
2) Es ist f−1 ∈ C1(V, U) und f f−1 = idV , f f−1 = idU . Damit folgt wegen 1. fur
alle p ∈ U
d(f−1 f)p = df−1f(p) dfp = d idp = idTpU .
Also ist df−1f(p) Links-Inverses zu dfp. Analog zeigt man, dass es auch Rechts-Inverses
ist.
Nun ubertragen wir den Begriff des Tangentialraum auf den uns interessierenden Fall
einer Untermannigfaltigkeit des Rm.
Definition 1.12. Sei (ϕ, T ) eine Karte von M bei p, ϕ(t) = p, t ∈ T . Dann heißt
TpM := dϕt(TtT )
der Tangentialraum anM in p, ebenso heißen die Elemente von TpM Tangentialvektoren
an M in p.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
12 1 Untermannigfaltigkeiten
Abbildung 1.5: Anschauung zum Tangentialraum TpM .
Lemma 1.13. Der Tangentialraum TpM ist wohldefiniert.
Es ist also zu zeigen, dass die Definition von TpM unabhangig von der Wahl der Karte
ist.
Beweis. Seien (ϕ, T ), (ϕ, T ) Karten von M um p. O.B.d.A. sei ϕ(T ) = ϕ(T ) (sonst
betrachtet man Schnitte und geeignete Urbilder). Sei p = ϕ(t) = ϕ(t).
Nach Satz 1.7 ist Φϕϕ = ϕ−1 ϕ : T → T ein Cα-Diffeomorphismus und somit dΦϕϕt :
TtT → TtT nach Lemma 1.11 ein Vektorraumisomorphismus. Nach der Kettenregel
(ebenfalls Lemma 1.11) gilt
dϕt(TtT ) = d(ϕ ϕ−1 ϕ
)t(TtT ) = dϕtdΦ
ϕϕt
(TtT
)= dϕtTtT .
Bemerkung. Inneres Produkt in TpM : Der Tangentialraum TpM hat nicht nur
eine Vektorraumstruktur, sondern erbt als Unterraum von TpRm ∼= Rm auch ein inneres
Produkt
〈(p, v), (p, w)〉 = 〈v, w〉 = v⊤w =m∑
i=1
viwi ∀(p, w), (p, v) ∈ TpM.
Damit wird er dann sogar zu einem Hilbertraum.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.2 Der Tangentialraum 13
Man kann den Tangentialraum und Tangentialvektoren noch auf andere (aquivalente)
Weisen erklaren. Wir geben hier noch eine geometrische Variante an. Fur eine ausfuhr-
lichere Diskussion im abstrakten Kontext verweisen wir auf [7].
Lemma 1.14. Fur eine k-dimensionale Cα Untermannigfaltigkeit M ⊂ Rm gilt
TpM =(p, v) : ∃γ ∈ C1(J,M), J ∈ (−ε, 0], [0, ε), γ(0) = p, γ′(0) = v
.
Abbildung 1.6: Geometrische Definition des Tangentialraumes.
Bemerkung. Im vorangehenden Lemma ist die Ableitung im Punkt 0 als einseitige
Ableitung zu interpretieren, siehe aber unten Lemma 1.18.
Beweis.”⊃“ Sei (ψ,Ω) eine Cα-Plattung von M um p. Nach Verkleinern von ε konnen
wir annehmen γ(J) ⊂ Ω. Sei (ϕ, T ) die gemaß Bemerkung 1.5 von ψ induzierte Karte
und pr der dort angegebene Projektor auf die ersten k Komponenten. Dann ist
γ = pr ψ γ : J → T ∈ C1(J, T ), γ(0) = t0, ϕ(t0) = p, γ′(0) = w ∈ Rk.
Aus ϕ γ = ϕ pr ψ γ = γ folgt Dϕ(t0)w = γ′(0) = v und folglich
dϕt0(t0, w) = (p, v) ∈ TpM.
”⊂“ Sei (p, v) ∈ TpM , (ϕ, T ) Karte von M um p, ϕ(t0) = p. Dann ist (p, v) =
dϕt0(t0, u) fur ein (t0, u) ∈ Tt0T . Setze
γ : τ 7→ ϕ(t0 + τu), 0 ≤ τ < ε mit t0 + τu ∈ T fur alle 0 ≤ τ ≤ ǫ.
Damit folgen γ ∈ C1([0, ε),M
), γ(0) = p, γ′(0) = Dϕ(t)u = v.
Bemerkung. Offensichtlich erhalt man, indem man im zweiten Teil des Beweises die
Kurve γ(τ) = ϕ(t0 − τu) fur −ε < τ ≤ 0 betrachtet, aus der im Beweis konstruierten
Kurve eine Kurve mit dem selben Bild, aber der Vektor γ′(0) zeigt in die entgegengesetzte
Richtung.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
14 1 Untermannigfaltigkeiten
Korollar 1.15. Offensichtlich bilden die Tangentialvektoren(p, ∂iϕ(t)
), i = 1, . . . , k,
eine Basis von Tϕ(t)M .
Ubung 1.2.2. Beweisen Sie Korollar 1.15.
Ubung 1.2.3. Seien (ϕ, V ) und (ϕ, V ) zwei Karten von M um p der Klasse C1. Wie
hangen die Basen (p, ∂jϕ(t)), j = 1, . . . , k, und (p, ∂jϕ(t)), j = 1, . . . , k zusammen?
Wir haben in Satz 1.4 gesehen, dass man eine Untermannigfaltigkeit auch als Faser
einer regularen Abbildung erhalten kann, wir haben auch gesehen, dass gerade diese
Darstellung der Untermannigfaltigkeit in vielen Fallen sehr gut geeignet ist. Im folgen-
den Lemma sehen wir nun, dass der Tangentialraum in diesem Fall eine sehr einfache
Darstellung besitzt.
Lemma 1.16. Ist Ω ⊂off
Rm Umgebung von p ∈M und f ∈ C1(Ω,Rm−k) mit RangDf(p) =
m− k und M ∩ Ω = f−1(0), so ist
TpM = ker dfp ∼= kerDf(p).
(Mit der ublichen Identifikation Rm ∋ v=(p, v) ∈ TpRm.)
Beweis. Wegen dimTpM = dimBild(dϕt) = k = m − RangDf(p) = dim kerDf(p) =
dimker dfp genugt es
TpM ⊂ ker dfp
zu zeigen.
Sei also γ ∈ C1([0, ε),Rm) wie in Lemma 1.14, o.B.d.A. sei ε so klein, dass Bild(γ) ⊂ Ω.
Dann folgt(f γ)(τ) = 0 fur alle τ ∈ [0, ε) und somit
Df(γ(0))γ′(0) = Df(p)v = 0.
Analog zeigt man diese Identitat fur derartige γ ∈ C1((−ε, 0],Rm
), so dass dann die
Behauptung folgt.
Beispiele. • Sm−1 = x ∈ Rm : ‖x‖2 = 1, fur p ∈ Sm−1 ist TpSm−1 = (p, v) ∈
TpRm : p⊤v = 0.
• O(m) = f−1(0), wobei f : Rm,m → Rm,msym , f(A) = A⊤A − I. Wir haben bereits in
Gleichung (1.1) gesehen Df(A)H = A⊤H +H⊤A fur A ∈ O(m) und H ∈ Rm,m.
Damit liefert Lemma 1.16
TAO(m) =(A,H) : H ∈ Rm,m mit A⊤H +H⊤A = 0
.
Speziell ergibt sich an der Identitat TIO(m) =(I,H) : H +H⊤ = 0
= Rm,m
schief.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit 15
Im folgenden werden wir einfach nur v fur einen Tangentialvektor (p, v) ∈ TpM schrei-
ben, wenn aus dem Zusammenhang klar ist, aus welchem Tangentialraum der Tangen-
tialvektor kommt.
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit
Zur Motivation betrachten wir den Fall des offenen Einheitsballes Bm1 = x ∈ Rm :
‖x‖2 < 1 im Rm. Dieser ist einem-dimensionale C∞-Untermannigfaltigkeit des Rm. Wir
bezeichnen mit RdBm1 = Bm
1 \Bm
1 = Sm−1 den topologischen Rand von Bm1 im Rm. Dies
ist eine m− 1-dim C∞-Untermannigfaltigkeit, aber Bm1 ist keine Untermannigfaltigkeit.
Der Unterschied ist, dass in einer Umgebung eines Punktes aus RdBm1 der abgeschlossene
Einheitsball nicht wie der Rm, sondern wie ein Halbraum aussieht. Derartige Mengen
werden wir in Zukunft Mannigfaltigkeiten mit Rand nennen.
Um das formal definieren zu konnen setzen wir Hk := x ∈ Rk : x1 < 0 den”linken“
offenen Halbraum und Hk := Hk = x ∈ Rk : x1 ≤ 0 den abgeschlossenen”linken“
Halbraum.
Definition 1.17. Sei U ⊂off
Hk fur ein α ∈ N∗ definiere induktiv: f ∈ Cα(U,Rm) genau
dann wenn
1. f ∈ Cα(U ∩Hk,Rm) und
2. es gibt g1, . . . gk ∈ Cα−1(U,Rm), s. d. ∂jf(x) = gj(x) fur alle x ∈ U ∩Hk.
Dies bedeutet, dass die Ableitungen sich bis an den Rand fortsetzen lassen. Damit ist
dann ein Cα-Diffeomorphismus einer Teilmenge U ⊂off
Hk auf eine Menge V ⊂off
Hk wie
ublich definiert als eine Abbildung φ ∈ Cα(U, V ), s. d. die Umkehrabbildung φ−1 : V → U
existiert und selbst wieder φ−1 ∈ Cα(V, U) erfullt.Aus dem folgenden Fortsetzungslemma folgt, dass eine Funktion auf einer offenen
Teilmenge U von Hk genau dann eine Cα Funktion ist, wenn sie Einschrankung einer
Cα-Funktion auf einer offenen Teilmenge des Rk ist. Genauer gilt:
Lemma 1.18 ([6, Lemma 3]). Es ist f ∈ Cα(U,Rm), U ⊂off
Hk genau dann, wenn es eine
Funktion f ∈ Cα(W,Rm) auf einer offenen Teilmengen W ⊂off
Rk mit U = W ∩ Hk und
mit f∣∣U= f gibt.
(ohne Beweis, dieser ist aber in der Originalquelle gut zu verstehen!) Insbesondere er-
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
16 1 Untermannigfaltigkeiten
gibt sich (stetig partiell differenzierbar ⇔ stetig total differenzierbar), dass die partiellen
Ableitungen von f in einem Punkt x0 ∈ U ∩ Rd Hk gerade die einseitigen Ableitungen
sind:
∂jf(x0) = limhր0
f(x0 + hej)− f(x0)
h, ej kanonischer j-ter Einheitsvektor.
Definition 1.19. Eine Teilmenge M ⊂ Rm heißt k-dimensionale (berandete) Cα-Unter-mannigfaltigkeit des Rm, α ∈ N∗ genau dann, wenn es fur alle x0 ∈ M ein T ⊂
off
Hk und
eine Abbildung ϕ : T →M , x0 ∈ ϕ(T ), gibt mit
1) ϕ(T ) ⊂off
M ,
2) ϕ : T → ϕ(T ) ist ein Homoomorphismus,
3) ϕ ∈ Cα(T,Rm) mit RangDϕ(t) = k fur alle t ∈ T .
Wie zuvor heißt ϕ wieder Karte, T Kartenblatt, ϕ(T ) Kartengebiet,...
Eine Abbildung ϕ mit den Eigenschaften 2) und 3) heißt eine Cα-Einbettung.
Beachte, dass nach der obigen Definition eine offene Teilmenge des Rm zum Beispiel
eine berandete, m-dimensionale C∞-Untermannigfaltigkeit ohne Rand ist.
Nun erklaren wir den Rand einer Untermannigfaltigkeit. Der Begriff des Randes ist
wesentlich fur die Integralsatze von Gauß und Stokes.
Definition 1.20. Sei M eine k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm. Ein
Punkt p ∈M heißt ein Cα-Randpunkt von M , wenn es eine Cα-Einbettung ϕ : T → Rm,
T ⊂off
Hk mit ϕ(T ) ⊂off
M gibt (d. h. eine Abbildung mit den Eigenschaften 2) und 3)), so
dass p ∈ ϕ(T ∩ RdHk). Die Menge aller Cα-Randpunkte
∂M :=p ∈M : p ist Cα-Randpunkt von M
heißt der Cα-Rand der Mannigfaltigkeit M . Wir bezeichnen mit intM := M \ ∂M das
Innere der Untermannigfaltigkeit M .
Warnung: Im allgemeinen ist der topologische Rand der Untermannigfaltigkeit in dem
umgebenden Raum Rm nicht dasselbe wie der in Definition 1.20 definierte Rand der
UntermannigfaltigkeitM . Sogar, wenn M eine offene Teilmenge des Rm ist, also eine CαUntermannigfaltigkeit, so ist RdM typischerweise echt großer als ∂M . In dem Fall, dass
M eine k-dim Untermannigfaltigkeit des Rm ist, k < m, istM = ∅, also der topologische
Rand gerade der AbschlussM der MengeM im umgebenden Raum. Im allgemeinen gilt
auch ∂M $M \ intM .
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit 17
Abbildung 1.7: Beispiele fur Karten bei einer berandeten Mannigfaltigkeit.
Ubung 1.3.1. Berechnen Sie fur M = (0, 1)2 ⊂ R2 die Mengen RdM , ∂M und intM .
Ubung 1.3.2. Zeigen Sie: M = (x, y) ∈ R2 : x2 = y2, x < 1, y < 1 \ 0 ist eine
1-dimensionale Untermannigfaltigkeit des R2 und berechnen Sie RdM , ∂M , intM und
M \ intM .
Wir konnen auch berandete Untermannigfaltigkeiten lokal mit Hilfe von Plattungen
beschreiben. Dieses wird uns helfen nachzuweisen, dass ein Kartenwechsel auch im Falle
von berandeten Untermannigfaltigkeiten wieder ein Cα-Diffeomorphismus ist.
Satz 1.21. Eine Teilmenge M ⊂ Rm ist genau dann eine k-dimensionale (berandete)
Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm, wenn es zu jedem x0 ∈ M eine Umgebung Ω ⊂off
Rm
von x0 und einen Cα-Diffeomorphismus ψ : Ω → ψ(Ω) gibt mit
ψ(M ∩ Ω) = Hk × 0 ∩ ψ(Ω). (1.3)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
18 1 Untermannigfaltigkeiten
Ubung 1.3.3. Beweisen Sie den Satz!
Beweis.”⇒“ Es genugt den Fall x0 ∈ ∂M zu betrachten. Sei (ϕ, T ) eine Cα-Karte, die x0
uberdeckt, ϕ(t0) = x0, t0 ∈ RdHk∩T , T ⊂off
Hk. O.B.d.A. sei die Untermatrix
Dϕ1(t0)...
Dϕk(t0)
invertierbar. Nach dem Fortsetzungslemma 1.18 gibt es T ⊂off
Rk und ϕ ∈ Cα(T ,Rm) mit
T ∩ Hk = T ∩ T und ϕ∣∣T∩Hk = ϕ
∣∣T∩T . Dann definiere
φ :T × Rm−k → Rm,
(t, z) 7→ ϕ(t) + (0, z),
welches detDφ(t0, 0) 6= 0 erfullt. Mit dem Inversen Funktionen Satz folgt die Existenz
einer offenen Teilmenge W0 von Rm mit (t0, 0) ∈ W0, welche o.B.d.A. als Ball W0 =
Br(t0, 0) gewahlt werden kann, s. d. φ|W0 :W0 → φ(W0) ein Cα-Diffeomorphismus ist.
Setze T0 := t ∈ Hk : (t, 0) ∈ W0 ⊂off
T (ggf muss r verkleinert werden). Dann ist
ϕ(T0) ⊂off
M also gibt es Ω0 ⊂off
Rm, s.d. ϕ(T0) =M ∩ Ω.
Dann gibt es Ω ⊂ φ(W0) ∩ Ω0, x0 ∈ Ω ⊂off
Rm. Mit diesen Setzungen erfullt ψ :=(φ|W0
)−1|Ω die Behauptung.
”⇐“ Gegeben sei eine Plattung, dann definiere T := t ∈ Hk : (t, 0) ∈ ψ(Ω) und
ϕ ∈ Cα(T,Rm) durch
ϕ(t) := ψ−1(t, 0) ∀t ∈ T.
Dann ist ϕ eine Cα-Karte von M um x0, denn T ⊂off
Hk, weil T ×0 = Hk ×0 ∩ψ(Ω)︸ ︷︷ ︸⊂off
Rm
und außerdem gelten
1. ϕ(T ) = ψ−1(ψ(Ω ∩M)
)= Ω ∩M ⊂
off
M ,
2. ϕ und ϕ−1 = pr ψ|M sind stetig, weil ψ und ψ−1 stetig sind.
3. ϕ ∈ Cα ist klar.
Mit Hilfe dieses Satzes lasst sich auch der Beweis von Satz 1.7 (Kartenwechsel) an-
passen und der Satz bleibt wortlich fur berandete Cα-Untermannigfaltigkeiten erhalten,
d. h. ein Kartenwechsel ist wieder ein Cα-Diffeomorphismus (in dem nach Definition 1.17
angegebenen Sinne).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit 19
Der obige Satz zeigt zusammen mit dem nachsten Lemma, dass die Erklarung eines
Randpunktes unabhangig von der Wahl der Karte ist:
Lemma 1.22. Sei f : U → V , U, V ⊂off
Hk ein Cα-Diffeomorphismus, UR := U ∩RdHk,
VR := V ∩ RdHk. Dann ist f |UR: UR → VR ein Cα-Diffeomorphismus.
Hierbei werden UR und VR als offene Teilmenge von Rk−1 und f |URals Abbildung
f |UR: Rk−1 ⊃
off
UR ∋ x 7→ f(0, x) ∈ VR ⊂off
Rk − 1
interpretiert.
Beweis. Mit dem Fortsetzungslemma 1.18 gibt es f : U → Rk mit f = f |U und U =
U ∩ Hk. Es sind UR, VR ⊂off
∂Hk und Uint := U \ UR =U , Vint := V \ VR =
V .
Nun sei x ∈ UR und y = f(x) = f(x).
Angenommen y ∈ Vint. Es folgt Df(x)−1 = Df−1(y) ist invertierbar (weil f−1 Cα-Diffeomorphismus ist und y ∈ Vint). Mit dem Satz uber inverse Funktionen gibt es U0 ⊂
off
Rk Umgebung von x und V0 ⊂off
Rk Umgebung von y, wobei wir o.B.d.A. die Umgebungen
so wahlen konnen, dass V0 ⊂ Vint gilt, denn y ∈ Hk. Es folgt f−1(V0) = U0 ⊂off
Rk. Also
gibt es wegen f−1(V0) ⊂ Hk eine in Rk offene Umgebung von x ∈ RdHk, welche komplett
in Hk liegt. Dies ist nicht moglich, somit folgt y 6∈ Vint, d. h. y ∈ VR, so dass f(UR) ⊂ VR
gilt.
Ebenso sieht man VR ⊂ f(UR). Wegen der Bijektivitat von f folgt f |UR: UR → VR ist
bijektiv und f |UR∈ Cα, sowie f−1|VR ∈ Cα, also ein Cα-Diffeomorphismus. Außerdem ist
f |Uint: Uint → Vint ein Cα-Diffeomorphismus.
Korollar 1.23. Der Cα-Rand ∂M ist unabhangig von der Wahl der Karte. Falls ϕ :
T →M ∪ ∂M mit T ⊂off
Hk, Cα-Einbettung ist, so gilt
(t ∈ T, ϕ(t) ∈ ∂M
)⇔(t ∈ ∂ RdHk ∩ T
). (1.4)
Schließlich folgt, dass M ∪ ∂M eine k-dimensionale berandete Cα-Untermannigfaltigkeit
des Rm ist.
Satz 1.24. Sei M eine k-dimesionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm. Dann ist ∂M =
∅ oder es ist ∂M eine k − 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rm.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
20 1 Untermannigfaltigkeiten
Beweis. k = 1: Sei p0 ∈ ∂M , ϕ : (−1, 0] → M Karte um p0. Dann ist ϕ((−1, 0]) ⊂off
M .
Daher gibt es Ω ⊂off
Rm, s. d. ϕ((−1, 0]) =M ∩Ω und p0 = ϕ((−1, 0])∩∂M = ∂M ∩Ω.
D. h. p0 ⊂off
∂M und damit ist p0 isoliert. Also besteht ∂M nur aus isolierten Punkten
und ist damit eine 0-dimensionale Untermannigfaltigkeit.
k ≥ 2: Sei p0 ∈ ∂M und (ϕ, T ) eine Cα-Einbettung wie in Definition 1.20.
Setze
T0 := T ∩ RdHk ⊂off
RdHk=Rk−1,
ϕ0 := ϕ|T0und identifiziere ϕ0(t1, . . . , tk−1) = ϕ(0, t1, . . . , tk−1) fur t = (t1, . . . , tk−1) ∈ T0. Dann ist
ϕ0 : T0 → ∂M eine Cα-Karte von ∂M um p0:
T0 ⊂off
Rk−1, ϕ0 : T0 → ∂M , p0 ∈ ϕ0(T0), und
1. ϕ(T ) ⊂off
M und damit ist nach Korollar 1.23 ϕ0(T0) = ϕ(T ) ∩ ∂M ⊂off
∂M ,
2. ϕ0 : T0 → ϕ0(T0) ist nach Konstruktion ein Homoomorphismus,
3. ϕ0 ∈ Cα(T0,Rm) nach Konstruktion und dies erfullt
RangDϕ0(t) = k − 1 ∀t ∈ T0,
denn Dϕ(t) =(∂1ϕ(t), ∂2ϕ(t), . . . , ∂kϕ(t)
)hat Rang k, also k linear unabhangige
Spalten, damit hat Dϕ0(t), welche aus den letzten k−1 Spalten von Dϕ(t) besteht,
k − 1 linear unabhangige Spalten.
Nun erklaren wir noch was wir unter dem Tangentialraum an eine Mannigfaltigkeit
mit Rand in einem Randpunkt verstehen.
• fur T ⊂off
Hk, t ∈ T
TtT =(t, v) : v ∈ Rk
Ganzraum(!), auch fur t ∈ RdHk,
• und fur t ∈ RdHk ∩ T :
TtT+ :=
(t, v) : v ∈ Rk, v1 > 0
Halbraum der herauszeigenden,
Ttt− :=
(t, v) : v ∈ Rk, v1 < 0
der hereinzeigenden Vektoren.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
1.3 Berandete Untermannigfaltigkeit 21
Abbildung 1.8: Tangentialraum am Rand, sowie der Halbraum der herauszeigenden Vek-
toren und der Halbraum der hereinzeigenden Vektoren.
Dann definiert man weiter, ebenso wie zuvor, fur p ∈ ∂M ∩M : Sei (ϕ, T ) Karte von M
um p, ϕ(t) = p, t ∈ RdHk:
TpM := dϕt(TtT ),
TpM+ := dϕt(TtT
+),
TpM− := dϕt(TtT
−).
Weil ∂M selbst wieder eine Untermannigfaltigkeit ist, kann man auch den Tangentialram
an ∂M in einem Punkt aus ∂M erklaren. Man erhalt folgendes
Lemma 1.25. Sei M k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm mit Cα-Rand
∂M . Sei p ∈ ∂M dann ist Tp∂M ein k−1-dimensionaler Unterraum des k-dimensionalen
Vektorraumes Tp(M ∪ ∂M).
Beweis. Sei (ϕ, T ), T ⊂off
Hk, eine Cα-Karte von M ∪ ∂M um p, ϕ(t0) = p. Dann ist
(ϕ0, T0), mit T0 = t ∈ Rk−1 : (0, t) ∈ T ⊂off
Rk−1 und
ϕ0 : T0 → ∂M, t 7→ ϕ(0, t)
eine Cα-Karte von ∂M um p.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
22 1 Untermannigfaltigkeiten
Es ergibt sich mit t0 = (t0,2, . . . , t0,k):
Tp∂M = dϕ0 t0Tt0
T0 =(p,Dϕ0(t0)v) : v ∈ Rk−1
=
(p,
k−1∑
j=1
∂jϕ0(t0)vj
): vj ∈ R, j = 2, . . . , k
=
(p,
k∑
j=2
∂jϕ(t0)vj
): vj ∈ R, j = 2, . . . , k
⊂(
p,
k∑
j=1
∂jϕ(t0)vj
): vj ∈ R, j = 1, . . . , k
= dϕt0Tt0U,
wobei wir benutzt haben, dass ∂jϕ0(t0) = ∂j+1ϕ(t0) fur j = 1, . . . , k − 1 gilt.
Weil die ∂jϕ(t0), j = 1, . . . , k linear unabhangig sind, folgt die Aussage uber die
Dimension.
Die obigen Satze ermoglichen es uns nun auch einen außeren Normalenvektor an M
in einem Randpunkt p ∈ ∂M zu erklaren. Dieses wird wesentlich fur den Satz von Gauss
sein.
Definition 1.26. Sei p ∈ ∂M . Ein Vektor np ∈ Rm, gegeben durch
1. np ∈ Tp(M ∪ ∂M)+,
2. 〈n, v〉 = 0 fur alle v ∈ Tp∂M ,
3. ‖n‖2 = 1,
heißt außerer Normalenvektor an M in p.
Ubung 1.3.4. Zeigen Sie: Fur p ∈ ∂M ist np wohldefiniert.
Beweis. Die Menge
N :=(p, w) ∈ TpM : 〈(p, w), (p, v)〉 = 0 ∀(p, v) ∈ Tp∂M
ist ein 1-dimensionaler Unterraum von TpM . Damit gibt es genau zwei Elemente (p, w)
und (p, w) = (p,−w) in N mit ‖w‖2 = ‖w‖2 = 1.
Weil TpM = TpM+∪Tp∂M ∪TpM
− und −TpM+ = TpM
−, liegt genau eines der
beiden Elemente (p, w) und (p, w) in TpM+ ∩N .
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2 Integral uber
Untermannigfaltigkeiten
Im gesamten Kapitel sei M eine k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm mit
α ∈ N∗.
2.1 Maßtensor und Gramsche Determinante
Unser Ziel ist es, das Integral auf einer Untermannigfaltigkeit M zu erklaren. Da eine
Untermannigfaltigkeit lokal aussieht wie der Rk, z. B. durch Karten oder Plattungen,
werden wir diese lokale Darstellung benutzen um das Integral auf Untermannigfaltig-
keiten auf dem bekannten Fall im Rk zuruckzufuhren. Genauer werden wir Karten zur
Definition des Integrals benutzen.
Vorweg eine Erinnerung um die folgenden Definitionen zu motivieren: Das Lebesgue-
Maß im Rk basiert auf so genannten elementaren Volumina, das sind die Volumen k-
dimensionaler Quader Q = [α1, β1]× . . . × [αk, βk]. Diese Konstruktion verallgemeinern
wir nun auf das k-dimensionale Volumen im Rm.
Definition 2.1. Das k-dimensionale Volumen des von den Vektoren a1, . . . , ak ∈ Rm
aufgespannten k-Spates
k∑
i=1
tiai : ti ∈ [0, 1], i = 1, . . . , k
ist
volk
(a1, . . . , ak
):=
√det((a⊤i aj
)ij
)=
√detA⊤A, (2.1)
wobei A =(a1 . . . ak
)∈ Rm,k.
Ubung 2.1.1. Zeigen Sie: Die in 2.1 definierte Abbildung volk : (Rm)k → R ist die
eindeutige Abbildung mit den Eigenschaften folgenden Eigenschaften:
Fur alle a1, . . . , ak ∈ Rm und λ ∈ R gelten
24 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
1. Skalierungseigenschaft: volk(a1, . . . , λai, . . . , ak
)= |λ| volk
(a1, . . . , ak
),
2. Scherungseigenschaft: volk(a1, . . . , ai + aj︸ ︷︷ ︸
i-te Stelle
, . . . , ak)= volk
(a1, . . . , ak
), i 6= j,
3. Normierungseigenschaft: Fur orthonormierte a1, . . . , ak ∈ Rm gilt volk(a1, . . . , ak
)=
1.
Lemma 2.2. Ist A ∈ Rm,k die darstellende Matrix einer linearen Abbildung φ : Rk →Rm bezuglich der kanonischen Basis, so gilt fur jeden k-Spat Q ⊂ Rk
volk(φ(Q)
)=
√g vol(Q) =
√g λk(Q)︸ ︷︷ ︸
Lebesgue-Maß
, (2.2)
wobei g := det(A⊤A
)die Gramsche Determinante von A ist.
Beweis. Seien b1, . . . , bk ∈ Rk Vektoren, die den k-Spat Q im Rk aufspannen, also gilt
vol(Q) = | det(B)| =√det(B⊤B). Dann wird der k-Spat φ(Q) von den Vektoren
Ab1, . . . , Abk ∈ Rm aufgespannt und
volk(φ(Q)
)=√det((AB)⊤(AB)
)=
√√√√det(B⊤︸︷︷︸k×k
(A⊤A)︸ ︷︷ ︸k×k
B︸︷︷︸k×k
)
=
√(detB
)2det(A⊤A) = vol(Q)
√g.
Entsprechend definiert man fur den allgemeinen (nichtlinearen) Fall via Linearisierung:
Definition 2.3. Ist (ϕ, T ) Karte der UntermannigfaltigkeitM , so heißen die Abbildun-
gen
• G = (gij)ki,j=1 : T → Rk,k mit gij(t) = 〈∂iϕ(t), ∂jϕ(t)〉, d. h. G(t) = Dϕ(t)⊤Dϕ(t),
Maßtensor von ϕ,
• g := det(G) : T → R Gramsche Determinante.
Da wir dies zum Messen von Volumina auf einer Untermannigfaltigkeit benutzen wol-
len, mussen wir uns auch um das Verhalten der Gramschen Determinante bei Karten-
wechseln kummern, denn der Volumen-Begriff soll ja unabhangig von der Wahl der Karte
sein.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten 25
Abbildung 2.1: Anschauliche Bedeutung der Gramschen Determinante.
Lemma 2.4. Seien (ϕ, T ) und (ϕ, T ) Karten von M um p mit ϕ(t) = ϕ(t) = p. Dann
gilt fur die Gramschen Determinanten der beiden Karten der Zusammenhang
g(t) = det(Dϕ(t)⊤Dϕ(t)
)= g
(Φϕϕ(t)
) ∣∣∣det(DΦϕϕ(t)
)∣∣∣2
. (2.3)
Insbesondere also √g(t) =
√g(Φϕϕ(t)
∣∣∣detDΦϕϕ(t)∣∣∣.
Beweis. O.B.d.A. sei ϕ(T ) = ϕ(T ). Es ist ϕ = ϕ (ϕ−1 ϕ
)= ϕ Φϕϕ in T . Mit der
Kettenregel folgt dann
Dϕ(t) = Dϕ(t)DΦϕϕ(t),
so dass
g(t) = det(Dϕ(t)⊤Dϕ(t)
)= det
((Dϕ(t)DΦϕϕ(t)
)⊤(Dϕ(t)DΦϕϕ(t)
))
= det(DΦϕϕ(t)
)2g(t).
2.2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
Jetzt sei f :M → R eine Funktion. Fur die Definition des Integrals der Funktion f uber
die Untermannigfaltigkeit M gehen wir in mehreren Schritten vor.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
26 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
1.Schritt: Es genuge eine Karte
Definition 2.5. Falls eine Karte (ϕ, T ) von M existiert mit f∣∣∣M\ϕ(T )
= 0, so heißt f
integrierbar uber M genau dann, wenn die Abbildung
T ∋ t 7→ f(ϕ(t)
)√g(t) ∈ R
mit g(t) = det(Dϕ(t)⊤Dϕ(t)
)uber T integrierbar ist. In diesem Fall definiert man
∫
M
f(x) dS(x) :=
∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dkt︸︷︷︸
k-dim Lebesgue-Maß
. (2.4)
Bemerkung. Zur Erinnerung: Eine Funktion h : T → R heißt integrierbar uber eine
messbare Menge T , wenn sie messbar ist und ferner das Integral des Betrages (die L1-
(Halb)norm)∫T|h(t)| dt endlich ist.
Lemma 2.6. Das in Definition 2.5 erklarte Integral ist wohldefiniert.
Beweis. Sei (ϕ, T ) weitere Karte vonM mit f∣∣∣M\ϕ(T )
= 0. Ohne Einschrankung nehmen
wir wieder ϕ(T ) = ϕ(T ) an. Nach Satz 1.7 ist Φϕϕ : T → T ein C1-Diffeomoerphismus.
Sei nun g(t) = det(Dϕ(t)⊤Dϕ(t)
)die Gramsche Determinante zur Karte ϕ. Dann er-
halten wir mit Lemma 2.4 und dem Transformationssatz der mehrdimensionalen Inte-
grationstheorie die Existenz und die Gleichheit der folgenden Integrale∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dt
Trafo=
∫
T
f(ϕ(Φϕϕ(t))
)√g(Φϕϕ(t)
)∣∣detDΦϕϕ(t)∣∣ dt
Lemma 2.4=
∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dt.
Also folgt Integrierbarkeit von (f ϕ)√g und die Unabhangigkeit des Integrals von der
Wahl der Karte.
Lemma 2.7. Das in Definition 2.5 erklarte Integral ist linear.
Beweis. Ubung.
2. Schritt: Die Untermannigfaltigkeit M habe einen endlichen Atlas
Wir nehmen im Folgenden stets an, dass alle Untermannigfaltigkeiten, die wir betrach-
ten, einen endlichen Atlas haben. Fur den allgemeinen Fall verweisen wir auf [8, §11].
Sei nun (ϕl, Tl)l=1,...,p ein Atlas von M und seien Vl := ϕl(Tl) fur l = 1, . . . , p die
zugehorigen Kartengebiete (M ⊂ ⋃Vl). Setze fur l = 1, . . . , p: Wl := Vl \ ∪i<lVi. Dann
liefern αl(x) = 1Wl(x) =
1, x ∈ Wl,
0, sonst, Funktionen mit den Eigenschaften
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten 27
1) 0 ≤ αl ≤ 1 und αl(x) = 0 fur alle x ∈M \ Vl,
2)∑p
l=1 αl(x) = 1 fur alle x ∈M ,
3) die Funktion t 7→ αl(ϕl(t)
)ist lokal integrierbar auf Tl.
Beweis. 1) und 2) sind offensichtlich erfullt.
Fur den Beweis von 3) beachte, dass Wl ∈ P(M) eine Borelmenge ist. (Also in der
Borel-σ-Algebra von M liegt.) Weil ϕl ein Homoomorphismus von Tl ⊂off
Hk → ϕl(Tl) ist,
ist auch ϕ−1l (Wl) eine Borelmenge in Hk. Damit ist aber ϕ−1
l (Wl) ⊂ Rk eine Borelmenge
und insbesondere Lebesgue-messbar. Somit ist αl ϕl : Tl → R messbar und beschrankt,
also lokal integrierbar.
Definition 2.8. Eine Familie von Funktionen (αl)l=1,...,p mit den Eigenschaften 1)– 3)
heißt eine der Uberdeckung (Vl)l=1,...,p untergeordnete, lokal integrierbare Zerlegung der
Eins .
Wir werden nun eine Zerlegung der Eins nutzen um uns bei der Definition des Integrals
auf den ersten Schritt mit nur einer einzelnen Karte zuruckziehen zu konnen:
Definition 2.9. Eine Funktion f : M → R heißt uber M integrierbar, falls es einen
Atlas (ϕl, Tl), l = 1, . . . , p von M und eine der Uberdeckung (Vl = ϕl(Tl)), l = 1, . . . , p
untergeordnete, lokal integrierbare Zerlegung der Eins gibt, so dass
1Vl f :M → R ist integrierbar uber M fur alle l = 1, . . . , p.
In diesem Fall definieren wir
∫
M
f(x) dS(x) :=
p∑
l=1
∫
M
αl(x)f(x) dS(x). (2.5)
Bemerkung. Beachte, dass nach Voraussetzung (f ϕl)√gl ∈ L1(Tl) ist, wobei gl =
det(Dϕ⊤
l Dϕl), und ferner die Funktion αlϕl (Borel-)messbar und beschrankt ist. Damit
ist auch das Produkt (αl ϕl
)(f ϕl)
√gl ∈ L1(Tl),
also die rechte Seite von (2.5) nach dem 1. Schritt erklart.
Wieder mussen wir kontrollieren, ob das so erklarte Integral wohldefiniert, also un-
abhangig von der Wahl des Atlasses und der lokal integrierbaren Zerlegung der Eins,
ist.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
28 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
Lemma 2.10. Das so erklarte Integral ist wohldefiniert.
Beweis. Sei(ϕj, Tj), j = 1, . . . , q ein weiterer Atlas und (βj) der Uberdeckung Vj =
ϕj(Tj) untergeordnete, lokal integrierbare Zerlegung der Eins. Offensichtlich gelten dann
p∑
l=1
αlβj = βj und
q∑
j=1
αlβj = αl.
In dem wir die Linearitat des Integrals fur den Fall, dass eine Karte genugt, ausnutzen,
erhalten wir die Identitaten
∫
M
αl(x)f(x)︸ ︷︷ ︸=0 in M\Vl
dS(x) =
q∑
j=1
∫
M
αl(x)βj(x)f(x)︸ ︷︷ ︸=0 in M\Vl
dS(x),
∫
M
βj(x)f(x)︸ ︷︷ ︸=0 in M\Vj
dS(x) =
p∑
l=1
∫
M
αl(x)βj(x)f(x)︸ ︷︷ ︸=0 in M\Vj
dS(x).
Summation der ersten Identitat uber l = 1, . . . , p und der zweiten uber j = 1, . . . , q
liefertp∑
l=1
∫
M
αlf dS(x) =
p∑
l=1
q∑
j=1
∫
M
αlβjf dS(x) =
q∑
j=1
∫
M
βjf dS(x),
wobei im letzten Schritt die Endlichkeit der Atlanten ausgenutzt wurde um die Reihen-
folge der Summationen zu tauschen.
Ubung 2.2.1. Zeigen Sie, dass das so erklarte Integral linear und monoton ist.
Fur eine Teilmenge A der k-dimensionalen Untermannigfaltigkeit M , fur die die In-
dikatorfunktion 1A uber M integrierbar ist, definiert man das k-dimensionale Volumen
von A als
volk(A) :=
∫
M
1A(x) dS(x).
Fur den Fall, dass A ein k-Spat im Rm ist, stimmt diese Definition mit der aus (2.4)
uberein. Um dies einzusehen genugt es eine spezielle Karte zu betrachten, die (0, 1)k
linear in A abbildet, siehe fur dieses Argument unten Korollar 2.17.
Eine Funktion f : M → R heißt uber eine Teilmenge A ⊂ M integrierbar, falls 1Af
uber M integrierbar ist. In diesem Fall setzt man
∫
A
f dS(x) :=
∫
m
1Af dS(x).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten 29
Beispiel 2.2.1. Sei T ⊂off
Rm−1 und h ∈ C1(T,R). Der Graph von h ist die Menge
M =(t, h(t)
): t ∈ T
.
Diese Menge ist eine C1-Untermannigfaltigkeit mit globaler Karte ϕ : T → M , ϕ(t) =(t, h(t)
). Der Maßtensor lautet in diesem Fall
Dϕ(t)⊤Dϕ(t) =(I Dh(t)⊤
)(I
Dh(t)
)= I +Dh(t)⊤Dh(t) = I +∇h(t)∇h(t)⊤.
Zum Berechnen der Gramschen Determinante betrachten wir v = (v1, . . . , vm−1)⊤ ∈
Rm−1 und zeigen:
(I v
)( I
v⊤
)= I + vv⊤ ist ahnlich zu
1 + ‖v‖21
. . .
1
∈ Rm−1,m−1.
Beweis. v = 0: In diesem Fall ist die Aussage offensichtlich richtig.
v 6= 0: Sei w1 = v ∈ Rm−1 und wahle eine Basis w2, . . . , wm−1 ∈ Rm−1 des m − 2-
dimensionalen Unterraumes v⊥ =w ∈ Rm−1 : v⊤w = 0
von Rm−1. Dann ist die
Matrix W :=(w1 w2 · · · wm−1
)∈ Rm−1,m−1 invertierbar und es gilt
(I + vv⊤
)W =
((1 + ‖v‖2)w1 w2 · · · wm−1
)= W
1 + ‖v‖21
. . .
1
.
Damit folgt dann fur die Gramsche Determinante der Karte ϕ fur alle t ∈ T
g(t) = det(Dϕ(t)⊤Dϕ(t)
)= 1 + ‖∇ϕ(t)‖2.
Ubung 2.2.2. Berechnen Sie vol2(M) fur die 2-dimensionale Untermannigfaltigkeit
M =(x, y, z) ∈ R3 : x2 + y2 − z2 = 1, 0 ≤ z < 1
.
Zum Abschluss dieses Abschnittes zeigen wir noch am Beispiel des Satzes von Lebes-
gue, wie sich die Satze der mehrdimensionalen Integration auf den Fall der Integration
auf Untermannigfaltigkeiten ubertragen.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
30 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
Satz 2.11 (Satz von Lebesgue). Sei (fj)j∈N eine Folge integrierbarer Funktionen auf M
mit
1. ∃ limj→∞ fj(x) =: f(x) fur alle x ∈M ,
2. es gibt ein integrierbares h :M → R mit |fj(x)| ≤ h(x) fur alle x ∈M .
Dann ist der punktweise Grenzwert f ebenfalls uber M integrierbar und es gilt
limj→∞
∫
M
fj(x) dS(x) =
∫
M
limj→∞
fj(x) dS(x) =
∫
M
f(x) dS(x). (2.6)
Wir gehen im Beweis wie in der Konstruktion des Integrals vor, d. h. zunachst be-
trachten wir den einfachen Fall, dass alles in einer Karte stattfindet und danach fuhren
wir den allgemeinen Fall mittels einer Zerlegung der Eins auf diesen Fall zuruck.
Beweis. 1. Schritt: Sei (ϕ, T ) eine Karte von M mit Kartengebiet V := ϕ(T ). Es gelte
fj(x) = 0 fur alle x ∈M \ V und alle j ∈ N.
Damit folgt auch f(x) = 0 fur alle x ∈M \ V .
Ferner gelten
1. limj→∞(fj ϕ
)(t)√g(t) = f
(ϕ(t)
)√g(t) fur alle t ∈ T und
2.∣∣(fj ϕ)(t)
∣∣√g(t) ≤∣∣(h ϕ)(t)
∣∣√g(t) fur alle t ∈ T , zudem ist die Funktion
|h ϕ|√g uber T integrierbar.
Damit ist der Satz von Lebesgue anwendbar und liefert
(f ϕ
)√g ∈ L1(T )
und
limj→∞
∫
T
fj(ϕ(t)
)√g(t) dt =
∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dt.
Also ist f nach Definition 2.5 integrierbar uber M und es gilt (2.6).
2. Schritt: Jetzt sei (ϕl, Tl)l=1,...,p ein Atlas von M und (αl)l=1,...,p eine untergeordnete,
lokal integrierbare Zerlegung der Eins.
Nach Voraussetzung ist dann fur jedes l ∈ 1, . . . , p und j ∈ N die Funktion 1Vlfj
uber M integrierbar und damit ist auch
(fj ϕl
)√gl, gl = det
(Dϕ⊤
l Dϕl),
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.3 Hausdorff-Nullmengen 31
uber Tl integrierbar. Mit dem 1. Schritt folgt dann
(f ϕl
)√gl ist integrierbar uber Tl.
Schließlich erhalten wir
limj→∞
∫
M
fj(x) dS(x)Def.= lim
j→∞
p∑
l=1
∫
Tl
(αl ϕl
)(t)(fj ϕl
)(t)√gl(t) dt
1.Schritt=
p∑
l=1
∫
Tl
limj→∞
(αl ϕl
)(t)(fj ϕl
)(t)√gl(t) dt
=
p∑
l=1
∫
Tl
(αl ϕl
)(t)(f ϕl
)(t)√gl(t) dt
Def.=
∫
M
f(x) dS(x).
2.3 Hausdorff-Nullmengen
Da wir aus Grunden der Anwendbarkeit bei den Gebieten fur den Satz von Gauß zum
Beispiel auch Ecken und Kanten zulassen wollen, allgemeiner Singularitaten, sofern diese
Ausnahme-Mengen nicht zu groß sind, mussen wir zunachst noch erklaren, was wir
unter”nicht zu groß“ genau verstehen wollen. Dazu wird uns der Begriff der Hausdorff-
Nullmengen dienen.
Definition 2.12. Fur d > 0 heißt eine Menge A ⊂ Rm eine Hausdorff-Nullmenge zur
Dimension d (kurz: d-NM), falls es zu jedem ε > 0 eine (hochstens) abzahlbare Menge
von Wurfeln (W j)j∈N, W j =y ∈ Rm : ‖y − xj‖∞ ≤ rj
2
, mit Seitenlangen rj gibt, so
dass
A ⊂∞⋃
j=0
W j und
∞∑
j=0
rdj ≤ ε.
Ubung 2.3.1. Zeigen Sie, dass R eine d-NM fur jedes d > 1 ist.
Beispiel 2.3.1. • Im Rm sind Hausdorff-Nullmengen zur Dimension m genau die
Lebesgue-Nullmengen.
• Ist A eine d-NM, so ist A auch eine d-NM fur jedes d > d.
• Jede Teilmenge einer d-NM ist selbst eine d-NM.
• Abzahlbare Vereinigungen von d-NM sind d-NM.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
32 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
• Jede k − 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rm ist eine k-NM.
Ubung 2.3.2. Beweisen Sie die Beispiele.
Hinweis: Mit Ausnahme des letzten Beispiels konnen Sie alle direkt mit der Definition
beweisen. Fur das letzte Beispiel konnen Sie Korollar 2.14 unten benutzen.
Lemma 2.13. Sei A ⊂ Rk eine d-NM und φ : A → Rm Lipschitz stetig. Dann ist
φ(A) ⊂ Rm eine d-NM.
Beweis. Nach Voraussetzung gibt es L ≥ 0 mit
‖φ(x)− φ(y)‖∞ ≤ L‖x− y‖∞ ∀x, y ∈ A.
Fur einen Wurfel W l mit Seitenlange rl gilt dann
‖φ(x)− φ(y)‖∞ ≤ Lrl ∀x, y ∈ W l ∩ A. (2.7)
Sei xl ∈ W l ∩A beliebig, dann liefert die Ungleichung (2.7) φ(A∩W l) ⊂W′l, wobei W
′l
ein Wurfel mit Mittelpunkt φ(xl) und Seitenlange 2Lrl ist.
Indem man dies fur jedes l macht, erhalt man, da die W l eine Uberdeckung von A
sind, die Inklusion
φ(A) ⊂∞⋃
l=0
φ(A ∩W l) ⊂∞⋃
l=0
W′l.
Außerdem gilt∞∑
l=0
(2Lrl)
d = 2dLd∞∑
l=0
rdl ≤ εLd2d.
Also ist φ(A) ⊂ Rm eine d-NM.
Warnung! Auf die Annahme der Lipschitz-Stetigkeit kann nicht verzichtet werden,
wie das Beispiel der Peano-Kurve zeigt. (Es ist eine stetige, surjektive(!) Abbildung des
Intervalls [0, 1] in das Rechteck [0, 1]2.)
Korollar 2.14. Sei A ⊂ Rk eine d-NM und ϕ ∈ C1(U,Rm), U ⊂off
Rk, A ⊂ U . Dann ist
ϕ(A) eine d-NM.
Beispiel 2.3.2. Als Spezialfall des Korollars erhalt man fur den Fall offener Mengen
U, V ⊂off
Rk und eines C1-Diffeomorphismusses ϕ : U → V dieser Mengen:
Die Menge A ⊂ U ist d-NM genau dann, wenn ϕ(A) ⊂ V d-NM ist.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.3 Hausdorff-Nullmengen 33
Beweis. Seien (Vl)l∈N abzahlbar viele kompakte Teilmengen mit Vl ⊂ U fur alle l ∈ N
und⋃∞l=0 Vl ⊃ U . (Dass so etwas existiert kann man zum Beispiel in [8, §11.4] nachlesen.)
Es folgt ϕ∣∣Vl
ist Lipschitz stetig und damit ist ϕ(A ∩ Vl) eine d-NM.
Damit ist ϕ(A) ⊂ ⋃∞l=0 ϕ(A ∩ Vl) eine d-NM.
Bevor wir den nachsten Satz formulieren erinnern wir daran, dass wir stets annehmen,
dass die Untermannigfaltigkeiten die wir betrachten einen endlichen Atlas besitzen. In
der Tat kann man zeigen (siehe [8, §11]), dass eine Untermannigfaltigkeit stets einen
abzahlbaren Atlas besitzt und in diesem Fall bleibt der folgende Satz richtig, indem
man ausnutzt, dass abzahlbare Vereinigungen von k-NM wieder k-NM sind (siehe Bei-
spiel 2.3.1).
Satz 2.15. Sei M eine k-dimensionale C1 Untermannigfaltigkeit des Rm. Dann ist eine
Teilmenge A ⊂M eine k-NM genau dann, wenn fur jede Karte (ϕ, T ) von M gilt, dass
ϕ−1(ϕ(T ) ∩ A
)eine Lebesgue-Nullmenge in Rk ist.
Beweis.”⇐“: Sei (ϕl, Tl) ein endlicher Atlas. Nach Voraussetzung ist Al := ϕ−1
l
(ϕl(Tl)∩
A)eine Lebesgue-Nullmenge im Rk, also ist Al ⊂ Tl eine k-NM. Nach Korollar 2.14 ist
dann ϕl(Al) eine k-NM.
Ubung 2.3.3. Zeigen Sie”⇒“:.
Hinweis: Benutzen Sie Plattungen und den Spezialfall von Korollar 2.14 aus Bei-
spiel 2.3.2.
Mit diesen Vorbereitungen erhalten wir, dass das Integral einer Funktion uber eine k-
dimensionale Untermannigfaltigkeit unabhangig von Anderungen der Funktion auf einer
k-NM ist. Genauer gilt:
Satz 2.16. Sei M eine k-dimensionale C1-Untermannigfaltigkeit des Rm und f :M → R
integrierbar uber M . Ferner sei f : M → R eine Funktion und es sei A := M \x ∈
M : f(x) = f(x) eine k-NM. Dann ist auch f uber M integrierbar und es gilt
∫
M
f(x) dS(x) =
∫
M
f(x) dS(x).
Beweis. 1. Schritt: Es sei (ϕ, T ) eine Karte von M mit
x ∈M : f(x) 6= 0 ∪ x ∈M : f(x) 6= 0 ⊂ V = ϕ(T ).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
34 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
Dann ist A ⊂ V und nach Satz 2.15 ist ϕ−1(A) eine Lebesgue-Nullmenge im Rk. Damit
haben wir (f ϕ
)√g =
(f ϕ
)√g f. u. in T.
Also ist(f ϕ
)√g uber T integrierbar, weil (f ϕ)√g dies ist und die Integrale sind
gleich:
∫
M
f(x) dS(x) =
∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dt =
∫
T
f(ϕ(t)
)√g(t) dt =
∫
M
f(x) dS(x).
2. Schritt: Es sei (ϕl, Tl)l=1,...,p ein endlicher Atlas und (αl)l=1,...,p eine untergeordnete
Zerlegung der Eins. Dann ist nach dem 1. Schritt, angewandt auf 1ϕl(Tl)f und Funktion
1ϕl(Tl)f , die Funktion 1ϕl(Tl)f integrierbar uber M und es folgt
∫
M
αlf dS(x) =
∫
M
αlf dS(x) fur alle l = 1, . . . , p.
Summation uber l liefert die Behauptung.
Korollar 2.17. Ist A ⊂M eine k-NM und f :M → R integrierbar, so folgt
∫
M
f(x) dS(x) =
∫
M\Af(x) dS(x).
Beweis. Wende Satz 2.16 mit f und f = 1M\Af an.
Diese Folgerung hilft uns wesentlich beim praktischen Berechnen von Integralen.
Beispiel 2.3.3. Sei M = rS2 =x ∈ R3 : ‖x‖ = r
, r > 0 und sei A =
(x, 0, z) ∈
rS2 : x ≤ 0.
Die Menge A ist eine 2-Nullmenge, denn
sie ist das Bild der 2-NM [0, π] unter der
Lipschitz-stetigen Abbildung
c :[0, π] → M,
t 7→(
− sin(t)r0
cos(t)r
).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
2.3 Hausdorff-Nullmengen 35
Die Abbildung
ϕ :(−π, π)×
(−π
2, π2
)=: T → R3
(u, v) 7→ r
(cos(v) cos(u)cos(v) sin(u)
sin(v)
)
ist eine Karte ϕ : T → rS2 mit Kartengebiet ϕ(T ) = rS2 \ A, denn die Abbildung ϕ ist
glatt und wegen
Dϕ(u, v) = r
− cos v sinu − sin v cosu
cos v cosu − sin v sin u
0 cos v
,
Dϕ(u, v)⊤Dϕ(u, v) = r2
(cos(v)2 0
0 1
)
erfullt ihre Ableitung Dϕ fur alle (u, v) ∈ T die Bedingung RangDϕ(u, v) = 2.
Fur die Gramsche Determinante erhalten wir
g(u, v) = r2 cos(v)2 = det(Dϕ(u, v)⊤Dϕ(u, v)
)
und konnen daher mit Hilfe von Korollar 2.17 berechnen:
vol2(rS2) =
∫
rS2
1 dS(x) =
∫
rS2\A1 dS(x) =
∫
T
(1 ϕ)(u, v)√g(u, v) d(u, v)
=
∫
(−π,π)×(−π2,π2)
r cos(v) d(u, v)Fubini= 2πr
∫ π2
−π2
cos(v) dv = 4πr.
Bemerkung 2.18. Korollar 2.17 motiviert auch das Integral uber eine Menge zu definie-
ren, die bis auf eine k-NM wie eine k-dimensionale C1-Untermannigfaltigkeit aussieht:
Sei M ⊂ Rm eine Teilmenge des Rm und f : M → R eine Funktion. Ist A ⊂ M eine
k-NM, so dass M \ A eine C1-Untermannigfaltigkeit des Rm ist und ist die Funktion
f∣∣M\A :M \ A→ R uber M \ A integrierbar, so definiert man
∫
M
f(x) dS(x) :=
∫
M\Af(x) dS(x).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
36 2 Integral uber Untermannigfaltigkeiten
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3 Der Gaußsche Integralsatz
Ziel dieses Kapitels ist nun der Gaußsche Integralsatz, der einen Zusammenhang zwischen
dem Integral uber ein Gebiet und ein Integral uber den Rand des Gebietes darstellt. Da
dieser Satz an vielen Stellen in den Anwendungen auftritt und dort haufig keine glatt
berandeten Gebiete vorliegen, werden wir den Satz mit Singularitaten beweisen.
Abbildung 3.1: Integral der Divergenz eines Vektorfeldes uber ein Gebiet ist gleich dem
Integral des”herauszeigenden Anteils“ des Vektorfeldes uber den Rand
des Gebietes
38 3 Der Gaußsche Integralsatz
3.1 Der Satz
Satz 3.1 (Gauß). Sei G ⊂off
Rm beschrankt und es gelten
1) es gibt eine m− 1-NM ∂sG ⊂ Rm, so dass G \ ∂sG eine berandete m-dimensionale
C1-Untermannigfaltigkeit des Rm mit Rand ∂G ist und ∂G einen endlichen Atlas
besitzt,
2) 1 ist uber ∂G integrierbar,
3) F ∈ C(G,Rm) ∩ C1(G,Rm),
4) divF =∑m
j=1∂Fj
∂xj: G→ R ist uber G integrierbar.
Dann gilt: ∫
G
divF (x) dx =
∫
∂G
〈F (x), ν(x)〉 dS(x), (3.1)
wobei nx =(x, ν(x)
)∈ TxG der außere Normalenvektor an G in x ∈ ∂G ist.
Bemerkungen. • Wenn G eine berandete C1-Untermannigfaltigkeit ist und G =
G, so spricht man auch von einem Kompaktum mit glattem Rand. In diesem Fall
sind die Voraussetzungen 1) und 2) an G und den Rand ∂G offensichtlich erfullt.
• Allgemein wurde man F als Vektorfeld auf G ∪ ∂G auffassen, d. h.
F : G
:= G ∪ ∂G→ TG, x 7→ F (x) ∼=
(x, F (x)
)∈ TxG
.
Dann ist das innere Produkt in (3.1) ein inneres Produkt der Tangentialvektoren
nx und F (x) aus TxG
.
• Die Annahme, dass ∂G einen endlichen Atlas besitzt kann weggelassen werden.
Wir benotigen Sie nur, da wir bei der Definition des Integrals uber Untermannig-
faltigkeiten aus technischen Grunden endliche Atlanten vorausgesetzt hatten. Der
Beweis ist identisch!
3.2 Vorbereitungen
Zunachst zeigen wir ein einfaches Lemma zur partiellen Integration.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.2 Vorbereitungen 39
Lemma 3.2. Sei U ⊂off
Rm und u, v ∈ C1(U,R). Es existiere ein K ⊂ U , K kompakt,
mit v(x) = 0 fur alle x ∈ U \K. Dann folgt fur alle j = 1, . . . ,m die Identitat
∫
U
( ∂
∂xju)v dx = −
∫
U
u( ∂
∂xjv)dx. (3.2)
Beweis. Setze die Funktionen u · v,(∂∂xju)· v, u ·
(∂∂xjv): U → R konstant durch 0
auf Rm fort. Die Fortsetzungen haben dieselben Regularitaten und fur die Trager dieser
Funktionen folgt
Trg(u · v),Trg
((∂∂xju)· v),Trg
(u ·(∂∂xjv))
⊂ K.
Ferner ergibt sich mit der Produktregel ∂∂xj
(u · v) =(∂∂xju)· v + u ·
(∂∂xjv).
Aus der Linearitat des Integrals und mit dem Satz von Fubini erhalten wir daher
∫
U
(∂∂xju)· v dx+
∫
U
u ·(∂∂xjv)dx =
∫
U
∂∂xj
(u · v) dx
=
∫
Rm
∂∂xj
(u · v) dx Fubini=
∫
Rm−1
∫
R
∂∂xj
(u · v) dxj d(x1, . . . , xj , . . . , xm) = 0.
Hierbei bedeutet die Notation (x1, . . . , xj, . . . , xm), dass der Term xj ausgelassen wird.
3.2.1 Lokale Graphendarstellung einer Untermannigfaltigkeit
Fur den Beweis des Gaußschen Integral Satzes 3.1 ist es gunstig, die berandete Un-
termannigfaltigkeit G
= G ∪ ∂G in der Nahe von Randpunkten als Hohenmenge einer
Funktion zu beschreiben, um eine moglichst explizite Darstellung der Menge zu haben.
Bei einer so dargestellten Menge lasst sich auch die außere Normale sehr einfach explizit
angeben.
Lemma 3.3. Sei G ⊂off
Rm und G ∪ ∂G eine C1-Untermannigfaltigkeit des Rm. Dann
existiert fur jedes x0 ∈ ∂G (ggf. nach Umnumerierung der Koordinaten) eine offene
Menge Q′ ⊂off
Rm−1, ein Intervall I = (a, b) mit x0 ∈ Q′ × I und eine Funktion h ∈C1(Q′, I) mit
∂G ∩(Q′ × I
)= graph(h) =
(x′, h(x′)
): x′ ∈ Q′
(3.3)
und es gelten entweder
(G ∪ ∂G) ∩
(Q′ × I
)=(x′, xm) ∈ Q′ × I : xm ≤ h(x′)
(3.4)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
40 3 Der Gaußsche Integralsatz
Abbildung 3.2: Skizze zur Aussage von Lemma 3.3.
oder(G ∪ ∂G) ∩
(Q′ × I
)=(x′, xm) ∈ Q′ × I : xm ≥ h(x′)
. (3.5)
Schließlich kann Q′ so gewahlt werden, dass ein ε0 > 0 existiert mit h(x′) > a + ε0 fur
alle x′ ∈ Q′ und h(x′) < b− ε0 fur alle x′ ∈ Q′.
Beweis. Nach Satz 1.21 gibt es um x0 ∈ ∂G eine Umgebung Ω ⊂off
Rm von x0 und eine
C1-Plattung ψ : Ω → Rm (also C1-Diffeomoprhismus von Ω nach ψ(Ω)) mit
ψ((G ∪ ∂G) ∩ Ω
)= Hm ∩ ψ(Ω). (3.6)
Weil ψ ein Diffeomorphismus ist, gibt es j ∈ 1, . . . ,m mit ∂xjψ1(x0) 6= 0. Nach Um-
numerieren der Koordinaten und verkleinern von Ω konnen wir ohne Beschrankung der
Allgemeinheit annehmen∂
∂xmψ1(x) 6= 0 ∀x ∈ Ω.
Dann liefert der Satz uber implizite Funktionen die Existenz einer offenen Menge Q′ ⊂off
Rm−1 (welche wir o.B.d.A. als Quader wahlen konnen) und eines Intervalls I ⊂ R, so
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.2 Vorbereitungen 41
dass Q′ × I ⊂ Ω und eine Funktion h ∈ C1(Q′, I) existiert mit
(x′ ∈ Q′, xm ∈ I, ψ1(x
′, xm) = 0)⇔(x′ ∈ Q′, xm = h(x′)
). (3.7)
Wegen (3.6) gilt fur x′ ∈ Q′, xm ∈ I
(x′, xm) ∈(G ∪ ∂G
)⇔ ψ1(x
′, xm) ≤ 0 (3.8)
und (x′, xm) ∈ ∂G⇔ ψ1(x′, xm) = 0. Mit (3.7) folgt daher (3.3).
Fur den Beweis von (3.4) und (3.5) unterscheiden wir zwei Falle:
1. Fall: ∂∂xm
ψ1(x0) > 0.
Dann ist wegen der Wahl von Ω die partielle Ableitung ∂∂xm
ψ1(x) > 0 fur alle x =
(x′, xm) ∈ Q′ × I, so dass aus (3.7) und (3.8) folgt
(x′, xm) ∈ (G ∪ ∂G) ⇔ xm ≤ h(x′).
2. Fall: ∂∂xm
ψ1(x0) < 0.
Hier erhalt man analog zum 1. Fall fur alle x ∈ Q′ × I:
(x′, xm) ∈ (G ∪ ∂G) ⇔ xm ≥ h(x′).
Die letzte Aussage uber die Existenz des ε0 > 0 folgt einfach aus der Tatsache, dass
h((x01, . . . x0m−1)
)= x0m ∈ (a, b) und h stetig ist.
Als nachstes bestimmen wir den außeren Normalenvektor an G in x0 ∈ ∂G. Wegen
der in Lemma 3.3 erhaltenen Darstellung ist dies nun sehr einfach.
Lemma 3.4. Sei h ∈ C1(Q′, I) mit Q′ ⊂off
Rm−1 und es gelte (3.3) und entweder (3.4)
oder (3.5). Dann lautet der außere Normalenvektor an G in x = (x′, h(x′)):
ν(x) = σ1√
1 + ‖∇h(x′)‖2
(−∇h(x′)
1
), (3.9)
wobei σ = +1 fur den Fall (3.4) und σ = −1 im Fall (3.5).
Beweis. Aus der Aquivalenz (3.3) folgt
∂G ∩(Q′ × I) =
(x′, xm) ∈ Q′ × I : f(x′, xm) = 0
mit f(x′, xm) = xm − h(x′), welches nach Lemma 3.3 stetig differenzierbar in Q′ × I ist.
Offensichtlich ist außerdem RangDf(x) = 1 fur alle x ∈ Q′ × I.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
42 3 Der Gaußsche Integralsatz
Nun liefert Lemma 1.16 fur den Tangentialraum an ∂G in(x′, h(x′)
)
T(x′,h(x′)
)∂G = ker df(x′,h(x′)) = kerDf(x′, h(x′)
)= ker
(−Dh(x′) 1
).
(Beachte, dass wir hier den Tangentialraum wieder mit den Vektoren identifizieren und
den Basispunkt nicht mit auffuhren!)
Insbesondere liefert dies, dass die normierten Vektoren aus T(x′,h(x′))G, die senkrecht
zu T(x′,h(x′))∂G sind, gegeben sind als
± 1
‖∇f(x)‖∇f(x) =±√
1 + ‖∇h(x′)‖2
(−∇h(x′)
1
)= ν±(x).
Bleibt also nur die Richtung zu bestimmen.
Wir betrachten den Fall (3.4) und zeigen, dass dann ν+(x) ∈ T(x′,h(x′))G+ der gesuchte
außere Normalenvektor ist. Wahle dann die spezielle Karte G ∪ ∂G
ϕ :(−ε, 0]×Q′ → G ∪ ∂G,
(s, x′) 7→(x′, h(x′) + s
),
wobei ε klein genug ist. Die totale Ableitung von ϕ in einem Punkt (0, x′) lautet
Dϕ(0, x′) =
0 Im−1
1 Dh(x′)
.
Nun ist
ν+(x) = Dϕ(0, x′)
(1 + ‖∇h(x′)‖2
−∇h(x′)
)· 1√
1 + ‖∇h(x′)‖2︸ ︷︷ ︸
∈T(0,x′)Hk+
∈ T(x′,h(x′))G+.
Analog sieht man im Fall (3.5) ν−(x) ∈ T(x′,h(x′))G+.
3.2.2 Differenzierbare Zerlegung der Eins
Fur den Beweis des Gaußschen Integralsatzes 3.1 werden wir die Menge G in kleinere
Teile zerlegen, fur die wir die in Abschnitt 3.2.1 erhaltene lokale Darstellung der Menge G
und ihres Randes mit Hilfe eines Graphen nutzen konnen. Dazu mussen wir die Funktion
F als Summe von Funktionen mit den selben Glattheitseigenschaften schreiben, die nur
einen kleinen Trager haben. Dies erreichen wir naturlich mit einer Zerlegung der Eins.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.2 Vorbereitungen 43
Um auch die notige Differenzierbarkeit der einzelnen Summanden zu garantieren, zeigen
wir in diesem Abschnitt die Existenz einer differenzierbaren (glatten) Zerlegung der Eins.
Dazu sei g : R → R gegeben durch
g(t) =
e− 11−t2 , |t| < 1,
0, |t| ≥ 1.
Diese Funktion erfullt g ∈ C∞0 (R,R) wie man in Analysis I zeigt (z. B. mit den Argumen-
ten aus [5, Bsp. (22.2)]). Der Trager dieser Funktion ist Trg(g) = [−1, 1] und g(t) > 0
fur alle |t| < 1.
Dann bilden wir die Funktion G ∈ C∞(R,R) definiert durch
G(t) :=∑
k∈Zg(t− k) ∀t ∈ R.
Nach Konstruktion ist die unendliche Summe in der Definition von G lokal endlich, das
heißt, fur jedes t ∈ R verschwinden alle bis auf endlich viele Summanden, so dass die
Glattheit folgt.
Mit diesen Funktionen bilden wir nun die Funktion
h :=g
G∈ C∞(R,R),
welche Trg(h) = [−1, 1] und 0 ≤ h(t) ≤ 1 fur alle t ∈ R erfullt. Die Familie hk := h( · −k)liefert dann eine glatte Zerlegung der Eins, wie man leicht nachrechnet indem man wieder
die lokale Endlichkeit der im folgenden auftretenden Summen nutzt:
∑
k∈Zh(t− k) = 1 ∀t ∈ R.
Aus dieser glatten “Standard” Zerlegung der Eins erhalt man nun eine im Rm:
Fur p ∈ Zm und ε > 0 sei
αp,ε :Rm → R,
x 7→ ∏m
j=1 h(xjε− pj
).
Die Funktion αp,ε erfullt αp,ε ∈ C∞0 (Rm,R), Trg(αp,ε) =
x ∈ Rm : ‖x − εp‖∞ ≤ ε
=:
W ε(pε) und αp,ε(x) ∈ [0, 1] fur alle x ∈ Rm. Außerdem erhalt man wieder
∑
p∈Zm
αp,ε(x) = 1 ∀x ∈ Rm,
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
44 3 Der Gaußsche Integralsatz
t-2 -1 0 1 2
0
0.05
0.1
0.15
0.2
0.25
0.3
0.35
0.4
(a) Die C∞0 -Funktion g.
-2 -1 0 1 20.36
0.38
0.4
0.42
0.44
0.46
0.48
0.5
0.52
0.54
(b) Der Nenner in der Kon-
struktion G.
-4 -2 0 2 40
0.2
0.4
0.6
0.8
1
(c) Die Funktionen h−1
(rot), h0 (hellblau), h1
gelb, sowie ihre Summe
(gestrichelt).
2
0
-2-2
0
0.4
0.6
0.8
0
0.2
1
2
(d) Die Funktion α(0
0
),1∈ C∞
0 (R2,R).
2
0
-2-2
0
0.5
1
1.5
02
(e) Die C∞0 (R2,R)-Funktion
α(1
1
),1+ α(
1
0
),1+ α(
0
1
),1+ α(
0
0
),1.
wobei die Summe wieder lokal endlich ist. Fur die Konstruktion einer glatten Zerlegung
der 1 auf einem Kompaktum K, die einer offenen Uberdeckung des Kompaktums unter-
geordnet ist, benotigen wir noch das folgende Lemma, welches besagt, dass eine Kugel,
die klein genug ist und das Kompaktum trifft, schon komplett in einer der Mengen der
Uberdeckung liegt.
Lemma 3.5 (Lebesguesches Lemma). Sei K ⊂ Rm kompakt und sei (Ui)i∈I, Ui ⊂off
Rm
eine Familie offener Mengen mit K ⊂ ⋃i∈I Ui.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.2 Vorbereitungen 45
Dann gibt es ein λ > 0 (Lebesguesche Zahl) mit der Eigenschaft:
Ist M ⊂ Rm mit M ∩K 6= ∅ und diam(M) = supx,y∈M ‖x− y‖ ≤ λ, so gibt es ein i ∈ I
mit M ⊂ Ui.
Beweis. Fur alle k ∈ K gibt es ein rk > 0 und ein i ∈ I mit Brk(k) ⊂ Ui. Es ist(B rk
2(k))k∈K
eine offene Uberdeckung der kompakten Menge K, also gibt es eine end-
liche Teiluberdekung
K ⊂n⋃
l=1
B rkl2
(kl), mit kl ∈ K, l = 1, . . . , n.
Setze λ = minl=1,...,nrkl2.
Nun sei M ⊂ Rm mit K ∩M 6= ∅ und
diam(M) ≤ λ. Wahle k ∈ K ∩ M .
Dann gibt es ein l ∈ 1, . . . , n mit
k ∈ B rkl2
(kl) ⊂ Brkl(kl) ⊂ Ui fur ein
i ∈ I. Daher folgt fur alle m ∈M :
‖m− k‖ ≤ diam(M) ≤ rkl2,
s. d.
‖m− kl‖ ≤ ‖m− k‖+ ‖k − kl‖ < rkl .
Also ist m ∈ Brkl(kl) ⊂ Ui und folglich M ⊂ Ui.
Nach diesen Vorbereitungen konnen wir jetzt eine differenzierbare Zerlegung der Eins
zu einer offenen Uberdeckung einer kompakten Menge konstruieren:
Lemma 3.6. Ist K ⊂ Rm kompakt und U1, . . . , Ul ⊂off
Rm mit ∪lj=1Uj ⊃ K. Dann gibt es
ψj ∈ C∞0 (Rm,R), j = 1, . . . , l mit
1)∑l
j=1 ψj(x) = 1 fur alle x ∈ K,
2) Trg(ψj) = Kj ⊂ Uj mit Kj ist kompakt.
Beweis. Sei λ Lebesguesche Zahl zur Uberdeckung K ⊂ ⋃l
j=1 Uj. Setze ε :=λ
2√m. Dann
hat der abgeschlossene Wurfel W ε(x) =y ∈ Rm : ‖x − y‖∞ ≤ ε
den Durchmesser
diam(W ε(x)
)=
√4mε2 = λ.
Fur j = 1, . . . , l setze
Pj =p ∈ Zm \
j−1⋃
i=1
Pi : Trg(αp,ε)= W ε(pε) ∩K 6= ∅ undW ε(pε) ⊂ Uj
.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
46 3 Der Gaußsche Integralsatz
Definiere dann fur j = 1, . . . , l die Funktion
ψj =∑
p∈Pj
αp,ε ∈ C∞0 (Uj,R),
welche per Konstruktion 2) erfullen.
Per Konstruktion sind die Pj, j = 1, . . . , l alle endlich und disjunkt und erfullen
P :=p ∈ Zm : Trg(αp,ε) ∩K 6= ∅
=
l⋃
j=1
Pj.
Damit gilt fur jedes x ∈ K:
l∑
j=1
ψj(x) =l∑
j=1
∑
p∈Pj
αp,ε(x) =∑
p∈Pαp,ε(x) = 1.
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes
Wir beginnen mit einem Spezialfall auf den wir uns im allgemeinen Fall mit Hilfe der
Lokalisierung durch eine Zerlegung der Eins zuruckziehen werden.
Lemma 3.7. Sei Q′ ⊂off
Rm−1, I = (a, b), h ∈ C1(Q′, I) und es gebe ein ε0 > 0 mit
h(x′) > a+ ε0 fur alle x′ ∈ Q′. Setze
Z =(x′, xm
)∈ Q′ × I : xm < h(x′)
,
Γ =(x′, h(x′)
): x′ ∈ Q′
.
Ferner sei F ∈ C1(Z,Rm) mit F ∈ C(Z,Rm) eine Funktion, fur die eine kompakte Menge
K ⊂ Z ∪ Γ existiert, so dass F (x) = 0 fur alle x ∈ (Z ∪ Γ) \K gilt.
Dann gilt∫
Z
divF (x) dx =
∫
Γ
〈F (x), ν(x)〉 dS(x) =∫
∂Z
〈F (x), ν(x)〉 dS(x), (3.10)
wobei ν(x) die außere Normale an Z in x ∈ ∂Z ist.
Bemerkung 3.8. Naturlich gilt das Lemma analog fur den Fall Z =(x′, xm) ∈ Q′×I :
xm > h(x′)
, der Beweis ist identisch und wir verzichten darauf.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes 47
Abbildung 3.3: Skizze zum Setting in Lemma 3.7.
Beweis. Zunachst berechne die rechte Seite von (3.10) und beachte, dass aus F ≡ 0 in
∂Z \Γ die zweite Gleichung in (3.10) folgt. Zum Berechnen des Integrals wahle als Karte
fur Γ die Funktion
ϕ : Q′ → Γ x′ 7→ ϕ(x′) =(x′, h(x′)
).
Nach Beispiel 2.2.1 gilt fur die Gramsche Determinante
g : x′ 7→ g(x′) = 1 + ‖∇h(x′)‖2.
Außerdem zeigte Lemma 3.4 fur den außeren Normalenvektor an Z in x =(x′, h(x′)
)
die Formel
ν(x) =1√
1 + ‖∇h(x′)‖2
(−∇h(x′)
1
),
so dass fur die rechte Seite von (3.10) folgt
∫
∂Z
〈F (x), ν(x)〉 dS(x) =∫
Q′
⟨F(x′, h(x′)
),
(−∇h(x′)
1
)⟩dx′. (3.11)
Nun zur linken Seite von (3.10). Vorbereitend bemerken wir, dass es Q ⊂ Q′ gibt, Q
kompakt, so dass F (x′, xm) = 0 fur alle (x′, xm) ∈ Z mit x′ 6∈ Q.
1. Schritt: Fur ε > 0 mit ε < ε0 setze
Zε :=(x′, xm
)∈ Q′ × I : xm ≤ h(x′)− ε
.
Es gilt dann
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
48 3 Der Gaußsche Integralsatz
Abbildung 3.4: Skizze zum 1. Schritt des Beweises von Lemma 3.7.
∫
Zε
divF (x) dx =m∑
j=1
∫
Zε
∂Fj
∂xj(x) dx =
m∑
j=1
∫
Q′
∫ h(x′)−ε
a
∂Fj
∂xj(x′, xm) dxm dx
′. (3.12)
Fur j = 1, . . . ,m− 1 betrachte die Funktion
φ :Z → R,
(x′, y) 7→∫ yaFj(x
′, xm) dxm,
welche von der Klasse C1(Z,R) ist. In Analysis III lernt man fur das Differenzieren
parameter-abhangiger Integrale
∂φ
∂xj(x′, y) =
∫ y
a
∂Fj
∂xj(x′, xm) dxm, (3.13)
sowie nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
∂φ
∂y(x′, y) = Fj(x
′, y). (3.14)
Mit Hilfe der Kettenregel folgt nun aus (3.13) und (3.14)
d
dxjφ(x′, h(x′)− ε
)=
∫ h(x′)−ε
a
∂Fj
∂xj(x′, xm) dxm + Fj
(x′, h(x′)− ε
) ∂h∂xj
(x′).
Aufgrund der Wahl von Q ist φ(x′, y) = 0 fur alle (x′, y) ∈ Z mit x′ 6∈ Q. Mit Lemma 3.2,
angewendet mit v ≡ 1 folgt dann∫
Q′
∂
∂xjφ(x′, h(x′)− ε
)dx′ = 0,
so dass wir insgesamt fur j = 1, . . . ,m− 1 erhalten
∫
Q′
∫ h(x′)−ε
a
∂Fj
∂xj
(x′, xm
)dxm dx
′ =
∫
Q′
Fj(x′, h(x′)− ε
) ∂h∂xj
(x′) dx′. (3.15)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes 49
Fur j = m erhalten wir mit dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
∫
Q′
∫ h(x′)−ε
a
∂Fm
∂xm
(x′, xm
)dxm dx
′ =
∫
Q′
Fm(x′, h(x′)− ε
)dx′. (3.16)
Summieren der Terme aus (3.15) fur j = 1, . . . ,m−1 und der Terme aus (3.16) liefert
dann wegen (3.12)
∫
Zε
divF (x) dx =
∫
Q′
⟨F(x′, h(x′)− ε
),
(−∇h(x′)
1
)⟩dx′. (3.17)
2. Schritt: Jetzt betrachten wir den Ubergang εց 0 in Gleichung (3.17)
Die linke Seite lasst sich schreiben als∫
Zε
divF (x) dx =
∫
Z
1xm−h(x′)<−ε(x) divF (x) dx.
Nach Voraussetzung an F gelten
1. 1xm−h(x′)<−ε divF −−→εց0
divF punktweise fur alle x ∈ Z und
2. |1xm−h(x′)<−ε(x) divF (x)| ≤ | divF (x)| und | divF (x)| ist eine uber Z integrier-
bare Funktion.
Daher ist der Satz von Lebesgue anwendbar und liefert
limεց0
∫
Zε
divF (x) dx =
∫
Z
divF (x) dx.
Fur den Term auf der rechten Seite von (3.17) beachte, dass wegen der Stetigkeit von
F in Z ∪ Γ fur alle x′ ∈ Q′ folgt
limεց0
F(x′, h(x′)− ε
)= F
(x′, h(x′)
). (3.18)
Dann erhalten wir
1.⟨F(x′, h(x′)− ε
),
(−∇h(x′)
1
)⟩−−→εց0
⟨F(x′, h(x′)− ε
),
(−∇h(x′)
1
)⟩fur alle x′ ∈
Q′ wegen (3.18) und der Stetigkeit des inneren Produktes,
2. wegen F (x′, y) = 0 fur alle x′ 6∈ Q erhalten wir mit Cauchy-Schwarz∣∣∣∣∣⟨F(x′, h(x′)− ε
),
(−∇h(x′)
1
)⟩∣∣∣∣∣ ≤ supx∈K
‖F (x)‖ supx∈Q
∥∥∥(−∇h(x)
1
)∥∥∥ =: C <∞,
so dass 1QC eine integrierbare Majorante ist.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
50 3 Der Gaußsche Integralsatz
Damit ist wieder der Satz von Lebesgue anwendbar und liefert
limεց0
∫
Q′
⟨F(x′, h(x′)− ε
),
(−∇h(x′)
1
)⟩dx′ =
∫
Q′
⟨F(x′, h(x′)
),
(−∇h(x′)
1
)⟩dx′.
Insgesamt sehen wir, dass in (3.17) der Grenzwert εց 0 betrachtet werden kann und
die behauptete Identitat (3.10) liefert.
Der nachste Satz kann interpretiert werden als Satz von Gauß fur glatt berandete
Gebiete.
Satz 3.9. Satz 3.1 gilt fur Vektorfelder F , die zusatzlich
x ∈ G : F (x) 6= 0
= K ⊂
kompaktG
=(G ∪ ∂G
)
erfullen.
Abbildung 3.5: Skizze zum Satz von Gauß fur glatt berandete Gebiete, Satz 3.9.
Beweis. Zu x ∈ K wahle Umgebungen Ux wie folgt:
1) Fur alle x ∈ G sei Ux = G ⊂off
Rm,
2) fur x ∈ ∂G sei Ux = Q′ × I ⊂off
Rm wie in Lemma 3.3 (ggf. Umnumerieren der
Koordinaten).
Wegen der Kompaktheit von K gibt es xj, j = 1, . . . , p, so dass
K ⊂p⋃
j=1
Uj, Uj := Uxj .
Nach Lemma 3.6 gibt es ψj ∈ C∞0 (Rm) mit
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes 51
1. Trg(ψj) = Kj ⊂kompakt
Uj und
2.p∑j=1
ψj(x) = 1 fur alle x ∈ K.
Setze F j := ψj F . Dieses erfullt dann Fj ∈ C1(G,Rm) und F j ∈ C(G,Rm) und zusatzlich
F j(x) = 0 fur alle x ∈ G \K ∩Kj.
Fur diese Funktionen gilt der Satz von Gauß∫
G
divF j(x) dx =
∫
∂G
〈F j(x), ν(x)〉 dx, (3.19)
denn:
Fall 1): Dann ist K ∩Kj ⊂ G und somit folgt∫
G
divF j(x) dx =m∑
i=1
∫
G
∂
∂xiFji (x) dx = 0
mit Lemma 3.2 und v = Fji und u ≡ 1.
Ferner folgt wegen F j(x) = 0 fur alle x ∈ ∂G∫
∂G
〈F j(x), ν(x)〉 dx = 0.
Dies beendet Fall 1)
Fall 2): Dann ist Uj = Q′ × I ⊂ Rm wie in Lemma 3.6 (wir betrachten nur den
Fall (3.4), der Fall (3.5) geht analog). Also sind die Voraussetzungen von Lemma 3.7
erfullt
Z =(x′, xm
)∈ Q′ × I : xm < h(x′)
= G ∩
(Q′ × I)
Γ =(x′, h(x′)
): x′ ∈ Q′
= ∂G ∩
(Q′ × I),
der Trager von F j erfullt Trg(F j) ⊂ Kj ⊂kompakt
Z ∪ Γ, insbesondere also F j(x) = 0 fur
alle x ∈ (Z ∪ Γ) \Kj. Es ergibt sich mit Lemma 3.7∫
G
divF j(x) dx =
∫
Z
divF j(x) dx =
∫
Γ
〈F j(x), ν(x)〉 dS(x) =∫
∂G
〈F j(x), ν(x)〉 dS(x).
Damit ist auch Fall 2) erledigt.
Nun folgt die eigentliche Behauptung durch Summation von (3.19) uber j = 1, . . . , p:
∫
G
divF (x) dx =
∫
G
div( p∑
j=1
ψj F)(x) dx =
p∑
j=1
∫
G
divF j(x) dx
=
p∑
j=1
∫
∂G
〈F j(x), ν(x)〉 dS(x) =∫
∂G
⟨ p∑
j=1
ψj(x)F (x), ν(x)⟩dS(x).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
52 3 Der Gaußsche Integralsatz
Jetzt konnen wir den allgemeinen Fall beweisen. Da die Ausnahmemenge ∂sG eine
m− 1-dimensionale Hausdorff-Nullmenge ist, konnen wir lokal um die Ausnahmemenge
abschneiden, so dass wir den oben bewiesenen glatten Fall benutzen konnen. Mit Hilfe
des Satzes von Lebesgue zeigen wir dann, dass wir mit diesen regularisierten Problemen
das ursprungliche approximieren konnen, so dass die Behauptung folgt.
Beweis von Satz 3.1. Es ist ∂G ⊂off
RdG und daher ist die m−1-NM ∂sG = G\(G∪∂G)
eine kompakte Menge. Weil es sich bei ∂sG um eine m− 1-NM handelt, gibt es zu ε > 0
Wurfel
Wl =x ∈ Rm : ‖x− xl‖∞ ≤ rl
2
, l = 1, . . . , q = q(ε),
mit Wl ∩ ∂sG 6= ∅ und
∂sG ⊂q⋃
l=1
Wl und
q∑
l=1
rm−1l ≤ ε.
Sei W ∗l =
x ∈ Rm : ‖x− xl‖∞ < rl
der Wurfel um xl mit der doppelten Seitenlange.
In den Ubungen wurde gezeigt, dass es Funktionen βl gibt mit
(i) βl ∈ C∞0 (Rm),
(ii) βl∣∣Wl
≡ 1,
(iii) Trg βl ⊂W ∗l ,
(iv) ‖∇βl‖ ≤ crl1W ∗
lmit einer von Wl und ε unabhangigen Konstanten c.
Nun definiere die Funktion ψε :=∏q
l=1(1−βl), welche (nach Ubungsblatt 5) folgendes
erfullt:
(ψε-i) ψε ∈ C∞(Rm),
(ψε-ii) 0 ≤ ψε(x) ≤ 1 fur alle x ∈ Rm,
(ψε-iii) ψε∣∣Rm\(∪q
l=1W∗
l)≡ 1, und ψε
∣∣Wl
≡ 0 fur alle l = 1, . . . , q,
(ψε-iv) ‖∇ψε(x)‖ ≤ c∑q
l=11rl1W ∗
l(x),
(ψε-v) ψε(x) → 1 punktweise fur alle x ∈ G
= G ∪ ∂G.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.3 Beweis des Gaußschen Integralsatzes 53
Nach Konstruktion ist dann fur ε > 0 die Funktion Fε = ψε F eine Funktion mit
denselben Glattheitseigenschaften wie F , die zusatzlich
TrgFε = Kε ⊂kompakt
G \q⋃
l=1
Wl ⊂ G
= (G ∪ ∂G)
erfullt. Mit Satz 3.9 folgt fur alle ε > 0∫
G
divFε(x) dx =
∫
∂G
〈Fε(x), ν(x)〉 dS(x) (3.20)
und es bleibt zu zeigen, dass fur εց 0 beide Seiten von (3.20) gegen die richtigen Terme
konvergieren.
Linke Seite von (3.20): Mit der Produktregel folgt
divFε = ψε divF + 〈∇ψε, F 〉.
Der erste Summand auf der rechten Seite konvergiert wegen (ψε-v) fur εց 0 punktweise
in x ∈ G gegen divF . Außerdem ist wegen (ψε-ii) und der Integrierbarkeitsannahme an
divF die Funktion | divF | eine uber G integrierbare Majorante zu ψε divF und der Satz
von Lebesgue (Standard Analysis III–Fall) liefert
limε→0
∫
G
ψε(x) divF (x) dx =
∫
G
divF (x) dx.
Das Integral des zweiten Summanden kann man wie folgt abschatzen:
∣∣∣∫
G
〈∇ψε(x), F (x)〉 dx∣∣∣ ≤
∫
G
‖∇ψε(x)‖‖F‖ dx ≤ const
q∑
l=1
∫
Rm
1
rl1W ∗
l(x) dx
≤ const
q∑
l=1
1
rl
(2rl)m ≤ const
q∑
l=1
rm−1l ≤ constε,
mit einer von ε unabhangigen Konstanten const.
Insgesamt erhalt man fur die linke Seite von (3.20):
∫
G
divFε(x) dx =
∫
G
ψε(x) divF (x) dx+
∫
G
〈∇ψε(x), F (x)〉 dx
→∫
G
divF (x) dx fur εց 0.
Rechte Seite von (3.20): Fur die rechte Seite beachte, dass fur alle x ∈ ∂G wegen
Eigenschaft (ψε-v) folgt
Fε(x) = ψε(x)F (x) → F (x) fur εց 0.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
54 3 Der Gaußsche Integralsatz
Aus der Stetigkeit des inneren Produktes ergibt sich daher fur alle x ∈ ∂G die Konver-
genz
〈Fε(x), ν(x)〉 → 〈F (x), ν(x)〉 fur εց 0.
Ferner ist mit (ψε-ii)
∣∣〈Fε(x), ν(x)〉∣∣ ≤ ‖F (x)‖ fur alle x ∈ ∂G,
also gibt es eine integrierbare Majorante und der Satz von Lebesgue (Version fur Unter-
mannigfaltigkeiten, Satz 2.11 zeigt wieder
∫
∂G
〈Fε(x), ν(x) dS(x) →∫
∂G
〈F (x), ν(x)〉 dS(x).
3.4 Anwendungen und klassische Satze
Hier geben wir nun schließlich ein paar Anwendungen des Satzes von Gauß 3.1 an.
Korollar 3.10. Sei G wie in Satz 3.1 und es seien u, v ∈ C1(G), u, v ∈ C(G). Dann gilt
die Regel der partiellen Integration
∫
G
(∂ju)v dx = −∫
G
u∂jv dx+
∫
∂G
u v νj(x) dS(x), (3.21)
wobei νj(x) die j-te Komponente des außeren Normalenvektors ν(x) in x ∈ ∂G ist.
Beweis. Wende Satz 3.1 an auf das Vektorfeld F gegeben durch
F (x) = u(x) v(x) ej =
0...
u(x) v(x)
...0
.
Satz 3.11 (Greensche Formeln). Sei G wie in Satz 3.1, f, g ∈ C2(G). Dann gelten
1.∫G
∇f(x)⊤∇g(x) dx = −∫G
f ∆g dx+∫∂G
f Dg ν︸︷︷︸∂νg
dS(x),
2.∫G
∆g dx =∫∂G
Dg ν dS(x) =∫∂G
∂νg dS(x),
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
3.4 Anwendungen und klassische Satze 55
3.∫G
(f ∆g − g∆f
)dx =
∫∂G
f ∂νg − g ∂νf dS(x).
Dabei bedeutet ∂νf die Richtungsableitung von f in Richtung von ν.
Beweis. 1. Wende Satz 3.1 an auf F = div(f ∇g),
2. wende 1. an mit f ≡ 1,
3. berechne 1.-1. mit vertauschten Rollen.
Bemerkung 3.12. Physikalische Interpretation:
F beschreibe das Geschwindigkeitsfeld eines inkompressiblen Fluids, dann beschreibt das
Integral∫GdivF dx alle in G enthaltenen Quellen und Senken und das Randintegral∫
∂G〈F, ν〉dS(x) gibt den Gesamtfluss uber den Rand des Gebiets an.
Beispiel 3.4.1. Sei G ⊂off
Rm mit C1-Rand ∂G, so dass G \ (G ∪ ∂G) ⊂ RdG eine
m− 1-NM ist. Fur a ∈ Rm \ RdG definiere
F (x) :=x− a
‖x− a‖m2.
Dann gilt∫
∂G
〈F, ν〉 dS(x) =
0, a 6∈ G,
volm−1(Sm−1), a ∈ G.
(3.22)
Beweis von (3.22). Fur x 6= a ist divF (x) = 0, so dass der Satz von Gauß 3.1 die
Identitat ∫
∂G
〈F, ν〉 dS(x) =∫
G
divF (x) dx = 0 fur a 6∈ G liefert.
Ist nun a ∈ G, so gibt es r > 0, der Gestalt, dass
der abgeschlossene Ball Br(a) ganz in G liegt. Es
sei νa der außere Normalenvektor an G \ Br(a).
Dann gilt nach obigem Ergebnis
0 =
∫
∂
(G\Br(a)
)〈F, νa〉 dS(x)
=
∫
∂G
〈F, νa〉︸ ︷︷ ︸〈F,ν〉
dS(x) +
∫
∂Br(a)
〈F, νa〉 dS(x).
(3.23)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
56 3 Der Gaußsche Integralsatz
Fur alle x ∈ ∂Br(a) gelten
νa(x) = −1
r(x− a) und F (x) =
x− a
rm,
so dass man fur den zweiten Summanden der rechten Seite von (3.23)
∫
∂Br(a)
〈F, νa〉 dS(x) = − 1
rm−1
∫
∂Br(a)
1 dS(x) = − volm−1(Sm−1)
erhalt. Aus (3.23) folgt daher∫∂G
〈F, ν〉 dS(x) = volm−1(Sm−1) fur a ∈M .
Eine Anwendung in der Elektrostatik ist die Folgende:
Gegeben seien Ladungen q1, . . . , qs in Punkten a1, . . . , as ∈ R3 \ RdG. Dann ist das
elektrische Feld in einem Punkt x ∈ R3 \ p1, . . . , ps
E(x) =s∑
k=1
qkx− ak
‖x− ak‖3.
Mit (3.22) erhalten wir
∫
∂G
〈E, ν〉 dS(x) = 4π∑
ak∈Gqk = 4π · Gesamtladung in G.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4 Differentialformen und der
Stokessche Integralsatz
Ziel ist der Stokessche Integralsatz, der eine Verallgemeinerung des Satzes von Gauß ist.
Symbolisch: ∫
∂M
ω =
∫
M
dω
4.1 Multilinearformen
Definition 4.1. Seien V,W reelle Vektorraume, k ∈ N. Eine Abbildung
T :V k → W
(v1, . . . , vk) 7→ T (v1, . . . , vk)
heißt Multilinearform der Ordnung k (kurz: k-Linearform), falls fur jedes i ∈ 1, . . . , kund beliebige v1, . . . , vi−1, vi+1, . . . , vk ∈ V die Abbildung
V → W, vi 7→ T(v1, . . . , vi−1, vi, vi+1, . . . , vk
)
58 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
linear ist.
Dabei ist eine 0-Linearform einfach ein Wert in W .
Mit Lk(V,W ) bezeichnen wir den Vektorraum der k-Linearformen.
Bemerkung 4.2. Nach Definition 4.1 ist eine 0-Linearform ein Wert in W , also eine
Konstante. Achtung, dieses ist nicht mit einer konstanten Funktion zu verwechseln, denn
eine 0-Linearform hangt von 0 Variablen ab.
Beispiel 4.1.1. 1) Das innere Produkt 〈·, ·, 〉 auf V liefert eine Bilinearform (2-Linearform)
T (v1, v2) := 〈v1, v2〉 fur alle v1, v2 ∈ V .
2) Im Fall W = R und k = 1 ist L1(V,R) = V ∗ der Raum der linearen Abbildungen
von V nach R. Fur dim V < ∞ ist dies gerade der Dualraum von V (der Raum
aller linearen, stetigen Funktionale auf V ).
3) Im Fall V = Rm und k = m, W = R ist die Determinante ein Beispiel eines
Elementes aus Lm(V,R)
T(v1, . . . , vm
)= det
(v1 . . . vm
)fur alle v1, . . . , vm ∈ V .
Beachte, dass man wegen der Multilinearitat von T ∈ Lk(V,w) fur v1, . . . vk der Form
vi =∑m
j=1 αijvj, i = 1, . . . , k, mit αij ∈ R und v1, . . . , vm ∈ V , erhalt
T(v1, . . . , vk
)=
m∑
j1,...,jk=1
α1j1 · · ·αkjkT(v1, . . . , vk
). (4.1)
Definition 4.3. Eine Abbildung T ∈ Lk(V,W ) heißt
• symmetrisch, wenn fur alle i 6= j ∈ 1, . . . , k gilt
T(v1, . . . , vi, . . . , vj , . . . , vk
)= T
(v1, . . . , vj, . . . , vi, . . . , vk
).
• alternierend , wenn fur alle i 6= j ∈ 1, . . . , k gilt
T(v1, . . . , vi, . . . , vj , . . . , vk
)= −T
(v1, . . . , vj , . . . , vi, . . . , vk
).
Wir erinnern an die Permutationsgruppen: Sk ist die Menge aller Permutationen auf
den k Elementen 1, . . . , k. Jedes Element σ ∈ Sk lasst sich schreiben als Produkt
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.1 Multilinearformen 59
von Vertauschungen und man setzt sgn(σ) := (−1)#Vertauschungen. Dann folgt aus der
Definition 4.3 fur T ∈ Lk(V,W ) leicht:
T(vσ(1), . . . , vσ(k)
)=
T(v1, . . . , vk
), falls T symmetrisch,
sgn(σ)T(v1, . . . , vk
), falls T alternierend.
(4.2)
Im Folgenden betrachten wir nur den Fall W = R und schreiben abkurzend Lk(V ) =
Lk(V,R).
Definition 4.4. Fur k, l ∈ N definieren wir fur S ∈ Lk(V ) und T ∈ Ll(V ) das Tensor-
produkt S ⊗ T ∈ Lk+l(V ) (sprich”S Tensor T“) durch
S ⊗ T(v1, . . . , vk+l
)= S
(v1, . . . , vk
)T(vk+1, . . . , vk+l
).
Bemerkung 4.5. Da eine 0-Linearform mit Werten in R eine Zahl ist, kann man die
Multiplikation einer k-Linearform S ∈ Lk(V ) mit einer Zahl α ∈ R = L0(V ) auch als
Tensorprodukt schreiben
αS = α⊗ S.
Ubung 4.1.1. Seien k, l,m ∈ N und S1, S2 ∈ Lk(V ), T1, T2 ∈ Ll(V ), U ∈ Lm(V ) a ∈ R.
Dann gelten:
1. (S1 + S2)⊗ T = S1 ⊗ T + S2 ⊗ T ,
2. S ⊗ (T1 + T2) = S ⊗ T1 + S ⊗ T2,
3. (aS)⊗ T = S ⊗ (aT ) = a(S ⊗ T
),
4.(S ⊗ T
)⊗ U = S ⊗
(T ⊗ U
).
Von nun an sei V endlich-dimensional und(v1, . . . , vm) sei eine Basis von V . Dann
gibt es eine Basis(ψ1, . . . , ψm) von V ∗ = L1(V,R) = L1(V ), die zu (v1, . . . , vm) duale
Basis , festgelegt durch die Eigenschaft
ψi(vj) = δij. (4.3)
Die Bedingungen (4.3) legen die ψi, i = 1, . . . ,m eindeutig fest, sie erfullen dann
ψi(∑m
j=1 αjvj)= αi.
Satz 4.6. Sei (v1, . . . , vm) Basis von V und (ψ1, . . . , ψm) die dazu duale Basis. Dann ist
eine Basis von Lk(V ) gegeben durch
ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik , 1 ≤ i1, . . . , ik ≤ m. (4.4)
Insbesondere ist dimLk(V ) =(dim V
)k.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
60 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Beweis. Zunachst bemerken wir, dass fur 1 ≤ i1, . . . , ik ≤ m und 1 ≤ j1, . . . , jk ≤ m gilt
(ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik
)(vj1 , . . . , vjk
)= ψi1(vj1) · · ·ψik(vjk)
= δi1,j1 · · · δik,jk =
1, i1 = j1, . . . , ik = jk,
0, sonst.
Nun seien wi ∈ V , wi =∑m
j=1 αijvj fur i = 1, . . . ,m. Dann folgt wie in (4.1)
(ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik
)(w1, . . . , wk
)=
∑
1≤j1,...,jk≤mα1,j1 · · ·αk,jk
(ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik
)(vj1, . . . , vjk)
= α1,i1 · · ·αk,ik . (4.5)
Nach diesen Vorbereitungen zeigen wir, dass (4.4) ein Erzeugendensystem von Lk(V )
ist: Sei T ∈ Lk(V ). Dann gilt
∑
i1,...,ik
T(vi1 , . . . , vik
)︸ ︷︷ ︸
∈R
ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik
(w1, . . . , wk
)
(4.5)=
∑
i1,...,ik
α1,i1 · · ·αk,ikT(vi1 , . . . , vik
) (4.1)= T
(w1, . . . , wk
).
Zur linearen Unabhangigkeit:
Seien αi1,...,ik ∈ R, 1 ≤ i1, . . . , ik ≤ m und
∑
i1,...,ik
αi1,...,ikψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik = 0 ∈ Lk(V ).
Damit ergibt sich fur alle 1 ≤ j1, . . . , jk ≤ m:
0 =∑
i1,...,ik
αi1,...,ikψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik(vj1 , . . . , vjk
)= αj1,...,jk ,
so dass lineare Unabhangigkeit folgt.
Von nun an konzentrieren wir uns insbesondere auf den Fall alternierender k-Linearformen
auf V :
Λk(V ∗) := Λk(V,R) :=T ∈ Lk(V ) : T alternierend
,
entsprechend Definition 4.1 ist Λ0(V ∗) = R.
Beachte, dass fur k > m = dim V die Menge der alternierenden k-Linearformen auf
V trivial ist, d. h. Λk(V ∗) = 0. Denn sind w1, . . . , wk ∈ V , so sind sie linear abhangig,
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.1 Multilinearformen 61
insbesondere gibt es ein j ∈ 1, . . . , k und α1, . . . , αj, . . . αk ∈ R (die Notation αj bedeu-
tet, dass der Term αj ausgelassen wurde), so dass wj =∑
l 6=j αlwl. Ohne Einschrankung
sei j = k. Dann folgt
T(w1, . . . , wk
)= T
(w1, . . . , wk−1,
k−1∑
l=1
αlwl)= 0.
Definition 4.7. Fur T ∈ Lk(V,R) definiere Alt(T ) : V k → R durch
Alt(T )(v1, . . . , vk
)=
1
k!
∑
σ∈Sk
sgn(σ)T(vσ(1), . . . , vσ(k)
).
Die Abbildung macht aus einer beliebigen k-Linearform, k ∈ N eine alternierende k-
Linearform. Fur k = 0 handelt es sich bei Alt schließlich um die Identitatsabbildung in
R. Genauer gilt
Lemma 4.8. Die Abbildung Alt ist eine lineare Projektion Alt : Lk(V ) → Λk(V ∗), das
heißt: Alt ist eine lineare Abbildung Lk(V ) → Lk(V ) mit
1) T ∈ Lk(V ) dann ist Alt(T ) ∈ Λk(V ∗),
2) ω ∈ Λk(V ∗) dann ist Alt(ω) = ω.
Beweis. Fur k = 0 ist dies klar. Sei also von nun an k ∈ N \ 0. Sei T ∈ Lk(V ). Offen-
sichtlich gilt Alt(T ) ∈ Lk(V ), denn es ist eine Linearkombination von k-Linearformen.
Dass Alt eine lineare Abbildung ist, folgt aus der Linearitat der Addition von Abbildun-
gen. Bleiben also 1) und 2) zu zeigen.
Ad 1): Sei τ ∈ Sk Transposition, die i und j vertauscht. Seien v1, . . . , vk ∈ V und setze
wl := vτ(l). Dann erhalten wir
Alt(T )(w1, . . . , wk
)=
1
k!
∑
σ∈Sk
sgn(σ)T(wσ(1), . . . , wσ(k)
)
=1
k!
∑
σ∈Sk
sgn(σ)T(vτ(σ(1)), . . . , vτ(σ(k))
)
=1
k!
∑
τσ∈Sk
− sgn(τ σ)T(vτ(σ(1)), . . . , vτ(σ(k))
)
= −Alt(T )(v1, . . . , vk
),
so dass Alt(T ) ∈ Λk(V ∗) gilt.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
62 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Ad 2): Sei ω ∈ Λk(V ∗) und seien v1, . . . , vk ∈ V . Dann gilt
Alt(ω)(v1, . . . , vk) =
1
k!
∑
σ∈Sk
sgn(σ) ω(vσ(1), . . . , vσ(k)
)︸ ︷︷ ︸=sgn(σ)ω
(v1,...,vk
)
=1
k!
∑
σ∈Sk
ω(v1, . . . , vk
)= ω
(v1, . . . , vk
),
wobei |Sk| = k! benutzt wurde.
Definition 4.9. Fur ω ∈ Λk(V ∗) und η ∈ Λl(V ∗) definiert man das außere Produkt
bzw. Dachprodukt
ω ∧ η :=(k + l)!
k!l!Alt(ω ⊗ η) ∈ Λk+l(V ∗).
Bemerkung 4.10. Beachte, dass es sich bei dem außeren Produkt in dem Fall, dass
k = 0 oder l = 0 ist, um die Standard-Multiplikation mit einer Konstanten handelt.
Siehe dazu auch Definition 4.1, Bemerkung 4.5 und Definition 4.7 sowie die Bemerkung
nach der Definition.
Beispiel. V = spanv1, v2, ψi(vj) = δij duale Basis. Dann ist
(ψ1 ∧ ψ2
)(w1, w2) =
2!
1!1!
(1
2!
(ψ1(w1)ψ2(w2)− ψ1(w2)ψ2(w1)
)).
Satz 4.11. Die Abbildung ∧ : Λk(V ∗) × Λl(V ∗) → Λk+l(V ∗) ist bilinear und fur alle
ω ∈ Λk(V ∗), η ∈ Λl(V ∗), θ ∈ Λm(V ∗) gilt
1) Vertauschungsregel : ω ∧ η = (−1)k·lη ∧ ω,
2) Assoziativitat: (ω ∧ η) ∧ θ = ω ∧ (η ∧ θ) = (k+l+m)!k! l!m!
Alt(ω ⊗ η ⊗ θ).
Bemerkung. Aus der Vertauschungsregel folgt offensichtlich ψi∧ψi = 0. Die Assoziati-
vitat gilt naturlich induktiv fur beliebig viele Faktoren und dann folgt aus der Bilinearitat,
dass das Dachprodukt von p Faktoren p-linear ist, also linear in jedem Faktor.
Beweis. Bilinearitat folgt aus der Bilinearitat von ⊗ und der Linearitat von Alt.
Ad 1): Sei τ ∈ Sk+l mit τ(1, . . . , k + l) = (k + 1, . . . , k + l, 1, . . . , k). Dieses τ erfullt
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.1 Multilinearformen 63
sgn(τ) = (−1)k·l, so dass wir berechnen konnen
k!l!
(k + l)!
(ω ∧ η
)(v1, . . . , vk+l) = Alt
(ω ⊗ η
)(v1, . . . , vk+l)
=1
(k + l)!
∑
σ∈Sk+l
sgn(σ)(ω ⊗ η
)(vσ(1), . . . , vσ(k+1))
=1
(k + l)!
∑
σ∈Sk+l
sgn(σ)(η ⊗ ω
)(vσ(k+1), . . . , vσ(k+l), vσ(1), . . . , vσ(l))
=1
(k + l)!
∑
σ∈Sk+l
sgn(σ)︸ ︷︷ ︸=(−1)k·l sgn(στ)
(η ⊗ ω
)(vσ(τ(1)), . . . , vσ(τ(k+l)))
= (−1)k·l1
(k + l)!
∑
στ∈Sk+l
sgn(σ τ)(η ⊗ ω
)(vσ(τ(1)), . . . , vσ(τ(k+l)))
= (−1)k·lAlt(η ⊗ ω
)(v1, . . . , vk+l) = (−1)k·l
k! l!
(k + l)!
(η ∧ ω
)(v1, . . . , vk+l).
Ad 2): Wir zeigen unten: S ∈ Lk(V ) mit Alt(S) = 0 impliziert fur alle T ∈ Λl(V ∗) die
Identitat
Alt(S ⊗ T ) = Alt(T ⊗ S) = 0. (4.6)
Wir wenden dies an auf S = Alt(ω ⊗ η) − ω ⊗ η ∈ Lk+l(V ) welches im Kern von Alt
liegt, weil Alt lineare Projektion ist.
(ω ∧ η
)∧ θ = (k + l +m)!
(k + l)!m!
(k + l)!
k! l!Alt(Alt(ω ⊗ η
)⊗ θ)
(4.6)=
(k + l +m)!
k! l!m!Alt(ω ⊗ η ⊗ θ
)
=(k + l +m)!
k! l!m!
(l +m)!
l!m!Alt(ω ⊗ Alt
(η ⊗ θ
)).
Bleibt also (4.6) zu zeigen.
Sei S ∈ Lk(V ), Alt(S) = 0. Zeige Alt(S ⊗ T ) = 0 fur alle T ∈ Λl(V ∗).
Sei G ⊂ Sk+l die Untergruppe, die (k + 1, . . . , k + l) fest lasst. Zerlegung in Neben-
klassen:
Sk+l =⋃
σ∈GσG.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
64 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Fur σ ∈ G setze (w1, . . . , wk+l) :=(vσ(1), . . . , vσ(k+l)
). Damit folgt
∑
σ∈Gsgn(σσ)
(S ⊗ T
) (vσσ(1), . . . , vσσ(k+l)
)
︸ ︷︷ ︸=(wσ(1),...,wσ(k+l))
=(wσ(1),...,wσ(k),wk+1,...,wk+l)
= sgn(σ)
(∑
σ∈Gsgn(σ)S(wσ(1), . . . , wσ(k))
)
︸ ︷︷ ︸=k! Alt(S)(w1,...,wk)=0
T (wk+1, . . . , wk+l) = 0.
Summation uber alle Nebenklassen liefert die Behauptung Alt(S ⊗ T ) = 0. Analog
beweist man Alt(T ⊗ S) = 0.
Nun konnen wir analog zu Satz 4.6 eine Basis von Λk(V ∗) angeben:
Satz 4.12. Sei (v1, . . . , vm) Basis von V und ψ1, . . . , ψm ∈ V ∗ = Λ1(V ∗) die dazu duale
Basis. Dann bilden
ψi1 ∧ . . . ∧ ψik , 1 ≤ i1 < i2 < · · · ik ≤ m
eine Basis von Λk(V ∗). Insbesondere folgt dimΛk(V ∗) =(m
k
).
Beweis. Ein Element ω ∈ Λk(V ∗) ⊂ Lk(V ) lasst sich nach Satz 4.6 schreiben als
ω =∑
1≤i1,...,ik≤mωi1,...,ikψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik , mit ωi1,...,ik ∈ R.
Nun ist Alt eine lineare Projektion auf Λk(V ∗), so dass
ω = Alt(ω) =∑
1≤i1,...,ik≤mωi1,...,ik Alt
(ψi1 ⊗ · · · ⊗ ψik
)
︸ ︷︷ ︸=k!ψi1
∧···∧ψik
=∑
1≤i1<i2<...<ik≤mωi1,...,ikψi1 ∧ · · · ∧ ψik ,
wobei in der letzten Gleichung die Vertauschungsregel und die Eigenschaft ψi ∧ ψi = 0
genutzt wurde. Damit erhalten wir, dass die Menge der
ψi1 ∧ · · · ∧ ψik , 1 ≤ i1 < i2 < . . . < ik ≤ m,
ein Erzeugendensystem von Λk(V ∗) ist.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 65
Lineare Unabhangigkeit dieser Elemente folgt wie im Beweis von Satz 4.6 aus der
Eigenschaft
ψi1 ∧ · · · ∧ ψik(vj1 , . . . , vjk
)=
1, i1 = j1, . . . , ik = jk,
0, sonst.
Beispiele. 1. Im Fall k = 0 haben wir Λ0(V ∗) = R.
2. Fur V = Rm ist dimΛm(V ∗) = 1. Sei vi = ei, i = 1, . . . ,m, die kanonische
Basis und ψi, i = 1, . . . ,m, die dazu duale Basis. Bekanntlich ist det ∈ Λm(Rm∗).
Folglich gilt
ψ1 ∧ . . . ∧ ψm = α det
fur ein α ∈ R. Indem wir e1, . . . , em einsetzen erhalten wir
1 = ψ1 ∧ . . . ∧ ψm(e1, . . . , em) = α det
(e1 . . . em
)= α.
Bemerkung: Eine Basis v1, . . . , vm des Rm heißt positiv (negativ) orientiert, falls
det(v1, . . . , vm) > 0 (< 0) ist.
Bemerkung zur Notation: Sehr oft, auch wir werden dies tun, schreibt man xi anstelle
von ψi fur das i-te Element der dualen Basis zur kanonischen Basis. Das heißt xi ∈Λ1(Rm∗) ist die Abbildung, die einem Vektor v seinen i-ten Eintrag zuordnet: xi : v 7→xi(v) = vi.
Dementsprechend ist eine sehr gebrauchliche Schreibweise fur ein Element ω ∈ Λk(Rm∗):
ω =∑
1≤i1<...<ik≤mωi1,...,ikxi1 ∧ · · · ∧ xik .
4.2 Differentialformen im Rm
Wir definieren in diesem Abschnitt die Differentialformen, welche sich als die kanoni-
schen Integranden fur die Integration auf Mannigfaltigkeiten erweisen. Wir gehen hier
nicht den allgemeinen Weg, Differentialformen auf Mannigfaltigkeiten zu erklaren (das
wurden Abbildungen M ∋ p 7→ ω(p) ∈ Λk((TpM)∗
)sein), sondern beschranken uns auf
den Fall ω(p) ∈ Λk(Rm∗). Außerdem betrachten wir fur die Definition differenzierba-
rer Differentialformen geeignete Teilmengen des umgebenden Raumes und erklaren dies
nicht direkt auf den Mannigfaltigkeiten (was sonst mittels Karten geschehen musste und
wofur man wieder die Wohldefiniertheit kontrollieren muss). Fur diesen Allgemeinen Zu-
gang verweisen wir auf [3] oder [10].
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
66 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
4.2.1 Definitionen
Definition 4.13. Eine Differentialform der Ordnung k (kurz: k-Form), k ∈ N, auf
U ⊂ Rm ist eine Abbildung
ω : U → Λk(Rm∗).
Die Menge aller k-Formen auf U bezeichnen wir mit Ωk(U).
Beispiele. Wir betrachten zwei triviale Falle:
• k = 0: In diesem Fall ist Λ0(Rm∗) = R und damit ist eine 0-Form eine Abbildung
ω : U → R also eine Funktion.
• k > m: In diesem Fall ist Λk(Rm∗) = 0 (die konstante Abbildung von (Rm)k →R, die als Wert stets 0 annimmt und nicht(!) die konstante Zahl 0). Also ist eine
k-Form in diesem Fall die Abbildung ω : p 7→((Rm)k → 0
).
Nach Satz 4.11 hat jede alternierende k-Linearform eine eindeutige Darstellung bezuglich
der kanonischen Basis
ω(p) =∑
1≤i1<...<ik≤mωi1,...,ik(p) xi1 ∧ · · · ∧ xik fur alle p ∈ U . (4.7)
Dabei sind die Koeffizienten gegeben durch ωi1,...,ik(p) = ω(p)(ei1, . . . , eik
), wobei ei der
i-te kanonische Einheitsvektor im Rm ist.
Um uber Differenzierbarkeit von k-Formen reden zu konnen, betrachten wir jetzt nur
U ⊂ Rm, die offene Teilmengen von Rm oder Hm sind (im Fall m = 1 lassen wir auch
−H1 = [0,∞) zu). Im Folgenden stehe Mm, stets fur eine der Mengen Rm, Hm (oder im
Fall m = 1 auch [0,∞)), so dass U ⊂off
Mm bedeutet U ⊂off
Rm oder U ⊂off
Hm (oder im
Falle m = 1 auch U ⊂off
[0,∞)).
Definition 4.14. Eine k-Form auf einer offenen Teilmenge U ⊂off
Mm mit Darstel-
lung (4.7) heißt r-mal (stetig) differenzierbar in U , falls die Koeffizienten ωi1,...,ik : U → R
dies im Sinne von Definition 1.17 sind.
Fur U ⊂off
Mm bezeichne Ωkr(U) die Menge der r-mal stetig differenzierbaren k-Formen
auf U .
Die Mengen Ωk(U) und Ωkr(U) haben in kanonischer Weise eine Vektorraumstruktur:
Sind ω1, ω2 ∈ Ωkr(U), λ ∈ R, so definiert man
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 67
• die Addition ω1 + ω2 ∈ Ωkr(U) durch
(ω1 + ω2
)(p) := ω1(p) + ω2(p) fur alle p ∈ U,
• die Skalarmultiplikation λω1 ∈ Ωkr(U) durch
(λω1
)(p) := λω1(p) fur alle p ∈ U.
Außerdem erklaren wir (ebenfalls punktweise) die Multiplikation einer k-Form ω ∈Ωk(U) mit einer Funktion f : U → R durch
(f ω)(p) := f(p)ω(p) fur alle p ∈ U.
Ferner wird das außere Produkt definiert als
∧ :Ωk(U)× Ωl(U) → Ωk+l(U),
(ω, η) 7→ ω ∧ η
durch(ω∧η
)(p) := ω(p)∧η(p) fur alle p ∈ U . Beachten Sie, dass eine 0-Form ω ∈ Ω0(U)
gerade eine Funktion U → R ist und das außere Produkt einer 0-Form mit einer k-Form
einfach der Multiplikation der Funktion mit der k-Form entspricht. Wir konnen also die
Multiplikation fω auch einfach schreiben als f ∧ ω.
4.2.2 Außere Ableitung
Definition 4.15 (Außere Ableitung). Sei U ⊂off
Mm.
• Fur f ∈ Ω01(U) = C1(U,R) definiere df ∈ Ω1(U) fur alle p ∈ U durch
df(p)v := Df(p) v = 〈∇f(p), v〉 fur alle v ∈ Rm.
Dargestellt in der kanonischen Basis bedeutet dies
df(p) =m∑
i=1
∂f
∂xi(p) xi.
• Fur ω ∈ Ωk1(U) mit Darstellung
ω(p) =∑
1≤i1<...<ik≤mωi1,...,ik(p) xi1 ∧ · · · ∧ xik fur alle p ∈ U,
definiere dω ∈ Ωk+1(U) durch
dω(p) =∑
1≤i1<...<ik≤mdωi1,...,ik(p) ∧ xi1 ∧ · · · ∧ xik fur alle p ∈ U. (4.8)
Die Abbildung d : ΩkrU → Ωk+1
r−1(U) heißt außere Ableitung.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
68 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Indem wir die Abbildung
xi :Rm → R
v = (v1, . . . , vm) 7→ vi∈ Λ1(Rm∗)
als 0-Form (also Funktion) auffassen
xi :U → R
v 7→ vi∈ Λ0(Rm∗),
erhalten wir speziell:
dxi(p)(v) =m∑
j=1
∂jxi(p)vj = vi,
dabei muss man die partielle Ableitung richtig lesen: ∂jxi ist die partielle Ableitung
der Funktion xi nach der j-ten Koordinate (”∂xi∂xj
“). Das bedeutet dxi ∈ Ω1(U) und
dxi(p) = xi ∈ Λ1(Rm∗).
Damit lasst sich (4.7) schreiben als
ω =∑
1≤i1<...<ik≤mωi1,...,ik dxi1 ∧ . . . ∧ dxik =
∑
I
ωIdxI ∈ Ωk(U). (4.7’)
Hier haben wir die Notation dxI = dxi1 ∧· · ·∧dxik fur das Tupel I = (i1, . . . , ik) benutzt
und die Summation ist uber alle derartigen Tupel zu verstehen, wobei dann naturlich
viele ωI ≡ 0 erfullen.
Analog lasst sich (4.8) schreiben als
dω =∑
1≤i1<...<ik≤mdωi1,...,ik︸ ︷︷ ︸∈Ω1(U)
∧dxi1 ∧ . . . ∧ dxik =∑
I
dωI ∧ dxI ∈ Ωk(U). (4.8’)
Satz 4.16. Die Abbildung d : Ω1(U) → Ω0(U) hat folgende Eigenschaften:
1) Sie ist linear,
2) fur Funktionen f ∈ Ω01(U) = C1(U) gilt df = Df ,
3) fur ω ∈ Ωk1(U), η ∈ Ωl
1(U) gilt die Produktregel
d(ω ∧ η
)= dω ∧ η + (−1)kω ∧ dη,
4) fur alle ω ∈ Ωk2(U) gilt
ddω = 0.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 69
Beweis. Ad 1): Dies ist klar.
Ad 2): Dies ist einfach die Definition.
Ad 3): Vorbereitend bemerken wir, dass fur ω = ωi1,...,ikdxi1 ∧ · · · ∧ dxik ∈ Ωk1(U) mit
beliebig angeordneten (nicht notwendig aufsteigenden) Indizes 1 ≤ i1, . . . , ik ≤ m gilt
dω = dωi1,...,ik ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik .
Falls nicht alle ij, j = 1, . . . , k, verschieden sind, so ist das klar. Sind alle ij, j = 1, . . . , k
paarweise verschieden, so gibt es σ ∈ Sk mit iσ(1) < . . . < iσ(k). Damit ergibt sich mit
der Vertauschungsregel, der Definition der außeren Ableitung und der Linearitat der
Ableitung
dω = d(ωi1,...,ik sgn(σ) dxiσ(1)
∧ · · · ∧ dxiσ(k)
)= sgn(σ)dωi1,...,ik ∧ dxiσ(1)
∧ · · · ∧ dxiσ(k)
= dωi1,...,ik ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik .
Wegen Bilinearitat von ∧ und der Linearitat von d genugt es nun fur den Beweis von 3)
ω = ωIdxI ∈ Ωk1(U), I = (i1, . . . , ik) und η = ηJdxJ ∈ Ωl
1(U), J = (j1, . . . , jl)
zu betrachten.
Die Bilinearitat von ∧ liefert
ω ∧ η = ωI ηJ dxI ∧ dxJ .
Mit dem Obigen ergibt sich aus der Produktregel (fur gewohnliche Funktionen), der
(Multi-)Linearitat von ∧, zusammen mit der Vertauschungsregel und Assoziativitat aus
Satz 4.11 (anwendbar indem man alles punktweise fur ein p ∈ U liest):
d(ω ∧ η
)= d(ωI ηJ
)∧ dxI ∧ dxJ =
(dωI · ηJ + ωI · dηJ
)∧ dxI ∧ dxJ
= ηJdωI ∧ dxI ∧ dxJ + ωIdηJ ∧ dxI ∧ dxJ= dωI ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik ∧
(ηJ dxj1 ∧ · · · ∧ dxjl
)
(−1)kωI dxi1 ∧ · · · ∧ dxik ∧ dηJ ∧ dxj1 ∧ · · · ∧ dxjl= dω ∧ η + (−1)kω ∧ dη.
Ad 4): Zunachst sei f ∈ C2(U) = Ω02(U). Damit ist nach Definition von d
df =m∑
j=1
∂f
∂xjdxj
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
70 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
und wieder mit der Definition von d folgt
ddf =m∑
j=1
(m∑
i=1
∂2f
∂xi ∂xjdxi
)∧ dxj =
m∑
j=1
m∑
i=1
∂2f
∂xi ∂xjdxi ∧ dxj = 0.
Das letzte”=“ folgt aus dem Satz von Schwarz und der Vertauschungsregel.
Nun allgemein: ω =∑
I ωIdxI und nach 3) und der Linearitat von d erhalten wir
ddω = d∑
I
(dωI) ∧ dxI =
∑
I
(d(dωI)︸ ︷︷ ︸
=0, oben
∧dxI − dωI ∧ d(dxI)︸ ︷︷ ︸=d1∧dxI=0
).
Ubung 4.2.1. Zeigen Sie, dass die Eigenschaften 1)–4) die Abbildung d eindeutig fest-
legen.
Beispiel 4.2.1. 1) Fur eine stetig differenzierbare 1-Form ω =∑m
j=1 ωj dxj ∈ Ω11(U)
gilt
dω =m∑
j=1
dωj ∧ dxj =m∑
j=1
(m∑
i=1
∂ωj
∂xidxi
)∧ dxj =
∑
i<j
(∂ωj
∂xi− ∂ωi
∂xj
)dxi ∧ dxj.
Im Spezialfall m = 3 ergibt sich mit a = (a1, a2, a3) ∈ C1(U,R3):
ω = a1 dx1 + a2 dx2 + a3 dx3
⇒ dω = b1 dx2 ∧ dx3 + b2 dx3 ∧ dx1 + b3 dx1 ∧ dx2,
wobei b1 = ∂a3∂x2
− ∂a2∂x3
, b2 = ∂a1∂x3
− ∂a3∂x1
und b3 = ∂a2∂x1
− ∂a1∂x2
. Dieses ist gerade die
Rotation des Vektorfeldes a:
b = rot(a) = ∇× a.
2) Eine stetig differenzierbare m− 1-Form auf U ⊂off
Mm lasst sich schreiben als
ω =m∑
j=1
(−1)j−1fj dx1 ∧ · · · ∧ dxj ∧ · · · ∧ dxm ∈ Ωm−11 (U),
wobei diese Notation wieder bedeutet, dass der Term dxj ausgelassen wurde.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 71
Dann liefert Anwenden der außeren Ableitung
dω =m∑
j=1
(−1)j−1m∑
i=1
∂fj
∂xidxi ∧ dx1 ∧ · · · ∧ dxj ∧ · · · ∧ dxm︸ ︷︷ ︸
=
0, i 6= j,
(−1)j−1, i = j
=m∑
j=1
∂fj
∂xjdx1 ∧ · · · ∧ dxm = div f dx1 ∧ · · · ∧ dxm.
3) Fur U ⊂off
R3 nennt man
ds :=
dx1
dx2
dx3
Linienelement,
dF :=
dx2 ∧ dx3dx3 ∧ dx1dx1 ∧ dx2
Flachenelement,
dV := dx1 ∧ dx2 ∧ dx3 Volumenelement.
Seien nun f ∈ C2(U,R), g, h ∈ C2(U,R3). Fur die ausseren Ableitungen von f ,
g⊤ds und h⊤dF ergeben sich
df =∂f
∂x1dx1 +
∂f
∂x2dx2 +
∂f
∂x3dx3 = ∇f⊤ds,
d(g⊤ds
)= d(g1 dx1 + g2 dx2 + g3 dx3
)= rot(g)⊤dF,
d(h⊤dF
)= div h dV.
In diesem Fall liefert”dd = 0“ formal
rot∇ = ∇×∇ = 0,
div rot = ∇⊤∇× = 0.
Ubung 4.2.2. Seien fi ∈ C1(U,R), i = 1, . . . , k. Zeigen Sie:
df1 ∧ · · · ∧ dfk =∑
1≤i1<...<ik≤mdet
(∂fj
∂xil
)k
l,j=1
dxi1 ∧ · · · ∧ dxik .
Insbesondere ergibt sich fur p ∈ U :
RangDf(p) = k ⇔(df1 ∧ · · · ∧ dfk
)(p) 6= 0.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
72 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
4.2.3 Zuruckholen von Differentialformen
Jetzt seien V,W reelle Vektorraume mit
• dim V = n habe die Basis v1, . . . , vn und die dazu duale Basis (die Koordinaten-
funktionen) bezeichnen wir mit t1, . . . , tn ∈ V ∗ = Λ1(V ∗),
• dimW = m habe die Basis w1, . . . , wm und die dazu duale Basis (die Koordina-
tenfunktionen) bezeichnen wir mit x1, . . . , xm ∈ W ∗ = Λ1(W ∗).
Zuerst erklaren wir das”Zuruckholen“ fur Multilinearformen und danach, wird es dann
auf Differentialformen (also multilinearformwertige Funktionen) erweitert. Dies geschieht
punktweise, so dass sich die (algebraischen) Eigenschaften direkt von den Multilinear-
formen auf die Differentialformen ubertragen.
Sei ω =∑
I ωIxI ∈ Λk(W ∗), ωI ∈ R, eine k-Linearform. Dann definiert man fur eine
lineare Abbildung L ∈ L(V,W ) die k-Linearform L∗ω ∈ Λk(V ∗) durch
L∗ω(a1, . . . , ak
)= ω
(La1, . . . , L ak
)fur alle a1, . . . , ak ∈ V .
Man sagt”die k-Linearform ω wird mit L nach V zuruckgeholt“. (Vgl. auch mit der
adjungierten Abbildung!) In Form eines Diagramms kann man das wie folgt zusammen-
fassen:
W k R
V k
ω
LL∗ω
Lemma 4.17. Fur L ∈ L(V,W ) erfullt die Abbildung L∗:
1) Fur alle k ∈ N gilt L∗ ∈ L(Λk(W ∗),Λk(V ∗)
).
2) Fur alle ω ∈ Λk(W ∗), k ∈ N, alle η ∈ Λl(W ∗), l ∈ N, gilt L∗(ω ∧ η) = L∗ω ∧ L∗η.
3) Fur L ∈ L(V,W ), geschrieben als Matrix bezuglich der Basen v1, . . . , vn von V und
w1, . . . , wm von W und der k-Linearform ω =∑
I ωI xI dargestellt in der dualen
Basis, ergibt sich
L∗ω =∑
J
(∑
I
ωI det(LI,J
))tJ .
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 73
Dabei ist LI,J die Submatrix von L, die aus den Zeilen I = (i1, . . . , ik) und den
Spalten J = (j1, . . . , jk) besteht:
LI,J =
Li1,j1 · · · Li1,jk...
...
Lik,j1 · · · lik,jk
.
Der dritte Punkt bedeutet speziell L∗xi =∑n
j=1 Li,jtj .
Beweis. 1): Ist klar.
2): Seien a1, . . . , ak+l ∈ V . Es ergibt sich
L∗(ω ∧ η)(a1, . . . , ak+l) =
(ω ∧ η
)(La1, . . . , L ak+l)
=(k + l)!
k! l!Alt(ω ⊗ η
)(La1, . . . , L ak+l)
=(k + l)!
k! l!
1
(k + l)!
∑
σ∈Sk+l
sgn(σ)ω(Laσ(1), . . . , L aσ(k)) η(Laσ(k+1), . . . , L aσ(k+l))
=(k + l)!
k! l!Alt((L∗ω)⊗ (L∗η)
)(a1, . . . , ak+l) = (L∗ω ∧ L∗η)(a1, . . . , ak+l).
3): Nach 1) und 2) genugt es L∗xI =∑
J det(LI,J)tJ zu zeigen. Aber sei vJ =
(vj1 , . . . , vjk), j1 < . . . < jk, also tJ(vJ) = 1. Damit ergibt sich
(L∗xI)(vj) =(xi1 ∧ · · · ∧ xik
)(Lvj1 , . . . , L vjk) = k! Alt
(xi1 ⊗ · · · xik
)(Lvj1, . . . , L vjk)
=∑
σ∈Sk
sgn(σ)k∏
ν=1
xiν (Lvjσ(ν)) = detLI,J .
Nun gehen wir von k-Linearformen uber zu den Differentialformen der Ordnung k auf
einer offenen Teilmenge von Mm. Zur Erinnerung Mm steht fur eine der Mengen Rm,
H
m oder (im Fall m = 1) auch [0,∞).
Seien also U ⊂off
Mn und V ⊂off
Mm, ϕ ∈ C1(U, V ). Die Koordinatenfunktionen auf U (in
Rn) bezeichnen wir mit ti, i = 1, . . . , n, die Koordinatenfunktionen auf V (in Rm) mit
xi, i = 1, . . . ,m. Dann ordnet man einer k-Form ω =∑ωI dxI ∈ Ωk(V ) auf V , k ∈ N,
eine k-Form ϕ∗ω ∈ Ωk(U) auf U zu, indem man (punktweise) fur alle p ∈ U erklart
ϕ∗ω(p) =∑
I
(ωI ϕ)(p)Dϕ(p)∗dxI(p)
=∑
I
ωI(ϕ(p)
)Dϕ(p)∗xI .
(4.9)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
74 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Man nennt ϕ∗ω die mit ϕ von V nach U zuruckgeholte k-Form.
Wegen Lemma 4.17 gilt
ϕ∗ dxi = dϕi =n∑
j=1
∂ϕi
∂tjdtj ,
denn(ϕ∗ dxi
)(p) = Dϕ(p)∗xi =
n∑
j=1
∂ϕi
∂tj(p) tj , (4.10)
so dass ϕ∗ω =∑ωI ϕdϕI gilt.
Im folgenden Satz fassen wir die Eigenschaften des Zuruckholens einer Differentialform
mit einer Funktion zusammen.
Satz 4.18. Seien U, V und ϕ ∈ C1(U, V ) wie oben. Dann gelten:
1) Das Zuruckholen mit ϕ ist eine lineare Abbildung, ϕ∗ ∈ L(Ωk(V ),Ωk(U)
).
2) Fur alle ω ∈ Ωk(V ), k ∈ N, und alle η ∈ Ωl(V ), l ∈ N, gilt
ϕ∗(ω ∧ η)= ϕ∗ω ∧ ϕ∗η. (4.11)
3) Fur W ⊂off
Mq, ψ ∈ C1(W,U) gilt
(ϕ ψ
)∗ω = ψ∗(ϕ∗ω
)fur alle ω ∈ Ωk(V ). (4.12)
4) Ist ϕ ∈ C2(U, V ), ω ∈ Ωk1(V ), so ist ϕ∗ω ∈ Ωk
1(U) und es gilt
d(ϕ∗ω
)= ϕ∗dω. (4.13)
Beweis. 1): Klar.
2): Folgt aus 1) und Lemma 4.17 1).
3): Nach 1) und 2) genugt es (ϕ ψ)∗dxi = ψ∗(ϕ∗dxi)zu zeigen. Wir bezeichnen die
Koordinatenfunktionen in W mit s1, . . . , sq. Aber wegen (4.10) gilt mit der Kettenregel
(ϕ ψ
)∗dxi =
q∑
l=1
n∑
j=1
∂ϕi
∂tj ψ ∂ψj
∂sldsl =
n∑
j=1
∂ϕi
∂tj ψ dψj = ψ∗ dϕi.
4): Wegen 1) genugt es ω = ωIdxI zu betrachten. Mit der Kettenregel folgt
ϕ∗ω = ωI ϕ︸ ︷︷ ︸∈C1(U)
∑
j1,...,jk
∂ϕi1∂tj1
· · · ∂ϕik∂tjk︸ ︷︷ ︸
∈C1(U)
dtj1 ∧ · · · ∧ dtjk ∈ Ωk1(U).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.2 Differentialformen im Rm 75
Zum Beweis von (4.13) betrachte zuerst ω = f ∈ Ω01(V ) = C1(V ). Dafur ergibt sich
d(ϕ∗ω
)= d(f ϕ) =
n∑
j=1
∂(f ϕ
)
∂tjdtj =
n∑
j=1
(m∑
i=1
∂f
∂xi ϕ ∂ϕi
∂tj
)dtj
ϕ∗df = ϕ∗m∑
i=1
∂f
∂xidxi =
m∑
i=1
∂f
∂xi ϕ
n∑
j=1
∂ϕi
∂tjdtj .
Fur den allgemeinen Fall betrachte ω = fdxI , dω = df ∧ dxI . Damit erhalten wir
d(ϕ∗ω
) Def.= d
(f ϕdϕI
) dd=0= d
(f ϕ
)∧ dϕI 0−Form
= ϕ∗df ∧ ϕ∗dxI2)= ϕ∗dω.
Wie in Lemma 4.17 erhalten wir direkt eine Darstellung der Zuruckgeholten k-Form.
Satz 4.19. Seien U , V wie oben mit Koordinatenfunktionen tj und xi, wie oben. Sei
ω =∑
I ωI dxI ∈ Ωk(V ), dann gilt
ϕ∗ω =∑
I
ωI ϕ∑
J
det(DϕI,J
)dtJ
=∑
J
(∑
I
ωI ϕ det(DϕI,J
))dtJ .
(4.14)
Beweis. Dies folgt unmittelbar aus Lemma 4.17.
Beispiel 4.2.2. 1) Fur U ⊂off
Mk, ϕ ∈ C1(U, V ), ω =∑
I ωI dxI ∈ Ωk(V ) ergibt sich
fur die zuruckgeholte Form
ϕ∗ω =
(∑
I
ωI ϕ detDϕI
)dt1 ∧ · · · ∧ dtk. (4.15)
2) Sind U ⊂off
Mk und V ⊂off
Mk, ϕ ∈ C1(U, V ), ω = f dx1 ∧ · · · ∧ dxk ∈ Ωk(V ), dann
ergibt sich fur die zuruckgeholte Form
ϕ∗ω = f ϕ detDϕdt1 ∧ · · · ∧ dtk. (4.16)
(vgl. mit der Transformationsformel!)
3) Sei ω = exp(x y) dx ∈ Ω1∞(R2) und ϕ : R → R2, t 7→ ϕ(t) = ( sin t
cos t ). Es ergeben
sich
ϕ∗ω(t) = exp(sin t cos t) cos t dt,
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
76 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
d(ϕ∗ω
)= 0 (2-Form auf R1),
dω =(y exp(x y) dx+ x exp(x y) dy
)∧ dx
= −x exp(x y) dx ∧ dyϕ∗dω = − sin t exp
(sin t cos t
) (cos t dt
)∧(− sin t dt
)︸ ︷︷ ︸
− sin t cos t dt∧dt=0
= 0.
4) Sei ω = x dy ∧ dz + y dz ∧ dx+ z dx ∧ dy und
ϕ : R2 → R3, ( uv ) 7→(
cosu cos vsinu cos v
sin v
)
Es ergeben sich
dϕ1 = − sin u cos v du− cosu sin v dv,
dϕ2 = cosu cos v du− sin u sin v dv,
dϕ3 = cos v dv.
Und damit erhalten wir fur die mit ϕ zuruckgeholte Form durch direktes Rechnen:
ϕ∗ω = cosu cos v cosu cos v2 du ∧ dv+ sin u cos v sin u cos v2 du ∧ dv+ sin v sin u2 sin v cos v du ∧ dv+ sin v cosu2 sin v cos v du ∧ dv
= cos v du ∧ dv.
Um zur Berechnung von ϕ∗ω die Formel aus Beispiel 1) zu benutzen, beachte
Dϕ(u, v) =
− sinu cos v − cosu sin v
cosu cos v − sin u sin v
0 cos v
.
Damit
ϕ∗ω =
(cosu cos v det
(cosu cos v − sin u sin v
0 cos v
)
+ sinu cos v det
(0 cos v
− sin u cos v − cosu sin v
)
+ sin v det
(− sin u cos v − cosu sin v
cosu cos v − sin u sin v
))du ∧ dv
= cos v du ∧ dv.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.3 Orientierung 77
4.3 Orientierung
4.3.1 Orientierung einer Untermannigfaltigkeit
Wir erlauben hier, dass das Kartenblatt T der Karte (ϕ, T ) einer Untermannigfaltigkeit
eine offene Teilmenge von Mk ist, also T ⊂off
Rk, T ⊂off
Hk oder im Fall k = 1 auch
T ⊂off
−H1. Wir nennen eine Karte (ϕ, T ) von M randangepasst, falls T ⊂off
Mk und
ϕ(t) ∈ ∂M ⇔ t ∈ T ∩0 × Rk−1
.
Abbildung 4.1: Randangepasste Karten
Es ist nicht schwer einzusehen, dass es stets einen Atlas aus randangepassten Karten
gibt, siehe dazu Definition 1.19. Bei dem Kartenwechsel Φϕϕ von einer Karte (ϕ, T )
zu einer Karte (ϕ, T ) mit nichtleerem gemeinsamen Kartengebiet handelt es sich nach
Abschnitt 1.3 um einen Cα-Diffeomorphismus von U ⊂ T nach U ⊂ T , wobei U und U
die Urbilder des gemeinsamen Kartengebietes sind.
Definition 4.20. Sei M eine k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rm (beran-
det oder unberandet).
• Fur k = 0 heißt jede Funktion o :M → −1,+1 eine Orientierung von M .
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
78 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
• Fur k ≥ 1 heißen zwei Karten (ϕ, T ) und (ϕ, T ) von M vertraglich (oder gleich
orientiert), wenn
entweder ist ϕ(T ) ∩ ϕ(T ) = ∅ oder
detDΦϕϕ(t) > 0 fur alle t ∈ ϕ−1(ϕ(T ) ∩ ϕ(T )
).
• Ein Atlas A heißt einheitlich, wenn
(ϕ, T ) und (ϕ, T ) sind gleich orientiert fur alle (ϕ, T ), (ϕ, T ) ∈ A.
Lemma 4.21. Sei A ein einheitlicher Atlas von M und (ϕ, T ), (ϕ, T ) Karten, die mit
jeder aus A vertraglich sind. Dann sind auch die Karten (ϕ, T ) und (ϕ, T ) vertraglich.
Beweis. Die Aussage folgt unmittelbar aus Lemma 1.8.
Man definiert fur Atlanten eine Relation durch:
Zwei Atlanten A und A heißen aquivalent , schreibe A ∼ A, genau dann, wenn die
Vereinigung A ∪ A ein einheitlicher Atlas ist.
Aus dem Lemma erhalt man:
Korollar 4.22. Die Relation ∼ ist eine Aquivalenzrelation einheitlicher Atlanten.
Definition 4.23. Sei M eine (berandete oder unberandete) k-dimensionale Cα Unter-
mannigfaltigkeit, k ∈ N∗.
• Die UntermannigfaltigkeitM heißt orientierbar , wenn es einen einheitlichen Atlas
A von M gibt.
• Eine Orientierung o vonM ist eine Aquivalenzklasse o = [A] einheitlicher Atlanten
von M .
Wir schreiben (ϕ, T ) ∈ o, wenn (ϕ, T ) ∈ A fur ein A ∈ o und wir schreiben (M, o) fur
eine Untermannigfaltigkeit M mit Orientierung o.
Definition 4.24. Sei M eine Untermannigfaltigkeit mit einer Orientierung o. Sei σ ∈C∞(Rk,Rk), gegeben durch
σ :Rk → Rk,
(t1, . . . , tk) 7→ (t1, . . . , tk−1,−tk).
Ist A ∈ o, so ist (ϕ, T
):(ϕ σ, σ(T )
)∈ A
=: A
ein einheitlicher Atlas von M und die Orientierung [A] bezeichnen wir mit −o und
nennen sie die entegengesetzte Orientierung.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.3 Orientierung 79
Abbildung 4.2: T und σ(T ), sowie die kanonischen Basen des Tangentialraums TpM
bezuglich der Karten ϕ und ϕ σ, welche die beiden verschiedenen Ori-
entierungen des Tangentialraums beschreiben.
Zusammenhangende Untermannigfaltigkeiten haben, sofern sie orientierbar sind, ge-
nau zwei Orientierungen. Dieses besagt unter anderem das folgende Lemma.
Lemma 4.25. Sei (M, o) orientierbare Untermannigfaltigkeit. Sei (ϕ, T ) Karte von M
mit T zusammenhangend. Dann ist entweder (ϕ, T ) ∈ o oder(ϕ σ, σ(T )
)∈ o.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
80 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Beweis. Die Funktion
s :ϕ(T ) → −1, 1,x 7→ sgn detDΦϕϕ
(ϕ−1(x)
),mit (ϕ, T ) ∈ o Karte um x
ist wohldefiniert, insbesondere also unabhangig von der Wahl der Karte (ϕ, T ) ∈ o,
und stetig. Daher ist sie auf zusammenhangenden Teilmengen von ϕ(T ) konstant, also
insgesamt konstant.
Beispiel 4.3.1. Ist M ⊂off
Mm, so ist (ϕ = idM , T = M) ein Atlas, der aus nur einer
Karte besteht und damit einheitlich ist. Also ist M orientierbar und die von der Ein-
bettung (idM ,M) erzeugte Orientierung heißt die kanonische Orientierung. Eine Karte
(ϕ, T ) ∈ o, die also mit der kanonischen Einbettung vertraglich ist, nennen wir orien-
tierungstreu.
Ubung 4.3.1. • Zeigen Sie, dass S1 orientierbar ist.
• Sei M eine zusammenhangende k-dimensionale Untermannigfaltigkeit. Zeigen Sie:
Falls M orientierbar ist, so besitzt es genau zwei Orientierungen.
4.3.2 Orientierung von Tangentialraumen
Im Falle des Standard Rk nennt man eine Basis (b1, . . . , bk) von Rk positiv orientiert ,
wenn det(b1 . . . bk
)> 0. Nun sei (M, o) eine k-dimensionale orientierte Unterman-
nigfaltigkeit, (ϕ, T ) ∈ o, p = ϕ(t) mit t ∈ T . Dann ist der Tangentialraum an M in p
definiert als
TpM = dϕt(TtT )
und das Differential dϕt : TtT → TpM ist ein Vektorraumisomorphismus. Eine Basis(v1, . . . , vk
)von TpM heißt positiv orientiert bezuglich o, wenn eine positiv orientierte
Basis (b1, . . . , bk) des Rk existiert mit vj = dϕtbj fur alle j = 1, . . . , k. Das heißt, die Basis(v1, . . . , vk
)von TpM ist das Bild einer positiv orientierten Basis
(b1, . . . , bk
)des Rk unter
dem Differential dϕt. Insbesondere ist die Basis(∂ϕ
∂t1(t), . . . , ∂ϕ
∂tk(t))positiv orientiert.
Bemerkung 4.26. Es ist zu beachten, dass wir Tangentialvektoren eigentlich als Tupel,
bestehend aus dem Basispunkt und dem Vektor, definiert hatten, der Einfachheit hal-
ber aber haufig in der Notation auf den Basispunkt verzichten. Siehe Seite 20 fur die
Definition des Tangentialraumes auch an Randpunkten.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.3 Orientierung 81
4.3.3 Orientierung des Randes
Die Orientierung auf einer Untermannigfaltigkeit induziert in kanonischer Weise eine Ori-
entierung auf dem Rand der Untermannigfaltigkeit. Die Existenz ist Inhalt des nachsten
Satzes:
Satz 4.27. Sei (M, o) eine orientierte k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit mit Cα-
Rand ∂M . Dann gelten:
1) Die berandete Untermannigfaltigkeit M
:= M ∪ ∂M ist orientierbar. Ferner exis-
tiert eine eindeutige Orientierung o von M
mit (ϕ, T ) ∈ o fur alle (ϕ, T ) ∈ o.
2) Der Rand ∂M ist orientierbar und es gibt eine eindeutige von o induzierte Orien-
tierung ∂o des Randes ∂M .
3) Fur k ≥ 2 erhalt man einen einheitlichen Atlas von ∂M durch:
Ist (ϕ, T ) ∈ o eine randangepasste Karte, so definiere (ϕ′, T ′) durch
T ′ :=t′ ∈ Rk−1 : (0, t′) ∈ T
,
P ∈ C∞(T ′, T ), P : t′ 7→ (0, t′),
ϕ′ := ϕ P ∈ Cα(T ′, ∂M).
Definition 4.28. Die in Satz 4.27 erhaltene Orientierung von ∂M heißt die von o in-
duzierte Orientierung und wir bezeichnen sie mit ∂o.
Beweis von Satz 4.27. k = 1: Sei A ∈ o. Definiere
A := A ∪(ϕ, T ) : Karte von M
wie nachfolgend.
Fur p ∈ ∂M gibt es ϕ : (−1, 0] → M ∪ ∂M randangepasste Karte mit ϕ(0) = p.
Dann ist(ϕ∣∣(−1,0)
, (−1, 0))=:(ϕ, T
)eine Karte von M \ ∂M mit zusammenhangendem
Kartenblatt. Nach Lemma 4.25 ist
entweder(ϕ, T
)∈ o dann sei (ϕ, T ) := (ϕ, (−1, 0]) ∈ A und es sei ∂o(p) := +1.
oder(ϕ σ, σ(T )
)∈ o dann sei (ϕ, T ) := (ϕ σ, [0, 1)) ∈ A und es sei ∂o(p) := −1.
Auf diese Weise liefert A einen einheitlichen Atlas von M
. Setze o := [A]. Damit sind 1)
und 2) im Fall k = 1 bewiesen. Eindeutigkeit erhalt man, indem man beachtet, dass
der Ubergang zu einer weiteren Karte der obigen Form einen Diffeomorphismus auf dem
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
82 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
gemeinsamen Kartengebiet liefert und dort die Determinante nach Lemma 4.25 keinen
Vorzeichenwechsel haben kann.
m ≥ k ≥ 2: Sei A ∈ o. Definiere
A := A ∪(ϕ, T ) : Karte von M
wie nachfolgend.
Fur p ∈ ∂M gibt es eine randangepasste Karte (ϕ, T ) mit T ⊂off
Hk, ϕ(t) = p. Dann gibt
es ε > 0, so dass T := Bε(t) ∩ Hk ⊂ T . Dann ist(ϕ := ϕ
∣∣T, T)eine Karte von M
um p.
Setze T = T ∩Hk.
Dann ist(ϕ∣∣T, T)=: (ϕ, T
)eine Karte von M \ ∂M . Weil T zusammenhangend ist,
liefert Lemma 4.25
entweder(ϕ, T
)∈ o dann sei (ϕ, T ) := (ϕ, T ) ∈ A,
oder(ϕ σ, σ(T )
)∈ o dann sei (ϕ, T ) := (ϕ σ, σ(T )) ∈ A.
Dann liefert A einen einheitlichen Atlas und o := [A] ist eindeutig festgelegt. Mit der
gleichen Begrundung wie oben.
Wir zeigen nun 3), welches 2) impliziert.
Dazu seien(ϕ, T
), (ϕ, T ) ∈ o randangepasste Karten mit ϕ(T )∩ ϕ(T )∩∂M 6= ∅. Nach
Lemma 1.22 mit
U := ϕ−1(ϕ(T ) ∩ ϕ(T )
),
V := ϕ−1(ϕ(T ) ∩ ϕ(T )
),
f := Φϕϕ : U → V,
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes 83
ist f : U → V ein Cα-Diffeomorphismus und Φϕϕ∣∣UR
: UR → VR ebenfalls ein Cα-Diffeomorphismus, UR := U ∩ RdHk. Daher ist mit (ϕ′, T ′) und (ϕ′, T ′) wie in der
Konstruktion angegeben, die Abbildung
F := Φϕ′ϕ : U ′ :=t′ ∈ Rk−1 : (0, t′) ∈ U
→ V ′ :=
t′ ∈ Rk−1 : (0, t′) ∈ V
ein Cα-Diffeomorphismus. Fur einen einheitlichen Atlas bleibt zu zeigen DΦϕ′ϕ′
(t′) > 0
fur alle t′ ∈ U ′.
Weil die erste Komponente des Kartenwechsels Φϕϕ1 (t1, t
′) < 0 fur alle t1 < 0 erfullt
und außerdem Φϕϕ1 (0, t′) = 0 ist, ergibt sich ∂1Φ
ϕϕ1 (0, t′) = a11 ≥ 0 fur alle t′ ∈ U ′. Ferner
ist ∂iΦϕϕ1 (0, t′) = 0 fur i = 2, . . . , k. Also folgt
DΦϕϕ(0, t′) =
a11 0 · · · 0
∗...
∗DΦϕ′ϕ′
(t′)
.
Wegen des Vorzeichens von a11 ist
sgn detDΦϕϕ(0, t′) = sgn detDΦϕ′ϕ′
(t′).
Insgesamt ergibt die Einschrankung randangepasster Karten von M
aus o also einen
einheitlichen Atlas von ∂M .
Ubung 4.3.2. Sei M = (0, 1)2 ⊂ R2. Bestimmen Sie einen einheitlichen Atlas von
∂M (C1-Rand), der die von idM : M → M induzierte Orientierung hat. (Siehe Abbil-
dung 4.3.)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von
Stokes
In diesem Abschnitt erklaren wir zuerst das Integral von Differentialformen, danach
werden wir den Satz von Stokes beweisen. Eine Ruckubersetzung des Satzes von Stokes
in die aus der Physik bekannte Formulierung, sowie die Spezialfalle als Satz von Gauß
oder fur Pfaffsche Formen werden wir dann im nachsten Abschnitt besprechen.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
84 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Abbildung 4.3: Hinweis zu Aufgabe 4.3.2: Folgende Skizze visualisiert die induzierte Ori-
entierung des Randes fur den Fall eines Quaders.
Bei der Definition des Integrals von Differentialformen geht man wie folgt vor. Zuerst
erklart man das Integral einer k-Form fur Teilmengen des Rk, dann fuhrt man das
Integral einer k-Form auf einer k-dimensionalen Untermannigfaltigkeit mit Hilfe der
Rucktransformation (siehe Seite (4.9)) auf diesen Fall zuruck.
4.4.1 Integration von Differentialformen
Definition 4.29. Sei G ⊂ Mm und A ⊂ G eine (Lebesgue-) messbare Menge. Eine
Differentialform
ω = f dx1 ∧ . . . ∧ dxm ∈ Ωm(G)
heißt integrierbar uber A, falls f uber A integrierbar ist und man definiert in diesem
Fall ∫
A
ω :=
∫
A
f(x) dx (4.17)
als das Integral der m-Form ω uber die Menge A.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes 85
Das folgende Lemma kann als eine Art Transformationssatz fur m-Formen auf Teil-
mengen des Rm angesehen werden. Zu beachten ist die Voraussetzung der Orientierungs-
treue.
Lemma 4.30. Sind U, V ⊂off
Mm und ω ∈ Ωm(V ) eine integrierbare m-Form auf V .
Ferner sei ϕ ∈ C1(U, V ) ein orientierungstreuer Diffeomorphismus, d. h. detDϕ(t) > 0
fur alle t ∈ U , so gilt ∫
U
ϕ∗ω =
∫
V
ω. (4.18)
Ist dagegen ϕ ∈ C1(U, V ) ein orientierungsumkehrender Diffeomorphismus, also detDϕ(t) <
0 fur alle t ∈ U , so gilt ∫
U
ϕ∗ω = −∫
V
ω. (4.19)
Beweis. Nach §4.2 Beispiel 4.2.2 erhalten wir aus
ω = f dx1 ∧ . . . ∧ dxm
durch Zuruckholen mit ϕ die m-Form
ϕ∗ω = f ϕ detDϕdt1 ∧ . . . ∧ dtm.
Die Definition des Integrals liefert einerseits∫
V
ω =
∫
V
f(x) dx =
∫
V \∂Vf(x) dx, (4.20)
wobei im letzten Gleichheitszeichen benutzt wurde, dass das Integral unabhangig von
Anderungen auf der (Lebesgue-)Nullmenge V ∩ 0 × Rm−1 ist.
Ebenso erhalten wir unter Ausnutzung, dass ϕ ein Orientierungstreuer Diffeomorphis-
mus ist, die Identitaten∫
U
ϕ∗ω =
∫
U
f ϕ(t) detDϕ(t)dt =∫
U\∂Uf ϕ(t)
∣∣detDϕ(t)∣∣ dt (4.21)
welches nach dem Transformationssatz mit dem Integral in (4.20) ubereinstimmt, denn
ϕ : (U \ ∂U) → (V \ ∂V ) ist ein C1-Diffeomorphismus.
Der zweite Fall folgt einfach, indem man in (4.21) beachtet, dass | detDϕ(t)| =
− detDϕ(t) fur alle t ∈ U gilt.
Bei der Integration von Differentialformen uber Untermannigfaltigkeiten gehen wir
nun vor wie bei dem Integral von Funktionen uber Untermannigfaltigkeiten: Zuerst er-
klaren wir das Integral fur den Fall, dass eine Karte genugt und dann fuhren wir das
Integral im allgemeinen Fall mittels einer Zerlegung der Eins auf diesen Fall zuruck.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
86 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
1. Schritt: Eine Karte genugt
Definition 4.31. Sei M ⊂ Rm eine k-dimensionale C1-Untermannigfaltigkeit mit Ori-
entierung o und ω ∈ Ωk(M) eine k-Form. Ist (ϕ, T ) ∈ o eine Karte mit Kartengebiet
V = ϕ(T ) ⊂off
M , so dass ω∣∣M\V ≡ 0. Dann heißt ω integrierbar uber M , wenn, wenn
die nach T zuruckgeholte k-Form ϕ∗ω uber die Teilmenge T ⊂off
Mk integrierbar ist. In
diesem Fall setzt man ∫
(M,o)
:=
∫
T
ϕ∗ω. (4.22)
Bemerkung 4.32. Das Integral hangt von der Orientierung o ab, wie das Lemma 4.30
zeigt. Haufig geht man jedoch von einer fest gegebenen Orientierung aus und vernachlassigt
diese Abhangigkeit in der Notation.
Da die Wahl der Karte in keiner Weise eindeutig ist, muss noch gezeigt werden, dass
das Integral unabhangig von der Wahl der Karte ist, so lange sie gleich orientiert sind.
Satz 4.33. Das Integral in (4.22) ist wohldefiniert.
Beweis. Sei (ϕ, T ) ∈ o eine weitere Karte, deren Kartengebiet V = ϕ(T ) den Trager
von ω auf M enthalt ω∣∣M\V ≡ 0. Ohne Beschrankung der Allgemeinheit konnen wir
annehmen ϕ(T ) = ϕ(T ), denn sonst kann man die Einschrankung der Karte ϕ auf
ϕ−1(V ∩ V
)und ϕ auf ϕ−1
(V ∩ V
)betrachten und sieht, dass diese die selben Integrale
liefern. Nach Satz 1.7, welcher nach Abschnitt 1.3 auch fur berandete Mannigfaltigkeiten
gilt, ist der Kartenwechsel Φϕϕ : T → T ein orientierungstreuer Diffeomorphismus, da
die Karten vertraglich sind. Damit ergibt sich mit Lemma 4.30 und Satz 4.18 3)
∫
T
ϕ∗ω =
∫
T
(Φϕϕ
)∗(ϕ∗ω
)=
∫
T
(ϕ Φϕϕ
)∗ω =
∫
T
ϕ∗ω.
2. Schritt: Orientierter Atlas aus endlich vielen Karten
Wie schon beim Integral von Funktionen uber Untermannigfaltigkeiten, nehmen wir an,
dass alle Untermannigfaltigkeiten, die wir betrachten, endliche Atlanten besitzen. Fur
den allgemeinen Fall (abzahlbar vieler Karten) verweisen wir wieder auf die Literatur.
Definition 4.34. Sei M ⊂ Rm eine k-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit mit Ori-
entierung o. Es sei A ∈ o ein endlicher Atlas, bestehend aus Karten (ϕl, Tl), l = 1, . . . , p.
Außerdem sei (αl), l = 1, . . . , p, eine der Uberdeckung (Vl), l = 1, . . . , p, untergeordnete,
lokal integrierbare Zerlegung der Eins. Eine k-Form ω ∈ Ωk(M) heißt integrierbar uber
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes 87
M , wenn fur Vl := ϕl(Tl) die k-Form 1Vlω ∈ Ωk(Vl) fur jedes l = 1, . . . , p, integrierbar
ist. In diesem Fall definiert man∫
M
ω :=
p∑
l=1
∫
M
αlωl. (4.23)
Beachte, dass die auf der rechten Seite von (4.23) auftauchenden Integrale nach Defi-
nition 4.31 und Satz 4.33 wohldefiniert sind. Nun ist naturlich noch zu zeigen, dass die
Definition unabhangig von dem gewahlten Atlas aus o und unabhangig von der gewahl-
ten Zerlegung der Eins ist. Der Beweis ist analog zu Lemma 2.10.
Beweis. Sei (ϕi, Ti)i=1,...,q Atlas aus o und (αi)i=1,...,q eine der Uberdeckung Vi := ϕi(Ti),
i = 1, . . . , q, untergeordnete, lokal integrierbare Zerlegung der Eins.
1.) Fur alle i = 1, . . . , q ist 1Viω ∈ Ωk(Vi) integrierbar fur alle i = 1, . . . , q: Nach Vor-
aussetzung ist fur alle l ist 1VlVi
ω integrierbar (beachte fur die notwendige Messbarkeit
von ϕ∗(1VlVi
ω dass Vi ⊂off
M ist), also nach obiger Definition 4.34 integrierbar. Zudem
giltp∑
l=1
αl1Viω = 1Viω,
so dass, ebenfalls nach Definition 4.34, sowie der Eigenschaften des Integrals und der
Linearitat des Zuruckholens folgt
p∑
l=1
∫
M
αl1Viω =
p∑
l=1
∫
Tl
(ϕl)∗αl1Viω
Satz 4.33=
p∑
l=1
∫
Ti
(ϕi)∗(αl1Viω
)=
∫
Ti
(ϕi)∗(1Vi
ω)
die Integrierbarkeit von 1Viω.
2.) Nun folgt außerdem aus den Zerlegungen der 1:
p∑
l=1
αlαi = αi,
q∑
i=1
αlαi = αl.
Damit erhalten wir aus der Definition des Integrals bei Benutzung des Atlas A∫
M
αiω =
p∑
l=1
∫
M
αlαiω =
p∑
l=1
∫
Tl
(ϕl)∗(
αlαiω),
und bei Benutzung des Atlas A ergibt sich
∫
M
αlω =
q∑
i=1
∫
M
αlαiω =
q∑
i=1
∫
Tl
(ϕl)∗(
αlαiω),
Summation der beiden Gleichungen uber i bzw. l liefert die Behauptung.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
88 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Wir bemerken nun (ohne es wirklich auszufuhren), dass die Beweise von Satz 2.16 und
Folgerung 2.17, die die Unabhangigkeit des Integrals von Anderungen auf k-dimensionalen
Hausdorff-Nullmengen zeigen, sich direkt auf den hier betrachteten Fall ubertragen. Der
Grund ist, dass sie auf Satz 2.15 basieren, der zeigt, dass k-dimensionale Hausdorff-
Nullmengen unter Karten genau den Lebesgue-Nullmengen im Rk entsprechen und man
mittels Karten das Integral uber Untermannigfaltigkeiten auf das Standard-Lebesgue-
Integral zuruckfuhrt (wie wir auch mittels Rucktransformation fur das Integral von Dif-
ferentialformen gemacht haben).
Satz 4.35. Sei M ⊂ Rm eine k-dimensionale C1-Untermannigfaltigkeit des Rm mit
Orientierung o und ω, ω ∈ Ωk(M). Ist nun A := M \x ∈ M : ω(x) = ω(x)
eine
k-dimensionale Hausdorff-Nullmenge, so ist ω integrierbar uber M , genau dann, wenn
ω uber M integrierbar ist und es gilt∫
M
ω =
∫
M
ω.
Ubung 4.4.1. Beweisen Sie Satz 4.35.
Korollar 4.36. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.35 ist ω uber M integrierbar
genau dann, wenn es uber M \ A integrierbar ist, wobei A ⊂ M eine k-dimensionale
Hausdorff-Nullmenge ist. Es gilt∫
M
ω =
∫
M\Aω.
Bemerkung 4.37. Als Spezialfall erhalten wir, weil ∂M eine k − 1-dimensionale Un-
termannigfaltigkeit des Rm ist,∫
M
ω =
∫
M\∂Mω.
Ubung 4.4.2. Beweisen Sie Folgerung 4.36.
Wie schon beim Integral einer Funktion uber Untermannigfaltigkeiten, sind der Satz 4.35
und sein Korollar von ganz praktischem Interesse, denn in vielen Fallen kann man eine
Untermannigfaltigkeit, abgesehen von einer Nullmenge, mit einer einzigen Karte be-
schreiben. Damit lasst sich dann das Integral duch Zuruckholen mit dieser Karte be-
rechnen und man benotigt nicht mehrere Karten und auch keine Zerlegung der Eins.
Ein einfaches Beispiel sind die kompakten (unberandeten) Untermannigfaltigkeiten Sk,
die keinen einelementigen Atlas besitzen!
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes 89
4.4.2 Der Satz von Stokes
Nun kommen wir endlich zum Ziel unserer Muhen, dem Satz von Stokes. Als erstes
beweisen wir eine einfache Version, auf die wir dann den allgemeinen Fall (wieder mit
einer Zerlegung der 1) zuruckfuhren.
Satz 4.38. Sei ω eine k− 1-Form, k ≥ 1 auf Hk, mit ω ∈ Ωk−11 (Hk) und ω ∈ Ωk−1
0 (Hk).
Außerdem sei K = Trg(ω) =t ∈ Hk : ω(t) 6= 0
⊂ Hk
kompakt. Dann gilt
∫
Hk
dω =
∫
∂Hk
ω (4.24)
und im Fall k = 1 auch ω ∈ Ωk−11 (−Hk) und ω ∈ Ωk−1
0 (−Hk) und
∫
−H1
dω =
∫
∂(−H1)
ω. (4.24’)
Beweis.”k = 1“: Fur k = 1 ist im ersten Fall ω = f ∈ C1
((−∞, 0)
)∩ C0
((−∞, 0]
).
Beachte, dass die induzierte Orientierung des Randes 0 von (−∞, 0) nach Satz 4.27
in diesem Fall ∂o(0) = +1 ist. Damit lautet die Aussage (4.24)
∫((−∞,0),o
) f ′(x) dx =
∫
(0,∂o)
f(x) = f(0),
was gerade das Ergebenis des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung ist. Im
zweiten Fall erhalt man ω = f ∈ C1((0,∞)
)∩C0
([0,∞)
)und die induzierte Orientierung
des Randes 0 von (0,∞) ist ∂o(0) = −1, so dass (4.24’)
∫((0,∞),o
) f ′(x) dx =
∫
(0,∂o)
f(x) = −f(0),
wieder dem Hauptsatz entspricht.
”k ≥ 2“: Wir schreiben ω in der kanonischen Basis in der Form
ω =k∑
i=1
(−1)i−1fi dt1 ∧ . . . ∧ dti ∧ . . . ∧ dtk
mit f = (f1, . . . , fk)⊤ ∈ C1(Hk,Rk) ∩ C0(Hk,Rk).
Nach Voraussetzung gibt es L > 0 mit
Trg(f) ⊂ HL2:=t ∈ Rk : t1 ≤ 0, |tj | ≤
L
2, j = 2, . . . , k
.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
90 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Abbildung 4.4: Skizze zur Lage des Tragers von ω und der Mengen im Beweis von
Satz 4.38.
Nach Beispiel 4.2.1 ist
dω = div f dt1 ∧ . . . ∧ dtk.
Mit der kanonischen Karte (idHL, HL) von HL und der induzierten Karte
ϕ′ = idHLP :
t′ ∈ Rk−1 : ‖t′‖∞ < L
→ ∂HL ∩ Rd Hk
(t′1, . . . , t′k−1) 7→
(0, t′1, . . . , t
′k−1
)
erhalten wir
(ϕ′)∗ω =(idHL
P)∗ω = P ∗(id∗
HLω)
=
p∑
i=1
(−1)i−1fi P dP1 ∧ . . . ∧ dPi ∧ . . . ∧ dPk = f1 P dt′1 ∧ . . . ∧ dt′k−1.
Insgesamt berechnen wir nun∫
Hk
dω =
∫
HL
div f dt1 ∧ . . . ∧ dtk =∫
Hl
div f(x) dx
Gauß=
∫
∂HL
〈f(x), ν(x)〉 dS(x) =∫
∂HL∩RdHk
〈f(x), e1〉dS(x)
=
∫
t′∈Rk−1:‖t′‖∞<Lf1(0, t
′1, . . . , t
′k−1)
√g(t′)︸ ︷︷ ︸=1
dt′ =
∫
t′∈Rk−1:‖t′‖∞<L
(f1 P
)(t′) dt′
=
∫
t′∈Rk−1:‖t′‖∞<L(ϕ′)∗ω =
∫
∂Hk
ω.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.4 Integration von Differentialformen und der Satz von Stokes 91
Auf diesen Satz fuhren wir nun den Satz von Stokes 4.40 zuruck, indem wir eine glatte
Zerlegung der 1 zum Lokalisieren benutzen.
Lemma 4.39. Sei M =M∪∂M ⊂ Rm eine k-dimensionale berandete C2-Untermannigfaltigkeit,
K ⊂M kompakt und (Vl)l=1,...,p relativ M offene Teilmengen von M mit M ⊂ ⋃l=1,...,p Vl.
Dann gibt es ψl ∈ C∞0 (Rm,R) mit
1) ψl ≥ 0,
2) Trgψl ∩M ⊂ Vl,
3)∑p
l=1 ψ(x) = 1 fur alle x ∈ K.
Beweis. Weil Vl ⊂off
M , gibt es Ul ⊂off
Rm mit Vl = M ∩ Ul fur alle l = 1, . . . , p. Die
(Ul)l=1,...,p sind eine offene Uberdeckung von K und damit gibt es nach 3.6 Funktionen ψl
mit den Eigenschaften 1) und 3), die außerdem Kompakten Trager Trgψl = Kl ⊂kompakt
Ul
haben. Da Vl = Ul ∩M folgt auch 2).
Satz 4.40 (Satz von Stokes). Sei G ⊂off
Rm und M ⊂ G eine k-dimensionale C2-
Untermannigfaltigkeit mit Orientierung o, M ⊂ G und C2-Rand ∂M . Sei M
:=M ∪∂Mmit Orientierung o und sei ∂o die induzierte Orientierung auf dem Rand.
Dann gilt fur ω ∈ Ωk−11 (G) mit
K := Trgω ∩M ⊂kompakt
M
die Identitat ∫
(M,o)
dω =
∫
(∂M,∂o)
ω. (4.25)
Beweis. Sei A ∈ o endlicher Atlas von M
aus randangepassten Karten (ϕl, Tl)l=1,...,p,
ϕl ∈ C2(Tl,Rm). Die Kartengebiete Vl := ϕl(Tl), l = 1, . . . , p liefern eine relativM
offene
Uberdeckung von M . Nach Lemma 4.39 gibt es dann eine glatte Zerlegung der Eins
(ψl)l=1,...,p mit den Eigenschaften 1)–3).
Dann ist ω =∑p
l=1 ψlω und fur l = 1, . . . , p ist ψlω ∈ Ωk−11 (G), der Trager von ψlω
erfullt
Trg(ψlω) ∩M = Trg(ψlω) ∩M
=: Kl ⊂kompakt
Vl.
Die nach Tl zuruckgeholte Differentialform ϕ∗l
(ψlω)gehort zu Ωk−1
1 (Tl) und
Trg(ϕ∗l (ψlω)
)= ϕ−1
l (Kl) ⊂kompakt
Tl ⊂off
Hk.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
92 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
(Im Fall k = 1 ist auch Tl ⊂off
[0,∞) moglich.) Indem man ϕ∗l (ψlω) konstant durch 0 auf
Hk (oder auch [0,∞)) fortsetzt (wir schreiben dafur wieder ϕ∗l (ψlω)), erhalt man
ϕ∗l (ψlω) ∈ Ωk−1
1 (Hk) (oder Ω01([0,∞)) = C1([0,∞)))
mit kompaktem Trager in Hk (oder [0,∞)). Dann liefert Satz 4.38
∫
Hk
d(ϕ∗l (ψlω)
)=
∫
∂Hk
ϕ∗l (ψlω). (4.26)
Wir untersuchen nun die linke und die rechte Seite von (4.26):
Linke Seite: Indem wir die Eigenschaft, dass die außere Ableitung mit dem Zuruck-
holen vertauscht, sowie die Definition des Integrals einer Differentialform uber eine Un-
termannigfaltigkeit (mit nur einer Karte) benutzen, erhalten wir
∫
Hk
d(ϕ∗l (ψlω)
)=
∫
Tl∩Hk
d(ϕ∗l (ψlω)
)=
∫
Tl∩Hk
ϕ∗l d(ψlω)=
∫
(M,o)
d(ψlω). (4.27)
Rechte Seite: Die von (ϕl, Tl) induzierte Karte aus ∂o ist nach Satz 4.27 gegeben durch
(ϕl, T′l ) mit T ′
l =t′ ∈ Rk−1 : (0, t′) ∈ Tl
und
ϕ′l = ϕl P, P : T ′
l → Tl, t′ 7→ P (t′) = (0, t′).
Damit ergibt sich fur die rechte Seite
∫
∂Hk
ϕ∗l (ψlω) =
∫
Tl∩∂Hk
ϕ∗l
(ψlω)=
∫
T ′
l
P ∗(ϕ∗l (ψlω)
)
=
∫
T ′
l
(ϕl P )∗(ψlω)=
∫
(∂M,∂o)
ψlω. (4.28)
Summation uber alle l liefert dann die Behauptung.
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von
Stokes
4.5.1 Pfaffsche Formen
In diesem Abschnitt sei nun k = 1. 1-Formen heißen auch Pfaffsche Formen. Es sei
G ⊂off
Rm und M eine 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rm, die gegeben ist als
das Bild M = ϕ((a, b)
)einer Einbettung ϕ ∈ C2([a, b],Rm) mit M := ϕ([a, b]) ⊂ G.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von Stokes 93
Die Orientierung o von M sei gerade durch diesen aus der Karte(ϕ, (a, b)
)bestehenden
Atlas gegeben. Aus ϕ kann man leicht eine randangepasste Karten machen und enthalt
dementsprechend die induzierte Orientierung auf dem Rand ∂o, siehe Satz 4.27. Konkret
erhalt man in diesem Fall
ϕa :[0, b− a) → M
t 7→ ϕ(a+ t), Orientierung: ∂o(a) = −1,
ϕb :(a− b, 0] → M
t 7→ ϕ(t+ b), Orientierung: ∂o(b) = +1.
Wir betrachten nun eine 0-Form (Funktion) ω = f ∈ Ω01(G) und berechnen direkt mit
der Definition (ohne den Satz von Stokes zu benutzen),
∫
M
dω =
∫
M
k∑
i=1
∂f
∂xidxi =
∫
(a,b)
ϕ∗(dω)
=
∫
(a,b)
k∑
i=1
∂f
∂xi
(ϕ(t)
)∂ϕi∂t
(t) dt =
∫
(a,b)
⟨Df(ϕ(t)
), Dϕ(t)
⟩dt =
∫
(a,b)
d
dt
(f ϕ
)(t) dt
= f(ϕ(b)
)− f
(ϕ(a)
)=
∫
∂M
ω.
In diesem Fall bedeutet der Satz von Stokes 4.40 also nichts anderes als der Hauptsatz
der Differential- und Integralrechnung fur Kurven.
4.5.2 Der Satz von Gauß
Vorbereitend erklaren wir das Kreuzprodukt von m − 1 Vektoren im Rm. Wie wir se-
hen werden, taucht dies beim Zuruckholen einer m − 1-Form im Rm auf (siehe Bei-
spiel 4.2.2 1)).
Lemma 4.41. Seien a1, . . . , am−1 ∈ Rm, A =(a1 . . . am−1
). Der Vektor w ∈ Rm,
definiert durch
w =
w1
...
wm
= a1 × · · · × am−1, mit wi = (−1)i−1 detAi, (4.29)
wobei Ai durch Streichen der i-ten Zeile von A entsteht, hat folgende Eigenschaften:
1. w ist der eindeutige Vektor im Rm mit
〈b, w〉 = det(b a1 · · · am−1
)∀b ∈ Rm, (4.30)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
94 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
2. w ist der eindeutige Vektor im Rm mit
a) 〈w, ai〉 = 0 fur i = 1, . . . ,m− 1 und
b) ‖w‖2 = det(w a1 · · · am−1
).
3. ‖w‖ =√det(A⊤A
).
Beweis. 1. Bei b 7→ det(b a1 · · · am−1
)handelt es sich um eine lineare Ab-
bildung Rm → R und diese hat also eine eindeutige darstellende Matrix. Da
b 7→ 〈b, w〉 = w⊤b, muss diese darstellende Matrix gerade durch w⊤ gegeben sein.
Somit ist w durch die Beziehung (4.30) eindeutig festgelegt und die Komponenten
von w erhalt man, indem man b = ei in die Beziehung (4.30) einsetzt.
2. Dass der in (4.29) definierte Vektor a) und b) erfullt ist klar. Bleibt Eindeutigkeit.
Sei w ∈ Rm gegeben mit den Eigenschaften a) und b). O. B. d. A. sind a1, . . . , am−1
linear unabhangig, sonst ist w = 0 nach b). Damit ist w ∈ ker(A⊤) = cw : c ∈ R,denn dim ker(A⊤) = 1. Aus b) und 1. folgt dann
‖w‖2 = c2‖w‖2 = det(cw a1 · · · am−1
)= c‖w‖2
und damit c = 1.
3. Die Abbildung
(Rm)m−1
: (a1, . . . , am−1) 7→
√√√√m∑
i=1
(detAi
)2
erfullt (siehe Seite 23):
Skalierungseigenschaft: Fur alle λ ∈ R, i ∈ 1, . . . ,m− 1:∥∥∥a1 × . . .× λai × . . .× am−1
∥∥∥ = |λ|∥∥∥a1 × . . .× am−1
∥∥∥,
Scherungseigenschaft Fur alle i, j ∈ 1, . . . ,m− 1:∥∥∥a1 × . . .× (ai + aj)× . . .× am−1
∥∥∥ =∥∥∥a1 × . . .× am−1
∥∥∥,
Normiertheit Fur alle orthonormierten a1, . . . , am−1 gilt
∥∥∥a1 × . . .× am−1
∥∥∥ = 1.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von Stokes 95
Damit folgt die Behauptung aus der entsprechenden Ubung zur Abbildung volk
(siehe Ubung 2.1.1).
Von nun an sei M ⊂off
Rm und M ⊂ G ⊂off
Rm, M
= M ∪ ∂M berandete C2-
Untermannigfaltigkeit mit kanonischer Orientierung o. Ferner sei
ω =m∑
i=1
(−1)i−1fi dx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxm ∈ Ωm−11 (G),
mit Trgω ∩ M ⊂kompakt
M
. Wir begnugen uns damit, den Fall einer randangepassten
Karte (ϕ, T ) ∈ o mit Trgω ∩ M ⊂ ϕ(T ) zu betrachten. Der allgemeine Fall folgt wieder
mit einer glatten, der Uberdeckung durch Kartengebiete untergeordneten Zerlegung der
Eins.
Es ist dω = div f dx1∧· · ·∧dxm nach Beispiel 4.2.1 2). Mit der Definition des Integrals
einer Differentialform erhalten wir∫
M
dω =
∫
M
div f(x) dx. (4.31)
Nun sei ϕ′ = ϕ P die induzierte Karte des Randes ∂M (siehe Satz 4.27)
ϕ′ :T ′ ⊂ Rm−1 → Rm,
t′ 7→ ϕ′(t′) = ϕ P (t′) = ϕ(0, t′1, . . . , t
′m−1
).
Daher ergibt sich mit Beispiel 4.2.1 1):
(ϕ′)∗ω =
m∑
i=1
fi ϕ′ (−1)i−1 det(Dϕ′
1,...,i,...,m
)︸ ︷︷ ︸
=(νϕ
)i‖νϕ‖
dt′1 ∧ · · · ∧ dt′m−1. (4.32)
Lemma 4.42. Der Vektor νϕ(t′), gegeben durch
νϕ(t′) =
1∥∥∂1ϕ′(t′)× · · · ∂m−1ϕ′(t′)∥∥ ·((−1)i−1 det
(Dϕ′
1,...,i,...,m(t′)))m
i=1
fur t′ ∈ T ′ ist der außere Normalenvektor an M in ϕ′(t′) ∈ ∂M , d. h. fur alle t′ ∈ T ′
νϕ′(t′) = ν(ϕ(0, t′)
).
Beweis. Nach Lemma 4.41 ist
νϕ′(t′) =∂1ϕ
′(t′)× · · · × ∂m−1ϕ′(t′)∥∥∂1ϕ′(t′)× · · · × ∂m−1ϕ′(t′)∥∥ ∈ Tϕ(0,t′)M (∼= Rm)
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
96 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
senkrecht zu Tϕ(0,t′)∂M , denn ∂1ϕ′(t′), . . . , ∂m−1ϕ
′(t′) bilden eine Basis von Tϕ(0,t′)∂M .
Weil ‖νϕ′(t′)‖ = 1 genugt es zu zeigen νϕ′(t′) ∈ Tϕ(t)M+. Da (ϕ, T ) Karte von M um
ϕ(0, t′) = ϕ′(t′) ist, erhalten wir fur (α1, . . . , αm)⊤ ∈ Rm:
Tϕ(0,t′)M ∋ νϕ′(t′) = dϕ0,t′
α1
...
αm
= ∂1ϕ(0, t
′)α1 + ∂2ϕ(0, t′)α2 + . . . = ∂mϕ(0, t
′)αm
= ∂1ϕ(0, t′)α1 + ∂2ϕ
′(t′)α2 + . . .+ ∂m−1ϕ′(t′)αm.
Damit ergibt sich unter Benutzung der Scherungsinvarianz der Determinante
0 < det(νϕ′(t′) ∂1ϕ
′(t′) · · · ∂m−1ϕ′(t′)
)=∥∥νϕ′(t′)
∥∥2
= α1 det(∂1ϕ(0, t
′) ∂2ϕ(0, t′) · · · ∂mϕ(0, t
′)),
so dass α1 > 0 weil (ϕ, T ) ∈ o. Damit ist νϕ′(t′) ∈ Tϕ(0,t′)M+, also nach Ubung 1.3.4
eindeutig festgelegter außerer Normalenvektor an M in ϕ(0, t′) ∈ ∂M .
Damit hangt νϕ′(t) nicht von der Wahl der Karte ab, d. h.((−1)i−1 det
(Dϕ′
1,...i,...,m(t′)))m
i=1= ν
(ϕ(0, t′)
)∥∥∂1ϕ′(t′)× · · · × ∂m−1ϕ′(t′)∥∥
= ν(ϕ(0, t′)
)√detDϕ′(0, t′)⊤Dϕ′(0, t′).
Einsetzen in (4.32) ergibt(ϕ′)∗ω =
⟨f ϕ′, ν ϕ′⟩√detDϕ′(0, t′)⊤Dϕ′(0, t′)dt′1 ∧ · · · ∧ dt′m−1.
Damit ergibt sich mit der Definition des Integrals einer m − 1-Form uber eine m − 1-
dimensionale Untermannigfaltigkeit und der Definition einer Funktion uber eine m− 1-
dimensionale Untermannigfaltigkeit:∫
(∂M,∂o)
ω =
∫
T ′
(ϕ′)∗ω =
∫
T ′
⟨f ϕ′(t′), ν ϕ′(t′)
⟩√detDϕ′(t′)⊤Dϕ′(t′) dt
=
∫
∂M
〈f, ν〉, dS(x). (4.33)
In diesem Spezialfall ergibt der Satz von Stokes 4.40 mit (4.31) und (4.33)∫
M
div f(x) dx =
∫
M
dω =
∫
∂M
ω =
∫
∂M
〈f, ν〉 dS(x),
also den Gaußschen Integralsatz 3.1.
Bemerkung 4.43. Weil wir den Satz von Stokes nicht mit Singularitaten bewiesen
haben, ist die Version des Satzes von Gauß, die wir hier erhalten naturlich nicht so
allgemein, wie die, die wir in Kapitel 3 bewiesen haben.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von Stokes 97
4.5.3 Der klassische Satz von Stokes
Sei M ⊂ R3 eine 2-dimensionale C2-Untermannigfaltigkeit mit C2-Rand ∂M , d. h.
M
:= M ∪ ∂M ist eine 2-dimensionale berandete C2-Untermannigfaltigkeit. Es sei M
orientierbar und habe die Orientierung o.
Um die klassische Formulierung des Satzes von Stokes angeben zu konnen, benotigen
wir zuerst ein Einheitsnormalenfeld auf der Mannigfaltigkeit M . Wir erklaren dies nicht
allgemein (siehe dazu zum Beispiel [3]), sondern geben es nur im Spezialfall einer 2-
dimensionalen Untermannigfaltigkeit an.
Lemma 4.44. Es gibt ein eindeutiges Vektorfeld ν :M → R3 auf M mit:
1) Fur alle p ∈M gilt
〈ν(p), v〉 = 0 ∀v ∈ TpM.
2) Fur alle p ∈M und alle (ϕ, T ) ∈ o mit ϕ(t) = p gilt
det(ν(p) ∂1ϕ(t) ∂2ϕ(t)
)> 0.
3) Fur alle p ∈M gilt ‖ν(p)‖ = 1.
Bemerkung 4.45. Fur den allgemeinen Fall einer Hyperflache beachte, dass wir oben
gesehen haben, dass ein Vektor mit den Eigenschaften 1) und 2) sich mit Hilfe des
Kreuzproduktes definieren lasst.
Ferner sehen wir, dass die Bedingung 2) eine Richtung des Vektorfeldes ν festlegt.
Genauer sieht man, dass die entgegengesetzte Orientierung der Hyperflache auch den
Vektor ν in die andere Richtung zeigen lasst. Man kann die Orientierung einer Mannig-
faltigkeit dementsprechend auch mit Hilfe eines Vektorfeldes wie in Lemma 4.44, welches
nirgends verschwindet, erklaren. Fur Details verweisen wir aber auf die Literatur.
Beweis. Weil dimTpM = 2 folgt aus 1) das ν(p) = cν0 ist, wobei ν0 den 1-dimensionalen
Unterraum TpM⊥ erzeugt. Weil ν(p) nach 3) normiert ist, folgt
ν(p) = ǫν0
‖ν0‖,
wobei ǫ ∈ −1,+1.Nun sei (ϕ, T ) eine Karte von M um p, ϕ(t) = p. Dann folgt aus der Bedingung 2)
die Ungleichung
det
(ǫν0
‖ν0‖∂1ϕ(t) ∂2ϕ(t)
)=
ǫ
‖ν0‖det(ν0 ∂1ϕ(t) ∂2ϕ(t)
)> 0.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
98 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Damit ist ǫ eindeutig fur diese Karte festgelegt.
Ist (ϕ, T ) ∈ o eine weitere Karte von M um p = ϕ(t), so folgt mit der Kettenregel
und der Definition der Orientierung
ϕ = ϕ Φϕϕ,
wobei Φϕϕ ein orientierungstreuer Diffeomorphismus ist, d. h. detDΦϕϕ(t) > 0. Mit dem
Determinantenmultiplikationssatz folgt
det(ν(p) ∂1ϕ(t) ∂2ϕ(t)
)= det
(ν(p) Dϕ(t)
)
= det
(ν(p) Dϕ
(Φϕϕ(t)
)DΦϕϕ(t)
)
= det((
ν(p) Dϕ(t)) 1 0
0 DΦϕϕ(t)
︸ ︷︷ ︸det >0
)> 0.
Damit ist die Definition unabhangig von der Wahl der Karte.
Zusammen mit Lemma 4.41 ergibt sich
ν(p) =∂1ϕ(t)× ∂2ϕ(t)
‖∂1ϕ(t)× ∂2ϕ(t)‖= ν
(ϕ(t)
). (4.34)
Desweiteren brauchen wir fur die klassische Version des Satzes von Stokes auch noch
ein Einheitstangentialfeld auf dem Rand ∂M der 2-dimensionalen Untermannigfaltigkeit
M , welcher nach Satz 1.24 eine 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit ist.
Lemma 4.46. Es gibt ein eindeutiges Vektorfeld τ : ∂M → R3 mit den Eigenschaften
1) Fur alle p ∈ ∂M gilt
τ(p) ∈ Tp∂M.
2) Fur alle p ∈M und alle (ϕ, T ) ∈ ∂o (induzierte Orientierung) mit ϕ(t) = p gilt
〈τ(p), ∂ϕ(t)〉 > 0.
3) Fur alle p ∈M gilt ‖τ(p)‖ = 1.
Beweis. Wegen dimTp∂M = 1 folgt aus 1) und 3)
τ(p) = ±v0,
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
4.5 Spezialfalle und Ruckubersetzung des Satzes von Stokes 99
wobei v0 ∈ Tp∂M ein Erzeugendenvektor ist und ‖v0‖ = 1 hat. (Naturlich ist jeder
Vektor aus Tp∂M \ 0 ein Erzeugendenvektor.) Aus 2) folgt dann
〈ǫv0, ∂ϕ(t)〉 = ǫ〈v0, ∂ϕ(t)〉 > 0
fur genau ein Vorzeichen ǫ = +1 oder ǫ = −1. Damit ist τ(p) fur die Karte (ϕ, T )
eindeutig festgelegt.
Sei (ϕ, T ) eine weiter Karte aus ∂o um p, ϕ(t) = p. Wie im Beweis von Lemma 4.44
folgt
〈τ(p), ∂ϕ(t)〉 =⟨τ(p), ∂ϕ(t)DΦϕϕ(t)︸ ︷︷ ︸
>0
⟩,
so dass die Bedingung 2) unabhahngig von der Karte ist.
Insbesondere sehen wir τ(p) = ∂ϕ(t)‖∂ϕ(t)‖ fur eine (und damit wegen Eindeutigkeit jede)
Karte (ϕ, T ) ∈ ∂o um p.
Nun konnen wir die klassische Formulierung des Satzes von Stokes angeben:
Es ist (siehe Beispiel 4.2.1 1))
ω = f1 dx1 + f2 dx2 + f3 dx3 ∈ Ω11(R
3),
dω = rot f⊤
dx2 ∧ dx3dx3 ∧ dx1dx1 ∧ dx2
Wir nehmen, wie schon beim Folgern des Satzes von Gauß aus dem Satz von Stokes 4.40
in Abschnitt 4.5.2, an, dass es genugt eine Karte zu betrachten. Der allgemeine Fall
ergibt sich wieder mit Hilfe einer Zerlegung der Eins.
Sei (ϕ, T ) ∈ o eine randangepasste Karte von M
und es gelte Trgω ∩ M ⊂kompakt
ϕ(T ).
Dann folgt
ϕ∗dω =3∑
i=1
(rot f ϕ
)i(−1)i−1 detDϕ1,...,i,...,3︸ ︷︷ ︸=νϕ ‖νϕ‖=ν·‖∂1ϕ×∂2ϕ‖
dt1 ∧ dt2
= 〈rot f ϕ, ν ϕ〉√
detDϕ⊤Dϕdt1 ∧ dt1,
so dass wir fur die linke Seite von (4.25) des Satzes von Stokes 4.40 die Identitat
∫
M
dω =
∫
T
〈rot f ϕ, ν ϕ〉√g(t) dt =
∫
M
〈rot f, ν〉 dS(x) (4.35)
erhalten.
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
100 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Um das Randintegral auf der rechten Seite von (4.25) des Satzes von Stokes 4.40
berechnen zu konnen, sei nun (ϕ′, T ′) die von (ϕ, T ) gemaß Satz 4.27 3) induzierte Karte
von ∂M , also
T ′ = t′ ∈ R : (0, t′ ∈ T ), ϕ′ = ϕ P, ∂tϕ′ = ∂2ϕ.
Damit erhalten wir fur die zuruckgeholte Differentialform auf dem Rand
(ϕ′)∗ω =
3∑
i=1
fi ϕ′∂ϕ′i
∂tdt = 〈f ϕ′, τ ϕ′〉 ‖∂tϕ′‖︸ ︷︷ ︸
=√
detDϕ′⊤Dϕ′
dt.
Insgesamt erhalten wir fur die rechte Seite von (4.25) die Identitat
∫
∂M
ω =
∫
T ′
(ϕ′)∗ω =
∫
T ′
〈f ϕ′(t), t ϕ′(t)〉√g(t) dt =
∫
∂M
〈f, τ〉 ds(x), (4.36)
wobei ds(x) symbolisch fur ein Kurvenintegral steht. (Dieses kann man auch formal in
den Differentialformen-kalkul einpassen, das uberlassen wir aber dem Leser.) Insgesamt
wird also aus ∫
M
dω =
∫
∂M
ω
mit den Identitaten (4.35) und (4.36) die Gleichung
∫
M
〈rot f, ν〉 dS(x) =∫
∂M
〈f, τ〉 ds(x).
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
104 4 Differentialformen und der Stokessche Integralsatz
Analysis auf Mannigfaltigkeiten (Jens Rottmann-Matthes)
A Notationen
m Dimension des umgebenden Raumes
k Dimension der Mannigfaltigkeit
M,N Mannigfaltigkeiten
U, V,W offene Teilmengen
T Kartenblatt
ϕ Karte
ϕ(T ) Kartengebiet
f, g Funktionen auf den Mannigfaltigkeiten
x ∈M , y ∈ N Variablen auf den Mannigfaltigkeiten
t, ti Variablen auf dem Kartengebiet (lokale Koordinaten)
TxM Tangentialraum im Punkte x
TM Tangentialbundel zur Mannigfaltigkeit M
Df(x) Jacobimatrix
d fx Differential der Funktion f im Punkte x (Abbildung TxM → Tf(x)N)
⊂off
(relativ) offene Teilmengen
x = (x1, . . . , xm) Indizes eines Vektors
x0 fest gewahlter Punkt
I Einheitsmatrix
id Identitatsabbildung
ker Kern einer linearen Abbildung
Bild Bild einer Abbildung
N Menge der naturlichen Zahlen 0, 1, 2, . . .
N∗ Menge der naturlichen Zahlen ohne die Null
n Außerer Normalenvektor an ∂M in p: n(p) =(p, ν(p)
)∈ TpM
Lk(V,W ) Menge der k-Linearformen von V k nach W
Lk(V ) Menge der k-Linearformen von V k nach R
Sk Menge der Permutationen von k Elementen
Λk(V ∗) Menge der alternierenden k-Linearformen auf V
Ωk(U) Menge der Differentialformen k-ter Ordnung auf U (k-Formen)
Ωkr(U) Menge der r-mal stetig differenzierbaren k-Formen auf U
Mk steht fur Rk, oder Hk oder [0,∞) falls k = 1
d Außere Ableitung
dxI abkurzende Schreibweise fur dxi1 ∧ . . . ∧ dxik , wobei I = (i1, . . . , ik)
Literaturverzeichnis
[1] Ilka Agricola and Thomas Friedrich. Vektoranalysis. Differentialformen in Analysis,
Geometrie und Physik. Wiesbaden: Vieweg+Teubner, 2nd revised and enlarged ed.
edition, 2010.
[2] Herbert Amann and Joachim Escher. Analysis II. 2nd corrected ed. Basel:
Birkhauser, 2nd corrected ed. edition, 2006.
[3] Herbert Amann and Joachim Escher. Analysis III. 2nd ed. Basel: Birkhauser, 2nd
ed. edition, 2008.
[4] Otto Forster. Analysis 3: Maß- und Integrationstheorie, Integralsatze im Rn und
Anwendungen. Wiesbaden: Springer Spektrum, 7th revised ed. edition, 2012.
[5] Otto Forster. Analysis 1. Differential- und Integralrechnung einer Veranderlichen.
Heidelberg: Springer Spektrum, 11th revised ed. edition, 2013.
[6] M.R. Hestenes. Extension of the range of a differentiable function. Duke Math. J.,
8:183–192, 1941.
[7] Klaus Janich. Vektoranalysis. Berlin: Springer, 3. aufl. edition, 2001.
[8] Konrad Konigsberger. Analysis 2. 5., korrigierte Aufl. Berlin: Springer, 5., korri-
gierte aufl. edition, 2004.
[9] Serge Lang. Real and functional analysis. 3. ed. New York: Springer-Verlag, 3. ed.
edition, 1993.
[10] Georg Nobeling. Integralsatze der Analysis. Walter de Gruyter, Berlin, New York,
1978.
[11] M. Spivak. Calculus on manifolds. A modern approach to classical theorems of
advanced calculus. Mathematics Monograph Series. W.A. Benjamin, Inc., 1965.
Index
(M, o), 78
(ϕ, T ) ∈ o, 78
−o, 78Lk(V ), 59
Lk(V,W ), 58
Alt, 61
Λ0(V ∗), 60
Λk(V ∗), 60
Ωk(U), 66
M
k, 66
⊗, 59
∧, 62k-Form siehe Dfferentialform, 66
o, 78
Ableitung, siehe Differential
außere Ableitung, 67
außeres Produkt, 62
∼ von k-Formen, 67
Assoziativitat, 62
Vertauschungsregel, 62
alternierende k-Linearform, 60
Basis, 64
Atlas, 2
aquivalenter ∼, 78
einheitlicher ∼, 78
auserer Normalenvektor, 22
Basis von Λk, 64
Basis von Lk(V ), 59
Dachprodukt, 62
Diffeomorphismus, 2
Differential, 11
Differentialform, 66
duale Basis, 59
Einbettung, 2
Faserdarstellung, 3
Gramsche Determinante, 24
∼ fur einen Graphen, 29
Graphendarstellung, 4
Halbraum, 15
Hausdorff-Nullmenge, 31
Homoomorphismus, 1
Inneres, 16
inneres Produkt, 12
Integral
∼ einer Differentialform, 84
integrierbar, 26, 27
∼ uber A, 28
integrierbare Differentialform
∼ uber A, 84
∼ uber M , 86
integrierbare Differentialform
∼ uber M , 87
integrierbare Menge, 28
Jacobimatrix, 2
Karte, 2
globale ∼, 2
Karten
gleich orientierte ∼, 78
randangepasst, 77
vertragliche ∼, 78
Kartenblatt, 2
Kartengebiet, 2
Kartenwechsel, 8
Linearform
0-Linearform, 58
k-Linearform, 57
Maßtensor, 24
Multilinearform, 57
alternierende ∼, 58
symmetrische ∼, 58
orientierbar, 78
Orientierung, 77, 78
entgegengesetzte ∼, 78
kanonische ∼, 80
orientierungstreu, 80
partielle Integration, 38
Permutation, 58
Pfaffsche Form, 92
Plattung, 3
positiv orientiert bezuglich o, 80
positiv orientiert, 80
Rand, 16
randangepasste Karten siehe Krten, 77
Randpunkt, 16
Relativtopologie, 1
Satz
∼ von Stokes, 91
∼ von Lebesgue, 30
Spat, 23
Tangential, siehe Differential
Tangentialabbildung, siehe Differential
Tangentialraum, 10, 11
Tangentialvektor, 10
Tensor, 59
Tensorprodukt, 59
Eigenschaften, 59
Totalableitung, siehe Differential
Untermannigfaltigkeit, 2
berandet, 16
geschlossene ∼, 7
orientierbare ∼, 78
Volumen
volk, 23, 28
Zerlegung der Eins
lokal integrierbare ∼, 27
Glatte ∼ auf M , 91
Glatte ∼, 43
Zuruckholen
einer k-Form, 73
einer k-Linearform, 72