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165 42 Anamnese Ein 67-jähriger Rentner stellt sich wegen eines seit zwei Tagen bestehenden produktiven Hustens mit gelblich- bräunlichem Auswurf in Ihrer Hausarztpraxis vor. Darüber hinaus klagt der Patient über selbst gemessenes Fieber bis 39,7 °C, rezidivierenden Schüttelfrost und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Wenn er tief einatme, verspüre er einen rechtsbetonten, stechenden Schmerz im Brustkorb. An Vorerkrankungen sind ein Glaukom und Zustand nach Bypass-OP bei KHK bekannt, Allergien bestehen nicht. Der Patient trinkt täglich ein Glas Wein, geraucht habe er früher mal (25 py). Untersuchungsbefunde 67-jähriger, dyspnoeischer Patient in deutlich reduziertem AZ und adipösem EZ. HF 91/min, RR 135/80 mmHg, AF 32/min, Temperatur 38,9 °C. Haut/Schleimhäute: leichte Lippenzyanose, mehrere flüssigkeitsge- füllte Bläschen und verschorſte Areale am linken Mundwinkel. LK: unauffällig. Herz: reizlose Sternotomienar- be, HT rhythmisch, keine pathologischen Geräusche. Lunge: KS abgeschwächt, über der rechten Lunge dorsal abgeschwächtes Atemgeräusch und feinblasige RG, Bronchophonie positiv, Stimmfremitus fraglich positiv, lin- ke Lunge unauffällig. Abdomen: unauffällig. Nierenlager: frei. Extremitäten: unauffällig. Neurologisch orientie- rend unauffällig. Produktiver Husten und Schüttelfrost 1. Welche Erkrankungen liegen am wahrscheinlichsten vor? Wie lauten die Differenzialdiagnosen? 2. Wie häufig ist die Erkrankung? Nach welchen Kriterien lässt sie sich einteilen? 3. Nennen Sie die typischen Erreger dieser Erkrankung! Welchen Erreger vermuten Sie bei diesem Patienten? 4. Welche weiteren diagnostischen Maßnahmen führen Sie durch? 5. Wie behandeln Sie die Krankheit? Wie verfahren Sie bei dem Patienten?

Anamnese - media. · PDF fileAbdomen: unauffällig. Nierenlager: frei. ... Epidemiologie/Einteilung ... Akut. Chronisch. 3. Erreger

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Page 1: Anamnese - media.  · PDF fileAbdomen: unauffällig. Nierenlager: frei. ... Epidemiologie/Einteilung ... Akut. Chronisch. 3. Erreger

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42Anamnese

Ein 67-jähriger Rentner stellt sich wegen eines seit zwei Tagen bestehenden produktiven Hustens mit gelblich-bräunlichem Auswurf in Ihrer Hausarztpraxis vor. Darüber hinaus klagt der Patient über selbst gemessenes Fieber bis 39,7 °C, rezidivierenden Schüttelfrost und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Wenn er tief einatme, verspüre er einen rechtsbetonten, stechenden Schmerz im Brustkorb. An Vorerkrankungen sind ein Glaukom und Zustand nach Bypass-OP bei KHK bekannt, Allergien bestehen nicht. Der Patient trinkt täglich ein Glas Wein, geraucht habe er früher mal (25 py).

Untersuchungsbefunde67-jähriger, dyspnoeischer Patient in deutlich reduziertem AZ und adipösem EZ. HF 91/min, RR 135/80 mmHg, AF 32/min, Temperatur 38,9 °C. Haut/Schleimhäute: leichte Lippenzyanose, mehrere flüssigkeitsge-füllte Bläschen und verschorfte Areale am linken Mundwinkel. LK: unauffällig. Herz: reizlose Sternotomienar-be, HT rhythmisch, keine pathologischen Geräusche. Lunge: KS abgeschwächt, über der rechten Lunge dorsal abgeschwächtes Atemgeräusch und feinblasige RG, Bronchophonie positiv, Stimmfremitus fraglich positiv, lin-ke Lunge unauffällig. Abdomen: unauffällig. Nierenlager: frei. Extremitäten: unauffällig. Neurologisch orientie-rend unauffällig.

Produktiver Husten und Schüttelfrost

1. Welche Erkrankungen liegen am wahrscheinlichsten vor? Wie lauten die Differenzialdiagnosen?

2. Wie häufig ist die Erkrankung? Nach welchen Kriterien lässt sie sich einteilen?

3. Nennen Sie die typischen Erreger dieser Erkrankung! Welchen Erreger vermuten Sie bei diesem Patienten?

4. Welche weiteren diagnostischen Maßnahmen führen Sie durch?

5. Wie behandeln Sie die Krankheit? Wie verfahren Sie bei dem Patienten?

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Fall 42 Produktiver Husten und Schüttelfrost

1. Verdachtsdiagnose/DifferenzialdiagnosenDie Anamnese (Husten mit putridem Auswurf, Fieber, Schüttelfrost und allgemeines Krankheitsgefühl) und der Untersuchungsbefund (Dyspnoe, Tachypnoe, Fie-ber, Lippenzyanose, auffälliger Auskultations- und Per-kussionsbefund der Lunge) sprechen für eine Lo­bärpneumonie des rechten Lungenunterlappens. Die stechenden rechtsseitigen Thoraxschmerzen bei tiefer Inspiration könnten auf eine parapneumonische Be­gleitpleuritis hinweisen. Unterstützt wird diese Ver-dachtsdiagnose durch die Thorax-Röntgen-Aufnahme (› Bild). Sie zeigt eine Verschattung im rechten Un-terlappen, ein Begleiterguss ist nicht sicher auszu-schließen.Bei dem Hautausschlag am linken Mundwinkel des Pa-tienten handelt es sich am ehesten um einen Herpes labialis. Typisch sind die perioralen flüssigkeitsgefüll-ten Bläschen und die verschorfenden Areale. Die Efflo-reszenzen werden durch das Herpes-Simplex-Virus verursacht. Nach abgelaufener Primärinfektion persis-tiert das Virus ohne Krankheitsymptome im Ganglion trigeminale Gasseri (sog. Latenzphase), bis es z.B. in­folge eines fieberhaften Infekts reaktiviert wird.Differenzialdiagnostisch kommen vor allem infrage:■ Infarktpneumonie nach Lungenembolie (allerdings

keine Hinweise für Thrombose).■ Lungentuberkulose und Lungenmykose.■ Poststenotische Pneumonie bei bronchialer Obs­

truktion (z.B. im Rahmen eines zentralen Bronchi-alkarzinoms oder einer Fremdkörperaspiration).

2. Epidemiologie/EinteilungIn Deutschland erkranken jährlich mehr als 250.000 Personen an einer Pneumonie, der häufigsten tödlich verlaufenden Infektionskrankheit der Industrienatio-nen. Die Letalität beträgt bei zuvor gesunden Personen etwa 1 %, bei Intensivpatienten 30–70 %.Pneumonien werden nach folgenden Kriterien einge-teilt:Nach Vorerkrankungen:■ Primäre Pneumonie: ohne prädisponierende Er-

krankungen.

■ Sekundäre Pneumonie: prädisponierende Erkran-kung, wie Stauungspneumonie bei Linksherzinsuffi-zienz, Infarktpneumonie bei Lungenembolie, post-stenotische Pneumonie bei Bronchialkarzinom.

Nach klinischem Bild:■ Typische Pneumonie: klassischerweise mit akutem

Beginn, schwerer Symptomatik (eitriger Auswurf, hohes Fieber, Schüttelfrost) und auffällligem Unter-suchungsbefund (Tachypnoe, RGs und abgeschwäch-tes Atemgeräusch in der Lungenauskultation).

■ Atypische Pneumonie: subakuter Verlauf und grip-peartige Symptomatik (Fieber < 38,5 °C, wenig Aus-wurf) mit diskreten Auffälligkeiten in der Lungen-auskultation.

Nach Infektionsort:■ Ambulante Pneumonie: zu Hause erworben (com-

munity aquired pneumonia, CAP).■ Nosokomiale Pneumonie (hospital aquired pneu-

monia, HAP): tritt definitionsgemäß frühestens 48 Stunden nach Beginn der Hospitalisierung auf. Man unterscheidet: – Frühe HAP: bis zum fünften Tag der Hospitali-

sierung. – Späte HAP: nach dem fünften Tag der Hospitali-

sierung.Nach Röntgenbefund:■ Lobärpneumonie: Infiltrat typischerweise scharf

auf einen Lappen begrenzt.■ Bronchopneumonie: Veränderungen häufig diffus

und lappenübergreifend.■ Pleuropneumonie: pneumonisches Infiltrat mit pa-

rapneumonischem Pleuraerguss.Nach dem pathologisch-anatomischen Befund:■ Alveolär (häufig bakteriell).■ Interstitiell (häufig viral).Nach dem Verlauf:■ Akut.■ Chronisch.

3. ErregerDie typischen Erreger einer Pneumonie sind:■ CAP: Streptococcus pneumoniae, Haemophilus in-

fluenzae, Mykoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae, Legionellen, Anaerobier und Viren.

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■ Frühe HAP: wie bei der CAP.■ Späte HAP: gramnegative Bakterien (z.B. Pseudo-

monas aeruginosa, Klebsiellen) und Staphylococcus aureus.

■ Immunsupprimierte Patienten: gramnegative Bakterien, Mykoplasma pneumoniae, Viren (z.B. CMV), Pneumocystis jiroveci (früher P. carinii), Candida, Aspergillen.

Der Patient leidet am ehesten unter einer Pneumokok­kenpneumonie. Wegweisend ist das klinische Bild der Erkrankung. Streptococcus pneumoniae verursacht in aller Regel eine typische Pneumonie, die durch einen akuten Beginn, eine schwere Symptomatik und einen auffälligen Auskultationsbefund gekennzeichnet ist. Auch epidemiologische Daten sprechen für diesen Er-reger. Pneumokokken sind für etwa 40 % der ambulant erworbenen Pneumonien verantwortlich und sind so-mit die häufigsten Erreger der CAP. Da sich die Pneu-mokokkenpneumonie klassischerweise als Lobärpneu-monie manifestiert, spricht auch das Röntgenbild für diesen Erreger. Im Gegensatz dazu verursachen die an-deren möglichen Erreger einer CAP meist atypische Pneumonien, die sich durch einen subakuten Beginn, subfebrile Temperaturen und fleckige oder homogene Verschattungen im Röntgenbild auszeichnen.

4. Diagnostische MaßnahmenNeben Anamnese, körperlicher Untersuchung und p.a.-Röntgenaufnahme sind bei Verdacht auf eine CAP folgende diagnostische Maßnahmen sinnvoll:■ Röntgenthorax in 2 Ebenen: Zusätzlich zum p.a.-

Röntgenbild der Lunge ist ein laterales Röntgenbild erforderlich, um die retrokardialen Anteile des lin-ken Unterlappens sowie die retrosternalen Anteile des linken Oberlappens beurteilen zu können. Gene-rell sollte eine konventionelle Röntgendiagnostik der Lunge immer in zwei Ebenen erfolgen.

■ Laboruntersuchung: Blutbild (Leukozytose?), Dif-ferenzialblutbild (Linksverschiebung?), CRP, Elekt-rolyte, Retentionsparameter, Transaminasen, Se-rumglukose, Blutgasanalyse.

■ Erregerdiagnostik: mikroskopische und kulturelle Sputumdiagnostik und Blutkulturen. Bei Verdacht

auf Legionellen-Pneumonie Antigenbestimmung im Urin, bei schwerem Verlauf und bei immunsuppri-mierten Patienten Bronchoskopie mit Entnahme von Bronchialsekret und/oder Durchführung einer bronchoalveolären Lavage (BAL). Cave: Mit der Routinediagnostik gelingt der Erregernachweis nur in etwa einem Drittel der Fälle!

■ Sonographie: bei Verdacht auf einen Pleuaerguss zur quantitativen Abschätzung der Ergussmenge (punktionswürdig?), ermöglicht u.U. auch Aussagen zur Qualität der Ergussflüssigkeit (z.B. parapneu-monischer Erguss versus Pleuraempyem).

■ CT­Thorax: z.B. zum Ausschluss eines Bronchial-karzinoms oder einer Infarktpneumonie nach Lun-genembolie, nicht generell indiziert.

5. TherapieIm Zentrum der Pneumoniebehandlung steht die Anti­biotikatherapie. Abhängig davon, ob es sich um eine ambulant erworbene oder eine nosokomiale Pneumo-nie handelt, hat sich folgendes Behandlungskonzept durchgesetzt:■ CAP: Nach der Gewinnung von Probenmaterial

(z.B. Blutkulturen, Sputum) ist eine empirische An­tibiotikagabe ohne Keimnachweis gerechtfertigt. Die Therapie richtet sich nach dem wahrscheinlichs-ten Erreger, eine invasive Diagnostik (Bronchiosko-pie, ggf. BAL) zum Erregernachweis wird nur bei Therapieversagen durchgeführt. Mittel der ersten Wahl bei der unkomplizierten CAP sind Penicilline und Makrolidantibiotika.

■ HAP: Vor Beginn der antibiotischen Therapie wird häufig eine invasive Diagnostik (Bronchoskopie, ggf. BAL) zum Erregernachweis durchgeführt wer-den. Im Anschluss daran wird mit einer empiri­schen Antibiose begonnen, wobei sich die Wahl des initial verwendeten Antibiotikums am individuellen Risikoprofil des Patienten (z.B. Vorerkrankungen, intensivmedizinische Therapie) orientiert und im Verlauf resistenzgerecht angepasst wird.

Die antibiotische Therapie sollte durch supportive Maßnahmen (z.B. ausreichende Flüssigkeitszufuhr, bei schwerem Krankheitsbild Bettruhe und Thrombose-

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Fall 42 Produktiver Husten und Schüttelfrost

prophylaxe, Atemgymnastik, Sauerstofftherapie, mu-kolytische Behandlung) ergänzt werden.Von großer Bedeutung für die Therapie ist die Frage, ob ein Patient mit einer ambulant erworbenen Pneumonie stationär behandelt werden sollte. Diese Entscheidung kann durch eine Risikoabschätzung mittels CRB­65­Index (› Tab. 42.1) objektiviert werden. Patienten ohne Nachweis eines der Kriterien (30-Tages-Letalität < 1%) können meist ambulant behandelt werden. Bei einem positiven Kriterium (30-Tages-Letalität 3–8 %) sollte eine stationäre Aufnahme erwogen werden, bei ≥  2 Kriterien (30-Tages-Letalität > 11 %) besteht im Allgemeinen die Indikation zur stationären Überwa-chung. Statt des Lebensalters kann auch der Serum-harnstoffwert als Kriterium herangezogen werden (Harnstoff bzw. Urea > 7 mmol/l). Man spricht in die-sem Fall vom CURB­Index.Bei diesem Patienten besteht die Indikation zur statio­nären Aufnahme, da er zwei Punkte des CRB-65-Index aufweist. Im Anschluss an die Gewinnung von Sputum

und Blutkulturen sollte unter der Verdachtsdiagnose einer Pneumokokkenpneumonie zunächst eine kalku-lierte antibiotische Therapie mit Penicillin G (Antibio-tikum der 1. Wahl bei Pneumokokkenpneumonie) be-gonnen werden. Abhängig vom mikrobiologischen Be-fund muss die Behandlung später erreger- und resis-tenzgerecht angepasst werden. Daneben sollten Allgemeinmaßnahmen erfolgen sowie abhängig vom Ausmaß des Pleuraergusses eine Pleurapunktion in Be-tracht gezogen werden.Der Herpes labialis sollte mit einer Aciclovir­Salbe be-handelt werden.

Z u s a m m e n f a s s u n gDie Pneumonie ist definiert als eine entzündliche Er-krankung des Lungenparenchyms, welche durch Mikro-organismen (meist Bakterien, häufigster Erreger: Pneu-mokokken) verursacht wird. In Deutschland liegt die In-zidenz bei mehr als 250.000 Fällen/Jahr. Die Eintei-lung erfolgt nach unterschiedlichen Gesichtspunkten (z.B. primär vs. sekundär, typisch vs. atypisch). Der Ort der Infektion (ambulant vs. nosokomial) hat entspre-chende therapeutische und prognostische Bedeutung. Leitsymptome sind Husten, Atemnot und Fieber. Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen sind die Röntgenthorax-Aufnahme in zwei Ebenen sowie labor-chemische und mikrobiologische Untersuchungen. Im Zentrum der Therapie steht die antibiotische Behand-lung, die durch allgemeine Maßnahmen ergänzt wird. Die Pneumonie ist die häufigste tödlich verlaufende In-fektionskrankheit der Industrienationen. Ihre Letalität beträgt bei zuvor gesunden Personen etwa 1 %, bei In-tensivpatienten 30–70 %.

Tab. 42.1 CRB-65-Index zur Risikostratifizierung von Patienten mit CAP (0-4 Punkte sind in der Summe mög-lich).

Kriterium Punkte

Confusion Verwirrtheit, Desorientiert-heit zu Person, Ort und Zeit

1

Respiratory rate

Atemfrequenz > 30/min 1

Blood pressure

Systolischer Blutdruck < 90 mmHg und/oder diastoli-scher Blutdruck ≤ 60 mmHg

1

65 Alter > 65 Jahre 1