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Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Das heutige Evangelium (vgl. Joh 3,16-18) am
Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zeigt – in
der prägnanten Sprache des Apostels Johannes –
das Geheimnis der Liebe Gottes zur Welt, seiner
Schöpfung. In dem kurzen Dialog mit Nikodemus
offenbart sich Jesus als derjenige, der den Heils-
plan des Vaters für die Welt zur Vollendung
bringt. Er sagt: »Gott hat die Welt so sehr geliebt,
dass er seinen einzigen Sohn hingab« (V. 16).
Diese Worte weisen darauf hin, dass das Wirken
der drei göttlichen Personen – Vater, Sohn und
Heiliger Geist – ein einziger Plan der Liebe ist, der
die Menschheit und die Welt rettet, es ist ein
Heilsplan für uns.
Gott hat die Welt gut und schön geschaffen,
doch nach der Sünde ist die Welt vom Bösen und
der Verderbnis geprägt. Wir Männer und Frauen
sind alle Sünder. Gott könnte also eingreifen, um
die Welt zu richten, das Böse zu vernichten und
die Sünder zu bestrafen. Aber er liebt die Welt,
trotz ihrer Sünden; Gott liebt jeden von uns, auch
wenn wir Fehler machen und uns von ihm ab-
wenden. Gott, der Vater, liebt die Welt so sehr,
dass er, um sie zu retten, das Kostbarste gibt, was
er hat: seinen eingeborenen Sohn, der sein Leben
für die Menschheit hingibt, aufersteht, zum Vater
zurückkehrt und mit ihm zusammen den Heili-
gen Geist sendet. Die Dreifaltigkeit ist also Liebe,
ganz im Dienste der Welt, die sie retten und neu
erschaffen will. Wenn wir heute an Gott Vater
und den Sohn und den Heiligen Geist denken,
denken wir an die Liebe Gottes! Und es wäre
schön, wenn wir uns geliebt fühlten. »Gott liebt
mich«: das ist das Gefühl heute.
Wenn Jesus sagt, dass der Vater seinen einge-
borenen Sohn hingegeben hat, denken wir spon-
tan an Abraham und das Opfer seines Sohnes
Isaak, von dem das Buch Genesis spricht (vgl.
22,1-14): das ist das »Maß ohne Maß« der Liebe
Gottes. Und denken wir auch daran, wie Gott
sich Mose offenbart: voller Zärtlichkeit, barmher-
zig, gnädig, langmütig und reich an Huld und
Treue (vgl. Ex 34,6). Die Begegnung mit diesem
Gott ermutigte Mose, der sich, wie uns das Buch
Exodus sagt, nicht scheut, sich zwischen das Volk
und den Herrn zu stellen und zu ihm zu sagen:
»Weil es ein hartnäckiges Volk ist, musst du uns
unsere Schuld und Sünde vergeben und uns dein
Eigentum sein lassen!« (V. 9). Und das tat Gott
auch, indem er seinen Sohn sandte. Wir sind Kin-
der im Sohn durch die Kraft des Heiligen Geistes!
Wir sind Gottes Erbe!
Liebe Brüder und Schwestern, das heutige
Fest lädt uns ein, uns einmal mehr von Gottes
Schönheit faszinieren zu lassen; Schönheit, Güte
und unerschöpfliche Wahrheit. Aber auch Schön-
heit, Güte und demütige, nahe Wahrheit, die
Fleisch geworden ist, um in unser Leben, in un-
sere Geschichte, in meine Geschichte, in die Ge-
schichte eines jeden von uns einzutreten, damit
jeder Mann und jede Frau ihr begegnen und das
ewige Leben haben kann. Und das ist der
Glaube: Den Gott, der Liebe ist, aufnehmen, die-
sen Gott, der Liebe ist, aufnehmen, der sich in
Christus schenkt, der bewirkt, dass wir uns im
Heiligen Geist bewegen; zulassen, dass er uns be-
gegnet und auf ihn vertrauen. Das ist das christli-
che Leben. Lieben, Gott begegnen, Gott suchen;
und er sucht uns als erster, er begegnet uns als
erster.
Möge die Jungfrau Maria, Wohnstatt der Drei-
faltigkeit, uns helfen, offenen Herzens die Liebe
Gottes aufzunehmen, die uns mit Freude erfüllt
und unserem Weg in dieser Welt einen Sinn ver-
leiht und ihn immer auf das Ziel ausrichtet: den
Himmel.
Nach dem Angelus sagte der Papst:
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich grüße euch alle, die Römer und die Pilger:
die einzelnen Gläubigen, die Familien und die Or-
densgemeinschaften. Und eure Anwesenheit auf
dem Platz ist auch ein Zeichen dafür, dass in Ita-
lien die akute Phase der Epidemie vorbei ist, auch
wenn weiterhin die Notwendigkeit besteht –
aber Vorsicht, stimmt nicht sofort das Siegeslied
an, stimmt nicht zu früh ein Siegslied an! –, die
geltenden Regeln mit Sorgfalt zu befolgen, denn
es sind Regeln, die uns helfen, zu verhindern dass
das Virus sich weiter überträgt. Gott sei Dank
sind wir im Begriff, aus dem Gröbsten herauszu-
kommen, immer aber mit den Vorschriften, die
uns die Behörden geben. Aber leider fordert das
Virus in anderen Ländern – ich denke an meh-
rere – immer noch sehr viele Opfer. Letzten Frei-
tag ist in einem Land ein Mensch pro Minute
gestorben! Schrecklich. Ich möchte der Bevölke-
rung, den Kranken und ihren Familien und allen,
die sich um sie kümmern, meine Nähe zum Aus-
druck bringen. Lasst uns mit unseren Gebeten
einander nahe sein.
Der Monat Juni ist in besonderer Weise dem
Herzen Christi gewidmet, eine Verehrung, die die
großen geistlichen Lehrmeister und die einfa-
chen Leute des Gottesvolks vereint. Denn das
menschliche und göttliche Herz Jesu ist die
Quelle, aus der wir immer die Barmherzigkeit,
die Vergebung und die Zärtlichkeit Gottes schöp-
fen können. Wir können dies tun, indem wir bei
einem Abschnitt des Evangeliums verweilen und
spüren, dass im Mittelpunkt jeder Geste, jedes
Wortes Jesu die Liebe steht, die Liebe des Vaters,
der seinen Sohn gesandt hat, die Liebe des Heili-
gen Geistes, der in uns ist. Und wir können dies
in der Anbetung der Eucharistie tun, wo diese
Liebe im Sakrament gegenwärtig ist. Dann wird
auch unser Herz nach und nach geduldiger,
großzügiger, barmherziger werden, in Nachah-
mung des Herzens Jesu. Es gibt ein altes Gebet –
ich habe es von meiner Großmutter gelernt –, das
folgendermaßen lautete: »Jesus, mach, dass mein
Herz dem deinen gleiche.« Es ist ein schönes Ge-
bet. »Mach mein Herz wie deins.« Ein schönes,
kleines Gebet, das wir in diesem Monat beten
können. Wollen wir es jetzt gemeinsam sagen?
»Jesus, möge mein Herz dem deinen gleichen.«
Noch einmal: »Jesus, möge mein Herz dem dei-
nen gleichen.«
Ich wünsche euch allen einen schönen Sonn-
tag. Fast hätte ich gesagt, »einen schönen und
warmen Sonntag«. Einen schönen Sonntag. Bitte
vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete
Mahlzeit und auf Wiedersehen.
UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT
Redaktion: I-00120 Vatikanstadt
50. Jahrgang – Nummer 24/25 – 12. Juni 2020Wochenausgabe in deutscher Sprache
Schwabenverlag AG
D-73745 Ostfildern
Einzelpreis
Vatikan d 2,20
Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Dreifaltigkeitssonntag, 7. Juni
Fasziniert von der Schönheit Gottes
In dieser Ausgabe
Generalaudienz am 3. Juni ............................................... 2
Rosenkranzgebet in den Vatikanischen
Gärten zum Abschluss des
Marienmonats............................................................................................... 3
Die Päpste und der Tabak....................................................... 5
Das neue Studienjahr an den Päpstlichen
Universitäten.................................................................................................... 6
Predigt bei der Eucharistiefeier am
Hochfest Pfingsten................................................................................ 7
Videobotschaft von Papst Franziskus
– an die Teilnehmer der von CHARIS
organisierten Gebetsvigil........................................................ 8
– an die Bewegung
»Thy Kingdom Come« .................................................................... 8
Brief von Papst Franziskus an die Priester
der Diözese Rom....................................................................... 10-11
Generalaudienz am 27. Mai ......................................... 12
Regina Caeli am Pfingstsonntag................ 12-13
Botschaft des Papstes zum 50. Jahrestag
der Promulgation des Ritus der
Jungfrauenweihe.................................................................................. 13
Predigten des Papstes bei den
Frühmessen in Santa Marta............................. 14-15
Videobotschaft von Papst Franziskus
an die Teilnehmer einer von
»Scholas occurrentes« veranstalteten
Videokonferenz...................................................................................... 16
Promulgation von Dekreten......................................... 16
Die akute Phase der Pandemie sei zwar in Italien überwunden, doch riet der Papst weiter zur Vorsicht.
Beim Angelus hielten die Anwesenden den »Sicherheitsabstand« ein.
Vatikanstadt. Papst Franziskus hat anläss-
lich des Weltumwelttags zu einer entschlossenen
ökologischen Wende aufgerufen. Es sei nicht die
Zeit, weiter wegzuschauen, während der Planet
aus Profitgier und teilweise im Namen des Fort-
schritts geplündert und geschändet werde, er-
klärte der Papst am 5. Juni. Franziskus äußerte
sich in einem Brief an Kolumbiens Staatspräsi-
dent Iván Duque Márquez, Gastgeber einer zen-
tralen Veranstaltung zum internationalen Um-
welttag. Das ursprünglich in Bogotá anberaumte
Treffen fand wegen der Corona-Pandemie virtuell
statt. »Das ist eine Herausforderung, die uns
daran erinnert, dass es im Angesicht von Widrig-
keiten immer neue Wege gibt, um als große
Menschheitsfamilie vereint zu sein«, so der Papst.
Franziskus unterstrich weiter, man dürfe
nicht schweigen angesichts der Zerstörung und
der Ausbeutung des Ökosystems. Umweltschutz
und die Bewahrung der Artenvielfalt gingen alle
an. Der Blick auf die gegenwärtige Situation des
Planeten müsse ein Engagement zur Folge haben
und bezeugen, wie ernst die Lage sei. »Wir kön-
nen nicht vorgeben, gesund zu sein in einer Welt,
die krank ist«, schrieb der Papst. »Es liegt an uns,
die Richtung zu ändern und auf eine bessere, ge-
sündere Welt zu setzen, um sie künftigen Gene-
rationen als Vermächtnis zu hinterlassen. Alles
hängt von uns ab und davon, ob wir es wirklich
wollen.« So sollten alle gemeinsam sich stärker
der Sorge und des Schutzes des gemeinsamen
Hauses wie auch der schwächsten und ausge-
grenzten Brüder und Schwestern in der Gesell-
schaft bewusst werden.
Der Papst erinnerte an seine Umwelt-Enzy-
klika Laudato si’ und lud zur Beteiligung an dem
kürzlich ausgerufenen Aktionsjahr ein, in dessen
Mittelpunkt das vor fünf Jahren veröffentlichte
Lehrschreiben steht. Geplant sind in den kom-
menden Monaten Webinare, Tagungen und Ak-
tionen in digitalen Netzwerken, aber auch die Pu-
blikation eines Leitfadens und ein Runder Tisch
beim nächsten Weltwirtschaftsforum in Davos
im Januar. Die Enzyklika befasst sich mit Umwelt-
und Klimaschutz unter der Perspektive einer
ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklung.
In einem Tweet zum internationalen Um-
welttag erinnerte der Papst zudem an die soziale
Seite des ökologischen Engagements: »Alles ist
aufeinander bezogen: die echte Sorge für unser
eigenes Leben und für unsere Beziehungen zur
Natur ist nicht zu trennen von der Brüderlichkeit,
der Gerechtigkeit und der Treue gegenüber den
anderen.«.
Der Weltumwelttag wurde am 5. Juni 1972
von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen
mit dem Ziel, das Bewusstsein und das Engage-
ment für mehr Umweltschutz zu stärken.
Kein Umweltschutz ohne Gerechtigkeit
»Hier bin ich,
sende mich« (Jes 6,8)
Botschaft von Papst Franziskus
zum Weltmissionssonntag
am 25. Oktober
Seite 9
12. Juni 2020 / Nummer 24/25
2
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Da ist eine Stimme, die plötzlich im Leben von
Abraham ertönt. Eine Stimme, die ihn einlädt,
sich auf einen Weg zu machen, der absurd klingt:
eine Stimme, die ihn anspornt, seine Heimat, die
Wurzeln seiner Familie zu verlassen, um auf eine
neue Zukunft, eine andere Zukunft zuzugehen.
Und alles auf der Grundlage einer Verheißung,
auf die man nur vertrauen muss. Und auf eine
Verheißung zu vertrauen ist nicht leicht, es
braucht Mut. Und Abraham vertraute.
Die Bibel schweigt über die Vergangenheit
des ersten Erzvaters. Die Logik der Dinge lässt
vermuten, dass er vielleicht andere Gottheiten
verehrte. Vielleicht war er ein weiser Mann, der
den Himmel und die Sterne zu erforschen pflegte.
Denn der Herr verheißt ihm eine Nachkommen-
schaft, die so zahlreich ist wie die Sterne, die den
Himmel sprenkeln.
Und Abraham bricht auf. Er hört die Stimme
Gottes und vertraut auf sein Wort. Das ist wichtig:
Er vertraut auf Gottes Wort. Und mit seinem Auf-
bruch entsteht eine neue Weise, die Beziehung
zu Gott zu verstehen. Aus diesem Grund ist der
Erzvater Abraham in den großen geistlichen Tra-
ditionen des Judentums, des Christentums und
des Islam gegenwärtig als der vollkommene
Mann Gottes, der fähig ist, sich diesem zu unter-
werfen, auch wenn sein Wille sich als hart, wenn
nicht sogar unverständlich erweist.
Abraham ist also der Mann des Wortes. Wenn
Gott spricht, wird der Mensch zum Empfänger je-
nes Wortes und sein Leben zu dem Ort, an dem
es Mensch werden will. Das ist eine große Neu-
heit auf dem religiösen Weg des Menschen: Man
beginnt, das Leben des Gläubigen als Berufung
aufzufassen, also als Ruf, als Ort, an dem eine Ver-
heißung Wirklichkeit wird. Und er wandelt in der
Welt nicht unter der Last eines Rätsels, sondern
mit der Kraft jener Verheißung, die eines Tages
Wirklichkeit werden wird. Und Abraham glaubte
an Gottes Verheißung. Er glaubte und zog weg,
ohne zu wissen, wohin er ziehen würde – so
heißt es im Brief an die Hebräer (vgl. 11,8). Aber
er vertraute.
Wenn wir das Buch Genesis lesen, dann ent-
decken wir, dass Abraham das Gebet in beständi-
ger Treue zu jenem Wort lebte, das sich auf seinem
Weg immer wieder zeigte. Zusammenfassend
können wir sagen, dass im Leben Abrahams der
Glaube zur Geschichte wird. Der Glaube wird zur
Geschichte. Ja, Abraham
lehrt uns sogar mit sei-
nem Leben, mit seinem
Vorbild diesen Weg, die-
sen Pfad, auf dem der
Glaube zur Geschichte
wird. Gott wird nicht
mehr nur in den kosmi-
schen Phänomenen gese-
hen, als ein ferner Gott,
der Furcht einflößt. Der Gott Abrahams wird
»mein Gott«, der Gott, der mich begleitet, der Gott
meiner persönlichen Geschichte, der meine
Schritte lenkt, der mich nicht verlässt; der Gott
meiner Tage, der Gefährte meiner Abenteuer; der
Gott, der die Vorsehung ist. Ich frage mich, und ich
frage euch: Haben wir diese Gotteserfahrung?
»Mein Gott«; der Gott, der mich begleitet; der Gott
meiner persönlichen Geschichte; der Gott, der
meine Schritte lenkt; der mich nicht verlässt; der
Gott meiner Tage? Haben wir diese Erfahrung?
Denken wir darüber nach.
Diese Erfahrung Abrahams wird auch von ei-
nem der originellsten Texte der Geschichte der
Spiritualität bezeugt: dem Gedenkblatt von Blaise
Pascal. Es beginnt so: »Der Gott Abrahams, der
Gott Isaaks und der Gott Jakobs, nicht der Philo-
sophen und der Gelehrten. Gewissheit, Gewiss -
heit, Empfinden, Freude, Frieden. Der Gott Jesu
Christi.« Dieses Gedenkblatt, das auf einem klei-
nen Pergament geschrieben und nach seinem
Tod in ein Gewand des Philosophen eingenäht ge-
funden wurde, bringt keine intellektuelle Refle-
xion zum Ausdruck, die ein weiser Mann wie er
über Gott machen könnte, sondern das leben-
dige, selbsterfahrene Bewusstsein um seine
Gegenwart. Pascal notiert sogar den genauen
Augenblick, in dem er jene Wirklichkeit ver-
spürte, sie endlich gefunden hatte: am Abend des
23. November 1654. Es ist nicht der abstrakte
Gott oder der kosmische Gott, nein. Es ist der Gott
eines Menschen, eines Rufes, der Gott Abra-
hams, Isaaks, Jakobs; der Gott, der Gewissheit ist,
der Empfinden ist, der Freude ist.
»Das Gebet Abrahams äußert sich zunächst in
Taten: Er ist ein Mann des Schweigens; überall,
wo er sich niederlässt, errichtet er dem Herrn ei-
nen Altar« (Katechismus der Katholischen Kirche,
2570). Abraham erbaut keinen Tempel, sondern
übersät den Weg mit Steinen, die an das Vorüber-
gehen Gottes erinnern. Eines überraschenden
Gottes – wie damals, als er ihn in Gestalt von drei
Gästen besucht, die er und Sara mit Fürsorge auf-
nehmen und die ihnen die Geburt ihres Sohnes
Isaak verkündigen (vgl. Gen 18,1-15). Abraham
war 100 Jahre alt und seine Frau 90, in etwa. Und
sie glaubten, sie vertrauten Gott. Und Sara, seine
Frau, empfing einen Sohn. In dem Alter! Das ist
der Gott Abrahams, unser Gott, der uns begleitet.
So wird Abraham ein Vertrauter Gottes, der
auch in der Lage ist, mit ihm zu diskutieren, aber
immer im Glauben. Er spricht mit Gott, er disku-
tiert. Bis hin zur äußersten Prüfung, als Gott ihn
bittet, seinen eigenen Sohn Isaak, den Sohn sei-
nes Alters, den einzigen Erben, zu opfern. Hier er-
lebt Abraham den Glauben als Drama, als ein
Vorantasten durch die Nacht, unter einem Him-
mel, der diesmal ohne Sterne ist. Und oft ge-
schieht das auch uns: in der Dunkelheit zu wan-
deln, aber mit dem Glauben. Gott selbst wird die
Hand Abrahams aufhalten, die schon bereit ist,
zuzuschlagen, weil er seine wirklich völlige Be-
reitschaft gesehen hat (vgl. Gen 22,1-19).
Brüder und Schwestern, lernen wir von Abra-
ham, lernen wir, mit Glauben zu beten: auf den
Herrn hören, unterwegs sein, mit ihm sprechen
und sogar diskutieren. Haben wir keine Angst,
mit Gott zu diskutieren! Ich werde auch etwas sa-
gen, das eine Häresie zu sein scheint. Oft habe ich
Menschen gehört, die zu mir sagen: »Wissen Sie,
mir ist dieses und jenes passiert, und ich bin zor-
nig geworden auf Gott.« – »Du hattest den Mut,
zornig zu werden auf Gott?« – »Ja, ich bin zornig
geworden.« – »Das ist eine Form des Gebets.«
Denn nur ein Kind ist in der Lage, zornig zu wer-
den auf den Vater und ihm dann wieder zu begeg-
nen. Lernen wir von Abraham, mit Glauben zu
beten, zu sprechen, zu diskutieren, aber stets be-
reit, das Wort Gottes anzunehmen und in die Pra-
xis umzusetzen. Mit Gott lernen wir zu sprechen
wie ein Kind mit seinem Vater: ihn anhören, ant-
worten, diskutieren. Aber transparent, wie ein
Kind mit seinem Vater. So lehrt Abraham uns be-
ten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 4.6.2020)
L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Generalaudienz am 3. Juni als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes
Von Abraham beten lernen
Raffael-Ausstellung in den »Scuderie« wird bis 30. August verlängert
Aus dem Dornröschenschlaf erwacht
»Raffael 1520 – 1483«, die
bedeutendste Ausstellung
Italiens im Jahr 2020 in den römi-
schen Scuderie (den ehemaligen
Stallungen) des Quirinals, ist bis
30. August verlängert worden. Nur
wenige Tage nach der Eröffnung
am 5. März hatte sie wegen
des Corona-Lockdowns geschlossen
werden müssen. Am 2. Juni wurde
sie aus dem Dornröschenschlaf ge-
weckt. Mit über 200 Ausstellungs-
werken, darunter Leihgaben aus 52
nationalen und internationalen Mu-
seen, ist sie im 500. Todesjahr des
Renaissance-Künstlers die größte
Raffael-Schau, die es je gegeben hat
(wir berichteten in Ausgabe 16/17
vom 17. April).
»Keiner der 52 Leihgeber, von
den Uffizien über den Louvre bis hin
zu den Nationalgalerien von London
und Washington sowie zur Royal
Collection der Queen, hat einen
Rückzieher gemacht«, teilte Präsi-
dent Mario de Simoni von den Scu-
derie mit. Während des Lockdown
sei die Ausstellung zur besseren
Konservierung der Meisterwerke
komplett verdunkelt worden. Jede
Woche hätten Restauratoren den Zu-
stand der Gemälde, Zeichnungen
und Manuskripte überprüft. Gleich-
zeitig habe man die letzten Wochen
erfolgreich mit 30 Versicherungsfir-
men verhandelt. Für die Rekord-
summe von vier Milliarden Euro
war die Ausstellung versichert ge-
wesen, jetzt sei ein Mehrpreis für
die Verlängerung bezahlt worden.
Zum Schutz von Besuchern und
Mitarbeitern des Ausstellungs -
gebäudes gelten strenge Corona-
Auflagen, die eine beträchtliche
Besuchereinschränkung zur Folge
haben werden. Nur nach Voranmel-
dung ist ein Besuch möglich. Die an-
gegebene Uhrzeit auf der Eintritts-
karte muss genau eingehalten wer-
den. Alle fünf Minuten werden
sechs Personen eingelassen, die sich
insgesamt höchstens 80 Minuten in
der Ausstellung aufhalten dürfen.
Sie werden jeweils von einem Mit-
arbeiter beim Rundgang begleitet.
Der Zwei-Meter-Abstand zwischen
den einzelnen Ausstellungsbesu-
chern ist auf dem Fußboden einge-
zeichnet. Es herrscht Maskenpflicht
und Desinfektionsmittel stehen be-
reit. Am Eingang wird mittels Ther-
moscanner die Körpertemperatur
der Besucher gemessen. Die Aus-
stellung ist täglich von 9 bis 22 Uhr
(letzter Einlass 20.30 Uhr) geöffnet.
Insgesamt rechnen die Scuderie
in den nächsten drei Monaten
mit höchstens 90.000 verkauften
Eintrittskarten.
Ohne Corona-Einschränkungen
wären voraussichtlich 400.000 Be-
sucher gekommen und darunter
sehr viele ausländische Touristen,
die in diesem Krisensommer in Ita-
lien in der Minderzahl sein werden.
Aber sollte das Interesse doch
größer ausfallen, dann will man
eventuell zusätzlich auch nachts öff-
nen. Scuderie-Präsident Mario De
Simone: »Moskau stellte die Sixtini-
sche Madonna von Raffael drei Mo-
nate lang Tag und Nacht aus, bevor
sie 1955 der Stadt Dresden zurück-
gegeben wurde.« Das könne für Raf-
fael in Rom wiederholt werden.
Christa Langen-Peduto
Adresse: Scuderie del Qurinale,
Rom, Via XXIV Maggio 16.
Voranmeldung und weitere or-
ganisatorische Einzelheiten unter
www.scuderiequirinale.it, über das
Callcenter 0039 02 92897722,
oder über Vivaticket-Verkaufsstel-
len.
Papst Franziskus
sehr besorgt über
Unruhen in den USA
Vatikanstadt. Papst Franziskus hat
sich am Mittwoch, 3. Juni, »sehr besorgt«
angesichts der seit Tagen anhaltenden Un-
ruhen in den Vereinigten Staaten geäußert.
Mit Blick auf den Tod des Schwarzen
George Floyd bei einem Polizeieinsatz in
Minneapolis am 25. Mai sagte er in seiner
Videoansprache zur wöchentlichen Gene-
ralaudienz: »Wir dürfen Rassismus weder
tolerieren noch dürfen wir die Augen da-
vor verschließen.« Zugleich betonte Fran-
ziskus in seinem Grußwort an die Pilger
englischer Sprache, dass »die Gewalt der
vergangenen Nächte selbstzerstörerisch
und kontraproduktiv« sei. »Durch Gewalt
wird nichts gewonnen, aber so vieles ver-
loren«, so der Papst. Er bete gemeinsam
mit der Kirche in den USA für Floyd und
alle Opfer der »Sünde des Rassismus«.
Vor dem Hintergrund der jüngsten ge-
waltsamen Ausschreitungen in mehreren
Städten rief der Papst die US-Amerikaner
zu »nationaler Versöhnung« auf. Nur so
könne der Frieden erlangt werden, nach
dem sich alle sehnten.
Wir können keine Art von Rassismus
oder Ausgrenzung tolerieren oder unsere
Augen davor verschließen. Zudem müssen
wir erkennen, dass Gewalt destruktiv und
selbst-schädigend ist. Mit Gewalt kann man
nichts gewinnen, aber viel verlieren. Beten
wir für Versöhnung und Frieden.
Tweet von Papst Franziskus
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO
3
Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Nächtliche Begegnung
mit dem Herrn
Vatikanstadt. In der Generalaudienz am
Mittwoch, 10. Juni, setzte Papst Franziskus die
Katechesenreihe über das Gebet fort. Ein Mitar-
beiter der deutschsprachigen Abteilung des
Staatssekretariats trug folgende Zusammenfas-
sung vor:
Liebe Brüder und Schwestern,
im Rahmen unserer Mittwochskatechesen
über das Gebet betrachten wir heute eine Epi-
sode aus dem Alten Testament: das Ringen des
Patriarchen Jakob mit Gott bei seiner Rückkehr in
das Land seiner Väter. Jakob war schlau und ge-
rissen; ein Mann, dem alles gelang. Weil er sich
das Erstgeburtsrecht erschlichen hatte, musste er
vor seinem Bruder Esau fliehen, doch im Ausland
gelangte er zu Reichtum und Ansehen. Bei seiner
Rückkehr kämpfte er des Nachts mit einem Un-
bekannten, der ihn schließlich segnete und ihm
einen neuen Namen gab: Israel, »Gottesstreiter«.
Jakob ging aus dem Kampf verändert hervor. Er
hinkte, und er war geläutert. Gott führte ihn zur
Wahrheit des Sterblichen zurück, der seine Gren-
zen erkennt und Furcht vor dem Höheren emp-
findet. So trat Jakob in das gelobte Land ein, ver-
letzlich und verwundet, aber mit einem neuen
Herzen. »Die geistliche Überlieferung der Kirche
hat in dieser Geschichte – so sagt der Katechis-
mus – ein Sinnbild des Gebetes gesehen, insofern
dieses ein Glaubenskampf und ein Sieg der Be-
harrlichkeit ist« (KKK 2573). Auch auf uns wartet
eine nächtliche Begegnung mit dem Herrn. Er
überrascht uns in einem Augenblick, in dem wir
es nicht erwarten. Dann wird uns bewusst, dass
wir bedürftige Menschen sind. Aber der Herr
schenkt seinen Segen allen, die sich von ihm ver-
ändern lassen.
Der Heilige Vater grüßte die deutschsprachi-
gen Pilger auf Italienisch. Anschließend wurde
folgende deutsche Übersetzung der Grüße vorge-
lesen:
Einen herzlichen Gruß richte ich an die Brü-
der und Schwestern deutscher Sprache. Warten
wir nicht darauf, dass die anderen sich ändern.
Machen wir selbst den ersten Schritt, um ihnen
zu begegnen, und der Herr wird gegenwärtig und
macht uns zu Zeugen seiner Güte. Gott ist unser
Licht und unser Heil!
Rosenkranz in den Vatikanischen Gärten zum Ende des Marienmonats Mai
Eifrig und einmütig im GebetVatikanstadt. Der Papst hat am Samstag -
nachmittag, 30. Mai, mit Gläubigen in aller Welt
den Rosenkranz angesichts der aktuellen Corona-
Pandemie gebetet. Das Ereignis, in das Wall-
fahrtsstätten aller Kontinente einbezogen waren,
wurde weltweit über Fernsehen und Internet
übertragen. Franziskus begab sich eigens zur
Lourdes-Grotte in den Vatikanischen Gärten, um
an dem Mariengebet teilzunehmen. Begleitet
wurde er von einigen Dutzend Personen, die –
mit ausreichend Sicherheitsabstand – hinter dem
Heiligen Vater Platz nahmen. Auch ein kleiner
Chor war zugegen.
Mit eindringlichen Worten wandte sich der
Papst an die Gottesmutter Maria mit der Bitte,
dass »diese harte Prüfung endet und dass ein Ho-
rizont der Hoffnung und des Friedens zurück-
kehrt«. Er bat um Erleuchtung für all jene, die an
einem Heilmittel gegen das Virus forschten: »Mö-
gen sie die richtigen Lösungen finden.« Die
Menschheit befinde sich in einer »dramatischen
Situation, voller Leiden und Ängste, die die ganze
Welt umhüllen«.
Die Andacht unter dem Motto »Eifrig und ein-
mütig im Gebet, zusammen mit Maria« wurde
von Männern und Frauen mitgestaltet, die
während der Pandemie Besonderes geleistet ha-
ben. Darunter etwa ein Priester, eine Kranken-
schwester und eine Journalistin. Sie traten ab-
wechselnd vor die Lourdes-Grotte, um den
Rosenkranz vorzubeten. An dem Gebet beteilig-
ten sich mehr als 50 Marienwallfahrtsstätten auf
der ganzen Welt, unter anderem Lourdes (Frank-
reich), Fatima (Portugal), Tschenstochau (Polen)
und Guadalupe (Mexiko).
»Für uns ist es eine große Freude und Ermuti-
gung, den Rosenkranz mit dem Heiligen Vater be-
ten zu können«, sagte Don Nicola Ventriglia, itali-
enischer Kaplan im französischen Lourdes. Man
habe eine große Leinwand aufgestellt, um dem
Gebet in den Vatikanischen Gärten folgen zu kön-
nen, so der Geistliche im Vorfeld der Aktion. Auch
der deutsche Wallfahrtsort Altötting in Bayern
zählte zu den Mitwirkenden. Er habe sich »spon-
tan« zur Teilnahme entschlossen, sagte Wallfahrts-
rektor Günther Mandl dem Portal »Vatican
News«. »Unter dem Schutzmantel Marias können
wir alle Krisen gut meistern«, betonte der Prälat.
Papst Franziskus hatte in den vergangenen
Wochen bereits mehrfach zu Gebetsaktionen ge-
gen das Coronavirus aufgerufen. Zuletzt betei-
ligte er sich am 14. Mai mit mehreren muslimi-
schen Gruppen an einer globalen Initiative.
Einheit und Vielheit sind
keine Gegensätze in der Ökumene
Vatikanstadt. Noch nach 60 Jahren öku-
menischen Dialogs zwischen dem Vatikan und
nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Ge-
meinschaften besteht laut Kurienkardinal Kurt
Koch »kein wirklich tragfähiger Konsens« über
die Form einer künftigen Einheit der Christen.
Nötig sei ein »klares Ziel«, das für die Einheit un-
abdingbar sei. Nur so ließen sich in der Ökumene
die nächsten Schritte gehen, erklärte der Schwei-
zer Kardinal am Freitag, 5. Juni, auf der Internet-
seite »Vatican News«. Die Vorgängereinrichtung
des von Koch geleiteten Päpstlichen Rats zur För-
derung der Einheit der Christen, das »Sekretariat
zur Förderung der Einheit der Christen« wurde
am 5. Juni 1960 unter dem Pontifikat des heiligen
Papstes Johannes XXIII. gegründet.
Die katholische Kirche könne als Universalkir-
che mit vielen Ortskirchen aufzeigen, »dass Ein-
heit und Vielheit auch in der Ökumene keine
Gegensätze darstellen, sondern sich wechselsei-
tig fördern«, sagte Koch. Umgekehrt könne die ka-
tholische Kirche von den Orthodoxen über die
Kollegialität der Bischöfe lernen. Als »ver-
heißungsvolle Initiative« bezeichnete der Kardi-
nal die Einladung von Papst Johannes Paul II.
(1978-2005) in der vor 25 Jahren veröffentlichten
Ökumene-Enzyklika Ut unum sint, gemeinsam
über die Ausübung der päpstlichen Vorrangstel-
lung nachzudenken.
In den einzelnen Diözesen trügen die Orts-
bischöfe die erste Verantwortung für die Einheit
der Christen, betonte Koch. Er sprach von einer
»Pflicht, an der ökumenischen Bewegung teilzu-
nehmen«. Ein im Herbst erscheinender Öku-
mene-Leitfaden solle den Bischöfen helfen, »ihre
ökumenische Verantwortung besser verstehen
und verwirklichen zu können«, sagte der oft als
vatikanischer »Ökumeneminister« bezeichnete
Kardinal. Mit Blick auf seine eigene zehnjährige
Tätigkeit an der Spitze des Einheitsrats sagte
Koch, er sei sich »bewusst, dass es nur einen Öku-
meneminister gibt, nämlich den Heiligen Geist«.
Vatikanstadt. Im Zusammenhang
mit einer Investment-Affäre in London hat
die vatikanische Justiz einen italienischen
Finanzmanager verhaftet. Wie das Presse-
amt des Heiligen Stuhls am Freitagabend,
5. Juni, mitteilte, werden dem Geschäfts-
mann mehrfache Erpressung, Veruntreu-
ung, schwerer Betrug und Geldwäsche
vorgeworfen. Nach einer Vernehmung im
Vatikan habe Staatsanwalt Gian Piero Mi-
lano Haftbefehl erlassen und sofort voll-
streckt. Bei einer Verurteilung drohen ihm
nach vatikanischem Recht bis zu zwölf
Jahre Freiheitsentzug.
******
Vatikanstadt. Um Arbeitern und klei-
nen Angestellten zu helfen, die von den
Pandemie-Folgen besonders stark betrof-
fen sind, will Papst Franziskus einen Hilfs-
fonds für die Diözese Rom einrichten. Der
Fonds »Jesus, der göttliche Arbeiter« werde
den Angaben der Dözese zufolge zunächst
mit einer Million Euro ausgestattet.
Kurz notiert
Vatikanstadt. Der Vatikan hat ein neues Regelwerk für die Vergabe
öffentlicher Aufträge auf den Weg gebracht. Ein entsprechendes Motu
proprio des Papstes wurde am Pfingstmontag, 1. Juni, veröffentlicht. Der
Erlass, der sich an gängigen modernen Standards orientiert, soll am 1. Juli
in Kraft treten. Mit dem aus rund 100 Artikeln bestehenden Gesetzestext
wird der Modus von Auftragsvergaben für Kurie, Vatikanstaat und andere
Einrichtungen des Heiligen Stuhls vereinheitlicht. Ziel ist die Schaffung
von mehr Transparenz, einer effizienteren Verwaltung und fairen Wettbe-
werbsbedingungen für Dienstleister und Auftragnehmer. Auch sind er-
weiterte Kontrollmöglichkeiten für die Justizbehörden vorgesehen.
Franziskus begründete die Maßnahmen mit der Möglichkeit »erhebli-
cher Kosteneinsparungen«. Vatikanische Entscheidungsträger müssten
bei Auftragsvergaben mit der »Sorgfalt eines Familienvaters« vorgehen,
mahnte der Papst. Die neuen Regeln orientierten sich an bewährten in-
ternationalen Vorgaben – etwa an der UN-Konvention gegen Korruption.
Zudem trügen sie den speziellen Gegebenheiten im Vatikan Rechnung.
Die Reform geschieht einerseits vor dem Hintergrund der aktuellen
Corona-Krise, die dem Vatikan Millionenverluste und zusätzliche Spar-
zwänge beschert hat. Andererseits bemüht sich der Papst bereits seit Jah-
ren, das vatikanische Wirtschafts- und Finanzwesen neu zu strukturieren
und effizienter zu gestalten. Im Sommer 2018 etwa hatte Franziskus öf-
fentlich einen Mentalitätswandel bei der Güterverwaltung angemahnt,
weil er die notwendige Transparenz vermisse.
Vatikanstadt. Die Vatikanbank IOR hat ihren Gewinn im Jahr 2019
gegenüber einem schlechteren Vorjahrsergebnis 2018 wieder deutlich
verbessert. Der Reingewinn von 38 Millionen Euro soll gemäß Vorgabe
des Papstes für Aufgaben des Vatikans verteilt werden, heißt es in der vom
»Institut für die Religiösen Werke« (IOR) am Montag, 8. Juni, veröffentlich-
ten Jahresbilanz 2019. 2018 betrug der Gewinn 17,5 Millionen Euro.
Laut dem Bericht verwaltet das IOR Einlagen von 5,1 Milliarden Euro
(2018: 5,0 Milliarden), darunter Einlagen nicht-vatikanischer Kunden in
Höhe von 3,4 Milliarden Euro. Das Eigenkapital des Instituts beträgt
630,3 Millionen Euro. Der vom Aufsichtsrat Ende April einstimmig ge-
nehmigten Bilanz habe auch der für das IOR zuständige Kardinalsrat zu-
gestimmt. Das IOR habe sich weiter konsolidiert und seine Anlagepolitik
konsequent an Kriterien der Katholischen Soziallehre ausgerichtet, so der
Aufsichtsratsvorsitzende Jean-Baptiste Douville de Franssu, im Bilanz-
Vorwort. Zusätzlich habe das Finanzinstitut seine IT modernisiert und
ausgebaut, um den Anforderungen des europäischen Zahlungsraums
SEPA (Single Euro Payments Area) zu genügen. Seit dem 1. Oktober 2019
ist das IOR in die SEPA eingebunden.
Hinsichtlich finanzieller Risiken ist das IOR den Angaben zufolge
gut abgesichert. Demnach beträgt die Liquiditätsdeckungsquote (LCR)
443 Prozent; die Mindesthöhe dieser international etablierten Kennzahl
zur Bewertung kurzfristiger Liquiditätsrisiken von Kreditinstituten be-
trägt 100 Prozent.
Neue Regeln für
Auftragsvergaben im Vatikan»Institut für die Religiösen Werke«
schließt 2019 mit höherem Gewinn ab
Liebe Leserinnen und Leser,
auch weiterhin wird die Arbeit der
Redaktion durch die Corona-Pandemie er-
schwert. Bitte haben Sie Verständnis,
wenn es zu Verzögerungen bei den Er-
scheinungsterminen, zu reduzierten Aus-
gaben oder außerplanmäßigen Doppel-
nummern kommen kann. Redaktion und
Verlag bedanken sich für Ihr Verständnis.
Papst beteiligt sich
an Benefizaktion
Vatikanstadt. Papst Franziskus beteiligt sich
an einer Benefizauktion für zwei norditalienische
Krankenhäuser. Wie das Portal »Vatican News«
berichtete, stellt er mehrere persönliche Gegen-
stände für die Versteigerung zur Verfügung.
Sie begann am 8. Juni auf der Internetplattform
charitystars.com. Geplant sind mehrere Aukti-
onsrunden bis 8. August. Franziskus spendet
dafür unter anderem ein Rennrad in den Farben
des Heiligen Stuhls und Argentiniens, das er vom
slowakischen Weltmeister Peter Sagan erhalten
hat. Der Erlös soll dem Personal zweier Kranken-
häuser in Brescia und Bergamo zugute kommen.
Zu den Organisatoren der Benefizaktion zählt
Kardinal Gianfranco Ravasi, Präsident des Päpstli-
chen Rates für die Kultur. Beteiligt an der Initiative
unter dem Motto »We Run Together« sind zudem
der vatikanische Sportverein »Athletica Vati-
cana«, der Leichtathletikverband der Region La-
tium sowie die Sportabteilung der italienischen
Finanzpolizei.
Privataudienzen
Der Papst empfing:
28. Mai:
– den Präfekten der Kongregation für die Glau-
benslehre, Kardinal Luis Francisco Ladaria
Ferrer;
– den Bischof von Teggiano-Policastro (Italien),
Antonio De Luca;
– den Generalsekretär der Italienischen Bischofs-
konferenz, Stefano Russo, emeritierter Bischof
von Fabriano-Matelica;
– den Botschafter von Honduras, Carlos Ávila
Molina, zu seinem Abschiedsbesuch;
29. Mai:
– den emeritierten Erzbischof von Lyon (Frank-
reich), Kardinal Philippe Barbarin, mit einer
Delegation der Gemeinschaft »Làzare«;
30. Mai:
– den Präfekten der Kongregation für die
Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet;
– den Präfekten der Kongregation für die Evange-
lisierung der Völker, Kardinal Luis Antonio G.
Tagle;
6. Juni:
– den Präfekten der Kongregation für die
Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet;
– den Vorsitzenden des Rats der europäischen
Bischofskonferenzen (CCEE), Kardinal Angelo
Bagnasco, Apostolischer Administrator der Erz-
diözese Genua;
– den Bürgermeister von Manresa (Spanien),
Herrn Valentí Junyent Torras, mit Gefolge;
8. Juni:
– den Präfekten der Kongregation für die Glau-
benslehre, Kardinal Luis Francisco Ladaria
Ferrer;
– den Erzpriester der Päpstlichen Basilika St. Pe-
ter im Vatikan und Generalvikar seiner Heiligkeit
für den Staat der Vatikanstadt, Kardinal Angelo
Comastri;
– den Erzbischof von Salerno-Campagna- Acerno
(Italien), Andrea Bellandi;
– den Präsidenten der Päpstlichen Akademie für
Theologie, Ignazio Sanna, emeritierter Erzbi-
schof von Oristano;
– den Präfekten des Dikasteriums für die Kom-
munikation, Dr. Paolo Ruffini.
Bischofskollegium
Ernennungen
Der Papst ernannte:
29. Mai:
– zum Metropolitan-Erzbischof von Ibagué (Ko-
lumbien): Orlando Roa Barbosa, bisher Bischof
von Espinal;
– zum Bischof der Diözese Barrancabermeja (Ko-
lumbien): Ovidio Giraldo Velásquez, vom Kle-
rus der Diözese La Dorada-Guaduas, bisher Na-
tionaldirektor des Netzes für Neuevangelisierung
(SINE);
30. Mai:
– zum Weihbischof in der Diözese Umuahia (Ni-
geria): Michael Kalu Ukpong, vom Klerus der
Diözese, bisher Kanzler der Diözese und Pfarrer
der »St. Theresa’s Parish«, mit Zuweisung des Ti-
tularsitzes Igilgili;
– zum Bischof der Diözese Nuestra Señora de la
Altagracia en Higüey (Dominikanische Republik):
Jesús Castro Marte, bisher Weihbischof in der
Erzdiözese Santo Domingo und Titularbischof
von Giufi;
31. Mai:
– zum Bischof der Diözese Niigata (Japan):
P. Paul Daisuke Narui SVD, bisher Sekretär für
Gerechtigkeit und Frieden im Generalat der Ge-
sellschaft des Göttlichen Wortes (Verbiten) in
Rom;
1. Juni:
– Der Papst hat die Diözese Mont-Laurier und die
Diözese Saint-Jérôme (Kanada) »in persona epis-
copi« vereint und den Bischof von Saint-Jérôme,
Raymond Poisson, auch zum Bischof von
Mont-Laurier ernannt;
– zum Bischof von Telsiai (Litauen): Algirdas Ju-
revicius, bisher Weihbischof in der Erzdiözese
Kaunas und Titularbischof von Materiana;
– zum Apostolischen Administrator »ad nutum
Sanctae Sedis« des Militärordinariats der Nieder-
lande: Everardus Johannes de Jong, Weihbi-
schof in der Diözese Roermond und Titularbi-
schof von Cariana;;
5. Juni:
– zum Weihbischof in der Metropolitan-Erzdiö-
zese La Plata (Argentinien): Jorge Esteban Gon-
zález, vom Klerus der Erzdiözese, bisher Rektor
der Kathedrale und stellvertretender Generalvi-
kar der Erzdiözese, mit Zuweisung des Titularsit-
zes Alesa;
6. Juni:
– zum Weihbischof in der Diözese San Cristóbal
de Las Casas (Mexiko): Luis Manuel López Al-
faro, bisher Generalvikar der Diözese, mit Zu-
weisung des Titularsitzes Garba;
8. Juni:
– zum Bischof von Astorga (Spanien): Jesús
Fernández González, bisher Weihbischof in
der Erzdiözese Santiago de Compostela und Titu-
larbischof von Rotdon;
9. Juni:
– zum Bischof von Beaumont (Vereinigte Staaten
von Amerika): David L. Toups, vom Klerus der
Diözese Saint Petersburg (Florida), bisher Rektor
des »Saint Vincent de Paul Regional Seminary« in
Boyton Beach;
– zum Bischof von San Luis (Argentinien): Ga-
briel Bernardo Barba, bisher Bischof von Gre-
gorio de Laferrere;
Errichtung von Kirchenbezirken
30. Mai:
Der Papst hat den Kirchenbezirk Pointe-Noire
(Republik Kongo) errichtet, indem er die Diözese
zum Metropolitansitz erhoben und ihr die Diöze-
sen Dolisie und Nkayi als Suffragandiözesen un-
terstellt hat.
Zum ersten Metropolitan-Erzbischof ernannte er
den bisherigen Bischof von Pointe-Noire, Miguel
Ángel Olaverri Arroniz.
Der Papst hat den Kirchenbezirk Owando (Repu-
blik Kongo) errichtet, indem er die Diözese zum
Metropolitansitz erhoben und ihr die Diözesen
Impfondo und Ouesso als Suffragandiözesen un-
terstellt hat.
Zum ersten Metropolitan-Erzbischof ernannte er
den bisherigen Bischof von Owando, Victor
Abagna Mossa.
Rücktritte
Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an:
29. Mai:
– von Bischof Camilo Fernando Castrellón
Pizano von der Leitung der Diözese Barranca-
bermeja (Kolumbien);
30. Mai:
– von Bischof Gregorio Nicanor Peña Rodrí-
guez von der Leitung der Diözese Nuestra
Señora de la Altagracia en Higüey (Dominikani-
sche Republik);
1. Juni:
– von Bischof Jozef Maria Punt von der Leitung
der Diözese Haarlem-Amsterdam (Niederlande);
– sein Nachfolger ist der bisherige Bischof-Koad-
jutor der Diözese, Johannes Willibrordus Ma-
ria Hendriks;
– von Bischof Jozef Maria Punt von seinem
Amt als Apostolischer Administrator »ad nutum
Sanctae Sedis« des Militärordinariats der Nieder-
lande;
6. Juni:
– von Bischof Jerome Dhas Varuvel von der
Leitung der Diözese Kuzhithurai (Indien);
9. Juni:
– von Bischof Curtis John Guillory von der Lei-
tung der Diözese Beaumont (Vereinigte Staaten
von Amerika);
– von Bischof Pedro Daniel Martínez Perea
von der Leitung der Diözese San Luis (Argenti-
nien).
Todesfälle
Am 25. Mai ist der emeritierte Apostolische
Vikar von Napo in Ecuador, Paolo Mietto, aus
der Kongregation des heiligen Josef, im Alter von
85 Jahren gestorben.
Am 26. Mai ist der emeritierte Bischof von
Benguela in Angola, Óscar Lino Lopes Fern-
andes Braga, im Alter von 88 Jahren gestorben.
Am 1. Juni ist der emeritierte Erzbischof von
Passo Fundo in Brasilien, Pedro Ercílio Simon,
im Alter von 78 Jahren gestorben.
Am 2. Juni ist der emeritierte Bischof von
Amiens in Frankreich, Jacques Noyer, im Alter
von 93 Jahren gestorben.
Ebenfalls am 2. Juni ist der emeritierte Bischof
von Alotau-Sideia in Papua Neuguinea, Des-
mond Charles Moore, aus dem Orden der Mis-
sionare des Heiligsten Herzens Jesu, im Alter von
94 Jahren gestorben.
Am 3. Juni ist der emeritierte Bischof von Pro-
priá in Brasilien, Mario Rino Sivieri, im Alter
von 78 Jahren gestorben.
Am 5. Juni ist der Bischof von Youngstown in
den Vereinigten Staaten von Amerika, George
Vance Murry, aus dem Jesuitenorden, im Alter
von 71 Jahren gestorben.
Ebenfalls am 5. Juni ist der emeritierte Bischof
von Kalamazoo in den Vereinigten Staaten von
Amerika, James Albert Murray, im Alter von
87 Jahren gestorben.
Am 6. Juni ist der ehemalige Weihbischof in
der Diözese Verona in Italien, Andrea Veggio,
Titularbischof von Velia, im Alter von 96 Jahren
gestorben.
Der Apostolische Stuhl
Apostolische Nuntiaturen
Der Papst ernannte:
1. Juni:
– zum Apostolischen Nuntius in der Russischen
Föderation: Giovanni d’Aniello, Titularerzbi-
schof von Paestum, bisher Apostolischer Nuntius
in Brasilien.
VATIKANISCHES BULLETIN
L’OSSERVATORE ROMANOWochenausgabe in deutscher Sprache
50. JahrgangHerausgeber: Apostolischer Stuhl
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12. Juni 2020 / Nummer 24/25
4
L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Papst Franziskus hat an Pfingsten einen
von ihm gestifteten Krankenwagen geseg-
net, der speziell für Arme und Obdachlose
gedacht ist. Der Wagen sei auf dem neue-
sten technischen Stand und werde seinen
Dienst als Teil des vatikanischen Rettungs-
dienstes in den nächsten Tagen aufneh-
men, heißt es in der Mitteilung des Päpstli-
chen Almosenamtes vom 1. Juni.
*******
In einem Brief hat der Papst dem von
Jesuiten betriebenen Centro Astalli in Rom
für dessen Engagement in der Flüchtlings-
hilfe gedankt. In dem am 28. Mai veröf-
fentlichten Schreiben heißt es: »Möge Ihr
Beispiel ein neues Verlangen nach mehr
wahrhaftiger Willkommenskultur und So-
lidarität in der Gesellschaft entfachen.«
Franziskus lobte die Mitarbeiter des Zen-
trums für ihren Mut angesichts der Her-
ausforderung durch immer neue Migrati-
onsströme. Gerade in der jetzigen Zeit sei
es wichtig, entschlossen für das Recht auf
Asyl einzutreten.
*******
Bei der Päpstlichen Schweizergarde ha-
ben am 1. Juni fünf Männer die Sommer-
Rekrutenschule mit einer zweimonatigen
Grundausbildung begonnen. Die Neulinge
kommen aus den Kantonen Luzern, Bern,
Appenzell Ausserrhoden und Nidwalden.
In den ersten Wochen lernen sie ihren
Dienstbereich im Vatikan kennen, neh-
men an Italienischkursen teil und müssen
sich einem Gesundheitscheck unterzie-
hen. Im Herbst folgt gemeinsam mit wei-
teren Rekruten eine mehrwöchige Ausbil-
dung bei der Tessiner Kantonspolizei in
Isone.
*******
Die Vatikanischen Museen wollen
Ärzte und Pflegepersonal für ihren Einsatz
in der Corona-Krise belohnen. Wer einen
entsprechenden Ausweis vorlegt, kann
mit einer Begleitperson die Sammlungen
vom 8. bis 13. Juni kostenlos besichtigen.
Kunst und Medizin vereine ein höheres
Ziel: »die Sorge um den Menschen in sei-
ner Ganzheit«, heißt es in der Mitteilung.
Aus dem Vatikanin Kürze
Vatikanstadt. Der Vatikan erinnert
mit einer Gedenkmünze an Ludwig van
Beethoven, dessen 250. Geburtstag in die-
sem Jahr gefeiert wird. Daneben gibt es
neue Münzen mit dem Wappen von Papst
Franziskus sowie eine Münze zum 100. Ge-
burtstag des heiligen Johannes Paul II.
Erhältlich sein sollen die Münzen ab dem
23. Juni. Die Beethoven-Münze hat einen
Nominalwert von fünf Euro, während wei-
tere Sondermünzen das Thema Taufe be-
handeln und einen Nominalwert von zehn
Euro aufweisen.
Kurz notiert
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO
5
Die Einstellung der Päpste zum Tabak
erfuhr in der jüngeren Zeit eine Wende.
Von einer einstigen Förderung des
Rauchwerks kam es zu einem
umfassenden Rauchverbot und dem
Verbot des Verkaufes von Zigaretten
in der Vatikanstadt.
Von Ulrich Nersinger
Eine frühe Nachricht über den Gebrauch
des Tabaks findet sich in dem Bericht
eines Eremitenmönches, Frà Romano
Pane, an Papst Alexander VI. (Rodrigo Borgia,
1492-1503). Der Ordensmann war Christoph
Columbus auf seiner zweiten Reise von dem
Borgia-Papst mitgegeben worden. Auf der Insel
Hispaniola, dem heutigen Haiti, hatte Pane beob-
achtet, wie die indianischen Priester und Medi-
zinmänner den Tabak als Wundkraut benutzten.
Kardinal Prospero Publicola di Santa Croce
(1513-1589) war der Botschafter des Papstes am
portugiesischen Hof gewesen. Als er von seiner
diplomatischen Mission in Lissabon nach Rom
zurückkehrte, brachte er Tabaksamen als Ge-
schenk für Pius IV. (Gian Pietro Carafa, 1559-
1565) mit. Der Papst übergab das kostbare Pflanz-
gut den Zisterziensermönchen der Ewigen Stadt.
Für eine Reihe von Jahren verblieb das sonder-
bare Kraut in den Kräutergärten der Ordensleute
und diente ausschließlich als Heilmittel. Die
Pflanze, zunächst als »erba santa – heiliges Kraut«
bekannt, erhielt später den lateinischen Namen
»nicotiana rustica«, so benannt nach Jean Nicot,
dem französischen Botschafter in Portugal, der
zeitgleich mit dem Kardinal den Samen nach
Frankreich brachte.
Kirchliche Rauchverbote
Der erste Anbau von Tabak in den Päpstlichen
Staaten, der nicht ausschließlich zu medizini-
schen Zwecken geschah, fand in den Marken
statt, in Chiaravalle, einem Kloster des Zisterzien-
serordens. Die Mönche erzeugten aus den ge-
trockneten Blättern der Pflanze mit primitiven
Steinmühlen ein Pulver, aus dem Schnupftabak
gewonnen wurde. Nur wenige Jahre nachdem
Kardinal Prospero di Santa Croce die Tabak-
pflanze nach Italien gebracht hatte, sorgte ein an-
derer Purpurträger für einen weiteren Meilen-
stein in der Geschichte des Tabaks. Während
eines Empfangs bei dem römischen Fürsten Virgi-
nio Orsini wurde Kardinal Cesario vom Haus-
herrn ein Gegenstand gezeigt, den der Adelige
kurz zuvor in London erworben hatte. Das Objekt
– unter dem Name »Pfeife« bekannt – fand das In-
teresse des Geistlichen. Der Kardinal be geisterte
sich so sehr für die Möglichkeit, den Tabak auf
diese Weise zu genießen, dass er die Pfeife um das
Jahr 1590 am päpstlichen Hof einführte – von dort
aus fand sie Heimstatt und Verbreitung in Rom
und im ganzen Herrschaftsgebiet des Papstes.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
wurde erstmals ein kirchliches Rauchverbot aus-
gesprochen; es betraf jedoch nur den Missbrauch
in einigen Gotteshäusern und wandte sich nicht
gegen das Rauchen generell. Papst Urban VIII.
(Maffeo Barberini, 1623-1644) erließ am 30. Ja-
nuar 1642 eine Bulle, die sich gegen bestimmte
Ausuferungen in spanischen Kirchen wandte.
Als der Papst die Strafe der Exkommunikation
nicht ausschloss, erntete er den Spott der Römer.
An der Statue des Pasquino war zu lesen: »Gegen
ein Blatt, das vom Winde fortgerissen wird, gehst
du mit Macht vor, und einen dürren Halm ver-
folgst du«. Der Spruch gefiel dem Papst und er ver-
sprach dem Verfasser großzügig fünfhundert
Scudi Belohnung. Pasquino antwortete: »Gib sie
dem Hiob.« Die Worte waren nämlich dem Buch
Hiob, Kapitel XIII, Vers 25, entnommen.
Die Bestimmungen der Bulle wurden nur in
Spanien durchgeführt – dort aber rigoros: In San-
tiago mauerte man im Jahre 1692 fünf Mönche
ein, weil sie sich während religiöser Zeremonien
wiederholt nicht an das päpstliche Rauchverbot
gehalten hatten. 1650 verfügte Innozenz X. (Gio-
vanni Battista Pamphilj, 1644-1655) ein Rauch-
und Schnupfverbot für Sankt Peter. Bei einem
Hochamt in der Basilika hatte der Papst beobach-
tet, wie sich sogar hochstehende Mitglieder sei-
nes Hofstaates mehr an der Konsumierung des
Tabaks erfreuten als an der feierlichen Liturgie.
Am 17. Oktober 1711 regelte dann Papst Kle-
mens XI. (Giovanni Francesco Albani, 1700-1721)
durch eine eigens erlassene Bulle den Verkauf
des Genussmittels durch die römischen Tabak-
händler. Das Rauchen und Schnupfen nahm in
der Öffentlichkeit wieder geordnetere Dimensio-
nen an. Benedikt XIII. (Pietro Francesco Orsini,
1724-1730) hob im Jahre 1725 alle kirchlichen
Zensuren auf, die auf den Tabakgenuss (oder viel-
mehr auf dessen Missbrauch) standen; er er-
laubte zudem den Klerikern den Gebrauch von
Tabak, ermahnte sie jedoch, »dabei keinen Anlass
zum Ärgernis zu geben« und untersagte es, »die
Tabakdose herumzureichen, während man im
Chor sitzt und die Gebete verrichtet«.
1740 entstand im römischen Stadtteil Traste-
vere eine Tabakmanufaktur. Für den Betrieb ihrer
hydraulischen Mühlen nutzte die manufattura
das Wasser der Acqua Paola beim Gianicolo. Be-
nedikt XIV. (Propero Lambertini, 1740-1758),
ein begeisterter Raucher und Schnupfer, schaffte
am 21. Dezember 1757 die Tabaksteuer ab. Von
diesem Zeitpunkt an waren für einige Jahrzehnte
die Aussaat, die Ernte und der Verkauf des Tabaks
auch Privatleuten möglich. In Rom selbst gab es
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts drei
große staatliche Manufakturen: In Santa Maria
dell’Orto wurden leichte Zigarren hergestellt, im
Hospiz von San Michele schwere Zigarren und
im Konvent von S. Margerita Schnupftabak.
Im Jahre 1779 erteilte Papst Pius VI. (Giann -
angelo Braschi, 1775-1799) dem deutschen Kauf-
mann Peter Wendler die Konzession für eine Ta-
bakmanufaktur in Rom; in ihr wickelte man die
berühmten bastoni di tabacco (»Tabakstäbe«).
Eine Jahr später verfasste Wendler eine vielbeach-
tete Anleitung für die Kultivierung des Tabaks im
Kirchenstaat – die Istruzione per la coltivazione
del Tabacco nello Stato Pontificio. Während der
Okkupation des Kirchenstaates durch die Franzo-
sen schufen die Besatzer in der Ewigen Stadt die
Regia dei sali e tabacchi; sie erhielt ihren Sitz in
einem Ordenshaus, dem Convento S. Caterina a
Magnapoli. Im Jahre 1815, nach dem Sturz Napo-
leons, bestätigte Papst Pius VII. (Barnaba Chiara-
monti, 1800-1823) die Einrichtung und die Statu-
ten der Regia.
Jährliche Zigarrenspende
Um das Jahr 1830 wurden in Cori bei Rom die
Hersteller des Moro di Cori verpflichtet, die Blät-
ter als Schnupftabak an die Würdenträger des
päpstlichen Hofs zu verkaufen; 1831 führte Gre-
gor XVI. (Bartolomo Alberto Cappellari, 1831-
1846) die Kultivierung dieses Tabaks in ein Staats-
monopol über. 1850 begann man in der
päpstlichen Legation von Umbrien mit dem An-
bau des Kentucky; Versuche, dort auch die Brasil
und andere Sorten zu kultivieren, führten zu eher
unbefriedigenden Ergebnissen.
1851 erließ Kardinalstaatssekretär Giacomo
Antonelli im Namen Pius’ IX. (Giovanni Maria
Mastai Ferretti, 1846-1878) die Verordnung, den
Tabakkonsum im Herrschaftsgebiet des Papstes
nicht zu behindern. 1852 später wurde in den
Päpstlichen Staaten eine Aktiengesellschaft der
»Regia del tabacco« gegründet; die Leitung war ei-
nem Beamten der Kurie anvertraut worden, der
als Gestore die Geschäfte des Unternehmens
führte. Die päpstliche Regierung hielt 65% der
Aktienanteile der Gesellschaft. Jahre später ver-
fügte Pius IX. den Bau einer neuen großen Tabak-
manufaktur in der Ewigen Stadt; noch heute die-
nen deren Baulichkeiten der Generaldirektion
der »Autonomen Verwaltung der italienischen
Staatsmonopole«.
Die Vorliebe Pius’ IX. für den Schnupftabak
war allerorts bekannt, ebenso die seines Nachfol-
gers Leo XIII. (Gioacchino Pecci, 1878-1903) Die
Leidenschaft des Pecci-Papstes für dieses Genuss -
mittel wurde sogar in der Weltliteratur verewigt.
In seinem Roman Rome berichtete Emile Zola,
dass die Soutane, die der Papst trug, sich voll brau-
nen Schmutzes zeigte, der längs der Knöpfe her-
untergerieselt war; auf dem Schoße habe er ein
großes Schnupftuch gehabt. Pius X. (Giuseppe
Sarto, 1903-1914) trug Sorge dafür, dass es seinen
Mitarbeitern und Besuchern nicht am Tabakge-
nuss mangelte. Zu bestimmten Anlässen ließ er
ihn den Bediensteten seines Hofstaates als Grati-
fikation zukommen. Bei einem seiner Spazier-
gänge durch den Apostolischen Palast, der ihn am
Quartier der Nobelgarde vorbeiführte, bemerkte
er, wie aus diesem ein feiner Tabakgeruch her-
ausdrang. Von diesem Tage an konnten sich die
aristokratischen Leibwächter des Heiligen Vaters
an einer alljährlichen päpstlichen Zigarrenspende
erfreuen.
Über das Verhältnis Papst Benedikts XV. (Gia-
como della Chiesa, 1914-1922) zum Tabak ist
recht wenig bekannt. Pius XI. (Achille Ratti, 1922-
1939) wusste eine gute Zigarre zu schätzen, er
bevorzugte vor allem toskanische; er rauchte sie
zumeist nach den Mahlzeiten. Pius XII. (Eugenio
Pacelli, 1939-1958) nahm viele Jahre Schnupfta-
bak zu sich, bis er bedingt durch eine schwere
Lungenentzündung darauf verzichten musste.
Von Johannes XXIII. (Giuseppe Angelo Roncalli,
1958-1963) ist bekannt, dass er Zigaretten konsu-
mierte. Auch der ansonsten eher asketische Papst
Paul VI. (Giovanni Battista Montini, 1963-1978)
rauchte. Der Montini-Papst bot bei Staatsbesu-
chen den Gästen während der Gespräche in sei-
ner Privatbibliothek Rauchwaren an.
Papst Johannes Paul II. (Karol Wojtyla, 1978-
2005) galt als Nichtraucher – was möglicher-
weise eine drastische Verordnung vom 1. Juli
2002 ein wenig verständlich macht. An diesem
Tag trat durch ein von der Päpstlichen Kommis-
sion für den Staat der Vatikanstadt erlassenes Ge-
setz ein umfassendes Rauchverbot für den Kir-
chenstaat in Kraft; es gilt auch für vatikanische
Dienstfahrzeuge und die exterritorialen Besitzun-
gen des Heiligen Stuhls. Die Gendarmerie des Va-
tikans wurde damit beauftragt, die Einhaltung
des Verbotes zu überwachen. Begründet wurde
das Gesetz mit einem neuen Gesundheitsbe -
wusstsein und der Vermeidung eines Suchtver-
haltens.
Mit dem Datum vom 1. Januar 2018 ging Papst
Franziskus noch einen Schritt weiter. Er verfügte,
dass im Vatikan keine Zigaretten mehr verkauft
werden dürfen.
Wochenausgabe in deutscher Sprache
Kultur
Die Päpsteund der Tabak
Kurioses ausder Geschichte
des Kirchenstaates
Zeichnung der Tabakpflanze »Nicotiana
tabacum« aus einem botanischen Atlas,
um 1880 (oben);
Münze aus dem Pontifikat von Pius IX.:
auf der Rückseite ist die Fassade der im Jahr
1740 errichteten Tabakmanufaktur in Rom
abgebildet (oben links);
das Gebäude der ehemaligen Manufaktur im
heutigen Stadtteil Trastevere (links).
Tabakdose von Leo XIII. (ganz unten links).
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
6 Kirche in der Welt
Von Roberto Cetera
Es gibt in Rom kein internationaleres Le-
bensumfeld als das der Päpstlichen Uni-
versitäten. Jedes Jahr kommen aus den
Diözesen aller Welt Hunderte junger Kleriker und
Laien in die Ewige Stadt, um ein akademisches
Studium zu beginnen, vor allem im theologischen
Bereich, aber nicht nur. Sehr oft handelt es sich
um Studiengänge des zweiten und dritten Zyklus
(Lizenz und Promotion), aber nicht selten erwer-
ben Studenten auch das Bakkalaureat an den rö-
mischen Hochschulen und wohnen dann in den
verschiedenen Kollegien ihrer Herkunftsländer.
Der plötzliche Ausbruch der Pandemie hat das
Leben dieser Einrichtungen stark erschüttert. Als
der Lockdown verhängt wurde, lagen die Prüfun-
gen des Wintersemesters einige Wochen zurück,
und die Vorlesungen des zweiten Semesters hat-
ten gerade begonnen. Wie haben die katholi-
schen Hochschulen darauf reagiert? Und wie
blicken sie vor allem in die Zukunft, wie bereiten
sie sich auf das kommende Studienjahr vor?
»Ich würde sagen, dass die Reaktion in allen
Einrichtungen rasch und positiv vonstattenging«,
erläutert Mauro Mantovani, Rektor der Päpstli-
chen Universität der Salesianer. Er ist Präsident
der Cruipro (Konferenz der Rektoren der Päpstli-
chen Universitäten und Institute in Rom), die
22 akademische Einrichtungen, darunter neun
Hochschulen, koordiniert. Und es ist von großer
Bedeutung, dass diese positive Bilanz ausgerech-
net vom Rektor jener Universität kommt, die vom
Virus am stärksten betroffen ist: 62 Infizierte, ei-
nige wurden ins Krankenhaus eingeliefert, der
Ökonom P. Gregorio Jaskot ist verstorben. Aus
den Worten des Rektors geht jedoch deutlich her-
vor, dass der Schmerz über den Verlust eines
wertvollen Mitbruders keineswegs den Willen
auslöscht, sobald wie möglich zur Mission
zurückzukehren, die den Geist der Universität
ausmacht.
Digitale Unterrichtsformen
»Wir haben sofort mit dem Fernunterricht
begonnen, wobei uns die Tatsache zu Hilfe kam,
dass wir bereits seit einiger Zeit digitale Unter-
richtsformen erprobt hatten. Außerdem ist
unsere Hochschule unter anderem für den Studi-
engang in Kommunikationswissenschaften be-
kannt. Natürlich ist uns völlig klar, dass auch die
beste Technologie nie den Wert der unmittelba-
ren pädagogischen Beziehung ersetzen kann,
wie das die kürzlich, am 7. Mai, veröffentlichten
Weisungen der Kongregation für das katholische
Bildungswesen erläutert haben. Sie werden ver-
stehen, dass der Unterschied zwischen reinem
Lernen und einem pädagogischen Prozess bei
uns Söhnen von Don Bosco in die DNA einge-
schrieben ist. Bekanntlich bieten wir auch ›welt-
liche‹ Studiengänge an, in Psychologie, Pädago-
gik, Kommunikationswissenschaften. Daher sind
unter unseren Studenten auch zahlreiche Laien.
In der Osterzeit haben wir an alle unsere Stu-
denten einen Fragebogen verteilt, um ihre An-
passungsfähigkeit an diese ungewöhnlichen
Lernbedingungen zu überprüfen, und ich muss
sagen, dass die Ergebnisse sehr ermutigend wa-
ren. Unsere Psychologische Fakultät zählt tradi-
tionell zu den renommiertesten in Italien. Daher
haben wir auch einen psychologischen Hilfs-
dienst für unsere Studenten und ihre Familien
eingerichtet, denn die Situation ist ja auch psy-
chologisch schwierig.
Was das kommende Studienjahr betrifft, so
haben wir das Vorlesungsverzeichnis bereits fer-
tig. Es steht in voller Kontinuität zu den Vorjah-
ren. Wir rechnen bei unserer Planung damit, dass
der Unterricht als Präsenzveranstaltung stattfin-
den kann. Sollte dies jedoch nicht möglich sein,
dann werden wir im Zeichen der Flexibilität on-
line arbeiten, wobei uns die Erfahrung der letzten
Monate zugutekommt. Und falls es Studenten ge-
ben sollte, die im Oktober noch nicht in Rom an-
wesend sein können, werden wir sie mit Sicher-
heit annehmen: Sie können dem Unterricht über
Video folgen. Ganz sicher werden wir nieman-
den im Stich lassen. Die einzige wirkliche Sorge
sind gegenwärtig die Visa und Einreisegenehmi-
gungen für Studenten aus Ländern, die nicht der
Europäischen Union angehören. Wir hoffen, dass
es von Seiten der Regierung eine besondere Sen-
sibilität für diesen Aspekt geben wird. Aber ich
möchte noch einmal wiederholen, dass Studen-
ten, die vielleicht im Oktober noch nicht kom-
men können, nicht abgehängt werden. Ein
Punkt, den ich als Präsident der Rektorenkonfe-
renz unbedingt betonen möchte, ist die Tatsache,
dass sich bei dieser Gelegenheit eine stärkere Zu-
sammenarbeit zwischen allen Päpstlichen Hoch-
schulen in Rom herausgebildet hat als je zuvor.
Und das ist ein Reichtum, der nicht verlorenge-
hen wird.«
»Ich danke dem L’Osservatore Romano, dass
er uns diese Gelegenheit gibt, eine Botschaft an
alle seine Leser zu richten, besonders an die
Bischöfe und die Höheren Oberen: Habt keine
Angst, im kommenden Jahr wie gewohnt Pries -
ter, Seminaristen, Novizen und Laien nach Rom
zu senden. Ihre gesundheitliche Sicherheit und
das gewohnte hohe Studienniveau, das alle un-
sere Universitäten bieten, werden gewährleistet
sein.«
»An der Gregoriana ist die Situation nicht sehr
viel anders, mit Ausnahme der höheren Zahl aus-
ländischer Studenten, von denen die meisten in
den Nationalkollegien wohnen, insgesamt fast 75
Prozent unserer 2.800 Studenten«, so P. Mark A.
Lewis, Vizerektor der renommierten Studienein-
richtung. »Viele sind jedoch beim Ausbruch der
Pandemie in ihre Heimatländer zurückgekehrt.«
Und er fügt hinzu: »Als Ende Februar die Si-
tuation ernst zu werden begann, haben wir uns
drei Ziele gesetzt: höchste Aufmerksamkeit und
Fürsorge für die Gesundheit unserer Mitarbeiter
und Studenten; sofortige Aufnahme des Fernun-
terrichts sowie elektronische Weiterleitung aller
Unterrichtsmaterialien, die zur Fortsetzung des
Studiums notwendig sind; das Bemühen, keine
Veränderungen am Studienkalender vorzuneh-
men und auch die Termine der Abschluss- und
Einzelprüfungen einzuhalten, sei es online oder
bei persönlicher Präsenz. Wir haben versucht,
möglichst viel Material zu digitalisieren, um die
Unmöglichkeit, die Bibliothek zu benutzen, aus-
zugleichen. Unsere Bibliothek besteht aus etwa
einer halben Million Bücher. Unsere drei Lese-
säle werden am 18. Mai wieder geöffnet, wobei
die Zahl der Plätze auf ein Drittel reduziert wer-
den wird, also auf 75 Plätze, die online reserviert
werden können. Das ist eine große Hilfe für un-
sere Doktoranden.«
Logistik der Hörsäle
»Insgesamt sind wir mit unserer Reaktions-
fähigkeit zufrieden«, so P. Mark weiter. »Auch die
Planung für das nächste Jahr geht gut voran: Wir
haben die Eröffnung des Studienjahres für den
5. Oktober bestätigt, und wir sind gut vorbereitet,
um mit einem gemischten System aus Präsenz-
und Online-Unterricht weiterzumachen. Wir ha-
ben die Logistik der Hörsäle geändert, um die
soziale Distanzierung zu gewährleisten. Und
wir zeichnen gerade den propädeutischen Italie-
nischunterricht für die Studienanfänger auf, da-
mit diese bereits Grundkenntnisse haben, wenn
sie mit den Vorlesungen beginnen, vor allem
dann, wenn sie aufgrund von Visaproblemen ver-
spätet in Rom ankommen sollten. Wir koordinie-
ren die Arbeit mit den wichtigsten nationalen
Kollegien, wo gewöhnlich die meisten unserer
Studenten wohnen. Die Gebühren bleiben
gleich, und wir hoffen, dass in der weltweiten
wirtschaftlichen Unsicherheit die Studienstipen-
dien nicht zurückgehen.«
Der Rektor der Gregoriana, P. Nuno da Silva
Gonçalves, hat keine Zweifel: »Wir werden mit Si-
cherheit gut vorbereitet sein, um sowohl unsere
Studenten, die sich in Rom befinden, als auch jene,
die aufgrund von Ausreiseschwierigkeiten oder
Visaproblemen nicht nach Rom gelangen können,
aufzunehmen und zu begleiten. Wir werden nie-
manden zurücklassen oder alleinlassen.«
In der wunderschönen Kulisse des Aventin
steht die Päpstliche Hochschule Sant’Anselmo
wie eine Festung, die von einem großen Teil des
historischen Stadtkerns von Rom aus zu sehen ist.
Professor Bernhard Eckerstorfer, ein österreichi-
scher Benediktinermönch, ist der Rektor der
Hochschule »Anselmianum«, die neben der Theo-
logischen und der Philosophischen Fakultät
berühmt ist für das Päpstliche Liturgische Institut
sowie für das Institut für monastische Spiritua-
lität. Trotz seiner sichtbaren konstruktiven Ener-
gie kann er ein verhaltenes Staunen über die Er-
eignisse nicht verbergen: »Verstehen Sie? Ich bin
am 16. Dezember letzten Jahres zum Rektor die-
ser Hochschule ernannt worden, voller Pläne und
mit neuen Ideen im Kopf. Ich hatte gerade mal ein
paar Wochen, um mich umzusehen und die Pro-
fessoren kennenzulernen, da kommt diese Pan-
demie über uns! Ich kann Ihnen jedoch versi-
chern, das keines der Projekte zur Weiter-
entwicklung der Hochschule, die wir im Hinter-
kopf haben, beiseitegelegt werden wird.« »Auch
wenn Sant’Anselmo die Päpstliche Universität
mit der größten Zahl ausländischer Studenten in
Rom ist, so bin ich doch recht zuversichtlich, dass
wir keine Absagen haben werden. Unsere Ein-
richtung ist Hochschule und Kolleg zugleich; wir
beherbergen im monastischen Lebensstil etwa
120 von fast 700 Studenten. Wissen Sie, ich bin
sehr stolz: Keiner unserer Studenten hat das Kol-
leg aufgrund des Coronavirus verlassen! Und
zwar aufgrund unserer Besonderheit: der monas -
tischen ›stabilitas‹. Sie ist unter diesen Umständen
nicht nur ein geistlicher Lebensstil, sondern auch
eine Garantie für die Sicherheit im Hinblick auf
die Gesundheit. Niemand verlässt die Abtei,
außer wenn es absolut notwendig ist, und den-
noch ist ein zufriedenstellendes und anregendes
Lebensumfeld gewährleistet.
Ja, wir haben jetzt sogar Anfragen für das
kommende Jahr, die gerade durch den Aufenthalt
im Kolleg bedingt sind. Bischöfe, Äbte und Obere
sind beruhigter, wenn sie wissen, dass ihre Stu-
denten in einem geschützten Studienumfeld blei-
ben, das keine Ortswechsel erfordert. Im Übrigen
gibt es, wie Sie wissen, in 15 Jahrhunderten des
benediktinischen Mönchtums viele Geschichten
von Abteien und Klöstern, die wunderbaren
Schutz gegen Epidemien und die Pest geboten ha-
ben. Konkret haben wir sofort online zu arbeiten
begonnen, wobei uns die Tatsache geholfen hat,
dass wir bereits seit einigen Jahren Onlineunter-
richt auf unserer Plattform angeboten haben. Wir
setzen auch sehr auf asynchrone Vorlesungen:
Wenn Studenten nicht nach Rom kommen kön-
nen, können sie doch wenigstens dem Unterricht
folgen, unabhängig von der Zeitverschiebung.
Dafür investieren wir gerade 7.000 Euro in jeden
Vorlesungssaal, um ihn mit Kameras und techni-
schen Geräten auszustatten, die dazu geeignet
sind, die Vorlesungen aufzuzeichnen und zu
übertragen. Unter Berücksichtigung des Copy-
rights versuchen wir auch, möglichst viele Texte
aus unserer Bibliothek – einer Schatzkiste einzig-
artiger liturgischer und monastischer Materialien
– zu digitalisieren. Ich glaube, dass wir am Ende
dieser Pandemie stärker sein werden als vorher.
Ich denke vor allem an zwei Aspekte: Die Multi-
medialität wird es uns endlich gestatten, die theo-
logische Kultur auch in die Klausurklöster der hal-
ben Welt zu bringen, und außerdem können die
Vorlesungen durch sie anregender gestaltet wer-
den, durch Beiträge von Fachleuten von außen
und »digitale Gastprofessoren«. Und sagen Sie
mir: Wie kann man darauf verzichten, Theologie
in Rom zu studieren? Es ist eine einzigartige, un-
verzichtbare Erfahrung im Leben!
Wenn man auf Rom nicht verzichten kann,
kann man auf Jerusalem erst recht nicht verzich-
ten. P. Alessandro Coniglio OFM ist Professor und
Sekretär des »Studium Biblicum Franciscanum«
(SBF) der Heiligen Stadt, das der Päpstlichen Uni-
versität »Antonianum« in Rom angeschlossen ist.
»Wir sind eine sehr spezialisierte Einrichtung mit
kleinen Zahlen, in der wir nur Studiengänge des
zweiten und dritten Zyklus anbieten. Auch wir
führen seit März nur Online-Unterricht durch,
und drei Lizenzarbeiten wurden bereits in dieser
Form verteidigt. Die Auswirkungen der Pande-
mie waren in Israel nicht so dramatisch wie in der
restlichen Welt, und das Land öffnet sich bereits
wieder. Wir sind zuversichtlich, dass auch wir
bald wieder die Arbeit aufnehmen können, denn
die Präsenz ist für uns wesentlich: Unser Plus-
punkt ist das Studium mitten im Lebensumfeld
des Heiligen Landes.« Von Rom bis Jerusalem er-
geht dieselbe Botschaft vor allem an die Bischöfe:
»Wir sind bereit. Es geht wieder los. Habt keine
Angst, eure Studenten zu schicken. Gewiss mit
Flexibilität, was die Mittel betrifft, aber mit der
gewohnten Qualität und Leidenschaft.«
(Orig. ital. in O.R. 13.5.2020)
An den Päpstlichen Universitäten ist alles bereit für das neue Studienjahr
Die Päpstliche Uni-
versität Gregoriana
wurde 1551 von
Ignatius von Loyola
gegründet. Normaler-
weise studieren hier
mehr als 4000
Studenten aus über
80 verschiedenen
Ländern.
Die Päpstliche Hochschule der Salesianer ist für den Studiengang
Kommunikationswissenschaften bekannt.
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO
7
»Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber
nur den einen Geist« (1 Kor 12,4), schreibt der
Apostel Paulus an die Korinther. Und er fährt
fort: »Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den
einen Herrn; es gibt verschiedene Kräfte, die wir-
ken, aber nur den einen Gott« (V. 5-6). Die Ver-
schiedenen – der Eine: Paulus legt Wert auf die
Verbindung dieser scheinbar widersprüchlichen
Worte. Er will uns sagen, dass der Heilige Geist
dieser Eine ist, der die Verschiedenen zusammen-
bringt, und dass die Kirche so geboren wird: Wir,
die Verschiedenen, werden durch den Heiligen
Geist geeint.
Begeben wir uns also an den Anfang der Kir-
che, zum Pfingsttag. Schauen wir uns die Apostel
an. Unter ihnen gibt es einfache Leute, die, wie
etwa die Fischer, gewohnt sind, von ihrer Hände
Arbeit zu leben; da ist aber auch Matthäus, der
ein gebildeter Steuereinnehmer war. Sie kom-
men aus unterschiedlichen sozialen Verhältnis-
sen, sie haben jüdische und griechische Namen,
sanfte und feurige Charaktere, unterschiedliche
Sichtweisen und Empfindungen. Alle waren sie
verschieden. Jesus hatte sie nicht verändert, er
hatte sie nicht vereinheitlicht und zu »Serienmo-
dellen« gemacht. Nein. Er ließ ihre Unterschiede
bestehen und nun vereint er sie, indem er sie mit
dem Heiligen Geist salbt. Die Vereinigung – die
Einheit dieser Verschiedenen – kommt mit der
Salbung. An Pfingsten erkennen die Apostel die
einheitsstiftende Kraft des Geistes. Mit eigenen
Augen sehen sie, dass alle, obwohl sie unter-
schiedliche Sprachen sprechen, ein einziges Volk
bilden, das Volk Gottes, das geformt ist vom Hei-
ligen Geist, der aus unseren Unterschieden eine
Einheit webt und alles in Einklang bringt, weil im
Heiligen Geist Einklang ist. Er ist der Einklang.
Kommen wir nun zu uns, zur Kirche von
heute. Wir können uns fragen: »Was verbindet
uns, worauf gründet unsere Einheit?« Auch bei
uns gibt es Unterschiede, zum Beispiel in den
Meinungen, in den Entscheidungen, im Empfin-
den. Aber die Versuchung besteht immer darin,
dass wir unsere eigenen Ideen »bis aufs Messer«
verteidigen, dass wir glauben, diese seien gut für
alle und dass wir nur mit denen zurechtkommen,
die so denken wie wir. Und das ist eine schlimme
Versuchung, die Spaltung bringt. Aber dies ist ein
Glaube nach unserer Fasson, es ist nicht das, was
der Geist will. Man könnte freilich auch meinen,
dass unsere Einheit darin besteht, dass wir das
Gleiche glauben und die gleichen Verhaltenswei-
sen praktizieren. Aber da ist noch viel mehr. Un-
ser Prinzip der Einheit ist der Heilige Geist. Er er-
innert uns daran, dass wir zuallererst Gottes ge-
liebte Kinder sind. Darin sind wir alle gleich und
alle verschieden. Der Geist kommt zu uns, mit all
unseren Unterschieden und Nöten, um uns zu
sagen, dass wir einen einzigen Herrn, nämlich Je-
sus, und einen einzigen Vater haben und dass wir
deshalb Brüder und Schwestern sind! Lasst uns
von diesen Überlegungen her noch einmal auf die
Kirche schauen, und zwar so, wie der Heilige
Geist und nicht wie die Welt sie betrachtet. Aus
weltlicher Sicht gehören wir der Rechten oder der
Linken an, mit dieser oder jener Ideologie; für den
Geist gehören wir zum Vater und zu Jesus. Die
Welt sieht Konservative und Progressive; der
Geist sieht Kinder Gottes. Ein weltlicher Blick
sieht Strukturen, die ef-
fizienter gestaltet wer-
den müssten; ein geist-
licher Blick sieht Brüder
und Schwestern, die
um Erbarmen betteln.
Der Geist liebt uns und
kennt den Platz eines je-
den im großen Ganzen.
Für ihn sind wir keine im Wind treibenden Kon-
fettischnipsel, sondern unersetzliche Steinchen
seines Mosaiks.
Kehren wir zum Pfingsttag zurück und ent-
decken wir das erste Werk der Kirche: die Ver-
kündigung. Dabei sehen wir aber auch, dass sich
die Apostel keine Strategie überlegen. Als sie dort
hinter verschlossenen Türen im Abendmahlssaal
waren, da überlegten sie sich keine Strategie,
nein, da erstellen sie auch keinen Pastoralplan.
Sie hätten die Menschen nach den verschiede-
nen Volkszugehörigkeiten in Gruppen aufteilen
können, sie hätten sich zuerst an die Nahen und
dann an die weiter Entfernten wenden können,
ganz geordnet… Sie hätten mit der Verkündi-
gung auch noch eine Weile warten können, um
die Lehre Jesu erst einmal zu vertiefen, und so ge-
wisse Risiken zu vermeiden… Nein, das konnten
sie nicht. Der Geist will nicht, dass die Erinne-
rung an den Meister in geschlossenen Gruppen
gepflegt wird, in Kreisen, in denen man sich
gerne »sein Nest baut«. Und dies ist eine
schlimme Krankheit, die die Kirche befallen
kann, dass die Kirche nicht Gemeinschaft, nicht
Familie, nicht Mutter, sondern ein Nest ist. Er öff-
net, er erhöht, er drängt über das bereits Gesagte
und Getane, er drängt über die Einfriedungen ei-
nes schüchternen und zurückhaltenden Glau-
bens hinaus. In der Welt kommt man ohne ein
kompaktes Arrangement und eine ausgeklügelte
Strategie nicht weit. In der Kirche hingegen ga-
rantiert der Geist denen Einheit, die verkündigen.
Und so machen sich die Apostel unvorbereitet auf
den Weg, sie setzen einiges aufs Spiel, sie gehen
hinaus. Ein einziger Wunsch beseelt sie: das wei-
terzugeben, was sie erhalten haben. Am Anfang
des Ersten Johannesbriefes heißt es sehr schön:
»Das, was wir empfangen und gesehen haben,
das geben wir weiter an euch« (vgl. 1,3).
Und so verstehen wir schließlich, was das Ge-
heimnis der Einheit, was das Geheimnis des Hei-
ligen Geistes ist. Das Geheimnis der Einheit in der
Kirche, das Geheimnis des Heiligen Geistes ist die
Hingabe. Weil er ganz Gabe ist, lebt er, indem er
sich selbst gibt, und auf diese Weise hält er uns zu-
sammen und lässt uns teilhaben an eben dieser
Gabe. Es ist wichtig, daran zu glauben, dass Gott
ganz Gabe ist, dass er nicht nimmt, sondern gibt.
Warum ist das wichtig? Weil es von unserer Got -
tesvorstellung abhängt, auf welche Weise wir un-
seren Glauben leben. Wenn wir einen Gott im
Sinn haben, der sich alles nimmt, der sich auf-
drängt, dann möchten auch wir uns alles nehmen
und uns aufdrängen: Räume besetzen, Bedeu-
tung beanspruchen, nach Macht streben. Aber
wenn wir Gott als Gabe in unseren Herzen
spüren, ändert sich alles. Wenn uns bewusst
wird, dass das, was wir sind, sein Geschenk ist,
seine freie und unverdiente Gabe, dann werden
auch wir dieses Leben zu einem Geschenk ma-
chen wollen. Und indem wir demütig lieben und
unentgeltlich und freudig dienen, werden wir der
Welt das wahre Bild Gottes offenbaren. Der Geist,
das lebendige Gedächtnis der Kirche, erinnert
uns daran, dass wir uns einer Gabe verdanken
und dass wir wachsen, indem wir uns hingeben;
nicht indem wir unser Leben bewahren, sondern
indem wir uns hingeben.
Liebe Brüder und Schwestern, schauen wir
auf unser Leben und fragen wir uns, was uns
daran hindert, uns selbst zu geben. Es gibt sozu-
sagen drei Feinde der Hingabe, drei besonders
schlimme, die immer vor der Tür des Herzens
kauern: der Narzissmus, das Selbstmitleid und
der Pessimismus. Der Narzissmus führt dazu,
dass man sich selbst vergöttert, dass nur der ei-
gene Vorteil zählt. Der Narzisst denkt: »Das Le-
ben ist schön, wenn es sich für mich auszahlt.«
Und so sagt er schließlich: »Warum sollte ich
mich anderen hingeben?« Wie schlimm ist, jetzt
in dieser Pandemie, der Narzissmus, der Rückzug
auf die eigenen Bedürfnisse, die Gleichgültigkeit
gegenüber den Bedürfnissen anderer, das Nicht -
eingestehen der eigenen Fehler und Schwächen.
Aber auch der zweite Feind, das Selbstmitleid,
ist gefährlich. Der von Selbstmitleid Befallene be-
schwert sich jeden Tag über seine Mitmenschen:
»Niemand versteht mich, niemand hilft mir, nie-
mand mag mich, alle haben etwas gegen mich!«
Wie oft haben wir dieses Gejammer schon
gehört! Und sein Herz verschließt sich, während
er sich fragt: »Warum sind die anderen nicht für
mich da?« Wie unschön ist solches Selbstmitleid
angesichts der dramatischen Situation, in der wir
uns befinden! Zu denken, dass niemand uns ver-
steht und das fühlt, was wir fühlen. Das ist das
Selbstmitleid. Und dann ist da noch der Pessimis-
mus. Hier lautet die tägliche Litanei: »Nichts ist
gut, weder die Gesellschaft, noch die Politik, noch
die Kirche…« Der Pessimist hat ein Problem mit
der Welt, bleibt aber untätig und denkt: »Was
bringt es schon, etwas zu geben? Es ist nutzlos.«
Jetzt, im großen Bemühen um einen Neubeginn,
wie schädlich ist da der Pessimismus, die
Schwarzmalerei und die ständige Leier, dass
nichts mehr so sein wird, wie es einmal war!
Wenn man so denkt, kehrt die Hoffnung sicher
nicht zurück.
Wenn diese drei Götzen herrschen – der nar-
zisstische Götze des Spiegels, wenn man sein
Spiegelbild vergöttert; der Gott des Gejammers,
wenn man sich über das Jammern definiert; und
der Gott des Pessimismus, wenn uns alles
schwarz und dunkel erscheint –, dann erleben
wir einen Mangel an Hoffnung und wir müssen
das Geschenk des Lebens wieder schätzen ler-
nen, das Geschenk, das jeder von uns ist. Deshalb
brauchen wir den Heiligen Geist, die Gabe
Gottes, der unseren Narzissmus, unser Selbstmit-
leid und unseren Pessimismus heilt. Er heilt uns
von unseren Spiegelbildern, vom Gejammer und
von aller Dunkelheit.
Brüder und Schwestern, lasst uns zu ihm be-
ten: Heiliger Geist, Gedächtnis Gottes, belebe in
uns die Erinnerung an die empfangene Gabe. Be-
freie uns aus der Lähmung des Egoismus und ent-
zünde in uns die Sehnsucht, zu dienen und Gutes
zu tun. Denn schlimmer als die gegenwärtige
Krise wäre nur, wenn wir die Chance, die sie
birgt, ungenutzt verstreichen ließen und uns in
uns selbst verschlössen. Komm, Heiliger Geist,
der du der Einklang bist, mache uns zu Erbauern
der Einheit; du, der du dich immer hingibst, gib
uns den Mut, aus uns selbst herauszugehen, ein-
ander zu lieben und uns gegenseitig beizustehen,
um eine einzige Familie zu werden. Amen.
Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Eucharistiefeier im Petersdom am Hochfest Pfingsten
Die einheitsstiftende Kraft des GeistesPredigt von Papst Franziskus am 31. Mai
Der Heilige Vater hat die Gläubigen zu Pfingsten
zur kirchlichen Einheit gemahnt. Auch in der
Kirche gebe es unterschiedliche Meinungen,
Entscheidungen, Empfindungen, sagte er in
seiner Predigt am Sonntagmorgen im Peters-
dom. »Aber unser Prinzip der Einheit ist der
Heilige Geist.« Für ihn »sind wir keine im Wind
treibenden Konfettischnipsel, sondern unersetz-
liche Steinchen seines Mosaiks«, so der Papst.
Die Pfingstmesse im Vatikan war wegen der
Corona-Pandemie nicht öffentlich zugänglich.
Nur einige Dutzend Gläubige durften an der
Zeremonie am Kathedra-Altar – mit Schutz -
masken und Sicherheitsabstand – teilnehmen.
Der Gottesdienst wurde live über TV und im
Internet übertragen. Zum Abschluss seiner
Predigt bat der Papst den Heiligen Geist, die
Menschen aus der »Lähmung des Egoismus« zu
befreien. »Denn schlimmer als die gegenwärtige
Krise wäre nur, wenn wir die Chance, die sie
birgt, ungenutzt verstreichen ließen und uns
in uns selbst verschlössen«, mahnte er.
An Pfingsten erkennen die Apostel die einheitsstiftende
Kraft des Geistes. Mit eigenen Augen sehen sie, dass alle,
obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen,
ein einziges Volk bilden, das Volk Gottes, das geformt ist vom
Heiligen Geist, der aus unseren Unterschieden eine Einheit
webt und alles in Einklang bringt, weil im
Heiligen Geist Einklang ist. Er ist der Einklang.
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
8 Aus dem Vatikan
Videobotschaft von Papst Franziskus an die Teilnehmer der von CHARIS online organisierten Gebetsvigil
Trost und Kraft des Heiligen GeistesTausende Gläubige aus über hundert Ländern
beteten am Abend des 30. Mai gemeinsam. Der
»Internationale Dienst für die Katholische Cha-
rismatische Erneuerung (CHARIS)« hatte dazu
eingeladen. Er wurde vor einem Jahr von Papst
Franziskus ins Leben gerufen und am 8. Dezem-
ber 2018 vom Dikasterium für die Laien, die Fa-
milie und das Leben errichtet. Seine Statuten tra-
ten an Pfingsten 2019 in Kraft. Der Papst wandte
sich mit einer Videobotschaft auf Spanisch an die
Teilnehmer der Gebetsvigil. Er sagte:
Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war,
waren alle Gläubigen zusammen am selben Ort.
So beginnt das zweite Kapitel der Apostelge-
schichte, das wir gerade gehört haben. Auch
heute sind wir dank des technischen Fortschritts
bei der Pfingstvigil vereint, Gläubige aus ver-
schiedenen Teilen der Welt.
Der Text fährt fort: »Da kam plötzlich vom
Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger
Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in
dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen
wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von
ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom
Heiligen Geist erfüllt« (V. 2-4).
Der Heilige Geist lässt sich auf jedem Jünger
nieder, auf einem jedem von uns. Der von Jesus
verheißene Geist kommt, um jeden von uns zu
erneuern, zu bekehren, zu heilen. Er kommt, um
die Ängste – wie viele Ängste haben wir –,
die Unsicherheiten zu heilen; er kommt, um un-
sere Wunden zu heilen, auch die Wunden,
die wir uns gegenseitig zufügen; und er kommt,
um uns in Jünger zu verwandeln, missionarische
Jünger, mutige Zeugen, erfüllt von apostolischer
Parrhesia, was notwendig ist für die Verkündi-
gung des Evangeliums Jesu, wie es bei den Jün-
gern war und wir es in den anschließenden Ver-
sen lesen.
Die Verheißung
Heute brauchen wir es mehr denn je, dass der
Vater uns den Heiligen Geist sendet. Im ersten
Kapitel der Apostelgeschichte sagt Jesus zu sei-
nen Jüngern: »Wartet auf die Verheißung des Va-
ters, die ihr von mir vernommen habt! Denn
Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet
schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist
getauft werden« (V. 4). Und in Vers 8 fügt er
hinzu: »Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der
Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und
ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und
in ganz Judäa und Samarien und bis an die Gren-
zen der Erde.«
Zeugnis für Jesus. Zu diesem Zeugnis führt uns
der Heilige Geist. Heute leidet die Welt und ist
verwundet. Wir leben in einer sehr verwundeten
Welt, die leidet, besonders in den Ärmsten, die
ausgeschlossen werden. Jetzt, wo all unsere Si-
cherheiten verschwunden sind, braucht die Welt
es, dass wir ihr Jesus geben. Sie braucht unser
Zeugnis für das Evangelium, das Evangelium Jesu.
Dieses Zeugnis können wir nur mit der Kraft des
Heiligen Geistes geben.
Wir brauchen es, dass der Geist uns neue Au-
gen schenkt, unseren Verstand und unser Herz
öffnet, damit wir uns dem gegenwärtigen Augen-
blick und der Zukunft stellen mit der Lektion, die
wir gelernt haben: Wir sind eine einzige Mensch-
heit. Niemand rettet sich alleine. Niemand. Der
heilige Paulus sagt im Galaterbrief: »Es gibt nicht
mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und
Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle
seid einer in Christus Jesus« (3,28), ein einziger
Leib, der durch die Kraft des Heiligen Geistes zu-
sammengehalten wird. Durch diese Taufe des
Heiligen Geistes, die Jesus verkündet. Wir wissen
es, wir wissen es, aber diese Pandemie, die wir er-
leben, hat uns dies auf sehr viel dramatischere
Weise erfahren lassen.
Wir stehen vor der Pflicht, eine neue Wirk-
lichkeit aufzubauen. Der Herr wird es tun, wir
können mitarbeiten: »Seht, ich mache alles neu«
(Offb 21,5).
Wenn wir diese Pandemie überstanden ha-
ben werden, werden wir nicht weiter das tun
können, was wir immer getan haben und wie
wir es getan haben. Nein, alles wird anders sein.
All dieses Leid wird nichts genützt haben, wenn
wir nicht alle gemeinsam eine gerechtere, fairere,
christlichere Gesellschaft aufbauen, nicht dem
Namen nach, sondern tatsächlich, eine Realität,
die uns zu christlichem Verhalten führt. Wenn
wir nicht daran arbeiten, die Pandemie der Armut
in der Welt, die Pandemie der Armut in unseren
jeweiligen Ländern, in der Stadt, in der jeder von
uns lebt, zu beenden, wird diese Zeit vergeblich
gewesen sein.
Aus den großen Prüfungen der Menschheit,
und unter diesen der Pandemie, geht man besser
oder schlechter hervor. Man bleibt nicht gleich.
Ich frage euch: Wie wollt ihr daraus hervorge-
hen? Besser oder schlechter? Und das ist der
Grund, warum wir uns heute dem Heiligen Geist
öffnen, damit er unser Herz verwandeln und uns
helfen möge, als bessere Menschen daraus her-
vorzugehen.
Wir werden nicht besser daraus hervorgehen,
wenn wir nicht so leben, dass wir danach beur-
teilt werden, was Jesus uns sagt: »Denn ich war
hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich
war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen;
ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen«
(vgl. Mt 25,35-36).
Und das ist die Aufgabe von allen, von uns al-
len. Und auch eure Aufgabe von Charis, die ihr
alle vereint seid als Charismatiker.
Strom der Gnade
Das dritte Dokument von Malines, geschrie-
ben in den 1970er Jahren von Kardinal Suenens
und von Bischof Hélder Câmara, mit dem Titel
Charismatische Erneuerung und Dienst am Men-
schen, erkennt diesen Weg als einen Strom der
Gnade an. Seid diesem Ruf des Heiligen Geistes
treu!
Mir kommen die prophetischen Worte von
Johannes XXIII. in den Sinn, mit denen er das
Zweite Vatikanische Konzil angekündigt hat und
die die Charismatische Erneuerung in besonderer
Weise beherzigt: »Der anbetungswürdige Geist
Gottes möge das heiße Flehen der gesamten
Menschheit hören, das täglich aus allen Teilen
der Welt zu ihm emporgetragen wird, und sich
herablassen. ›Erneuere in dieser unserer Zeit
durch ein neues Pfingsten deine Wunder und ge-
währe deiner heiligen Kirche, mit Maria, der
Mutter Jesu, einmütig im Gebete zu verharren
und unter der Führung des heiligen Petrus das
Reich des göttlichen Heilandes auszubreiten, das
Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit, das Reich
der Liebe und des Friedens.‹«Euch allen wünsche ich in dieser Gebetsvigil
den Trost des Heiligen Geistes. Und die Kraft des
Heiligen Geistes, um die Pandemie, diesen Mo-
ment des Schmerzes, der Traurigkeit und der Prü-
fung, zu überstehen, um besser daraus hervorzu-
gehen.
Der Herr segne euch und die Jungfrau Maria
behüte euch.
(Orig. span.; ital. in O.R. 1./2.6.2020)
Videobotschaft von Papst Franziskus an die Teilnehmer der Gebetsvigil der Bewegung »Thy Kingdom Come«
Füreinander beten und Verantwortung tragen
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit großer Freude schließe ich
mich Erzbischof Justin Welby und
euch allen an, um das, was ich im Her-
zen trage, mit euch zu teilen. Es ist
Pfingsten: Wir denken an den Tag, an
dem der Geist Gottes machtvoll herab-
gekommen ist. Von jenem Tag an hat
sich das Leben Gottes unter uns ver-
breitet und uns eine neue Hoffnung ge-
bracht, einen Frieden und eine Freude,
die wir vorher nicht kannten. An
Pfingsten hat Gott die Welt mit Leben
angesteckt. Was für ein Gegensatz ist
all dies zur tödlichen Ansteckung, die
die Erde seit Monaten heimsucht! Da-
her ist es heute mehr denn je notwen-
dig, den Heiligen Geist anzurufen, da-
mit er das Leben Gottes, die Liebe, in
unsere Herzen ausgieße. Denn damit
die Zukunft besser wird, muss unser
Herz besser werden.
Am Pfingsttag begegneten einan-
der Völker mit unterschiedlichen Spra-
chen. In diesen Monaten dagegen wer-
den wir aufgefordert richtige und
notwendige Maßnahmen zu befolgen,
um Abstand zu halten. Aber in unse-
rem Inneren können wir besser ver-
stehen, was die anderen fühlen. Angst
und Unsicherheit sind uns gemein-
sam. So viele betrübte Herzen sind zu
trösten. Ich denke an das, was Jesus
sagte, als er über den Heiligen Geist
sprach: Er gebrauchte ein besonderes
Wort, »Paraklet«, das heißt Tröster.
Viele von euch haben seinen Trost er-
fahren, jenen inneren Frieden, der be-
wirkt, dass wir uns geliebt fühlen; jene
sanfte Kraft, die immer, auch im
Schmerz, Mut verleiht. Der Heilige
Geist gibt uns die Gewissheit, dass wir
nicht allein sind, sondern von Gott ge-
stützt werden. Meine Lieben, was wir
empfangen haben, müssen wir weiter-
geben: Wir sind aufgerufen, den Trost
des Geistes, die Nähe Gottes, zu ver-
breiten.
Wie können wir das tun? Denken
wir an das, was wir jetzt haben möch-
ten: Trost, Ermutigung; jemanden, der
sich um uns kümmert; jemanden, der
für uns betet, der mit uns weint, der
uns hilft, unsere Probleme zu bewälti-
gen. Das ist es: Alles, was ihr wollt,
dass euch die Menschen tun, das tut
auch ihnen (vgl. Mt 7,12). Wir möch-
ten, dass uns jemand zuhört? Hören
wir zu! Wir brauchen Ermutigung?
Machen wir Mut! Wir möchten, dass
sich jemand um uns kümmert? Küm-
mern wir uns um denjenigen, der nie-
manden hat! Wir brauchen Hoffnung
für morgen? Schenken wir heute Hoff-
nung! Heute erleben wir einen tragi-
schen Mangel an Hoffnung. Wie viele
Wunden, wie viel nicht gefüllte Leere,
wie viel trostloser Schmerz! Werden
wir zu Dolmetschern des Trostes, der
vom Heiligen Geist kommt, vermitteln
wir Hoffnung und der Herr wird auf
unserem Lebensweg neue Wege eröff-
nen.
Ich möchte euch gerne etwas über
unseren Weg sagen. Wie sehr
wünschte ich, dass wir als Christen
noch mehr und mehr gemeinsam Zeu-
gen der Barmherzigkeit für die hart ge-
prüfte Menschheit wären. Bitten wir
den Heiligen Geist um das Geschenk
der Einheit, denn wir werden Ge-
schwisterlichkeit nur dann verbreiten,
wenn wir unter uns als Brüder und
Schwestern leben. Wir können die
Menschheit nicht bitten, vereint zu
bleiben, wenn wir unterschiedliche
Wege gehen. So wollen wir füreinan-
der beten und uns füreinander verant-
wortlich fühlen.
Der Heilige Geist schenkt Weisheit
und Rat. In diesen Tagen wollen wir
ihn herabrufen auf alle, die schwierige,
dringende Entscheidungen zu treffen
haben, um das menschliche Leben
und die Würde der Arbeit zu schützen.
Man muss investieren: in Gesundheit,
Arbeit, die Ausmerzung von Ungleich-
heit und Armut. Mehr denn je brau-
chen wir heute einen Blick, der voller
Menschlichkeit ist: Man darf nicht
wieder anfangen, den eigenen Erfolg
zu suchen, ohne sich um diejenigen zu
kümmern, die nicht nachkommen.
Und auch wenn das viele tun werden,
bittet der Herr uns, den Kurs zu än-
dern. Am Pfingsttag sagte Petrus mit
der Parrhesia des Heiligen Geistes:
»Kehrt um!« (Apg 2,38), das heißt än-
dert die Richtung, schlagt eine andere
Fahrtrichtung ein. Wir müssen wieder
auf Gott und den Nächsten zugehen:
nicht getrennt, nicht taub gegenüber
dem Schrei der Vergessenen und des
verwundeten Planeten. Wir müssen
vereint sein, damit wir uns den sich
ausbreitenden Pandemien stellen kön-
nen: der Pandemie des Virus, aber
auch der des Hungers, der Kriege, der
Geringschätzung des Lebens, der
Gleichgültigkeit. Nur wenn wir ge-
meinsam gehen, werden wir weit
kommen.
Liebe Brüder und Schwestern, ihr
verbreitet die Verkündigung des Le-
bens, die im Evangelium enthalten ist,
und ihr seid ein Zeichen der Hoffnung.
Ich danke euch von Herzen. Ich bitte
Gott, dass er euch segnen möge, und
euch bitte ich zu beten, damit er auch
mich segne. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 1./2.6.2020)
»Thy Kingdom Come« ist eine welt-
weite Gebetsbewegung, die Christen
einlädt, in besonderer Weise von Him-
melfahrt bis Pfingsten zu beten. Seit
der Gründung durch die Erzbischöfe
von Canterbury und York im Jahr 2016
haben Christen aus 172 Ländern und
65 Konfessionen dafür gebetet, dass
Freunde und Familien im Glauben an
Jesus Christus gestärkt werden.
Momentaufnahme aus der weltweiten Online-Pfingstvigil.
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO
9
»Hier bin ich,
sende mich« (Jes 6,8)
Liebe Brüder und Schwestern,
für den Einsatz, mit dem der vergangene Ok-
tober, der außerordentliche Missionsmonat, in
der gesamten Kirche begangen wurde, möchte
ich Gott danken. Ich bin überzeugt, dass dieser
dazu beigetragen hat, viele Gemeinschaften auf
dem Weg, der durch das Thema »Getauft und ge-
sandt: die Kirche Christi auf Mission in der Welt«
vorgezeichnet war, zur missionarischen Neuaus-
richtung zu bewegen.
Wenn das aktuelle Jahr auch von den durch
die Covid-19 Pandemie verursachten Leiden und
Herausforderungen gekennzeichnet ist, so setzt
sich doch der missionarische Weg der gesamten
Kirche im Lichte jenes Wortes fort, das wir in der
Erzählung der Berufung des Propheten Jesaja fin-
den: »Hier bin ich, sende mich« (Jes 6,8). Es ist die
immer neue Antwort auf die Frage des Herrn:
»Wen soll ich senden?« (ebd.). Dieser Ruf kommt
aus dem Herzen Gottes, aus seiner Barmherzig-
keit, der in der gegenwärtigen weltweiten Krise
sowohl an die Kirche als auch an die Menschheit
ergeht. »Wie die Jünger des Evangeliums wurden
wir von einem unerwarteten heftigen Sturm
überrascht. Uns wurde klar, dass wir alle im sel-
ben Boot sitzen, alle schwach und orientierungs-
los sind, aber zugleich wichtig und notwendig,
denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam
zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig bei-
stehen. Auf diesem Boot … befinden wir uns
alle. Wie die Jünger, die wie aus einem Munde
angsterfüllt rufen: ›Wir gehen zugrunde‹ (vgl.
V. 38), so haben auch wir erkannt, dass wir nicht
jeder für sich, sondern nur gemeinsam voran-
kommen« (Betrachtung auf dem Petersplatz,
27. März 2020). Wir sind wirklich erschrocken,
orientierungslos und verängstigt. Der Schmerz
und der Tod lassen uns unsere menschliche Zer-
brechlichkeit erfahren; aber zugleich nehmen
wir alle in uns eine starke Sehnsucht nach Leben
und Befreiung vom Übel wahr. In diesem Zusam-
menhang stellt sich der Ruf zur Mission – die Ein-
ladung, um der Liebe zu Gott und zum Nächsten
willen aus sich selbst hinauszugehen – als Gele-
genheit des Teilens, des Dienens, der Fürbitte dar.
Die Mission, die Gott jedem anvertraut, führt von
einem ängstlichen und verschlossenen zu einem
wiedergefundenen und durch die Selbsthingabe
erneuerten Ich.
Im Kreuzesopfer, in dem sich die Sendung
Jesu erfüllt (vgl. Joh 19,28-30), offenbart uns Gott,
dass seine Liebe jedem und allen gilt (vgl. Joh
19,26-27). Und er bittet uns um die persönliche
Sendungsbereitschaft, weil er die Liebe ist, die in
beständiger Missionsbewegung immer aus sich
herausgeht, um Leben zu geben. Aus Liebe zu
den Menschen hat Gott Vater den Sohn Jesus ge-
sandt (vgl. Joh 3,16). Jesus ist der Missionar des
Vaters: Seine Person und sein Werk sind gänzli-
cher Gehorsam zum Willen des Vaters (vgl. Joh
4,34; 6,38; 8,12-30; Hebr 10,5-10). Seinerseits
zieht uns der für uns gekreuzigte und auferstan-
dene Jesus in seine Liebesbewegung hinein, mit
eben seinem Geist, der die Kirche beseelt; er
macht uns zu Jüngern Christi und sendet uns auf
Mission in die Welt und zu den Völkern.
»Die Mission und ›die Kirche im Aufbruch‹sind nicht ein Programm, ein Vorhaben, das
durch Willensanstrengung zu verwirklichen ist.
Christus lässt die Kirche aufbrechen. Du bewegst
dich in der Mission der Verkündigung des Evan-
geliums, weil der Geist dich antreibt und führt«
(Vgl. Senza di Lui non possiamo far nulla, Città
del Vaticano 2019, 16f). Gott liebt uns immer als
Erster und mit dieser Liebe begegnet er uns und
ruft uns. Unsere persönliche Berufung rührt da-
her, dass wir Söhne und Töchter Gottes in der Kir-
che sind, seine Familie, Brüder und Schwestern
in jener Liebe, die Jesus uns bezeugt hat. Alle aber
haben eine menschliche Würde, die auf dem gött-
lichen Ruf gründet, Kinder Gottes zu sein, im Sa-
krament der Taufe und der Freiheit des Glaubens
das zu werden, was sie von je her im Herzen
Gottes sind.
Schon die Tatsache des ohne unser eigenes Zu-
tun empfangenen Lebens stellt eine implizite Ein-
ladung dar, in die Dynamik der Selbsthingabe ein-
zutreten: In die Getauften wird ein Same gelegt,
der als Liebesantwort reife Gestalt in der Ehe oder
der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches wil-
len annehmen wird. Das menschliche Leben ent-
springt der Liebe Gottes, es wächst in der Liebe
und strebt zur Liebe hin. Niemand ist von der
Liebe Gottes ausgeschlossen und im heiligen Op-
fer des Sohnes Jesu am Kreuz hat Gott die Sünde
und den Tod besiegt (vgl. Röm 8,31-39). Für Gott
wird das Böse, ja sogar die Sünde, zu einer Heraus-
forderung, zu lieben und immer mehr zu lieben
(vgl. Mt 5,38-48; Lk 23,33-34). Daher heilt die
göttliche Barmherzigkeit im Pascha mysterium die
Urwunde der Menschheit und ergießt sich über
das ganze Universum. Die Kirche als universales
Sakrament der Liebe Gottes für die Welt setzt die
Mission Jesu in der Geschichte fort und sendet
uns überallhin aus, auf dass durch unser Glau-
benszeugnis und die Verkündigung des Evangeli-
ums Gott noch einmal seine Liebe kundtue und
Herz, Verstand und Körper aller Menschen sowie
die Gesellschaften und Kulturen überall und zu je-
der Zeit berühren und verwandeln möge.
Die Mission ist die freie und bewusste Ant-
wort auf den Ruf Gottes. Aber diesen Ruf können
wir nur wahrnehmen, wenn wir eine persönli-
che Liebesbeziehung mit Jesus pflegen, der in der
Kirche lebendig ist. Fragen wir uns: Sind wir be-
reit, die Gegenwart des Heiligen Geistes in unse-
rem Leben anzunehmen? Sind wir bereit, den
Ruf zur Mission zu vernehmen, sowohl im Ehe -
leben als auch auf dem Weg der gottgeweihten
Keuschheit oder des Weihepriestertums und
überhaupt im gewöhnlichen alltäglichen Leben?
Sind wir bereit, überallhin ausgesandt zu wer-
den, um unseren Glauben an Gott, den barmher-
zigen Vater, zu bezeugen, um das Evangelium
des Heils Jesu Christi zu verkünden, um am gött-
lichen Leben des Heiligen Geistes teilzuhaben
und so die Kirche aufzubauen? Sind wir bereit,
wie Maria, die Mutter Jesu, vorbehaltlos dem
Willen Gottes zu dienen (vgl. Lk 1,38)? Diese in-
nere Bereitschaft ist sehr wichtig, um Gott ant-
worten zu können: »Hier bin ich, Herr, sende
mich« (Jes 6,8). Und dies nicht in einer abstrakten
Vorstellung, sondern im Heute der Kirche und der
Geschichte.
Verstehen, was Gott uns in diesen Zeiten der
Pandemie sagen will, wird zu einer Herausforde-
rung auch für die Mission der Kirche. Die Krank-
heit, das Leiden, die Angst, die Isolation richten
Anfragen an uns. Die Armut desjenigen, der al-
lein stirbt, der sich selbst überlassen ist, der die
Arbeit und den Lohn verliert, der kein zu Hause
und nichts zu essen hat, werfen Fragen auf. Ge-
rade weil wir dazu verpflichtet sind, körperlichen
Abstand zu halten und zu Hause zu bleiben, sind
wir eingeladen, wiederzuentdecken, dass wir der
sozialen Beziehungen bedürfen und auch der ge-
meinschaftlichen Beziehung zu Gott. Fernab da-
von, das Misstrauen und die Gleichgültigkeit zu
mehren, sollte dieser Zustand uns aufmerksamer
für unsere Art und Weise machen, mit den ande-
ren in Beziehung zu treten. Und das Gebet, in
dem Gott unser Herz berührt und bewegt, öffnet
uns für die Bedürfnisse der Liebe, der Würde, der
Freiheit unserer Brüder wie auch für die Sorge
um die ganze Schöpfung. Die Unmöglichkeit, uns
als Kirche zu versammeln, um die Eucharistie zu
feiern, hat uns die Lage vieler christlicher Ge-
meinschaften teilen lassen, die die Messe nicht
jeden Sonntag feiern können. In diesem Zusam-
menhang wird die Frage, die Gott uns stellt, »Wen
soll ich senden?«, erneut an uns gerichtet und er-
wartet von uns eine neue großzügige und über-
zeugte Antwort: »Hier bin ich, sende mich« (Jes
6,8). Gott fährt in der Suche fort, wen er in die
Welt und zu den Völkern senden kann, um seine
Liebe, seine Errettung von Sünde und Tod, seine
Befreiung vom Bösen zu bezeugen (vgl. Mt 9,35-
38; Lk 10,1-12).
Den Weltmissionstag zu begehen bedeutet
auch zu bekräftigen, wie das Gebet, das Nach-
denken und die materielle Hilfe eurer Spenden
eine Gelegenheit darstellen, um aktiv an der Mis-
sion Jesu in seiner Kirche teilzunehmen. Die
Nächstenliebe, die in den Kollekten der liturgi-
schen Feiern des dritten Sonntags im Oktober
zum Ausdruck gebracht wird, hat den Zweck, die
in meinem Namen geleistete missionarische Ar-
beit der Päpstlichen Missionswerke zu unterstüt-
zen, um den geistlichen und materiellen Bedürf-
nissen der Völker und der Kirchen auf der ganzen
Welt zum Heile aller nachzukommen.
Die allerseligste Jungfrau Maria, Stern der
Evangelisierung und Trösterin der Betrübten, mis-
sionarische Jüngerin ihres eigenen Sohnes Jesus,
möge weiterhin für uns Fürsprache einlegen und
uns beistehen.
Rom, St. Johannes im Lateran,
am 31. Mai 2020, dem Hochfest Pfingsten.
Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Botschaft des Heiligen Vaters zum Weltmissionssonntag am 25. Oktober 2020
Aktive Teilnahme an der Mission Jesu in seiner Kirche
Die Mission ist die freie und
bewusste Antwort auf den Ruf Gottes.
Aber diesen Ruf können wir nur
wahrnehmen, wenn wir eine
persönliche Liebesbeziehung mit Jesus
pflegen, der in der Kirche lebendig ist.
Fragen wir uns: Sind wir bereit,
die Gegenwart des Heiligen Geistes in
unserem Leben anzunehmen? Sind wir
bereit, den Ruf zur Mission zu
vernehmen, sowohl im Eheleben als auch
auf dem Weg der gottgeweihten
Keuschheit oder des Weihepriestertums
und überhaupt im gewöhnlichen
alltäglichen Leben?
Wien/Rom. Große Freude
über die näher rückende Selig -
sprechung von Pauline Marie Jari-
cot (1799-1862) herrscht bei
den Päpstlichen Missionswerken
(Missio): Die Französin sei eine
»große Laienmissionarin«, und
man danke dem »Missionspapst
Franziskus« für die Anerkennung
eines Wunders auf ihre Fürspra-
che, hieß es am 28. Mai auf der
Facebook-Seite von »Missio Öster-
reich«. Jaricot habe »durch Gebet
und Spende die Weltmission neu
erfunden«. Papst Franziskus hatte
zuvor ein auf Fürbitte Jaricots ge-
wirktes Wunder per Dekret aner-
kannt und damit den Weg für die
Seligsprechung geebnet.
Die Lebensgeschichte von Pau-
line Marie Jaricots ist eng mit jener
der Päpstlichen Missionswerke
verbunden: Als 23-Jährige grün-
dete sie in Frankreich 1822 das
»Werk der Glaubensverbreitung«,
das Papst Pius XI. (1922-39) 100
Jahre später zu »seinen« Missions-
werken gemacht habe. Die Initia-
tive »Lebendiger Rosenkranz«, die
von Missio Österreich derzeit un-
ter dem Motto »Gott kann«
(www.gott-kann.at) wieder aufge-
griffen wird, ist ebenfalls eine »Er-
findung« Jaricots: 2,4 Millionen
Franzosen wurden von ihr ab
1826 zum Gebet für die Weltmis-
sion motiviert. Sie teilte dazu
Gebetsgruppen jeden Monat nach
einer Eucharistiefeier ein Rosen-
kranzgeheimnis zu, um für die
Missionen zu beten.
Auch die Päpstlichen Missions-
werke auf Weltebene sprachen
von einem »Moment großer
Freude« und einem »sehr wichti-
gen Schritt«: »Es bedeutet, dass ihr
Engagement für die Mission, das
aus Gebet und Nächstenliebe be-
steht, für die Weltkirche spricht
und auch heute noch von Bedeu-
tung ist«, erklärte der weltweite
Missio-Präsident Kurienerzbischof
Giampietro Dal Toso.
Grundlage für die baldige Se-
ligsprechung ist die nun von der
Kirche als Wunder anerkannte
Heilung eines damals dreijährigen
Mädchens namens Mayline Tran
im Jahr 2012, das nach einem
20-minütigen Stillstand des Herz-
Kreislaufssystems kaum Überle-
benschancen hatte. Als die Fami-
lie eine Novene zu Pauline Marie
Jaricot betete, sei das Mädchen
wieder zu Bewusstsein gekom-
men und danach wider Erwarten
völlig genesen.
Freude über baldige Seligsprechung von Pauline Marie Jaricot
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
10 Aus dem Vatikan
Liebe Brüder!
Ich hatte vor, in dieser Osterzeit mit euch zu-
sammenzutreffen und gemeinsam die Chrisam-
Messe zu feiern. Da aber eine Feier auf Diöze-
sanebene nicht möglich ist, schreibe ich euch
diesen Brief. Die neue Phase, die wir beginnen,
erfordert von uns Klugheit, Weitblick und einen
gemeinsamen Einsatz, damit all die bisherigen
Anstrengungen und Opfer nicht umsonst waren.
In dieser Zeit der Pandemie haben viele von
euch über Email oder Telefon mit mir darüber ge-
sprochen, was diese unvorhergesehene und be-
unruhigende Situation bedeutete. Obwohl es
nicht möglich war, hinauszugehen oder direkten
Kontakt zu haben, habt ihr mir so ermöglicht,
»aus erster Hand« zu erfahren, was ihr erlebt. Die-
ser Austausch hat mein Gebet genährt, in vielen
Fällen, um für das mutige und großherzige Zeug-
nis zu danken, das ich von euch empfangen habe;
in anderen Fällen waren es Bitte und Fürsprache
im Vertrauen auf den Herrn, der immer seine
Hand ausstreckt (vgl. Mt 14,31). Obwohl es not-
wendig war, die soziale Distanzierung einzuhal-
ten, hat dies nicht verhindert, dass sich das Ge-
fühl der Zusammengehörigkeit, der Gemein-
schaft und der Mission verstärkte, was uns ge-
holfen hat, dafür zu sorgen, dass die Liebe, vor al-
lem gegenüber den am meisten benachteiligten
Menschen und Gemeinschaften, nicht unter
Quarantäne gestellt wurde. In diesen aufrichti-
gen Gesprächen konnte ich feststellen, dass die
notwendige Distanz nicht gleichbedeutend war
mit Rückzug auf sich selbst oder Abkapselung,
die die Mission betäubt, einschläfert und aus-
löscht.
Ermutigt von diesem Austausch schreibe ich
euch, weil ich euch näher sein möchte, um euren
Weg zu begleiten, zu teilen und zu stärken. Die
Hoffnung hängt auch von uns ab und erfordert,
dass wir einander helfen, damit sie lebendig und
aktiv bleibt, jene ansteckende Hoffnung, die in
der Begegnung mit den anderen gepflegt und ge-
stärkt wird und die uns als Geschenk und Auf-
gabe gegeben ist, um die neue »Normalität« auf-
zubauen, nach der wir uns so sehr sehnen.
Ich schreibe euch mit dem Blick auf die erste
Gemeinschaft der Apostel, die ebenfalls Mo-
mente des Eingeschlossenseins, der Isolierung,
der Angst und Unsicherheit durchgemacht hat.
Fünfzig Tage vergingen zwischen Unbeweglich-
keit und Abkapselung und der beginnenden Ver-
kündigung, die ihr Leben für immer verändern
sollte. Während die Türen des Ortes, wo sie sich
befanden, aus Angst verschlossen waren, wur-
den die Jünger von Jesus überrascht, der »in ihre
Mitte trat und zu ihnen sagte: Friede sei mit euch!
Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände
und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie
den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ih-
nen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater ge-
sandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das ge-
sagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen:
Empfangt den Heiligen Geist!« (Joh 20,19-22).
Lassen auch wir uns überraschen!
»Als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei
verschlossenen Türen beisammen waren« (Joh
20,19).
Heute wie gestern spüren wir: »Freude und
Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von
heute, besonders der Armen und Bedrängten al-
ler Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer
und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts
wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Her-
zen seinen Widerhall fände« (Gaudium et spes, 1).
Wie gut kennen wir dies alles! Alle haben wir die
Zahlen und Quoten gehört, die uns tagtäglich be-
drängten. Wir haben den Schmerz der Menschen
mit Händen greifen können. Was uns erreichte,
waren keine weit entfernten Daten: Die Statisti-
ken trugen Namen, Gesichter, gemeinsam er-
lebte Begebenheiten. Als priesterliche Gemein-
schaft waren wir dieser Wirklichkeit nicht fremd
und haben sie nicht vom Fenster aus beobachtet.
Vom Sturm, der wütete, durchnässt, wart ihr er-
finderisch, um bei euren Gemeinden zu sein und
sie zu begleiten: Ihr habt den Wolf kommen sehen
und seid weder geflohen noch habt ihr die Herde
im Stich gelassen (vgl. Joh 10,12-13).
Wir haben den plötzlichen Verlust von Fami-
lienangehörigen, Nachbarn, Freunden, Gemein-
demitgliedern, Beichtvätern, Orientierungspunk-
ten unseres Glaubens, erlitten. Wir haben die
untröstlichen Gesichter derjenigen gesehen, die
ihren Angehörigen in den letzten Stunden nicht
nahe sein durften und sich nicht von ihnen ver-
abschieden konnten. Wir haben das Leid und die
Ohnmacht des Krankenhauspersonals gesehen,
Ärzte und Pflegekräfte, die sich in nicht enden
wollenden Arbeitstagen aufrieben, um die zahl-
losen Hilferufe zu beantworten. Alle haben wir
die Unsicherheit und Angst der Erwerbstätigen
und freiwilligen Helfer gespürt, die sich Tag für
Tag dem Risiko aussetzten, um die Grundversor-
gung zu sichern, und auch um sich derjenigen an-
zunehmen, die aufgrund ihrer Ausgrenzung und
Schutzlosigkeit stärker unter den Folgen dieser
Pandemie zu leiden hatten, und sie zu begleiten.
Wir haben die Schwierigkeiten und Nöte der so-
zialen Einschränkungen gesehen und von ihnen
gehört: Einsamkeit und Isolierung vor allem der
alten Menschen; Sorge, Angst und das Gefühl der
Schutzlosigkeit gegenüber der Unsicherheit in
Bezug auf Arbeit und Wohnung; Gewalt und Zer-
mürbung in den Beziehungen. Die uralte Angst
vor der Ansteckung hat wieder zugeschlagen.
Wir haben auch die beklemmenden Sorgen
ganzer Familien geteilt, die nicht wissen, was in
der nächsten Woche auf den Tisch kommen soll.
Wir haben unsere eigene Verwundbarkeit
und Ohnmacht erlebt. Wie der Brennofen die
Gefäße des Töpfers prüft, so sind wir auf die
Probe gestellt worden (vgl. Sir 27,5). Verwirrt von
allem, was geschah, haben wir verstärkt die Un-
sicherheit unseres Lebens und des apostolischen
Einsatzes gespürt. Die
Unvorhersehbarkeit der
Situation hat unsere Un-
fähigkeit ans Licht ge-
bracht, mit Unbekann-
tem zu leben und uns
damit auseinanderzuset-
zen, mit dem, was wir
nicht beherrschen oder
kontrollieren können,
und wie alle anderen haben wir uns verwirrt,
verängstigt, schutzlos gefühlt. Wir erleben auch
jene gesunde und notwendige Wut, die uns
drängt, angesichts der Ungerechtigkeiten nicht
mutlos die Hände sinken zu lassen, und die uns
daran erinnert, dass wir für das Leben erträumt
wurden. Wie Nikodemus bei Nacht überrascht,
weil »der Wind weht, wo er will; du hörst sein
Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und
wohin er geht«, haben wir uns gefragt: »Wie kann
das geschehen?« Und Jesus hat uns geantwortet:
»Du bist der Lehrer Israels und verstehst das
nicht?« (vgl. Joh 3,8-10).
Die Komplexität dessen, was zu bewältigen
war, erlaubte keine fertigen Rezepte oder Ant-
worten aus dem Handbuch. Es erforderte weit
mehr als oberflächliche Ermahnungen oder er-
bauliche Reden, die nicht in der Lage sind, all
das, was das konkrete Leben von uns verlangte,
gewissenhaft aufzunehmen und darin verwur-
zelt zu sein. Das Leid unserer Gläubigen tat uns
weh, ihre Unsicherheiten machten uns betrof-
fen, unsere geteilte Schwäche nahm uns jegli-
che falsche idealistische oder spiritualistische
Selbstgefälligkeit wie auch jede Möglichkeit ei-
ner puritanischen Flucht. Niemand steht außer-
halb von dem, was geschieht. Wir können sa-
gen, dass wir gemeinsam die Stunde des
weinenden Herrn erlebt haben: Wir haben vor
dem Grab des Freundes Lazarus geweint (vgl.
Joh 11,35), vor der Verschlossenheit seines
Volkes (vgl. Lk 13,14; 19,41), in der dunklen
Nacht von Getsemani (vgl. Mk 14,32-42; Lk
22,44). Es ist auch die Stunde des weinenden
Jüngers vor dem Geheimnis des Kreuzes und
des Bösen, das so viele Unschuldige trifft. Es ist
das bittere Weinen des Petrus nach der Verleug-
nung (vgl. Lk 22,62), das Weinen der Maria
Magdalena vor dem Grab (vgl. Joh 20,11).
Wir wissen, dass es unter solchen Umständen
nicht leicht ist, den richtigen Weg zu finden, und
es wird auch nicht an Stimmen fehlen, die all das
aufzählen werden, was man angesichts dieser
unbekannten Wirklichkeit hätte tun können. Un-
sere gewöhnliche Art und Weise, Beziehungen
zu pflegen, zu organisieren, Liturgie zu feiern, zu
beten, einzuladen und sogar Konflikte zu bewäl-
tigen, sind von einer unsichtbaren Präsenz ver-
ändert und in Frage gestellt worden, die unseren
Alltag in Widrigkeiten verwandelt hat. Es handelt
sich weder bloß um eine individuelle oder fami-
liäre Angelegenheit noch um die einer bestimm-
ten gesellschaftlichen Gruppe oder eines Landes.
Die Merkmale des Virus bringen die Logik zum
Verschwinden, nach der wir gewöhnlich die Rea-
lität aufgeteilt oder klassifiziert haben. Die Pan-
demie kennt keine Adjektive, Grenzen und nie-
mand darf meinen, allein zurechtzukommen.
Wir sind alle betroffen und beteiligt.
Das Narrativ einer Gesellschaft der Vorsorge,
einer unerschütterlichen und stets zu unbe-
grenztem Konsum bereiten Gesellschaft ist in
Frage gestellt worden und hat das Fehlen einer
kulturellen und spirituellen Immunität gegen -
über Konflikten offenbart. Eine Reihe alter und
neuer Fragen und Probleme (die in vielen Gegen-
den der Welt als veraltet und überwunden be-
trachtet wurden) haben den Horizont und die
Aufmerksamkeit besetzt. Fragen, die durch die
bloße Wiedereröffnung der verschiedenen Akti-
vitäten keine Antwort finden werden. Vielmehr
wird es unerlässlich sein, ein Zuhören zu ent-
wickeln, das aufmerksam, aber voller Hoffnung,
gelassen, aber hartnäckig, konstant, aber nicht
ängstlich ist, und das die Wege bahnen und be-
reiten kann, die der Herr uns zu gehen aufruft
(vgl. Mk 1,2-3). Wir wissen, dass man aus Leid
und schmerzhaften Erfahrungen nicht unverän-
dert hervorgeht. Wir müssen wachsam und auf-
merksam sein. Der Herr selbst hat in seiner ent-
scheidenden Stunde dafür gebetet: »Ich bitte
nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern
dass du sie vor dem Bösen bewahrst« (Joh 17,15).
Persönlich und gemeinschaftlich gefährdet und
getroffen in unserer Verwundbarkeit und
Schwäche sowie in unseren Grenzen, ist die Ge-
fahr groß, dass wir uns zurückziehen und weiter
über die Trostlosigkeit nachgrübeln, die die Pan-
demie uns vor Augen stellt, oder dass wir uns auf
einen grenzenlosen Optimismus versteifen, der
unfähig ist, die reale Dimension der Ereignisse zu
akzeptieren (vgl. Apostolisches Schreiben Evan-
gelii gaudium, 226-228).
Die Stunden der Prüfung rufen unsere Unter-
scheidungsgabe auf den Plan, um zu entdecken,
welche Versuchungen uns in einer Atmosphäre
der Bestürzung und Verwirrung gefangen zu hal-
ten drohen, um dann in die schlechte Ange-
wohnheit einer Vorgehensweise zu verfallen, die
unsere Gemeinschaften daran hindern wird, das
neue Leben zu fördern, das der auferstandenen
Herr uns schenken will. Es gibt verschieden Ver-
suchungen, die charakteristisch sind für diese
Zeit und die uns blind machen können, indem
wir bestimmte Empfindungen und Haltungen
pflegen, die es der Hoffnung nicht erlauben, un-
sere Kreativität, unsere Phantasie und unsere
Fähigkeit zu einer Antwort zu stimulieren. Das
reicht von der Tatsache, ehrlich die gravierende
Situation annehmen zu wollen, allerdings mit
dem Versuch, sie lediglich mit Ersatzaktivitäten
oder Notbehelfen zu lösen, während man wartet,
dass alles zur »Normalität« zurückkehrt, und die
tiefen Wunden und die Zahl der in der Zwi-
schenzeit Verstorbenen ignoriert. Bis hin zum
Eingetaucht-Bleiben in eine gewisse lähmende
Nostalgie nach der jüngsten Vergangenheit, die
uns sagen lässt, dass »nichts sein wird wie zu-
vor«, und die uns unfähig macht, die anderen
zum Träumen aufzufordern, zum Entwerfen
neuer Wege und neuer Lebensstile.
»Jesus trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen:
Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er
ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten
sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus
sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch!«
(Joh 20,19-21).
Der Herr hat keine ideale Situation gewählt
oder gesucht, um sich im Leben seiner Jünger
Bahn zu brechen. Sicher hätten wir es vorgezo-
gen, wenn all das, was passiert ist, nicht gesche-
hen wäre. Aber es ist passiert. Und wie die Em-
mausjünger können auch wir weiter traurig auf
dem Weg murren (vgl. Lk 24,13-21). Als der Herr
bei verschlossenen Türen in das Obergemach
trat, mitten in Isolierung, Angst und Unsicher-
heit, in der sie lebten, war er in der Lage, jede Lo-
gik zu verwandeln und der Geschichte und den
Ereignissen eine neue Bedeutung zu verleihen.
Jede Zeit ist geeignet, Frieden zu verkünden,
keine Situation ist seiner Gnade beraubt. Seine
Gegenwart inmitten des Eingeschlossen-Seins
Brief von Papst Franziskus an die Priester der Diözese Rom
Propheten einer neuen Zukunft
Fortsetzung auf Seite 11
In einigen römischen Pfarreien wurde die heilige Messe über Livestream übertragen, in anderen feier-
ten die Priester die heilige Messe mit Lautsprechern auf dem Dach der Kirche, so dass die Nachbarn
daran teilnehmen konnten.
Die christliche Freude entspringt
genau dieser Gewissheit. Mitten in den Widersprüchen
und dem Unbegreiflichen, dem wir uns jeden Tag
stellen müssen, überflutet und sogar betäubt
von so vielen Worten und Zusammenhängen,
verbirgt sich die Stimme des Auferstandenen,
der zu uns sagt:
»Friede sei mit euch!«
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
11Aus dem Vatikan
und der erzwungenen Abwesenheit kündet für
die Jünger von damals wie für uns heute einen
neuen Tag an, der Bewegungslosigkeit und Resi-
gnation in Frage zu stellen und im Dienst an der
Gemeinschaft alle Gaben zu mobilisieren ver-
mag. Durch seine Gegenwart ist das Eingeschlos-
sen-Sein fruchtbar geworden und hat der neuen
Gemeinschaft der Apostel Leben geschenkt.
Sagen wir es mit Vertrauen und ohne Angst:
»Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die
Gnade übergroß geworden« (Röm 5,20). Haben
wir keine Angst vor den komplexen Szenarien,
die wir bewohnen, weil der Herr dort mitten un-
ter uns ist! Gott hat immer das Wunder voll-
bracht, gute Früchte hervorzubringen (vgl. Joh
15,5). Die christliche Freude entspringt genau
dieser Gewissheit. Mitten in den Widersprüchen
und dem Unbegreiflichen, dem wir uns jeden Tag
stellen müssen, überflutet und sogar betäubt von
so vielen Worten und Zusammenhängen, ver-
birgt sich die Stimme des Auferstandenen, der zu
uns sagt: »Friede sei mit euch!«
Es ist tröstlich, das Evangelium zur Hand zu
nehmen und Jesus zu betrachten, wie er mitten
unter seinem Volk ist, während er das Leben und
die Menschen, so wie sie sind, annimmt und um-
armt. Seine Gesten verkörpern den schönen Lob-
gesang Marias: »Er vollbringt mit seinem Arm
machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll
Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom
Thron und erhöht die Niedrigen« (Lk 1,51-52). Er
selbst hat seine Hände und seine verwundete
Seite als Weg zur Auferstehung angeboten. We-
der verbirgt noch verhüllt er seine Wunden, ja
vielmehr lädt er Thomas ein, mit Händen zu grei-
fen, dass eine Seitenwunde Quelle des Lebens in
Fülle sein kann (vgl. Joh 20,27-29).
Wiederholt durfte ich als geistlicher Begleiter
Zeuge folgender Tatsache sein: »Der Mensch, der
die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, der sich
vom Schmerz durchdringen lässt und in seinem
Herzen weint, ist fähig, die Tiefen des Lebens zu
berühren und wahrhaft glücklich zu sein. Dieser
Mensch wird getröstet, aber mit dem Trost Jesu
und nicht mit dem der Welt. So kann er sich
trauen, fremdes Leid zu teilen, und hört auf, vor
den schmerzvollen Situationen zu fliehen. Auf
diese Weise findet er, dass das Leben Sinn hat,
wenn man dem anderen in seinem Schmerz bei-
steht, wenn man die fremde Angst versteht,
wenn man den anderen Erleichterung verschafft.
Dieser Mensch spürt, dass der andere Fleisch von
seinem Fleisch ist; er fürchtet sich nicht davor,
sich zu nähern und sogar seine Wunde zu
berühren; er hat solches Mitleid, das ihn erfahren
lässt, dass alle Distanz verschwindet. So kann
man die Ermahnung des heiligen Paulus anneh-
men: ›Weint mit den Weinenden!‹ (Röm 12,15).
Mit den anderen zu trauern wissen, das ist Hei-
ligkeit« (Apostolisches Schreiben Gaudete et ex-
sultate, 76)
»Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er
sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen
Geist!« (Joh 20,21-22).
Liebe Brüder, als Presbyterium sind wir auf-
gerufen, die Zukunft zu verkünden und zu pro-
phezeien, wie der Wächter, der das Morgenrot
ankündet, das einen neuen Tag bringt (vgl. Jes
21,11): Entweder wird es etwas Neues sein oder
es wird mehr, sehr viel mehr und schlimmer sein
als gewöhnlich. Die Auferstehung ist nicht nur
ein historisches Ereignis der Vergangenheit, an
das man sich erinnert und das man feiert. Sie ist
mehr, sehr viel mehr: Sie ist die Ankündigung
des Heils einer neuen Zeit, die bereits heute er-
klingt und sich Bahn bricht: »Schon sprießt es,
merkt ihr es nicht?« (Jes 43,19). Es ist das »An-
Kommende«, zu dessen Aufbau der Herr uns auf-
ruft.
Der Glaube befähigt uns zu einer realistischen
und kreativen Vorstellungskraft, die in der Lage
ist, die Logik der Wiederholung, des Ersatzes oder
der Bewahrung beiseite zu lassen, und die uns
einlädt, eine immer neue Zeit zu beginnen: die
Zeit des Herrn. Wenn uns eine unsichtbare, laut-
lose, expansive und virale Präsenz in eine Krise
gestürzt und erschüttert hat, dann wollen wir zu-
lassen, dass uns diese andere diskrete, respekt-
volle und nicht invasive Gegenwart erneut ruft
und uns lehrt, keine Angst zu haben, uns der
Wirklichkeit zu stellen. Wenn eine nicht fassbare
Präsenz in der Lage war, die Prioritäten und eine
scheinbar unverrückbare globale Agenda – die
unsere Gemeinschaften und unsere Schwester
Erde so sehr ersticken und verheeren – durch-
einanderzubringen und auf den Kopf zu stellen,
dann wollen wir keine Angst haben, dass die Ge-
genwart des Auferstandenen uns den Weg bahnt,
neue Horizonte eröffnet und uns den Mut gibt,
diesen historischen und einzigartigen Augen-
blick zu leben. Eine Handvoll furchtsamer Män-
ner war in der Lage, eine neue Bewegung ins Le-
ben zu rufen: die Verkündigung des lebendigen
Gottes-mit-uns. Habt keine Angst! »Die Kraft des
Zeugnisses der Heiligen liegt darin, die Seligprei-
sungen und den Maßstab des Jüngsten Gerichts
zu leben« (Apostolisches Schreiben Gaudete et
exsultate, 109).
Lassen wir uns neu vom Auferstandenen
überraschen. Von seiner Seitenwunde her, Zei-
chen dafür, wie hart und ungerecht die Realität
wird, möge er es sein, der uns drängt, der harten,
schwierigen Realität unserer Brüder und Schwes -
tern nicht den Rücken zu kehren. Er möge es
sein, der uns lehrt, die Wunden unseres Volkes
zu begleiten, zu heilen und zu verbinden, nicht
ängstlich, sondern mutig und mit der wunderba-
ren Überfülle der Brotvermehrung aus dem
Evangelium (vgl. Mt 14,15-21); mit dem Mut, der
Fürsorge und der Verantwortung des Samariters
(vgl. Lk 10,33-35); mit der Freude und dem Fest
des Hirten für sein wiedergefundenes Schaf (vgl.
Lk 15,4-6); mit der versöhnenden Umarmung
des Vaters, der die Vergebung kennt (vgl. Lk
15,20); mit dem Mitleid, der Sanftmut und der
Zärtlichkeit der Maria von Bethanien (vgl. Joh
12,1-3); mit der Sanftmut, Geduld und Klugheit
der missionarischen Jünger des Herrn (vgl. Mt
10,16-23). Mögen die verwundeten Hände des
Auferstandenen unsere Traurigkeiten trösten,
unsere Hoffnung neu wecken und uns drängen,
jenseits unserer üblichen Zufluchtsorte das Reich
Gottes zu suchen.
Lassen wir uns auch überraschen von unse-
rem gläubigen und einfachen Volk, dem so oft
geprüften und aufgeriebenen, aber auch von der
Barmherzigkeit des Herrn besuchten Volk.
Möge dieses Volk uns lehren, unser Hirtenherz
mit Sanftmut und Mitleid zu formen und zu stär-
ken, mit Demut und mit der Großherzigkeit der
aktiven, solidarischen, geduldigen und mutigen
Widerstandsfähigkeit, die nicht gleichgültig
bleibt, sondern jede Art von Skeptizismus und
Fatalismus Lügen straft und entlarvt. Wie viel
gibt es da zu lernen von der Kraft des gläubigen
Gottesvolks, das immer einen Weg findet, um
dem, der gefallen ist, zu helfen und ihn zu be-
gleiten! Die Auferstehung ist die Verkündigung,
dass sich die Dinge ändern können. Lassen wir
es zu, dass das Osterfest, das keine Grenzen
kennt, uns auf kreative Weise zu den Orten
führt, wo die Hoffnung und das Leben zu kämp-
fen haben, wo Leid und Schmerz zu einem Kor-
ruption und Spekulation begünstigenden Raum
werden, wo Aggressivität und Gewalt der letzte
Ausweg zu sein scheinen.
Als Priester, Söhne und Glieder eines pries -
terlichen Volkes kommt es uns zu, die Verant-
wortung für die Zukunft zu übernehmen und sie
als Brüder zu entwerfen. Legen wir unsere Ver-
wundbarkeit, die Verwundbarkeit unseres
Volkes und der ganzen Menschheit als heilige
Opfergabe in die verwundeten Hände des Herrn.
Der Herr ist derjenige, der uns verwandelt, der
sich unser bedient wie des Brotes, der unser Le-
ben in seine Hände nimmt, uns segnet, uns
bricht, uns austeilt und seinem Volk gibt. Lassen
wir uns in aller Demut von den Worten des heili-
gen Paulus salben, damit sie sich wie wohlrie-
chendes Öl in den unterschiedlichen Winkeln
unserer Stadt verbreiten und so die verborgene
Hoffnung wecken, die viele stillschweigend in
ihrem Herzen tragen: »Von allen Seiten werden
wir in die Enge getrieben und finden doch noch
Raum; wir wissen weder aus noch ein und ver-
zweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und
sind doch nicht verlassen; wir werden niederge-
streckt und doch nicht vernichtet. Immer tragen
wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit
auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar
wird« (2 Kor 4,8-10). Nehmen wir mit Jesus an
seiner Passion teil, unsere Passion, um mit ihm
auch die Kraft der Auferstehung zu leben: Ge-
wissheit der Liebe Gottes, die das Innerste zu be-
wegen und an die Wegkreuzungen hinauszuge-
hen vermag, um »den Armen eine frohe
Botschaft zu bringen, um den Gefangenen die
Entlassung zu verkünden und den Blinden das
Augenlicht, um die Zerschlagenen in Freiheit zu
setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszuru-
fen« (vgl. Lk 4,18-19), in der Freude darüber, dass
alle mit ihrer Würde als Kinder des lebendigen
Gottes aktiv teilhaben können.
All dies, was ich in dieser Zeit der Pandemie
gedacht und gespürt habe, möchte ich brüderlich
mit euch teilen, damit es uns helfen möge auf
dem Weg des Lobpreises an den Herrn und des
Dienstes an den Brüdern und Schwestern. Ich
hoffe, dass dies uns allen eine Hilfe sein möge,
um »mehr zu lieben und mehr zu dienen«.
Der Herr segne euch und die allerseligste
Jungfrau behüte euch. Und bitte vergesst nicht,
für mich zu beten.
Brüderlich
Rom, bei St. Johannes im Lateran, am 31. Mai
2020, Hochfest Pfingsten
(Orig. ital. in O.R. 31.5.2020)
Brief von Papst Franziskus an die Priester der Diözese Rom
Fortsetzung von Seite 10
Charles de Foucauld
»Patron bei Corona-Einsamkeit«
Vatikanstadt. Mit Charles
de Foucauld (1858-1916) erhält
die katholische Kirche einen
Abenteurer als neuen Heiligen,
der vor allem durch seine »radi-
kale Gottsuche« hervorsticht:
Das hat P. Bernard Ardura, Prä-
sident des Päpstlichen Komitees
für Geschichtswissenschaften
und zugleich Postulator für die
Heiligsprechung des in Algerien
ermordeten Eremiten, in einem
Interview mit dem Portal »Vati-
can News« dargelegt. Papst
Franziskus hat am 26. Mai ein
auf Foucaulds Fürbitte gewirk-
tes Wunder anerkannt, womit
die formalen Voraussetzungen
für die weltweite Verehrung des
bereits 2005 seliggesproche-
nen Ordensmanns erfüllt sind.
Ein Termin für die Heilig -
sprechung ist allerdings noch
nicht bekannt.
Durch Foucaulds Leben in
der Abgeschiedenheit der Wüs -
te könne er durchaus als
Schutzheiliger in Zeiten des
Corona-bedingten »Social Di-
stancing« gelten, befand der Hi-
storiker und Priester Ardura:
Auch Foucauld selbst habe
lange Zeit weder die Messe fei-
ern noch die Eucharistie emp-
fangen können.
Der 1858 in Straßburg gebo-
rene Foucauld trat als Offizier
und Nordafrika-Forscher 1890
zunächst in den Trappistenor-
den ein. Nach Aufenthalten in
Klöstern Frankreichs und spä-
ter Syriens wurde er sieben
Jahre später Eremit. Auf der Su-
che nach einem einfachen Le-
ben arbeitete er in Nazareth als
Hausangestellter im Garten des
Klarissenklosters, ehe er sich im
westlichen Algerien niederließ.
Nach der Übersiedlung nach
Tamanrasset im Süden, wo er
vermittelnd unter den lokalen
Tuareg-Völkern leben wollte,
wurde er 1916 in seiner Einsie-
delei bei einem Überfall ermor-
det. Auf Foucauld beziehen
sich zahlreiche Ordensgemein-
schaften.
Foucauld, der sich »Kleiner
Bruder Charles von Jesus«
nannte, habe in Nordafrika
neue Wege in der Spiritualität,
im interreligiösen Dialog, in
der Mission, vor allem aber in
der persönlichen Gottsuche
eingeschlagen, hob der Postula-
tor hervor. Im Mittelpunkt
habe für den baldigen »Wüs -
tenheiligen« die Begegnung
mit Christus im Evangelium
und in der Eucharistie gestan-
den. Sein Zeugnis ohne viele
Worte sei geprägt durch eine
»große Kohärenz« zwischen
Glauben und Leben.
»Christus selbst hat seine Hände und seine verwundete Seite als Weg zur Auferstehung angeboten.
Weder verbirgt noch verhüllt er seine Wunden, ja vielmehr lädt er Thomas ein, mit Händen zu greifen,
dass eine Seitenwunde Quelle des Lebens in Fülle sein kann (vgl. Joh 20,27-29).«
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
12 Aus dem Vatikan
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Wir widmen die heutige Katechese dem Ge-
bet der Gerechten.
Der Plan Gottes für die Menschheit ist gut,
aber in unserem täglichen Leben erfahren wir
die Gegenwart des Übels: Das ist eine tägliche Er-
fahrung. Die ersten Kapitel des Buches Genesis
beschreiben die allmähliche Ausbreitung der
Sünde im menschlichen Leben. Adam und Eva
(vgl. Gen 3,1-7) zweifeln an den guten Absichten
Gottes und meinen, sie hätten es mit einer neidi-
schen Gottheit zu tun, die es ihnen verwehre,
glücklich zu sein. Daher die Auflehnung: Sie glau-
ben nicht mehr an einen großherzigen Schöpfer,
der ihre Glückseligkeit will. Ihr Herz gibt der Ver-
suchung des Bösen nach und ist vom Allmachts-
wahn befallen: »Wenn wir die Frucht von dem
Baum essen, werden wir wie Gott« (vgl. V. 5).
Und das ist die Versuchung: Das ist der Ehrgeiz,
der ins Herz hineinkommt. Die Erfahrung kehrt
sich jedoch ins Gegenteil: Ihre Augen öffnen sich,
und sie erkennen, dass sie nackt sind (vgl. V. 7),
ohne alles. Vergesst das nicht: Der Versucher ist
ein schlechter Zahler, er bezahlt schlecht.
Das Übel bricht noch weiter herein, ist noch
stärker in der zweiten Generation der Mensch-
heit: Das ist die Geschichte von Kain und Abel
(vgl. Gen 4,1-16). Kain ist eifersüchtig auf seinen
Bruder: Der Wurm der Eifersucht ist da. Obwohl
er der Erstgeborene ist, sieht er in Abel einen Ri-
valen, jemanden, der nach seiner Vorrangstellung
trachtet. Das Übel kommt in seinem Herzen zum
Vorschein, und Kain kann es nicht beherrschen.
Das Übel schleicht sich in das Herz: Die Gedan-
ken gehen immer dahin, den anderen in einem
schlechten Licht, mit Misstrauen zu sehen. Und
das geschieht auch mit dem Gedanken: »Er ist
böse, er wird mir etwas Böses antun.« Und dieser
Gedanke schleicht sich ins Herz ein… Und so en-
det die Geschichte des ersten Brüderpaars mit ei-
nem Mord. Ich denke an die menschliche Brüder-
lichkeit heute… überall Kriege.
Bosheit des Menschen
In Kains Nachkommenschaft entwickeln sich
die Berufe und die Künste, aber es entwickelt sich
auch die Gewalt. Sie wird zum Ausdruck ge-
bracht vom düsteren Gesang des Lamech, der
wie ein Rachehymnus klingt: »Ja, einen Mann er-
schlage ich für meine Wunde und ein Kind für
meine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt,
dann Lamech siebenundsiebzigfach« (Gen 4,23-
24). Die Rache: »Du hast es getan, du wirst dafür
bezahlen.« Aber das sagt nicht der Richter, das
sage ich. Und ich mache mich zum Richter der Si-
tuation. Und so breitet sich das Übel wie ein Lauf-
feuer aus, bis es das ganze Bild einnimmt: »Der
Herr sah, dass auf der Erde die Bosheit des Men-
schen zunahm und dass alles Sinnen und Trach-
ten seines Herzens immer nur böse war« (Gen
6,5). Die großen Bilder von der Sintflut (Kap. 6-7)
und vom Turmbau zu Babel (Kap. 11) offenbaren,
dass es eines Neuanfangs bedarf, gleichsam einer
neuen Schöpfung, die in Jesus Christus ihre volle
Erfüllung finden wird.
Dennoch steht auf diesen ersten Seiten der Bi-
bel auch eine andere Geschichte geschrieben. Sie
ist weniger spektakulär, viel demütiger und ehr-
fürchtiger, und steht für die Befreiung der Hoff-
nung. Auch wenn sich fast alle unmenschlich ver-
halten, indem sie Hass und Eroberung zur großen
Triebkraft des menschlichen Lebens machen, so
gibt es doch Menschen, die fähig sind, aufrichtig
zu Gott zu beten und das Schicksal des Menschen
in eine andere Richtung zu lenken. Abel bringt
Gott die Erstlingsfrüchte als Opfer dar.
Nach seinem Tod hatten Adam und Eva einen
dritten Sohn, Set, dem Enosch geboren wurde
(was »Sterblicher« bedeutet), und es heißt: »Da-
mals fing man an, den Namen des Herrn anzuru-
fen« (4,26). Dann erscheint Henoch, der »mit Gott
geht« und in den Himmel aufgenommen wird
(vgl. 5,22.24). Und schließlich ist da die Ge-
schichte von Noach, einem gerechten Mann: »Er
ging mit Gott« (6,9), und angesichts seiner gibt
Gott sein Vorhaben auf, die Menschheit zu ver-
nichten (vgl. 6,7-8).
Wenn man diese Berichte liest, dann hat man
den Eindruck, dass das Gebet der Schutzwall, die
Zuflucht des Menschen angesichts der großen
Welle des Übels sei, die in der Welt wächst. Ge-
nauer betrachtet beten wir auch darum, von uns
selbst erlöst zu werden. Es ist wichtig zu beten:
»Herr, ich bitte dich, erlöse mich von mir selbst,
von meinem Ehrgeiz, von meinen Leidenschaf-
ten.« Die Beter der ersten Seiten der Bibel sind
Friedensstifter: Denn wenn das Gebet echt ist,
befreit es von dem Drang zur Gewalt und ist ein
Blick, der Gott zugewandt ist, auf dass er wieder
Sorge tragen möge für das Herz des Menschen.
Im Katechismus heißt es: »Diese Art des Gebetes
wird von vielen Gerechten aller Religionen ge-
pflegt« (KKK, 2569). Das Gebet pflegt blühende
Beete der Neugeburt an Orten, wo der Hass des
Menschen nur in der Lage war, die Wüste zu er-
weitern. Und das Gebet ist mächtig, weil es
Gottes Macht anzieht, und Gottes Macht schenkt
immer Leben: immer. Er ist der Gott des Lebens;
er lässt uns neu geboren werden.
Darum durchzieht die Herrschaft Gottes die
Kette dieser Männer und Frauen, die in der Welt
oft unverstanden oder ausgegrenzt sind. Aber die
Welt lebt und wächst durch die Kraft Gottes, die
seine Diener mit ihrem Gebet anziehen. Sie sind
eine alles andere als lärmende Kette, die selten in
die Schlagzeilen gerät, und dennoch ist sie so
wichtig, um der Welt wieder Zuversicht zu schen-
ken!
Verwandlung des Herzens
Ich erinnere mich an die Geschichte eines
Mannes: eines Regierungsoberhauptes, eines
wichtigen Mannes, nicht aus unserer Zeit, son-
dern aus der Vergangenheit. Ein Atheist, der kei-
nen religiösen Sinn im Herzen hatte, aber als
Kind die Großmutter hatte beten hören, und das
ist ihm im Herzen geblieben. Und in einem
schwierigen Augenblick seines Lebens ist ihm
die Erinnerung ins Herz zurückgekehrt, und er
sagte: »Die Großmutter hat doch gebetet…« So
begann er zu beten mit den Formulierungen der
Großmutter, und dort hat er Jesus gefunden. Das
Gebet ist eine Kette des Lebens, immer: viele
Männer und Frauen, die beten, die Leben säen.
Das Gebet sät Leben, das kleine Gebet: Darum ist
es so wichtig, die Kinder beten zu lehren. Es
schmerzt mich, wenn ich Kindern begegne, die
nicht das Kreuzzeichen machen können. Man
muss sie lehren, das Kreuzzeichen richtig zu ma-
chen, denn es ist das erste Gebet. Später mögen
sie es vielleicht vergessen, einen anderen Weg
einschlagen: Aber die ersten Gebete, die man als
Kind gelernt hat, bleiben im Herzen, denn sie
sind ein Same des Lebens, der Same des Dialogs
mit Gott.
Der Weg Gottes in der Geschichte Gottes hat
durch sie hindurchgeführt: Er ist durch einen
»Rest« der Menschheit gegangen, der sich nicht
dem Gesetz des Stärkeren angepasst, sondern
Gott gebeten hat, seine Wunder zu vollbringen
und vor allem unser Herz von Stein in ein Herz
von Fleisch zu verwandeln (vgl. Ez 36,26). Und
das hilft dem Gebet: Denn das Gebet öffnet Gott
die Tür und verwandelt unser Herz, das oft von
Stein ist, in ein menschliches Herz. Und es
braucht dafür viel Menschlichkeit, und mit der
Menschlichkeit betet man gut.
(Orig. ital. in O.R. 28.5.2020)
Generalaudienz vom 27. Mai als Video-Stream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes
Das Gebet öffnet Gott die Tür
Ansprache von Papst Franziskus beim Regina Caeli am Hochfest Pfingsten, 31. Mai
Worte der Versöhnung und Vergebung
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Jetzt, da der Petersplatz wieder geöffnet ist,
können wir hierher zurückkehren. Es ist mir eine
Freude!
Wir feiern heute das hohe Pfingstfest zum Ge-
denken an die Ausgießung des Heiligen Geistes
über die erste Christengemeinde. Das heutige
Evangelium (vgl. Joh 20,19-23) führt uns zurück
zum Osterabend und zeigt uns den auferstande-
nen Jesus, der im Abendmahlssaal erscheint, wo-
hin sich die Jünger geflüchtet haben. Sie hatten
Angst. »Er trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen:
Friede sei mit euch!« (V. 19). Diese ersten Worte,
die der Auferstandene aussprach: »Friede sei mit
euch«, sind mehr als ein Gruß: sie drücken Verge-
bung aus, die Vergebung, die den Jüngern ge-
währt wurde, die ihn, um die Wahrheit zu sagen,
im Stich gelassen hatten. Es sind Worte der Ver-
söhnung und Vergebung. Und auch wir schen-
ken, wenn wir anderen Frieden wünschen, Ver-
gebung und bitten auch um Vergebung. Jesus
bietet seinen Frieden gerade diesen Jüngern an,
die sich fürchten, denen es schwer fällt zu glau-
ben, was sie gesehen haben, nämlich das leere
Grab, und die das Zeugnis der Maria von Magdala
und anderer Frauen unterschätzen. Jesus vergibt,
er vergibt immer, und bietet seinen Freunden sei-
nen Frieden an. Vergesst nicht: Jesus wird nicht
müde, zu vergeben. Wir sind es, die es müde wer-
den, um Vergebung zu bitten.
Indem Jesus seinen Jüngern vergibt und sie
um sich versammelt, macht er sie zu einer Kirche,
zu seiner Kirche, die eine versöhnte, missionsbe-
reite Gemeinschaft ist. Versöhnt und bereit zur
Mission. Wenn eine Gemeinschaft nicht ver-
söhnt ist, ist sie nicht bereit für die Mission: sie ist
bereit, untereinander zu diskutieren, sie ist bereit
für interne [Diskussionen]. Die Begegnung mit
dem auferstandenen Herrn stellt die Existenz der
Apostel auf den Kopf und macht sie zu mutigen
Zeugen. Tatsächlich sagt er unmittelbar danach:
»Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch« (V. 21). Diese Worte machen deutlich, dass
die Apostel gesandt sind, um die gleiche Mission
Fortsetzung auf Seite 13
Oben: Adam und Eva beweinen den toten Abel
(Jan Saenredam, 1604): »Und so endet die
Geschichte des ersten Brüderpaars mit einem
Mord. Ich denke an die menschliche Brüder -
lichkeit heute… überall Kriege«, merkte der
Papst zu dieser biblischen Begebenheit an.
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
13Aus dem Vatikan
Liebe Schwestern!
1. Vor fünfzig Jahren promulgierte die Heilige
Kongregation für den Gottesdienst, im Auftrag
des heiligen Paul VI., den neuen Ritus der Jung-
frauenweihe. Die noch andauernde Pandemie hat
die Kongregation für die Institute des geweihten
Lebens und die Gesellschaften apostolischen Le-
bens dazu gezwungen, das internationale Treffen
zu verschieben, welches sie zur Feier dieses
wichtigen Jahrestages einberufen hatte. Ich
möchte mich dennoch Eurem Dank anschließen,
wie der heilige Johannes Paul II. anlässlich des
25. Jahrestages der Promulgation des Ritus sagte,
für diese »zweifache Gabe des Herrn an seine Kir-
che«: für den erneuerten Ritus und »für den der
Gemeinschaft der Kirche zurückgegebenen«
Ordo fidelium (Ansprache an die Teilnehmerin-
nen der Internationalen Tagung des Ordo Virgi-
num, 2. Juni 1995).
Eure Lebensform findet ihre erste Quelle im
Ritus, erhält ihre rechtliche Gestaltung in can.
604 des Kodex des kanonischen Rechts und ab
2018 in der Instruktion Ecclesiae Sponsae imago.
Eure Berufung macht den unerschöpflichen und
vielfältigen Reichtum des Geistes des Auferstan-
denen deutlich, der alles neu macht (vgl. Offb
21,5). Zugleich ist sie ein Zeichen der Hoffnung:
Die Treue des Vaters legt auch heute noch einigen
Frauen den Wunsch ins Herz, dem Herrn in Jung-
fräulichkeit geweiht zu sein und diese in ihrem
gewöhnlichen sozialen und kulturellen Umfeld,
in einer Teilkirche verwurzelt, in einer alten und
gleichzeitig neuen und modernen Lebensform zu
leben.
Von Euren Bischöfen begleitet, habt Ihr die Ei-
genart Eurer Form des gottgeweihten Lebens ver-
tieft und dabei erfahren, dass die Jungfrauen-
weihe Euch in der Kirche zu einem besonderen
Ordo fidelium macht. Setzt diesen Weg fort und
bemüht Euch gemeinsam mit den Bischöfen um
ernsthafte Wege der Berufungsfindung, der ein-
führenden Ausbildung und der ständigen Weiter-
bildung. Das Geschenk Eurer Berufung drückt
sich in der Tat in der Symphonie der Kirche aus,
die entsteht, wenn sie in Euch Frauen erkennen
kann, die das Geschenk der Schwesternschaft zu
leben im Stande sind.
2. Fünfzig Jahre nach dem Inkrafttreten des
erneuerten Ritus möchte ich Euch sagen: Löscht
die Prophetie Eurer Berufung nicht aus! Ihr seid
nicht durch eigenes Verdienst, sondern aufgrund
der Barmherzigkeit Gottes dazu berufen, in Eurer
Existenz das Antlitz der Kirche, der Braut Christi,
aufleuchten zu lassen, die Jungfrau ist, weil sie,
obwohl sie aus Sündern besteht, den Glauben un-
versehrt bewahrt sowie eine neue Menschheit
empfängt und wachsen lässt.
Gemeinsam mit dem Geist, mit der ganzen
Kirche und jedem Hörer des Wortes seid Ihr
eingeladen, Euch Christus anzuvertrauen und
ihm zu sagen: »Komm!« (Offb 22,17), um in der
Kraft zu verbleiben, die seine Antwort spendet:
»Ja, ich komme bald!« (Offb 22,20). Diese An-
kunft des Bräutigams ist der Horizont Eures
Weges in der Kirche, Euer Ziel und die jeden Tag
neu zu ergreifende Verheißung. »Auf diese
Weise könnt ihr mit eurer ehrenhaften Lebens-
weise Sterne sein, die Orientierung geben für den
Lauf der Welt« (Benedikt XVI., Ansprache an die
Teilnehmerinnen am Kongress des Ordo Virgi-
num, 15. Mai 2008).
Ich lade Euch ein, die Texte des Ritus neu zu
lesen und zu meditieren, in denen die Bedeutung
Eurer Berufung widerhallt: Ihr seid berufen, zu
erfahren und zu bezeugen, dass Gott uns in sei-
nem Sohn zuerst geliebt hat, dass seine Liebe al-
len gilt und die Kraft hat, Sünder in Heilige zu ver-
wandeln. In der Tat hat »Christus die Kirche
geliebt und sich für sie hingegeben […], um sie zu
heiligen, da er sie gereinigt hat durch das Wasser-
bad im Wort!« (Eph 5,25-26). Euer Leben wird die
eschatologische Spannung durchscheinen lassen,
die die gesamte Schöpfung belebt, die ganze Ge-
schichte antreibt und aus der Einladung des auf-
erstandenen Herrn entspringt: »Steh auf, meine
Freundin, meine Schöne, so komm doch!« (vgl.
Hld 2,10; Origenes, Predigten über das Hohelied
II, 12).
3. Die Modellpredigt des Ritus der Jungfrauen-
weihe ermahnt Euch: »Liebt alle und bevorzugt
die Armen« (Nr. 29). Die Jungfrauenweihe behält
Euch Gott vor, ohne Euch von Eurem Umfeld zu
entfremden, in dem Ihr lebt und dazu berufen
seid, Euer Zeugnis in dem evangeliumsgemäßen
Stil der Nähe zu geben (vgl. Ecclesiae Sponsae im-
ago, 37-38). Mit dieser besonderen Nähe zu den
Menschen von heute möge Eure jungfräuliche
Weihe der Kirche helfen, die Armen zu lieben,
materielle und geistige Armut zu erkennen und
den Gebrechlichsten und Wehrlosesten zu hel-
fen, den körperlich und psychisch Leidenden, den
Kleinen und den alten Menschen, denen, die in
Gefahr sind, wie Abfall ausgesondert zu werden.
Seid Frauen der Barmherzigkeit, Experten der
Menschlichkeit. Frauen, die »an das Revolu-
tionäre der Zärtlichkeit und der Liebe« glauben
(Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium,
288). Die Pandemie lehrt uns: »Es ist an der Zeit,
die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtig-
keit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten
Menschheit bedroht!« (Predigt in der heiligen
Messe, Barmherzigkeitssonntag, 19. April 2020).
Was in der Welt gerade geschieht, möge Euch auf-
rütteln: Verschließt nicht die Augen und lauft
nicht weg; durchschreitet mit Feingefühl den
Schmerz und das Leiden; haltet durch und ver-
kündigt das Evangelium von der Fülle des Lebens
für alle!
Das Gebet der Jungfrauenweihe ruft die viel-
fältigen Gaben des Geistes für Euch herab und bit-
tet darum, dass Ihr in einer casta libertas zu leben
vermögt. (Ritus der Jungfrauenweihe, 38). Möge
das Eure Art sein, Beziehung zu leben, um Zei-
chen der bräutlichen Liebe zu sein, die Christus
mit der Kirche, Jungfrau und Mutter, Schwester
und Freundin der Menschheit, vereint. Mit Eurer
Güte (vgl. Phil 4,5) knüpft Ihr echte Beziehungs-
geflechte, die unsere Stadtviertel aus der Einsam-
keit und Anonymität befreien mögen. Seid zur
Parrhesia fähig, von der Versuchung zu Ge-
schwätz und Klatsch aber haltet Euch fern. Tretet
der Überheblichkeit mit Weisheit, Unterneh-
mungsgeist und der Maßgeblichkeit der Nächs -
tenliebe entgegen und verhindert so Machtmiss -
brauch.
4. Am Pfingstfest möchte ich jede Einzelne
von Euch segnen wie auch die Frauen, die sich
auf diese Weihe vorbereiten und alle, die sie in
der Zukunft empfangen werden. »Der Heilige
Geist ist der Kirche mitgeteilt worden als uner-
schöpfliches Prinzip ihrer Freude als Braut des er-
höhten Christus» (Hl. Paul VI., Apostolisches
Schreiben Gaudete in Domino, 41). Seid als Zei-
chen für die Kirche in ihrer bräutlichen Dimen-
sion Frauen der Freude nach dem Beispiel von
Maria von Nazaret, der Frau des Magnificat, der
Mutter des lebendigen Evangeliums.
Rom, bei St. Johannes im Lateran,
am 31. Mai 2020,
dem Hochfest Pfingsten.
Botschaft von Papst Franziskus zum 50. Jahrestag der Promulgation des Ritus der Jungfrauenweihe
Zeichen der bräutlichen Dimension der Kirche
Regina Caeli am Pfingstsonntag
zu verlängern, die der Vater Jesus anvertraut hat.
»Ich sende euch«: es ist nicht die die Zeit, einge-
sperrt zu sein, und auch nicht die Zeit, zu bedau-
ern: die »guten Zeiten«, die mit dem Meister ver-
brachte Zeit. Die Freude über die Auferstehung
ist groß, aber es ist eine ausgeweitete Freude, die
nicht für sich selbst behalten werden sollte, son-
dern die es zu schenken gilt. An den Sonntagen
der Osterzeit hörten wir zuerst dieselbe Episode,
dann die Begegnung mit den Jüngern von Em-
maus, dann den Guten Hirten, die Abschieds -
reden und die Verheißung des Heiligen Geistes:
all dies ist darauf ausgerichtet, den Glauben der
Jünger – und auch unseren – im Hinblick auf die
Mission zu stärken.
Und gerade um die Mission zu beleben gibt
Jesus den Aposteln seinen Geist. Das Evangelium
sagt: »Er hauchte sie an und sagte: Empfangt den
Heiligen Geist« (V. 22). Der Heilige Geist ist Feuer,
das Sünden verbrennt und neue Männer und
Frauen schafft; er ist Feuer der Liebe, mit dem die
Jünger »die Welt in Brand setzen« können, jene
Liebe der Zärtlichkeit, die die Kleinen, die Armen,
die Ausgeschlossenen bevorzugt… In den Sakra-
menten der Taufe und der Firmung haben wir
den Heiligen Geist mit seinen Gaben empfangen:
Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Fröm-
migkeit, Gottesfurcht. Diese letzte Gabe – die
Gottesfurcht – ist genau das Gegenteil der Furcht,
die zuvor die Jünger gelähmt hatte: sie ist die
Liebe zum Herrn, sie ist die Gewissheit seiner
Barmherzigkeit und Güte, sie ist das Vertrauen
darauf, dass wir uns in die von ihm gewiesene
Richtung bewegen können, ohne jemals auf seine
Gegenwart und Unterstützung verzichten zu
müssen.
Das Pfingstfest erneuert das Bewusstsein,
dass die Leben spendende Gegenwart des Heili-
gen Geistes in uns wohnt. Er gibt uns auch den
Mut, außerhalb der schützenden Mauern unse-
rer »Abendsmahlssäle«, der kleinen Gruppen,
zu gehen, ohne uns im ruhigen Leben auszuru-
hen oder uns in sterilen Gewohnheiten einzu -
schließen. Erheben wir nun unsere Gedanken zu
Maria. Sie war zusammen mit den Aposteln da-
bei, als der Heilige Geist kam, Protagonistin zu-
sammen mit der ersten Gemeinde der wunderba-
ren Erfahrung von Pfingsten, und wir beten zu
ihr, dass sie für die Kirche den glühenden missio-
narischen Geist erhalte.
Nach dem Regina Caeli sagte der Papst zu den
auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen:
Liebe Brüder und Schwestern!
Vor sieben Monaten endete die Amazonas-
Synode. Heute, am Pfingstfest, rufen wir den Hei-
ligen Geist an, um der Kirche und der Gesell-
schaft im von der Pandemie schwer getroffenen
Amazonasgebiet Licht und Kraft zu geben. Es gibt
viele Infizierte und Tote, auch unter den indige-
nen Völkern, die besonders gefährdet sind. Auf
die Fürsprache Marias, der Mutter Amazoniens,
bete ich für die Ärmsten und Schutzlosesten die-
ser lieben Region, aber auch für die Menschen in
der ganzen Welt, und ich appelliere, dass es nie-
mandem an medizinischer Versorgung mangeln
möge. Sich um die Menschen sorgen, nicht für
die Wirtschaft sparen. Sich um Menschen sor-
gen, die wichtiger sind als die Wirtschaft. Wir
Menschen sind der Tempel des Heiligen Geistes,
nicht die Wirtschaft.
Heute wird in Italien der nationale Tag zur Lin-
derung des Leidens begangen, um unsere Solida-
rität mit den Kranken zu fördern. Ich erneuere
meine Wertschätzung für all jene, die gerade in
dieser Zeit ihr Zeugnis der Fürsorge für andere ge-
geben haben und geben. Ich gedenke mit Dank-
barkeit und Bewunderung all jener, die durch die
Unterstützung der Kranken in dieser Pandemie
ihr Leben gegeben haben. Wir beten im Stillen
für die Ärzte, Freiwilligen, Krankenschwestern,
für alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens und
die Vielen, die in dieser Zeit ihr Leben gegeben
haben.
Ich wünsche allen einen schönen Pfingst-
sonntag. Wir brauchen so sehr das Licht und die
Kraft des Heiligen Geistes! Die Kirche braucht sie,
um gemeinsam und mutig zu gehen und das
Evangelium zu bezeugen. Und die ganze
Menschheitsfamilie braucht sie, um aus dieser
Krise geeinter und nicht noch gespaltener hervor-
zugehen. Ihr wisst, dass man aus einer Krise wie
dieser nicht mehr so herausgeht, wie man vorher
war: man geht entweder besser oder schlechter
daraus hervor. Dass wir den Mut haben, uns zu
verändern, besser zu sein, besser zu sein als zu-
vor und in der Lage, die Zeit nach der Krise der
Pandemie positiv zu gestalten.
Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Geseg-
nete Mahlzeit und auf Wiedersehen!
Fortsetzung von Seite 12
Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen dargestellt auf einer zeitgenössischen Ikone:
Der Papst hat die Wiedereinführung der Jungfrauenweihe vor 50 Jahren als Teil des »vielfältigen Reich-
tums« der Kirche gewürdigt. Auch heute gebe es Frauen, die den Wunsch hätten, dem Herrn in Jung-
fräulichkeit geweiht zu sein, schreibt Franziskus seiner Botschaft. Während des Zweiten Vatikanischen
Konzils (1962-1965) entdeckte die Kirche diesen Lebensstand wieder. Daraufhin erließ Papst Paul VI.
am 31. Mai 1970 eine Instruktion, die den Ritus der Jungfrauenweihe wieder einführte. Laut einer
Schätzung gibt es derzeit weltweit mehr als 5.000 geweihte Jungfrauen. Sie leben auf allen Kontinen-
ten, wo sie unterschiedlichsten Tätigkeiten nachgehen.
L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache12. Juni 2020 / Nummer 24/25
14 Aus dem Vatikan
Am Samstag, 25. April
Der missionarische Impulsdes Glaubens
Zu Beginn der Frühmesse in der Kapelle des
vatikanischen Gästehauses Santa Marta am
Samstag, 25. April, Fest des Evangelisten Markus,
brachte Papst Franziskus sein Gebetsanliegen
zum Ausdruck:
Lasst uns heute gemeinsam für die Menschen
beten, die Bestattungsdienste durchführen. Was
sie tun, ist sehr schmerzlich, sehr traurig, und sie
spüren den Schmerz der gegenwärtigen Pande-
mie aus nächster Nähe. Beten wir für sie.
In der Predigt sprach der Papst mit Bezug auf
den Abschnitt aus dem Markusevangelium
(16,15-20) über den missionarischen Impuls, der
immer mit dem christlichen Glauben verbunden
sein muss. Er sagte:
Heute feiert die Kirche den heiligen Markus,
einen der vier Evangelisten, der dem Apostel Pe-
trus sehr nahestand. Das Evangelium nach Mar-
kus war das erste, das geschrieben wurde. Es ist
einfach, ein einfacher Stil, sehr nahe. Wenn ihr
heute etwas Zeit habt, nehmt es zur Hand und
lest es. Es ist nicht lang, und es ist schön zu lesen,
mit welcher Einfachheit Markus vom Leben des
Herrn berichtet.
Im Text, den wir gerade gelesen haben – es ist
das Ende des Markusevangeliums –, findet sich
die Einladung des Herrn. Der Herr hat sich als Er-
löser offenbart, als eingeborener Sohn Gottes: Er
hat sich ganz Israel, dem Volk, offenbart, insbe-
sondere – in mehr Einzelheiten – den Aposteln,
den Jüngern. Das ist der Abschied des Herrn, der
Herr geht: Er ging fort, wurde »in den Himmel
aufgenommen und setzte sich zur Rechten
Gottes« (Mk 16,19). Bevor er fortging, erschien er
jedoch den Elf und sagte zu ihnen: »Geht hinaus
in die ganze Welt und verkündet das Evangelium
der ganzen Schöpfung!« (Mk 16,15). Es ist der mis-
sionarische Impuls des Glaubens. Der Glaube ist
entweder missionarischer Impuls, oder er ist kein
Glaube. Der Glaube ist nicht etwas, das nur für
mich da ist, damit ich durch den Glauben
wachse: Das ist »eine gnostische Irrlehre«. Der
Glaube bringt dich immer dazu, aus dir heraus-
zugehen. Herausgehen. Die Weitergabe des
Glaubens. Der Glaube muss weitergegeben wer-
den, er muss angeboten werden, vor allem durch
das Zeugnis: »Geht hinaus, damit die Menschen
sehen, wie ihr lebt« (vgl. V. 15).
Jemand, ein europäischer Priester aus einer
europäischen Stadt, hat zu mir gesagt: »In unse-
ren Städten gibt es so viel Unglauben, so viel
Agnostizismus, weil die Christen keinen Glau-
ben haben. Wenn sie ihn hätten, würden sie ihn
gewiss den Menschen geben.« Es fehlt der mis-
sionarische Impuls. Denn im Grunde fehlt die
Überzeugung: »Ja, ich bin Christ, ich bin katho-
lisch…« So als wäre es eine gesellschaftliche Hal-
tung. Auf dem Personalausweis heißt du so und
so…, und »ich bin Christ«. Es ist eine Angabe im
Personalausweis. Das ist kein Glaube! Das ist et-
was Kulturelles.
Der Glaube lässt dich unbedingt hinausge-
hen, lässt dich ihn weiterschenken: Denn der
Glaube muss von seinem Wesen her weitergege-
ben werden. Er ist nicht ruhig. »Aha, wollen Sie
damit sagen, Vater, dass wir alle Missionare sein
und in ferne Länder gehen sollen?« Nein, das ist
ein Teil des missionarischen Impulses. Es bedeu-
tet, dass du, wenn du Glauben hast, unbedingt
aus dir herausgehen und den Glauben sozial zei-
gen musst. Der Glaube ist sozial, er ist für alle:
»Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet
das Evangelium der ganzen Schöpfung!« (V. 15).
Und das bedeutet nicht, Proselytismus zu betrei-
ben, so als wäre ich eine
Fußballmannschaft, die
Proselytismus betreibt,
oder als wäre ich eine
wohltätige Organisation.
Nein, der Glaube ist:
»Kein Proselytismus!« Er
bedeutet, die Offenba-
rung sichtbar zu machen,
damit der Heilige Geist in
den Menschen wirken
kann durch das Zeugnis:
als Zeuge, durch das Dienen. Das Dienen ist eine
Lebensform. Wenn ich sage, dass ich Christ bin,
und wie ein Heide lebe, das geht nicht! Das über-
zeugt niemanden! Wenn ich sage, dass ich Christ
bin, und als Christ lebe, das zieht an. Das ist das
Zeugnis.
In Polen hat mich ein Universitätsstudent ein-
mal gefragt: »An der Universität habe ich viele
atheistische Kommilitonen. Was soll ich ihnen sa-
gen, um sie zu überzeugen?« – »Nichts, mein Lie-
ber, nichts! Das Letzte, was du tun sollst, ist et-
was zu sagen. Beginne den Glauben zu leben,
und wenn sie dein Zeugnis sehen, werden sie
dich fragen: ›Aber warum lebst du so?‹« Der
Glaube muss weitergegeben werden: nicht um
zu überzeugen, sondern um einen Schatz anzu-
bieten. »Dort ist er, seht ihr?« Und das ist auch die
Demut, von der der heilige Petrus in der Ersten
Lesung gesprochen hat: Meine Lieben, alle »be-
gegnet einander in Demut! Denn Gott tritt Stol-
zen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine
Gnade« (1 Petr 5,5). Wie oft sind in der Kirche, in
der Geschichte Bewegungen, Vereinigungen von
Männern oder Frauen entstanden, die andere
vom Glauben überzeugen, sie zur Konversion
bringen wollten… Wahre »Proselytenmacher«.
Und was war ihr Ende? Korruption und Verderb-
nis.
Dieser Abschnitt des Evangeliums ist sehr lie-
bevoll und innig! Aber wo ist die Gewissheit?
Wie kann ich sicher sein, dass ich, wenn ich aus
mir herausgehe, in der Weitergabe des Glaubens
fruchtbar sein werde? »Verkündet das Evange-
lium der ganzen Schöpfung« (Mk 16,15); ihr wer-
det Wunder wirken (vgl. V. 17-18). Und der Herr
wird mit uns sein bis zum Ende der Welt. Er be-
gleitet uns. Bei der Weitergabe des Glaubens ist
der Herr immer mit uns. Bei der Weitergabe der
Ideologie mag es Lehrer geben, aber wenn ich
eine Haltung des Glaubens habe, der weitergege-
ben werden muss, dann ist der Herr dort und be-
gleitet mich. Bei der Weitergabe des Glaubens bin
ich nie allein. Der Herr ist mit mir und gibt den
Glauben weiter. Er hat es verheißen: »Ich bin mit
euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20).
Bitten wir den Herrn, dass er uns helfen
möge, unseren Glauben so zu leben. Den Glau-
ben der offenen Türen, einen transparenten,
nicht »proselytistischen« Glauben, der jedoch
zeigt: »So bin ich.« Und der mit dieser gesunden
Neugier den Menschen helfen möge, die Bot-
schaft anzunehmen, die sie erlösen wird.
Am Sonntag, 26. April
Jesus istunser Weggefährte
In seiner Einleitung zur Frühmesse am
26. April, dem dritten Sonntag der Osterzeit, gal-
ten die Gedanken des Papstes denen, die auf-
grund der Pandemie traurig sind:
Wir beten heute, in dieser heiligen Messe, für
alle Menschen, die traurig sind, weil sie allein
sind oder weil sie nicht wissen, welche Zukunft
sie erwartet, oder weil sie ihre Familien nicht
ernähren können, weil sie kein Geld haben,
weil sie keine Arbeit haben. Viele Menschen,
die unter Traurigkeit leiden. Lasst uns heute für
sie beten.
In seiner Predigt kommentierte der Papst das
Evangelium vom Tag (Lk 24,13-35), das von der
Begegnung des auferstandenen Jesus mit den
Jüngern von Emmaus berichtet und wie sie den
Herrn daran erkannten, wie er das Brot brach.
Jesus sei geduldig und höre zu, dann antworte
und erkläre er. Wir begegneten Jesus auf unserem
Weg, auch in dunklen Stunden. Der Kern des
Christentums sei die Begegnung mit Jesus:
Wir haben oft gehört, dass das Christentum
nicht nur eine Lehre ist, dass es keine Verhal-
tensweise ist, keine Kultur. Ja, es ist all das, aber
noch wichtiger ist, dass es in erster Linie eine Be-
gegnung ist. Ein Mensch ist Christ, weil er Jesus
Christus begegnet ist, weil er die »Begegnung mit
Ihm« zugelassen hat.
Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium er-
zählt uns von einer Begegnung, um uns ver-
ständlich zu machen, wie der Herr handelt und
wie unsere Vorgehensweise aussieht. Wir wer-
den mit einem Samen der Unruhe geboren. Gott
wollte es so: Unruhe, um die Fülle zu finden, Un-
ruhe, um Gott zu finden, oft sogar ohne zu wis-
sen, dass wir diese Unruhe in uns haben. Unser
Herz ist unruhig, unser Herz dürstet: Es dürstet
nach der Begegnung mit Gott. Es sucht ihn, oft
auf den falschen Wegen: Es verirrt sich, es kommt
zurück, es sucht ihn… Andererseits dürstet Gott
nach der Begegnung, und zwar so sehr, dass er
Jesus gesandt hat, um uns zu begegnen, um die-
ser Unruhe entgegenzukommen.
Wie handelt Jesus? In diesem Abschnitt aus
dem Evangelium (vgl. Lk 24,13-35) sehen wir gut,
dass er unsere jeweilige Situation respektiert, er
respektiert sie, er geht nicht weiter. Nur manch-
mal, bei eigensinnigen Menschen, denken wir
etwa an Paulus, als er ihn vom Pferd wirft. Aber
normalerweise geht er langsam und respektvoll
mit der Zeit um, die wir brauchen. Er ist der Herr
der Geduld. Wie viel Geduld hat der Herr mit uns,
mit einem jeden von uns!
Der Herr geht an unserer Seite, wie wir hier
bei diesen beiden Jüngern gesehen haben. Er
hört sich an, was uns beunruhigt – er weiß es! –
und an einem bestimmten Punkt sagt er uns et-
was. Der Herr hört gerne zu, wie wir sprechen,
um uns gut zu verstehen und um die richtige Ant-
wort auf diese Unruhe zu geben. Der Herr be-
schleunigt den Schritt nicht, er geht immer in un-
serem Tempo, oft langsam, aber so ist seine
Geduld.
Es gibt eine alte Pilgerregel, die besagt, dass
der wahre Pilger im Schritttempo des langsams -
ten Pilgers gehen muss. Und Jesus bringt das fer-
tig, er tut es, er beschleunigt nicht, er wartet dar-
auf, dass wir den ersten Schritt tun. Und wenn
die Zeit gekommen ist, stellt er uns die Frage. In
diesem Fall ist es klar: »Was sind das für Dinge,
über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?«
(vgl. V. 17). Er stellt sich unwissend, um uns zum
Reden zu bringen. Er mag es, wenn wir reden,
um uns zuzuhören und zu antworten, er lässt uns
reden. Als stellte er sich unwissend, aber mit sehr
viel Respekt. Und dann antwortet er, er erklärt,
soweit es notwendig ist. Hier sagt er zu uns:
»Musste nicht der Christus das erleiden und so in
seine Herrlichkeit gelangen? Und er legte ihnen
dar, ausgehend von Mose und allen Propheten,
was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben
steht« (V. 26-27). Er erläutert, er lässt es ver-
ständlich werden. Ich gestehe, dass ich neugierig
bin zu erfahren, auf welche Weise Jesus erklärt
hat, um es genauso zu machen. Es war eine wun-
derschöne Katechese.
Und dann stellt sich derselbe Jesus, der uns
begleitet hat, der sich uns genähert hat, so, als
gehe er weiter, um das Maß unserer Unruhe zu
sehen: »Nein, komm, komm, bleib ein wenig bei
uns.« So geschieht Begegnung. Aber die Begeg-
nung ist nicht nur der Augenblick, in dem hier das
Brot gebrochen wird, sondern sie ist der ganze
Weg. Wir begegnen Jesus in der Dunkelheit un-
serer Zweifel. Auch im hässlichen Zweifel unse-
rer Sünden ist er da, um uns zu helfen, in unserer
Unruhe… Er ist immer bei uns.
Der Herr begleitet uns, weil er uns begegnen
will. Deshalb sagen wir, dass der Kern des Chris -
tentums eine Begegnung ist: Es ist die Begegnung
mit Jesus. »Warum bist du Christ? Warum bist du
Christin?« Und viele Leute können es nicht sa-
gen. Einige aus Tradition. Andere vermögen es
nicht zu sagen, da sie Jesus zwar begegnet sind,
aber nicht bemerkt haben, dass es eine Begeg-
nung mit Jesus war. Jesus ist immer auf der Suche
nach uns. Immer. Und wir haben unsere Unruhe.
In dem Augenblick, in dem unsere Unruhe Jesus
begegnet, beginnt das Leben der Gnade, das Le-
ben der Fülle, das Leben des christlichen Weges.
Möge der Herr uns allen diese Gnade schen-
ken, Jesus täglich zu begegnen; zu wissen, zu er-
kennen, dass er in all unseren Augenblicken mit
uns geht. Er ist unser Weggefährte auf unserer Pil-
gerreise.
Predigten von Papst Franziskus bei den Frühmessen in Santa Marta
Auch in der Volksrepublik China nahmen Tausende Gläubige über die Medien an der heiligen Messe
teil, die Papst Franziskus vom 9. März bis 17. Mai täglich in Santa Marta feierte. Sie war über Smart-
phone und über die in China am meisten verbreitete App Wechat zu empfangen, die auch von der
älteren Generation benutzt wird. Es gab eine Simultanübersetzung der Predigt des Papstes. Das er-
möglichte den Christen in China, sich im Gebet mit dem Nachfolger Petri und der Weltkirche vereint
zu wissen. Während Papst Franziskus die Messe im Vatikan um 7 Uhr feierte, war es in China bereits
13 Uhr.
Der heilige Markus (Evangeliar, Mitte 11. Jh., Aus-
schnitt): Sein Evangelium »ist nicht lang, und es
ist schön zu lesen, mit welcher Einfachheit Mar-
kus vom Leben des Herrn berichtet«, unterstrich
der Papst.
Im Tagesevangelium sagt der Herr:
»Geht hinaus in die ganze Welt und
verkündet das Evangelium« (Mk 16,15).
Der Glaube will, dass du hinausgehst.
Der Glaube muss weitergegeben werden,
vor allem durch das Zeugnis. Geht,
damit die Menschen sehen, wie ihr lebt.
Tweet von Papst Franziskus
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO
15
Am Montag, 27. April
Die Erinnerung andie erste Begegnung
In seiner Einleitung zur Frühmesse im Gäste-
haus Santa Marta am 27. April, Montag der drit-
ten Woche im Osterkreis, wandte Papst Franzis-
kus seine Gedanken den Künstlern zu:
Lasst uns heute für die Künstler beten, die
diese Fähigkeit zu unglaublich großer Kreativität
haben und uns durch den Weg der Schönheit den
Weg weisen, den wir gehen sollen. Möge der
Herr in dieser Zeit uns allen die Gnade der Krea-
tivität schenken.
In seiner Predigt kommentierte Franziskus
das Tagesevangelium (Joh 6,22-29), in dem Jesus
der Menge vorwirft, dass sie ihn nach der Ver-
mehrung der Brote und Fische nur deshalb suche,
weil sie gesättigt worden seien. Er ermahne sie,
sich nicht um die Speise zu bemühen, die nicht
von Dauer sei, sondern um jene Speise, die für
das ewige Leben bleibe und die der Menschen-
sohn geben werde. Der Herr, so Papst Franziskus
in seiner Predigt, erinnere die Menge an das erste
Empfinden, die erste Begeisterung. Er korrigiere
den Weg der Menschen, die einen eher weltlichen
als dem Evangelium entsprechenden Weg einge-
schlagen hätten. Jesus lasse uns zur ersten Begeg-
nung zurückkehren. Der Papst sagte:
Die Menschen, die Jesus den ganzen Tag über
zugehört hatten und denen dann diese Gnade der
Brotvermehrung zuteil geworden war und die die
Macht Jesu gesehen hatten, wollten ihn zum Kö-
nig machen. Zunächst gingen sie zu Jesus, um das
Wort zu hören und auch um die Heilung der Kran-
ken zu erbitten. Sie blieben den ganzen Tag, um
Jesus zuzuhören, ohne sich zu langweilen, ohne
zu ermüden: sie waren dort, glücklich und zufrie-
den. Als sie dann sahen, dass Jesus ihnen zu es-
sen gab, was sie nicht erwartet hatten, dachten
sie: »Das wäre aber ein guter Herrscher für uns,
und er würde uns sicher von der Macht der Rö-
mer befreien und das Land voran bringen.« Und
sie setzten sich begeistert dafür ein, ihn zum Kö-
nig zu machen. Ihre Absichten änderten sich
dann allerdings, denn sie sahen und dachten:
»Gut … denn ein Mensch, der dieses Wunder
vollbringt, der dem Volk zu essen gibt, kann ein
guter Herrscher sein« (vgl. Joh 6,1-15). Aber sie
hatten in jenem Moment die Begeisterung ver-
gessen, die das Wort Jesu in ihren Herzen hervor-
gerufen hatte.
Jesus zog sich zurück, um zu beten (vgl. V. 15).
Diese Leute blieben dort, und am nächsten Tag
suchten sie Jesus, »weil er hier sein muss«, wie sie
sagten, weil sie gesehen hatten, dass er nicht mit
den anderen in das Boot gestiegen war. Und da
war ein Boot, es war dort geblieben… (vgl. Joh
6,22-24). Aber sie wussten nicht, dass sich Jesus
zu den anderen gesellt hatte, indem er über das
Wasser ging (vgl. V. 16-21). So beschlossen sie, auf
die andere Seite des Sees von Tiberias zu gehen,
um Jesus zu suchen, und als sie ihn sahen, war
das erste Wort, das sie zu ihm sagten: »Rabbi,
wann bist du hierhergekommen? (V. 25)«, als
wollten sie sagen: »Wir verstehen das nicht, es
kommt uns seltsam vor«.
Und Jesus lässt sie zum ersten Empfinden
zurückkehren, zu dem, was sie vor der Vermeh-
rung der Brote hatten, als sie das Wort Gottes hör-
ten: »Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich
nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt – wie am
Anfang, die Zeichen des Wortes, die sie begeistert
hatten, die Zeichen der Heilung – , sondern weil
ihr von den Broten gegessen habt und satt gewor-
den seid« (V. 26). Jesus offenbart ihre Absicht und
sagt: »Aber so ist es, ihr habt eure Haltung geän-
dert.« Und sie waren demütig, statt sich zu recht-
fertigen: »Nein, Herr, nein.« Jesus fährt fort:
»Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt,
sondern für die Speise, die für das ewige Leben
bleibt und die der Menschensohn euch geben
wird! Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem
Siegel beglaubigt« (V. 27). Und sie, gute Men-
schen, sagten: »Was müssen wir tun, um die
Werke Gottes zu vollbringen?« (V. 28). »Das ist
das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er ge-
sandt hat« (V. 29). Dies ist ein Fall, in dem Jesus
die Haltung der Menschen, der Menge, korrigiert,
denn auf halbem Weg waren sie vom ersten Au-
genblick, vom ersten geistlichen Trost ein wenig
abgewichen und hatten einen Weg eingeschla-
gen, der nicht richtig war, einen eher weltlichen
als dem Evangelium entsprechenden Weg.
Das lässt uns daran denken, dass wir viele
Male im Leben einen Weg in der Nachfolge Jesu
einschlagen, auf den Spuren Jesu, mit den Werten
des Evangeliums, und auf halbem Weg kommt
uns eine andere Idee, wir sehen einige Zeichen,
und wir entfernen uns und passen uns an etwas
Zeitlicheres, etwas Materielleres, etwas Weltli-
cheres an. Und vielleicht kommt uns die Erinne-
rung an jene erste Begeisterung, die wir hatten,
als wir Jesus sprechen hörten, abhanden. Der
Herr lässt uns immer zur ersten Begegnung
zurückkehren, zu dem ersten Moment, in dem er
uns angeschaut hat, zu uns gesprochen hat und
in uns den Wunsch hat aufkommen lassen, ihm
nachzufolgen. Das ist eine Gnade, um die man
den Herrn bitten muss, denn wir werden im Le-
ben immer dieser Versuchung ausgesetzt sein,
uns zu entfernen, weil wir etwas anderes sehen:
»Aber das wird gut gehen, aber das ist eine gute
Idee…« Wir entfernen uns. Die Gnade, immer
wieder zum ersten Ruf, zum ersten Moment
zurückzukehren: nicht vergessen, meine Ge-
schichte nicht vergessen, als Jesus mich voller
Liebe angeschaut und zu mir gesagt hat: »Das ist
dein Weg«; als Jesus mir mithilfe vieler Menschen
verständlich gemacht hat, was der Weg des Evan-
geliums war, und nicht andere, ein wenig weltli-
che Wege, mit anderen Werten. Zur ersten Begeg-
nung zurückkehren.
Es hat mich immer betroffen gemacht, dass
Jesus – unter den Dingen, die er am Morgen der
Auferstehung sagt – Folgendes bekräftigt: »Geht
und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa
gehen und dort werden sie mich sehen« (vgl.
Mt 28,10), Galiläa war der Ort ihrer ersten Begeg-
nung. Dort waren sie Jesus begegnet. Jeder von
uns hat sein eigenes »Galiläa« in sich, seinen per-
sönlichen Augenblick, in dem Jesus sich uns
genähert und uns gesagt hat: »Folge mir nach«.
Im Leben geschieht das, was diesen Menschen
widerfahren ist – guten Menschen, denn sie sa-
gen dann zum ihm: »Aber was sollen wir tun?«,
sie haben sofort gehorcht – es kommt vor, dass
wir uns entfernen und nach anderen Werten su-
chen, nach einer anderen Hermeneutik, nach an-
deren Dingen, und die Frische des ersten Rufs
verlieren. Daran erinnert auch der Verfasser des
Briefes an die Hebräer: »Erinnert euch an die
früheren Tage« (vgl. Hebr 10,32). Die Erinnerung,
die Erinnerung an die erste Begegnung, die Erin-
nerung an »mein Galiläa«, als der Herr mich voller
Liebe anschaute und zu mir sagte: »Folge mir
nach«.
Der Papst beendete die Messfeier mit der An-
betung und dem Eucharistischen Segen
Am Dienstag, 28. April
Die Lynchjustizdes Klatsches
Zu Beginn der Frühmesse im Gästehaus Santa
Marta am Dienstag, 28. April, formulierte Papst
Franziskus sein Gebetsanliegen:
In dieser Zeit, in der es erste Bestimmungen
gibt, um aus der Quarantäne herauszukommen,
wollen wir den Herrn bitten, dass er seinem Volk,
uns allen, die Gnade der Umsicht und des Gehor-
sams gegenüber den Bestimmungen schenken
möge, damit die Pandemie nicht zurückkehrt.
In seiner Predigt mahnte Papst Franziskus mit
Bezug auf den Bericht von der Steinigung des Erz-
märtyrers Stephanus (Apg 7,51-8,1a) vor dem
Übel der Lynchjustiz, die oft mit Klatsch beginne.
Er sagte:
In der Ersten Lesung dieser Tage haben wir
vom Martyrium des Stephanus gehört: eine ein-
fache Sache, wie es geschehen ist. Die Gesetzes-
lehrer duldeten die Klarheit [seiner] Lehre nicht,
und gleich nach ihrer Verkündigung haben sie ei-
nige Männer angestiftet zu sagen, sie hätten
gehört, dass Stephanus gegen Gott, gegen das Ge-
setz gelästert habe (vgl. Apg 6,11-14). Und danach
stürmten sie auf ihn los und steinigten ihn: so,
ganz einfach (vgl. Apg 7,57-58). Dieses Hand-
lungsschema tritt nicht zum ersten Mal auf: Auch
mit Jesus haben sie dasselbe getan (vgl. Mt 26,60-
62). Das anwesende Volk, das unsicher war, ha-
ben sie zu überzeugen versucht, dass er ein Got -
teslästerer sei, und es hat geschrien: »Kreuzige
ihn!« (Mk 15,13). Das ist eine Bestialität. Eine Bes -
tialität: von falschen Zeugnissen auszugehen, um
»Gerechtigkeit herzustellen«. Das ist das Schema.
Auch in der Bibel gibt es solche Fälle:
Susanna wurde dasselbe angetan
(vgl. Dan 13,1-64), Nabot wurde das-
selbe angetan (vgl. 1 Kön 21,1-16),
und dann hat Haman versucht, dem
Volk Gottes dasselbe anzutun (vgl. Est
3,1-14). Falsche Nachrichten, Ver-
leumdungen, die die Gemüter des
Volkes erhitzen und Gerechtigkeit
fordern. Das ist Lynchjustiz, wahre
Lynchjustiz.
Und so führen sie ihn vor den
Richter, damit der Richter dem
Ganzen eine legale Form verleihe:
Aber er ist bereits verurteilt worden.
Der Richter muss sehr, sehr mutig
sein, um sich gegen ein »so populäres«
Urteil zu wenden, das mit Absicht ge-
fällt wurde, das vorbereitet war. Es ist
wie bei Pilatus: Pilatus sah ganz
deutlich, dass Jesus unschuldig war,
aber er sah das Volk, er wusch sich
die Hände (vgl. Mt 27,24-26). Es ist
eine Art, Rechtsprechung auszuüben.
Auch heute sehen wir das: Auch
heute kommt es vor, in einigen Län-
dern, wenn man einen Staatsstreich
machen oder einen Politiker »beseiti-
gen will«, damit er nicht für die Wahl
kandidieren kann: falsche Nachrich-
ten, Verleumdungen, dann vertraut
man es einem jener Richter an, denen
es gefällt, Rechtsprechung zu betrei-
ben mit jenem »situationsgebunde-
nen« Positivismus, der in Mode ist;
und dann die Verurteilung. Es ist ge-
sellschaftliche Lynchjustiz. Und so ge-
schah es mit Stephanus; so wurde das Urteil über
Stephanus gesprochen: Jemand wird vor den
Richter geführt, der vom Volk, das getäuscht
wurde, bereits verurteilt worden ist.
Das geschieht auch mit den heutigen Märty-
rern: Die Richter haben keine Möglichkeit, Ge-
rechtigkeit herzustellen, weil sie bereits verurteilt
worden sind. Denken wir an Asia Bibi zum Bei-
spiel. Wir haben gesehen: zehn Jahre im Gefäng-
nis, weil sie aufgrund einer Verleumdung verur-
teilt wurde und von einem Volk, das ihren Tod
will. Angesichts dieser Flut an falschen Nachrich-
ten, die meinungsbildend sind, kann man oft
nichts tun: Man kann nichts tun.
Ich denke oft an die Shoah. Die Shoah ist ein
solcher Fall. Es wurde die Stimmung gegen ein
Volk geschaffen, und dann war es normal zu sa-
gen: »Ja, ja, sie müssen getötet werden, sie müssen
getötet werden.« Eine Vorgehensweise, um Men-
schen zu »beseitigen«, die lästig sind, die stören.
Wir alle wissen, dass dies nicht gut ist. Was
wir nicht wissen, ist jedoch, dass es eine kleine
tägliche Lynchjustiz gibt, die versucht, Menschen
zu verurteilen, Menschen in einen schlechten
Ruf zu bringen, sie auszusondern, sie zu verurtei-
len: die kleine tägliche Lynchjustiz des Klatsches,
der eine Meinung schafft. Oft hört man, wie über
jemanden schlecht geredet wird, und sagt: »Aber
nein, das ist ein gerechter Mensch!« – »Nein,
nein, man sagt, dass…« – Und mit diesem »man
sagt, dass« schafft man eine Meinung, um diesen
Menschen fertigzumachen. Die Wahrheit ist eine
andere: Die Wahrheit ist das Zeugnis des Wahren,
der Dinge, die jemand glaubt; die Wahrheit ist
klar, sie ist transparent. Die Wahrheit duldet kei-
nen Druck. Schauen wir auf Stephanus, den Mär-
tyrer: den ersten Märtyrer nach Jesus. Den ersten
Märtyrer. Denken wir an die Apostel: Alle haben
Zeugnis abgelegt. Und denken wir an die vielen
Märtyrer, auch an jenen, dessen Gedenktag wir
heute feiern, den heiligen Pierre Chanel: Der
Klatsch hat [die Meinung] geschaffen, dass er ge-
gen den König war… Man bringt ihn in Verruf,
und er wird ermordet. Und denken wir an uns, an
unsere Zunge: Oft beginnen wir mit unseren
Kommentaren einen solchen Lynchmord. Und in
unseren christlichen Einrichtungen haben wir
viele tägliche Lynchmorde gesehen, die aus dem
Klatsch entstanden sind.
Der Herr möge uns helfen, in unseren Urtei-
len gerecht zu sein, diese massive Verurteilung,
die der Klatsch hervorruft, nicht zu beginnen oder
weiterzuführen.
Wochenausgabe in deutscher Sprache
Aus dem Vatikan
Predigten des Papstes bei den Frühmessen in Santa Marta
Die Steinigung des heiligen Stephanus,
Pietro da Cortona (1660).
12. Juni 2020 / Nummer 24/25 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache
16 Aus dem Vatikan
Liebe Brüder und Schwestern von »Scholas«!
Heute, nach all den Jahren des Austauschs
über die für uns grundlegende Frage, ist es eine
große Freude, dass wir uns »Gemeinschaft« nen-
nen können: Gemeinschaft von Freunden, Ge-
meinschaft von Brüdern, Schwestern.
Ich erinnere mich noch an den Anfang: zwei
Lehrkräfte, zwei Lehrer, mitten in einer Krise, mit
ein bisschen Verrücktheit und ein bisschen Intui-
tion. Eine ungeplante Sache, nach und nach er-
lebt, so wie es voranging.
Während die Krise zu jener Zeit ein Terrain
der Gewalt hinterließ, brachte diese Ausbildung
junge Menschen zusammen, erzeugte Sinn und
damit Schönheit.
Drei Bilder dieses Weges bewahre ich im Her-
zen, drei Bilder, die drei Jahre der Reflexion und
der Begegnung geleitet haben: der Narr aus »La
strada« von Fellini, »Die Berufung des Matthäus«
von Caravaggio und »Der Idiot« von Dostojewski.
Sinnhaltigkeit, der Narr, die Berufung, Mat-
thäus und die Schönheit. Alle drei Geschichten
sind die Geschichte einer Krise. Und in allen drei
kommt damit die menschliche Verantwortung
zum Tragen. Krise bedeutet ursprünglich
»Bruch«, »Schnitt«, »Öffnung«, »Gefahr«, aber
auch »Chance«.
Wenn die Wurzeln Platz brauchen zum Wei-
terwachsen, wird der Blumentopf irgendwann
zerbrechen.
Tatsache ist, dass Leben größer ist als unser ei-
genes Leben, und so zerbricht es. Aber so ist das
Leben! Es wächst, es zerbricht.
Arme Menschheit ohne Krise! Alles perfekt,
alles aufgeräumt, alles in steife Form gebracht.
Die Ärmste. Stellen wir uns das vor, eine solche
Menschheit wäre eine kranke, sehr kranke
Menschheit. Gottlob passiert das nicht. Es wäre
eine schlafende Menschheit.
Da die Krise uns belebt, in-
dem sie uns zur Offenheit auf-
ruft, kann das andererseits eine
Gefahr darstellen, wenn nie-
mand uns gelehrt hat, uns auf
diese Offenheit einzulassen.
Deshalb sind Krisen, wenn sie
nicht gut begleitet werden, ge-
fährlich, weil man die Orientie-
rung verlieren kann. Und der
Rat der Klugen auch für kleine
persönliche, eheliche und so-
ziale Krisen ist: »Gehe nie allein in die Krise, son-
dern sei in Begleitung.«
Dort, in der Krise, überfällt uns die Angst; wir
verschließen uns als Individuen, oder wir fangen
an, das zu wiederholen, was für sehr wenige gut
ist, indem wir leer werden an Sinn, indem wir un-
sere Berufung verstecken, die Schönheit verlie-
ren. Das passiert, wenn man allein und ohne
Rückhalt durch eine Krise geht. Diese Schönheit,
die, wie Dostojewski sagte, die Welt retten wird.
Die Bewegung »Scholas« ist aus einer Krise
heraus entstanden, aber sie hat weder die Fäuste
geballt, um gegen die Kultur zu kämpfen, noch
hat sie resigniert die Hände in den Schoß gelegt
oder unter Tränen gesagt: »Welch ein Unglück,
welch schreckliche Zeiten!« »Scholas« ging hin-
aus, um auf die Herzen der jungen Menschen zu
hören, um die neue Realität zu aufzubauen. »Das
funktioniert nicht? Lasst uns dort suchen.«
»Scholas« schaut durch die Risse der Welt,
nicht mit dem Kopf, mit dem ganzen Leib, um zu
sehen, ob aus der Offenheit eine andere Antwort
zurückkommt.
Und das ist Bildung. Bildung hört zu, oder sie
bildet nicht. Wenn sie nicht zuhört, bildet sie
nicht. Bildung schafft Kultur, oder sie bildet nicht.
Bildung lehrt uns zu feiern, oder sie bildet nicht.
Jemand könnte einwenden: »Aber wie, heißt
Bildung nicht, Dinge zu wissen?« Nein. Da han-
delt es sich um Wissen. Bildung heißt zuhören,
Kultur schaffen, feiern. So ist »Scholas« gewach-
sen.
Nicht einmal diese beiden Verrückten – die
Gründerväter, so könnten wir sie mit einem Au-
genzwinkern nennen – ahnten, dass aus dieser
pädagogischen Erfahrung in der Diözese Buenos
Aires nach zwanzig Jahren eine neue Kultur er-
wachsen würde, »die dieses Land poetisch be-
wohnt«, wie Hölderlin uns lehrte. Zuhörend, Le-
ben schaffend und das Leben feiernd. Diese neue
Kultur, die dieses Land poetisch bewohnt.
Die Sprache des Denkens mit den Gefühlen
und dem Tun in Einklang bringen. Das ist es, was
ihr mich bereits mehrmals habt sagen hören:
Sprache des Kopfes, des Herzens und der Hände,
im Einklang. Kopf, Herz und Hände, die harmo-
nisch wachsen.
Ich habe bei »Scholas« japanische Lehrer und
Schüler gesehen, die mit Kolumbianern tanzten.
Das ist unmöglich! Ich habe das gesehen. Ich sah,
wie Jugendliche aus Israel mit Jugendlichen aus
Palästina spielten. Ich habe es gesehen. Studen-
ten aus Haiti reflektieren gemeinsam mit Studen-
ten aus Dubai. Und Kinder aus Mosambik malen
zusammen mit Kindern aus Portugal… Ich habe
zwischen Ost und West einen Olivenbaum gese-
hen, der eine Kultur der Begegnung schuf.
In dieser neuen Krise, der sich die Menschheit
heute stellen muss, in der die Kultur erwiesener-
maßen ihre Vitalität verloren hat, möchte ich da-
her die Tatsache loben, dass »Scholas« als eine Ge-
meinschaft, die bildet, als eine Intuition, die
wächst, die Türen der »Universität der Sinnhal-
tigkeit« öffnet. Denn bilden bedeutet, den Sinn
der Dinge zu suchen. Es bedeutet zu lehren, den
Sinn der Dinge zu suchen.
Indem man den Traum der Kinder und Ju-
gendlichen mit der Erfahrung der Erwachsenen
und alten Menschen zusammenbringt. Beides
muss immer zusammentreffen, sonst gibt es
keine Menschlichkeit, weil es keine Wurzeln,
keine Geschichte, keine Verheißungen, kein
Wachstum, keine Träume, keine Prophetie gibt.
Schüler aller Realitäten, Sprachen und Welt-
anschauungen, denn niemand wird außen vor
gelassen, wenn das, was gelehrt wird, nicht eine
Sache, sondern das Leben ist. Dasselbe Leben,
das uns entstehen lässt und immer andere Wel-
ten entstehen lassen wird. Verschiedene Welten,
einzigartig, so wie wir es sind. In unseren tief-
sten Schmerzen und Freuden, unserer Sehn-
sucht und Nostalgie. Welten der Unentgeltlich-
keit, des Sinns und der Schönheit. »Der Idiot«, die
»Berufung« von Caravaggio und der Narr aus »La
strada«.
Vergesst diese drei letzten Worte niemals: Un-
entgeltlichkeit, Sinn und Schönheit. Sie mögen
nutzlos erscheinen, besonders heutzutage. Wer
gründet ein Unternehmen auf der Suche nach
Unentgeltlichkeit, Sinn und Schönheit? Das ist
unproduktiv, das ist unproduktiv. Und doch
hängt von dieser Sache, die nutzlos erscheint, die
ganze Menschheit, die Zukunft ab.
Geht voran, nehmt diese Mystik, die ein Ge-
schenk ist, die niemand erfunden hat! Die ersten,
die überrascht waren, waren diese beiden Ver-
rückten, die sie gegründet haben. Und deshalb
verschenken sie sie, sie geben sie weiter, weil sie
nicht ihnen gehört. Es ist etwas, das ihnen ge-
schenkt wurde. Geht voran und sät und erntet
weiter, mit einem Lächeln, mit dem Risiko, aber
alle zusammen und immer Hand in Hand, um
jede Krise zu überwinden.
Gott segne euch. Und bitte vergesst nicht, für
mich zu beten. Vielen Dank.
(Orig. span.; ital. in O.R. 6.6.2020)
Videobotschaft von Papst Franziskus an die Teilnehmer einer von »Scholas occurrentes« veranstalteten Videokonferenz
Lernen, den Sinn zu suchen
Promulgation von DekretenVatikanstadt. Papst Franziskus hat am
26. Mai den Präfekten der Kongregation für die
Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal
Angelo Becciu, in Audienz empfangen. Bei der
Audienz hat der Papst die Kongregation autori-
siert, folgende Dekrete zu promulgieren.
Sie betreffen:
– ein Wunder auf Fürsprache des seligen
César de Bus, Priester, Gründer der Kongrega-
tion der Priester der christlichen Lehre (Doktrina-
rier); geboren in Cavaillon (Frankreich) am 3. Fe-
bruar 1544; gestorben in Avignon (Frankreich)
am 15. April 1607;
– ein Wunder auf Fürsprache des seligen
Charles de Foucauld (genannt Charles de Jé-
sus), Diözesanpriester; geboren in Straßburg
(Frankreich) am 15. September 1858; gestorben
in Tamanrasset (Algerien) am 1. Dezember 1916;
– ein Wunder auf Fürsprache der seligen Ma-
ria Domenica Mantovani, Mitgründerin und
erste Generaloberin der Kleinen Schwestern von
der Heiligen Familie in Verona; geboren in Cas -
telletto di Brenzone (Italien) am 12. November
1862; gestorben ebendort am 2. Februar 1934;
– ein Wunder auf Fürsprache des Ehrwürdigen
Dieners Gottes Michael McGivney, Diözesan-
priester, Gründer des Ordens der Kolumbusritter
(The Knights of Columbus); geboren in Waterbury
(Vereinigte Staaten von Amerika) am 12. August
1852; gestorben in Thomaston (Vereinigte Staaten
von Amerika) am 14. August 1890;
– ein Wunder auf Fürsprache der Ehrwürdi-
gen Dienerin Gottes Pauline Marie Jaricot,
Gründerin des »Werkes der Glaubensverbrei-
tung« und des »Lebendigen Rosenkranzes«; ge-
boren in Lyon (Frankreich) am 22. Juli 1799; ge-
storben ebendort am 9. Januar 1862;
– das Martyrium des Dieners Gottes Si-
meone Cardon und 5 weiterer Gefährten, Pro-
fessmönche der Zisterzienserkongregation von
Casamari; getötet aus Glaubenshass in Casamari
zwischen dem 13. und 16. Mai 1799;
– das Martyrium des Dieners Gottes Cosma
Spessotto (mit bürgerlichem Namen: Sante),
Professpriester des Ordens der Minderen Brüder;
geboren in Mansuè (Italien) am 28. Januar 1923;
getötet aus Glaubenshass in San Juan Nonualco
(El Salvador) am 14. Juni 1980;
– den heroischen Tugendgrad des Dieners
Gottes Melchior Marie de Marion-Brésillac,
Titularbischof von Prusa, Apostolischer Vikar von
Coimbatore, Gründer der Gesellschaft der Afrika-
missionen; geboren in Castelnaudary (Frank-
reich) am 2. Dezember 1813; gestorben in Free-
town (Sierra Leone) am 25. Juni 1859.
Beim einem virtuellen weltweiten Treffenvon Jugendlichen, Lehrern und Eltern derPäpstlichen Stiftung »Scholas Occurrentes«wurde die Eröffnung einer »Universität derSinnhaltigkeit« (»Universidad del Sentido«) an-gekündigt, ebenfalls unter Leitung der »Scho-las«. Neben Tausenden von jungen Menschenaus 170 Städten der ganzen Welt nahmenneun First Ladies aus Lateinamerika und derKaribik an der Videokonferenz teil.
Nach einem historischen Rückblick aufwichtige Meilensteine, geleitet von den beidenDirektoren José María de Corral und EnriquePalmeyro, stellten die First Ladies ein Videovor, das zeigt, wie die Jugend ihrer Länder aufden Aufruf des Papstes reagiert, sich durch
eine Kultur der Begegnung der Sorge für dieUmwelt zu widmen. Darüber hinaus wurdedaran erinnert, wie »Scholas« durch Partner-schulen in der ganzen Welt Brücken gebautund Türen geöffnet hat, in jüngster Zeit in Mo-sambik, Haiti, den Vereinigten Staaten, Japanund Chile. Insgesamt sind es eine halbe Mil-lion Schulen. Der Imam des Islamischen Zen-trums in Argentinien, Abdel Nabi Elhefnawi,der sephardische Oberrabbiner von Jerusalem,Shlomo Amar, und Kardinal Carlos Aguiar Re-tes, Erzbischof von Mexiko-Stadt, übermittel-ten eine gemeinsame interreligiöse Botschaftzum Tag der Umwelt.
Papst Franziskus sagte in seiner Videobot-schaft:
In dieser neuen Krise, der sich die Menschheit
heute stellen muss, in der die Kultur
erwiesenermaßen ihre Vitalität verloren hat,
möchte ich die Tatsache loben, dass »Scholas«
als eine Gemeinschaft, die bildet,
als eine Intuition, die wächst, die Türen der
»Universität der Sinnhaltigkeit« öffnet.
Denn bilden bedeutet, den Sinn der Dinge zu suchen.
Es bedeutet zu lehren,
den Sinn der Dinge zu suchen.
Der Franziskaner Cosma Spessotto wurde
vor 40 Jahren in El Salvador ermordet. Er
stammte aus der italienischen Region Ve-
netien und war seit 1950 als Missionar
und Gemeindepfarrer in El Salvador tätig.
In einer politisch instabilen Zeit kümmerte
er sich um die Menschen und prangerte
den Machtmissbrauch der Militärjunta an,
weshalb er mehrfach mit dem Tod bedroht
wurde. Am Abend des 14. Juni 1980
wurde er in der Pfarrkirche erschossen.