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:antifaschistische N r. 16 nachrichten www.antifaschistische-nachrichten.de g 3336 8.8.2014 30. jahrg./issn 0945-3946 1,50 ¤ Für eine neue inter- nationale Friedenspolitik Erklärung der FIR Sarrazin in Bad Iburg BAD IBURG/OSNABRÜCK. Der Osnabrü- cker Kreisverband der sog. „Alternative für Deutschland“ (AfD) will am 19. Sep- tember in Bad Iburg eine Veranstaltung mit Thilo Sarrazin (SPD) durchführen. Die Veranstaltung unter dem Titel „Der neue Tugendterror“ soll im Rahmen des „Iburger Salons“ der AfD Osnabrück stattfinden. Der im Juni 2013 gegründete Kreisverband unter dem Vorsitz von Bodo Suhren verfügt – nach eigenen An- gaben – derzeit über 85 Mitglieder. hma n „Zwischentag“ verlegt DÜSSELDORF. Nachdem ein Hotel in der Düsseldorfer Innenstadt dem dort ge- planten „Zwischentag“ eine Absage er- teilt hat, wird das Vernetzungstreffen der extremen Rechten nun räumlich verlegt. Die Veranstaltung soll nun am 6. Septem- ber in einem anderen Hotel im „Groß- raum Düsseldorf“ stattfinden. Der neue Veranstaltungsort sei nicht „ganz so zen- tral“ gelegen, „aber trotzdem erstklas- sig“, heißt es bei „facebook“. Nachdem der ursprünglich als Referent angekün- digte Brüsseler Professor David Engels seine Teilnahme abgesagt hat, wurde eine vorläufige Liste der „Aussteller“ bekannt gegeben. Darunter finden sich eine Reihe extrem rechter Verlage und Publikatio- nen, die „Identitäre Bewegung Deutsch- land“, die rassistische Internetseite „PI- News“, die „Deutsche Burschenschaft“ und die sog. „Bürgerbewegung Pax Eu- ropa e.V.“. hma n „Lesertreffen“ im Hufhaus HARZTOR/SÜDHARZ. Die neofaschisti- sche Zeitschrift „Recht und Wahrheit“ will vom 5. bis 7. September ihr diesjäh- riges „6. Lesertreffen“ im „Ferienhotel Hufhaus-Harzhöhe“ in Harztor im Süd- harz durchführen. Organisator Meinolf Schönborn aus Herzebrock-Clarholz, einst Chef der 1992 verbotenen „Natio- nalistischen Front“, kündigt als Referen- ten u.a. Dr. Axel Stoll und Peter Schmidt, die Gründer des „Neu-Schwabenland- Aus Anlass des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrie- ges am 1. August 1914 und des 75. Jahrestages der Überfalls Hitlerdeutsch- lands auf Polen am 1. September 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, ruft die Internationale Föderation der Wider- standskämpfer (FIR) – Bund der Antifa- schisten, der Dachverband von Organi- sationen ehemaliger Widerstandskämp- fer, Partisanen, Angehörigen der Anti- Hitler-Koalition, Verfolgten des Nazire- gimes und Antifaschisten heutiger Gene- rationen aus fünfundzwanzig Ländern Europas und Israels Friedenskräfte, poli- tische Gruppen und Regierungen zu ge- meinsamen Anstrengungen für eine neue internationale Friedenspolitik auf. Die Kriege 1914-18 und 1939-45 wa- ren nicht das Resultat von „Schlafwand- lern“ oder einer „Koalition totalitärer Regime“, sondern Ausdruck der Durch- setzung imperialistischer Interessen um Macht- und Einflussgebiete in Europa und der Welt. Nach der Befreiung vom Faschismus wurde in den Beschlüssen der Anti-Hitler-Koalition auf der Potsda- mer Konferenz und mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 der Ver- such unternommen, eine Neuordnung in den internationalen Beziehungen zu er- reichen, den Krieg aus dem Leben der Völker zu verbannen. Wir erinnern da- ran, dass vor gut 40 Jahren durch das Handeln der Völker und Staaten im KSZE-Prozess die Hoffnung bestand, dass in Europa die Gefahr eines Krieges beseitigt sei. Seit dem Krieg gegen Jugoslawien und mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine erle- ben wir, dass auch in Europa die Kriegs- gefahr noch real ist. Wenn auch anders begründet als 1914 bzw. 1939, geht es im- mer noch um die Durchsetzung hegemo- nialer Interessen, um Einflussgebiete und – zunehmend um den Zugriff auf Roh- stoffe. Dabei beansprucht das Militär- bündnis NATO für sich einen weltweiten Einsatzraum – vorgeblich zur „Verteidi- gung westlicher Werte“, wobei Verletzun- gen von Menschenrechten, selbst Mas- senmorde nach Rohstoffinteressen bewer- tet werden. Auch das Selbstbestimmungs- recht von Völkern wird dabei missachtet. Als „Botschafter des Friedens“ der Ver- einten Nationen rufen wir die UNO, die internationalen Organisationen und gesell- schaftlichen Kräfte auf, Initiativen für eine neue internationale Friedenspolitik zu ent- wickeln. Dazu gehören die Anerkennung des Existenzrechtes aller Staaten sowie die Durchsetzung einer gerechten Welt- wirtschaftsordnung. Auch die Staaten der Europäischen Union und das Europäische Parlament könnten ihren Beitrag dazu leisten, wenn sie einer Militarisierung der Außenpolitik eine Absage erteilten. In diesem Sinne appellieren wir an Friedenskräfte, Parteien, Gewerkschaften und Kritiker der Globalisierung, sich in Aktionen, Abstimmungen und Erklärun- gen für eine neue internationale Friedens- politik einzusetzen. Die FIR ruft ihre Mit- gliedsverbände dazu auf, sich mit ihren historischen Erfahrungen an solchen Ini- tiativen zu beteiligen. Aus dem Inhalt: Initiative Keupstraße in München 2 Solidarität und Polemiken rund um den Gazakrieg 8

:antifaschistisch e Nr. 16 nachrichten · Organisator Meinolf Schönborn aus Herzebrock-Clarholz, einst Chef der 1992 verbotenen „Natio - nalistischen Front“, kündigt als Referen

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:antifaschistische Nr.16nachrichten www.antifaschistische-nachrichten.de

g 3336 8.8.2014 30. jahrg./issn 0945-3946 1,50 ¤

Für eine neue inter -nationale FriedenspolitikErklärung der FIR

Sarrazin in Bad Iburg

BAD IBURG/OSNABRÜCK. Der Osnabrü-cker Kreisverband der sog. „Alternativefür Deutschland“ (AfD) will am 19. Sep-tember in Bad Iburg eine Veranstaltungmit Thilo Sarrazin (SPD) durchführen.Die Veranstaltung unter dem Titel „Derneue Tugendterror“ soll im Rahmen des„Iburger Salons“ der AfD Osnabrückstattfinden. Der im Juni 2013 gegründeteKreisverband unter dem Vorsitz vonBodo Suhren verfügt – nach eigenen An-gaben – derzeit über 85 Mitglieder.

hma n

„Zwischentag“ verlegt

DÜSSELDORF. Nachdem ein Hotel in derDüsseldorfer Innenstadt dem dort ge-planten „Zwischentag“ eine Absage er-teilt hat, wird das Vernetzungstreffen derextremen Rechten nun räumlich verlegt.Die Veranstaltung soll nun am 6. Septem-ber in einem anderen Hotel im „Groß-raum Düsseldorf“ stattfinden. Der neueVeranstaltungsort sei nicht „ganz so zen-tral“ gelegen, „aber trotzdem erstklas-sig“, heißt es bei „facebook“. Nachdemder ursprünglich als Referent angekün-digte Brüsseler Professor David Engelsseine Teilnahme abgesagt hat, wurde einevorläufige Liste der „Aussteller“ bekanntgegeben. Darunter finden sich eine Reiheextrem rechter Verlage und Publikatio-nen, die „Identitäre Bewegung Deutsch-land“, die rassistische Internetseite „PI-News“, die „Deutsche Burschenschaft“und die sog. „Bürgerbewegung Pax Eu-ropa e.V.“. hma n

„Lesertreffen“ im Hufhaus

HARZTOR/SÜDHARZ. Die neofaschisti-sche Zeitschrift „Recht und Wahrheit“will vom 5. bis 7. September ihr diesjäh-riges „6. Lesertreffen“ im „FerienhotelHufhaus-Harzhöhe“ in Harztor im Süd-harz durchführen. Organisator MeinolfSchönborn aus Herzebrock-Clarholz,einst Chef der 1992 verbotenen „Natio-nalistischen Front“, kündigt als Referen-ten u.a. Dr. Axel Stoll und Peter Schmidt,die Gründer des „Neu-Schwabenland-

Aus Anlass des 100. Jahrestagesdes Beginns des Ersten Weltkrie-ges am 1. August 1914 und des 75.

Jahrestages der Überfalls Hitlerdeutsch-lands auf Polen am 1. September 1939,dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, ruftdie Internationale Föderation der Wider-standskämpfer (FIR) – Bund der Antifa-schisten, der Dachverband von Organi-sationen ehemaliger Widerstandskämp-fer, Partisanen, Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition, Verfolgten des Nazire-gimes und Antifaschisten heutiger Gene-rationen aus fünfundzwanzig LändernEuropas und Israels Friedenskräfte, poli-tische Gruppen und Regierungen zu ge-meinsamen Anstrengungen für eine neueinternationale Friedenspolitik auf.

Die Kriege 1914-18 und 1939-45 wa-ren nicht das Resultat von „Schlafwand-lern“ oder einer „Koalition totalitärerRegime“, sondern Ausdruck der Durch-setzung imperialistischer Interessen umMacht- und Einflussgebiete in Europaund der Welt. Nach der Befreiung vomFaschismus wurde in den Beschlüssender Anti-Hitler-Koalition auf der Potsda-mer Konferenz und mit der Gründungder Vereinten Nationen 1945 der Ver-such unternommen, eine Neuordnung inden internationalen Beziehungen zu er-reichen, den Krieg aus dem Leben derVölker zu verbannen. Wir erinnern da-ran, dass vor gut 40 Jahren durch dasHandeln der Völker und Staaten imKSZE-Prozess die Hoffnung bestand,dass in Europa die Gefahr eines Kriegesbeseitigt sei.

Seit dem Krieg gegen Jugoslawien undmit dem Bürgerkrieg in der Ukraine erle-ben wir, dass auch in Europa die Kriegs-gefahr noch real ist. Wenn auch andersbegründet als 1914 bzw. 1939, geht es im-mer noch um die Durchsetzung hegemo-nialer Interessen, um Einflussgebiete und– zunehmend um den Zugriff auf Roh-stoffe. Dabei beansprucht das Militär-bündnis NATO für sich einen weltweitenEinsatzraum – vorgeblich zur „Verteidi-gung westlicher Werte“, wobei Verletzun-gen von Menschenrechten, selbst Mas-senmorde nach Rohstoffinteressen bewer-tet werden. Auch das Selbstbestimmungs-recht von Völkern wird dabei missachtet.

Als „Botschafter des Friedens“ der Ver-einten Nationen rufen wir die UNO, dieinternationalen Organisationen und gesell-schaftlichen Kräfte auf, Initiativen für eineneue internationale Friedenspolitik zu ent-wickeln. Dazu gehören die Anerkennungdes Existenzrechtes aller Staaten sowiedie Durchsetzung einer gerechten Welt-wirtschaftsordnung. Auch die Staaten derEuropäischen Union und das EuropäischeParlament könnten ihren Beitrag dazuleisten, wenn sie einer Militarisierung derAußenpolitik eine Absage erteilten.

In diesem Sinne appellieren wir anFriedenskräfte, Parteien, Gewerkschaftenund Kritiker der Globalisierung, sich inAktionen, Abstimmungen und Erklärun-gen für eine neue internationale Friedens-politik einzusetzen. Die FIR ruft ihre Mit-gliedsverbände dazu auf, sich mit ihrenhistorischen Erfahrungen an solchen Ini-tiativen zu beteiligen.

Aus dem Inhalt:

Initiative Keupstraße in München 2Solidarität und Polemiken rund um den Gazakrieg 8

:antifaschistische nachrichten 16-2014

Treffens“ aus Berlin, Andreas WolfgangSauer, den Gründer der „DeutschenSchule“, und Hartmut Wostupatsch ausWürzburg, ein ehemaliger WeggefährteMichael Kühnens, an. Den musikali-schen Teil soll der „Liedermacher“ Se-bastian Döhring bestreiten. hma n

Bischof sanktioniertVATIKANSTADT. Wie der Vatikan mittler-weile bestätigte, ist der Leiter des Bis-tums Ciudad del Este, Bischof RogelioLivieres Plano, sanktioniert worden. Pla-no, ein „Opus Dei“-Mitglied, dürfe vo-rerst keine Priester mehr weihen, so Vati-

kansprecher Federico Lombardi. Voraus-gegangen war eine „kirchenrechtlicheUntersuchung“ der Vorgänge im BistumCiudad del Este durch einen Gesandtendes Papstes. Dieser werde bald einen de-taillierten Bericht vorlegen, heißt es.

hma n

KÖLN. Am Montag, den 21.7.2014, sindwir mit 12 Leuten nach München gefah-ren, darunter drei Prozessbeteiligte aus derKeupstraße.

Auf unserem Programm stand am Mon-tagnachmittag ein Treffen mit dem Mün-chener Netzwerk, abends im Residenz-theater ein Besuch des Theaterstücks „Ur-teile“ von Christine Umpfenbach mit an-schließender Podiumsdiskussion zum The-ma „Alltag und Rassismus“, zu dem NSU-Watch und wir auf’s Podium eingeladenwaren. Am Dienstag wollten wir gemein-sam den NSU-Prozess besuchen, bevorwir nachmittags wieder nach Köln zurück-fuhren.

Zwei Jahre haben Christine Umpfen-bach und Tunay Önder Interviews mit 20Personen aus dem Umfeld von Habil Kılıçund Theodoros Bulgaridis geführt, die2001 und 2005 in München vom NSU er-mordet wurden.

Die Interviewten sind Familienmitglie-der, Arbeitskollegen, Freunde der Ermor-deten, Journalisten und Politiker. (Die Po-lizei hat Interviews verweigert). Die dreiSchauspieler bringen diese Texte szenischauf die Bühne. Dabei werden diese Situa-tionen so intensiv dargestellt, dass man alsZuschauer_in das beklemmende Gefühlbekommt, diesen Szenen beizuwohnen -ohne etwas tun zu können.

So wie der Ausspruch von Schily, die bis-herigen Erkenntnisse „deuten nicht auf einenrechtsterroristischen Hintergrund, sondernauf ein kriminelles Milieu“ hin, in Köln dieKeupstraße zur Verfolgung freigegeben hat,war es in München die Schlagzeile am Tagnach dem Mord an Theodoros Bulgaridis,„Eiskalt hingerichtet – Das siebte Opfer.Türkenmafia schlug wieder zu“, mit der dieFamilie des Opfers auf der Suche nach ihrerVerbindung zu einer „Türkenmaffia“ sodrangsaliert wurde, dass sie keine Alternati-ve sah als Deutschland zu verlassen.

Wenn die Ehefrau von Habil Kılıç mehr-fach nach ihrer Ehe ausgefragt wird, dieErmittler die Wohnung durchschnüffeln,wird noch mal deutlich, wie Menschen, dienach so einem Verbrechen Zuneigung undUnterstützung benötigen und verlangenkönnen, stattdessen wie Verbrecher behan-delt werden. Wie der Bruder und dieSchwägerin des Ermordeten nach drei Wo-chen seinen Laden reinigen müssen, seinBlut zusammenschaben - und begraben.Die Tochter muss die Schule verlassen,weil Eltern und Lehrer um die Sicherheit

fürchten. Gleichzeitig erleben wir, wie Er-mittler gar nicht anders denken können, alsin rassistischen Kategorien: als die Verhör-ten auf ihre Fragen nicht antworten kön-nen, kommt niemand auf die Idee, dass sievielleicht wirklich nichts wissen, nein, „sieblockieren durch ihr Schweigen die Er-mittlungen“. (Genau wie der KölnerStaatsanwalt, der nach 4 Jahren die Ermitt-lungen des Bombenanschlags einstellt,und nicht etwa sagt, wir haben keine Spur,oder wir sind auf der falschen Spur, son-dern „Die halten dicht. Wir kommen kei-nen Schritt weiter.“) Sie lassen die Schuldbei den Opfern – und sehen nach dem 4.November 2011 absolut kein Fehlverhal-ten (was ihre rassistisch beschränkte Sichtnoch mehr unter Beweis stellt).

Dauernd stoßen wir im Stück auf Paral-lelen zu den Kölner Ereignissen und siebeweisen für sich: das ist kein Zufall, da-hinter steckt ein System. …

Das Stück endet mit der Frage derSchwiegermutter des ermordeten HabilKılıç: „Wer hat eigentlich den Befehl ge-geben, uns so zu quälen?“Das herauszufin-den, dazu wollen wir beitragen. (… Imneuen Spielplan wird weitergespielt, aberes gibt wohl noch keine Termine. Ich kannnur empfehlen, dass künftige Prozessbesu-che so gut wie möglich mit den Vorführun-gen abgestimmt werden.)

Zur anschließenden Podiumsdiskussi-on, es waren mehr als die Hälfte der Zu-schauer_innen geblieben, waren wir mitNSU-Watch als eine der Initiativen ein-geladen, die sich rund um den Prozessgebildet hatten und im Dialog mit Chris-tine Umpfenbach zum Stück beigetragenhatten. Wir haben die Situation in derKeupstraße vorgestellt, die Geschichteunserer Initiative und es gab, moderiertvon Andrea Koschwitz, der Dramaturginvon „Urteile“, eine engagierte Diskussi-on über das Stück (was machen die Poli-zisten im Saal? Eben nichts. Die Polizeihat sich geweigert etwas beizutragen.Wie weit wird bei der Bearbeitung derMorde und Verfolgung der Angehörigender Opfer durch die Behörden der alltäg-liche Rassismus vergessen, vernachläs-sigt? …). Christine Umpfenbach schlossmit der Feststellung: „Das Stück hat sichwährend der Proben ständig verändert.Es ist ein lebendiger Prozess, der auchweiterlebt.“

… So langsam wird uns das MünchenerWestend vertraut wie Mülheim: Fast alle

fanden dort bei FreundInnen des Netz-werks eine Übernachtung und am nächstenMorgen trafen wir uns zu gemeinsamenFrühstück in der Ligsalzstraße 8.

Weil der Prozess wegen des Vertrauens -entzugs von Zschäpe gegen ihre Pflicht-verteidiger erst mittags losging, schafftenwir es auch alle gut rein. (Das „Keupstraßeist überall“-T-Shirt war kein Hindernis.)Erst wurde Zschäpes Antrag abgelehnt.Danach erlebten wir eine Zeugin, die, eswar ihr nicht ganz klar, von 2005 oder von2007 bis 2011, mit ihren Familien und ge-meinsam mit dem NSU-Trio jährlich ihreFerien auf einem Campingplatz auf Feh-marn verbrachten. Lieb, freundlich, zuvor-kommend, witzig, spaßig, mehrmals wur-den die drei in dieser Art von ihr beschrie-ben. Liese oder Lieschen, Max und Gary,wie sie sich nannten, waren Freunde derFamilien. Es wurde telefoniert, besucht,Geschenke mitgebracht und wenn das Triowenig Platz im Wohnmobil hatte, brachtensie den Grill schon mal zu den Freunden.Die immer fett gefüllte Geldbörse (offengezeigte 500-er)wurde von „Liese“ ver-waltet. Sie bezahlte immer.

Nach wie vor erschüttert und erzürnt diegleichgültige Miene von Zschäpe die Op-fer. Es wird als eine verachtende Provoka-tion empfunden. Man wird an die Szene in„Die Lücke“ erinnert, aus der ohnmächtigeWut gegenüber so einem Verhalten spricht.

Die zweite Frage, wo ist da Untergrund?Wo ist ein „Verstecken vor den Verfol-gern“? Wussten sie, dass es keine Verfolgergab? Sie gaben sich sicher, locker lustig.Sie erklärten den Familien, wie man Bom-ben baut. Nichts deutete darauf hin, dass siesich als Mörderbande durch Deutschlandbewegten auf der Suche nach dem nächstenOpfer. Einzig die Namen sind falsch.

10 Morde, 2 Bombenanschläge, 15Banküberfälle und die Herrschaften ma-chen in aller Öffentlichkeit sieben Jahre ander gleichen Stelle Urlaub. Deutschlandals Paradies für rechte Terroristen? Die Ba-nalität des Bösen?

Auf der Rückfahrt werden die Eindrü-cke in heftigen Diskussionen verarbeitet.

Der Theaterbesuch festigte die Überzeu-gung, dass es nicht nur eine kleine Szeneist, die sich in intensiver Weise mit demProzess auseinandersetzt, sondern es isteine Bewegung in der Stadtgesellschaft,die durch die Verbrechen des NSU und denProzess aufgerüttelt wird und neue Wegegeht. pb n

Initiative Keupstraße in München

:antifaschistische nachrichten 16-2014 3

Schluss mit dem Krieg – Frieden für Palästinenser und Israelis!Die Waffen nieder! Verhandeln statt schießen!Antisemitischer Hetze entgegentreten!Erklärung des Bundessprecherkreises der VVN-BdA

Die Friedensbewegung in NRW wirdam 3.10. in Kalkar am NATO-Luftkom-mando gegen die dort geplantenKampfdrohneneinsätze demonstrie-ren. Das ist Teil einer weltweiten Aktion, zu der internationaleFriedens organisationen aufgerufenhaben. Zum Globalen Aktionstag ge-gen Kampf- und Überwachungsdroh-nen am 4. Oktober 2014 wurde dieserAufruf herausgegeben:

4. Oktober 2014 – Mach mit beimersten Globalen Aktionstag GegenKampf- und Überwachungs-DrohnenAls globale Gemeinschaft, die an Rechtund Gerechtigkeit glaubt, stellen wir unsgegen bewaffnungsfähige und Überwa-chungsdrohnen.

Ihr Einsatz:vwird für extralegale „gezielte“ Tötun-gen genutzt, der auf bloßen Verdacht ba-siert, für Mord, auch von Kindern, in undaußerhalb von Kriegsgebieten;vterrorisiert ganze Gesellschaften in denZielregionen, sät Hass und kurbelt damitweiter die Gewaltspirale an;vsenkt die Schwelle zum Krieg und ini-tiiert einen neuen Rüstungswettlauf;v führt zur Entwicklung autonomerKriegsmaschinen, die noch schreckliche-re Kriege wahrscheinlicher werden lässt.vverletzt das demokratische Recht zurfreien Meinungsäußerung, das Versamm-lungsrecht und das Recht, nicht ver-dachtsunabhängig durchsucht werden zudürfen.

Wir fordern, dass alle Regierungen dieProduktion und die Anschaffung bewaff-neter und bewaffnungsfähiger Drohnen,ebenso wie ihre Forschung und Entwick-lung einstellt; und an der weltweiten Äch-tung dieser Waffen arbeiten.

Wir verlangen weiterhin, dass unsereRegierungen Drohnen zur Überwachungverbieten. Auch Satelliten, Bodenstatio-nen, Militärbasen, welche die Überwa-chung mit Drohnen ermöglichen und dieTötungen mit Drohnen auslösen, müssenverboten werden.

Wir rufen alle Menschen weltweit auf,am Globalen Aktionstag am 4. Oktobermitzumachen.Es ruft auf: knowdrones.comSiehe http://globaldayofaction.nati-onbuilder.com/

3./4. Oktober 2014

Globaler Aktionstag gegen Kampf-und Überwachungs drohnen

Wir können nicht akzeptieren, dassdie berechtigte Kritik an der Poli-tik der israelischen Regierung mit

antisemitischen Hetzparolen verbundenwird. Viele unserer Kamerad_innen sindÜberlebende des Holocaust und erlebenderartige Angriffe als persönliche Bedro-hung. Wir versichern allen Jüdinnen undJuden in Deutschland unsere uneinge-schränkte Solidarität.

Die VVN-BdA verurteilt die erneuteEskalation der Gewalt im Nahen Osten.Einmal mehr wird jede Chance auf einefriedliche Lösung für die Menschen in Is-rael und Palästina der militärischen Logikgeopfert.

Wir verurteilen die Politik der Regie-rung Netanjahu, in jeder Konfliktsituationsofort massive Militärgewalt anzuwen-den. Durch Luftangriffe und Bodentrup-pen sind bereits hunderte Zivilisten bei is-raelischen Angriffen auf Gaza gestorben.Das Ergebnis ist erneut eine humanitäreKatastrophe, die die einfache Bevölke-rung trifft.

Gleichermaßen verurteilen wir, dassdie Hamas mit ihrem ständigen Beschussisraelischer Siedlungen aus dicht be-wohntem Gebiet Bewohner Israels be-droht und die eigene Bevölkerung zurZielscheibe macht. Wir haben kein Ver-

ständnis für die Zurückweisung der Feu-erpause.

Wir haben in unserer Organisation nie-mals Zweifel am Existenzrecht des Staa-tes Israel gelassen. Gleichzeitig stehenwir – gemäß der UNO-Resolutionen – zurForderung der Räumung der besetztenGebiete und zum Recht des palästinensi-schen Volkes auf einen eigenen Staat.Beides setzt aber Verhandlungen undFriedenswillen voraus, nicht Krieg. BeideSeiten müssen sich aufeinander zu bewe-gen. Der fortgesetzte Bau israelischerSiedlungen in den besetzten Gebieten isteine dauernde Anheizung des Konfliktes.

Die VVN-BdA unterstützt demgegen-über die Friedenskräfte in der Region,wie z.B. Gush Shalom, die mit einemFriedensbus von Jerusalem nach Gaza ge-fahren sind, von dem aus sie Botschaftendes Friedens und der Verständigung sen-den.

Mit ihnen gemeinsam fordern wir einensofortigen Stopp aller militärischen Akti-vitäten.

Dies betrifft das Bombardement und dieBodenangriffe der israelischen Truppen inGaza ebenso wie die Raketenangriffe derHamas auf israelische Siedlungen.

Wir trauern um die Opfer dieses Krie-ges. Wir erwarten, dass die Bundesregie-

rung und die internationale Staatenge-meinschaft sich endlich energisch dafüreinsetzen, dass Verhandlungen über einenFriedensprozess in Gang kommen, wiesie von arabischen Staaten mehrfach ver-sucht wurden – und zwar unter Ein-schluss der Hamas. Von der Hamas er-warten wir endlich die eindeutige Aner-kennung des Existenzrechts des StaatesIsrael.

Wir werden auch weiterhin jeder Artvon Rassismus und Antisemitismus ener-gisch entgegentreten.http://www.vvn-bda.de/schluss-mit-dem-

krieg-frieden-fur-palastinenser-und-israelis/

:antifaschistische nachrichten 16-20144

Pünktlich zum100. Jahrestag desErsten Weltkriegserscheint die neue,die 38. Ausgabe.Wirwidersprechen indieser den wesent-lichen Aussagender Mainstream-Medien:Es gab keinen„AUSBRUCH“des Ersten Welt-kriegs - dieserKrieg wurdeVORBEREITET.Die Verantwortli-chen in Berlin,Wien, Paris, Lon-don und Moskauwaren keine

„SCHLAFWANDLER“. Es gab klare Entscheidungen, die indiesen Krieg führten. Die KRIEGSSCHULD war nicht gleich-mäßig verteilt. Die entscheidenden Kriegstreiber waren dasdeutsche Kaiserreich in Berlin und die k.u.k.-Monarchie inWien.

Schließlich gilt: Es gibt auch heute bedrohlich viele Paralle-len zur Zeit vor dem I. Weltkrieg. Die KRIEGSGEFAHR istAKTUELL!

Inhalte der neuen Ausgabe u.a.:

• 100 Jahre Erster Weltkrieg: Mit Logik und Plan in ein welt-weites Morden• Kriegsbegeisterung und Widerstand im Ersten Weltkrieg• Keine Gedenktafel für Karl Liebknecht• BAYER an vorderster Front - Giftgas im Ersten Weltkrieg• Mit der Ukraine-Krise schwenken deutschen Unternehmerauf den US-Kriegskurs ein• Nato-Neuorganisation und Nato-Tagung in Wales• Krieg beginnt hier: Gefechtsübungszentrums (GÜZ) derBundeswehr• Kampfdrohnen für die Bundeswehr • (K)eine Scheindebatte• Wer rüstet hier wirklich hoch? Die Mär von der Kriegsgefahraus Moskau und Peking• Israel/Palästina // Neue KonfrontationspolitikAutorinnen und Autoren u.a.:

Uli Cremer // Sevim Dagdelen // Heike Hänsel // ChristophMarischka // Jan Perke // Tobias Pflüger // Monty Schädel //Kurt Tucholsky // Rolf Verleger // Konstantin Wecker // Win-fried Wolf u.a.12 Seiten Zeitungsformat // Bezugspreise wie immersupergünstig & konkret wie folgt: Bestellungen zwischen 1 -50 Ex.: 30 Cent je Ex., Bestellungen von 51 - 499 Ex.: 25 Centje Ex., Bestellungen ab 500 Ex.: 20 Cent je Ex.Jeweils zzgl. Porto + Verpackung.Bestellungen an: [email protected] Fax 030-227 76 179 oder Tel. 030 - 22 77 3179 (MdB-Büro H. Hänsel)oder online unter www.zeitung-gegen-den-krieg.de/index.php/bestellen.html

„Die Bundeswehr will einige ihrer Ka-sernen umbenennen, aber sie führt wei-terhin verbissene Abwehrschlachten ander Traditionsfront“, kommentiert die in-nenpolitische Sprecherin der FraktionDIE LINKE, Ulla Jelpke, die Antwortder Bundesregierung auf zwei KleineAnfragen der Fraktion zu Kasernenbe-nennungen (BT-Drs. 18/2052). Jelpkeweiter:

„An elf Standorten laufen derzeit Dis-kussionen über eine Umbenennung.Nach wie vor lehnt die Bundeswehr esaber ab, generell auf umstrittene Na-menspatrone aus dem Kaiserreich oderder Naziherrschaft zu verzichten. EinemAufruf namhafter Militärhistoriker, 100Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrie-ges ‚endlich geplättete Geschichtsbilder,verklärende Heldenmythen und falscheTraditionen zu tilgen‘, ist nur teilweiseErfolg beschieden. An der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover, deren

Namenspatron für Gräuel im besetztenBelgien verantwortlich gemacht wird,laufen Diskussionen über eine Umbenen-nung, ebenso in der Mudra-Kaserne inKöln, benannt nach einem ehemaligenKaiser-General, der 1924 zur ‚endgülti-gen Abrechnung mit dem Erzfeinde‘Frankreich aufgerufen hatte. Zudem, sodie Bundesregierung, soll ‚in absehbarerZeit‘ über eine Änderung des Namensder Hindenburg-Kaserne in Munster be-raten werden.

Insgesamt sind nach einer Aufstellungder Bundesregierung 16 Kasernen nachOffizieren des Ersten Weltkrieges ben-annt. 26 Kasernen tragen Namen vonWehrmachtsangehörigen. Auch hier füh-ren historische Erkenntnisse und gesell-schaftlicher Druck dazu, dass in wenigs-tens acht Kasernen derzeit über den Na-men diskutiert wird. Bereits entschiedenist die Umbenennung der GermersheimerGraf-von-Sponeck-Kaserne in Südpfalz-

Kaserne. Elf der Namensgeber gehörtemdem militärischen Widerstand gegen dasHitler-Regime an.

Eine generelle Umbenennung wenigs-tens jener Kasernen, die nach bis zuletzthitlertreuen Wehrmachtsoffizieren ben-annt sind, lehnt die Bundesregierung je-doch ab. Dabei hat sie gerade noch am20. Juli behauptet, in einer antifaschisti-schen Traditionslinie zu stehen. Die Bun-deswehr war von Anfang an hin- und her-gerissen zwischen Wehrmachtsglorifizie-rung und Demokratiebekenntnissen. An-gesichts ihres Interventionskurses könnteman vermuten, dass sie Wehrmachtsoffi-ziere für gar nicht so unpassende Vorbil-der hält.“

Die beiden Antworten der Bundesregie-rung können unter www.ulla-jelpke.de

heruntergeladen werden. Ulla Jelpke, MdB n

Bundeswehr prüft elf „Einzelfälle“von Kasernen-Namen

Zeitung gegen den KriegZum Antikriegstag am 1. September

und zum Jahrestag des 1. Weltverteilungskriegs am 1. AugustHeft 38 – 100 Jahre Erster Weltkrieg

antifaschistische nachrichten 16-2014 5

Karlheinz Weißmann: Politikund Metapolitik

Die Frage, wie man sich im jung-konservativen Lager auf die AfD zu be-ziehen habe, hat Weißmann zu Präzisie-rungen ‚gezwungen,, die das Verhältnisvon Real- und Metapolitik berühren.

Bereits im Augustheft 2013 hatte er ge-gen die Hype um die Identitären inFrankreich, deren Bewegung in der Se-zession vor allem von Lichtmesz undKubitschek positiv aufgegriffen wurde,die Notwendigkeit von politischen Orga-nisationen und Parteibildungsprozessenbetont, die willens und fähig seien, aufdie „Mitte“ Einfluss zu nehmen. In die-sem Zusammenhang ging er gezielt undwohlwollend auf die AfD ein: „DieserVersuch, den gesunden Menschenver-stand zu organisieren, setzt auf die Mobi-lisierung der […] Mitte, was angesichtsder bestehenden Kräfteverhältnisse dieeinzig denkbare Option für ein anderespolitisches Handeln ist“ (Weißmann2013a, 13; Hervorh. v. Vf.). Die Rolle,die er dem IfS dabei beimaß, beschrieb erals eine weiterhin metapolitische und ins-besondere konzeptionelle Arbeit, derenZiel es letztendlich sein müsse, „einenideologischen Gesamtentwurf zu schaf-fen“.

Auf dem 2. Zwischentag hielt Weiß-mann dann zum Thema „Politik und Me-tapolitik“ einen Vortrag, dem er im De-zemberheft 2013 der Sezession einendemselben Thema gewidmeten Artikelfolgen ließ. Der Artikel führt das Verhält-nis von situationsbezogener realpoliti-scher Option und langfristiger konzeptio-neller Arbeit (im Übrigen unter Bezug-nahme auf Gramsci) weiter aus (Weiß-mann 2013b, 41):

1. „Metapolitik ist […] nur sinnvoll alsTeil von politischen Strategien.“ Sie„muß Lagen analysieren und Machbar-keitsfragen stellen“, sie „interessiert sichzwingend auch für politische Praxis undderen Träger“, was nicht bedeute, soWeißmann mit Blick auf Kubitschek,„seine persönlichen oder ästhetischenMaßstäbe gegenüber der Politik zur Gel-tung“ zu bringen, denn die seien „nichtpolitisch“.

2. Metapolitik kann nur dann Wirksam-keit entfalten, wenn sie anschlussfähig istund „gehört“ wird. „Provokation undKonfrontation“, d.h. die von Kubitschekbevorzugten Optionen (vgl. Kubitschek2007), seien daher „nur ausnahmsweiseMittel der Wahl“.

3. Metapolitik ist auf einen langen Zeit-raum eingerichtet („gedehnte Fristen“,„langer Atem“) und erfordere ob vieler„Unwägbarkeiten […] Geduld, Klugheitund Geschick“, immer aber den Bezugauf den „Alltagsverstand“. Mit einer vo-luntaristischen und sektiererischen(„Konventikel, in denen jeder die ‚Spra-che Kanaans, spricht“) Praxis sei dasnicht vereinbar.

4. Es gibt keine „Erfolgsgarantie“ fürMetapolitik, zumal der „Kulturkampf vonrechts auch in Zukunft aus einer Positionder Schwäche geführt“ werde, was „dieZielsetzung und die Wahl der Mittel be-stimmen“ müsse.Repliken

Diese Ausführungen Weißmanns bliebennicht unbeantwortet. Vor allem aus derjüngeren Autoren-Generation des IfSsprangen Martin Lichtmesz und ManfredKleine-Hartlage im selben Heft der Se-zession Kubitschek zur Seite.

Lichtmesz (2013c, 42-45), der sich alsSprachrohr der sog. Identitären Bewe-gung versteht, beschwor mit Blick auf dieZuwanderung das apokalyptische Bild,dass es bereits „fünf nach zwölf“ sei, undfragte als selbsternannter Anwalt der heu-te zwanzigjährigen ‚Einheimischen,: „Istes da ein Wunder, dass sie kaum ein Ohrhaben für jene, die ihnen zu viel von einerMetapolitik des ‚langen Atems, und der‚Vorbereitung, reden, Strategien, derenWirkung völlig unbewiesen ist, und dieoffensichtlich bis heute nicht aufgegan-gen sind?“ Und er verteidigte die vonWeißmann als Ausnahmestrategien ab-qualifizierten Optionen „Provokation undKonfrontation“, wie sie auch von derIdentitären Bewegung verfolgt werden:„Deren Erfolgsaussichten scheinen mirjedenfalls auch nicht weniger gewiß zusein als die Hoffnung, dass die gut vorbe-reiteten Konservativen in der Stunde Xaus ihrer Schattenexistenz geholt wür-den.“ Natürlich müsse man weiterhin Me-tapolitik betreiben und natürlich müsseman sich auf die „Widerstandspotentiale“im „bürgerlich-liberalen Lager“ – darun-ter subsumiert er die AfD genauso wie dieFPÖ und den Front National – beziehen.Aber, so seine skeptische Auskunft, manwerde sehen, „ob all diese nicht lediglichdies waren: nützlich retardierende Werk-zeuge auf dem Wege zur vollendeten Zer-setzung.“

Kleine-Hartlage (2013b, 46-48), dervon sich glaubt, dass er mal ein ‚Linker,

gewesen sei, sich nun aber auf dem ‚rech-ten, Pfad der Tugend befände, opponiertgleich gegen die politische Geschäfts-grundlage des IfS, indem er dessen strate-gischen Bezug auf die Eliten, zu denen erauch die ehemals oppositionelle 68er-Linke rechnet, in Frage stellt: „Für einerechte Opposition kommt […] eine Stra-tegie von vornherein nicht in Betracht,die primär darauf abzielt, Positionen in-nerhalb der Eliten zu besetzen und vondort aus in die Gesellschaft hineinzuwir-ken.“ Stattdessen empfiehlt er eine „Ein-kreisungsstrategie“. Es gelte, „das Feldvon unten nach oben und von außen nachinnen aufzurollen, das heißt das herr-schende Machtkartell von der Peripherieher unter Druck zu setzen“.

Dazu sei es erstens notwendig, so Klei-ne-Hartlage in einem früheren Aufsatz(2013a, 42-44), eine Einengung von Me-tapolitik auf konzeptionelle Arbeit zu ver-meiden, sondern von „eine[r] Pluralitätmetapolitischer Kommunikationsformen“auszugehen und an einer Vernetzung von„politisch und soziologischheterogene[n]“ Milieus über eine gemein-same Feindbestimmung (gegen die herr-schenden Eliten) zu arbeiten. Diesbezüg-lich plädiert Kleine-Hartlage – nach demMuster der Querfront-Strategie des jung-konservativen TAT-Kreises in der End-phase der Weimarer Republik – für ein„Bündnis mit der linken Peripherie“(2013b, 47): Es gäbe „eine kleine, aberwachsende Fraktion der antiimperialisti-schen Linken, die gegenüber rechten The-men und Positionen kaum noch Berüh-rungsängste“ habe, wie z.B. die Gruppeum Jürgen Elsässer und dessen ZeitschriftCompact (vgl. Kleine-Hartlage 2013a,44). Zweitens betont er die Nachrangig-keit von Parteipolitik gegenüber Metapo-litik: „Wer metapolitisch wirken will“,der dürfe „nicht darauf aus sein, schon zuBeginn den kleinsten gemeinsamen Nen-ner mit der ‚Mitte, zu suchen“ (2013a,44).Karlheinz Weißmann: Umbau desParteiensystems

Die Gegenreplik von Weißmann – dieEuropawahlen hatten soeben den Auf-wärtstrend der AfD bestätigt – ließ nichtlange auf sich warten. Interessant ist nur,wo sie erschien. Jedenfalls nicht im Juni-heft der Sezession (H. 60), das dem The-ma „Demokratie“ gewidmet war und denAbonnenten im Begleitschreiben Kubit-scheks süffisant als „eines der besten Se-

Die AfD als „Staubsauger undKantenschere – Turbulenzen imjungkonservativen LagerTeil 2, Fortsetzung der Ausgabe 15/2014 der AN

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zession-Hefte, das wir je fertig stellten“,offeriert wurde, und das nach rund elfJahren zum ersten Mal ohne einen Textvon Weißmann. – Nein, die Gegenreplikerschien auf der Forums-Seite der JF mitdem hintersinnigen Titel „Die Geduld hatein Ende“ (JF 24/14, 18), womit Weiß-mann auf den bereits zitierten Artikel inder Sezession anspielte, in dem er dieGeduld des Metapolitikers beschworenhatte. Dass die Geduld nunmehr ein Endehabe, signalisierte freilich nicht den Ab-schied vom „langen Atem“, sondern ziel-te auf den politischen Möglichkeitsraum,der sich mit der Etablierung der AfD, ge-tragen von einer Aufkündigung „schafs-mäßige[r] Geduld“ von Seiten ihrerWähler, eröffnen könnte.

Weißmann skizziert also ein Szenariofür die weitere Entwicklung der AfD undordnet es dem langfristigen strategischenKalkül der Jungkonservativen zu. Es gehtperspektivisch um den „Umbau des Par-teiensystem“ als einem Teilziel des vonden Jungkonservativen angestrebten Um-baus des Staates. Damit knüpft er an ei-nen Artikel Dieter Steins vor den Europa-wahlen an (JF 22/2014, 1), in dem diesereine „historische Umwälzung des deut-schen Parteiensystems“ prognostizierthatte.

Weißmann holt zunächst weit aus undbeginnt mit einem Rückblick auf die Par-teiengeschichte, besonders im Kaiser-reich. Auf die Ausbildung von Massen-und Weltanschauungsparteien auf derLinken und im Lager des politischen Ka-tholizismus hätten Liberale und Konser-vative aufgrund ihrer Organisation inHonoratiorenvereinigungen keine ange-messene Antwort gehabt. Dazu hätte esder Weiterentwicklung zur Volksparteibedurft, was dann unter den verändertenhistorischen Bedingungen der Nach-kriegszeit von den Unionsparteien nach-vollzogen worden sei. Auf europäischerEbene erwähnt Weißmann als Beispielefür die von ihm als notwendig erachtete„Anverwandlung“ an den Gegner die To-ries oder die Gaullisten in Frankreich.

Es folgt der Blick in die Gegenwart:Ob sich die rechtspopulistischen Parteienzu Volksparteien weiterentwickeln könn-ten, stünde noch nicht fest. „Protestler“wie die Freiheitspartei in den Niederlan-den drohten an dieser Hürde zu scheitern,die „Nationalen“ wie der Front Nationaloder die FPÖ verfügten über eine „stabi-le Basis“ und ein „erprobtes Rezept“3 füreinen weiteren Ausbau. Zu einer drittenGruppe, den „Unbeugsamen“, zähltWeißmann die UKIP und – trotz der Ab-grenzungsbemühungen Luckes – dieAfD, die beide sich durch eine „struktu-relle Ähnlichkeit“ auszeichneten:

In beiden Fällen sei die „Führungsrie-ge“ seriös; Personal und Anhängerschaftkämen zum großen Teil „aus den Reihender eigentlich dominierenden bürgerli-chen Parteien“; aber auch Menschen

ohne politische Heimat oder aus demUmfeld von Außenseiterparteien würdenerreicht. In beiden Fällen sei man „beun-ruhigt“ über den Verrat nationaler Inte-ressen durch die politische Klasse zuGunsten „einer gesichtslosen Bürokra-tie“, des „global operierendenKapital[s]“ oder „der vaterlandslosen In-telligenz“; beide Parteien repräsentiertenvor allem die Mittelschicht, d.h. solcheLeute, die „hart“ arbeiteten, Steuernzahlten, Familien gründeten und Kindergroßzögen.

Der Erfolg der AfD, so Weißmann wei-ter, sei einerseits der „klugen Taktik“ ih-rer Führungsgruppe geschuldet, „mög-lichst wenig Angriffsflächen zu bieten[…] und immer die ‚Normalität, der Par-tei“ zu betonen; andererseits sei die Zeit,angesichts der „Veränderung des gesell-schaftlichen Klimas“, einfach reif gewe-sen für eine Partei wie die AfD. Zeit alsoauch, um über wünschens- bzw. nicht-wünschenswerte Perspektiven nachzu-denken.

Nicht-wünschenswert sei es, wenndurch die Etablierung der AfD das „bür-gerliche Lager“ insgesamt, nämlich in-folge der Spaltung und aufgrund fehlen-der Kooperationsbereitschaft, ge-schwächt würde; es würde dann eine„ähnliche Situation wie für die Grün-Rot-Tiefroten auf der Gegenseite entste-hen“. Im Umkehrschluss hält also Weiß-mann, ohne das offen auszusprechen,eine Koalition der Unionsparteien mitder AfD als naheliegendste Perspektivefür wünschenswert (was den Planspielenmancher Konservativer in der Union ent-gegenkäme). Er geht aber noch einenSchritt weiter:

„Die AfD ist aber noch nicht am Endeihrer Möglichkeiten angekommen, undwenn sie zur Sammlung all derjenigenwird, die die Tassen im Schrank behal-ten, ergeben sich ganz neue Perspekti-ven. Dann geht es nicht mehr um Junior-partnerschaften, dann geht es tatsächlichum eine Neugestaltung des deutschenParteiensystems.“

Will sagen: Wünschenswert wäre es,wenn die AfD sich realiter in Richtungeiner Volkspartei entwickeln würde, wasLucke ja bereits anlässlich der Ergebnis-se der Europawahlen als gegeben konsta-tiert hatte. Diese „Anverwandlung“ anden Gegner, von der Weißmann eingangsgesprochen hatte, würde die Kräftever-hältnisse im bürgerlichen Lager ändern,und die Koalitionsfrage könnte aus einerPosition der Stärke neu verhandelt wer-den, etwa nach dem Modell der grün-ro-ten Koalition in Baden-Württemberg.Das ist sicherlich Zukunftsmusik undwird es womöglich auch bleiben. Weiß-mann ist sich darüber im Klaren, dasseine solche Entwicklung von „schwerkalkulier bar[en]“ Faktoren abhängt. DieAfD müsste weiter an „Anziehungskraft“gewinnen und die Krisenlage sich weiter

verschärfen. Die Frage sei, „ob es dasPersonal der Altparteien weiter schafft,die Krisensymptome zu kaschieren, oderob der Prozeß eskaliert und die Einschät-zung Luckes zutrifft, daß die Problemeviel größer und viel schwerwiegendersind, als bisher zugegeben“.

Die Bedeutung der ‚große Krise, füreinen Wandel der Machtverhältnisse hatWeißmann in den letzten Jahren immerwieder betont. „Die Konjunktur derRechten“ hänge ab von der „Wahrneh-mung innerer oder äußerer Bedrohung“,schrieb er 1996 in der Jungen Freiheit (JF44/1996, zit. nach Weißmann 2000, 250).2007 prognostizierte er „eine dramati-sche Zuspitzung der Krise“ für die„nächsten zehn Jahre“, die „Unfähigkeit“der Politischen Klasse werde überdeut-lich werden (Weißmann 2006, 80). Nurin einer solchen Situation sei ein Eliten-wechsel möglich (Weißmann 2009b, 14).Und nur dann sei es möglich, die Verfas-sung aus „der Gefangenschaft der Linkenund Liberalen zu befreien“ (ebd., 15).Fazit

Die Gründung und die bis dato erfolgrei-che Entwicklung der AfD haben imjungkonservativen Lager kontroverseReaktionen hervorgerufen. Was die JFanbetrifft, war es nicht weiter verwun-derlich, dass sie sich als publizistischePlattform für die Anliegen der AfD prä-sentierte, hat sie doch seit Jahren aufeine solche politische Konstellation hin-gearbeitet und programmatische Vorar-beit geleistet. Wenn sich die JF 2011 inihrem „Leitbild“ als national, freiheit-lich, konservativ und christlich definiert(Junge Freiheit 2011, 6), so ist das derprogrammatische Rahmen (vgl. dazuKellershohn 2013), in dem sich die AfDbewegt und bewegen wird. Die Nähezwischen dem JF-Milieu und dem Kreisder AfD-Mitglieder und Sympathisantenist unübersehbar.

Die Haltung des IfS und der Sezessionzu dieser ‚Kumpanei, war in ihrer Ge-spaltenheit zwischen „neuem Realismus“(Weißmann 2014), politischem Exis-tentialismus und metapolitischem Plura-lismus nicht unbedingt vorherzusehen.Selbst Weißmann notierte noch 2009 inseinem „Konservativen Katechismus“,dass man sich als bekennender ‚Rechter,vor „jeder Ablenkung ins ‚Liberalkonser-vative,, ‚Freiheitlich-Konservative,,‚Kulturkonservative,. ‚Wertkonservati-ve,“ hüten müsse (Weißmann 2009a, 36).Die Feigheit der bürgerlichen Mitte hater des Öfteren beklagt. Insofern ist er es,der sich umorientiert hat und nunmehrauf die „,populistischen, Möglichkeiten“(Weißmann 2000, 251) setzt (und Glei-ches der intellektuellen Rechten emp-fiehlt), die die JF schon seit längeremverfolgt und jetzt in einer ‚freiheitlich-konservativen, AfD gegeben sieht.

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Es bedarf noch einer genaueren Analy-se, inwieweit die Kontroversen, die nuneine Zuspitzung erfahren haben, schon infrüheren Konflikten angelegt gewesensind. Es ist zu vermuten, dass bereits dieAblösung Kubitscheks als Geschäftsfüh-rer des IfS (2008) im Zusammenhang mitden internen Diskussionen um die vonihm initiierte Konservativ-subversive Ak-tion (vgl. dazu Kellershohn 2010b) einenKonfliktpunkt gesetzt hat, der nachwirkt.Schon damals ging es um die Frage, obeine Strategie der Provokation zum ‚Ge-schäftsbereich, des Instituts gehöre. WennKubitschek nun als verantwortlicher Re-dakteur der Sezession die Grundsatzfrage„für oder gegen die Sezession“ stellt,während Weißmann die AfD als „einzigdenkbare Option“ unter den gegebenenBedingungen bezeichnet und damit diePosition der JF unterstützt, so sind dieszweifellos Ausschließlichkeitsformeln,die eine Trennung nahelegen. Möglich istaber auch, dass die Grundlagen der Ar-beitsteilung und Kooperation im jungkon-servativen Lager, sowohl im IfS als auchzwischen IfS und JF neu verhandelt wer-den.QuellenJunge Freiheit 2011: Der Freiheit eine Gasse. 25Jahre Junge Freiheit. Eine deutsche Zeitungsge-schichte, Berlin.Kleine-Hartlage, Manfred 2013a: Metapolitische

Unterweisung (III), in: Sezession 56, 42-44.Kleine-Hartlage, Manfred 2013b: Rebellion gegendie Lüge, in: Sezession 57, 46-48.Kubitschek, Götz 2007: Provokation, Schnellroda.Kubitschek, Götz 2012: Die Ein-Mann-Kaserne oderExpressive Loslösung, in: Sezession 50, 10-13.Kubitschek, Götz 2013: Wellenberg, Wellental, in:Sezession, Sonderheft „Alternativen für Deutsch-land“, Mai 2013, 1.Kubitschek, Götz 2014: Der romantische Dünger, in:Sezession 59, 33-35.Lichtmesz, Martin 2013a: Alternative für Deutsch-land – Mit Mimikry ins Establishment? In: Sezessionim Netz v. 26. August 2013.Lichtmesz, Martin 2013b: Schmerzhafte Schnitteund schmerzhafte Wahrheiten, in: Sezession imNetz v. 4. Oktober 2013Lichtmesz, Martin 2013c: Ruhepuls am Abgrund, in:Sezession 57, 42-45.Stein, Dieter 2013: „Bei aller Skepsis: Diesmal hoffeich!“ In: Sezession, Sonderheft „Alternativen fürDeutschland“, Mai 2013, 18-19.Stein, Dieter 2014: Für eine neue Nation. Nach-denken über Deutschland, Berlin.Weißmann, Karlheinz 2000: Die Lage ist hoff-nungslos, aber nicht ernst. Zehn Thesen zur Zukunfteiner konstitutionellen Rechten in Deutschland, in:Ders.: Alles, was recht(s) ist, Graz/Stuttgart, 249-252.Weißmann, Karlheinz 2006: Unsere Zeit kommt. ImGespräch mit Karlheinz Weißmann, Schnellroda.Weißmann, Karlheinz 2009a: Der konservative Ka-techismus, in: Sezession 29, 34-36.Weißmann, Karlheinz 2009b: „Ich versuche, argu-mentativ vorzugehen und die Fragen grundsätzlichanzugehen“, in: Sezession, Sonderheft „Gesprä-che“, Dez. 2009, 13-16.

Weißmann, Karlheinz 2013a: Geduld! – Lage undMöglichkeit der intellektuellen Rechten, in: Sezessi-on 55, 10-13.Weißmann, Karlheinz 2013b: Politik und Metapoli-tik, in: Sezession 57, 38-41.Weißmann, Karlheinz 2014: Neuer Realismus, in:Sezession 59, 30-32.SekundärliteraturKellershohn, Helmut 2010a: Strategische Optionendes Jungkonservatismus, in: Wamper/Kellers-hohn/Dietzsch (Hg.) 2010, 13-30.Kellershohn, Helmut 2010b: Provokationselite vonrechts: Die Konservativ-subversive Aktion, in: Wam-per/Kellershohn/Dietzsch (Hg.) 2010, 224-240.Kellershohn, Helmut 2013: Der ‚wahre, Konservatis-mus der Jungen Freiheit, in: Ders. (Hg.): Die ‚Deut-sche Stimme, der ‚Jungen Freiheit,, Münster: UnrastVerlag, 60-134.Wamper, Regina/Kellershohn, Helmut/Dietzsch,Martin (Hg.) 2010: Rechte Diskurspiraterien. Strate-gien der Aneignung linker Codes, Symbole und Ak-tionsformen, Münster: Unrast Verlag.Fußnoten3 Das Rezept beschreibt Weißmann wie folgt: „Auf-bietung des ‚gemeinen Mannes, über einen offensivvorgetragenen Patriotismus, der ausdrücklich auchim Sinn einer sozialen Schutzpflicht verstanden wird,und scharfe Wendung gegen eine als korrupt be-trachtete Ordnung, ohne die Verfassung in Frage zustellen.“

Article printed from Duisburger Institut für Sprach-und Sozialforschung: http://www.diss-duisburg.deURL to article: http://www.diss-duisburg.de/2014/06/helmut-kellershohn-afd-sondierungen-2/

Meldungen zur AfDParteiausschlussverfahrengegen Essener Stadtrat

Gerade einmal zwei Monate ist es her,dass die AfD das Ausschlussverfahrengegen ihr Essener Mitglied Marco Trau-ten einstellte. Und schon steht das nächs-te an!

Diesmal bemüht der Essener Verbanddas Landesschiedsgericht, weil Trautenim Stadtrat mit dem aus der Partei ausge-tretenen Menno Aden eine Gruppe bildetund nicht mit dem verbliebenen AfD-Mit-glied. Und weil die beiden sich gegen denWillen der AfD Essen „AfD-Gruppe“nennen.

Nachdem am 7. Juni die NRW AfD inBottrop einen neuen Landesvorstand un-ter Marcus Pretzell gewählt hatte, wurdeauch gleich das Verfahren gegen Trautenper Mitgliedervotum aufgehoben. Das da-malige Verfahren lief, weil er die Be-kämpfung der AfD mit der Judenverfol-gung im „3. Reich“ gleichgesetzt hatte.Die Installation des neuen Vorstands giltals deutlicher Rechtsruck, und Trautenhat seine Hausmacht in der Parteirechten.

Auf der Facebook-Seite der AfD Essenwar einen Abend lang ein Faksimile desAusschlussantrags zu sehen, das genausoschnell wieder gelöscht wurde, wie die

Kommentare etlicher Rechtsausleger derPartei, die sich enorm über diesen Vor-gang aufregten. Auch Pretzell echauffier-te sich: „Das fasse ich jetzt nicht!“

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Liberale verlassen die AfD

In den letzten Wochen sind etliche Mit-glieder aus der AfD ausgetreten, die sichselbst im liberalen politischen Spektrumverorten. So Bouchra Nagla, Integrati-onsbeauftragte der Partei, Steffen Schä-fer, Kreisvorsitzender Oberbayern, Ha-gen Theurich, Kreisrat Oberbayern,Franz Eibl, Bezirksvorsitzender Ober-franken.

Die Gründe gleichen sich, die Partei istihnen gesellschaftspolitisch zu reaktionär,„eine liberale Geisteshaltung erstrecktsich … nicht alleine auf wirtschaftlicheFreiheiten“ (Theurich, Merkur online,24.7.). „Da wird von Ausländern nur inZusammenhang mit Kriminalität geredet,da wird vorgegeben, wie viele KinderFrauen künftig zu bekommen haben, undda wird verlangt, dass behinderte Kindernicht zusammen mit nicht-behindertenunterrichtet werden sollen“ (Eibl auf sei-nem Blog, 31.7.).

Dass liberalere Geister gerade jetzt aus-treten, ist nicht ganz zufällig. Konnte dieAfD sich in den abgelaufenen Wahlkämp-fen noch überwiegend mit der Kritik anEuro und bürokratischen Auswüchsen derEU profilieren, muss sie in den anstehen-den Landtagswahlkämpfen andere The-men in den Vordergrund rücken. Und hierkommt das rückwärtsgewandte Weltbildder AfD-Mehrheit zum Tragen.Neben rassistischen Parolen wird ins-besondere auf ein tradiertes Familien-bild gesetzt. Vater Mutter und (mindes-tens drei) Kinder sollen zumgesellschaftlichen Leitbild erhobenwerden. Denn Deutschland brauchemehr Kinder – Zuwanderung dürfe feh-lenden eigenen Nachwuchs nur solangeausgleichen bis dieses demographischeProblem gelöst sei. Familien sollendurch Steuer- undAbgabenerleichterungen gefördert wer-den, von denen auf Sozialtransfers An-gewiesene kaum profitieren würden.Zugleich beklagt Parteichef Bernd Lu-cke, dass Akademikerinnen zu wenigKinder bekämen.

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Frankreich hält, was die Zusammenset-zung seiner Bevölkerung betrifft, einendoppelten „Rekord“. Dort lebt, mit ge-schätzten 600000 bis 700000 Menschen,die zahlenmäßig stärkste jüdische Bevöl-kerung in Europa – vor zwanzig Jahrenwar die jüdische Bevölkerung Russlandsnoch zahlreicher, aber die post-sowjeti-schen Auswanderungswellen haben Letz-tere kleiner werden lassen. Aber inFrankreich lebt auch die, neben Großbri-tannien, stärkste moslemische Bevölke-rung in Europa. So genannte „ethnischeStatistiken“, also die Erhebung nachKonfession und Herkunft aufgeschlüssel-ter, statistischer Daten ist zwar in Frank-reich verboten, und aufgrund der Hetero-genität der Herkunftsländer – und oftauch der konfessionellen Zugehörigkeitinnerhalb der Auswanderungsländer –gibt es deswegen keine genauen Zahlen.Je nach Quelle variieren die Zahlen zwi-schen drei und sechs Millionen. Diewahrscheinlichste Schätzung liegt beirund 3,5 Millionen Personen, die sichselbst als Muslime bezeichnen, wobeinicht alle von ihnen ihren Glauben auchaktiv praktizieren. Hinzu kommen wohleinige Hunderttausend konfessionsloseMenschen, deren Eltern oder Großelternmuslimischen Glaubens waren.

Konflikte im Nahen Osten, zwischenIsrael und den Palästinensern, sorgen vordiesem Hintergrund in Frankreich regel-mäßig für besondere Anspannung. Dennein Teil der konfessionellen und/oder„ethnischen“ Minderheiten ergreift dabeimit mehr oder weniger viel LeidenschaftPartei für die – aus ihrer Sicht – jeweils„eigene“ Seite.

Anders, als beispielsweise radikal-isla-mistische Kräfte oder solche, die der is-raelischen Rechten nahe stehen, es dar-stellen, sind beide Bevölkerungsgruppendabei natürlich auf gar keinen Fall als ho-mogene Blöcke zu betrachten. Unter denfranzösischen Juden und Jüdinnen variiertdie Spannbreite der Positionen etwa vondenen der UJFP („Französische jüdischeUnion für den Frieden“), die linkspazifis-tische bis linksradikale Positionen ein-nimmt und an den derzeitigen Demons-trationen gegen den Gazakrieg in Frank-reich teilnimmt, bis zu offen rassistischenKräften auf der Rechten. Zu den extrems-ten zählt die rechtsextreme „Jüdische Ver-teidigungsliga“ (LDJ), deren Verbot diefranzösische Regierung nunmehr in Er-wägung zieht, wie am Mittwochabend –30. Juli 2014 – in Paris bekannt wurde.

Es ist erstaunlich, dass dies nicht be-reits früher geschehen ist, da es sich beider LDJ um einen Ableger der rassisti-schen „Kach“-Bewegung des 1990 inNew York getöteten Meir Kahana han-delt. Ihre Organisationen in den USA undin Israel sind verboten – die nordamerika-nische Jewish Defence League wurde2001 vom FBI als terroristisch eingestuftund hatte unter anderem Bombenanschlä-ge auf Moscheen versucht. In Israel warder Staat infolge rechtsterroristischer Ak-tivitäten gezwungen, einzuschreiten. InFrankreich unterhält die LDJ Verbindun-gen zur extremen Rechten der Mehrheits-gesellschaft. Ihr damaliger Chef AntonyAttal nahm im November 2006 an einerGroßkundgebung des damaligen FrontNational-Chefs Jean-Marie Le Pen in derPariser Vorstadt Le Bourget teil. Attal unddrei seiner Gefolgsleute griffen im Febru-ar 2007 im Pariser Stadtteil Marais einenmauretanischen und einen senegalesi-schen Mitarbeiter der Müllabfuhr tätlichan und wurden dazu, über vier Jahre spä-ter, zu Haftstrafen verurteilt.Demo-Eindrücke in Paris

Die junge Frau ist wahrscheinlich libane-sischer Herkunft, ihrem Akzent nach zuschließen. Laut eigenen Angaben ist siezum Islam konvertiert. Sie gibt der Jour-nalistin mit ihrem Notizblock zu Proto-koll: „Ich bleibe nur eine Zeitlang bei derDemonstration für Gaza, denn danachgehe ich noch zu der Kundgebung für dieChristen im Irak“, die von den Anhän-gern des selbsternannten Kalifats ver-folgt und bedroht werden. Ihre Aussageist eher symbolisch zu werten, denn dieKundgebung vor der Kathedrale Notre-Dame für die irakischen Christen findeterst am folgenden Morgen – am Sonntag,den 27. Juli – statt. Aber sie will offen-sichtlich unterstreichen, dass sie nichtnur für Muslime eintrete.

Ein Mann unter den Umstehenden ant-wortet ihr spontan, was sie denn wolle,die Christen im Irak würden nicht ver-folgt. Das sei alles nicht wahr und die An-wendung der Scharia eine gute Sache.Die Journalistin spitzt die Ohren, ein Kol-lege von ihr stürzt herbei. Doch alsbaldwerden sie von fünfzehn bis zwanzig Per-sonen umringt, die dem Mann eifrig wi-dersprechen: „Wir sind nicht hier, um unsso etwas anzuhören, damit sind wir nichteinverstanden, darum geht es nicht.“ Einhoch aufgeschossener Jüngling offen-sichtlich nordafrikanischer Herkunft redetauf ihn ein: „Hier geht es nicht um das

Recht von Muslimen als solchen, vonChristen, Juden oder einer anderen Reli-gionsgruppe. Uns geht es um allgemeineRechte von Menschen, um die Opfer vonKrieg oder Besatzung als Menschen un-abhängig von ihrer Konfession.“ DenWunsch nach Anwendung der Scharia be-zeichnet er als „Extremismus“. Die meis-ten Umstehenden sind einverstanden. Ei-ner dreht sich jedoch um und meint, dasstimme nicht notwendig, es komme ganzdarauf an, was man unter den Begriff derScharia fasse.

Gut 5000 Menschen sind an diesemSamstag, den 26. Juli 2014 in Paris zu-sammengekommen, um gegen die An-griffe auf den Gazastreifen zu demons-trieren. Trotz des Verbots, mit dem dieKundgebung belegt worden war, wiemehrere andere Demonstrationen zumThema in den Tagen zuvor. Da die Pro-testaktion sich in eine statische Kundge-bung auf der – vor kurzem neugestalteten– Place de la République verwandelt,scheinen die zahlreich zusammengezoge-nen Polizeikräfte sich entschlossen zu ha-ben, sie zu tolerieren, so lange die Teil-nehmer nicht zu einem Demonstrations-zug aufbrechen.

Am Spätnachmittag dann sucht einekleine Gruppe, nach dreistündiger friedli-cher Kundgebung, jedoch Streit mit derPolizei. Sie versucht den Durchbruch undist offensichtlich mit Steinen und Wurfge-schossen auf die Konfrontation vorberei-tet und es darauf angelegt. Nach kurzen,aber heftigen Scharmützeln und dem Ein-satz von Tränengas werden sechzig Per-sonen festgenommen. Verbotene De-monstrationen ziehen entsprechende Per-sonen, auch unabhängig vom Thema, wiemagisch an.

Am Montag früh (28. Juli d.J.) befan-den sich noch zwanzig der Betreffendenim Polizeigewahrsam. Im Allgemeinennotiert die Presse jedoch mit Erleichte-rung, es sei nicht zur befürchteten Eskala-tion gekommen, die infolge des abermali-gen Demonstrationsverbots und der An-kündigung linker Veranstalter, der Unter-sagung zu trotzen, befürchtet worden war.Viele Teilnehmer waren bereits gegangen,als es zu der Konfrontation kam.

Inhaltlich dominieren die französischeLinke sowie Migrantenvereinigungen. Sogut wie alle Strömungen der politischenLinken nehmen an den Protesten gegenden Gazafeldzug teil: die französische KPund die mit ihr verbündete „Linkspartei“(PG), die undogmatische „Neue Antikapi-talistische Partei“ (NPA) und zwei stärker

Solidarität und Polemiken rund umden Gazakrieg

: frankreich

:antifaschistische nachrichten 16-2014 9

dogmatische trotzkistische Strömungen,die anarcho-kommunistische AlternativeLibertaire (AL), antirassistische Gruppen,die Liga für Menschenrechte (LDH) so-wie manche Gewerkschaften. Ebenso einTeil der Grünen, die jedoch über ihre Teil-nahme und generell über ihre Positionenzum Nahostkonflikt gespalten sind. Da-neben zählen zu den Veranstaltern auchsäkulare Migrantenvereinigungen, meis-tens mit nordafrikanischem Hintergrund,wie beispielsweise die FTCR („Föderati-on von Tunesiern für Bürgerrechte aufbeiden Seiten des Mittelmeers“). Siespielte unter anderem eine federführendeRolle bei den Solidaritätsmobilisierungenzugunsten des Generalstreiks in der tune-sischen Region Gafsa 2008 oder währenddes Sturzes des alten Regimes 2010/11,aber in späteren Jahren auch gegen vonIslamisten verübte Morde in Tunesien.Die FTCR, die „Vereinigung maghrebini-scher Arbeiter in Frankreich“ (ATMF)und andere Initiativen, die mit hinter denGazaprotesten stehen, lancierten seit demMontag, 28. Juli 2014 auch einen „Aufrufan die internationale Gemeinschaft zumSchutz der Christen im Irak“. (Vgl.http://www.citoyensdesdeuxrives.eu/in-dex.php?option=com_content&view=ar-ticle&id=3795:solidaires-avec-les-chre-tiens-dirak-appel-a-la-communaute-inter-nationale-pour-sauver-les-chretiens-di-rak&catid=62:monde-arabe&Itemid=83 )Moslemische Einwandererkinder inFrankreich

Viele in Frankreich lebende muslimischeEinwanderer oder Kinder von Zugewan-derten sind heutzutage über das Bild, dassie von ihren Herkunftsländern und derumliegenden Weltregion haben, verunsi-chert. Prägte in der Vergangenheit einweitgehend entpolitisiertes, von ver-meintlicher politischer Harmonie gepräg-tes Abziehbild oft ihre Vorstellungen –mit Ausnahme der Algerier seit 1989 –über die arabischen Länder, so wurdedieses seit drei Jahren zunehmend er-schüttert. Vor allem die blutigen Kämpfein Syrien haben das Weltbild vieler ara-bischstämmiger Einwanderer erschüttert.

Darauf gibt es nun zwei antagonistischeAntworten. Die eine besteht darin, sichfür politische Mobilisierungen mit Blickauf die gesamte Region zu öffnen. Sostellen die linken arabischsprachigenKräfte ihre Proteste gegen den Gazakriegin einen Zusammenhang auch mit denengegen arabische Diktaturen, die in derVergangenheit oft die „palästinensischeFrage“ für ihre Zwecke instrumentalisier-ten und zugleich selbst die Palästinenserunterdrückten, wie das syrische Regime1976 im Libanon. Zu den Hauptorganisa-toren der Kundgebungen in Frankreichzählen – neben quasi allen Strömungender französischen Linken mit Ausnahmeder Sozialdemokratie, während die Grü-nen zu der Frage des Nahostkonflikts tief

gespalten sind –Vereinigungen wie dieoben erwähnte FTCR (Föderation der Tu-nesier für Bürgerrechte auf beiden Seitendes Mittelmeers). Aus Sicht der linkenund säkular-nationalistischen arabischenKräfte handelt es sich beim Konflikt umPalästina um einen rational zu erfassen-den politischen Konflikt. Und um dieletzte Etappe der Entkolonialisierung inder Region, wobei linkeNordafrikaner/innen oft noch die durchMarokko annektierte Westsahara hinzufü-gen.1

Umgekehrt versuchen reaktionäreKräfte und Islamisten unterschiedlicherCouleur, hinter einer Mobilisierung zudem, was sie als Konfessionskonflikt prä-sentieren, alle aufgetretenen Widersprü-che zu überdecken. Hinter einem gemein-samen Feind sollen alle offenen Fragenwieder zugekleistert werden.Rolle von Radikalislamisten

Entsprechend lautstark und rabiat ma-chen etwa Salafisten und ihnen nahe ste-hende Gruppierungen auf sich aufmerk-sam. Sie versuchen den politischen Streitzum Konfessionskonflikt auch in Frank-reich, und auch mit den dort lebenden Ju-den und Jüdinnen, zuzuspitzen. Bei denDemonstrationen firmieren sie nicht alsAufrufer oder Mitveranstalter, kommenjedoch regelmäßig als Trittbrettfahrerhinzu. Unter den von ihnen skandiertenSlogans befindet sich ein arabischspra-chiger Reim, der sich auf die Schlachtvon Khaybar im heutigen Saudi-Arabienbezieht – „Khaybar Khaybar, oh Ihr Ju-den, die Armee Mohammeds wird wie-derkommen“. Damals, im siebten Jahr-hundert christlicher Zeitrechnung, hattensich arabische Stämme gegenseitig be-kriegt, von denen die eine an ihrem alten(jüdischen) Glauben festhielten und diezweiten zur neuen Konfession des Reli-gionsstifters Mohammed konvertiert wa-ren. Bei der Parole handelt es sich um dieAnkündigung eines vermeintlichen, mehroder minder endzeitlichen, Religions-kriegs.

Beide Herangehensweisen treten auchauf internationaler Ebene in Kollision zu-einander, wie im Iran, wo die Diktatur indiesem Jahr anders als bei früheren An-lässen keinerlei Versuche zur Mobilisie-rung der Bevölkerung zum Thema Gazaunternahm (auch wenn der Chef der Dik-tatur, ‘Ali Khamenei, Israel Anfang Au-gust 2014 verbal scharf angriff). Dort imLand hat ihm die regimefeindliche Zivil-gesellschaft weitgehend das Heft der Ini-tiative aus der Hand genommen und dieKontrollmechanismen des Regimes un-terlaufen. Schauspieler/innen, unver-schleiert fotografiere Frauen – auf unver-schleiertes Auftreten in der Öffentlichkeitsteht gemäß dem Gesetz der iranischenDiktatur die Prügelstrafe – und anderePersönlichkeiten außerhalb der Kontrolledes Regimes posieren en masse im Inter-

net, und halten Schilder mit folgenderAufschrift hoch: Stop killing your fellowhumain beings. Anders als bei früheren,vom Regime initiierten Mobilisierungen,bei denen es ausschließlich um die Vor-stellung von leidenden Muslimen ging(u.a. in Palästina wie auch in den 1990erJahren in Bosnien), ist dabei dieses Malhingegen von „menschlichen Mitwesen“statt von Muslimen die Rede. Die Dingescheinen der Diktatur völlig aus dem Ru-der zu laufen. Vgl. http://keyhani.blog.le-monde.fr/2014/07/17/iran-asghar-farhadi-et-nassrin-sotoudeh-se-mobilisent-contre-le-massacre-a-gaza/

In vielen Ländern der Region Nordafri-ka/Vorderasien hat der politische Islamgründlich abgewirtschaftet. Aber in denMigrationsländern ist diese Entwicklungnoch nicht unbedingt angekommen, odernur gebrochen. Durch besonders rabiatesAuftreten und das Aufheizen konfessio-nalisierter Konflikte werden dort ansässi-ge Islamisten auch weiterhin versuchen,ihre ideologischen Positionen zu behaup-ten oder wiederzugewinnen. Rolle der LDJ

Zwischen den extremen Fraktionen, dieauch gegen die jeweils andere Religions-oder Bevölkerungsgruppe vorgehenmöchte, kam es wiederholt zu Zusam-menstößen. Beispielsweise unweit einerSynagoge in der Pariser rue de la Roquet-te am 13. Juli, und in Sarcelles eine Wo-che später. Vor diesen hatten sich mehre-re Tage vor den geplanten Gazademons-trationen die Mitglieder der „JüdischenVerteidigungsliga“ (LDJ), verabredet unddies im Internet und bei Facebook osten-tativ kundgetan. Dies wirkte wie einMagnet auf einige Dutzend aufgebrachteJungmänner der Gegenseite, die ihrer-seits keine Sondereinladung benötigten,um in die Konfrontation zu ziehen. Nichtnur diese zeichneten sich aber durch ei-nen Hang zur Gewalt und zur Provokati-on aus. An Ort und Stelle marschierte dieLDJ mit Baseballschlägern, Eisenstangensowie mit Stühlen und Tischbeinen be-waffnet auf und skandierte etwa: Palesti-ne, on t’encule, was so viel bedeutet wie:„Palästina, wir ficken dich in den A…“Die Polizei trennte die Streitparteienmühsam.

In der darauffolgenden Periode wurdedies von konservativen oder sich auf dieisraelische Rechte beziehenden jüdischenOrganisationen, wie dem seit 2001 scharfnach rechts gedrifteten Verband CRIF(„Repräsentativrat der jüdischen Institu-tionen Frankreichs“), als angeblicher An-griff auf die gesamte jüdische Bevölke-rung in Frankreich als solche dargestellt.In diesen Kreisen geht es auch darum,den stetigen Bezug auf den Staat Israel alsvermeintliche alleinige Schutzmacht poli-tisch immer wieder aufs Neue zu rechtfer-tigen. Vereinzelt ist sogar von „Pogro-

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Göttingen: Demonstrantenverhindern Abschiebung

Rund 60 Demonstranten haben am Mitt-woch (23.07.) in Göttingen die geplanteAbschiebung eines 25-jährigen Coted’Ivoirers nach Ungarn verhindert, derbereits seit 15 Monaten in Göttingen lebtund dem ein Asylverfahren in Deutsch-land nach der Dublin-Verordnung ver-weigert wurde. Angesichts der relativgroßen Zahl von Demonstranten verzich-tete die Polizei diesmal auf einen Fest-nahmeversuch.Quelle: Flüchtlingsrat Niedersachsen

25.07.2014 n

Stadt Cuxhaven:Appell an Innenminister

Der Stadtrat Cuxhaven hat am Donners-tag den 17.07.2014 bei nur einer Gegen-stimme folgenden Beschluss gefasst:Der Rat der Stadt Cuxhaven unterstütztdie Aktion „Familie Demov muss blei-ben” und bittet den Innenminister, dieFamilie nicht abzuschieben.Familie Demov muss bleiben!

Die fünfköpfige Romafamilie Demov istvon Abschiebung bedroht. Das EhepaarDemov lebt mit ihren 3 Kindern imStadtteil Süderwisch. In Mazedonien, ih-rem Herkunftsland, werden Roma massiv

und systematisch diskriminiert. Kindertrauen sich nicht zur Schule, weil sie stän-dig beleidigt und auch körperlich ange-griffen werden. Die Aussichten auf Teil-habe am normalen Leben in Mazedoniensind gleich Null. Die Familie ist nachDeutschland gekommen, um ihren Kin-dern ein menschenwürdiges Leben zu er-möglichen.

Allerdings wird dies in der Bundesre-publik Deutschland nicht als Asylgrundanerkannt. Herr Demov hatte schon alsHeranwachsender in Cuxhaven gelebt.Als sein Vater schwer erkrankte, mußte erihn zurück nach Mazedonien begleiten.Nur zwei Monate später hätte er einenfesten Aufenthalt bekommen.

Wir wünschen und hoffen, dass dieseFamilie hier in Cuxhaven bleiben kann.

AK ASYL Cuxhaven 23.07.2014 n

Abschiebungshaft in JVAGoldlauter rechtswidrig Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert be-züglich der Abschiebehaft Goldlauter (inder Nähe von Suhl), sofort zu reagieren.

Der Europäische Gerichtshof hat amDonnerstag die Abschiebehaft als men-schenunwürdig verurteilt. Die Bundesre-gierung ist daher nun aufgefordert, umge-hend dafür sorgen, dass Bundesländer, diekeine speziellen Einrichtungen vorhalten,die von Abschiebehaft Betroffenen in an-

deren Ländern mit entsprechenden Mög-lichkeiten unterbringen.

Der Flüchtlingsrat Thüringen fordertauf Grund dieses Urteils die Landesregie-rung dazu auf, es Hessen (dort handelte essich um die JVA in Preungesheim) gleich-zutun und etwaige Abschiebungshäftlingesofort aus Goldlauter zu entlassen. Zu-dem muss die Abschiebungsabteilung inSuhl-Goldlauter sofort geschlossen wer-den.

Die Inhaftierung in gewöhnlichen Haft-anstalten, wie in Goldlauter, ist mit deut-lich spürbaren Nachteilen für die die Be-troffenen verbunden. Sie unterliegen dendort geltenden Sicherheitsbestimmungenund sind in ihrem Kontakt nach außenmassiv eingeschränkt. Zudem werdenGeflüchtete so als VerbrecherInnen stig-matisiert. Dies muss auch in Thüringenein Ende haben.Quelle: Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

18.07.2014 n

Hannover: Protest-CampWeißekreuzplatzDemo macht auf Situation sudanesi-scher Flüchtlinge aufmerksamAm Sonnabend, 26. Juli haben gut 150DemonstrantInnen in Hannover auf For-derungen der sudanesischen Flüchtlingevom Protest-Camp auf dem Weißekreuz-platz in Hannover aufmerksam gemacht.

Auf der sehr kraftvollen Demo, diedurch eine sehr positive Stimmung ge-

: flucht und migration

men“ die Rede, ein Sprachgebrauch, derden Begriff jeglichen Inhalts entleert –die Pogrome in Russland vor 1917 bedeu-teten rund 60000 Tote in eintausendMordkampagnen, die Realität im heuti-gen Frankreich hat nicht im Entferntestendamit zu tun. Bislang handelt es sich beiden bisherigen Gewalttaten weitestge-hend um die Zusammenstöße zwischenorganisierten politisch-ideologischenFraktionen.

Die Staatsmacht ihrerseits nutzte dieAufregung, die über die hässlichen Ge-waltszenen am 13. Juli 2014 entstand, ummehrere Demonstrationen zum ThemaGaza im Raum Paris gleich von vornhe-rein mit einem Generalverbot zu belegen.So wurden Demonstrationen und Kund-gebungen am 19. und am 26. Juli in Parissowie am 20. Juli 2014 in der VorstadtSarcelles präventiv verboten, obwohl dielinken Veranstalter – unter anderem diefranzösische KP und die NPA (Neue Anti-kapitalistische Partei) im letzteren Fall,die NPA und migrantische Verbände so-wie die Gewerkschaft Solidaires in denersten beiden Fällen – klargestellt hatten,dass sie nicht im Traum daran dächten,etwa in die Nähe einer Synagoge zu zie-hen. Das Verbot wirkte aber erst recht alsMagnet auf kleine Gruppen von Jung-

männern, die zum Teil bewusst den Kra-wall suchten. In Sarcelles kam es dabeiim Nachhinein sowohl zu gewalttätigenAuseinandersetzungen mit der LDJ, dievor der Synagoge aufmarschiert war, alsauch zu Attacken auf teilweise jüdischeGeschäfte und Plünderungen. Das Fehleneines Ordnerdiensts, der bei verbotenenDemonstrationen nicht bereitgestellt wer-den kann, erleichterte diese Eskalationnoch erheblich.

Die Antwort der Staatsmacht war einebrachiale gerichtliche Abrechnung, die al-lerdings nicht die Teilnehmer an Aus-schreitungen oder Plünderungen traf, son-dern Personen, die relativ zufällig heraus-gegriffen und allein wegen Teilnahme aneiner verbotenen Demonstration ange-klagt wurden. Deswegen, und wegen„Widerstands gegen die Staatsgewalt“ –wegen der Weigerung, sich festnehmenzu lassen – wurden am 21. und am 22.Juli 2014 in Paris drei Demonstranten zumehrmonatigen Haftstrafen verurteilt –auf Bewährung, dies jedoch gegen denWillen der Staatsanwaltschaft, der Haftohne Bewährung und die sofortige Über-führung ins Gefängnis ab Urteilsspruchforderte. Die Persönlichkeit der Ange-klagten, darunter ein junger Ingenieurund Familienvater ohne Vorstrafen, ließdie Presse ihr Erstaunen über die Urteile

aussprechen. Unterdessen forderte diekonservative Opposition jedoch lautstarkeine noch härtere Repression, und dieStaatsanwalt legte Berufung gegen die„zu schlappen“ Urteile ein, sie will defi-nitiv Haftstrafen ohne Bewährung ver-hängt sehen. Lediglich ein Kurde wurdefreigesprochen, gegen die Strafforderungder Staatsanwaltschaft – er war wegenTragens eines vermeintlichen Palästinen-sertuchs festgenommen worden. Es han-delte sich jedoch um ein kurdisches Tuch,und der Angeklagte erklärte, aufgrund derPosition des syrischen Regimes nicht mitPalästina solidarisch sein zu wollen.

Aufgrund des starken öffentlichenDrucks, und weil besonders die CGT Ga-rantien für den Ordnerdienst gab, könnennunmehr neue Demonstrationen auch inParis stattfinden, wie zuletzt am Samstag,den 2. August. Es kamen zwischen 12000und 20000 Menschen, laut polizeilichenrespektive Veranstalter-Zahlen. Die Un-terstützer/innen Israels waren ihrerseitsam Donnerstag Abend, den 31. Juli vomVerband CRIF zur Kundgebung vor derisraelischen Botschaft aufgerufen. dazukamen laut Polizeiangaben rund 4.500Personen.1Vgl. http://www.labournet.de/interventionen/wipo-gegenwehr/linke-initiativen/bernard-schmid-auf-dem-weltsozialforum-2013-in-tunis-26-30-marz-2013-kommentierte-fotostrecken/#more-30682

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:antifaschistische nachrichten 16-2014 11

kennzeichnet war, haben die sudanesi-schen Asylsuchenden ihre Situation derÖffentlichkeit dargelegt und erneut ihredaraus abgeleiteten Forderungen vorge-stellt.

Weiterhin gab es einen Redebeitrag ei-nes Aktivisten vom Bündnis gegen Ab-schiebung in Göttingen. Das Bündnis hat-te am vergangenen Mittwoch erneut er-folgreich eine Abschiebung verhindert.

In einem Redebeitrag des Flüchtlings-rats wurde u.a. hervorgehoben, welcheunmenschlichen Folgen die Dublin-Ver-ordnung mit sich bringt.

Am Donnerstag, 31.07. ab 18.00 Uhrfindet im Kulturzentrum Pavillon eine un-ter dem Titel „Menschenrechte vor unse-rer Haustür – Warum sind die sudanesi-schen Flüchtlinge auf dem Weißekreuz-platz?” Veranstaltung vom Protest-Campin Kooperation mit amnesty international,dem Bezirksbürgermeister Hannover-Mitte und dem Flüchtlingsrat Niedersach-sen statt, auf der über die Situation im Su-dan und die Erfahrungen der sudanesi-schen Flüchtlinge berichtet wird. Imzweiten Teil wird es eine Diskussion u.a.mit PolitikerInnen aus Kommunal- undLandespolitik geben.Quelle: Flüchtlingsrat Niedersachsen

28.07.2014 n

Flüchtlingszahlen: Kein An-lass zu Dramatisierungen NIEDERSACHSEN. Die Zahl der in Nie-dersachsen lebenden Asylbewerber ist imvergangenen Jahr um knapp 40 Prozentgestiegen. Im Jahr 2013 wurden rund10.230 Menschen in Niedersachsen alsAsylsuchende aufgenommen (9,3% allerAsylsuchenden in Deutschland). DasDurchschnittsalter der Asylbewerber lagbei 26 Jahren, ein Drittel der Flüchtlingewaren Kinder und Jugendliche. In die-sem Jahr wird die Zahl neuer Flüchtlingein Niedersachsen voraussichtlich weiterzunehmen. Erst kürzlich hatte das Innen-ministerium erklärt, dass 2014 mit bis zu16.400 Neuanträgen auf Asyl gerechnetwird. Zu Dramatisierungen besteht frei-lich kein Anlass: Weniger als 10% allerEinwandereinnen und Einwanderer imJahr 2013 waren Asylsuchende. Gemes-sen an dem Migrationsgeschehen insge-samt – 2013 gab es deutschlandweit rund1,2 Mio Einwanderungen und 800000Auswanderungen – spielt die Zuwande-rung von Flüchtlingen also nach wie vornur eine untergeordnete Rolle.

Das lässt sich auch aus der Statistik zuLeistungsgewährung ablesen. Ende 2013erhielten 23.156 Flüchtlinge Zahlungenfür ihren Lebensunterhalt nach dem Asyl-bewerberleitungsgesetz, das sind ganze0.3% der niedersächsischen Bevölkerung.Die Ausgaben für Asylbewerberleistun-gen beliefen sich in Niedersachsen 2013auf 143 Millionen Euro, 34,6 Prozentmehr als 2012. Die Gewinne für die öf-

fentlichen Kassen aus Steuern und Abga-ben wurden vom Landesamt für Statistiknicht berechnet. Quelle: Kai Weber Flüchtlingsrat Nie-

dersachsen 23.07.2014 n

Abschiebegefangene vonNRW nach Berlin verlegtBÜREN/BERLIN Am 26.7.2014 wurdenalle Abschiebegefangenen aus NRW ge-gen ihren erklärten Willen von der JVABüren in das Polizeigewahrsam Berlin-Köpenick verbracht. Nach aktueller Be-schlusslage der Gerichte hätten sie ent-lassen werden müssen. Die Gefangenenhaben nun den Kontakt zu ihrem sozialenUmfeld verloren.

Am 17.7.2014 hatte der EuropäischeGerichtshof (EuGH) entschieden, dassdie gemeinsame Unterbringung von Ab-schiebegefangenen und Strafgefangenenin einem Gefängnis nicht zulässig ist. DerBundesgerichtshof (BGH) beschloss am25.7.2014, dass in der JVA Büren Ab-schiebegefangene nicht inhaftiert werdendürfen. Spätestens nach diesem Urteilhätten alle Abschiebegefangenen sofortentlassen werden müssen. Das Innenmi-nisterium NRW ignorierte diese höchst-richterlichen Entscheidungen und die Be-troffenen blieben weiter in Haft.

Am Nachmittag des 25.7.2014 einigtensich das Innenministerium NRW und dieSenatsverwaltung für Inneres in Berlindarauf, dass am 26.7.2014 die Abschiebe-gefangenen aus der JVA Büren in den Ab-schiebegewahrsam nach Berlin verlegtwerden sollen. Die Gefangenen habenhiervon jedoch nichts erfahren. Ihnenwurde lediglich mitgeteilt, dass sie ihreSachen packen müssen. Erst im Laufe desAbends wurde ihnen die Verlegung nachBerlin verkündet. Darauf haben sie spon-tan beschlossen, dass sie Unterschriftengegen die Verlegung sammeln wollen unddass sie am nächsten Morgen nicht in denBus einsteigen werden.

Seitdem ist der Kontakt mit den Gefan-genen. abgebrochen. Am 26.7.2014 ver-ließ um 7:00 Uhr ein Gefangenenbus dieJVA Büren und erreichte den Abschiebe-gewahrsam Berlin gegen 13:00 Uhr. Un-klar ist, wie viele Menschen sich in denBus befanden. Während die Gefangenenmitteilten, sie seien zwischen 12 und 17Personen, hat die Anstaltsleitung Presse-vertretern mitgeteilt, dass 21 Gefangeneüberstellt worden seien. Besuche vonFlüchtlingsunterstützern wurden im Poli-zeigewahrsam Berlin am 26.7.2014 trotzoffizieller Besuchszeit aus „innerbetrieb-lichen Gründen“ nicht zugelassen.

Frank Gockel, Pressesprecher des Ver-eins Hilfe für Menschen in AbschiebehaftBüren e.V., fordert das InnenministeriumNRW auf, den Ablauf der Verlegungtransparent zu machen und sicherzustel-len, dass die Abschiebegefangenen unein-geschränkt weiter betreut werden können.

Zusätzlich meint Gockel: „Das inkom-petente und gesetzeswidrige Handeln desInnenministeriums NRW in den letztenTagen hat gezeigt, dass stärkere Vorgabenseitens des Parlamentes dringend erfor-derlich sind.“ Gockel geht davon aus,dass der Innenminister Ralf Jäger bei derInnenausschusssitzung am 28.8.2014 inseine Schranken verwiesen wird. Gleich-zeitig hofft er, dass das Land NRW end-lich über eine Initiative zur Abschaffungder Abschiebehaft nachdenkt.

Quelle: www.gegenAbschiebehaft.de27.07.2014 n

„Jetzt Alternativen zur Ab-schiebungshaft umsetzen“BERLIN. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienstbegrüßt das heute veröffentlichte Urteildes Bundesgerichtshofs, das die sofortigeFreilassung und Entschädigung von bis-her rechtswidrig inhaftierten Asylsuchen-den zur Folge haben muss. „Zum zweitenMal innerhalb einer Woche wurde derBundesregierung höchstrichterlich be-scheinigt, dass sie die Freiheitsrechte vonAsylsuchenden systematisch verletzt. Dasist für sich bereits ein Skandal“, so PaterFrido Pflüger SJ, Direktor des JRS. „Wirhoffen, dass die Regierung diese Kritikzum Anlass nimmt, jetzt die überfälligenAlternativen zur Abschiebungshaft umzu-setzen.“ „Abschiebungshaft ist gesetzlichnur als letztes Mittel zulässig. Die Bun-desregierung hat bis heute nicht deutlichgemacht, was denn ihr vorletztes und ihrvor-vor-letzes Mittel ist. Wenn sie dasjetzt nachholt, kann sie sich auch von die-sem menschenfeindlichen Instrument ver-abschieden“, so der Jesuit. „Denn Ab-schiebungshaft schadet allen: Sie ist ver-störend für die, die sie erleben müssen,stempelt Unschuldige in der öffentlichenWahrnehmung als Verbrecher ab und kos-tet den Steuerzahler Millionen.“

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte inseinem heute veröffentlichten Urteil an-geordnet, dass Asylsuchende unter derneuen europäischen Verordnung „DublinIII“ vorerst nicht mehr in Haft genommenwerden dürfen. Sie betrifft Schutzsuchen-de, die aufgrund interner europäischerZuständigkeitsregelungen innerhalb derEU hin- und hergeschoben werden. DerBGH hat verfügt, dass die Kriterien fürdie „Fluchtgefahr“, mit der die Haft ge-rechtfertigt wird, näher gesetzlich ausge-führt werden müssen. Erst letzte Wochehatte der Europäische Gerichtshof in Ver-fahren, die der Jesuiten-Flüchtlingsdienstinitiiert und unterstützt hatte, die gemein-same Unterbringung von Straf- und Ab-schiebungsgefangenen grundsätzlich un-tersagt und damit einen großen Reform-bedarf im Vollzug angeordnet. Sachsen-Anhalt hatte daraufhin alle Abschie-bungsgefangenen freigelassen. „Wir hof-fen, dass die Bundesregierung jetzt dienötigen Konsequenzen zieht: Wir brau-

:antifaschistische nachrichten 16-201412

chen nicht genauere Kriterien für dieHaft, sondern den Verzicht auf die Haft.Unsere Seelsorger treffen regelmäßigKriegsflüchtlinge, Traumatisierte, Famili-en mit Kindern in der Haft – aber Men-schen, die unseren Schutz suchen, gehö-ren grundsätzlich nicht ins Gefängnis“, soPater Frido Pflüger SJ. „Manche von ih-nen sagen sogar verzweifelt: Schickt unseher wieder nach Syrien als nach Bulga-rien zurück!“

Seelsorger des Jesuiten-Flüchtlings-dienstes besuchen wöchentlich Abschie-bungsgefangene in den Hafteinrichtungenin Berlin, Brandenburg und Bayern. Über-wiegend begegnen sie dort Menschen, dieunter die sogenannte „Dublin-III-Verord-nung“ fallen. Auch für die wenigen ande-ren Menschen, die noch dort sind, gibt esnach Überzeugung des Jesuiten-Flücht-lingsdienstes Alternativen zur Haft.

Verfahren, mit denen sich Abschie-bungsgefangene gegen ihre Inhaftierungwehren, werden vom Jesuiten-Flücht-lingsdienst aus seinem spendenfinanzier-ten Rechtshilfefonds unterstützt. Auchjetzt werden die Seelsorger darauf achten,dass das BGH-Urteil umgesetzt wird.

Quelle: Pressemitteilung Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland

23.07.2014 n

LG Hildesheim: Rechts -widrige Abschiebehaft Am 12.06.2013 wurde der sudanesischeFlüchtling Salah A., der auch am Protest-Camp in Hannover beteiligt war, aus derAbschiebehaft nach Italien abgeschoben.Rechtsanwalt Paulo Dias hatte gegen dieInhaftierung beim Amtsgericht Hildes-heim Beschwerde eingelegt, die zunächstabgewiesen worden war. Das Landge-richt Hildesheim hat nun festgestellt,dass die Haft rechtswidrig war. Das Ge-richt begründet dies damit, dass die Aus-länderbehörde in ihrem Haftantrag nichtbei der Staatsanwaltschaft in Gießen denStand der Ermittlungen wegen des Vor-wurfs der illegalen Einreise und des ille-galen Aufenthalts im Bundesgebiet nach-gefragt hatte, wie sie dies laut § 72 Abs. 4AufenthG hätte tun müssen. Interessanterund erfreulicher ist jedoch die weitereBegründung der Rechtswidrigkeit derHaft: Das Gericht stellt fest, dass die Haftnicht verhältnismäßig gewesen sei, da of-fensichtlich geworden wäre, dass sich derBetroffene nicht aktiv der Abschiebungentziehen wollte. Aus der Tatsache, dasser zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht

zu Hause war, hätte nicht der Schluss ge-zogen werden können, dass er sich dau-erhaft der Abschiebung entziehen wollte:Es hätten nach Ansicht des Gerichtsdurch das Amtsgericht Hildesheim auchmildere Auflagen wie regelmäßiges Mel-den bei der Behörde ausgereicht. Der Be-schluss ist somit sicher auch für zukünf-tige Entscheidungen über Haftanträgevon Bedeutung, da das Landgericht Hil-desheim hier noch einmal die Kriterieneiner Inhaftierung strenger gefasst hat.

Leider hat sich das Landgericht Hildes-heim nicht zu der Frage geäußert, ob esüberhaupt eine gesetzliche Grundlage füreine Inhaftierung bei einer „Dublin III-Abschiebung“ gibt. Das Gericht ist derAnsicht, dass im vorliegenden Fall nichtdie Dublin III-Verordnung zur Anwen-dung käme, da der Asylantrag bereits imOktober 2013 gestellt wurde, also vor In-Kraft-treten der Verordnung.Quelle: Flüchtlingsrat Niedersachsen

22.07.2014 n

Krankenkassenkarte fürFlüchtlingeFlüchtlingsrat unterstützt die Forde-rung der Landtagsfraktion Bündnis90/ Die Grünen zur Einführung derKrankenkassenkarte fürAsylsuchende

Der Flüchtlingsrat begrüßt die Auseinan-dersetzung des Thüringer Landtages indieser Woche mit der Gesundheitsversor-gung von Flüchtlingen und fordert dieEinführung einer Krankenkassenkarte fürAsylbewerberInnen. In Bremen undHamburg wird dieses Modell bereits seitJahren angewendet.

Das Recht auf medizinische Versor-gung ist ein grundlegendes Menschen-recht. Die derzeit vorherrschende Praxisbei Asylsuchenden führt dazu, dass ein-fach zu behandelnde Erkrankungen sichzu akuten Notfällen zuspitzen können,Schmerzzustände werden unnötig verlän-gert und entsprechen nicht einer gleich-wertigen medizinischen Versorgung. „DieKrankenkassenkarte erleichtert den Zu-gang zu medizinischen Maßnahmen er-heblich“ sagt Ellen Könneker vomFlüchtlingsrat. Bisher sind Genehmigun-gen durch das Sozialamt bzw. Gesund-heitsamt Grundlage für eine Überweisungund medizinische Behandlung. „DieseHandhabung ist für Krankheitszustände –insbesondere auch für eine dringende Be-handlungsbedürftigkeit – inakzeptabel“,so Könneker weiter.

Mit jeder Einzelfallprüfung durch daszuständige Sozialamt bzw. Gesundheits-amt ist ein überflüssiger bürokratischerAkt geschaffen worden, der auch (Zahn-)ÄrztInnen in Thüringen zunehmend be-lastet. Sie stehen im Dilemma, ihren ärzt-lichen Pflichten nachzukommen, dieseHilfe und Behandlung aber im Nachhi-nein ggf. nicht ersetzt zu bekommen.

Seit vielen Jahren weist der Flücht-lingsrat Thüringen e.V. auf die mangel-hafte (zahn-)ärztliche Versorgung vonAsylbewerberInnen sowie Geduldeten inThüringen hin. Der Freistaat präsentiertsich gern als weltoffenes und modernesBundesland. Mit der Einführung einerKrankenkassenkarte für AsylbewerberIn-nen sowie Geduldete kann diese Ansagenun mit Leben gefüllt werden und dazubeitragen, dass sich diese Menschen auchwillkommen fühlen. Quelle: http://www.fluechtlingsrat-thr.de

17. Juli 2014 n

Refugee-women-floßtour25.07.2014 Floßtour von Hanaunach Frankfurt Main

Kommentar zu den schockierenden Zu-ständen im Contanierlager in OberurselWir waren sehr schockiert, als wir das Con-tainerlager in Oberursel gesehen haben:

Die rund 30 Jahre alten Blechcontainerwaren einmal für die Aufnahme von maxi-mal 120 Menschen geplant, aber zur Zeitsind dort ca. 230 Männer, Frauen und Kin-der untergebracht. Sie müssen sich 4 Kü-chen, viel zu wenige und zum Teil kaputtesanitäre Anlagen teilen. Im Sommer ist esunerträglich heiß, im Winter bitterkalt. Esgibt keinen Gemeinschaftsraum und kei-nen Platz für die Kinder, die es laut offi-zieller Version im Lager nicht gibt.

Erfahrene Flüchtlingsaktivistinnen vonWomen in Exile kommentieren:

„Wir sind jetzt seit zwei Wochen unter-wegs und haben jeden Tag Frauen in so-genannten ‚Heimen’ besucht, aber das istmit Abstand das Schlimmste, was wir ge-sehen haben.

Dieses Lager sieht aus wie die Lager inBrandenburg, als wir 2002 dort angefan-gen haben, für menschenwürdiges Woh-nen zu kämpfen. So etwas gibt es in Bran-denburg heute nicht mehr.“

Und dabei ist Brandenburg kein reichesBundesland, während der LandkreisHochtaunuskreis, in dem Oberursel liegt,reich ist: Deutschlandweit leben hier diemeisten Haushalte mit über einer halbenMillion Euro Nettoeinkommen im Jahr.

antifaschistische nachrichten 16-2014 13

Die Gruppen und Flüchtlinge vor Orterzählen uns, dass es seit vielen JahrenProteste von Flüchtlingen und anderenAktivistInnen gegen die menschenwürdi-gen Lebensbedingungen in diesem Lagergibt. Im September 2013 wurde sogar einleer stehendes Haus in Oberursel vorüber-gehend besetzt.

Auch die politisch Verantwortlichen, soberichtet uns eine Aktivistin, bestreitennicht, dass die Zustände dort unhaltbarsind. Seit Jahren wird angekündigt, dassman die Situation verbessern wolle. DasLager soll geschlossen werden, und des-halb, so scheint es, sieht der private Be-treiber des Lagers keine Notwendigkeitmehr, defekte Herde oder Toiletten zu re-parieren…

„Ich kann nur um mehr Zeit bitten, da-rüber habe ich auch mit den OberurselerFlüchtlingen gesprochen. SpätestensEnde 2015 wird man Ergebnisse sehen“,so die Kreisbeigeordnete des Hochtau-nuskreises, Katrin Hechler (SPD).

Solche zynischen und menschenver-achtenden Vertröstungen auf später, aufdie nächste Legislaturperiode, auf irgend-wann, kennen wir auch aus Brandenburg.Das macht uns wütend. Deshalb werdenwir nach Oberursel zurückkommen undden Verantwortlichen dort deutlich ma-chen, was wir von dieser Verschiebungder Verantwortung halten:

Das Lager in Oberursel und alle ande-ren Lager abschaffen! Wohnungen füralle! Jetzt!

Quelle: http://www.refugee-women-tour.net n

Eisenhüttenstadt:Abschiebungshaft beenden!Bundesgerichtshof verbietet„Dublin-Haft“Flüchtlingsrat Brandenburg begrüßt dasUrteil und fordert ein Ende der Abschie-bungshaft in EisenhüttenstadtDas Freiheitsrecht asylsuchender Flücht-linge muss geachtet werden!Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ges-tern in einem Grundsatzurteil klarge-stellt, dass die Abschiebungshaft in Du-blin-Verfahren überwiegend rechtswidrigist. Damit war der Großteil aller Abschie-bungshäftlinge in Eisenhüttenstadtrechtswidrig in Haft. Bisher wurdenFlüchtlinge, die auf dem Landweg nachDeutschland kamen, kurz darauf von derBundespolizei aufgegriffen und inhaf-tiert, noch bevor sie einen Asylantragstellen konnten. Die meisten Häftlinge inEisenhüttenstadt waren daher schutzsu-chende Menschen, die nicht verstanden,warum sie in Haft sind und was mit ihnenpassieren wird. Im Jahr 2012 waren dasin Brandenburg 83 Prozent aller Häftlin-ge, Tendenz steigend.

Der Gesetzgeber hat dem nun eine Ab-sage erteilt: Die rechtliche Grundlage,schutzsuchende Flüchtlinge in Deutsch-

land pauschal „wegen Fluchtgefahr“ zuinhaftieren, ist nicht gegeben. Dies anzu-nehmen, nur weil sie aus einem andereneuropäischen Staat kommen, ist rechts-widrig, stellte das wegweisende Urteilfest. „Gerade diejenigen, die hier Schutzsuchen, haben keinen Anlass dafür, sichihrem Verfahren in Deutschland zu ent-ziehen“, sagte Ivana Domazet vomFlüchtlingsrat Brandenburg.

Nach dem Urteil befindet sich nur nochein Häftling, der auf Betreiben der Aus-länderbehörden inhaftiert wird, in derHaftanstalt in Eisenhüttenstadt. Es ist an-gesichts der Rechtslage zu erwarten, dassdie Haftanstalt auch in Zukunft größten-teils leer bleiben wird.

Die Landesregierung muss nun endlichhandeln und den Vollzug der Abschie-bungshaft in Eisenhüttenstadt beenden.Der Flüchtlingsrat fordert dies schon lan-ge, denn das Land hält in Eisenhüttenstadteine überteuerte Vollzugseinrichtung vor,für die es in den allermeisten Fällen keinerechtliche Grundlage gab und die die Frei-heitsrechte Schutzsuchender systematischverletzt. Gleichzeitig fehlt angeblich dasGeld für die Unterbringung und Versor-gung von Flüchtlingen, sie sollen zeitwei-se sogar in Zelten und Containern unter-kommen müssen. Sieht man auf die ab-surd teure, fast leere Abschiebungshaft inEisenhüttenstadt wird klar – der laut be-klagte Notstand ließe sich beheben.

„Haft ist kein Selbstzweck. Schutzsu-chende Flüchtlinge müssen die Möglich-keit haben, ihre Asylanträge aus der Frei-heit heraus zu stellen. Nach dem BGH-Urteil ist klar – Brandenburg muss dieAbschiebungshaft in Eisenhüttenstadtendlich abschaffen!“ forderte Ivana Do-mazet vom Flüchtlingsrat Brandenburg.Quelle: http://www.fluechtlingsrat-bran-

denburg.de 25.07.2014 n

Schleswig-Holstein: Flücht-lingsrat fordert Ende derVollzugspraxis In dem von Innenminister Breitner tref-fend als „wilhelminisches Zuchthaus“bezeichneten Rendsburger Abschie-bungsgefängnis ist seit letzter Woche nie-mand mehr inhaftiert!Der Europäische Gerichtshof hat am 17.Juli entschieden, dass keine Abschie-bungshaft in Strafgefängnissen zulässigist. Die Abschiebungshaft muss damit absofort in den Bundesländern unterblei-ben, in denen sie bis dato noch in Justiz-vollzugsanstalten durchgeführt wordenist.

Der Flüchtlingsrat begrüßt diese Ent-scheidung nachdrücklich. „Für Schles-wig-Holstein bedeutet sie darüber hinausdas Ende einer Praxis, Abschiebungsge-fangene auch nur vorübergehend in derStrafvollzugsanstalt in Kiel unterzubrin-gen“, freut sich Martin Link, Geschäfts-führer im Flüchtlingsrat Schleswig-Hol-

stein e.V.. Dieser Verstoß gegen das imeuropäischen Recht festgeschriebeneTrennungsgebot hatte schon in der Ver-gangenheit regelmäßig zu Kritik sowohldes Landesbeirats für die Abschiebungs-haft wie auch von Flüchtlingsorganisatio-nen geführt.

„Wir sind uns mit Innenminister Andre-as Breitner in der Bewertung vollkom-men einig, der die Abschiebungshaft vonFlüchtlingen als inhuman bezeichnethat“, erklärt Link. Aus Sicht des Flücht-lingsrat käme es jetzt darauf an, auch das„wilhelminische Zuchthaus“ (Breitner) inRendsburg, das bis dato zum Vollzug derAbschiebungshaft in Schleswig-Holsteingenutzt wird, umgehend zu schließen.

Faktisch hat diese Institution inzwi-schen ohnehin seine Bestimmung einge-büßt. Seit der vergangenen Woche ist nie-mand mehr im Rendsburger Abschie-bungsgefängnis inhaftiert. Hintergrund:

Nach dem Kenntnisstand des Flücht-lingsrates SH ist die Praxis in den Bun-desländern wie folgt: Abschiebungshaft in Strafhaft / un-zulässig: 6-8 Bundesländer

In Baden-Württemberg, Hessen, Nord-rhein-Westfalen, Hamburg, Sachsen (ak-tuell nicht besetzt, schicken nach Berlin),Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpom-mern (aktuell nicht besetzt, schickennach Berlin) und Thüringen wurde bis-lang die Abschiebungshaft in einer Straf-vollzugsanstalt vollzogen. Aus Hessen wurde bekannt, dassam Morgen des 17. Juni dieAbschiebungshäftlinge aus Preun-gesheim entlassen worden sind. Seit kurzem Trennungsgebot beach-tet: Niedersachsen und Bayern

In Niedersachsen wurden in Langenha-gen vor kurzem die Strafhäftlinge verlegt– jetzt ist Langenhagen wieder reine Ab-schiebungshaftanstalt.

Bayern stellte Ende 2013 seine Praxisauf spezielle Haftanstalten um, nachdemes dazu von der Rechtsprechung gezwun-gen worden war. Schon länger Trennungsgebotbeachtet: 6 Bundesländer

In Rheinland-Pfalz (dort vollzieht auchSaarland), Brandenburg, Berlin und Bre-men (ist aber Polizeigewahrsam) beste-hen spezielle Hafteinrichtungen.

Schleswig-Holstein ist hier unter demVorbehalt zu nenen, dass Abschiebungs-haftfälle in der Vergangenheit vorüberge-hend in die JVA Kiel verlegt wurden, so-wie das Gebäude der Haftanstalt inRendsburg alle Charakteristika eines Ge-fängnisses erfüllt.

gez. Martin LinkQuelle: Presseerklärung Flüchtlingsrat

Schleswig-Holstein 17.07. 2014 n

:antifaschistische nachrichten 16-201414

Uneingeschränkter Zugangzu medizinischer Versorgung Referentenentwurf des Asylbewer-berleistungsgesetzes*

Ärztinnen und Ärzte der IPPNW sehenden Entwurf des Asylbewerberleistungs-gesetzes mit Sorge und haben Arbeitsmi-nisterin Andrea Nahles in einem Briefaufgefordert, den Gesetzestext nochmalskritisch zu überarbeiten. Nach Einschät-zung der IPPNW würde das Gesetz in derjetzigen Form keinen Bestand vor demBundesverfassungsgericht haben und dieAufnahmerichtlinie der EU nicht umset-zen. „Die Gesetzesänderungen verhin-dern nicht, dass Asylbewerber inDeutschland Gefahr laufen, bürokratischbedingten Schaden an ihrer Gesundheitzu nehmen“, so die IPPNW-Ärztin Dr.Gisela Penteker. Die Ärzte kritisieren zu-dem, dass die Forderungen des 117.Deutschen Ärztetages in dem Gesetzes-entwurf nicht berücksichtigt würden. DerZugang zur medizinischen Versorgungfür Asylbewerber bleibe eingeschränktund werde wie bisher von fachfremdenMitarbeitern der Wohnheime und Sozial-ämter geregelt, die die Berechtigungs-scheine ausstellen. Das führe im Einzel-fall immer wieder zu Verzögerungen, diein der Vergangenheit auch zu Todesfällenund bleibenden Schäden geführt hätten.In den Arztpraxen resultiere daraus Stig-matisierung und manchmal auch Abwei-sung aufgrund des bürokratischen Auf-wands und der Unsicherheit, welcheLeistungen am Ende vergütet werden.„Die Begrenzung auf „akute undschmerzhafte Erkrankungen undSchwangerschaft“ führt dazu, dass Vor-sorge und die Prävention von Folgeer-krankungen bei chronisch Kranken aufder Strecke bleiben. Das widerspricht un-serem medizinischen Verständnis vonGesundheitsversorgung und führt zu ho-hen Folgekosten und irreparablen Schä-den bei den Patienten“, heißt es in demSchreiben an Nahles.

Auch die Zentrale Ethikkommissionder Bundesärztekammer (ZEKO) hat die-se Probleme erkannt und im Mai 2013eine eindeutige Stellungnahme dazu ab-gegeben. Die ZEKO fordert unter ande-rem, bürokratische Hürden, die krankenPersonen den Zugang zu den ihnen nachdem Asylbewerberleistungsgesetz zuste-henden Behandlungen erschweren oderunmöglich machen, zu beseitigen. Die in-dividuelle Entscheidung über die Not-wendigkeit einer ärztlichen Behandlungmüsse beim Arzt verbleiben. Insbesonde-re sei sicherzustellen, dass alle Kindervon nicht oder nicht ausreichend kranken-versicherten Migranten die notwendigenVorsorgemaßnahmen und Behandlungenerhalten. Seit 1992 gibt es das BremerModell zur Gesundheitsversorgung Asyl-suchender, das sich in vielfacher Hinsicht

bewährt hat und in die Neufassung desAsylbewerberleistungsgesetzes aufge-nommen werden sollte. Unter anderemerhalten die Asylbewerber dort von An-fang an eine Versichertenkarte einerKrankenkasse, die mit den Sozialämternabrechnet. Die gewährten Leistungen ent-sprechen denen der gesetzlichen Kran-kenversicherung, deren Maßstab „dasmedizinisch Notwendige“ ist. Die Ausga-be von Krankenversichertenkarten hat inBremen, Hamburg und Rostock nicht zuerhöhten Kosten geführt sondern zu grö-ßerer Sicherheit für Behandler und Pa-tienten.Quelle: IPPNW – Ärzte zur Verhütung

des Atomkrieges 23.07.2014 n

Kirchenasyl: wo der StaatFlüchtlingsschutz versagt„Heute gibt es einen Zusammenhalt,der vorher nicht da war“Immer öfter schreiten Kirchen dort ein,wo der Staat den Flüchtlingsschutz ver-sagt. Das Kirchenasyl hilft nicht nur denFlüchtlingen, es fördert auch den Zusam-menhalt in Gemeinden. Allerdings gibtes noch zu wenige Gemeinden, die hel-fen. Heute appellierten Geistliche undFlüchtlingsinitiativen in Frankfurt ge-meinsam an Gemeinden, mehr Schutz-räume zu schaffen.

„Wir haben schon geschluckt als wirangefragt wurden“, sagt Pfarrerin SabineFröhlich aus Frankfurt, die zwei Flücht-linge in einem Kirchenasyl beherbergt.„Wir hatten verschieden Fragen rechtli-cher Art, dann war da die Frage der Un-terbringung. Aber am Ende war unserchristliches Mitgefühl ausschlaggebend.Es geht darum, Menschen zu helfen, dieansonsten untergehen“.

Seit zwei Monaten werden John N. undEhtinshe A. aus Eritrea in der Cantate-Domino-Gemeinde geschützt. Das Paarwar nach dreijähriger Flucht über Libyennach Italien gekommen. Hilfe fanden siedort nicht: Sie waren gezwungen, auf derStraße zu schlafen, und mussten betteln,um zu überleben. Als Ethinshe an derKrätze erkrankte, wurde sie nicht behan-delt. Es kam zu sexuellen Belästigungenund rassistischen Übergriffen. Das Paarentschied sich, weiter nach Deutschlandzu fliehen, doch Schutz fanden sie auchhier nicht. Da sie über Italien eingereistwaren, sollten sie wieder dorthin zurück-geschickt werden. Eine Horrorvorstel-lung.

„Ich wünsche mir, dass mehr Gemein-den ins kalte Wasser springen“

In ihrer Verzweiflung wendete sich dasPaar an die Gruppe „noborder frankfurt„,die zahlreiche Flüchtlinge in ähnlichenSituationen unterstützt. Die Flüchtlings-unterstützer schrieben verschiedene Ge-meinden an und baten um Hilfe. Schließ-lich sagte Pfarrerin Fröhlich ein Kirche-

nasyl zu. Nach anfänglichen Bedenkenzieht Fröhlich heute eine positive Bilanz:„Wir haben schnell gemerkt, dass es Un-terstützung gibt. Aus der Gemeinde undNachbarschaft kamen viele Menschen,um zu helfen. Heute gibt es bei uns einenZusammenhalt, der vorher nicht da war.Ich wünsche mir, dass mehr Gemeindenins kalte Wasser springen und diese posi-tive Erfahrung machen“.

Die Pfarrerin ruft zusammen mit derGruppe „noborder frankfurt“ und derFlüchtlingsinitiative „Refugees for Chan-ge„ und anderen Initiativen die Kirchendazu auf, mehr Schutzräume zu schaffen.Heute wurde ein offener Brief veröffent-licht. „Wir brauchen Sicherheit, um unsvon unseren schrecklichen Erlebnissenerholen zu können.“, sagt Paulos Yacobvon Refugees for Change,. Er selbstfürchtet, abgeschoben zu werden. „In Ita-lien haben wir weniger Rechte als dieHunde. Die Hunde wissen zumindest wo-her sie Essen und Trinken bekommen.Wir leben auf der Straße und haben Angstvor rassistischen Attacken“.

Ein Leben in Sicherheit nach fünfjähri-ger Fluchtodysee

In Hessen gibt es laut Dr. Ursula Scho-en, Dekanin im evangelischen DekanatFrankfurt, derzeit 11 Kirchenasyle mit 17Personen. Schoen ermutigt – tweitere Ge-meinden dazu, über die Schaffung vonKirchenasylen zu beraten. Hierbei bietetihr zufolge auch die Landeskirche Bera-tung an, denn zunächst muss geklärt wer-den, ob ein Fall sich überhaupt durch einKirchenasyl lösen lässt.

Bundesweit sind der Organisation„Asyl in der Kirche„ aktuell 124 Kirche-nasyle mit mindestens 217 Personen be-kannt. 105 der Kirchenasyle sind soge-nannte Dublin-Fälle. Also Personen wiedas Paar aus Eritrea, die aufgrund der Du-blin-Verordnung in das EU-Land, wel-ches sie zuerst betreten haben, zurückge-schoben werden sollen. Nach der Dublin-Regelung muss die Abschiebung inner-halb einer bestimmten Frist erfolgen. Hiersetzen viele Kirchenasyle an: Wird dieFrist überschritten, z.B. weil die Person ineiner Kirche geschützt ist und die Polizeisie nicht abholt, muss das Asylverfahrenin Deutschland durchgeführt werden.

Hierauf baut auch Pfarrerin Fröhlich.Im August endet die Überstellungsfristfür John und Ehtinshe, dann droht ihnenlaut der Pfarrerin keine Abschiebungmehr, da die Zuständigkeit an Deutsch-land übergeht. Die Gemeinde hätte dannerreicht, was die EU-Staaten den Eri-treern versagte: Ehtinshe und John könn-ten nach fünfjähriger Fluchtodysee end-lich ein Leben in Sicherheit führen.

Quelle: http://www.proasyl.de22.07.2014 n

Neuer Reader derVielfalt-Mediathekzu den Bundes -programmen gegenRechtsextremismus

Seit über 20 Jahren werdenimmer wiederBundesprogramme gegenRechtsextremismusaufgelegt. Auch im nächstenJahr wird die jetzt amtierendeschwarz-roteBundesregierung ein Bundes-programm gegen Rechtsex-tremismus auflegen, das denTitel „Demokratie leben! Ak-tiv gegenRechtsextremismus, Gewaltund Menschenfeindlichkeit“trägt.Neben einigen neuen Ansät-zen steht es weiterhin in der

Tradition der bisherigen Bun-desprogramme. Es ist daheran der Zeit, Bilanz zu ziehenund einen Blick auf die Ge-samtentwicklung der Bundes-programme zu werfen.Die Vielfalt Mediathek(www.vielfalt-mediathek.de)des Informations- und Doku-mentationszentrum für Anti-rassismusarbeit (IDA) e. V.,die als eine von wenigen In-stitutionen über einenGesamtüberblick verfügt, hatdaher den Reader „Zum Er-folg verdammt. Bundespro-gramme gegen Rechtsextre-mismus. Prävention und In-tervention auf demPrüfstand“ herausgegeben,der sich mit den unterschied-lichen Bundesprogrammengegen Rechtsextremismusauseinandersetzt.

Ausgewiesene Expert_innenund Praktiker_innen, wie Al-bert Scherr, StephanBundschuh, Grit Hanneforth,Bianca Klose u.v.m., setzensich nicht nur mit derGeschichte und Entwicklungder Bundesprogramme ausei-nander, sondern untersuchenauch die vielen unterschiedli-chen Facetten und Themenwie Präventionskonzepte,Auswirkungen auf die extre-me Rechte, Opferberatungoder genderspezifischeAspekte der verschiedenenBundesprogramme und un-terziehen sie einer konstrukti-ven Analyse und Bewertung.Die Publikation kann beiIDA gegen eine Versandkos-tenpauschale von 3,00 Eurozuzüglich der Portokostenunter www.idaev.de/publika-tionen/bestellformularbestellt werden.

Mathis Blome/Barbara Mant-he (Hg.): „Zum Erfolg ver-dammt. Bundesprogrammegegen Rechtsextremismus.Prävention und Interventionauf dem Prüfstand“. Heraus-gegeben im Auftrag des IDAe. V., ISSN 1616-6207, Düs-seldorf: Eigenverlag 2014, 80Seiten.

MatineeKarl Kraus „Die letztenTage der Menschheit“

40 Szenen aus dem Gesamt-werk, dargebracht von ErichSchaffner (siehe letzte AN)

Aus Anlass des 100. Jahresta-ges des 1. Weltkrieges präsen-tiert die VVN-BdA (Vereini-gung der Verfolgten des Nazi-regimes – Bund der Antifa-schistInnen) in Kooperationmit dem Heinrich-Heine-Sa-lon, dem Rosa-Luxemburg-Club Düsseldorf und derBuchhandlung BiBaBuZe eineLesung mit Erich Schaffner

“Die letzten Tage derMenschheit“ – 40 Szenen ausdem Gesamtwerk von KarlKraus.

Das geniale Werk von KarlKraus präsentiert Erich Schaff-ner aus Mörfelden in Hessen.Ein mutiges Unterfangen, denn800 Druckseiten dieser umfas-senden Arbeit von Karl Krausin einer Matinee in Szene zusetzen, erfordert Kraft undMut.

Ein Besuch der Matinee amSonntag, dem 17. August 2014im Düsseldorfer ZAKK, Fich-tenstraße 40 um 11.00 Uhrdürfte sich lohnen. VVN-BdA Kreisvereinigung

Düsseldorf

antifaschistische nachrichten 16-2014 15

: ankündigungen

Der Herausgabekreis und die Redaktion sind zu erreichen über:GNN-Verlag, Venloer Str. 440, 50825 Köln Tel. 0221 / 21 16 58, Fax 0221 / 21 53 73. email: [email protected], Internet: http://www.antifaschistische-nachrichten.de Erscheint bei GNN, Verlagsges. m.b.H., Venloer Str. 440, 50825 Köln. V.i.S.d.P.: Jörg DetjenRedaktion: Für Schleswig-Holstein, Hamburg, NRW, Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland: U. Bach, H. Deilke GNN-Verlag Köln. Baden-Württemberg und Bayern über GNN-Süd, Stubaier Str. 2, 70327Stuttgart, Tel. 0711 / 62 47 01. Für „Aus der faschistischen Presse“: J. Detjen c/o GNN Köln.Erscheinungsweise: 14-täglich. Bezugspreis: Einzelheft 1,50 Euro.Bestellungen sind zu richten an: GNN-Verlag, Venloer Str. 440, 50825 Köln. Sonderbestellungen sindmöglich, Wiederverkäufer erhalten 30 % Rabatt.

Die antifaschistischen Nachrichten beruhen vor allen Dingen auf Mitteilungen von Initiativen. Soweit ein-zelne Artikel ausdrücklich in ihrer Herkunft gekennzeichnet sind, geben sie nicht unbedingt die Meinungder Redaktion wieder, die nicht alle bei ihr eingehenden Meldungen überprüfen kann.

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:antifaschistische nachrichten 16-201416

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Slawische Orthodoxie

Zeitschriften, die in größeren Abständen,im Fall des „deutschen Nachrichtenmaga-zins“ ZUERST! heißt das monatlich, er-scheinen, haben besonders während dersprichwörtlichen Saure-Gurken-Zeit imHochsommer ein Problem: Wirklich aktu-elle Beiträge sind zum Zeitpunkt, in demdas Heft projektiert wird, häufig nochnicht absehbar und das, was bereits fürsolche Zeiten in den Schubladen der Re-daktionen schmort, ist vielleicht interes-sant aber keinesfalls aktuell. Für einenschnelleren Erscheinungsrhythmus fehltdas nötige Kapital, das wiederum liegt anfehlenden Anzeigeneinnahmen. Und diefehlen, weil kaum ein Unternehmen bereitist, sein Geld für Anzeigen in langweili-gen Magazinen auszugeben – die Katzebeißt sich also in den Schwanz.

Konkret heißt das: In der Juliausgabevon ZUERST! gibt es keinen Beitrag zuraktuellen Situation in Palästina bzw. Israel,auch über den Ukraine-Konflikt kann nichtzeitnah berichtet werden. Stattdessen be-schäftigt sich die Titelgeschichte mit der„Einäugigkeit der öffentlich-rechtlichenSender“. Und um die Anzeigen, die nichtaus Munierverlagen stammen, abzuzählen,sind keine fünf Finger nötig, zwei reichenaus. Sähe man vom braunen Inhalt ab,könnte sich Mitleid entwickeln.

Widmen wir uns zuerst den Beiträgenzum Thema Ukraine: Seit Anfang des Jah-res der Konflikt in Kiew eskalierte, wun-derten sich kritische Leser(innen) darüber,dass die ZUERST“-Redaktion sich sofortauf die russische Seite schlug und keinerleiAnstalten machte, die reichlich vorhande-nen ukrainischen Faschistengruppen und -parteien publizistisch zu unterstützen. Dasverwunderte umso mehr, wenn man sichvergegenwärtigt, dass mit Rassismus, An-tisemitismus und Geschichtsrevisionismuszahlreiche inhaltliche Verbindungslinienvorhanden sind. Stattdessen gibt es mehrals nur Verständnis für die „russische“ Sei-te, genauer, für diejenigen Ukrainer(in-

nen), die mit der Ukraine, die gegen sieKrieg führt, nichts mehr zu tun haben wol-len. Berichte über nationalistische Tenden-zen innerhalb der ukrainischen Regierung,die in der antifaschistischen Presse undden russischen Medien häufig zu findensind, gibt es allerdings auch nicht.

Stattdessen interviewt SERGEY BE-LOUS den „Volksgouverneur“ von Do-nezk, PAWEL GUBAREW. Zu lesen istvölkischer Nationalismus: „… um esgleich zu sagen: Dieses Gebiet ist histo-risch nicht die Ukraine sondern Neuruß-land. Hier hat man immer schon russischgesprochen, man war Rußland immer naheund auch ethnisch leben hier zum überwäl-tigenden Teil Russen… daß wir in einemStaat leben, in dem man die Russen zuUkrainern umschmelzen will. Oder sie we-nigstens zu solchen Russen machen, dieihre historische Heimat Rußland hassensollen… Es geht für uns um die `russischeWelt´, eine orthodox-slawische Kultur“.Unstrittig sollte allerdings sein, dass auchdie meisten Ukrainer(innen) Slawen sind,bzw. die ukrainische Sprache eine slawi-sche ist und die vorherrschende Religionukrainisch-orthodox. Auch Gubarews wirt-schaftliche Vorstellungen bestehen weitest-gehend aus Leerformeln, an die Rechteohne Mühe anknüpfen können: „Es reichtlangsam, daß ein einziges Land in der gan-zen Welt Ressourcen, Handelsgüter undDienstleistungen in ,grünen Papierschei-nen‘ aufkauft, welche überhaupt keine Ge-währleistungen haben….Wir wollen einewahre Volksherrschaft. Wir rechnen damit,daß das Großeigentum, das sich die Oli-garchen in den 1990er Jahren durch Raubangeeignet haben, zum Volkseigentumwird. Wir rechnen damit, daß die sozialeGerechtigkeit obsiegen wird. Das strebenwir an“. Konkret ist jedenfalls anders.

Durchaus konkret allerdings ist das, wasATTILA VARGA in seinem Leserbrief zumThema Russland (und damit gleichzeitigzur Ukraine) schreibt: „Die heutige Situati-on erinnert fatalerweise an das Jahr 1812:Im Westen ein vereintes Europa, welches

: aus der rechten pressesich ideologisch zunehmend auf die ,Seg-nungen‘ der blutrünstigen FranzösischenRevolution beruft, im Osten ein autokrati-sches Rußland, welches zur Hoffnung fürdie von Paris bzw. Brüssel ,beglückten‘Völker wird – und abseits die anglo-ameri-kanischen Seemächte, die von der Selbst-zerfleischung der Kontinentaleuropäer pro-fitieren. Selbst meine traditionell eher anti-russisch gesinnten Landsleute sind in derMehrzahl inzwischen Putin-Versteher (wasman nicht als Ostblocknostalgie interpretie-ren kann, wählten doch 2014 fast zwei Drit-tel der Magyaren christlich-nationale Partei-en). Die Polen stellen sich wie bereits 1812erneut dem Imperium – heute der EU – alsKanonenfutter zur Verfügung“. Dieser Textist zwar inhaltlich durchaus krude, zeigtaber deutlich, um was es der Rechten geht:Sie wollen hinter die Aufklärung, hinter dieIdee der gleichen Rechte für alle Menschenzurück ins ideologische (und durchaus dannauch praktische) Miteilalter. Die Titelge-schichte zum Thema „rot-grüner Staatsrund-funk“ (von ROBERT DIEHL, DIRK REIN-ARTZ und STEVE LEROD) ist in erster Li-nie geprägt von der Behauptung, die öffent-lich-rechtlichen Sender seien fest in derHand von Linken, vor allem von Gewerk-schafter(innen). Zeugen dafür sind die übli-chen Verdächtigen. Beginnen wir mit derCDU-Rechten VERA LENGSFELD, dienoch 25 Jahre nach dem Zerfall der DDRvon ihrem Ruf als „Bürgerrechtlerin“ zehrtund selbst den eigenen CDU-Parteifreundenpeinlich zu sein scheint: „Was die Politik-sendungen betrifft, so werden wir von denÖffentlich-Rechtlichen zunehmend von ei-nem Meinungseinheitsbrei genervt, dem kri-tische Töne, gründliche Recherche und einunabhängiger Standpunkt weitgehend feh-len. Wer skeptisch gegenüber Euro-Ret-tungspolitik, Klimaschutz, Energiewendeoder das von der Politik angestrebte Ein-heitseuropa ist, hat nur die Möglichkeit, sichim Internet zu informieren.“ Und die Auto-ren ergänzen: „Diesen Katalog könnte manproblemlos erweitern: Kritik an Massenein-wanderung, Gender Mainstreaming, Homo-Lobbyismus, Bundeswehr-Auslandseinsät-zen, geopolitischer Einbindung in die ̀ west-liche Wertegemeinschaft´ usw. gibt es zwarin der Gesellschaft, aber nicht in öffentlich-rechtlichen Sendern“. Und PETER HEL-MES, der offenbar zunehmend als Univer-sal-Interviewpartner von ZUERST“ dient,setzt noch eins drauf: „ Unausgewogen istdie politische Berichterstattung allemal. Inzahlreichen Sendeformaten wird beispiels-weise Werbung für das Konzept der multi-kulturellen Gesellschaft betrieben. Das fin-det auf allen Ebenen statt: vom Kinderpro-gramm über die Unterhaltung bis zu denKultursendungen. Der Kritik an diesemKonzept wird dagegen kaum Platz gewährt.Und wenn, dann werden die Kritiker dermultikulturellen Gesellschaft meist als,rechtsradikal‘, ,irre‘ oder sonst wie aussät-zig dargestellt“. Originell ist das nicht – unddas liegt nicht nur am Sommerloch. tri n