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1 Universität Leipzig Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie Institut für Soziologie Modul Spezielle Soziologie I Geldsoziologie Dr. Jenny Preunkert Wintersemester 2011/2012 Hausarbeit Argentinienkrise 2001/2002 Ursachen und Auswirkungen vorgelegt von Martin Waschipky 3. FS Kommunikations- und Medienwissenschaft

Argentinienkrise

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Wirtschaftskrise, Geldsoziologie

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Page 1: Argentinienkrise

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Universität Leipzig

Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie

Institut für Soziologie

Modul Spezielle Soziologie I

Geldsoziologie

Dr. Jenny Preunkert

Wintersemester 2011/2012

Hausarbeit

Argentinienkrise 2001/2002

Ursachen und Auswirkungen

vorgelegt von Martin Waschipky

3. FS Kommunikations- und Medienwissenschaft

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Gliederung

1. Einleitung ............................................................................................................................. 3

2. Interne Faktoren ................................................................................................................... 4

2.1 Konvertibilitätsgesetz 1991 und die Einführung des CBS .................................................. 4

2.2 Korruption und Steuerhinterziehung ............................................................................... 5

2.3 Verschwenderische Provinzen......................................................................................... 6

3. Externe Faktoren .................................................................................................................. 7

3.1 Überbewertung Peso infolge der Aufwertung des USD .................................................... 8

3.2 Internationale Finanzkrisen ............................................................................................ 9

3.3 Abhängigkeit von ausländischem Kapital ...................................................................... 10

4. Der Krisenverlauf 2000-2002 ............................................................................................... 11

5. Zur Konstruktion von Realität nach der Krise ....................................................................... 13

6. Fazit ................................................................................................................................... 15

7. Literatur ............................................................................................................................. 17

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1. Einleitung

Die Bekanntgabe der Zahlungsunfähigkeit seines Landes am 23. Dezember 2001 durch Rodirguez Saá

(Bickel 2005: 9) bedeutete auch für den IWF das Scheitern jahrzehntelanger Bemühungen zur

Integration Argentiniens in das globale Finanzsystem. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die bereits

in den Jahren zuvor Wirtschafts- und Währungskrisen erfuhren1, engagierte sich der IWF in

Argentinien schon seit Mitte der 70er Jahre (Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 352; Bogensprenger 2007:

51). Insofern stellte sich gerade in Hinblick auf die Rolle des ehemaligen Musterschülers des IWF

(Nuss 2007: 1) die Frage, welche Fehler der IFW vor und während jener Wirtschafts-, Finanz- und

später Währungskrise begangen hat und, ob ihn – die von vielen Akteuren unterstellte – Hauptschuld

trifft. Innerhalb der spanischsprachigen Literatur (vgl. Lindl 2010: 93) und der

globalisierungskritischen Linken wird diese Frage eindeutig mit „Ja“ beantwortet. Nach eingehendem

Studium der Quellen habe ich aufgrund dessen die zu bearbeitende Fragestellung einzig auf die

Ursachen und Auswirkungen – hierbei jene auf der Mikroebene – verschoben, da die „Schuldfrage“

für eine Hausarbeit nur verkürzt zu beantworten wäre. Daher werden zunächst die Ursachen für das

Eintreten der Argentinienkrise 2001/2002 beschrieben. Hierbei werde ich eine Unterteilung der

Ursachen in interne und externe vornehmen, deren Gewichtung hervorheben, um anschließend den

Ausbruch der Krise mittels dieser Variablen zu erklären. Dies erscheint mir sachdienlicher, als eine

reine Pro/Contra-Argumentation hinsichtlich der Schuldfrage des IWF.

Anschließend folgt eine Darstellung des Krisenverlaufs. Innerhalb dieses Gliederungspunktes werden

das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren sowie der Verlauf der Krise verdeutlicht.

Den Abschluss bildet eine Analyse – beruhend auf den Ergebnissen einer qualitativen Untersuchung

Karen Naundorfs – der Auswirkungen der Krise auf die Wirklichkeitskonstruktion der Argentinier.

Mag dieser Punkt auch ein wenig losgelöst vom Rest der Arbeit erscheinen, schien mir die

soziologischen Auswirkungen auf der Mikroebene durchaus bedeutsam und führen die Arbeit weg

von einer rein ökonomisch/politischen Betrachtungsweise.

Im Fazit folgen schließlich die Zusammenfassung der Ergebnisse und eine Bewertung.

1 Dies meint vor allem die asiatischen Länder sowie Russland, Mexiko und Brasilien

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2. Interne Faktoren

Die internen Ursachen sind durchaus vielschichtig und bilden jeweils ein Puzzleteil in der

Rekonstruktion der Argentinienkrise. Gleichwohl ist nicht jeder dieser Ursachen die gleiche

Bedeutung immanent. Die Einführung des „Currency Board Systems“ (CBS), dessen Sinn und

Mechanismus in Punkt 2.1 näher erläutert werden, bildet der Meinung zahlreicher Experten2 den

gewichtigsten Faktor für den Ablauf der Argentinienkrise in der Form, in der diese schließlich

stattfand. Gleichwohl trug das CBS zur Stabilisierung der Wirtschaft und Bekämpfung der Inflation bei

und öffnete den argentinischen Markt für ausländisches Kapital. Die Variablen Korruption und

Steuerhinterziehung trugen hingegen erst infolge der Destabilisierung ab 1996 zur weiteren

Verschlechterung der Situation bei und erzeugten zum einen, durch die tiefe Verwurzelung innerhalb

der argentinischen Gesellschaft, eine geringe Sparpräferenz. Zum anderen aber auch die

Verschwendung von Kapital durch die Provinzen.

2.1 Konvertibilitätsgesetz 1991 und die Einführung des CBS

Das Konvertibilitätsgesetz bildete den Eckpfeiler des „Plan Cavallo“3, es beinhaltete die feste Bindung

des Australes 10.000:1, ab 1992 Peso an den USD im Verhältnis 1:1 (Hujo 2002: 91). Ziel war es, die

Stabilität und Glaubwürdigkeit des USD zu importieren und Argentinien hierdurch für ausländische

Investoren an Attraktivität gewinnen zu lassen. Die Koppelung an den USD wurde mittels eines

„Currency Board System“ (CBS) durchgeführt, dabei handelt es sich um eine unabhängige Institution,

deren Ziel die Bekämpfung von Inflation ist. (Boinet et al. 2005: 357f.) Darüber hinaus ist eine

hundertprozentige Deckung der umlaufenden Geldmenge durch Devisen- und Goldreserven nach

Maßgabe des Wechselkurses vorgeschrieben (Hujo 2002: 92). Folglich kann die Geldmenge nur in

dem Umfang zunehmen, in dem das Land Devisenreserven akquirieren kann; der innere Geldwert

sowie das Vertrauen in die Währung bleiben gesichert, die Notenbank verliert hierdurch allerdings

ihren Status als „Lender of last resort“ (LOLR) (Bogensprenger 2007: 19ff.; Bickel 2005: 50;

Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 357ff.).

Die argentinische Zentralbank hatte somit die Pflicht, alle Verbindlichkeiten zu hundert Prozent in

USD zu decken, eine Sonderregelung sah die 80%ige Deckung in Notzeiten vor (Bogensprenger 2007:

29).

2 Es scheint mir an dieser Stelle wenig sinnvoll alle Autoren aufzuführen, die dies äußern, doch ist es die

überwiegende Mehrheit der von mir verwendeten Literatur, unabhängig von der Zuordnung in ein bestimmtes politisches Lager. 3 Der Plan „Cavallo“ geht auf den argentinischen Wirtschaftsminister Domingo Cavallo zurück und umfasst

neben dem Konvertibilitätsgesetz weiterreichende Maßnahmen zur Wirtschaftsstabilisierung.

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Der Erfolg des CBS zeigte sich in den ersten Jahren durch ein deutliches Wirtschaftswachstum, den

Rückgang der Inflation sowie den Zufluss ausländischen Kapitals (Bickel 2005: 35).

Gleichzeitig stellt dieses System auch besondere Anforderungen an die Fiskalpolitik eines Landes: „So

schafft ein ausgeglichener Staatshaushalt zwar in jedem Wechselkurssystem ein positives Umfeld für

wirtschaftliches Wachstum, in einem ‚Currency Board‘ Regime jedoch ist er sogar eine grundlegende

Voraussetzung für dessen dauerhafte Funktionsfähigkeit“ (Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 354).

Da die Zentralbank ihren Status als LOLR verliert und Haushaltsdefizite somit nicht mehr durch eine

Ausweitung der Geldmenge finanzieren kann, ist sie auf Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen.

Im Falle Argentiniens führte dies zur Verschärfung der Krise, da ausländische Investoren ihr Kapital

aus Argentinien abzogen. Argentinien war gegenüber diesen „Sudden Stops“4 besonders anfällig, da

zum einen die Volkswirtschaft relativ geschlossen war und zum anderen die Spareinlagen der

Bevölkerung im Vergleich zu anderen Schwellenländern sehr gering waren (vgl. ebd.: 354f.). Das

Konvertibilitätsgesetz garantierte zudem den Tausch von Peso und USD und umgekehrt. Als sich der

Beginn der Krise abzeichnete, entstand ein „Bank Run“, infolge dessen die Argentinier ihre

Spareinlagen in USD abhoben5 und hierdurch die Zentralbank die Devisendeckung nicht mehr

aufrechterhalten konnte.

2.2 Korruption und Steuerhinterziehung

Korruption ist tief in der gesamten argentinischen Gesellschaft verwurzelt und betrifft neben

Polizisten und Richtern vor allem Politiker. Beispiele hierfür finden sich auch innerhalb der höchsten

Ebene: So wurde Domingo Cavallo, Wirtschaftsminister sowohl unter Menem als auch unter de la

Rúa, am 3. April 2002 aufgrund des Verdachts der Verwicklung in illegale Waffenlieferungen an

Kroatien und Ecuador verhaftet (Bickel 2005: 45). Auch wurde gegen Menem ermittelt. Deshalb sind

sowohl Reformen die Legislative betreffend als auch die Wahrung und der Ausbau unabhängiger

Kontrollorgane unerlässlich, denn der Klientelismus ist in Argentinien stark verbreitet und stellt

teilweise den einzigen Distributionskanal für die ärmsten Schichten dar. Es handelt sich hierbei um

eine antidemokratische Vergabepraxis, personalisierten Austauschs von Gefallen, Gütern und

Dienstleistungen gegen politische Unterstützung zwischen Volk und Eliten, der den

Führungsanspruch traditioneller Eliten stützt und strukturelle Veränderungen verhindert (vgl.

Naundorf 2005: 124f.) Da Korruption wirtschaftliche Tätigkeit hemmt, demokratische Prinzipien

untergräbt und hierdurch das Vertrauen in die Politik schwächt, liegt hierin auch einer der

Hauptgründe für den Kapitalabzug sowohl ausländischer Investoren als auch privater Sparer.

4 plötzlicher Stopp von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland

5 zu den Auswirkungen s. Punkt 7

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Durch Vertrauensverlust sinkt die Investitionspräferenz von Investoren, somit ist Korruption zugleich

Ursache für ein gehemmtes Wachstum als auch Folge einer wirtschaftlichen Kontraktion (vgl. Bickel

2005: 46).

„Das nur unzureichend funktionierende Steuersystem hatte ebenfalls maßgeblichen Anteil an der

Entstehung der finanziellen Probleme in Argentinien. *…+ Die Rate der hinterzogenen Steuern

(Mehrwert- und Einkommensteuer) [wird heute] auf etwa 40 Prozent geschätzt.

In Chile und Uruguay erreichen die gleichen Indikatoren mit 20 und 23 Prozent ein deutlich

niedrigeres Niveau.“ (ebd.: 2005: 46). Verantwortliche der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank

beschrieben das argentinische Steuerrecht als „intransparent“. Weiterhin finden Gerichtsprozesse

über Steuerhinterziehung in den meisten Fällen erst nach zehn Jahren ihren Abschluss. Diese Praxis

kommt de facto einer Nichtexistenz eines Bestrafungsmechanismus gleich und bildet

Defektionsanreize (vgl. ebd.).

„Das argentinische politische System steckt heute in einer profunden Legitimitätskrise. Die politische

Führung ist völlig diskreditiert, die Unabhängigkeit der Justiz, Voraussetzung von Rechtsstaatlichkeit,

ist in Frage gestellt, die Parteien werden als Transmissionsriemen der politischen Willensbildung

nicht mehr akzeptiert. Die formal demokratische Struktur des politischen Systems ist durch eine

informelle, undemokratische Substruktur der Korruption, Klientenbeziehung und Straflosigkeit

unterhöhlt “ [Hervorhebung im Original] (Haldenwang 2005: 10).

2.3 Verschwenderische Provinzen

Eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren des CBS ist ein ausgeglichener Haushalt, durch

Privatisierungen im Zuge des „Plan Cavallo“, erschien das Staatsdefizit durchaus moderat, doch

kaschierten die hohen Erlöse aus ebendiesen die defizitären Ausgaben (vgl. Altenkirch/Kreis-Hoyer

2003: 355).

Vor allem das Unterlaufen von Sparmaßnahmen der Zentralregierung durch die Provinzen und das

neu eingeführte Pensionssystem führten zu permanent steigenden Defiziten, besonders als sich die

wirtschaftliche Lage Ende der 90er Jahre verschlechterte.

Ferner implizierte die Aufgabenverteilung zwischen den Provinzen und der Zentralregierung ein

hohes Potential für „Moral- Hazard“-Verhalten seitens der Provinzen. Dadurch, dass sie sich ihre

Ausgabenerhöhungen in nahezu unbegrenzter Höhe über die Zentralregierung finanzieren lassen

konnten, ergaben sich massive Anreize zur ineffizienten Erhöhung der Staatsausgaben. So

verwundert es nicht, dass die nationale Regierung das Staatsdefizit nicht stabil halten konnte.

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Zudem beinhaltet das politische System Argentiniens mehrere deutliche Schwächen:

Überrepräsentation der peripheren, weniger dicht besiedelten Provinzen im Kongress, diese

wirtschaftlich und demographisch unbedeutenden Provinzen erhalten durch Vetorechte

unverhältnismäßige Macht

Durch die Benennung von Abgeordneten in Senat und Abgeordnetenhaus, besitzen sie große

Einflussmöglichkeiten auf nationale Entscheidungen

„Die Provinzen sind von zentralstaatlichen Zuweisungen im Rahmen der sog. Coparticipación

abhängig. Die große Mehrheit der Provinzen bestreitet über die Hälfte ihrer Ausgaben mit diesen

Transfers. *…+ Für die Provinzen ist es zudem lohnender, Druck auf den Zentralstaat auszuüben, als

ihre eigene Ressourceneinwerbung zu verbessern“ (Haldenwang 2005: 7).

3. Externe Faktoren

Ein Hauptgrund für die Anfälligkeit der argentinischen Wirtschaft in den Jahren 1991-2002 bildete

das CBS, das Anfangs zur wirtschaftlichen Stabilisierung beitrug, Argentinien aber vom Zufluss

ausländischen Kapitals abhängig machte. Verschiedenste externe Faktoren werden nun aufgezeigt

und sind neben den erwähnten internen Faktoren, die Hauptgründe für den Kapitalabfluss aus dem

Land. Als es in Folge der 1994/95 Mexiko-, der 1997 Asien-, der 1998 Russlandkrise und schließlich

1999 durch die starke Abwertung des Real zu einem extremen Vertrauensverlust der Anleger in

Emerging-Markets kam (vgl. Bogensprenger 2007: 39) und sowohl Investoren als auch Sparer und

Kleinanleger massiv ihr Kapital abzogen, um es in Sicherheit zu bringen, entstand ein Teufelskreis aus

Wettbewerbsunfähigkeit in Folge der Überbewertung des Peso durch das CBS sowie der nun

erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der anderen Krisenstaaten durch die Abwertung ihrer Währungen.

Im Übrigen sei angemerkt, dass alle schweren Finanzkrisen während der neunziger Jahre in Systemen

mit festen Wechselkursen auftraten (Bickel 2005: 49).

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3.1 Überbewertung Peso infolge der Aufwertung des USD

Nach der Einführung des CBS und der 1:1-Koppelung an den USD, war der Peso stark überbewertet,

diese bereits anfängliche Überbewertung verschärfte sich im Laufe der Aufwertung des USD weiter

(Haldenwang 2005: 13). Da die USA und Argentinien keinen gemeinsamen Wirtschaftsraum bildeten,

wären strukturelle Anpassungen an den Währungsraum der Ankerwährung innerhalb der Boom-

Phase nötig gewesen, dies wurde jedoch versäumt6 (Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 357).

Die Überbewertung des Peso bedeutete für Argentinien auch einen Verlust von

Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Brasilien, dem größten Handelspartner, und anderen Ländern nicht

nur innerhalb des Mercado Sur7. Um diesen Nachteil auszugleichen, bedarf es eines flexiblen

Arbeitsmarktes, um die Gefahr der Substitution inländischer Produkte durch nun billigere Importe zu

verhindern. Argentiniens Arbeitsmarkt war hingegen starr, geprägt durch starke Gewerkschaften,

hohe Entlassungskosten und nach unten starren Löhnen (vgl. ebd.: 356). Gleichwohl wurden infolge

des Washington Consensus (WC), auch auf Drängen des IWF, zahlreise Reformen eingeleitet.

Problem hierbei war jedoch, dass zahlreiche Unternehmen privatisiert und Märkte liberalisiert

wurden, ohne jedoch die entsprechenden Überwachungsinstitutionen einzubauen. Selbst einer der

Hauptvertreter des WC, John Williamson, kritisierte, dass die unvollständige und inkorrekte

Umsetzung im Falle Argentiniens zur Verschärfung der Krise beitrug bzw. diese sogar in dieser Form

überhaupt erst ermöglichte (vgl. Kühne 2011: 35ff.).

„Entsprechend verschlechterte sich die Wettbewerbsfähigkeit argentinischer Unternehmen mit der

zunehmenden Überwertung stetig, die Defizite in der Handels- und Leistungsbilanz nahmen stark zu“

(ebd. 356).

Zudem konnte die notwendige Bedingung für das Funktionieren des CBS – ein ausgeglichener

Haushalt – auch aufgrund des Unterlaufens der Sparbemühungen durch die Provinzen, nicht erfüllt

werden. „Aufgrund der Tatsache, dass große Teile der öffentlichen und auch der privaten

Auslandsverschuldung in USD fakturiert waren, erhöhte der steigende reale Wechselkurs gleichzeitig

die reale Rückzahlungslast für diese Kredite“ (ebd. 356). Diese Entwicklung fassen Boinet et al.

passend zusammen: „Nevertheless, at the end of the nineties, domestic interest rates increased

dramatically above US levels, putting Argentina’s economy into severe recession.

By the beginning of 2002, the peso had been devalued by approximately 50 percent and sovereign

debts of over 150 billion dollars were in default” (Boinet et al. 2005: 357f.).

6 Dies zeigte sich vor allem auch durch die Unwilligkeit vor allem der Provinzen Macht im Zuge von struktureller

Anpassung abzugeben. 7 Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens): 1991 haben sich Argentinien, Brasilien, Paraguay

und Uruguay zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammengeschlossen. Chile, Bolivien und Peru sind inzwischen Mitglieder, Venezuela hat einen Aufnahmeantrag gestellt (Vgl. Boris/Malcher 2005:136).

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3.2 Internationale Finanzkrisen

Im Zuge der „Tequila-Krise“ 1994/95 in Mexiko war die Koppelung des mexikanischen Peso an den

USD nicht mehr haltbar und wurde aufgehoben. Der mexikanische Peso wertete daraufhin drastisch

ab. Da die mexikanischen Banken ihre Verbindlichkeiten/Schulden allerdings in USD aufgenommen

hatten, stiegen diese infolge der Abwertung erheblich.

Um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems in Mexiko mit weitreichenden Folgen für die

Schwellenländer und die gesamte Weltwirtschaft zu verhindern, stützten der IWF und die USA

Mexiko mit 50 Milliarden USD (Greenspan 2007: 189). Verunsicherungen durch die Mexiko-Krise

führten in Argentinien zu einem Rückgang der Deviseneinlagerungen in Höhe von 20%, was das CBS

fast zu Fall brachte (vgl. Brinkmann 2001: 13). Des Weiteren erhöhte die FED infolge der Mexiko-Krise

den Leitzins, was sich durch das CBS direkt auf Argentinien auswirkte (vgl. Bickel 2005: 50f.).

Dennoch hatte die Mexiko-Krise für Argentinien nicht nur Nachteile: Im Zug der Lösung der Krise und

der Bewältigung des externen Schocks, galt das argentinische Finanzsystem als stabil. Zudem war die

im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern relativ geschlossene Volkswirtschaft

Argentiniens weniger anfällig gegenüber externen Schocks (vgl. Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 353).

Darüber hinaus erhöhte die Zwangsabsicherung der argentinischen Verbindlichkeiten mittels USD,

die das CBS vorsah, das Vertrauen in das argentinische Bankenwesen. Zudem wurde es reformiert:

Nachdem infolge der Abwertung des USD Anfang 1995 eine Entspannung einsetzte und Argentinien

die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Brasilien durch die Aufwertung des Real verbessern

konnte, sank die Zahl der öffentlichen Banken in den Jahren 1994-2000 von 32 auf 16 und die

Gesamtzahl der Banken sank von 166 auf 89. Hierdurch erreichte Argentinien im CAMELOT

Bewertungssystem 1998 den 2. Platz und gewann wieder an Attraktivität für ausländische

Kapitalgeber (vgl. Brinkmann 2011: 13ff.). Dennoch wies das argentinische Bankensystem drei

maßgebliche Schwächen auf (vgl. Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 356):

die Ausfallrisiken privater Haushalte wurden - vor allem unter dem Gesichtspunkt der lange

anhaltenden Deflation - nicht hinreichend einkalkuliert

der Bankensektor hielt einen großen Anteil an argentinischen Staatsschuldscheinen

die Liquiditätsreserven der Banken waren zwar hoch, doch konnten sie einem anhaltendem

„Bank Run“ nicht standhalten.

Infolge der Krisen in Asien und Russland wurden Kapitalgeber nervös und zogen ihr Kapital massiv

aus Ländern mit ähnlicher Struktur ab (vgl. 3.3). Ausgehend von diesem Liquiditätsentzug, forderten

die Argentinischen Banken Verbindlichkeiten inländischer Unternehmen schneller ein, was wiederum

zu einer Verringerung der inländischen Investitionen führte (vgl. Brinkmann 2011: 13ff.).

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Auch inländische Haushalte sorgten sich um ihr Kapital und zogen es infolge dessen massiv von den

Banken ab, weshalb sich die Zentralbank – da diese kein Geld drucken konnte – zur Verringerung der

Geldmengendeckung auf 80% gezwungen sah. Zudem befand sich Brasilien selbst in einer Rezession,

was wiederrum zu einem Nachfrageverlust führte.

Durch die Gesamtheit der externen Schocks und einer schwächelnden Weltwirtschaft, stürzte

Argentinien selbst in die Rezession, es kam zu einer deflationären Entwicklung, aber aufgrund der

starren Gesetzeslage und der starken Gewerkschaften stiegen die Löhne weiterhin, obwohl die

Produktivität sank (vgl. ebd.: 16f.).

3.3 Abhängigkeit von ausländischem Kapital

„Eine andere Ursache für die Entstehung einer Finanzkrise besteht für Emerging-Markets-Staaten,

wie im Fall von Argentinien, in der Kapitalflucht ausländischer Investoren bei regionalen oder

weltweiten Unsicherheiten“ (Bogensprenger 2007: 39). Im Zuge der Tequila-Krise zogen ausländische

Investoren ihr Kapital erstmals aus dem Andenstaat ab, wodurch Argentinien Schwierigkeiten hatte,

sein Zahlungsbilanzdefizit mit ausländischem Kapital zu finanzieren.

Des Weiteren erhöhte die FED den Leitzins, um einen Anstieg der Inflationsrate einzudämmen.

Hierbei zeigte sich offenkundig der gravierende Nachteil des CBS, denn die argentinische Zentralbank

hatte ihre Einflussmöglichkeiten als LOLR verloren und war auf den Import ausländischen Kapitals

angewiesen (vgl. Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 354).

Konnten die Symptome der strukturellen Probleme während und nach der Mexiko-Krise noch

kaschiert werden, so brachten die Finanzkrisen in Südostasien, Russland und insbesondere in

Brasilien das argentinische Finanzsystem zu kollabieren. Die hohe Währungsrisikoprämie zwischen

dem USD und dem argentinischen Peso verwies weiterhin, trotz der Einführung des CBS, auf eine

fehlende monetäre Glaubwürdigkeit Argentiniens. „Da das ‚Currency-Board‘ nur die umlaufende

Geldmenge, aber nicht den Teil der Bankeinlagen durch die Devisenbestände in Argentinien

abdeckte, konnte sich das ‚Currency-Board‘ infolge der Krisen in Südostasien und Brasilien Ende der

1990er Jahren nur durch eine radikale Erhöhung der Zinssätze zunächst erfolgreich aufrechterhalten“

(Bogensprenger 2007: 40). Die Lösung des Reals von der Koppelung an den USD im Jahr 1999 und die

sich damit verbindende Abwertung um 50%, bedeutete für Argentinien eine Verschärfung des

Wettbewerbs. Das Wachsen der politischen Ungewissheit veranlasste die internationalen Investoren,

den Kapitalzufluss nach Argentinien zu stoppen bzw. dem Land sogar das angelegte Kapital zu

entziehen. Die Rating-Agentur S&P wertete die Bonität Argentiniens mit „Selective Default“, nun zog

auch der IWF seine bereits zugesagte Hilfe aufgrund fehlender Umsetzung auferlegter

Voraussetzungen zurück. Doch Argentiniens Abhängigkeit gegenüber dem IWF stieg durch die

Zurückhaltung der Investoren sprunghaft an.

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Der extreme Anstieg der Credit-Spreads für die argentinischen Staatspapiere entzog dem Andenstaat

aufgrund des sehr hohen Default-Risikos endgültig den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten

(Bogensprenger 2007: 40f.).

4. Der Krisenverlauf 2000-2002

Nachdem sich Argentinien nun in einem Teufelskreis „aus wirtschaftlicher Rezession, sozialer

Verelendung, staatlichen Haushaltsdefiziten und Auslandsverschuldung“ (Haldenwang 2005: 3)

befand, nahm die Sorge, der Zahlungsunfähigkeit Argentiniens weiter zu und Kapitalflucht setzte ein.

Weder konnte Argentinien in dieser Phase Abwertung zur Wiederherstellung seiner

Wettbewerbsfähigkeit einsetzen, noch war das Instrument einer expansiven Geldpolitik – da die

Zentralbank ihren Status als LOLR verloren hatte – vorhanden. Präsident De la Rùa versuchte nun mit

einer restriktiven Fiskalpolitik die stets steigenden Schulden zu stoppen, er wurde dabei durch den

IWF im Mai 2000 durch ein dreijähriges SDR in Höhe von 7,2 Mrd. USD8 unterstützt (vgl. Brinckmann

2011: 19). Die Konditionalitäten des IWF sahen dabei ein Sinken des Haushaltsdefizits von 3,8% des

BIP auf 2,3% im Jahr 2000 vor (Jonas 2002: 13f.) Hierdurch sollte das Vertrauen der ausländischen

Investoren wieder gestärkt werden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen während der Krisen in

Mexiko, Asien, Russland und Brasilien, herrschte nach wie vor Zurückhaltung ausländischer

Investoren gegenüber Entwicklungsländern (vgl. Brinkmann 2011: 19).

Gleichzeitig führte das „Platzen“ der DOTCOM-Blase 2000 zu weiteren Verunsicherung an den

internationalen Finanzmärkten. Der Zinsaufschlag für US-Anleihen stieg zwischen September und

November 2000 auf 8,5%. Da nun die Kapitalbeschaffung für Argentinien extrem teuer wurde, senkte

der IWF seine Wachstumsprognose für 2000 auf 2,2%, beließ diese für 2001 jedoch bei 4,2% (Jonas

2002: 13f.).

Der Effekt aus Kapitalflucht und ausbleibenden Investitionen verbunden mit der Unfähigkeit durch

Eingreifen der Zentralbank hierauf reagieren zu können, verstärkte sich in der Folge weiter.

Argentinien erhielt nun „vom IWF und weiteren internationalen Institutionen ein Gesamtkreditpaket

in Höhe von 39,7 Mrd. USD zur ‚Panzerung‘ (‚blindaje‘).

Neben einer neuen Kreditvereinbarung mit der Inter-American Development Bank (IADB) und der

Weltbank in Höhe von 5,0 Mrd. USD, erklärte sich auch Spanien bereit, eine Mrd. USD als Kredit zur

Verfügung zu stellen“ (Bogensprenger 2007: 31f.). Bedingungen hierfür waren u.a. eine Neuordnung

der Fiskalpolitik auf föderaler Ebene sowie eine konsequentere und effizientere Steuerpolitik.

8 = 5.398,61 Mio. SZR (Bogensprenger 2007: 31)

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Argentiniens Abhängigkeit gegenüber dem IWF war nun gewachsen, da ausländische Investoren

nicht bereit waren, das benötige Kapital zu investieren, um die Wirtschaft aus der Rezession in eine

Phase des Aufschwungs zu führen (vgl. Bickel 2005: 36). Die Vorgaben des IWF wurden in dieser

Phase nach unten korrigiert, was diesem den Vorwurf der Förderung von „Moral Hazard“

zuteilwerden ließ. Der IWF hingegen wollte um jeden Preis den Fall Argentiniens in dieser Phase

verhindern (vgl. Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 366).

Jene Maßnahmen sorgten für eine kurze Verbesserung der Investitionsbereitschaft und der

Zinksaufschlag sank etwas.

Nachdem sich abzeichnete, dass selbst die weicheren Konditionalitäten des IWF nicht eingehalten

werden konnten, sank die Zuversicht bezüglich der Rettung Argentiniens wieder. (vgl. Brinkmann

2011: 20). Im April, nach einer Phase politischer Unruhen, stiegen die Zinsaufschläge auf über zehn

Prozent. Nun versuchte der neu berufene Wirtschaftsminister Cavallo, dessen Masterplan die

Hauptursache sowohl des Wirtschaftswunders 1991-94 als auch der -krise bildete, durch die

öffentliche Ankündigung der Lösung des Peso von der USD-Parität und der Koppelung an einen

Währungskorb aus EUR und USD, die Katastrophe abzuwenden (vgl. Bogensprenger 2007: 32).

Des Weiteren sollte die Subventionierung aller Exporte – mit Ausnahme des Öls – sowie die

Verteuerung der Importe durch Zölle, die Leistungsbilanz verbessern9. Hierdurch sollte die

Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen verringert werden.

Im Juni 2001 offenbarte sich noch einmal die Skrupellosigkeit argentinischer Politiker: Um sein Amt

zu retten, verringerte Finanzminister Cavallo mittels eines dept-swap die Verbindlichkeiten des

Staates zwischen 2001 und 2005 um 12 Mrd. USD. Im Gegenzug für diese Entlastung, entstehen dem

Staatshaushalt nach 2005 Verbindlichkeiten in Höhe von 66 Mrd. USD gegenüber (vgl. Bickel 2005:

45).

Am 29.07.2001 beschloss die Regierung das zero-deficit-law: „die damit verbundene restriktive

Fiskalpolitik verschärfte allerdings die rezessiven Tendenzen. Auch durch eine Neuregelung der

Schuldenlasten sowie eine Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge und der Mehrwertsteuer

gelang es nicht mehr, das fehlende Vertrauen der Anleger und Konsumenten zurück zu gewinnen.

Somit wurde auch dieser letzte Versuch, einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen,

aufgegeben“ (Altenkirch/Kreis-Hoyer 2003: 355; vgl. Jonas 2002: 16).

Obwohl die meisten dieser Maßnahmen ohne Absprache mit dem IWF durchgeführt wurden und die

Märkte dies als konterproduktiv empfanden – dies zeigte sich infolge weiterer Zinsaufschläge

beschloss der IWF am 7. September 2001 aufgrund des beschlossenen zero-deficit-law sein SBA noch

einmal von 14 Mrd.10 auf 21,6 Mrd. USD aufzustocken.

9 Dieses Maßnahmenpaket wurde unter dem sog. Competitivness plan umgesetzt.

10 vom 12.01.2001

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Trotz dieser finanziellen Unterstützung schafft es der argentinische Staat – auch im Zuge der globalen

Unsicherheit nach dem 11.September 2001 – nicht, die Abwärtsentwicklung zu stoppen – die

fiskalischen Vorgaben wurden wieder gebrochen.

Aufgrund dessen beschloss der IWF schließlich die für Dezember geplante Zahlung aufzuheben.

Da sich die Situation hierdurch verschärfte, zogen viele Argentinier ihr Bankguthaben ab11, die

ohnehin geringe Sparquote sank weiter (vgl. 2.1 & 2.2). Infolge der exzessiven Kapitalflucht, trat ein

Gesetz, das sog. Corralito (span.: kleiner Stall), zur Beschränkung der Bargeldabhebung in Kraft (vgl.

Glüsing 2002: 72; Bogensprenger 2007: 33).

Die massiven Dollarkäufe sollten durch eine Barabhebungsbeschränkung auf maximal 250

argentinische Pesos pro Woche verhindert werden. Kurz darauf folgte der Corralón (span.: Stall),

wodurch Konten mit einem Guthaben über 10.000 Peso eingefroren und in festverzinsliche

Sparbücher mit einer Laufzeit bis 2010 umgewandelt wurden (Brinkmann 2011: 21).

Der Versuch der Regierung hierdurch die Zahlungsunfähigkeit zu stoppen scheiterte, es kam zu

Protesten und Gewaltausschreitungen. Der Staatsbankrott konnte nun nicht mehr abgewendet,

internationale Schulden nicht mehr bedient werden. Es folgte der Rücktritt Fernando De La Rúas und

vier weiterer Präsidenten bis Argentinien schließlich im Januar 2002 die Abkehr vom CBS bekannt

gab. Die Bekanntgabe der Zahlungsunfähigkeit bildet schließlich den Höhepunkt der Argentinienkrise.

5. Zur Konstruktion von Realität nach der Krise

Auch wenn sich Argentinien mittlerweile wieder auf einem Weg der Besserung befindet - die

Wirtschaft wächst, die Inflationsrate ist für argentinische Verhältnisse relativ gering – veränderte die

Krise die Wirklichkeitskonstruktion der meisten Argentinier deutlich. Als ich selbst im letzten Jahr in

Buenos Aires war, verwunderte mich das Kalkül mehrerer Argentinier, die mir erzählten, sie würden

bewusst auf Inflation und Wertverfall des Peso gegenüber dem USD spekulieren und Kredite mit

langer Laufzeit aufnehmen, obwohl sie nicht in der Lage wären diese jemals zu bedienen. Da sie, als

rationale Akteure, ihr nun ausgezahltes Geld in USD tauschten, verringere die kalkulierte Abwertung

des Peso gegenüber dem USD die reale Rückzahlungslast. Die Währung Peso hat für sie an Vertrauen

verloren, kommt sie doch der Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes nur ungenügend nach.

Karen Naundorf führte nach der Krise eine qualitative Untersuchung in Argentinien durch, die genau

diese Veränderungen im Praxisalltag der Menschen beschreibt.

Der durch die Krise verstärkte Vertrauensverlust in die Politik führte bei den Wahlen im Oktober

2001 zu 13% ungültigen Stimmen.

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Allein von März – Dezember 2001 wurden 18 Milliarden USD dem Finanzsystem entzogen.

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Die Zahl der Nichtwähler, ungültigen Stimmen und Enthaltungen überstieg „jene der Stimmen für die

beiden großen Parteien bei weitem – ein Zeichen für den Mangel an Alternativen in der

argentinischen Politik aus Sicht der Bürgerschaft“ (Haldenwang 2005: 9). Die Korruptionsaffären in

der Phase Menem führte zu einem Zweifel an der Legitimation der Volksvertreter (Naundorf 2005:

119). Die Hauptschuld der Krise trägt in den Augen vieler Argentinier aber das Ausland und die neo-

liberale Politik des WC:

„Diese ganze Krise ist die Überspitzung der liberalen Marktwirtschaft *...+ wie sie im Zeichen der

Globalisierung praktiziert wird, heißt: Diese vier Gesetze des Konsenses von Washington befolgen.

Also: Währung hoch, Preise runter, Schranken runter, lasst alles rein, verkauft, was ihr zu verkaufen

habt, privatisiert alles. Das ist dann verbunden mit Korruption, besonders bei den Privatisierungen.

Privatisierungen finden nicht ohne Schmiergelder statt, hier wurde enorm viel Geld kassiert, das

dann direkt in privaten Konten ins Ausland floss“ (Naundorf 2005: 124).

Gleichwohl erkennen die Argentinier – bei aller Betonung der Fehler, auch des IWF – die eigenen

Fehler an: So hätte vor allem eine stärkere Zivilgesellschaft und die Einmischung der Bürger in die

Politik gefehlt (edb.: 123), resultiere dieses Versagen aber auch aus der fehlenden demokratischen

Tradition aufgrund der langanhaltenden Militärregierung in den Jahren zuvor.

Die Auswirkungen der Krise zeigten sich aber auch im Alltag: Die Planung des Tagesablaufs richte sich

auch nach ökonomischen Gesichtspunkten wie dem Strompreis, Scheidungen und Beziehungskrisen

träten gehäuft auf und stellen somit soziale Tatbestände als Folge der Krise dar. Gleichzeitig herrsche

Isolationsangst durch Unsicherheit am Arbeitsplatz. Auch die Medien seien von der Krise betroffen:

So hätten die ökonomischen Probleme zu Entlassungen geführt, heute tätige Journalisten schätzen

sich selbst als weniger kritisch als vor der Krise ein, aus Angst vor einen Arbeitsplatzverlust (ebd.:

113ff.). Auch erkennen die Argentinier die Korruption als Problem sowohl für das Vertrauen

ausländischer Investoren in das Land als auch als Problem für die demokratische Mitbestimmung an.

„‘Wer ehrlich ist, gilt als Dummkopf‘, erklärt Isabel die Denkweise der Argentinier“ (Naundorf 2005:

123). Die Krise führte zudem zu einem verstärken Vertrauensverlust in Institutionen, besonders der

Justiz und der Polizei, die Vorwürfe reichen hierbei vom unangemessenen Einsatz von Schusswaffen

bis hin zu Folter und Vortäuschung von Selbstmorden (vgl. ebd.: 127).

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6. Fazit

Die Analyse der vielfältigen Ursachen der Argentinienkrise hatte auch zum Ziel, die teilweisen

einfachen Erklärungsmuster vieler Globalisierungskritiker, durch das umfassende Aufzeigen der

zahlreichen Probleme des argentinischen Systems zu widerlegen.

Von Seiten jener wird vor allem dem IWF der Vorwurf der Verbreitung imperialistischer Politik

seitens der USA zuteil, nach dem der IWF durch seine Kredite die Auslandsschulden Argentiniens

bewusst gefördert und durch die Umsetzung des Washington Consensus erst ermöglicht hätte.

Auch wenn der IWF im Falle Argentiniens deutliche Fehler begangen hat, so liegen die Ursachen der

Krise nicht bei den Hilfszahlungen, sondern in der verfehlten und inkonsistenten Politik Argentiniens.

Die Umsetzung des Konvertibilitätsplans begleitet von zahlreichen strukturellen Reformen führte in

den 90er Jahren zu Geldwertstabilität und hohen Wachstumsraten. Während dieser Jahre gelang es

Argentinien, einige größere externe Schocks, wie die Mexikokrise, zu bewältigen und so die

Glaubwürdigkeit des eigenen Festkurssystems zu stabilisieren. Gleichzeitig wurden wichtige

Strukturmaßnahmen versäumt oder schlecht umgesetzt.

Mit Beginn der Asienkrise 1998 führten zunehmend rezessive Tendenzen wieder zu steigenden

Haushaltsdefiziten. Nachdem die Einnahmen aus Privatisierungen langsam nachließen, die

Staatsausgaben stiegen und die Staatseinnahmen sanken, gerieten die argentinische Wirtschaft und

somit auch der Konvertibilitätsplan immer mehr unter Druck.

Unterlassene strukturelle Anpassungen erhöhten immer stärker die Anfälligkeit Argentiniens für eine

Währungskrise, so dass das Land im Jahr 2002 nicht mehr in der Lage war, das CBS weiterhin aufrecht

zu erhalten. Auslöser der Krise waren dabei zwar sicherlich auch externe Schocks wie die Abwertung

des brasilianischen Reals im Jahr 1999, die eigentlichen Ursachen lagen aber in der steigenden

Staatsverschuldung und den fehlenden Strukturreformen. Während die strukturellen Ursachen der

argentinischen „Krankheit“ unbeachtet blieben, rückte eine Behandlung der „Symptome“ in den

Vordergrund. Diese inkonsistente Wirtschaftspolitik führte letztendlich zu einer weiteren

Destabilisierung des Konvertibilitätsplans und endete schließlich mit dem Zusammenbruch des CBS.

Durch all diese Faktoren und deren Zusammenspiel wird die Interdependenz der Faktoren deutlich.

Hätte Argentinien das CBS anders installiert – beispielsweise durch eine Koppelung an einen

Währungskorb – wäre die Krise sicherlich anders verlaufen oder gar nicht eingetreten.

Andererseits führte das CBS zu einem starken Wachstum.

Korruption und Verschwendung wiederum führten neben den Spillover-effekten internationaler

Krisen, zu einem Vertrauensverlust sowohl bei nationalen als auch internationalen Investoren und

schwächten das CBS erheblich.

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Abschließend sei anzumerken, dass die heutige Krise in Griechenland ähnliche und teilweise gar

identische Faktoren aufweist: extreme Steuerhinterziehung, Vertrauensverluste der Sparer und

Investoren, gleichzeitig aber die Abhängigkeit von ausländischem Kapital, eine unzureichend

leistungsfähige Wirtschaft im Vergleich zu den anderen Euro-Ländern und die nicht vorhandene

Möglichkeit der Abwertung. Das Allheilmittel besteht auch in diesem Fall in der Privatisierung der

Staatsbetriebe, Kürzungen von Löhnen und Renten, Massenentlassungen und dem Versuch, die

Regierung zu Sparmaßnahmen zu zwingen, die letztlich in einem ausgeglichenen Haushalt münden

sollen. Doch haben all diese Maßnahmen im Falle Argentiniens wenig genützt, ob auch in

Griechenland eine Rezession die Folge sein wird oder Lehren aus der Argentinienkrise im Falle

Griechenlands gezogen wurden, stellt eine durchaus interessante Forschungsfrage dar.

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