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Armands Werke / Die geraubten Kinder Marburger Ausgabe / Eine Erzählung aus Texas für die Jugend von Fredéric Armand Strubberg, Ulf Debelius 1. Auflage Tectum 2011 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8288 2718 9 schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

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Armands Werke / Die geraubten Kinder

Marburger Ausgabe / Eine Erzählung aus Texas für die Jugend

vonFredéric Armand Strubberg, Ulf Debelius

1. Auflage

Tectum 2011

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 8288 2718 9

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Ar m A n d s We r k e

Marburger Ausgabe

Herausgegebenvon

Ulf Debelius

Die geraubten Kinder

Band XVIII

Ar m A n d

Herausgegeben und mit einem Anhang versehenvon

Ulf Debelius

MarburgTectum Verlag

2011

Text nach der ersten Buchausgabe 1875

die gerAubten kinder

Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Ulf Debelius© Tectum Verlag, 2011Schutzumschlaggestaltung vom Herausgeber unter Verwendung des Gemäldes Home in the Wilderniss (1853) von John Denison Crocker (1823-1907) (Detail). (akg-images)Gesetzt in der Garamond 10ptDruck und Bindung: SDL, BerlinISBN: 978-3-8288-2718-9www.armands-werke.dewww.tectum-verlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar

Prof. Dr. mont. Dipl.-Ing.Siegfried C. Augustin

(1946-2011)

in dankbarer Erinnerung gewidmet

Inhalt

Die geraubten Kinder

I. Die Familie des Rittmeisters v. Bialof. ................................... 11II. Heimkehr von der Jagd. ........................................................... 19

III. Der Raub der Kinder. .............................................................. 24IV. Röschen und Karkhui, der Mescalero. .................................. 31V. Ankunft im Lager der Indianer. .............................................. 39

VI. Ein Ritt in den Urwald. ............................................................ 48VII. Die Büffelheerde. ..................................................................... 60

VIII. Nach Norden. ........................................................................... 64IX. Am rothen Flusse. .................................................................... 72X. Paringa’s Kriegslist. .................................................................. 82

XI. Die erste Spur. .......................................................................... 89XII. Der Orkan. ................................................................................ 94

XIII. Pakajucka, der Comantsche-Häuptling. ................................ 107XIV. Das Reich der Mescaleros. ...................................................... 114XV. Katensi’s Botschaft. .................................................................. 122

XVI. Die Höhle des grauen Bären. .................................................. 127XVII. Die Fährte am Ufer. ................................................................. 132

XVIII. Die Schrift auf dem Felsen. .................................................... 139XIX. Die Flucht der Kinder. ............................................................. 147XX. Unter dem Wasserfall. .............................................................. 155

XXI. Paringa’s Trauer. ....................................................................... 165XXII. Der Honigbaum. ...................................................................... 174

XXIII. Vergebliches Suchen. ............................................................... 182XXIV. Die Ueberschwemmung. ......................................................... 192XXV. Die räthselhafte Spur. .............................................................. 199

XXVI. Der Königsadler. ...................................................................... 204XXVII. Mutterliebe. ............................................................................... 209

XXVIII. Gefunden! ................................................................................. 215XXIX. Aufbruch nach der Heimath. .................................................. 223

Anhang

Textgeschichte ....................................................................................... 229Wirkung ..................................................................................................... 233Textgestalt ................................................................................................ 234Stellenkommentar ................................................................................ 236Quellen und Literatur ......................................................................... 242 Quellen ......................................................................................... 242 Literatur ........................................................................................ 243Editionsrichtlinien und Abbildungsnachweis ......................... 245Danksagung ............................................................................................ 246

Die geraubten Kinder.

Eine Erzählung aus Texas für d ie Jugendvon

Ar mand.

Mit 4 Bildern in lithographischem Farbendruckvon

Professor H. Bürkner.

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Erstes Kapitel.Die Familie des Rittmeisters v. Bialof.

In dem ewig frühlingsgrünen, von den durchsichtigen Wogen des mexicanischen Golfs bespülten schönen Texas, über des-sen unabsehbare, Jahr aus Jahr ein mit tausendfältigen Blumen

geschmückte Prairien die frische, kühle Seeluft ununterbrochen hinweht und die sengende Gluth der Sonnenstrahlen verscheucht, in dessen krystallklaren, schäumend brausenden Strömen man die Fische bis auf den tiefsten Grund spielen sieht, dessen Riesenur-wälder in ihrem Dunkel die prächtigsten Blüthen und die süßesten Früchte zur Schau tragen, und dessen Westen von purpurblauen Gebirgen begrenzt ist, liegt ein Städtchen, welches Friedrichsburg heißt. Friedrichsburg wurde im Anfange der vierziger Jahre von deutschen Einwanderern erbaut und zählte nach wenigen Jahren bereits über tausend Bewohner, trotzdem es noch immer spärli-chen Verkehr mit der übrigen Welt hatte. Es liegt hoch in den westlichen Gebirgen; die nächsten Städte Neu-Braunfels, ungefähr zu gleicher Zeit ebenfalls von Deutschen gegründet, südlich von Friedrichsburg und Austin am Colorado ostwärts von demselben gelegen, waren über hundert englische Meilen entfernt, und im Norden und Westen breitet sich die Urwildniß aus.

Die Haupterwerbsquellen der Friedrichsburger bestehen in Viehzucht und Ackerbau und was sie von ihren Bedürfnissen nicht selbst erzeugen können, beziehen sie von ihren Nachbarstädten.

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Die Stadt, an ihrer Nord- und Ostseite von steilen Bergkuppen überragt, liegt in einem reizenden Thale, welches sich mit dem Laufe des weiter südlich vorüberfließenden Stromes Pierdenales weithin nach Osten ausdehnt. Zwei kleine rauschende Flüßchen durchschlängeln ihre Straßen und bieten durch ihr klares, kaltes Wasser der Einwohnerschaft eben so vielen Nutzen, wie Annehm-lichkeit. Nette, durch Verandas gegen die Sonne geschützte und von Gärten umgebene, meist aus Holz aufgeführte Häuser reihen sich zu beiden Seiten der breiten, geraden Straßen aneinander und gewähren durch ihre Verschiedenheit in der Form und durch die grünen, buntblühenden Schlingpflanzenverzierungen, womit ein-zelne ganz überdeckt sind, dem Auge ein überraschendes, liebli-ches Bild. Zumal am Abend, wenn die Sonne hinter den hohen Felskuppen versinkt, der feurige Himmel sich in den rauschenden Wellen der beiden Flüßchen spiegelt und die fleißigen Friedrichs-burger, von ihrer Tagesarbeit heimgekehrt, mit Frau und Kind vor ihren Wohnungen sitzen, um sich mit ihnen der Abendkühle zu erfreuen, dann glaubte man, im Lande des ewigen Friedens zu sein, solch gemüthliche Ruhe, solche traute Stille liegt dann auf dem saubern Städtchen.

Und doch war dieses Land zu der Zeit, in welcher diese Erzäh-lung beginnt, noch lange nicht das Land des ewigen Friedens, denn rund um das Städtchen lebten feindselige wilde Indianerhorden, die manchmal schon durch Raub und Mord schweres Leid unter die Bewohner desselben gebracht hatten. Zwar waren die Fried-richsburger ihren Feinden gewachsen, und bei offenen Angriffen der Indianer wurden dieselben trotz ihrer bedeutenden Ueber-macht stets mit großen Verlusten in ihre Wildniß zurückgejagt, so daß sie diese schon längst aufgegeben, aber trotzdem fügten sie ihnen immer wieder neuen Schaden zu, indem sie sich in die Nähe der Stadt schlichen, unbewachte Heerden forttrieben und einzelne Bewohner, die sich zu weit von der Stadt entfernt, überfielen und tödteten.

War nun wieder eine solche Schreckensthat geschehen, dann durchstreiften die Friedrichsburger Männer die nahe und ferne Umgegend, um Rache an den Wilden zu nehmen. Doch diese wa-ren dann meist nicht mehr zu finden, und Alles blieb ruhig, bis

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die Einwohnerschaft des Städtchens sich abermals der gewohnten Sorglosigkeit hingab und ihnen dadurch wiederum Gelegenheit bot, neue Wunden zu schlagen.

An dem westlichen Ende von Friedrichsburg öffnet sich eine Schlucht in den Bergen, durch welche das eine Flüßchen von ei-nem, mehrere Meilen entfernten Thale hergebraust kommt und seine Wellen plätschernd hin und her durch das Städtchen rollt. Bald, nachdem dasselbe die Schlucht verlassen hat, schuf es durch kurze Windungen eine kleine Halbinsel, um welche es sich über gewaltige Felsblöcke stürzt und in seinem Laufe über dieselben eine Reihe von schäumenden Wasserfällen bildet, in deren Nähe die Luft immer frisch und kühl ist.

Die Halbinsel war im Besitz eines Friedrichsburger Bürgers, Namens Bialof, der sich dort einen reizenden Wohnsitz gegründet. Derselbe war von Geburt ein Galizier und hatte als Rittmeister in österreichischen Diensten gestanden. Es war der zweite Sohn aus einer alten adligen, in Galizien sehr begüterten Familie. Die gro-ßen Besitzungen derselben gehören aber immer dem ältesten Sohn, und so bezog er als Zweitgeborener nur einen Jahresgehalt von einigen tausend Gulden, welche ihm mit seinem Gehalt als Ritt-meister, so lange er unverheirathet gewesen war, eine sorgenfreie Existenz gewährt hatten.

Als er aber eine Gräfin B. zur Frau genommen hatte und Vater von zwei Kindern, einer Tochter und einem Sohn, geworden war, sah er nach einigen Jahren ein, daß er mit seiner Familie nicht in der früher gewohnten kostspieligen Weise werde fortleben, namentlich aber seinen Kindern keine seinem Stande gemäße Zukunft werde sichern können. Diese Ueberzeugung brachte ihn schließlich zu dem Entschluß, seinem Vaterlande Lebewohl zu sagen und nach Amerika auszuwandern, wo Standesvorurtheile keine unnöthigen Ausgaben nothwendig machen und wo er mit Fleiß und Sparsamkeit seiner Familie eine sorgenfreie Lebensstellung zu gründen hoffte.

Texas war damals das Land, wohin Tausende von Unzufriede-nen und Europamüden ihre sehnsüchtigen Blicke richteten und auch Bialof wählte es zu seiner neuen Heimath. Er machte seinen Besitz zu Geld, so daß er ein Kapital in der Hand hatte, um sich damit eine Niederlassung gründen zu können und schiffte sich mit

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Frau und Kind und einem treuen Diener nach Amerika ein. Nach einer glücklichen Fahrt dort gelandet, kaufte er Fuhrwerk und zog von der Meeresküste nach Neu-Braunfels, von da aber nach kurzem Aufenthalt nach dem noch nicht lange erstandenen Fried-richsburg, weil seine alte Heimath zwischen Bergen gelegen hatte und ein flaches Land ihm und seiner Gattin zu fremd und unhei-misch erschien.

Beide waren mit bescheidenen Erwartungen nach Amerika ge-kommen, sie hatten ihrer Phantasie nicht erlaubt, Luftschlösser auf-zubauen und von Paradiesen zu träumen, und darum überraschten sie die vielen Schönheiten des Wunderlandes Texas um so mehr.

Das zauberisch herrliche Land um Neu-Braunfels mit seinen beiden wildschäumenden Krystallströmen, der Guadelupe und dem Comal und seinen ewig mit Blumen übersäeten Prairien hatte sie zwar entzückt, doch war es ihnen zu eben und die Sonnengluth hatte sie niedergebeugt. In der frischen Bergluft aber auf der rohen Straße nach Friedrichsburg hatten sie ihre neue Heimath freudig begrüßt und ihr der Schönheit Vorzug vor ihrem Vaterlande ein-geräumt.

Einen unbeschreiblich wohlthuenden Eindruck hatte der An-blick der Stadt auf sie gemacht, als sie Abends unter dem hochge-rötheten Himmel in die breite, zu beiden Seiten mit Ulmen gezierte San-Saba-Straße einfuhren und links und rechts die Bewohner der grünumrankten Häuser friedlich zusammen sitzen sahen, während dieselben ihnen freundlich Willkommen zuriefen.

Sie waren bis an das Ende der langen Straße und dort aus der Stadt hinausgefahren, um gutes Gras und Wasser für ihre Pferde zu finden und hatten nahe bei der noch wüst liegenden Halbinsel ihr Lager für die Nacht aufgeschlagen.

Dieselbe fesselte damals sofort die Aufmerksamkeit Bialof ’s, die auf derselben prangenden Gruppen von uralten, prächtigen, ewig grünen Lebenseichen schienen ihn in ihre dunklen Schatten einzuladen, die über die Felsen hinschäumenden Wellen verbrei-teten eine so wohlthuende Kühle nach dem langen, heißen Tages-marsche über die hohen, kahlen Berge, und die herrlichen Blumen, die ihre zarten Kelche, wie sich erquickend, in dem wehenden Was-serstaub badeten, gaben dem reizenden Bilde eine so zauberisch

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schöne Färbung, daß Bialof sich gleich am folgenden Morgen zum Vorstand der Colonie begab und die Insel für einen sehr mäßigen Preis kaufte. Nach wenigen Monaten schon war dieselbe in einen reizenden Garten umgewandelt; unter den mächtigen dunklen Ei-chen standen nette, aus Holz aufgeführte Wohn- und Wirthschafts-gebäude, eine zierliche Brücke führte an der Seite nach der Stadt über das brausende Wasser und allabendlich saß die glückliche Familie Bialof ebenso gemüthlich wie die andern Friedrichsburger Familien vor ihrer Wohnung und ruhte sich von ihrer Tagesarbeit aus; denn Herr v. Bialof arbeitete mit seinem treuen Diener Joseph täglich fleißig in einem kleinen Maisfelde unweit der Stadt und sei-ne Gattin besorgte mit Hülfe ihrer siebenjährigen Tochter Rosalie, oder Röschen, wie sie genannt wurde, alle häuslichen Geschäfte.

Beinahe zwei Jahre waren den Bialof ’s so in ungetrübtem Glück verstrichen, ganz Friedrichsburg hatten sie sich zu Freund gemacht und sie kannten keinen anderen Wunsch mehr, als daß der Himmel ihnen ihr Glück erhalten möge.

Lächelnd verglichen sie oftmals ihr kostspieliges, hoffärtiges, eitles Leben in ihrem Vaterlande, wobei alles Geld bei größter Sparsamkeit doch niemals ausreichen wollte, mit ihrem jetzigen Leben voll Ueberfluß an Allem, was zu ihrem Unterhalte, zu ihrer Bequemlichkeit und Annehmlichkeit nöthig war, während sie doch das Geld, welches Bialof alljährlich aus den Familiengütern in Gali-zien bezog, niemals ganz ausgaben.

Ihr größtes Glück aber waren ihre beiden Kinder, Röschen, jetzt neun, und Alfred, acht Jahre alt. Frisch und kräftig an Geist und Körper, gediehen die beiden Lieblinge zur Freude ihrer Eltern, die keine Minute versäumten, um ihr eigenes, vielseitiges Wissen auf dieselben zu übertragen. Außerdem ertheilte der Pfarrer, ein sehr kenntnißreicher, gebildeter Mann, ihnen täglich Unterricht, so daß es für die geistige Ausbildung derselben an Nichts fehlte und für ihr körperliches Gedeihen sorgte das naturgemäße Leben in der freien Luft, denn das milde, wundervolle Klima erlaubte es, fast immer im Freien zu sein.

Es war an einem Sonnabend gegen Sonnenuntergang, als Frau von Bialof mit ihrer Näharbeit vor dem Hause unter der prächtigen alten Eiche saß und Röschen, welche an ihrer Seite Platz genom-

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men hatte, im Häkeln Unterricht ertheilte, während Alfred unweit von ihnen, mit Bogen und Pfeil bewaffnet, nach einem Ziele schoß.

Frau von Bialof war eine schöne Frau von beinahe dreißig Jah-ren, eine nicht sehr große, zart, doch im schönsten Ebenmaße ge-baute Brünette mit prächtigem Haar und lichtbraunen, sinnenden Augen. Sie war auffallend ruhig und gelassen in Allem, was sie that, in Allem lag eine gewisse Bestimmtheit, aus welcher man heraus-fühlte, daß sie wohl auch heftig bewegt werden konnte.

Röschen dagegen war das reine Bild der Milde und der Sanft-muth. Mit ihrer schneeigen Haut und ihren kindlich zart rothen Wangen glich sie einer Rosenknospe, ihr wundervolles blondes Lockenhaar fiel wie Sonnenschein über ihre Schultern und in ih-ren großen blauen Augen schien sich der Himmel zu spiegeln. Sie kannte kein anderes Gefühl, als Liebe zu ihren Eltern, zu ihrem Bruder und zu Gott, an den sie so gern ihre frommen Gebete rich-tete und ihm für jede Freude, die ihr zu Theil wurde, dankte.

»Sieh’, Mutter, Alfred hat schon wieder das Stück Papier getrof-fen, welches er an die Eiche festgemacht hat, der Pfeil steckt beina-he mitten darauf,« sagte Röschen freudig zu ihrer Mutter und zeigte seitwärts nach ihrem Bruder hin.

»Ja, er ist ein ganz fähiger Junge und wird mit Gottes Hülfe ein-mal ein kräftiger Mann werden,« entgegnete die Mutter und fügte nach einer kurzen Pause noch hinzu:

»Wie Du Dich mit Deiner Häkelarbeit, durch Deine Hülfe in Kü-che und Haus für die Zukunft vorbildest, so bereitet sich auch Al-fred schon jetzt für seinen späteren Lebensberuf vor. Alfred für das große öffentliche Leben, in welchem der Mann manchen schweren Kampf zu bestehen hat, Du für den kleinen häuslichen Lebenskreis, der uns Frauen von der Natur zu unserem Wirken angewiesen ist. Der Mann, der unser Führer, unsere Stütze im Leben sein soll und alle ernsten Sorgen für uns übernimmt, ist von der Vorsehung mit den nöthigen Kräften versehen worden, um dieser Aufgabe ge-wachsen zu sein, wir dagegen haben statt der größeren Kräfte sol-che Eigenschaften erhalten, welche uns befähigen, dem Manne für den Schutz, für die Hülfe, die er uns angedeihen läßt, uns dankbar zu zeigen und ihm das Leben zu versüßen; Gott hat uns Liebens-würdigkeit, Herzlichkeit, Nachgiebigkeit und einen richtigen Blick

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für Alles gegeben, was unserem kleinen Wirkungskreise angehört und hier sehen wir schärfer, als der Mann, der gewohnt ist, das gro-ße öffentliche Leben zu überschauen. Für den Mann ist es häßlich und unwürdig, wenn er sich um unsere häuslichen Angelegenheiten ins Kleinliche kümmert, noch viel häßlicher ist es aber, wenn wir Frauen die Rolle des Mannes im öffentlichen Leben spielen wol-len; es giebt nichts Widrigeres, nichts Unnatürlicheres, als ein Weib, welches sich wie ein Mann benimmt. Bescheidenheit, Sanftmuth, Wahrheit und Herzensgüte sind die höchsten Tugenden unseres Geschlechts und auf ihnen allein beruht unser Lebensglück, spen-den wir solches durch diese Tugenden, so wird es uns selbst noch in höherem Maße zu Theil. Es giebt überhaupt kein größeres Glück im Leben, als Gutes zu thun und dadurch glücklich zu machen.«

Röschen hatte der Mutter aufmerksam zugehört und sagte dann, als dieselbe schwieg:

»Ja, liebe Mutter, aber um Andern Gutes zu thun, muß man viel Geld haben.«

»Nein, liebes Mädchen, das ist dazu nicht nöthig. Wenn man Anderen so recht nach Wunsch lebt, Alles thut, was ihnen ange-nehm ist, und alles Unangenehme von ihnen abzuwehren sucht, das macht glücklich, und wenn Jemand traurig und in Noth ist und man zeigt ihm Theilnahme an seinem Leid und sucht ihn zu trö-sten und ihm Hoffnung einzusprechen, das thut ihm wohl und ist ihm oft von viel größerm Werthe, als Geld. Kann man aber mit Geld das Unglück Anderer mildern, so soll man ihnen damit helfen, das heißt, mit so viel Geld, wie man entbehren kann, ohne sich selbst zu schaden.«

Bei diesen Worten ließ die Frau die Näharbeit auf ihren Schooß sinken und blickte nach der Schlucht.

»Wo bleibt der Vater so lange?« hub sie an – »die Nacht wird bald hereinbrechen und dann sehe ich es gar nicht gern, wenn er noch nicht zu Hause ist.«

»Er hat gewiß eine gute Jagd gemacht,« bemerkte Röschen, in-dem sie ihre Arbeit zusammenrollte und aufstand. »Ach, liebe Mut-ter, sieh nur, wie schön roth der Himmel sich in dem Wasser zeigt,« fuhr sie fort, indem sie auf das Brückchen trat, wohin ihr die Mut-ter nachfolgte.

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»Ja, es ist schön, sehr schön hier,« sagte die Frau mit einem tie-fen Athemzug so recht aus glücklich bewegter Brust und schaute dann in das rauschende Wasser hinab, das, vom Schein des Abend-himmels geröthet, wie ein glühender Lavastrom unter ihnen hin-schoß, während von beiden Ufern herab die reizendsten Blumen mit seinen Wellen spielten und ihren süßen Duft der lauen Abend-luft einhauchten.

»Der gütige Gott hat uns in dieses schöne Land geführt und uns dieses reizende Plätzchen zu unserer neuen Heimath angewie-sen,« begann die Frau nach einer Weile wieder, »möge er uns unser Glück auch fernerhin schützen und erhalten!«

Diese letzten Worte sagte Frau von Bialof halb beunruhigt und blickte zum Himmel auf, der sich jetzt blutroth gefärbt hatte, wäh-rend das Düster der schnell hereinbrechenden Nacht über die Erde zitterte.

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Zweites Kapitel.Heimkehr von der Jagd.

Da hörte sie fernen Hufschlag. »Der Vater!« jubelte Rös-chen und sprang über die Insel und die Landzunge nach der Schlucht. Sie hatte sich nicht getäuscht, in wenigen

Augenblicken ritt Herr von Bialof, gefolgt von seinem Diener Jo-seph, der einen stattlichen Hirsch hinter sich auf dem Pferde trug, aus derselben hervor.

Bald hatte das Kind den Vater erreicht, der schnell vom Pferde stieg und den Liebling an seine Brust drückte. Auch Alfred war herbeigeeilt und sprang jauchzend am Vater in die Höhe. Zärtlich küßte derselbe den schönen, braungelockten Jungen, hob ihn auf sein Pferd und befahl dem Erfreuten, den Rappen nach Hause zu reiten. Dann eilte er seiner Frau, die ihn zu bewillkommnen heran-kam, entgegen.

»Guten Abend Herzens-Thekla, Du hast mir wohl gezürnt, daß ich so lange ausblieb?«

»Nein, Arthur, das Wort Zürnen kommt in unsern vier Wän-den nicht vor, aber unruhig war ich schon über Dein spätes Aus-bleiben,« antwortete die glückliche Frau, legte ihren Arm liebevoll um die Schulter ihres Gatten und reichte ihm ihren schönen Mund zum Kusse.

»Der Hirsch hat auch viel Zeit gekostet, ich habe ihn mehrere Meilen weit verfolgen müssen, bis ich ihn endlich mit einem zwei-

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ten Schusse tödtete; ich hatte ihn das erste Mal schlecht getroffen,« sagte Bialof, indem er, seine Gattin im Arm und Röschen an der Hand, seiner Wohnung zuschritt.

»Mir ist immer bange, daß Dir die Indianer einmal etwas zu Lei-de thun könnten, wenn Du Dich so weit von der Stadt entfernst,« fuhr die Frau fort, »dies ist die einzige Sorge, der einzige trübe Gedanke, der manchmal meine Seele beschleicht, sonst kenne ich wahrlich nichts, als Glück!«

»Diese Sorge, beste Frau, darfst Du ruhig bei Seite legen, denn die Indianer kommen nicht mehr in diese Gegend und außerdem würden sie es nicht wagen, mich und Joseph anzugreifen, wir sind ihnen durch unsere Schußwaffen zu sehr überlegen,« entgegnete Bialof.

»Nun, es ist doch kaum ein halbes Jahr verflossen, seit sie den unglücklichen Stummen, den Musicus Vogel von hier ermordet ha-ben, und das geschah ja nicht weit von der Stadt. Es ist bekannt, daß wenn diese Wilden sich gar nicht sehen lassen, sie in der Re-gel auf der Lauer liegen, um irgend etwas Böses gegen die Weißen auszuführen. Du solltest Dir immer, wenn Du auf die Jagd gehst, noch einige Jagdgefährten mitnehmen, Du hast ja viele Freunde hier.«

»Mach Dir keine unruhigen Gedanken, gutes, geliebtes Weib, mir droht keine Gefahr von Seiten der Indianer, eher hätte ich Ursache, solche für Euch, meine Lieben, zu befürchten, wenn ich Euch verlasse; denn wenn es auch nur ein Büchsenschuß weit von hier nach der Stadt ist, so wäre gar leicht hier eine Unthat durch die Wilden verübt, ohne daß Jemand in der Stadt es gewahr würde. Ich habe mir auch fest vorgenommen, immer, wenn ich mich von Hause entferne, einen zuverlässigen Mann hier Wache halten zu lassen.«

Hierbei hatten die Glücklichen ihre Wohnung erreicht, Alfred, welcher Joseph das Pferd übergeben hatte, nahm seinem Vater die Büchse und die Kugeltasche ab, um sie in das Haus zu tragen, Rös-chen Rock und Hut zu gleichem Zweck und nun ließ Bialof sich auf der grün überrankten Bank vor dem Hause nieder, während seine Gattin nach der Küche eilte, um das einfache Abendbrod hinaus auf den Tisch vor ihm aufzutragen.

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Zweites Kapitel 21

»Hat denn mein Röschen heute hübsch gelernt?« fragte Bialof das liebliche Kind als es zu ihm zurückgesprungen kam und sich in seinen Arm schmiegte.

»Ja, Papa, der Herr Pfarrer sagte, ich hätte recht gut gelernt; erst haben wir Geographie und dann Geschichte gehabt und frag’ einmal die Mutter, wie gut ich häkeln kann,« antwortete Röschen freudig.

»Du bist auch mein braves Mädchen; Du mußt nun aber auch in der Küche tüchtig lernen, damit Du der guten Mutter die Arbeit dort erleichtern kannst; denn Haus, Küche und Garten ist die Welt der Frauen.«

»O, wie viele Maiskuchen habe ich schon gebacken und wenn wir einen Braten haben, begieße ich ihn recht oft, damit er nicht anbrennt.«

»Recht so, mein Röschen, ein angebrannter Braten zeugt immer von Nachlässigkeit der Köchin.«

»Und Kaffee koche ich ja jeden Morgen!«»Dann merke Dir, mein Liebling, daß Du künftig einige Bohnen

mehr hineinthust, er ist manchmal sehr dünn,« versetzte Bialof la-chend und küßte das Kind zärtlich.

In diesem Augenblick kehrte Frau von Bialof mit den Speisen zurück.

»Mutter,« rief Röschen ihr zu, als sie dieselben auf den Tisch setzte, »Du hattest mir heute Morgen zu wenig Kaffee gegeben, der Vater sagt er wäre zu dünn gewesen!«

Herzlich lachend erwiederte diese:»Wer mit Wenigem Haus halten kann, ist reich und der reichste

Mann, der zu viel ausgiebt, ist arm, Du kleine Plaudertasche.«So plauderte die glückliche Familie an dem wonnigen Frühlings-

abend. Die mit süßem Blumenduft gewürzte Luft hatte sich wohl-thuend abgekühlt und der tief dunkle Himmel prangte in seinem blitzenden Sternengeschmeide, während über der ganzen Grasflä-che bis an die Stadt wie eine Wolke tanzender Funken Milliarden von leuchtenden Insecten schwebten. In der dichten Krone der al-ten Lebenseiche vor dem Hause flötete ein Spottvogel seine ewig neuen wundervollen Melodien in die kühlende Nacht hinaus und unter den weitausgebreiteten Riesenästen des Baumes brauste das Wasser von Fels zu Fels.

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Arm in Arm saßen die Gatten, umgeben von ihren geliebten Kindern, auf der Bank vor ihrer Wohnung, welche matt von der kleinen Lampe auf dem Tische beschienen wurde, und gaben sich mit ganzer Seele ihrem vollkommenen Glücke hin.

Allmählig hatte sich der östliche Himmel mehr und mehr erhellt und die tiefe Dunkelheit von der Erde verdrängt, jetzt färbte es sich über dem Horizont in zartem rosa Hauch, und die glühend ro-the Scheibe des vollen Mondes stieg in kolossaler Größe langsam am Himmel empor. Heller und glänzender legte sich das Mond-licht über die Gegend, in Friedrichsburg waren die Lichter vor ihm verblichen, die steinigen Höhen der Berge schillerten in seinem Silberschein, auf den Stämmen der dunklen Eichen um Bialofs Wohnung zitterte es wie Perlmutterglanz und in den schäumenden Wellen um die Insel spiegelte es sich wie Atlasschimmer, während die Schatten um so tiefer, um so schwärzer erschienen.

»Welche Pracht, dieses Licht,« rief Frau von Bialof aus, »es ist doch derselbe Mond, der unsere alte Heimath beschien, aber wie matt, wie grau war dort sein Schein gegen dieses Zauberlicht!«

»Ja, und dort glaubten wir, daß Amerika keine Singvögel besitze und daß allein wir auf die Nachtigall stolz sein könnten, und hör’ nur, wie der Cardinal, ohne zu ruhen, sein melancholisches Lied ebenso süß, wie unsre Nachtigall durch die Stille der Nacht flötet und wie unser Liebling hier in der Eiche über uns, der reizende Spottvogel, seine lustigen Weisen dem Monde zujubelt,« versetzte Bialof begeistert.

»Was mögen unsre Hunde wohl vorhaben, schon seit mehreren Nächten sind sie so unruhig und bellen fast fortwährend,« bemerk-te die Frau, als der Diener Joseph mit dem Gewehr im Arm vor dem Hause erschien und im Vorübergehen zu seiner Herrschaft sagte:

»Ich muß doch einmal sehen, warum die Hunde so toben, sie sind ja doch sonst nicht so unruhig.«

»Wahrscheinlich sind Wölfe in der Nähe, die werden von den Hunden weithin gewittert,« versetzte Bialof.

Joseph eilte mit den Hunden nach der Schlucht hin und feuerte sie an, doch kam er bald darauf mit der Kunde zurück, daß es blin-der Lärm gewesen sei.

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Zweites Kapitel 23

»Wenn es nur nicht Indianer sind, die uns umlauern, um etwas Böses gegen uns auszuführen,« sagte die Frau besorgt, »der Gedan-ke ist mir so unheimlich, so peinigend!«

»Beruhige Dich doch darüber, beste Thekla, es liegt gar kein Grund zu Deinen Besorgnissen vor und Du trübst Dir Deine glückliche Heiterkeit,« versetzte Bialof beruhigend. »Ein einziger Schuß würde alle unsere Freunde in der Stadt sofort hierherrufen und so schnell sollten Indianer nicht in unser Haus kommen, Jo-seph und ich, wir würden ihnen mit unsern Schrotflinten einen schlechten Empfang geben.«

»Mit Gewalt werden sie nichts gegen uns unternehmen, aber mit List und meuchlings,« antwortete die Frau. »Wie viele Leute sind in Friedrichsburg durch die offnen Fenster in ihren Stuben von den Wilden erschossen worden! Wir wohnen hier so nahe an der Schlucht, durch welche zwar ein Weg führt, der aber von den Friedrichsburgern wenig begangen wird, da die Felder und die Weide nach der andern Seite hin liegen. Ich habe unseren Kindern auch aufs Strengste verboten, allein die Insel zu verlassen, es sei denn, daß sie hier über die Brücke geraden Weges nach der Stadt gehen; nach hinten, der Schlucht zu, sollen sie ein für allemal sich nicht begeben.«

»Vorsicht ist ja gut, nur muß man sich dabei nicht unnöthig äng-stigen,« bemerkte Bialof.

»Es ist auch nicht allein der Indianer wegen rathsam, daß die Kinder nicht ohne uns nach der Schlucht gehen, es könnte ja auch ein hungriger Panther oder gar ein Jaguar dort lauern, und die sind ebenso gefährlich, wie die Wilden. Auch giebt es weiter in die Schlucht hinein in dem Grase am Wasser noch viele Klap-perschlangen; hier in der Nähe der Stadt haben die Schweine sie glücklicherweise vollständig vertilgt.« –

Es wurde spät, ehe die glückliche Familie ihr schönes Plätz-chen verließ, um sich zur Ruhe zu begeben; denn die Nacht war zu herrlich. Joseph, der mit seiner Flinte seitwärts unter einer Ei-che gesessen, folgte ihnen, nachdem er Thür und Fenster sorgfältig geschlossen, in das Haus und nur die fünf großen, bösen Hunde blieben zurück, um Wache zu halten.

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Drittes Kapitel.Der Raub der Kinder.

In ungestörtem, glücklichem Frieden war abermals eine Woche verflossen und wieder hatte Herr von Bialof lange vor Tages-anbruch seine Wohnung mit seinem Diener und einem Hund

verlassen, um diesmal nach Osten hin an den Ufern des Pierdena-lesflusses nach wilden Truthähnen zu jagen.

Seinem Vorsatz getreu, hatte er einen Mann aus der Stadt ge-dungen, während seiner Abwesenheit bei seinem Hause Wache zu halten, aber, obgleich Frau von Bialof mit ihren Kindern bereits gefrühstückt hatte, war der Mann doch noch nicht erschienen.

Da es Sonnabend war, gingen die Kinder nicht in die Schule, statt dessen unterrichtete sie ihre Mutter an diesem Tage im Zeich-nen, was den Kleinen außerordentlich viel Freude machte.

Doch hatte der Unterricht noch nicht begonnen, da Frau von Bialof in der Küche beschäftigt war, und die Kinder spielten mit ihrer Erlaubniß vor der Thür.

Noch war die Kühle der Nacht nicht durch die Sonnenstrahlen aus dem Gebirgsthale verscheucht, die Luft wogte säuselnd durch die dichten Kronen der Eichen, und die prächtigen Lilien am Was-ser winkten und nickten in dem leichten Winde hin und wieder, während die Vögel sangen und zwitscherten, die Insektenwelt zirp-te und summte und die ganze Natur sich des herrlichen Morgens zu erfreuen schien.

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»Ach, der schöne, große Schmetterling! Röschen, siehst Du ihn? – den müssen wir fangen!« rief Alfred frohlockend aus und sprang einem prächtigen Schmetterlinge nach und Röschen, eben-falls begeistert, eilte fliegenden Fußes hinter ihm her, indem sie ihr kleines Halstuch schnell vom Nacken zog, um damit den Schmet-terling zu erhaschen.

Doch dieser hielt sich nirgends lange auf, wenn er auf eine Blu-me niedersank und die Kinder näherten sich ihm, so flatterte er schnell wieder davon und gewann abermals großen Vorsprung vor ihnen.

Je weiter er aber flatterte, um so größer wurde die Ungeduld der Geschwister, ihn zu fangen und so ging es über die Insel und die Landzunge hin geraden Weges der Schlucht zu.

»O, sieh Röschen, wie er in der Sonne glänzt!« rief Alfred halb außer Athem, als der Schmetterling sich am Eingang der Schlucht abermals auf eine Blume gesetzt hatte.

»Laß mich ihn fangen, Alfred,« rief diese eifrig aus und sprang ihrem Bruder mit hochgeschwungenem Halstuch voran, doch eben wollte sie zuschlagen, als das schöne Thier wieder davonfloh und in der Schlucht weiterflatterte.

Die Kinder aber in größtem Eifer folgten ihm so schnell sie ihre Füße tragen wollten, und waren bereits weit in die Schlucht einge-drungen, ohne es in der Hitze der Jagd bemerkt zu haben.

Da plötzlich sprangen vier Indianer hinter großen Felsstücken hervor, erfaßten die Kleinen, verstopften ihnen, um ihre Schreie zu unterdrücken, mit Gras den Mund, banden ihnen die Füße zu-sammen und trugen sie nun eiligst in der Schlucht dahin, bis wo dieselbe in ein anderes Thal mündete. Hier standen die Pferde der Wilden. Schnell schwangen sie sich, nachdem sie das Gras aus dem Munde der armen Kinder, das sie zu ersticken drohte, genommen, auf den Rücken derselben; zwei zogen die Geraubten zu sich em-por und trotz Wehklagen, Schreien und Flehen stoben sie mit ih-nen davon, daß ihr Lockenhaar wild im Wind flatterte.

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Drittes Kapitel 27

Um diese Zeit trat Frau von Bialof aus der Hausthür, um ihre beiden Lieblinge zu sich hereinzurufen und den Unterricht mit ih-nen zu beginnen.

»Röschen!« rief sie und sah links und rechts am Hause hin, und als Röschen keine Antwort gab, ging sie um das Haus und rief auch hier den Namen. Keine Antwort erfolgte.

»Wo seid Ihr, Kinder?« rief sie lauter und ließ ihren schon un-ruhigen Blick weiter bis an die Schlucht schweifen, und als sie die Kleinen dorthinaus nicht erspähen konnte, eilte sie wieder um das Haus, um einen Blick nach der Stadt zu thun – auch dort war Nichts von den Kindern zu sehen.

»Herr Gott!« stieß jetzt die Frau bebend aus und wurde bleich wie der Tod, dann aber schrie sie die Namen ihrer Kinder mit so verzweifelter Stimme, daß es bis nach der Stadt hin schallen mußte; denn kaum war der gellende Schrei von ihren Lippen, als ein Mann mit einem Gewehr in der Hand bei den letzten Häusern sichtbar wurde und im Sturmlauf herangeeilt kam.

Er war der bestellte Wächter. Mit hastigen Worten theilte ihm Frau von Bialof mit, daß die Kinder verschwunden. Sofort ver-einigte er seine Bemühungen mit den ihren, aber wie oft und wie laut sie auch die Namen der Kinder riefen, wie weit sie auch ihre Blicke schweifen ließen, keine Antwort erfolgte, keine Spur war zu finden; es blieb kein Zweifel mehr – die Kinder hatte ein Unglück getroffen.

Jetzt bei der Ueberzeugung der schrecklichen Thatsache über-mannte die unglückliche Mutter die Verzweifelung; beide Hände in ihrem Haar vergrabend, stand sie, ein Bild des Jammers. – Doch nur wenige Augenblicke überließ sie sich dem Schmerz, dann raffte sie sich auf; laut um Hülfe rufend, eilte sie nach der Stadt.

Aus allen Häusern kamen ihr die Leute entgegen, um zu erfah-ren, welches Unglück der allgemein geliebten und verehrten Frau widerfahren.

»Meine Kinder sind fort – meine Kinder sind geraubt – Indianer müssen es gethan haben,« rief ihnen die Unglückliche zu und flehte sie händeringend um Beistand, um Hülfe an, ihre Kinder zu retten.

Die Kunde von der Gräuelthat ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt; auf dem großen Platze in der Mitte derselben sammelte

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sich die Einwohnerschaft schnell in innigster Theilnahme um Frau von Bialof, und bald eilten die Männer nach ihren Wohnungen, um ihre Pferde und Waffen zu holen und den Räubern der Kinder zu folgen. In kurzer Zeit waren einige vierzig Männer zu Pferde und die besten Jäger unter ihnen voran sprengten sie nach der Schlucht davon; denn dorthin mußten die Wilden mit den Kindern geflohen sein.

Frau von Bialof, von vielen Frauen und Mädchen begleitet, folg-te ihnen bis zu ihrer Wohnung nach.

Bald hatten die Männer in der Schlucht den Platz erkannt, wo die Unmenschen die Kinder erfaßt und gebunden hatten, und am Ausgang der Schlucht fanden sie auch den Fleck, wo dieselben die Kleinen zu sich auf die Pferde genommen hatten und mit ihnen davon gejagt waren.

Den flüchtigen Pferdespuren folgend, ging es nun im Galopp vorwärts durch das Thal und mehrere Meilen fort bis an das Ende desselben. Zu ihrer Bestürzung fanden sie hier, daß die Räuber sich getrennt hatten und jedes ihrer vier Pferde einer andern Richtung gefolgt war. Es blieb daher den Friedrichsburgern nichts anderes übrig, als jeder der vier Spuren zu folgen. Nach kurzer Berathung trennten sie sich daher in vier Trupps und sprengten nach allen vier Richtungen von dannen, so schnell es der steinige Boden und die Schwierigkeit, einer einzelnen Spur darauf zu folgen, erlaubte.

Während diese braven Freunde der Bialof ’s ihr Möglichstes tha-ten, um die Räuber einzuholen, waren mehrere junge Männer aus der Stadt dem Herrn von Bialof nach den Ufern der Pierdenales gefolgt und hatten ihn nach stundenlangem, vergeblichem Suchen endlich aufgefunden und ihm die Schreckenskunde überbracht, so daß dieser in größter Verzweifelung nach Hause eilte und dort sei-ne Frau in entsetzlichem Jammer und Wehklagen traf.

Was konnten ihm hier Trostworte helfen und wo sollte er solche finden, da er des Trostes ebenso sehr bedurfte, wie seine Frau? Er wollte selbst auch sofort den Räubern folgen; doch welche Aus-sicht blieb ihm, sie einzuholen, nachdem sie so viele Stunden Vor-sprung hatten? War dieses überhaupt noch möglich, so durfte er sich darauf verlassen, daß es seine Freunde ausführen würden, und so gab er den Bitten seiner jammernden Frau nach und blieb bei

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Drittes Kapitel 29

ihr, um ihren Schmerz, ihre Verzweifelung durch seine Gegenwart zu mildern.

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Die vier Wilden, welche zu einem Stamme der Mescalero-Indianer gehörten, waren mit den geraubten Kindern, ohne auf deren Jam-mern und Flehen zu hören und ohne ihren Pferden einen Augenblick zum Verschnaufen zu geben, durch das weite Thal fortgestoben und erst als sie nach einer Stunde dessen Ende erreichten, wo dasselbe sich in viele enge Thäler verlief, hielten sie ihre Rosse an, um sich über ihre weitere Flucht zu berathen. Daß man sie bald verfolgen wür-de, davon waren sie überzeugt, deshalb mußten sie die Verfolgung möglichst schwierig machen und das geschah, wenn sie verschiede-ne Wege einschlugen, da man die Spuren von vier Pferden leichter erkennen kann, als von einem einzelnen, zumal auf felsigem Boden, wie der in den vor ihnen liegenden schmalen Schluchten es war.

Sie beschlossen darum, daß ein jeder von ihnen einen andern Weg durch die vor ihnen liegenden Berge einschlagen solle und ver-abredeten, auf einer weit entfernten steinigen Hochebene wieder zusammenzukommen, welches erst bei sinkender Sonne der Fall sein konnte.

Sie schienen sich bereits sicher zu fühlen; denn jetzt schenkten sie den Kindern zum ersten Male Gehör.

Röschen sowohl, wie auch Alfred sprachen Beide sehr gut Eng-lisch und auch die Indianer redeten diese Sprache.

Die Schmerzen, welche die Kinder an den zusammengebunde-nen Füßen litten, waren entsetzlich und da die Wilden nicht mehr so ängstlich befürchteten, von Verfolgern eingeholt zu werden, so lösten sie die schmerzhaften Fesseln der Kleinen, zumal, weil sie diese dann leichter vor sich auf dem Pferde halten konnten.

Alles Sträuben und Wehren der Kinder hatte lange schon auf-gehört, aber ihr Bitten und Flehen, sie wieder zu ihren Eltern zurückzubringen, richteten sie jetzt unter Thränen um so verzweif-lungsvoller an ihre Räuber.

Ja, Röschen küßte sogar dem rothbraunen Wilden, der sie vor sich auf dem Pferde hielt, die Hand und benetzte sie mit ihren

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Thränen; der hartherzige Mensch aber lachte nur über ihre Ver-zweifelung und meinte, sie würden Beide braune Eltern bekom-men.

Als die Wilden sich trennten, um verschiedene Wege einzuschla-gen und Röschen nach rechts und Alfred nach links fortführten, da schrieen die Kinder wieder in ihrem Jammer laut auf, so daß es weithin durch die Berge schallte, und winkten mit ausgestreckten Armen so lange einander zu, als ihre Blicke sich noch erreichen konnten.