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Anne-Margarethe flüsterte fast, als sie mir bedeutungsvoll ins Ohr säuselte, dass sie ab morgen auf den Mönchspfeffer-Tee umsteigen würde. Jetzt nippte sie manchmal an Jakobs Maß- krug, hielt sich aber mit dem Trinken auffallend zurück. Meine Versuche, Jakob auf die Tanzfläche zu schicken, scheiterten. Er war ein Tanzmuffel und mit keinem Argument zu überzeugen. Als Beweis und Begründung führte er an, dass er auf der eige- nen Hochzeit nicht ein einziges Mal getanzt häe und trotzdem mit seiner Frau glücklich sei. Vom alten Meyer, der sehr gute Ohren zu haben schien, war dazu nur ein unverständliches Gebrumme zu hören. Von mei- nem etwas enernten ehemaligen Tisch holte ich den Bierkrug, der völlig verwaist dastand. Die Tischbesatzung hae inzwi- schen komple gewechselt. Von den Angermüller-Leuten war niemand mehr zu sehen. Sie haen der neuen Besatzung gesagt, dass Tisch und Krug zu ei- nem Wichg aus dem Dorf gehörten. Der könne jeden Moment zurückkommen. Innerlich zerriss es mich beinahe, als ich hörte, zu einem „Wichg“ aufgesegen zu sein. Ich schenkte der neuen Besatzung den Tisch und ging zum Zapf, um den Krug auffüllen zu lassen. Bei einem Rundblick sah ich, dass nur noch zehn volle Fässer auf dem Tafelwagen waren. Mithin waren vierundzwanzig Hektoliter ausgeschenkt. Weil in dem Moment vom Kirchturm die sechste Stunde geschlagen wurde, würden dreißig Hektoliter wohl eine Illusion bleiben. Aber dicht dabei könnte es am Ende sein. Knecht Oo und sein Helfer verteilten Einmachgläser mit Kerzen auf den Tischen. Zusätzlich rammten sie einige angespitzte Bohnenstangen in den Boden. An denen hängten sie Petroleumlampen auf. In et- wa einer Stunde würde es finster sein. Die Reihen lichteten sich. 163 Leseprobe, willkürlich 16 Seiten aus dem Buch „Kinderwunsch mit Bockbier“ gegriffen:

„Kinderwunsch mit Bockbier“ gegriffen · Morgengruß in spätestens zwei Stunden ein Fuhrwerk zur Fest-wiese hinunterzuschicken, damit wir die ohlen aufladen könn- ... wo wir

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Page 1: „Kinderwunsch mit Bockbier“ gegriffen · Morgengruß in spätestens zwei Stunden ein Fuhrwerk zur Fest-wiese hinunterzuschicken, damit wir die ohlen aufladen könn- ... wo wir

Anne-Margarethe flüsterte fast, als sie mir bedeutungsvoll ins Ohr säuselte, dass sie ab morgen auf den Mönchspfeffer-Tee umsteigen würde. Jetzt nippte sie manchmal an Jakobs Maß-krug, hielt sich aber mit dem Trinken auffallend zurück. Meine Versuche, Jakob auf die Tanzfläche zu schicken, scheiterten. Er war ein Tanzmuffel und mit keinem Argument zu überzeugen. Als Beweis und Begründung führte er an, dass er auf der eige-nen Hochzeit nicht ein einziges Mal getanzt hätte und trotzdem mit seiner Frau glücklich sei.

Vom alten Meyer, der sehr gute Ohren zu haben schien, war dazu nur ein unverständliches Gebrumme zu hören. Von mei-nem etwas entfernten ehemaligen Tisch holte ich den Bierkrug, der völlig verwaist dastand. Die Tischbesatzung hatte inzwi-schen komplett gewechselt.

Von den Angermüller-Leuten war niemand mehr zu sehen. Sie hatten der neuen Besatzung gesagt, dass Tisch und Krug zu ei-nem Wichtig aus dem Dorf gehörten. Der könne jeden Moment zurückkommen. Innerlich zerriss es mich beinahe, als ich hörte, zu einem „Wichtig“ aufgestiegen zu sein.

Ich schenkte der neuen Besatzung den Tisch und ging zum Zapf, um den Krug auffüllen zu lassen. Bei einem Rundblick sah ich, dass nur noch zehn volle Fässer auf dem Tafelwagen waren. Mithin waren vierundzwanzig Hektoliter ausgeschenkt. Weil in dem Moment vom Kirchturm die sechste Stunde geschlagen wurde, würden dreißig Hektoliter wohl eine Illusion bleiben. Aber dicht dabei könnte es am Ende sein. Knecht Otto und sein Helfer verteilten Einmachgläser mit Kerzen auf den Tischen.

Zusätzlich rammten sie einige angespitzte Bohnenstangen in den Boden. An denen hängten sie Petroleumlampen auf. In et-wa einer Stunde würde es finster sein. Die Reihen lichteten sich.

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Leseprobe, willkürlich 16 Seiten aus dem Buch

„Kinderwunsch mit Bockbier“ gegriffen:

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Viele Leute aus den umliegenden Ortschaften fuhren mit ihren Kutschen nach Hause. Das Theresia-Fest würde für lange Zeit Tagesgespräch sein. Man hatte viel gesehen und, was wahr-scheinlich noch wichtiger war, man wurde selbst auf dem Fest gesehen.

Als in der Dämmerstunde die Kerzen angezündet wurden, machte sich heimelige Stimmung breit. Die Musiker, die öfter auf Hochzeiten und großen Geburtstagen als auf Beerdigungen spielten, hatten viele Stimmungslieder im Repertoire. Die brachten sie jetzt bevorzugt, weil kräftig mitgesungen wurde. Auf der Tanzfläche war fast nur noch Jugend zu sehen.

Wer sich traute, knüpfte oder pflegte hier Kontakte zum ande-ren Geschlecht, was ansonsten nur sehr schwer möglich war, wenn man die Gesangs-, Marien- oder Veteranenvereine nicht in Erwägung zieht, weil es dort fast nur ältere Mitglieder gab.

Nach der Ankündigung: „Auf besonderen Wunsch“ tanzte ich, zusammen mit vielen jun-gen Paaren, alle drei Stücke der Musiker, die sogar die Mondscheinsonate drauf hatten, mit Anne-Margarethe.

Ich traute mich nicht, einen „Spaltschritt“ beim Drehen einzubauen, weil es zu viele Zuschauer gab. Vielleicht bremste mich auch die Ankün-digung des Kapellmeisters, dass man jetzt das Stück „Für Elise“ von Ludwig van Beethoven spielen werde. An-ne-Margarethe im Arm, dach-te ich bei dem Stück sehr in-tensiv an Elises Augen. Zurück am Platz ließ sich Anne-Marga

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Die Miesbacher Tracht trägt man noch heute

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-ethe heiter frotzelnd hören: „Elise hat es dir angetan. Beim Flö-tensolo hast du mich so fest an dich gezogen, dass du eigentlich mit mir verheiratet sein müsstest, um das zu dürfen…“

Jakob hatte unser Gespräch mitgehört und fragte nun in die Runde: „Ist es schicklich zu dieser späten Stunde, wenn ich jetzt den Ritter Prunz von Prunzelschütz vortrage?“

Weil niemand widersprach, holte er sich eine Schaufel Glut von Frau Renner und schlichtete ein paar Holzscheite darüber. Wäh-rend Jakob einen Stuhl holte und neben das auflodernde Feuer stellte, sprach Anne-Margarethe verdächtig lange mit dem Ka-pellmeister.

Das Feuer brannte so hoch, dass Jakob seinen Stuhl etwas abrü-cken und mit dem Wind stellen musste. Dann kam die Ansage des Musikus, der dazu ebenfalls auf seinen Stuhl stieg: „Der Sohn des Schloss- und Brauereibesitzers Jakob Meyer trägt jetzt die Ballade vom Ritter Prunz von Prunzelschütz vor. Nach jeder Strophe spielen wir einen Tusch. Ihr hebt die Krüge und trinkt auf des Ritters Wohl. Wer jetzt schon hinter einem leeren Krug sitzt, hebe bitte die Hand hoch, damit die Bedienungen nach-schenken können. Wir spielen so lange als Ouvertüre noch ein-mal mit doppeltem Flötensolo das Stück „Für Elise“. Das wurde für einen verliebten Gockel und die Henne mit den schönen Au-gen bestellt…“

Wenigstens dreißig Arme waren in die Höhe geschnellt. Die Be-dienungen rannten und die Kapelle ließ sich Zeit. Solange sie nicht spielten, klimperte ich mit der Laute hinter Jakob stehend immer wieder den gleichen Akkord. Als die Musik endlich spiel-te, wäre ich am liebsten zu meiner Chefin gegangen und hätte sie respektlos in den schönen Hintern gezwickt. Sie hatte Gockel und Henne erfunden und auf mich gemünzt.

Jakobs Vortrag kam hervorragend an, weil die Stimmung dank fleißigem Bierausschank mehr als fortgeschritten war. Sogar Jakobs Vater, der das Stück offenbar nicht kannte, donnerte sei-nen Deckelkrug nach jeder Strophe auf den Tisch zurück:

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„Unglaublich, aber wahr. Jakob animiert zum Biertrinken. Ich fasse es nicht. Mein Sohn hebt den Brauereiumsatz an… Jakob, schenke mir einen Erben und dir gehört das Bräu…“

Die Sprüche wiederholte der alte Meyer so oder so ähnlich nach jeder Strophe. Als Jakob nach wenigstens zehn Verbeugungen am Ende seines Vortrages vom Stuhl stieg und zu uns kam, er-reichte die Stimmung am Tisch ihren Höhepunkt. Vater und Sohn in Freude vereint. Das war ein Bild, welches es zwischen den beiden in letzter Zeit selten zu sehen gab. Eine Stunde spä-ter verkrümelten sich die letzten Gäste. Nicht wenige von ihnen kämpften gegen kräftige Schlagseite.

Ich machte meinen letzten Rundgang und blies dabei die nutz-los auf den leeren Tischen brennenden Lichter aus. Das Fest war ein überraschend großer Erfolg. Am Bierfuhrwerk begegne-te ich Johann-Paul, der vom Zapf die Kasse in Empfang nahm. Vorwitzig ließ ich ihn an meiner Rechnung teilhaben: „Fünfund-vierzig Banzen sind siebenundzwanzig Hektoliter. Mit Über-schank solltet Ihr zwölfeinhalbtausend Kreuzer in der Kasse ha-ben. Erinnert Ihr Euch an Eure Wette?“

„Sei still. Du bist im Rechnen noch schneller als ich. Aber du hast Recht. Nur drei volle Fässer gehen zurück. Das ist noch nie dage-wesen. Und Jakob hat wie du tüchtig mitgeholfen. Auch die An-ne hat sich Mühe gegeben. Wenn sie nur nicht taub wäre…“

Johann-Paul war gut angetrunken und von seinen eigenen Wor-ten zu Tränen gerührt. Jedenfalls schwammen seine Augen im Licht der Petroleumlampen genauso, wie es bei vielen alten Männern häufig zu sehen ist, wenn sie gerührt sind. Unterm Sprechen nestelte er seinen ledernen Geldbeutel aus der Hose und fingerte zwei Taler* heraus. Die drückte er mir in die Hand: „Kein Wort zu niemanden. Ich habe es versprochen und du hast es verdient. Nun halte die Klappe und denke darüber nach, wie wir das Weihnachtsbier unter die Leute bringen.“

Die zwei Taler verliehen mir Flügel. Ich bedankte mich und gab einer gerade geborenen Idee Raum. Morgen oder übermorgen

166 * 1 Taler oder Silberling waren 60 Kreuzer

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würde der vom Alten angestoßene Gedanke ausgebrütet sein. Zuvor musste ich mit Jakob und Anne-Margarethe sprechen. Wie die Herrschaft beteiligte auch ich mich am Aufräumen, packte Krüge, Gläser und Besteckteile in Kisten und Körbe. Alles wurde auf den Bierwagen geladen und ging ins Lager des Schlossbräus.

Es war fast zehn Uhr und stockfinstere Nacht, als ich mit der Herrschaft nach oben zum Schlosshof ging und ihnen vor der Haustür eine gute Nacht wünschte. Von Jakob und Anne-Margarethe hörte ich sagen: „Es war ein schöner Tag. Er hat uns nicht nur einander näher, sondern auch mehr Wohlstand ge-bracht. Alle waren zufrieden…“

*

Lange Zeit konnte ich nicht einschlafen, obwohl ich hundemüde war. Nicht erst seit Beethovens Musik kreiste Elise durch meine Gedanken. Wenn ich die Augen schloss, verfolgten mich ihre tiefgründigen und alles versprechenden Blicke. Mit sechzehn Jahren durfte man so nicht schauen. Auch als ich in der Früh aufwachte, sah ich zuallererst ihre Augen vor mir. Mit einer Geste wischte ich das Bild weg und stand auf. Meine am Mor-gen übliche Erregung war heute besonders stark. Sie war nicht nur beim Anziehen hinderlich, sondern auch völlig nutzlos.

Draußen schnappte ich mir zwei Männer von Angermüllers Leu-ten. Wolfgang Flurschütz war anfangs nicht zu sehen. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen wegen seines Auftritts gestern auf der Festwiese. Als ich ihn erspähte, beorderte ich ihn zu mir. Der Polier war froh, dass ich gleich drei von seinen Leuten nahm, weil er sonst höchstens bis mittags Arbeit gehabt hätte.

Anne war mit Barbara, die mir keinen einzigen Blick schenkte, in ein intensives Gespräch verwickelt. Ich bat sie nach kurzem Morgengruß in spätestens zwei Stunden ein Fuhrwerk zur Fest-wiese hinunterzuschicken, damit wir die Bohlen aufladen könn-ten. Unser kleiner Trupp setzte sich, mit Brechstange und Nage-leisen über den Schultern, in Bewegung. Unterwegs wurden wir

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zweimal angesprochen. Die Leute wussten irgendwie, dass wir zum Schlossbräu gehörten und lobten das gestrige Fest.

Bis auf Wolfgang Flurschütz bestätigten wir alle, was sie sagten. Damit sich Wolfgang nicht zu sehr isoliert vorkam, pulte ich aus den Tiefen meiner Hosentasche die eingesteckten zwei Gro-schen und übergab sie ihm als Entschädigung für die zwei Bier-zeichen. Er schenkte mir einen dankbaren Blick und sagte: „Eure Bierzeichen habt ihr längst ausgepinkelt und wahrscheinlich habt ihr sogar noch etwas dazu gekauft. Das ist alles weg. Ich habe nichts getrunken und kann mir vom gesparten Geld zwei Pfund Brot kaufen…“

„Die sind dann übermorgen auch ausgeschissen…“, entgegnete sarkastisch ein Maurer aus Wiesenfeld. Auf dem Festplatz wa-ren Johann-Pauls Leute unter Anleitung des ersten Knechts da-bei, Stühle, Tische und Bänke abzuräumen und ins Lager zu fah-ren. Zwei Mann von uns machten sich darüber, die Tanzfläche zu zerlegen. Die anderen zwei nahmen die Bänke auf den Bier-kisten auseinander. Ich ließ überall die Nägel entfernen und am Straßenrand das Holz aufschlichten. Als Jakob gegen zehn Uhr kam, wurde in Windeseile das Holz aufgeladen und nach oben zum Sudhaus gefahren. Die leeren Bierkisten versprach Otto ins Lager zu bringen. Weit vor Mittag waren wir bereits beim Einde-cken des Bockgestells.

Der Raum bekam durch die Zwischendecke ein ganz neues Ge-sicht. Zwei Mann droschen mit Fäusteln die fünf Zoll langen Nä-gel durch die Bohlen in die Kanthölzer. Darauf würde morgen mein Bruder Carl-Johann mit einem anderen Böttcher vom Lan-ge den zweihundert Hektoliter großen Ansatzbottich aufstellen. In Gedanken war ich schon beim Füllen des großen Bottichs und dachte einen Moment daran, wo wir das benötigte Wasser her-nehmen sollten.

Nach einem Blick in die Zisterne wusste ich, dass gutes Wasser knapp war. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet und mein Vater fuhr seit etwa einem Monat kein Wasser von der Quelle

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nach hier. Ich suchte Anne-Margarethe, um ihr von meinen Bedenken zu berichten. Sie und Barbara arbeiteten in der Küche und spülten Geschirr und Krüge von gestern. Barbara, von der ich jetzt einen scheuen Seitenblick bekam, war von Anne-Margarethe aus dem Sudhaus genommen worden, damit sie dem Höllenlärm entging.

Anne verwies mich an den Schwiegervater. Sie wollte in dem Fall nichts entscheiden und Jakob war auch nicht da. Also lief ich schnell zur Wirtschaft ins Sternbergschloss. Ich empfahl Johann-Paul, sofort frisches Quellwasser zu holen und damit die gestern geleerten Bierfässer zu füllen. Die Fässer würden dadurch gespült und blieben dicht, weil sie so nicht austrocknen konnten.

Schon in zehn Tagen würden wir etwa hundert Hektoliter Was-ser für den ersten Ansatz brauchen. Mein Vater konnte aber nur etwas mehr als fünfzehn Hektoliter pro Tag bringen, wenn er zweimal fuhr. Mehr gab die Quelle bei der herrschenden Tro-ckenheit ohnehin nicht her. Ich empfahl, schon morgen eine Ladung Fässer oberhalb von Tremersdorf mit Lauterwasser* füllen zu lassen und gut zu verspunden, damit sie keine Luft zo-gen. Johann Paul hörte aufmerksam zu. Er hatte begriffen: „Dein Vater sollte auch liefern. Weiß er davon?“

„Nein, ich habe erst jetzt daran gedacht und kann erst morgen nach Ottowind laufen, weil der Lange morgen mit dem Bottich-Aufbau beginnt. Da möchte ich wenigstens am Anfang dabei sein…“

169 * Die Lauter mündet in Coburg in die Itz

Das Beethoven Stück wurde 1810 komponiert

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„Gut, dann mach das und lass es kräftig regnen…“

Damit war ich entlassen. Den letzten Teil hat er vermutlich als Witz gemeint, denn wenn ich Wetter machen könnte, würde ich ganz sicher nicht bei ihm arbeiten. Von der Mittagspause waren schon zehn Minuten vergangen, als ich oben in der Gesindestu-be ankam. Barbara saß mit dem Rücken zur Tür und träumte aus dem Fenster. Eigentlich war ich bisher immer da gesessen.

Ich legte beide Hände auf ihre Schulter und spürte, wie sie sich zusammenzog: „Barbara ich mag dich. Du solltest mich nicht übersehen und meiden. Wir arbeiten zusammen und sollten uns mögen. Schön wäre es, wenn du meine Geliebte würdest. Aber noch schöner wäre es, wenn du mir hilfst, dein Schwager zu werden.“

Sie dachte eine Schrecksekunde über meine Worte nach und streckte sich dann unter meinen Händen: „Hast du ernste Ab-sichten mit Elise…?“

„So ernst, dass ich dich am liebsten stellvertretend küssen möch-te. Du bist nämlich mindestens genau so schön wie deine Schwester…“

„Was macht den Unterschied? Weil sie jünger ist?“

„Nein, sie schaut genau so frech aus, wie ich es mag. Ich hoffe, dass sie nicht so scheu und brav ist, wie du es anscheinend bist…“

Ich ließ sie los und ging auf die andere Seite des Tisches, damit ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Barbara sprach sehr zögerlich: „Eigentlich wollte ich mich nicht von Elise einspannen lassen. Aber wenn du wirklich ernsthafte Absichten bei ihr hast… Heute Abend holt sie mich um sieben Uhr hier ab. Sie wartet oben auf der Bank am Friedhof eine Viertelstunde vor der Zeit. Sie will dich etwas Wichtiges fragen. Bitte sei anständig und gut zu mei-ner Schwester…“

„Schon wieder ein Grund, dich zu küssen. Dieses Mal aus Dank-barkeit. Wäre es dir möglich, morgen früh mit Bauchschmerzen

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nach Hause zu gehen und als Ersatz deine Schwester zu schi-cken? Ich möchte länger als zehn Minuten mit ihr sprechen und sie meinen Eltern vorstellen. Ich spreche mit der Chefin, damit sie von unserem kleinen Schwindel weiß. Und übermorgen sind die Bauchschmerzen weg und du bist wieder hier…“

„Wenn du Elise deinen Eltern vorstellen willst, hast du wirklich ernste Absichten. Als Schwager bist du mir willkommen. Nur meinen Vater musst du überzeugen. Er ist sehr streng mit uns Mädchen…“

„Als dein zukünftiger Schwager erwarte ich, dass du ab sofort ein freundliches Gesicht machst, wenn du mich siehst und nicht wie heute den Kopf zur Seite drehst…“

Sie genierte sich erkennbar und bekam eine starke Rotfärbung im Gesicht. Ganz bestimmt war Barbara die Sensiblere von den beiden Mädchen. Aber Eigenschaften wie „brav“ oder „anstän-dig“ mit einer so starker Ausprägung wie bei Barbara, waren für mich absolut nicht begehrenswert. Mit Appetit machte ich mich über das Essen her. Meinen ganzen Charme legte ich in das Lä-cheln, mit dem ich Barbara zur Arbeit mit der Chefin verab-schiedete. Hatte ich zu viel geplappert? Es war mein erster indi-rekter Heiratsantrag.

Darin hatte ich keine Übung. Aber ich hatte ein starkes und gu-tes Gefühl, wenn ich Elises Blicke deutete. In meiner Fantasie war sie schon längst eine jüngere Ausgabe der Frau Hedwig. Sie würde eine Umarmung mit mir dem Gesang in der Kirche oder einem Besuch beim Barbier vorziehen. Mit der Vermutung war ich mir ziemlich sicher. Was konnten ihre Eltern gegen mich schon vorbringen? Ich kam aus einem Kleinhäusler-Anwesen mit einem Stall voller Kinder. Aber wir waren alle gesund und ich hatte einen guten Beruf erlernt. Außerdem hatte ich seit gestern zweiundsechzig Silberlinge* auf der hohen Kante und die Aussicht auf fünfhundert weitere Taler.* Das war deutlich mehr, als ein Geselle in zwei Jahren verdienen konnte.

Und was dagegen konnten die Flurschützens aufweisen, die in

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einem gemieteten Haus wohnten und nicht einmal genug zum Essen hatten? Mein zukünftiger Schwiegervater Wolfgang Flur-schütz schien mir nur deshalb so streng, weil er auf die Weise seine kleine Welt beherrschte. Herrschaft und Kirche sagten ihm, was sich gehörte und was nicht. Er würde vom Denken her nie gegen diese Ordnung aufbegehren.

Weil wir vor dem Vesper mit dem Überbau fertig wurden, ließ ich die Zisterne leer pumpen und anschließend schrubben. Ich war erstaunt, wie viel Schmutz das Regenwasser in die Zisterne gespült hatte. Hier war seit dem Neubau vermutlich noch nie richtig sauber gemacht worden. Die schwarze Brühe wurde im Garten vergossen. Da gutes Wasser kostbar war, ließ ich die oberen paar Zentimeter mit der Schwengelpumpe in den alten Kessel pumpen. Abgekocht und durch einen Tuchfilter gelaufen war das Wasser wenigstens zum Reinigen der Bottiche brauch-bar.

Nach dem Vesper verluden die Angermüller-Leute ihr Rüstzeug und ihre Werkzeuge. Eine Stunde vor der regulären Zeit verab-schiedeten sie sich. Die vier Männer hatten große Mühe, die voll beladene Sturzkarre heil den Kirchberg hinunterzubringen. Nach ihrem Weggang kehrte Ruhe im Sudhaus ein. Fast ver-misste ich das emsige Hämmern. Eigentlich wäre jetzt genug Zeit gewesen, nach Ottowind zu laufen und meinem Vater den Auftrag zur Wasserlieferung zu geben. Dann hätte ich jedoch das Treffen mit Elise eventuell verpasst. Das wollte ich auf gar keinen Fall...

Deshalb ging ich zu Barbara, die auf Knien im alten Ansatz-bottich die glitschigen Holzwände abschrubbte. Ich setzte mich auf den Bottichrand und wartete, bis sie mich entdeckte. Sie erschrak dabei so heftig, dass ich vermutete, sie sei mit ihren Gedanken ganz weit weg gewesen: „Entschuldige bitte, ich woll-te dich nicht erschrecken. Ich will nur bei dir vorfühlen, was dei-ne Schwester von mir wollen könnte. Es gibt doch sicher einen Grund für ihr Kommen. Von dem, was ich mit dir heute bespro-chen habe, kann sie eigentlich ja nichts wissen…“

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Barbara hielt kurz inne, als müsse sie über meine Frage erst nachdenken, und sagte dann wie beiläufig: „Ich weiß es nicht. Aber ich denke, sie sieht Probleme mit dir. Frag sie selbst. Du musst nicht mehr lange warten…“

Nun war ich so klug wie zuvor, drehte ihre Petroleum-Lampe etwas höher und ging zum Tor, das sich wie von Geisterhand öffnete. Anne-Margarethe hatte den Hebel bewegt und kam auf der Suche nach mir herein: „Hier versteckst du dich. Wie läuft es mit dem Wasser? Ach ja übrigens, meine Periode ist pünktlich. Jetzt kannst du mit dem Ausrechnen beginnen. Ab heute Abend trinke ich den Mönchspfeffer-Tee. Hoffentlich kann sich Jakob so lange ruhig halten…“

„Es würde helfen, wenn er sich bremst. Aber es ist kein Bein-bruch, wenn Ihr Euch so sehr liebt, dass er glaubt, Euch beiwoh-nen zu müssen. Quält Euch nicht und genießt es bis in die Zehen-spitze. Das macht alles wieder gut…“

„Bei dir wird man gern zur Sünderin. Du erteilst Ablass ohne Ge-genleistung…“

Anne-Margarethe ging an mir vorbei nach hinten und sprach mit Barbara. Nach geraumer Zeit kam sie wieder heraus und sah mich am Apfelbaum die Krautsträuße richten. Von der Haustür her rief sie: „Hast du alles, was du brauchst?“

Das war nur eine belanglose Frage, die man stellt, um nicht stumm aneinander vorbeizugehen. Anne Margarethe wartete meine Antwort nicht ab, sondern verschwand im Haus. Ich schielte zur Kirchturmuhr und musste mich noch wenigstens ein Viertelstündchen beherrschen. Die Zeit verstrich zäh wie frisch angemachter Kleister. Dann hielt ich es nicht mehr aus und hängte keine Sträuße mehr um. Ich nahm meine warme Jacke halb über die Schulter und lief den schmalen Weg zum Friedhof hoch.

Es war schon ziemlich dämmerig, als ich das quietschende Tor in der Friedhofsmauer öffnete und auf die Bank dicht am Aus-

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gang zusteuerte. Ich er-schrak wie ein echtes Ha-senherz, als sich etwas auf der Bank aufrichtete und dann aufstand. Immerhin war ich auf einem Friedhof. Jeder weiß, dass es dort von Gespenstern wimmelt. Die Angst war weg, als ich eine zögerliche Mädchen-stimme hörte: „So bist du also doch gekommen!“

Elise, die ausgestreckt auf der Bank gelegen war und mich beim Aufrichten er-schreckt hatte, stand vor mir und reichte die rechte Hand zur Begrüßung.

„Seit heute Mittag weiß ich von deiner Schwester, dass du mich hier erwartest. Die

Zeit bis jetzt ist im Schneckentempo vergangen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was du mit mir besprechen möchtest. Barbara wusste es angeblich auch nicht. Sag‘ ehrlich, was ich für dich tun kann.“

Ihrer ureigenen Art entsprechend, die ich später noch oft be-wunderte, hielt sie sich nicht lange mit der Vorrede auf: „In dich habe ich mich verknallt. Nun frage ich dich, ob du mich haben willst. Eigentlich solltest du mich fragen. Aber bevor dich ein an-deres Mädchen wegschnappt, mache ich das. So wie du gestern meinem Blick standgehalten hast, war ich weg. Deine Augen haben mich die ganze Zeit verfolgt. Jetzt sag bitte etwas, sonst renne ich davon.“

Wie hätte ich etwas sagen können, wenn sie wie eine Quelle

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Tee vom gewöhnlichen Frau-enmantel gilt als Liebestrunk

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lossprudelte und dabei fast das Luftholen vergaß. Weil mir zu der Frage wieder einmal Frau Hedwig einfiel, zog ich Elise an mich und küsste sie auf den Mund. Der Wasserfall war augen-blicklich verschlossen. Frau Hedwig hatte oft gesagt: „Manch-mal schaden zu viele Worte. Küss‘ einfach! Ein Kuss sagt mehr als viele Worte…“

Elise öffnete bereitwillig den Mund und spielte leidenschaftlich mit meiner Zunge. Auch ihren Körper drückte sie fest gegen mich. Es war der Himmel. Wenigstens fünf Minuten standen wir so und schaukelten dabei hin und her. Dann löste sie sich von mir und drückte mich auf die Bank.

Ich zog sie dicht an mich, hielt sie fest und sprudelte ein paar Worte zurück: „Das habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt. Du bist das hübscheste Mädchen weit und breit und hast meine Träume erraten. Natürlich will ich dich ha-ben und zwar für immer. Das ist ein Heiratsantrag. Morgen ge-hen wir zu meinen Eltern. Ich stelle dich als meine Zukünftige vor. Das ist reine Formsache und gehört sich so. Es wäre gut, wenn du sie magst. Sie sind schon Großeltern…“

„Mit eigenen Kindern warten wir bitte noch ein paar Tage. Trotzdem möchte ich mit dir zusammen sein. Und wie soll das morgen gehen? Mein Vater rastet aus, wenn ich mit dir nach Ottowind gehe…“

„Lass mich machen. Barbara wird morgen Vormittag mit schlim-men Bauchschmerzen nach Hause kommen. Deine Eltern sollen dich nach oben schicken, damit Barbara ihre Anstellung nicht verliert. Dann sagt uns die Chefin, dass wir nach Ottowind müs-sen, um bei meinem Vater frisches Quellwasser zu bestellen. Da-mit ich mich nicht verlaufe, wirst du mir den Weg zeigen….“

„Weiß meine Schwester von deinem Vorhaben? Hast du mit ihr über mich gesprochen?“

„Ja, ich habe sie gefragt, ob sie meine Frau werden will. Aber sie hat gesagt, du würdest mit mir besser zurechtkommen und au-

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ßerdem viel weniger essen. Deshalb habe ich mich dann für dich entschieden.“

Unterm Reden merkte ich, wie Elise sich an meiner Hose zu schaffen machte. Es war eindeutig, was sie vor hatte. Ich war völlig überrascht und dann erstaunt, wie ungeschickt sie sich dabei anstellte. Für‘s Öffnen von Männerhosen würde sie noch einige Nachhilfestunden brauchen. In meinen Träumen war immer ich der raffinierte Verführer. Hier war ich eindeutig et-was zu langsam. Trotzdem half ich Elise bei der Freilegung. Sie senkte sich herab und tat, was ich bisher nur bei Frau Hedwig erlebt hatte. Anne-Margarethe hatte sich vor Wochen angewi-dert geschüttelt, als ich von dieser Variante erzählte.

Ich war glücklich wie selten zuvor. Ausgerechnet ich Glückspilz erlebte nun, was ich in Elises Blicke hineinfantasiert hatte. Als die Bescherung vorbei und alles wieder ordentlich verpackt war, sagte sie altklug: „Man muss sich riechen und schmecken können, wenn es gut gehen soll. Viele Tiere unterscheiden ihre Kinder nur am Geruch. Aber dir muss ich jetzt noch etwas ganz Wichtiges beichten, bevor du mich deinen Eltern vorstellst…“

Neugierig auf das, was da kommen sollte, versuchte ich ein Witzchen, weil sie mitten im Satz verstummt war und nicht wei-tersprach: „Du wirst mir jetzt gestehen, dass du nicht die ganzen tausend Silberlinge Mitgift, sondern nur achthundertfünfzig mit-bringst…“

Im Nachhinein war der als Zungenlöser gedachte Spruch ziem-lich verletzend, weil klar war, in welchen Verhältnissen die Flur-schützens lebten. Ich küsste Elise so zärtlich ich konnte und drückte dabei ganz sachte meine Zunge gegen ihre Zunge. Den zweiten dummen Witz, nämlich dass ich meinen Geschmack in ihrem Mund köstlich fand, verkniff ich mir. Stattdessen sagte ich: „Allerliebste Zuckerschnecke, ich liebe dich so wie du bist. Du musst nichts gestehen…“

„Trotzdem musst du wissen, dass ich keine Jungfrau mehr bin. Und wenn du mich deshalb zum Teufel schickst, ist das die ge-

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rechte Strafe für meine grenzenlose Dummheit…“

Die Kirchturmuhr begann die volle siebte Stunde zu schlagen. Wir mussten gehen und liefen um die Kirche herum zum vorde-ren Eingang. Ich blieb im Schatten des Mondes und lief nach kurzer Verabschiedung an der Kirche zurück zum hinteren Aus-gang: „Ich habe mich in dich verschaut, auch wenn du keine Jungfrau bist. Morgen wirst du mir erzählen, was grenzenlose Dummheit ist. Und jetzt bestellst du Grüße an meine hübsche Schwägerin. Ich träume von dir…“

Sie verschwand eilig als flüchtender Schatten über dem gepflas-terten Weg. Dann hetzte sie die Stufen hinunter, wo Schwester Barbara sie erwartete. Sie schien den Weg zu kennen. Licht war nur nebenan in der Lehrerwohnung oberhalb der Schule zu se-hen. Beim Zurückgehen schlenkerte ich mit den Armen auf und ab, als wäre mir kalt. Aber ganz im Gegenteil war mir heiß, als mir das Erlebte so richtig bewusst wurde. Meiner klugen Frau Hedwig mussten die Ohren klingen, weil ich ihr einen gehauch-ten Kuss zum Mond und von dort nach Steinach schickte.

Hätte sie mich nicht so gut vorbereitet, wäre ich vielleicht in Ohnmacht gefallen, als Elise ihre Gefühle an mir austobte. Wie sollte ein Mädchen mit solchen Kenntnissen noch Jungfrau sein können? Die wenigen Erfahrungen, die ich mit Mädchen in mei-nem Alter bisher gemacht hatte, waren abschreckend genug. Auf Festen, die wir vom Gerber-Bräu aus bestückt hatten, war ich manchmal dabei, leere Fässer aufzuladen und volle anzuste-chen. Wenn es Tanz gab, war es schier unmöglich eine junge Tanzpartnerin zu bekommen, weil dazu erst die Familie konsul-tiert werden musste. Wehe, man wäre einer der holden Schön-heiten zu nahe gekommen...

Und hier hatte ich vor wenigen Minuten ein hübsches Mädchen erlebt, die aus eigenen Stücken meinen Johannes in den Mund genommen und zum Spucken gebracht hatte. Das war sensatio-nell. Von so einer Frau hatte ich immer geträumt. Eine Frau, die so entgegenkommend wie meine Frau Hedwig war. Die nicht in

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Page 16: „Kinderwunsch mit Bockbier“ gegriffen · Morgengruß in spätestens zwei Stunden ein Fuhrwerk zur Fest-wiese hinunterzuschicken, damit wir die ohlen aufladen könn- ... wo wir

Ohnmacht fiel, wenn ich den Wunsch äußerte, ihr gekräuseltes Fell zu streicheln. Sollte ich Frau Hedwig jemals wieder zu Ge-sicht bekommen, werde ich beschwören können, wenigstens einmal täglich an sie gedacht zu haben. Elise musste einen ähn-lich guten Lehrer gehabt haben.

Das beschwingte Armeschlenkern hatte aufgehört, als ich die Bank erreichte. Es war zwar ziemlich kalt geworden, aber ich hatte eine Jacke dabei und brauchte ein paar Denkminuten, um in meinem Innersten Ordnung zu schaffen. Elise hatte ich also erobert. Heute war mein großer Glückstag. Mit ihr würde ich eine Familie gründen. Wir würden heiraten und in der Nähe ein Häuschen suchen. Weder bei ihr noch bei meinen Leuten könn-ten wir wohnen. Dort gab es einfach keinen Platz. Wenn wir den Kinderwunsch etwas zurückstellen würden, könnte Elise eine Arbeit aufnehmen und ein paar Groschen dazu verdienen.

Ich versuchte mir vorzustellen, dass Elise jetzt zu Hause am Tisch saß und ähnliche Zukunftspläne schmiedete. Ob sie dach-te, dass sie mich erobert hatte? Morgen werde ich sie danach fragen und hoffte schon jetzt, dass wir uns darauf einigen kön-nen, uns gegenseitig erobert zu haben. Frau Hedwig würde zu so einem Gedankengang sagen: „Völliger Unsinn. Es ist egal, wer unten und wer oben ist. Man ist da, wo man den Partner glücklich macht. Wahre Liebe, auch die rein körperliche, bedeu-tet geben und nicht nehmen. Daran solltest du immer denken.“

Meine Gedanken gingen schon wieder eigene Wege. Innerlich glücklich und äußerlich beruhigt stand ich auf und ging den Grasweg langsam zurück zum oberen Schlosshof. Den gleichen Weg war ich vor einer guten halben Stunde gegangen.

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Es geht spannend weiter…

Erst auf Seite 438 ist der Roman zu Ende