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Arthur Conan Doyle

Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Vollständige & Illustrierte Fassung

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Arthur Conan Doyle

Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Vollständige & Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: Sidney Paget

Übersetzung: Margarete JacobiEV: Verlag R. Lutz, Stuttgart, 1903

5. Auflage, ISBN 978-3-954180-76-9

null-papier.de/149

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Inhaltsverzeichnis

Die Sherlock Holmes-Sammlung 3 ......................................... Die einzelnen Geschichten 5 .................................................... Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes 7 ............................ Einführung 13 ................................................................................ Das gesprenkelte Band 16 .......................................................... Der Daumen des Ingenieurs 58 ............................................... Der adlige Junggeselle 91 ........................................................... Die Beryll-Krone 127 ................................................................... Silberstrahl 170 ............................................................................. Die Blutbuchen 215 ......................................................................

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Danke

Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlagentschieden haben.

Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, sch-reiben Sie mir.

IhrJürgen Schulze

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Die Sherlock Holmes-Sammlung

ALLE ROMANE, ALLE KURZGESCHICHTEN

ÜBER 400 ZEICHNUNGEN

JUBILÄUMSAUSGABE: 0,99 €

NULL-PAPIER.DE/371

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Die einzelnen Geschichten

»Das gesprenkelte Band« (»The Speckled Band«), 1892Eine aufgeregte Frau bittet Holmes um Hilfe. Helen Sto-ner berichtet vom mysteriösen Tod ihrer Zwillings-schwester Julia. Nun fürchtet sie um ihr eigenes Leben.Wie wird sich Holmes dieses Geheimnisses annehmen?

»Der Daumen des Ingenieurs« (»The Engineer’s Thum-b«), 1892Der junge Ingenieur Victor Hatherley sucht Watsons Pra-xis auf, weil er während eines nächtlichen Vorfalls seinenDaumen verloren hat. Natürlich erregt er damit Holmes’Aufmerksamkeit, der sich nur zu gerne der Sache an-nimmt.

»Der adlige Junggeselle« (»The Noble Batchelor«), 1892Eine kurz nach der Trauung verschwundene Braut, einMillionenvermögen und ein adliger Junggeselle sind dieZutaten in diesem Geheimnis, das darauf wartet, von Hol-mes und Watson gelöst zu werden. Sicherlich werden siegemeinsam die Antworten finden, oder nicht?

»Die Beryll-Krone« (»The Beryl Coronet«), 1892An einem Wintermorgen erhalten Holmes und WatsonBesuch von Alexander Holder, den Teilhaber einer gro-ßen Privatbank; dieser ist verzweifelt, weil ihm eine wert-volle Krone als Kreditpfand kurzfristig überlassen wor-

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den war. Sein stets in Geldnöten befindlicher Sohn wirdnun verdächtigt, Juwelen aus dieser Krone herausgebro-chen und gestohlen zu haben.

»Silberstrahl« (»Silver Blaze«), 1892Der berühmte Stallmeister und Trainer John Straker wirdermordet aufgefunden, gleichzeitig ist das in seiner Ob-hut befindliche, schnellste Rennpferd Englands mit Na-men Silberstrahl verschwunden. Besteht ein Zusammen-hang? Schnell fällt der Verdacht auf einen Widersacher –zu schnell womöglich?

»Die Blutbuchen« (»The Copper Beeches«), 1892Die junge Erzieherin Violet Hunter erhält ein verlocken-des Stellenangebot. Dieses Angebot ist aber so gut, dassihr Misstrauen geweckt wird, nicht zuletzt, weil man vonihr verlangt, sich die Haare kurz zu schneiden und wäh-rend der Arbeit ein spezielles Kleid zu tragen. KeineFrage, dass Holmes dieser Geschichte auf den Grund ge-hen muss.

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Arthur Conan Doyle & SherlockHolmes

Womöglich wäre die Literatur heute um eine ihrer schil-lerndsten Detektivgestalten ärmer, würde der am 22. Mai1859 in Edinburgh geborene Arthur Ignatius Conan Doylenicht ausgerechnet an der medizinischen Fakultät derUniversität seiner Heimatstadt studieren. Hier nämlichlehrt der später als Vorreiter der Forensik geltende Chir-urg Joseph Bell. Die Methodik des Dozenten, seine Zügeund seine hagere Gestalt wird der angehende Autor fürden dereinst berühmtesten Detektiv der Kriminallitera-tur übernehmen.

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Geburt und Tod des HolmesDer erste Roman des seit 1883 in Southsea praktizieren-den Arztes teilt das Schicksal zahlloser Erstlinge – erbleibt unvollendet in der Schublade. Erst 1887 betrittSherlock Holmes die Bühne, als »Eine Studie in Schar-lachrot« erscheint. Nachdem Conan Doyle im MagazinThe Strand seine Holmes-Episoden veröffentlichen darf,ist er als erfolgreicher Autor zu bezeichnen. The Stranderöffnet die Reihe mit »Ein Skandal in Böhmen«. Im Jahr1890 zieht der Schriftsteller nach London, wo er ein Jahrdarauf, dank seines literarischen Schaffens, bereits seineFamilie ernähren kann; seit 1885 ist er mit LouiseHawkins verheiratet, die ihm einen Sohn und eine Toch-

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ter schenkt.Ginge es ausschließlich nach den Lesern, wäre dem

kühlen Detektiv und seinem schnauzbärtigen Mitbewoh-ner ewiges Leben beschieden. Die Abenteuer der beidenFreunde nehmen freilich, wie ihr Schöpfer meint, zu vielZeit in Anspruch; der Autor möchte historische Romaneverfassen. Deshalb stürzt er 1893 in »Das letzte Problem«sowohl den Detektiv als auch dessen Widersacher Mori-arty in die Reichenbachfälle. Die Proteste der enttäusch-ten Leserschaft fruchten nicht – Holmes ist tot.

Die Wiederauferstehung des HolmesObwohl sich der Schriftsteller mittlerweile der Vergan-genheit und dem Mystizismus widmet, bleibt sein Inter-esse an Politik und realen Herausforderungen doch unge-brochen. Den Zweiten Burenkrieg erlebt Conan Doyleseit 1896 an der Front in Südafrika. Aus seinen Eindrü-cken und politischen Ansichten resultieren zwei nach1900 publizierte propagandistische Werke, wofür ihnQueen Victoria zum Ritter schlägt.

Eben zu jener Zeit weilt Sir Arthur zur Erholung inNorfolk, was Holmes zu neuen Ehren verhelfen wird. DerLiterat hört dort von einem Geisterhund, der in Dart-

moor1 eine Familie verfolgen soll. Um das Mysterium auf-zuklären, reanimiert Conan Doyle seinen exzentrischenAnalytiker: 1903 erscheint »Der Hund der Baskervilles«.Zeitlich noch vor dem Tod des Detektivs in der Schweizangesiedelt, erfährt das Buch enormen Zuspruch, wes-halb der Autor das Genie 1905 in »Das leere Haus« end-gültig wiederbelebt.

Das unwiderrufliche Ende des HolmesNach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1906 und der

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Heirat mit der, wie Conan Doyle glaubt, medial begabtenJean Leckie befasst sich der Privatmann mit Spiritismus.Sein literarisches Schaffen konzentriert sich zunehmendauf Zukunftsromane, deren bekanntester Protagonist derExzentriker Professor Challenger ist. Als populärsterChallenger-Roman gilt die 1912 veröffentlichte und be-reits 1925 verfilmte Geschichte »Die vergessene Welt«,die Conan Doyle zu einem Witz verhilft: Der durchausschlitzohrige Schriftsteller zeigt im kleinen Kreis einerSpiritistensitzung Filmaufnahmen vermeintlich lebenderSaurier, ohne zu erwähnen, dass es sich um Material derersten Romanverfilmung handelt.

Die späte Freundschaft des Literaten mit Houdini zer-bricht am Spiritismus-Streit, denn der uncharmante Zau-berkünstler entlarvt zahlreiche Betrüger, während derSchriftsteller von der Existenz des Übernatürlichen über-zeugt ist. Conan Doyles Geisterglaube erhält Auftrieb, alssein ältester Sohn Kingsley während des Ersten Welt-kriegs an der Front fällt.

Noch bis 1927 bedient der Autor das Publikum mitKurzgeschichten um Holmes und Watson; zuletzt er-scheint »Das Buch der Fälle«. Als Sir Arthur Conan Doyleam 7. Juli 1930 stirbt, trauern Familie und Leserschaft glei-chermaßen, denn diesmal ist Holmes wirklich tot.

Von der Bedeutung eines GeschöpfesOder vielmehr ist Holmes ein ewiger Wiedergänger, derim Gedächtnis des Publikums fortlebt. Nicht wenige Le-ser hielten und halten den Detektiv für eine existente Per-son, was nicht zuletzt Conan Doyles erzählerischem Ge-schick und dem Realitätsbezug der Geschichten zu ver-danken sein dürfte. Tatsächlich kam man im 20. Jahrhun-dert dem Bedürfnis nach etwas Handfestem nach, indemein Haus in der Londoner Baker Street die Nummer 221 b

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erhielt. Dort befindet sich das Sherlock-Holmes-Mu-seum.

Conan Doyles zeitgenössischer SchriftstellerkollegeGilbert Keith Chesterton, geistiger Vater des kriminalisti-schen Pater Brown, brachte das literarische Verdienst sei-nes Landsmanns auf den Punkt: Sinngemäß sagte er,dass es nie bessere Detektivgeschichten gegeben habeund dass Holmes möglicherweise die einzige volkstümli-che Legende der Moderne sei, deren Urheber man gleich-wohl nie genug gedankt habe.

Dass der Detektiv sein sonstiges Schaffen dermaßenüberlagern konnte, war Conan Doyle selbst niemalsrecht. Er hielt seine historischen, politischen und späterseine mystizistisch-spiritistischen Arbeiten für wertvol-ler, während die Kurzgeschichten dem bloßen Broter-werb dienten. Vermutlich übersah er bei der Selbstein-schätzung seiner vermeintlichen Trivialliteratur derenenorme Wirkung, die weit über ihren hohen Unterhal-tungswert hinausging.

So wie Joseph Bell, Conan Doyles Dozent an der Uni-versität, durch präzise Beobachtung auf die Erkrankun-gen seiner Patienten schließen konnte, sollte SherlockHolmes an Kriminalfälle herangehen, die sowohl seinenKlienten als auch der Polizei unerklärlich schienen. Bellsstreng wissenschaftliches Vorgehen stand Pate für De-duktion und forensische Methodik in den vier Romanenund 56 Kurzgeschichten um den hageren Gentleman-De-tektiv. Professor Bell beriet die Polizei bei der Verbre-chensaufklärung, ohne in den offiziellen Berichten oderin den Zeitungen erwähnt werden zu wollen. Die Ähnlich-keit zu Holmes ist augenfällig. Wirklich war in den Ge-schichten die Fiktion der Realität voraus, denn wissen-schaftliche Arbeitsweise, genaue Tatortuntersuchungund analytisch-rationales Vorgehen waren der Kriminalis-tik jener Tage neu. Man urteilte nach Augenschein und

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entwarf Theorien, wobei die Beweisführung nicht ergeb-nisoffen geführt wurde, sondern lediglich jene Theorienbelegen sollte. Zweifellos hat die Popularität der Erleb-nisse von Holmes und Watson den Aufstieg der realen Fo-rensik in der Verbrechensaufklärung unterstützt.

Ein weiterer interessanter Aspekt der Erzählungen be-trifft Conan Doyles Neigung, seine eigenen Ansichten ein-zuarbeiten. Zwar bevorzugte er zu diesem Zweck andereSchaffenszweige, aber es finden sich gesellschaftlicheund moralische Meinungen, wenn Holmes etwa Verbre-cher entkommen lässt, weil er meint, dass eine Tat ge-recht gewesen oder jemand bereits durch sein Schicksalgenug gestraft sei. Gelegentlich ist dabei festzustellen,dass er Angehörige niedriger Stände gleichgültiger behan-delt als die Vertreter der »guten Gesellschaft«.

Fiktive Biografien des Detektivs, Bühnenstücke, Verfil-mungen und zahllose Nachahmungen, darunter nicht sel-ten Satiren, von denen Conan Doyle mit »Wie Watsonden Trick lernte« 1923 selbst eine verfasste, künden vonder ungebrochenen Beliebtheit des kriminalistischenDuos, ohne das die Weltliteratur weniger spannendwäre.

berüchtigtes, britisches Gefängnis in einer Moorge-1.gend gelegen <<<

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Einführung

Die Haushälterin hatte eben den Nachmittagsteehereingebracht. Nun zog sie die Vorhänge vor den Fens-tern zu und zündete die Stehlampe an, die ein warmesLicht über den gedeckten Tisch warf. Das Feuer im Ka-min verbreitete eine angenehme Wärme. Doktor Watsonsaß in einem bequemen Sessel und las, als sich die Türeöffnete und Sherlock Holmes eintrat. »Das ist heute malwieder ein Nebel!« sagte er und rieb sich die Hände vordem Feuer warm. »Ein scheußliches Wetter draußen! Kei-nen Hund möchte man da hinausjagen!« Dann wandte ersich dem Hausgenossen zu: »Was liest du denn da so in-teressiert, Doktor?«

Watson legte rasch, fast in leichter Verlegenheit, dieBlätter beiseite. Es waren eine Anzahl fortlaufender Num-mern des ›Telegraph‹.

»Ach, nichts weiter«, sagte er in offensichtlichem Be-mühen, der Sache keine weitere Bedeutung zuzuschrei-ben. »Komm, setz dich lieber her und trinke gleich einenheißen Tee, wenn du so ausgefroren bist.«

Damit füllte er ihm eine Tasse, rückte einen Sessel zu-recht und bot ihm einen Teller mit belegten Broten an.Kaum hatte Holmes sich gesetzt, so klingelte es. Sie stell-ten beide zugleich, wie auf Verabredung, ihre Tassen nie-der und lauschten.

War es ein Besuch oder ein Ruf? Und wem von ihnenbeiden mochte er gelten?

Dr. Watson hatte zwar seit seiner Rückkehr aus demafghanischen Feldzug, an dem er als Militärarzt teilnahm,

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offiziell noch keine Praxis aufgenommen. Aber es kamdoch vor, dass er gelegentlich, etwa bei Unglücksfällen,zur dringenden Hilfeleistung geholt wurde und sie dannselbstverständlich nicht verweigerte.

Die Haushälterin kam herein. »Ein Kind ist überfahrenworden, Herr Doktor –«

»Ich komme«, unterbrach Watson ihren Bericht undstand sofort auf. Ein Mensch in Gefahr – da wurde jedeFrage nach Zeit und Wetter gleichgültig für ihn. Er eiltehinaus, und Holmes hörte noch, wie er draußen mit ei-nem Mädchen verhandelte, sich Name und Wohnung sa-gen ließ, während er alles Nötige zur Hilfeleistung ein-packte. Gleich darauf fiel die Haustüre ins Schloss. FrauHudson kam mit ihrem schweren Schritt die Treppe her-auf und verschwand in der Küche.

Es war wieder still geworden im Hause. Nichts warmehr zu hören, als das Aufflackern des Feuers im Kamin.Der Lärm der Straße und der vorbeifahrenden Wagendrang nur gedämpft herauf, wie etwas Fernes, das die Ab-geschlossenheit dieses Raumes nicht stören konnte.

Sherlock Holmes hatte seinen Tee getrunken. Nunsaß er in behaglicher Entspannung zurückgelehnt in sei-nem Sessel und blickte gedankenverloren den blauenWolken seiner Pfeife nach. Da fiel sein Blick auf die Zei-tungen, die Watson achtlos liegengelassen hatte und ergriff danach. Zuerst blieb sein Blick auf einem Artikel haf-ten, in dem jemand sich weit und breit über die Notwen-digkeit frühzeitiger Zahnpflege beim Kleinkind ausließ,dann folgte ein Bericht über den Stand der übertragba-ren Krankheiten. Fachsimpelei, die nur Watson angeht,dachte Holmes und war schon im Begriff, den ›Telegra-ph‹ wieder wegzulegen, als er plötzlich seinen eigenenNamen darin entdeckte. »Aha, Watson scheint mal wie-der unter die Schriftsteller gegangen zu sein!« murmelteHolmes vor sich hin. Er überflog einige Spalten, lächelte,

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legte die Pfeife aus der Hand, setzte sich bequem zu-recht, suchte den Anfang und las:

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Das gesprenkelte Band1

Wenn ich meine Aufzeichnungen von den vielen ab-sonderlichen Fällen überblicke, an denen ich währendder letzten Jahre das Verfahren meines Freundes Sher-lock Holmes studiert habe, so finde ich darunter manchevon tragischer, einige auch von komischer Art; viele las-sen sich einfach nur als merkwürdig bezeichnen, aber kei-ner als alltäglich; denn da Holmes sich bei seiner Tätig-keit weit mehr von der Liebe zu seinem Beruf als von ma-teriellem Gewinn bestimmen ließ, so lehnte er seine Mit-wirkung stets ab, wenn die Nachforschungen sich nichtauf einen ungewöhnlichen oder geradezu rätselhaftenVorgang richteten. Unter all diesen verschiedenartigenFällen weiß ich mich jedoch keines zu entsinnen, dereine gleiche Fülle merkwürdiger Züge dargeboten hätte,wie der, welcher in der bekannten Familie der Roylottsvon Stoke Moran in Surrey spielte. Dieses Ereignis fiel indie erste Zeit unseres gemeinsamen Junggesellenlebensin der Baker Street. Ich würde es vielleicht früher schonveröffentlicht haben, wäre mir nicht Stillschweigen dar-über auferlegt gewesen – eine Pflicht, von der mich erstjetzt der Tod der Dame entbunden hat, in deren Inter-esse jenes Versprechen gegeben worden war. Vielleichtist es ganz gut, dass der wahre Sachverhalt jetzt ansLicht kommt, denn wie ich hörte, haben sich über denTod des Dr. Grimesby Roylott in weiten Kreisen Ge-rüchte verbreitet, die jene Ereignisse noch grässlicherausmalten, als sie in Wirklichkeit waren.

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An einem Aprilmorgen erblickte ich beim Erwachen Hol-mes vollständig angekleidet an meinem Bett. Er standsonst gewöhnlich spät auf, und da die Uhr auf dem Ka-minsims erst ein Viertel nach sieben zeigte, so blinzelteich ihn einigermaßen überrascht, vielleicht sogar etwasärgerlich an, denn ich ließ mich selbst nicht gerne in mei-nen Gewohnheiten stören.

»Es tut mir sehr leid, dass ich dich wecken muss, Wat-son«, sagte er, »aber es geht heute Morgen keinem imHause besser. Frau Hudson ist zuerst herausgeklopft wor-den, sie hat mich aufgeweckt, und jetzt kommt die Reihean dich.«

»Was gibt es denn? Brennt es?«»Nein, eine Klientin ist da. Eine junge Dame von aus-

wärts, die mich durchaus sprechen will. Sie soll in großerAufregung sein. Sie wartet unten im Empfangszimmer.Wenn sich aber eine junge Dame in solcher Morgenfrühenach London aufmacht und die Leute aus den Federntreibt, so wird sie wohl einen triftigen Grund dafür ha-ben. Einen wirklich interessanten Fall würdest du dochgewiss gern von Anfang an verfolgen. Ich wollte dich des-halb unter allen Umständen wecken, um dich dieser Gele-genheit nicht zu berauben.«

»Das war sehr nett von dir, mein lieber Junge, natür-lich möchte ich sie um keinen Preis verpassen.«

Ich kannte keinen größeren Genuss, als Holmes beiden Untersuchungen, die sein Beruf mit sich brachte,Schritt für Schritt zu begleiten und seine kühnen Schluss-folgerungen zu bewundern, die blitzschnell, als ent-stammten sie höherer Eingebung, und doch stets auf st-reng logischer Grundlage aufgebaut, Licht in das Dunkelder ihm vorgelegten rätselhaften Fälle brachten. Ich warfmich also rasch in die Kleider und war nach wenigen Mi-nuten so weit, um meinem Freund nach dem Empfangs-zimmer folgen zu können.

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Eine schwarzgekleidete, verschleierte Dame saß amFenster und erhob sich bei unserem Eintritt.

Holmes stellte sich vor, begrüßte sie freundlich underklärte ihr, indem er auf mich deutete: »Hier ist meinvertrauter Freund und Kollege Dr. Watson, vor dem SieIhre Sache ohne Scheu vorbringen können. – Frau Hud-son hat ja Feuer angemacht, wie ich sehe, das war ver-nünftig von ihr. Bitte, setzen Sie sich nur an den Kamin;ich lasse Ihnen gleich eine Tasse heißen Kaffee bringen,Sie zittern ja ordentlich.«

»Aber nicht vor Kälte«, antwortete die Dame mit lei-ser Stimme, indem sie der Aufforderung Folge leistete.

»Weshalb denn sonst?«

»Vor Angst, Herr Holmes, vor Schrecken.« Bei diesenWorten schlug sie den Schleier zurück, und wir sahennun, dass sie sich tatsächlich in einem Zustand starker Er-regung befand; ihr Gesicht war ganz verzerrt und asch-fahl, und sie blickte angstvoll um sich wie ein gehetztes

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Wild. Ihren Zügen und ihrer Figur nach musste man siefür dreißigjährig halten, allein ihr Haar zeigte bereits Spu-ren von Grau, und es lag etwas Müdes und Abgezehrtesin ihrer ganzen Erscheinung.

Holmes musterte sie mit seinem alles durchdringen-den Blick. »Sie müssen keine Angst haben«, sagte er in be-ruhigendem Tone, indem er sich über sie beugte. »Wirwerden gewiss bald alles in Ordnung bringen. Sie sindheute früh mit der Bahn angekommen, wie ich sehe.«

»Kennen Sie mich denn?«»Nein, ich bemerke nur die eine Hälfte der Rückfahr-

karte, die Sie in Ihrem linken Handschuh stecken haben.Sie müssen früh aufgebrochen sein und hatten dann biszur Bahn eine tüchtige Fahrt in einem Jagdwagen auf sch-lechten Wegen zu machen.«

Mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens starrte dieFremde meinen Freund an.

»Sie brauchen sich nicht zu verwundern«, fuhr Hol-mes lächelnd fort. »Ich treibe keine Hellseherei. Aber derlinke Ärmel Ihrer Jacke ist an nicht weniger als siebenStellen mit noch ganz nassem Schmutz bespritzt. Kein an-deres Fuhrwerk wirft aber so viel Schmutz auf wie einJagdwagen, und am allerschlimmsten ist es vollends,wenn man vorne links neben dem Kutscher sitzt.«

»Das mag sein, wie es will, jedenfalls treffen Sie mit Ih-ren Schlüssen das Richtige«, versetzte sie. »Ich fuhr vor6 Uhr daheim fort, brauchte 20 Minuten bis nach Lea-therhead und traf mit dem ersten Zuge hier an der Water-loo-Station ein. – Es kann nicht länger so fortgehen, ichhalte es nicht mehr aus, ich werde wahnsinnig! Ich habegar niemand, an den ich mich wenden könnte – niemand;nur ein einziger Mensch nimmt Anteil an mir, aber helfenkann er mir auch nicht. Man hat mir von Ihnen erzählt,Herr Holmes. Eine meiner Bekannten, Frau Farintosh,der Sie einmal in ihrer schrecklichen Bedrängnis Bei-

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stand leisteten, hat mir Ihre Adresse gegeben. Ach, mei-nen Sie nicht, Sie könnten mir vielleicht ebenfalls helfenund die furchtbare Finsternis, die mich umgibt, wenigs-tens durch einen schwachen Schimmer erhellen? Ichhabe freilich jetzt kein Geld, aber in sechs Wochen odereinem Monat, wenn ich verheiratet und im Besitz meinesVermögens bin, sollen Sie mich nicht undankbar finden.«

Holmes entnahm seinem Schreibtisch ein kleinesBuch mit Aufzeichnungen über frühere Fälle und schlugdarin nach.

»Farintosh«, murmelte er, »ach ja, jetzt erinnere ichmich des Falles. Es handelte sich um einen Opalkopfsch-muck. – Das war noch vor deiner Zeit, Watson. – Ichkann Ihnen die Versicherung geben, dass ich mich IhresFalles mit demselben Interesse annehmen werde, wie da-mals der Angelegenheit von Frau Farintosh. Über dieGeldfrage möchte ich Sie beruhigen, meine Belohnungfinde ich einzig in meiner Tätigkeit selbst; doch steht esIhnen frei, mir meine etwaigen Auslagen bei gelegenerZeit zu ersetzen. Und nun bitte ich Sie, uns alles mitzutei-len, was für die Beurteilung des Falles irgend von Wertsein kann.«

»Ach«, begann die Fremde, »das Schreckliche an mei-ner Lage ist gerade, dass meine Befürchtungen so unbe-stimmter Natur sind und mein Verdacht sich nur auf ge-ringfügige Umstände stützt, die jedem anderen bedeu-tungslos erscheinen. Selbst mein Verlobter betrachtetalle meine Vermutungen nur als Eingebungen meinerüberreizten Nerven. Er sagt es nicht gerade heraus, al-lein ich merke es an seinen beschwichtigenden Antwor-ten und ausweichenden Blicken. Aber Sie, Herr Holmes,sollen ja imstande sein wie nur wenige, das menschlicheHerz zu durchschauen. Ihr Rat wird mir gewiss einenWeg durch all die Gefahren zeigen, von denen ich jetztumgeben bin.« Fragend hob sie den Blick zu Holmes.

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»Bitte, fahren Sie ruhig fort«, ermunterte er sie.»Ich heiße Helen Stoner und wohne zusammen mit

meinem Stiefvater an der Westgrenze von Surrey. Er istder letzte der Roylotts von Stoke Moran, die eine der äl-testen Familien Englands waren.«

Sherlock Holmes nickte. »Der Name ist mir bekannt«,sagte er.

»Die Familie gehörte einst zu den reichsten in ganzEngland und ihre Besitzungen erstreckten sich bis überdie Grenzen der benachbarten Grafschaften hinaus. Imvorigen Jahrhundert jedoch kam der Besitz viermal hinte-reinander in leichtsinnige Hände, und als dann noch ei-ner der Erben sich dem Spiel ergab, war der Ruin der Fa-

milie besiegelt. Ein paar Hufen2 Landes und der zweihun-dert Jahre alte Familiensitz, auf dem aber hohe Hypothe-ken lasteten, war alles, was übrig blieb. Der vorige Guts-herr harrte noch bis zu seinem Tode dort aus, indem erdas schwere Los eines verarmten Edelmannes trug; seineinziger Sohn dagegen, mein jetziger Stiefvater, sah ein,dass er sich den neuen Verhältnissen anpassen musste;er verschaffte sich ein Darlehen von einem Verwandten,das ihm das Studium der Medizin ermöglichte. Dann ließer sich in Kalkutta nieder, wo er sich mit großer Willens-kraft und durch seine tüchtigen Kenntnisse eine ausgeb-reitete Praxis erwarb.

Im Jähzorn über einen Diebstahl in seinem Hause er-schlug er jedoch einen eingeborenen Diener und entgingnur mit Mühe einem Todesurteil. Er erhielt eine langeFreiheitsstrafe, nach deren Verbüßung er verbittert undenttäuscht nach England zurückkehrte. Während seinesAufenthalts in Indien heiratete Dr. Roylott meine Mutter,die junge Witwe des Generalmajors Stoner von der ben-galischen Artillerie. Meine Zwillingsschwester Julia undich waren damals erst zwei Jahre alt. Die Mutter besaß

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ein Vermögen, das etwa tausend Pfund im Jahr ein-brachte und das sie unserem Stiefvater vollständig über-ließ mit der Bedingung, im Falle unserer Verheiratung je-der von uns beiden eine gewisse Summe jährlich auszu-zahlen. Bald nach unserer Rückkehr nach England kammeine Mutter bei einem Eisenbahnunfall ums Leben – essind jetzt acht Jahre her. Nun gab Dr. Roylott seine Versu-che auf, sich in London eine ärztliche Praxis zu gründen,und zog mit uns in das alte Stammschloss in Stoke Mo-ran. Da die Hinterlassenschaft meiner Mutter unsere Be-dürfnisse reichlich deckte, so hätten wir ein zufriedenesund glückliches Leben führen können.

Allein mit unserem Stiefvater ging plötzlich eine sch-reckliche Veränderung vor. Anstatt freundschaftlichenVerkehr mit unseren Nachbarn anzuknüpfen, die anfangshoch erfreut darüber waren, wieder einen Stoke Moranauf dem alten Familiensitz einziehen zu sehen, schloss ersich in sein Haus ein, und wenn er es jemals verließ, be-kam er mit jedem, der ihm in den Weg lief, den heftigs-ten Streit. Ein förmlich krankhafter Jähzorn war über-haupt ein Erbstück der Männer in der Familie, und beimeinem Stiefvater mochte durch seinen langen Aufent-halt in den Tropen diese Eigenschaft wohl noch verstärktworden sein. Die Folge war, dass er in eine Reihe hässli-cher Streitigkeiten verwickelt wurde, die ihn zweimal vorGericht brachten, bis er zuletzt der Schrecken des gan-zen Dorfes war und alles bei seinem bloßen Anblick dieFlucht ergriff, denn er besitzt eine riesige Stärke undkennt in seiner Wut keine Grenzen.

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Vorige Woche erst warf er den Dorfschmied über dasBrückengeländer ins Wasser, und ich musste alles, wasich an Geld hatte, opfern, damit die Angelegenheit nichtvor Gericht gebracht wurde. Mit keinem Menschen hielter Freundschaft, außer mit den herumziehenden Zigeun-ern; sie durften auf den paar Morgen Brachland, die vondem ganzen Besitztum noch geblieben sind, ihr Lager auf-schlagen. Oft kehrte er in ihren Zelten ein, ja er beglei-tete sie sogar wochenlang auf ihren Wanderzügen. Eineleidenschaftliche Vorliebe hat er für indische Tiere, dieer sich aus Kalkutta kommen lässt; gegenwärtig besitzter einen Leoparden und einen Pavian, die er in seinemAnwesen frei umherlaufen lässt und die den Dorfbewoh-nern denselben Schrecken einjagen wie ihr Herr selbst.