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Doyle Arthur Conan Professor Challenger Und Das ENDE DER WELT

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Doyle Arthur Conan Professor Challenger Und Das ENDE DER WELT

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  • Sir Arthur Conan Doyle

    PROFESSOR CHALLENGER UND DAS ENDE DER WELT

  • Das Ende der Welt

    (The Poison Belt)

  • I

    Die Linien verblassen Jetzt, da die ungeheuren Ereignisse meiner Erinnerung noch klar verhaftet sind, ist es unerllich geworden, sie niederzuschreiben, bevor die Zeit sie verblassen lt. Noch whrend ich dies tue, bin ich von dem Wunder der Tatsache berwltigt, da es ausgerechnet unserer kleinen Gruppe von der Vergessenen Welt Professor Challenger, Professor Summerlee, Lord John Roxton und mir vergnnt war, diese verblffenden Erfahrungen durchzumachen.

    Als ich vor ein paar Jahren in der Daily Gazette den aufsehenerregenden Bericht ber unsere Sdamerikareise verffentlichte, wre mir nicht im Traum eingefallen, da das Schicksal mich dazu ausersehen wrde, ber ein noch ungewhnlicheres Ereignis zu berichten ein Ereignis, das in der Menschheitsgeschichte nicht nur einmalig war, sondern alle anderen, so spektakulr sie auch gewesen sein mgen, weit in den Schatten stellte. Das Ereignis selbst wird fr mich immer wundersam bleiben, aber die Umstnde, die dazu fhrten, da ausgerechnet wir vier beim Eintreffen dieser auergewhnlichen Episode wieder beisammen waren, erfolgte aus absolut banalen, aber folgerichtigen Beweggrnden heraus. Ich will alles, was zu unserem erneuten Zusammentreffen fhrte, so kurz und knapp wie mglich erzhlen, obwohl ich mir natrlich dessen bewut bin, da ein detaillierterer Bericht dem Leser mehr geben wrde; schlielich ist die Neugier des Publikums heutzutage ebenso unersttlich, wie sie frher gewesen ist.

  • Am Freitag, dem 27. August einem Datum, das die Welt so schnell nicht wieder vergessen wird begab ich mich hinunter in die Redaktion meiner Zeitung und bat Mr. McArdle, der immer noch die Nachrichtenabteilung regierte, mir einen dreitgigen Urlaub zu gewhren. Der nette, alte Schotte schttelte den Kopf, kratzte seinen immer schtterer werdenden rtlichen Haarkranz und kleidete seine Ablehnung schlielich in Worte.

    Ich glaube, Mr. Malone, da wir Sie ausgerechnet jetzt am dringendsten bentigen. Ich glaube, wir haben da eine Geschichte, die nur ein Mann wie Sie in die richtigen Proportionen bringen kann.

    Wie schade, sagte ich und versuchte meine Mistimmung zu verbergen. Wenn man mich braucht, sieht die Sache natrlich anders aus. Aber meine Verabredung ist ziemlich wichtiger privater Natur. Wenn Sie mir vielleicht doch freigeben knnten

    Leider wei ich nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte. Es war natrlich bitter fr mich, aber ich mute das Beste

    daraus machen. Immerhin hatte ich einen groen Fehler begangen, denn damals htte ich natrlich schon wissen sollen, da man als Journalist nicht das Recht hat, eigene Plne zu verfolgen.

    Nun, ich werde die Sache dann wohl besser vergessen, sagte ich mit soviel Freundlichkeit, wie man einer kurzen Abfuhr gegenber aufbringen konnte. Welchen Auftrag soll ich bernehmen?

    Nun, Sie brauchen blo diesen entsetzlichen Querkopf in Rotherfield zu interviewen.

    Sie meinen doch nicht etwa Professor Challenger? rief ich aus.

    Doch, doch, genau den meine ich. Er hat den jungen Alec Simpson vom Courier vergangene Woche an Hinterteil und

  • Kragen eine Meile weit die Hauptstrae hinuntergeschleppt. Mglicherweise haben Sie davon im Polizeibericht gelesen. Unsere Jungs wollen nun alle lieber einen ausgebrochenen Alligator aus dem Zoo interviewen. Aber Sie, denke ich, knnten es schaffen. Immerhin sind Sie seit langer Zeit mit ihm befreundet.

    Aber natrlich, sagte ich erleichtert. Nichts einfacher als das. Zufllig war Professor Challenger nmlich der Grund, weswegen ich Sie um Urlaub bat. Es ist nmlich so, da wir heute den dritten Jahrestag unseres groen Abenteuers in Sdamerika feiern wollen. Er hat uns alle in sein Haus eingeladen, um das Ereignis gebhrend zu feiern.

    Prchtig! schrie McArdle. Er rieb sich die Hnde und strahlte mich durch seine Brillenglser an. Dann werden Sie es auch schaffen, ihn nach seiner Meinung zu befragen. Bei jedem anderen Mann wrde ich sagen, da man Perlen vor die Sue wirft, aber der Bursche hat einmal eine berragende Tat vollbracht, und man kann nie wissen, wann er die nchste vorbereitet!

    Nach was soll ich ihn fragen? fragte ich. Was hat er denn getan?

    Haben Sie in der heutigen Times seinen Brief zur Rubrik Wissenschaftliche Mglichkeiten nicht gesehen?

    Nein. McArdle bckte sich und hob die Zeitung vom Boden auf. Lesen Sie es mir vor, sagte er und deutete mit dem Finger

    auf eine bestimmte Spalte. Ich wrde es gerne noch einmal hren, denn ich bin immer noch nicht sicher, ob ich den Mann richtig verstanden habe.

    Der Brief, den ich dem Nachrichtenchef der Gazette vorlas, hatte folgenden Wortlaut:

    WISSENSCHAFTLICHE MGLICHKEITEN

  • Mein Herr, mit ziemlicher Amsiertheit und auch weniger schmeichelhaften Emotionen habe ich den selbstzufriedenen, gnzlich nrrischen Brief des James Wilson MacPhail gelesen, der letztlich zum Thema Das Verblassen der Fraunhoferschen Linien in den Spektren von Planeten und Fixsternen in Ihrer Zeitung abgedruckt wurde. Mr. MacPhail mit diesen Erscheinungen wenig Bedeutung bei. Einer ausgeprgteren Intelligenz wird dies jedoch als von allergrter Wichtigkeit erscheinen mssen und sollte demgem die absolute Aufmerksamkeit jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes dieses Planeten hervorrufen. Da ich kaum zu hoffen wage und schon gar nicht durch die Verwendung der wissenschaftlichen Sprache , jene Dilettanten zum Nachdenken zu bewegen, die ihre Ideen aus den Spalten von Tageszeitungen beziehen, will ich mich bemhen, mich dazu herabzulassen, ihre Begrenzungen hinzunehmen und die Situation anhand eines kleinen Beispiels erlutern, das die Intelligenz Ihrer Leser nicht berbeanspruchen wird. Mann, der Kerl ist ein Wunder ein lebendes Wunder! sagte McArdle und schttelte sinnierend den Kopf. Er wrde sogar eine Qukerversammlung zu Gewalttaten treiben. Kein Wunder, da ihm in London der Boden zu hei geworden ist. Es ist ein Jammer, Mr. Malone ein Mann mit solchen Geistesgaben! Aber kommen wir nun zu seinem Beispiel.

    Nehmen wir an, las ich weiter, da man whrend einer Atlantikberquerung ein kleines Bndel miteinander verbundener Korken ins Wasser geworfen hat. Den sie umgebenden Bedingungen gem werden sie Tag fr Tag langsam vor sich hintreiben. Wren die Korken mit Intelligenz versehen, knnte man sich vorstellen, da sie der Meinung huldigen mten, die Umstnde, unter denen sie existieren, seien bestndig und unvernderlich. Wir aber, mit unserem

  • berlegenen Wissen, wissen, da viel geschehen kann, das die Korken berraschen mte.

    Sie knnen vielleicht gegen eine Schiffswand treiben oder gegen einen schlafenden Wal; sie knnen sich aber ebenso gut in Seetang verstricken. In jedem Fall wrde ihre Reise aber mglicherweise damit enden, da die Elemente sie gegen die Felsenkste von Labrador werfen. Aber wie sollen sie sich so etwas vorstellen knnen, wenn sie Tag fr Tag von einem Ozean, den sie fr grenzenlos und allgegenwrtig halten, sanft getragen werden?

    Ihre Leser werden mglicherweise einsehen, da der in dieser Parabel erwhnte Atlantik die Stelle jenes mchtigen Ozeans einnimmt, den wir als Weltenraum kennen und die kleinen Korken nichts anderes darstellen, als das winzige und obskure Planetensystem, zu dem wir gehren: Eine Sonne drittrangiger Gre und eine Ansammlung belangloser Satelliten, die unter den gleichen tglichen Bedingungen einem unbekannten Ende entgegenschweben, einer elenden Katastrophe, die uns im Ultimaten Grenzgebiet des Weltraums erwartet, wo wir ber einen therischen Niagarafall gesplt oder an ein unvorstellbares Labrador geworfen werden.

    Ich sehe keinen Grund fr den seichten und unwissenden Optimismus Ihres Korrespondenten Mr. James Wilson MacPhail, aber ich sehe viele Grnde, warum wir sehr genau und interessiert unsere Aufmerksamkeit allen Anzeichen des Wechsels schenken sollten, die in dem uns umgebenden Kosmos sichtbar werden und von denen letztendlich vielleicht unser Schicksal abhngt.

    Mensch, er wre der ideale Prediger geworden, sagte McArdle. Er hrt sich an wie eine Orgel. Aber nun zu der Sache, die ihm Sorgen bereitet.

    Das allgemeine Verblassen und die Verschiebungen der Fraunhoferschen Linien im Spektrum deuten meines Erachtens

  • auf eine ausgedehnte kosmische Vernderung subtiler und einmaliger Art hin.

    Das Licht eines Planeten ist das reflektierte Licht der Sonne. Das Licht eines Sternes hingegen ist selbst erzeugt. Aber die Spektren von Planeten und Sternen sind in diesem Fall dem gleichen Wechsel unterworfen. Heit das also, da die Sterne und Planeten sich verndert haben? Eine solche Vorstellung ist fr mich undenkbar. Welche pltzliche Vernderung knnte gleichzeitig sowohl ber Sterne als auch Planeten hereinbrechen? Haben wir es mit einem Wechsel in unserer Atmosphre zu tun?

    Es ist zwar mglich, aber im hchsten Grade unwahrscheinlich, da wir um uns herum keinerlei Anzeichen dafr erblicken knnen und selbst chemische Analysen keine Ergebnisse gebracht haben. Worin besteht also die dritte Mglichkeit? Kann es sein, da eine Vernderung im Leitungsmedium am Verblassen der Fraunhoferschen Linien schuld ist? Da der unendlich feine ther, der sich von Stern zu Stern erstreckt und sich ber das ganze Universum ausbreitet, sich verndert hat? Inmitten dieses tiefen Ozeans treiben wir auf einer trgen Welle dahin.

    Knnte diese Welle uns nicht in einen Bereich verschlagen, in dem ungewhnliche Zustnde herrschen und der ber Eigenschaften verfgt, von denen wir noch nie gehrt haben? Die Mglichkeit besteht. Die Strungen, denen das Spektrum unterliegt, beweisen es. Es kann ein Wechsel zum Guten hin sein, aber auch zum Bsen. Ebenso kann sich die Vernderung als neutral erweisen. Wir wissen es nicht. Oberflchliche Beobachter mgen der Meinung sein, da man die Sache mit einem Schulterzucken abtun kann, aber ein Mensch wie ich, der ber die hhere Intelligenz des wahren Denkers verfgt, mu einsehen, da die Mglichkeiten des Universums unkalkulierbar sind und sich derjenige, der sich fr weise hlt,

  • besser auf das Unbekannte vorbereitet. Um ein offensichtliches Beispiel heranzuziehen: Wer wrde zu behaupten wagen, da die unter den Eingeborenenrassen Sumatras wtenden Epidemien, die in der Morgenausgabe Ihrer Zeitung verzeichnet sind, etwas mit der Vernderung des Kosmos zu tun haben? Vielleicht reagieren die Eingeborenen auf diese Vernderung nur schneller als die Vlker Europas?

    Mit diesem Gedanken sollten Sie sich beschftigen. Zum gegenwrtigen Zeitpunkt wre die Verteidigung dieser Idee sicher ebenso unprofitabel wie ihre Ablehnung, aber wer nicht erkennt, da sie sich innerhalb der von der wissenschaftlichen Mglichkeit gesetzten Grenze befindet, kann nur schwer von Begriff und ein phantasieloser Gimpel sein, Hochachtungsvoll, GEORGE EDWARD CHALLENGER, The Briars, Rotherfield.

    Ein netter, zum Nachdenken anregender Brief ist das, sagte McArdle nachdenklich und steckte eine Zigarette in die lange Glasrhre, die ihm als Spitze diente. Was halten Sie davon, Mr. Malone?

    Mir blieb nichts anderes brig, als demtigst einzugestehen, da ich mit dem hier angesprochenen Thema nicht das geringste anfangen konnte. Was, zum Beispiel, waren Fraunhofersche Linien?

    Da McArdle diese Angelegenheit bereits mit einem seinem Bro zur Verfgung stehenden Fachmann geklrt hatte, zeigte er mir zwei auf der Platte seines Schreibtisches liegende Spektralstreifen. Sie hatten eine gewisse hnlichkeit mit den Hutbndern, die die Mitglieder junger und ambitionierter Cricket-Klubs tragen. Er machte mir klar, da sich zwischen den einzelnen Farbabstufungen sie waren Rot, Orange, Gelb, Grn, Blau, Indigo und Violett schwarze Querbalken befanden, die die Rnder der Farben berlagerten.

  • Die dunklen Streifen sind die Fraunhoferschen Linien, sagte McArdle. Die Farben selbst sind nichts anderes als Licht. Wenn Sie Licht mittels eines Prismas in seine Wellenbestandteile zerlegen, weist es keine Farbe mehr auf. Sie knnen ihm nichts mehr entnehmen. Es sind die Linien, die zhlen, da sie sich der jeweiligen Lichtquelle anpassen. Aber anstatt fest zu bleiben, zeigen sie seit einer Woche Auflsungserscheinungen, und nun fragen die Astronomen natrlich nach der Ursache.

    Hier ist ein Photo der verblassenden Linien fr die morgige Ausgabe. Bisher hat das Publikum noch kein Interesse an dieser Angelegenheit gezeigt, aber Challengers Brief in der Times wird es sicher aufrtteln, nehme ich an.

    Und was hat seine Bemerkung ber Sumatra zu bedeuten? Nun, es erscheint mir zwar ein wenig an den Haaren

    herbeigezogen, irgendwelche Verbindungen zwischen den verblassenden Linien des Spektrums und einem kranken Nigger auf Sumatra zu ziehen, aber der alte Fuchs hat uns bereits einmal gezeigt, da er wei, wovon er redet. Irgendeine komische Epidemie ist dort unten ausgebrochen, das steht auer Zweifel. Heute hat uns ein Kabel aus Singapur erreicht, das besagt, da die Leuchttrme in der Sundasee ausgefallen und daraufhin zwei Schiffe auf Grund gelaufen sind. Auf alle Flle wre es nicht bel, wenn Sie Challenger in dieser Hinsicht ausfragen wrden. Wenn Sie etwas handfestes bekommen, htten wir den Artikel gerne fr die Montagsausgabe.

    Ich kam gerade aus dem Bro des Nachrichtenchefs und dachte noch ber den Auftrag nach, als ich hrte, da unter mir im Wartezimmer jemand meinen Namen rief. Es war der Telegrammbote, den man mir von meiner Wohnung in Streatham nachgeschickt hatte. Die Botschaft, die er mir

  • berbrachte, stammte von dem Mann, ber den wir gerade gesprochen hatten, und lautete folgendermaen:

    Mahne, Hill Street 17, Streatham. Sauerstoff mitbringen. Challenger.

    Sauerstoff mitbringen! Der Professor hatte, wie ich mich

    erinnerte, einen derben Humor, der zu den ungeschicktesten und schwerflligsten Purzelbumen fhig war. War dies einer von jenen Scherzen, die ihn zu einem brllenden Gelchter veranlassen konnten, wobei seine Augen sich schlossen, und er nur noch aus einem weitaufgerissenen Mund und einem gestrubten Bart bestand, wobei er alle Ernsthaftigkeit um sich herum verga? Ich las seine Botschaft noch einmal, aber es war mir nicht im entferntesten mglich, irgendeinen Ulk aus ihr herauszulesen. Also mute es sich um eine lapidare Anweisung handeln wenn auch um eine uerst seltsame. Er war der letzte Mensch auf der Welt, dessen wohlberlegte Anweisungen ich in den Wind geschlagen htte. Mglicherweise bereitete er ein chemisches Experiment vor; vielleicht Nun, es konnte mir egal sein, wozu er den Sauerstoff brauchte. Ich mute ihn besorgen. Ich hatte noch eine gute Stunde Zeit, bis der Zug von der Victoria-Station abfuhr.

    Ich nahm mir, nachdem ich die entsprechende Adresse aus dem Telefonbuch herausgesucht hatte, ein Taxi und fuhr zur Oxygen Tube Supply Company in der Oxford Street.

    Als ich den Hof meines Ziels erreichte, erschienen im Eingang des Gebudes zwei junge Mnner, die einen eisernen Zylinder hinausschleppten und ihn mit sichtlicher Anstrengung in einem wartenden Auto verstauten. Ein lterer Mann folgte

  • ihnen keifend auf dem Fue und gab ihnen mit qukender, sardonischer Stimme Anweisungen. Dann wandte er sich mir zu. Es gab keinen Zweifel: Die asketischen Gesichtszge und der Ziegenbart gehrten niemand anderem als meinem stets belgelaunten Gefhrten Professor Summerlee.

    Was! rief er aus. Nun sagen Sie blo nicht, da Sie auch eines dieser hirnverbrannten, nach Sauerstoff schreienden Telegramme erhalten haben!

    Ich mute es zugeben. So, so! Ich erhielt auch eines und habe mich, wie Sie sehen,

    ganz im Gegensatz zu meiner Laune, danach verhalten. Unser guter Freund benimmt sich mal wieder unmglich. Nicht einmal das Verlangen nach Sauerstoff kann so dringend sein, da man den blichen Weg der Versorgung auer acht lt und die Zeit derjenigen mibraucht, die mehr zu tun haben, als man selbst. Warum hat er es nicht direkt bestellt?

    Ich konnte nur annehmen, da er es vielleicht sofort haben wollte.

    Oder er bildet es sich jedenfalls ein, aber das, ist wieder eine andere Sache. Jetzt drfte es allerdings berflssig sein, da Sie sich auch noch mit einem Tank belasten. Ich habe meine Ladung ja schon gekauft.

    Aber trotzdem Aus irgendeinem Grunde scheint er zu wnschen, da ich auch einen Tank mitbringe. Es wird sicherer sein, wenn ich genau das tue, was er von mir verlangt.

    Ungeachtet des Gebrummels und der Einwnde Summerlees bestellte ich noch einen zustzlichen Tank, der zusammen mit dem ersten in seinem Wagen verstaut wurde, da er mir angeboten hatte, mich zum Bahnhof mitzunehmen.

    Ich begab mich zu meinem Taxi, um zu zahlen. Was das Fahrgeld anbelangte, so entpuppte sich der Fahrer als ziemlich streitschtig und beleidigend. Als ich zu Professor Summerlee

  • zurckkehrte, hatte dieser gerade einen wtenden Wortwechsel mit den Mnnern, die den Sauerstoff hinausgetragen hatten, und sein kleiner weier Ziegenbart hpfte vor Entrstung auf und nieder. Wie ich mich erinnere, nannte einer der Mnner ihn einen bescheuerten alten Kakadu, was Summerlees Chauffeur so in Rage brachte, da er aus dem Wagen sprang und die Stelle seines beleidigten Herrn einnahm und uns nichts anderes mehr brigblieb, als ihn daran zu hindern, einen Auflauf zu verursachen.

    Die Beschreibungen dieser Kleinigkeiten mgen trivial erscheinen und als sie stattfanden, dachten wir uns auch nichts dabei.

    Erst jetzt, wo ich mich darauf zurckbesinne, sehe ich, da sie mit der Geschichte, die ich erzhlen will, in einem urschlichen Zusammenhang standen.

    Ich hatte den Eindruck, da der Chauffeur entweder ein Anfnger in seinem Beruf sein msse oder aufgrund des Zwischenfalls stark erregt war, denn als er uns zum Bahnhof fuhr, erwiesen sich seine Fahrknste als ziemlich schlecht. Wir wren beinahe zweimal mit anderen, sich auf eine hnliche Weise konfus bewegender Fahrzeuge zusammengestoen, und ich erinnere mich daran, Summerlee gegenber erwhnt zu haben, da die Moral der Londoner Autofahrer ziemlich heruntergekommen sei. Einmal jagten wir haarscharf am Rande einer Menschenmenge vorbei, die einen Sportplatz umringte. Die Leute, die das offenbar sehr verdro, erregten sich daraufhin in hchstem Mae, und es kam sogar so weit, da einer der Zuschauer auf das Trittbrett sprang und uns mit einem Knppel bedrohte. Ich stie ihn herunter, aber wir waren ziemlich froh, als wir ihn endlich los waren und der Park hinter uns lag. All diese kleinen Zwischenflle, die mir jetzt nach und nach wieder einfallen, setzten meinen Nerven

  • zu, und ich erkannte, da auch meinem Gefhrten allmhlich der Kragen zu platzen drohte.

    Unsere gute Laune kehrte allerdings zurck, als wir auf dem Bahnsteig auf Lord John Roxton stieen, der uns bereits erwartete. Seine hochgewachsene Gestalt war in einen beigen Jagdanzug aus Tweed gekleidet, und sein lebhaftes Gesicht und seine unvergelichen Augen, die gleichzeitig streng und humorvoll blicken konnten, leuchteten freudig auf, als er uns sah.

    In seinem rtlichen Haar zeigten sich ein paar graue Strhnen und die letzten Jahre hatten seine Stirnfalten ein wenig vertieft alles in allem war er aber immer noch der gleiche Mann, der in der Vergangenheit unser Kamerad gewesen war.

    Hallo, Herr Professor! Hallo, junger Freund! rief er, als er auf uns zukam.

    Er brllte vor Vergngen, als er die beiden Sauerstofftanks auf dem Wgelchen des uns begleitenden Dienstmannes gewahrte.

    Sie haben also auch welche mitgebracht! rief er aus. Meiner ist schon im Gepckwagen. Was, um Himmels willen, hat der alte Br vor?

    Haben Sie seinen Brief in der Times gelesen? fragte ich. Um was ging es denn? Um dummes Zeug! grunzte Summerlee. Nun, ich nehme an, da es irgend etwas mit dem Sauerstoff

    zu tun hat, sagte ich. Dummes Zeug! rief Summerlee erneut, aber diesmal etwas

    wtender. Als wir uns in das Raucherabteil der Ersten Klasse setzten,

    hatte er sich bereits die kleine, stummelige Bruyerepfeife angezndet, die die Spitze seiner langen, aggressiv vorgereckten Nase anzusengen drohte.

  • Freund Challenger ist ein gerissener Bursche, sagte er vehement. Das kann niemand abstreiten. Wer das tut, ist ein Narr. Sehen Sie sich nur seinen Hut an. Er enthlt ein Gehirn von sechzig Unzen Gewicht eine groe Maschine, die sanft vor sich hinschnurrt und saubere Arbeitsergebnisse produziert. Zeigen Sie mir das Maschinenhaus, und ich sage Ihnen, wie gro die Maschine ist, die sich darin befindet. Aber er ist ein geborener Scharlatan, das habe ich ihn, wie Sie selbst wissen, offen ins Gesicht gesagt; ein geborener Scharlatan, der dem kindischen Zwang verhaftet ist, im Rampenlicht stehen zu mssen. Es ist wieder einmal Sauregurkenzeit; da sieht Freund Challenger natrlich wieder einmal die Mglichkeit, ganz gro von sich reden zu machen. Sie nehmen doch nicht im Ernst an, da er wirklich an diesen Unsinn von der Vernderung des Weltraums und einer darauf fuenden mglichen Gefahr fr die Menschheit glaubt? Einen solchen Schwachsinn halbe ich ja noch nie gehrt!

    Er sa da wie ein alter weier Rabe und wurde von einem krchzenden Gelchter geschttelt.

    Ich wurde von einer Welle des rgers erfat, als ich Summerlee zuhrte. Es schickte sich einfach nicht, so ber einen Mann zu sprechen, der nicht nur unser Fhrer gewesen war, sondern uns auch den Ruhm hatte zuteil werden lassen, mit dem man uns nach unserem bemerkenswerten Abenteuer in Sdamerika berschttete. Ich hatte gerade den Mund geffnet, um ihm eine passende Antwort zu geben, als Lord John mir zuvorkam.

    Sie haben sich schon einmal mit Challenger auf einen Streit eingelassen, sagte er finster, und ich erinnere mich, da er Sie in weniger als zehn Sekunden am Boden hatte. Mir scheint, Professor Summerlee, da er Sie um Klassen berragt. Das Beste, was Sie tun knnten, wre, da Sie schnell eine gewisse

  • Entfernung zwischen sich und ihn brchten und ihn im brigen in Ruhe lieen.

    Davon abgesehen, sagte ich, ist er fr uns alle stets ein guter Freund gewesen. Was immer er auch fr Fehler haben mag, er ist aufrichtig wie kein zweiter, und ich zweifle stark daran, da er hinter unseren Rcken je in hnlicher Weise ber einen von uns sprechen wrde.

    Gut gesagt, junger Freund, sagte Lord John Roxton. Sie sind ein aufrechter Bursche.

    Dann klopfte er Professor Summerlee mit einem freundlichen Lcheln auf die Schulter. Na, kommen Sie, Herr Professor. Wir wollen uns doch den schnen Tag nicht mit Streitereien vergllen. Wir haben zusammen einfach zuviel erlebt. Aber migen Sie sich, wenn das Thema auf Challenger kommt, denn dieser junge Mann und ich haben eine Schwche fr den alten Knaben.

    Aber Summerlee war nicht in der Stimmung, die Goldene Brcke zu beschreiten, die Lord John ihm baute. Sein Gesicht zeigte deutliche Mibilligung. Sogar seine Pfeife stie drohende Rauchwolken aus.

    Was Sie anbetrifft, Lord John Roxton, qukte er, so haben Ihre Ansichten ber eine wissenschaftliche Angelegenheit in meinen Augen den gleichen Stellenwert, wie meine Meinung ber ein neuentwickeltes Schiegewehr in den Ihren. Ich besitze eine eigene Urteilsfhigkeit, Sir, und ich setze sie nach eigenem Gutdnken ein. Und wenn ich auch einmal geirrt habe ist das ein Grund, fortan mit meinen Ansichten hinter dem Berg zu bleiben? Mu ich selbst dort schweigen, wo ein Mann den hanebchensten Unsinn als wissenschaftliche Erkenntnis verkauft? Haben wir etwa einen Wissenschaftspapst, der seine Ansichten ex cathedra niederlegt und das gemeine Volk dieselben widerspruchslos hinzunehmen hat? Ich versichere Ihnen, Sir, da auch ich ein Gehirn besitze. Und ich kme mir

  • wie ein Snob oder ein Sklave vor, wrde ich es nicht auch benutzen. Wenn es Ihnen Spa macht, an das Gewsch ber den Weltraum und die Fraunhoferschen Linien zu glauben, dann sei Ihnen das unbenommen, aber verlangen Sie nicht, da jemand, der Sie an Alter und Weisheit berragt, bei dieser Torheit mitzieht. Ist es denn nicht offensichtlich, da die Resultate auch an uns sichtbar sein mten, wenn Challengers Behauptungen in dem Mae zutrfen, wie er es sich wnscht? An dieser Stelle mute er ber seine eigene Argumentation laut lachen.

    Jawohl, Sir, auch wir mten die Auswirkungen lngst zu spren bekommen haben, und anstatt gemtlich in diesem Zug zu sitzen und wissenschaftliche Probleme zu diskutieren, sollten wir lngst die Symptome einer Vergiftung zeigen. Wo aber sehen wir sie? Darauf verlange ich eine Antwort, Sir! Und kommen Sie mir blo nicht mit Ausflchten! Ich nagle Sie auf eine Antwort fest!

    Ich fhlte, da ich immer wtender wurde. In Summerlees Verhalten zeigte sich etwas Aggressives und Irritierendes.

    Ich glaube, da Sie weniger sicher in Ihrer Meinung wren, wenn Sie mehr ber die Tatsachen wten, sagte ich. Summerlee nahm die Pfeife aus dem Mund und musterte mich mit einem unbeweglichen Blick.

    Darf ich Sie vielleicht fragen, was Sie mit dieser offenbar dreisten Bemerkung bezwecken, Sir?

    Ich meine damit, da mir unser Nachrichtenchef, bevor ich sein Bro verlie, erzhlte, da er ein Telegramm erhalten hat, das ihn davon in Kenntnis setzte, da unter den Eingeborenen Sumatras eine allgemeine Epidemie ausgebrochen sei und da darber hinaus in der Sundasee die Leuchttrme nicht funktionieren.

    Es sollte wirklich so etwas wie Grenzen menschlicher Torheit geben! schrie Summerlee in entschiedener Rage.

  • Kann Ihnen denn wirklich entgangen sein, da die Luft nehmen wir einmal Challengers alberne Behauptung als gegeben an auf dieser Seite der Erde die gleiche ist, wie die auf der anderen? Glauben Sie vielleicht auch, da die Luft von Kent der von Surrey durch die uns dieser Zug gerade befrdert in gewisser Weise berlegen ist? Es gibt doch wirklich nichts, was die Leichtglubigkeit und Unwissenheit eines Durchschnittslaien noch bertreffen knnte. Kann man wirklich ernsthaft annehmen, da die Luft Sumatras dermaen tdlich ist, da sie vllige Abstumpfung hervorruft, whrend sie zur gleichen Zeit auf uns hier nicht die geringsten Auswirkungen hat? Von mir kann ich jedenfalls behaupten, da ich mich krperlich und geistig nie wohler gefhlt habe, als gerade jetzt.

    Das mag ja sein. Ich behaupte ja auch gar nicht, ein Mann der Wissenschaft zu sein, sagte ich, aber ich habe irgendwann einmal gehrt, da die Wissenschaft der ersten Generation von der zweiten meist schon widerlegt werden kann. Aber es erfordert nicht einmal besonders viel gesunden Menschenverstand, um die Mglichkeit in Betracht zu ziehen, da es nach dem wenigen, was wir wirklich ber die Luft wissen, sein kann, da sie in den verschiedenen Teilen der Welt den rtlichen Gegebenheiten unterworfen sein kann und bestimmte Auswirkungen erst anderswo hervorruft.

    Mit kann und knnte knnen Sie alles beweisen, rief Summerlee wtend aus. Schweine knnten vielleicht fliegen. Ja, Sir, sie knnten es vielleicht, aber sie tun es nicht. Es ist sinnlos, mit Ihnen zu argumentieren. Challenger hat Sie mit diesem Unsinn vollgestopft. Sie sind beide keiner vernnftigen Argumentation gewachsen. Ich hingegen hatte meine Einwnde bereits vorgebracht, bevor dieser Zug auch nur zum erstenmal federte.

  • Ich mu sagen, Professor Summerlee, sagte Lord John mit einem strengen Blick, da sich Ihr Benehmen nicht sonderlich gebessert hat, seit ich das erste Mal das Vergngen hatte, Sie zu sehen.

    Ihr Krautjunker seid sowieso nicht daran gewhnt, der Wahrheit ins Auge zu blicken, antwortete Summerlee mit einem bitteren Lcheln. Es mu Ihnen sicher wie ein Schock erscheinen, wenn Sie feststellen, da Sie ungeachtet Ihres Titels nichts weiter sind als ein ungebildeter Mensch, stimmte?

    Ich gebe Ihnen mein Wort, Sir, sagte Lord John ernst und ungehalten, wenn Sie jnger wren, wrden Sie es nicht wagen, mich in einer solch ungebhrlichen Weise anzureden.

    Summerlee streckte sein Kinn vor. Sein Ziegenbrtchen strubte sich.

    Ich will Ihnen sagen, Sir, da es in meinem Leben noch niemals eine Zeit gegeben hat egal ob ich jung oder alt war , in der ich Angst davor gehabt htte, meine Meinung gegenber einem unwissenden Laffen auszusprechen. Jawohl, Sir, einem unwissenden Laffen gegenber; selbst wenn Sie ber so viele Titel verfgten, wie Sklaven erfinden und Narren sich verleihen knnten.

    Einen Augenblick lang schienen Lord Johns Augen Funken zu versprhen. Dann jedoch meisterte er mit einer bemerkenswerten Anstrengung seinen rger, lehnte sich in seinen Sitz zurck, verschrnkte die Arme und produzierte ein verbittertes Lcheln. Mir erschien die ganze Situation zugleich bedrohlich und bejammernswert. Wie eine Woge wurde ich von der Erinnerung an die gute Kameradschaft der Vergangenheit und die glcklichen Tage voller Abenteuer bersplt, die wir gemeinsam berstanden hatten. Ich erinnerte mich an alles, was wir erlitten und wofr wir gearbeitet hatten. Der Sieg war schlielich unser gewesen. Da es so weit hatte

  • kommen knnen zu Beleidigungen und Schmhungen! Pltzlich schluchzte ich. Ich schluchzte und schluckte, und zwar in einem solchen Mae, da es unmglich war, meine Trnen zu verbergen. Meine Gefhrten sahen mich berrascht an, und ich bedeckte das Gesicht mit meinen Hnden.

    Es ist schon in Ordnung, sagte ich. Es ist nur so schade!

    Sie sind krank, junger Freund, das ist es, sagte Lord John. Schon als ich Sie sah, kamen Sie mir komisch vor.

    Ihr Gesundheitszustand, Sir, hat sich in den drei Jahren offensichtlich nicht gebessert, sagte Summerlee kopfschttelnd. Auch mir ist nicht verborgen geblieben, da Sie sich seltsam benahmen, als wir uns das erste Mal trafen. Sie brauchen Ihr Mitgefhl nicht zu verschwenden, Lord John. Diese Trnen sind die Folgen zu groen Alkoholgenusses. Der Mann hat getrunken. Nebenbei gesagt, Lord John, nannte ich Sie eben einen Laffen. Das war mglicherweise ein wenig bertrieben. Aber irgendwie erinnert mich dieses Wort an eine kleine Fhigkeit, die ich es ist zwar trivial, aber amsant einmal besa. Sie kennen mich ausschlielich als einen ernsthaften Mann der Wissenschaft. Knnen Sie sich vorstellen, da ich einst in verschiedenen Kindergrten den Ruf eines ausgezeichneten Tierstimmenimitators besa? Vielleicht kann ich dazu beitragen, uns die Langeweile ein wenig zu verkrzen. Wrde es Ihnen Spa machen, meinen Hahnenschrei zu hren?

    Nein, Sir, sagte Lord John, der immer noch sichtlich beleidigt war. Das wrde mir keinen Spa machen.

    Nun, auch meine Nachahmung einer Henne, die gerade ein Ei gelegt hat, wurde von der Kritik stets als eher ber dem Durchschnitt stehend bezeichnet. Darf ich es wagen?

    Nein, Sir auf keinen Fall!

  • Aber trotz des ernsthaft geuerten Verbots legte Professor Summerlee seine Pfeife beiseite und unterhielt uns beziehungsweise glaubte uns zu unterhalten fr den Rest der Reise mit fortwhrenden Vogel- und anderen Tierschreien, die mir so absurd erschienen, da mein Weinen in ein strmisches Gelchter berging und ich nahe an der Grenze zur Hysterie war. Ich sa dem ernsthaft agierenden Professor gegenber und sah oder vielmehr hrte ihn in der Rolle eines aufgeregten Hahnes oder als Welpe, dem man gerade auf den Schwanz getreten hat. Einmal reichte Lord John mir eine Zeitung, auf deren Rand er mit Bleistift Der arme Teufel! Jetzt ist er wirklich bergeschnappt! geschrieben hatte. Ohne Zweifel war Summerlees Darbietung etwas ungewhnlich; trotzdem kam sie mir sowohl amsant als auch herausragend vor.

    Whrend der Professor weiterhin sein Rolle spielte, beugte sich Lord John vor und erzhlte mir eine endlose Geschichte von einem Bffel und einem indischen Radschah, die weder einen Anfang noch ein Ende zu haben schien. Professor Summerlee hatte gerade angefangen, das Zirpen eines Kanarienvogels nachzuahmen, als Lord John sich dem Hhepunkt seiner Erzhlung nherte und der Zug in den Bahnhof von Jarvis Brook einfuhr. Wenn wir nach Rotherfield wollten, muten wir hier aussteigen.

    Challenger war bereits da, um uns abzuholen. Seine Erscheinung war berwltigend. Alle Truthhne der Welt zusammengenommen konnten nicht soviel steifbeinige Wrde ausstrahlen wie er, als er vor dem Bahnhofsgebude auf und ab schritt. Das gutmtige Lcheln herablassender Ermutigung, dessen er sich befleiigte, galt niemandem und jedem. Wenn er sich seit den alten Zeiten berhaupt verndert hatte, dann nur insofern, da seine Eigenarten noch ausgeprgter geworden waren. Der groe Schdel und die breite Flche seiner Stirn

  • erschienen mir, wie auch das darauf ruhende Haarbschel, noch grer als zuvor. Sein schwarzer Bart stand vor wie eine beeindruckende Kaskade, und die klaren, grauen Augen mit den anmaend und sardonisch wirkenden Lidern, schauten noch herrischer in die Welt als frher.

    Er schttelte mir freudig die Hand, schenkte mir wie ein Meister seinem Lehrjungen ein gnnerhaftes Lcheln und verfrachtete uns, nachdem er den anderen beim Einladen des Gepcks geholfen und die Sauerstofftanks verstaut hatte, in einen groen Kraftwagen, der von dem gleichen wortkargen Austin gesteuert wurde, den ich bei meinem ersten, ereignisreichen Besuch bei Challenger in der Rolle eines Butlers erlebt hatte.

    Unsere Reise fhrte uns ber eine Serpentine auf einen Hgel und dann durch ein herrliches Land. Ich sa vorne beim Chauffeur und hatte den Eindruck, da meine Gefhrten hinter mir alle gleichzeitig redeten. Lord John kmpfte immer noch, soweit ich das beurteilen konnte, mit seiner Bffelgeschichte. Gleichzeitig hrte ich die wohlvertraute, brummige Stimme Challengers und das keifende Gerede von Summerlee, die sich wieder einmal in eine wissenschaftliche Diskussion verbissen hatten. Austin wandte mir pltzlich sein mahagonifarbenes Gesicht zu, ohne den Blick vom Steuer zu nehmen.

    Ich bin entlassen worden, sagte er. Groer Himmel! sagte ich. An diesem Tag kam mir alles komisch vor. Jedermann sagte

    seltsame, unerwartete Dinge. Es war wie in einem Traum. Zum siebenundvierzigstenmal, sagte Austin nachdenklich. Und wann gehen Sie? fragte ich, um einen besseren

    berblick zu gewinnen. Ich gehe gar nicht, sagte Austin. Damit schien die Unterhaltung beendet zu sein, aber pltzlich

    fing er von neuem an.

  • Wer wrde denn, wenn ich wirklich ginge, nach ihm sehen? Er deutete mit dem Kopf auf seinen Herrn. Wer wrde ihm schon dienen wollen?

    Na, irgendjemand, erwiderte ich lahm. Glaub ich nicht. Niemand wrde lnger als eine Woche

    bleiben. Wenn ich gehen wrde, ginge bei ihm bald alles drunter und drber. Ich erzhle Ihnen das, weil Sie mit ihm befreundet sind und Sie es deswegen wissen sollten. Wenn ich ihn beim Wort nehmen wrde na ja, aber er hat es bestimmt nicht so gemeint. Er und die Herrin wren dann nicht mehr als zwei ausgesetzte Kinder. Ich mache alles fr ihn. Und dann geht er her und wirft mich raus.

    Und warum wrde kein anderer bleiben? fragte ich. Nun, weil sie bei ihm wie ich nichts verdienen wrden.

    Der Herr ist ein sehr gescheiter Mann; so gescheit, da er sich manchmal wie ein Bekloppter auffhrt. Was glauben Sie, was er heute morgen angestellt hat?

    Was hat er denn angestellt? Austin beugte sich zu mir herber. Er hat die Haushlterin gebissen, flsterte er. Er hat sie gebissen? Jawohl, Sir. Er hat sie ins Bein gebissen. Ich hab mit meinen

    eigenen Augen gesehen, wie sie von der Halle aus zu einem Marathonlauf angesetzt hat.

    Herrjemineh! Das kann man wohl sagen, Sir, wenn man so etwas

    mitangesehen hat. Die Nachbarn hat er sich auch nicht gerade zu Freunden gemacht. Es gibt sogar ein paar Leute, die sagen, er sei bei den Ungeheuern, ber die Sie geschrieben haben, in allerbester Gesellschaft gewesen. Wohlgemerkt, das sagen sie. Aber ich habe ihm zehn Jahre gedient, und ich mag ihn. Wenn man seinen Anweisungen nachkommt, Sir, ist er, wenn ich das mal so sagen darf, ein groartiger Mensch. Es ist eine Ehre,

  • ihm zu dienen, auch wenn er manchmal unausstehlich ist. Und nun sehen Sie sich das mal an, Sir. Kann man das noch mit der guten, altmodischen Gastfreundschaft gleichsetzen? Lesen Sie selbst.

    Der Wagen htte seine Fahrt nun verlangsamt und fuhr einen steilen Abhang hinauf. Ich sah eine wohlgeschnittene Hecke. Darber prangte an einem Pfahl ein Schild. Wie Austin gesagt hatte, war es nicht schwierig zu lesen, denn auf dem Schild standen nur wenige Worte, und die waren deutlich:

    WARNUNG Besucher, Presseleute und Bettler sind hier nicht erwnscht. G. E. CHALLENGER

    Nein, als herzlich kann man ihn wirklich nicht bezeichnen,

    sagte Austin kopfschttelnd und warf ebenfalls einen Blick auf das bedauerliche Schild. So etwas wrde auch auf einer Weihnachtskarte nicht gut wirken. Ich bitte Sie um Verzeihung, Sir, aber soviel wie heute hab ich schon seit einem Jahr nicht mehr gesprochen. Es mute einfach mal aus mir heraus. Er kann mich so oft rauswerfen, bis er schwarz wird, aber ich gehe einfach nicht, punktum. Ich bin sein Diener, und er ist mein Herr, und so wird es auch bleiben, bis zum Ende aller Zeiten.

    Wir passierten weie Trpfosten, drehten eine Kurve und fuhren an einigen Rhododendronbschen vorbei. Dahinter erhob sich ein niedriges Ziegelgebude mit weigestrichenen Holzarbeiten, das hbsch und gemtlich wirkte. Mrs. Challenger, eine kleine zarte, lchelnde Gestalt, stand in der offenen Tr, um uns willkommen zu heien.

    Nun, meine Liebe, sagte Challenger, der geschftig aus dem Wagen kletterte, da hast du unseren Besuch. Es ist etwas

  • neu fr uns, Besuch zu haben, nicht wahr? Die Zuneigung unserer Nachbarn haben wir nicht eben errungen, wie? Ich wette, da sie Rattengift in unseren Brotkorb schtten wrden, wenn sie welches htten.

    Es ist entsetzlich entsetzlich! rief seine Frau zwischen Lachen und Weinen. George hat stndig mit irgend jemandem Streit. Wir haben hier nicht einen einzigen Freund.

    Deswegen bin ich auch in der Lage, meine gesamte Aufmerksamkeit meiner unvergleichlichen Gattin zu widmen, sagte Challenger und legte seinen kurzen, dicken Arm um ihre Taille. Stellen Sie sich einen Gorilla und eine Gazelle vor, dann wissen Sie, wie die beiden aussehen. Komm, komm, die Herren sind mde von der Reise und sollten schnellstens verkstigt werden. Ist Sarah zurckgekehrt?

    Mrs. Challenger schttelte bekmmert das Haupt. Der Professor lachte laut und strich sich mit meisterhafter Eleganz ber seinen Bart.

    Austin, rief er, wenn Sie den Wagen gewaschen haben, helfen Sie Ihrer Herrin bitte beim Mittagessen. Und Sie, Gentlemen, kommen bitte mit in mein Arbeitszimmer, da ich Sie gerne ber die eine oder andere Angelegenheit in Kenntnis setzen mchte.

  • II

    Die Gezeiten des Todes Als wir durch die Halle schritten, klingelte das Telefon, und wir wurden zu unfreiwilligen Zeugen des folgenden Dialogs. Ich sage wir, aber in Wirklichkeit kann natrlich auch keinem anderen im Umkreis von hundert Yards die drhnende Stimme entgangen sein, die durch das ganze Haus schallte. Die Antworten Professor Challengers sind mir wie eingebrannt.

    Ja, ja, natrlich, ich bin es Ja, gewi, der Professor Challenger; der berhmte Professor, wer denn sonst? Natrlich, jedes Wort, sonst htte ich es doch nicht geschrieben Es wrde mich nicht berraschen Alle Hinweise deuten darauf hin Sptestens in einem Tag Nun, ich kann Ihnen leider auch nicht helfen, verstehen Sie? Das ist sehr betrblich, ohne Zweifel, aber ich knnte mir vorstellen, da es wichtigere Leute als Sie betrifft. Es ist sinnlos, jetzt herumzujammern Nein, knnte ich mglicherweise nicht Jetzt reichts mir aber, Sir! Unsinn! Ich habe Wichtigeres zu tun, als solchem Geschwtz zuzuhren!

    Er legte den Hrer mit einem Schlag auf und fhrte uns ber die Treppe in einen groen, luftigen Raum, der offenbar sein Arbeitszimmer war. Auf einem Schreibtisch lagen sieben oder acht ungeffnete Telegramme.

    Ich glaube wirklich, sagte er, als er sie in die Hand nahm, da meine Korrespondenten eine Menge Geld sparen wrden, wenn ich eine Telegrammadresse bese. Mglicherweise wrde Noah, Rotherfield den Kern der Dinge am besten treffen.

  • Wie immer, wenn er einen unverstndlichen Witz machte, sttzte er sich auf die Tischplatte und wurde von einem bellenden Lachanfall geschttelt. Seine Hnde zitterten so, da er kaum fhig war, die Umschlge zu ffnen.

    Noah! Noah! keuchte er, whrend sein Gesicht die Farbe einer Runkelrbe annahm, Lord John und ich ein solidarisches Lcheln produzierten und Summerlee wie ein magenkranker Ziegenbock mit sardonischer Mibilligung den Kopf schttelte. Schlielich fing Challenger, immer noch am ganzen Leibe vor Heiterkeit zitternd an, die Telegramme zu ffnen. Wir drei standen derweil am Erkerfenster und beschftigten uns damit, die herrliche Aussicht zu bewundern.

    Sie war es gewi wert, da man sie beachtete. Die sanftgeschwungene, kurvenreiche Strae hatte uns auf eine bemerkenswerte Erhebung gebracht sie ma siebenhundert Fu, wie wir spter herausfanden. Challengers Haus stand hart am Rande des Hgels, und von der Sdseite aus wo sich das Fenster seines Arbeitszimmers befand konnte man ber das weitgedehnte Band des Weald sehen, auf dem die sanften Linien der sdlichen Downs einen welligen Horizont formten. Zwischen den Hgeln zeigte uns eine Rauchwolke den Standort von Lewes. Direkt vor unseren Fen wogte das Heidekraut; dazwischen lagen die hellgrnen Streifen des Golfgelndes von Crowborough, auf dem zahlreiche Spieler zu sehen waren. Etwas im Sden, zwischen den Wldern, konnten wir einen Teil der Hauptstrecke von London nach Brighton ausmachen. Direkt vor uns, genau unter unseren Nasen, lag ein kleiner eingezunter Garten, in dem auch der Wagen stand, der uns vom Bahnhof abgeholt hatte.

    Ein Aufschrei Challengers fhrte dazu, da wir uns herumdrehten. Er hatte die Telegramme inzwischen gelesen und sie auf dem Schreibtisch zu einem ordentlichen Stapel angehuft. Sein breites, verkniffenes Gesicht oder soviel, wie

  • davon durch den struppigen Bart zu sehen war war immer noch tiefgertet. Allem Anschein nach hatte ihn eine starke Aufregung gepackt.

    Nun, Gentlemen, sagte er in einem Tonfall, als sprche er auf einer ffentlichen Veranstaltung, dies ist in der Tat ein interessantes Wiedersehen, und es findet unter auergewhnlichen ich bin fast geneigt zu sagen beispiellosen Umstnden statt. Darf ich Ihnen die Frage stellen, ob Ihnen whrend der Reise hierher irgend etwas aufgefallen ist?

    Das einzige, was mir auffiel, sagte Summerlee mit einem suerlichen Lcheln, war, da unser junger Freund hier sich whrend der vergangenen Jahre nicht gebessert hat. Es tut mir leid, darauf hinweisen zu mssen, aber ich mute mich wegen seines Betragens whrend der Eisenbahnfahrt ernstlich ber ihn beschweren. Es wrde mir zudem an Offenheit mangeln, wrde ich nicht noch darauf hinweisen, da er in mir einen uerst unerfreulichen Eindruck hinterlassen hat.

    Aber, ich bitte Sie, sagte Lord John. Hin und wieder kann doch jeder mal entgleisen. Der junge Mann hat es sicher nicht so gemeint. Sie sollten bedenken, da er ein Internationalist ist. Und solche Leute brauchen nun mal eine halbe Stunde, um ein Fuballspiel zu beschreiben. Sie sollten ihn mit anderen Augen sehen.

    Eine halbe Stunde, um ein Fuballspiel zu beschreiben! schrie ich emprt. Sie waren es doch, der mir eine halbe Stunde lang mit dieser endlosen Bffelgeschichte zugesetzt hat. Professor Summerlee wird das besttigen.

    Ich vermag kaum zu sagen, wer von Ihnen beiden der Unertrglichere war, erwiderte Summerlee. Aber eines kann ich Ihnen sagen, Challenger: Ich will in meinem ganzen Leben nie wieder etwas von Bffeln oder Fuballspielen hren.

  • Aber ich habe nicht einmal ein Wort ber Fuball verloren, protestierte ich.

    Lord John stie einen schrillen Pfiff aus. Summerlee schttelte betrbt den Kopf.

    Und dann noch so frh am Morgen, sagte er. Wie erbrmlich. Whrend ich dort in gehaltvollem, aber nachdenklichem Schweigen sa

    Schweigen? schrie Lord John. Sie haben sich aufgefhrt, wie jemand aus einem Variete oder noch besser, wie ein entlaufenes Grammophon! Jedenfalls nicht wie ein Mann!

    Summerlee ri sich in bitterem Protest zusammen. Sie kommen sich wohl sehr spaig vor, Lord John, knurrte

    er mit einem Essiggesicht. Verdammt noch mal, das ist doch schierer Wahnsinn! rief

    Lord John aus. Jeder von uns scheint zu wissen, was die anderen getan haben, aber keiner von uns wei, was er selber getan hat. Lassen Sie uns ganz vorne anfangen. Wir gingen in das Raucherabteil der Ersten Klasse, stimmte? Dann fingen wir an, ber Freund Challengers Brief in der Times zu streiten.

    Oh, das haben Sie tatschlich getan? brummte unser Gastgeber, whrend seine Lider sich zu senken begannen.

    Sie, Summerlee, haben gesagt, da seine Feststellung jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.

    O, je! sagte Challenger, streckte die Brust heraus und kraulte seinen Bart. Jeder wissenschaftlichen Grundlage? Mir scheint, diese Worte habe ich doch schon einmal gehrt. Darf ich vielleicht fragen, mit welchen Argumenten sich der groe und berhmte Professor Summerlee erlaubt hat, die Ansichten des niederen Individuums, das es gewagt hat, im Zusammenhang mit den Mglichkeiten der Wissenschaft eine Meinung zu uern, zerpflckte? Ob er vielleicht bevor er dieses unwrdige Nichts zerschmettert hat geruhen wird, uns an seiner gegenstzlichen Auffassung teilhaben zu lassen?

  • Er verbeugte sich, zuckte die Achseln und breitete, whrend er diese Worte aussprach, mit vollendetem Sarkasmus die Arme aus.

    Meine Beweggrnde waren ganz einfacher Natur, sagte Summerlee strrisch. Ich wies darauf hin, da es ziemlich unwahrscheinlich ist, da die uns umgebende Lufthlle berall die gleiche ist, und es demzufolge kaum mglich ist, da sie hier dermaen giftig sein kann, da sie gefhrliche Symptome hervorruft, whrend wir in der Eisenbahn von ihren Auswirkungen nichts zu spren bekamen.

    Challenger quittierte diese Erklrung lediglich mit einem brllenden Gelchter. Er lachte, bis der ganze Raum zu erzittern schien.

    Unser ehrenwerter Professor Summerlee, sagte er schlielich und wischte sich ber die schweibedeckte Stirn, ist und das nicht zum erstenmal ein bichen unvertraut mit den Fakten der gegenwrtigen Lage. Die beste Mglichkeit, Ihnen meinen Standpunkt nahezubringen, meine Herren, besteht darin, da ich Ihnen erzhle, was ich heute morgen getan habe. Sie werden sich ihre eigene Geistesverwirrung sicher leichter verzeihen knnen, wenn Sie sich bewut machen, da sogar ich gewisse Momente hatte, in denen mein Gleichgewicht einer Strung unterworfen war. Wir beschftigen seit einigen Jahren eine Haushlterin eine gewisse Sarah, mit deren Nachnamen ich mein Gedchtnis nie zu belasten wagte. Sie ist in jeder Hinsicht eine unfreundliche, frmliche und sprde Person, von gefhllosem Charakter und hat nach unseren Erfahrungen nie auch nur ein Anzeichen einer Emotion gezeigt. Als ich allein am Frhstckstisch sa Mrs. Challenger pflegt das Frhstck in ihrem Zimmer einzunehmen , kam mir pltzlich der Gedanke, da es doch ganz unterhaltsam und lehrreich sein knnte, wenn es mir gelnge, die Grenzen der Unerschtterlichkeit dieser Frau

  • herauszufinden. Nachdem ich eine kleine Blumenvase umgekippt hatte, die auf der Tischdecke stand, klingelte ich nach ihr und schlpfte unter den Tisch. Sie trat ein, sah, da der Raum leer war und vermutete mich in meinem Arbeitszimmer. Wie ich es erwartet hatte, kam sie nher und beugte sich ber den Tisch, um die Vase wieder aufzurichten. Ich sah nur einen Baumwollstrumpf und einen Zugstiefel vor mir. Indem ich meinen Kopf vorstreckte, versenkte ich meine Zhne in den Schenkel ihres Beines. Das Experiment verlief unerwartet erfolgreich. Einen Augenblick lang stand sie wie gelhmt da und starrte auf meinen Kopf.

    Dann ri sie sich mit einem Schrei los und rannte hinaus. Ich lief hinter ihr her, weil ich ihr meine Beweggrnde erklren wollte, aber sie jagte bereits die Strae hinunter, und ein paar Minuten spter konnte ich sie, als ich sie endlich mit meinem Feldstecher ausfindig machte, sehr schnell in sdwestlicher Richtung verschwinden sehen. So und nicht anders hat es sich abgespielt. Und jetzt ziehen Sie aus dieser Anekdote Ihre eigenen Schlufolgerungen. Wird Ihr Inneres jetzt erleuchtet? Setzt Sie in Ihren Gehirnen etwas in Bewegung? Was halten Sie davon, Lord John?

    Lord John schttelte ernst den Kopf. Sie werden dieser Tage noch in ernsthafte Schwierigkeiten

    kommen, wenn Sie nicht lernen, sich zu beherrschen, sagte er.

    Vielleicht ist Ihnen dabei etwas aufgefallen, Summerlee? Sie sollten sofort Ihre Arbeit unterbrechen, Challenger, und

    sich ein paar Wochen in ein deutsches Bad zurckziehen, Challenger, empfahl Summerlee.

    Welch tiefschrfende Leistung! rief Challenger aus. Und nun Sie, mein junger Freund. Ob es mglich ist, da Sie mit der Weisheit gesegnet sind, an denen es ihren Senioren gebricht?

  • Ich war es. Ich sage es in aller Bescheidenheit, aber ich war es wirklich. Natrlich mag es Ihnen, die Sie nun wissen, was damals geschah, all das offensichtlich erscheinen, aber damals, als die Sache noch neu fr uns war, war sie uns keinesfalls klar. Ganz pltzlich und mit der vollen Kraft der berzeugung wute ich Bescheid.

    Gift! schrie ich. Und im gleichen Moment, als ich das Wort aussprach, wurde

    mir bewut, was alles an diesem Morgen geschehen war: Ich dachte an Lord John und seinen Bffel, an meine eigenen, hysterischen Trnen, an das unverschmte Verhalten Professor Summerlees, an die merkwrdigen Ereignisse in London, die Menschen am Sportplatz, das Fahrverhalten des Chauffeurs und den Streit vor der Sauerstoffhandlung. Es pate alles absolut zusammen. Natrlich, rief ich erneut. Es ist Gift! Man hat uns alle vergiftet!

    Genau, sagte Professor Challenger und rieb sich die Hnde. Wir sind alle vergiftet. Unser Planet ist in einen Giftstrom eingedrungen und nhert sich mit mehreren Millionen Meilen pro Minute seinem Zentrum. Unser junger Freund hat die Ursache all dieser rgernisse und Verwirrungen in einem einzigen Wort zusammengefat.

    In verblffender Stille sahen wir einander an. Es schien in diesem Moment keinen Kommentar zu geben, der die Situation wirklich getroffen htte.

    Es gibt eine mentale Barriere, mit der man die Symptome entdecken und unter Kontrolle halten kann, sagte Challenger. Ich kann zwar nicht erwarten, da Sie in Ihnen ebenso entwickelt ist wie in mir, da ich glaube, da die Strke der unterschiedlichen Geisteskrfte die Strke dieser Barriere bestimmt. Aber sie ist zweifellos fhlbar, sogar bei unserem jungen Freund hier. Nach dem kleinen Gefhlsausbruch, der meine Haushlterin so verschreckte, setzte ich mich hin und

  • versuchte, mit mir ins reine zu kommen. Ich machte mir klar, da ich noch nie zuvor das Verlangen gesprt hatte, jemanden, der in meinem Haushalt beschftigt ist, zu beien. Also mute der Impuls, der mich berkommen hatte, anomaler Natur sein. Augenblicklich erkannte ich die Wahrheit. Whrend ich zu der Erkenntnis gelangte, schlug mein Puls zehn Schlge mehr als gewhnlich; ebenso waren meine Reflexe schneller geworden. Daraufhin rief ich mein hheres und gesunderes Ich, den wirklichen G. E. C, an, der gelassen und unerschtterlich hinter jeder molekularen Strung sitzen mute. Ich befahl ihm, alle nrrischen Verhaltensweisen, zu denen das Gift mich zwingen wrde, genau zu beobachten, Ich stellte fest, da ich in der Tat noch Herr meiner Sinne war. Ich konnte einen verwirrten Geist erkennen und kontrollieren. Es war eine bemerkenswerte Zurschaustellung des Sieges des Geistes ber die Materie, denn es war ein Sieg ber jene bestimmte Form der Materie, die dem Bewutsein am innigsten verhaftet ist. Ich knnte durchaus sagen, da der Geist ein Defekt ist und eine Persnlichkeit ihn kontrollieren kann. Als meine Gattin schlielich herunterkam, und ich in mir das Verlangen sprte, mich hinter einer Tr zu verstecken und sie beim Eintreten mit einem wilden Schrei zu erschrecken, war ich auch schon in der Lage, diesen Impuls zu unterdrcken und sie mit Wrde und Zurckhaltung zu begren. Dem berwltigenden Verlangen, wie eine Ente zu quaken, trat ich in der gleichen Weise entgegen, und so schaffte ich es, auch diesen Impuls zu meistern. Spter, als ich hinunterging, um den Wagen vorfahren zu lassen, und Austin dabei vorfand, wie er sich mit einer kleinen Reparatur beschftigt ber ihn beugte, brachte ich meine bereits erhobene Hand ebenso unter Kontrolle und bewahrte ihn so vor einer Erfahrung, die ihn mglicherweise dazu veranlat htte, die gleichen Schritte wie unsere Haushlterin zu unternehmen. Statt dessen berhrte ich

  • ihn an der Schulter und trug ihm auf, den Wagen pnktlich vorzufahren, damit wir Sie vom Bahnhof abholen knnten. Gegenwrtig fhle ich mich dem Zwang unterworfen, Professor Summerlee an seinem albernen alten Bart zu packen und seinen Kopf anstndig hin und her zu schtteln. Trotzdem vermag ich, wie Sie selbst sehen, dieses Verlangen zu unterdrcken. Ich hoffe, Sie nehmen sich an meinem Verhalten ein Beispiel.

    Ich werde besser nach diesem Bffel Ausschau halten, sagte Lord John.

    Und ich nach einem Fuballplatz. Es mag ja sein, da Sie recht haben, Challenger, sagte

    Summerlee in einem etwas gemigteren Tonfall. Ich bin bereit, zuzugeben, da mein Sinneswandel eher kritischer als konstruktiver Natur ist, da ich nicht dazu neige, neue Theorien schnell anzuerkennen besonders dann nicht, wenn sie so ungewhnlich und phantastisch klingen wie diese. Wenn ich allerdings an die Ereignisse des heutigen Morgens zurckdenke und mir das trichte Verhalten meiner Gefhrten vor Augen halte, kann ich mir schon vorstellen, da irgendein erregendes Gift fr ihren Zustand verantwortlich gewesen sein mu.

    Challenger klopfte seinem Kollegen leutselig auf die Schulter. Wir machen Fortschritte, sagte er. Wir machen ganz offensichtlich Fortschritte.

    Wrden Sie uns bitte sagen, Sir, sagte Summerlee kleinlaut, was Sie von der gegenwrtigen Lage halten?

    Mit Ihrer Erlaubnis werde ich ein paar Worte zu dieser Angelegenheit sagen. Challenger nahm auf der Tischplatte Platz und lie seine kurzen Stummelbeine hin und her baumeln. Wir werden Zeugen eines schrecklichen und grlichen Ereignisses werden, das meines Erachtens nur das Ende der Welt sein kann.

  • Das Ende der Welt! Unsere Augen wandten sich dem groen Erkerfenster zu, und wir betrachteten die sommerliche Schnheit der Landschaft, die sich dahinziehenden, mit Heidekraut bewachsenen Abhnge, die groen Landhuser, die gemtlichen Farmen und die sich ber die Hgel dahinbewegenden Spaziergnger. Das Ende der Welt! Diese Worte hatten wir oft gehrt, aber der Gedanke, da es sich dabei nicht um ein der reinen Phantasie verhaftetes Datum handeln sollte, erschtterte uns zutiefst. Wir wurden alle von groer Ernsthaftigkeit ergriffen und warteten darauf, da Challenger fortfuhr. Seine allesberragende Gegenwart und seine Erscheinung verliehen seinen Worten ein solches Gewicht, da wir auf der Stelle alle Eigenarten und Absurditten, die der Mann ausstrahlte, vergaen, und er uns wie ein majesttisches Etwas erschien, das weit mehr war als ein gewhnlicher Mensch. Und dann fiel mir wieder ein, da er, seit wir diesen Raum betreten hatten, zweimal ein donnerndes Gelchter ausgestoen hatte. Eventuell, dachte ich, sind der geistigen Objektivitt Grenzen gesetzt. Wenn man die Sache so sieht, kann die Krise wohl doch nicht so schlimm sein.

    Stellen Sie sich ein Traubenbndel vor, sagte Challenger, das von winzig kleinen, aber schdlichen Bakterien bedeckt ist. Der Grtner geht gegen sie mit einem Desinfektionsmittel vor. Das kann daran, liegen, da er seine Trauben gerne sauberer htte, aber auch daran, da er Raum fr eine andere Bakterienart schaffen will, und zwar fr eine solche, die weniger giftig ist als die vorherige. Er taucht die Trauben in ein Gift und weg sind sie. Ich habe den Eindruck, da unser Grtner gerade im Begriff ist, das Sonnensystem zu desinfizieren und den menschlichen Bazillus, den sterblichen kleinen Winzling, der sich ber die Erdkruste dahinbewegt, in

  • einem einzigen Augenblick zu sterilisieren und auszuradieren.

    Erneut verfielen wir in ein Schweigen, das kurz darauf vom hellen Klingeln des Telefons unterbrochen wurde.

    Eine unserer Mitbakterien bittet um Hilfe, sagte Challenger mit einem grimmigen Lcheln. Sie beginnen allmhlich zu verstehen, da ihre fortgesetzte Existenz nicht zu den wirklichen Bedrfnissen des Universums gehrt.

    Fr eine oder zwei Minuten verlie er den Raum. Ich erinnere mich daran, da whrend seiner Abwesenheit keiner von uns sprach. Die Situation schien uns fr Kommentare nicht die richtige zu sein.

    Es war die Brightoner Gesundheitsbehrde, sagte er, als er zurckkehrte. Aus irgendwelchen Grnden entwickeln sich die Dinge an der Meereskste schneller als anderswo. Da wir uns in einer Hhe von siebenhundert Fu befinden, sind wir also im Vorteil. Die Leute scheinen begriffen zu haben, da ich in dieser Angelegenheit die hchste Autoritt bin. Ich zweifle nicht daran, da mein Brief in der Times sie zu dieser Ansicht gefhrt hat. Der Mann, mit dem ich sprach, als wir das Haus betraten, war der Brgermeister irgendeiner Provinzstadt. Vielleicht haben Sie gehrt, als ich mit ihm telefonierte. Ich hatte den Eindruck, da er die Wichtigkeit seiner Existenz malos berschtzte und habe ihm dabei geholfen, seine Gedanken ein wenig zu ordnen.

    Summerlee war aufgestanden und stand am Fenster. Seine knochigen, kleinen Hnde zitterten vor Erregung.

    Challenger, sagte er mit ruhiger Stimme, diese Angelegenheit ist zu ernst, als da man derart oberflchlich ber sie sprechen sollte. Glauben Sie bitte nicht, da ich Sie mit den Fragen, die ich Ihnen vielleicht stellen werde, aus dem Konzept bringen will. Aber ich berlasse es Ihnen, sich darber klar zu werden, ob Sie nicht aufgrund von

  • Fehlinformationen oder Fehlschlssen einem Irrtum unterlegen sind. Die Sonne da drauen scheint wie immer und der Himmel ist blau. Da sind das Heidekraut, die Blumen und die Vgel. Da sind die Leute, die ihren Spa auf dem Golfplatz haben und die Arbeiter, die das Korn schneiden. Sie haben gesagt, da sie und wir am Rande der Vernichtung stehen sollen da dieser sonnige Tag der Tag des Untergangs der Menschheit sein kann. Soweit wir wissen, sind Sie aufgrund von folgendem zu diesem Schlu gekommen: Sie berufen sich auf eine Vernderung der Fraunhoferschen Linien, ein paar Gerchte aus Sumatra und auf die seltsame, krperliche Erregtheit, die wir aneinander beobachtet haben. Das letzte Symptom scheint keine so groe Rolle zu spielen, da wir es mit einiger Anstrengung unter Kontrolle halten knnen. Sie brauchen uns gegenber keinerlei Zeremoniell, Challenger. Es ist nicht das erste Mal, da wir gemeinsam dem Tode ins Auge schauen. Seien Sie offen, lassen Sie uns genau wissen, wie es um uns bestellt ist. Und sagen Sie uns, wie Ihrer Meinung nach unsere Aussichten fr die Zukunft sind.

    Eine gute und tapfere Rede; eine Rede, die voller Vertrauen und aufrechtem Geist war und uns alle Steifheit und Launenhaftigkeit des alten Zoologen vergessen lie, Lord John stand auf und schttelte Summerlee die Hand.

    Verzeihen Sie meine Grobheit, sagte er. Und nun, Challenger, sind Sie an der Reihe. Sagen Sie uns, wie es steht. Wie Sie wissen, gehren wir nicht zu den nervsen Charakteren, aber wenn man einen Wochenendbesuch macht und pltzlich herausfindet, da man unverhofft dem Jngsten Tag gegenbersteht, bedarf das, meine ich, einiger Erklrungen. Worin besteht die Gefahr, wie gro ist sie berhaupt, und wie sollen wir uns ihr gegenber verhalten?

    Er stand, gro und stark wie er war, vor dem sonnenbeschienenen Fenster und hatte seine gebrunte Hand

  • auf der Schulter Summerlees. Ich sa zurckgelehnt in einem Armsessel, hatte eine erloschene Zigarette zwischen den Lippen und befand mich in jenem halbbetubten Zustand, in dem man alle Eindrcke uerst deutlich aufnimmt. Vielleicht war es sogar ein neues Stadium der Vergiftung, aber die an Trunkenheit erinnernden Eingebungen hatten mich vollends verlassen. Ich wurde von einer starken Gleichgltigkeit berschwemmt und nahm zur gleichen Zeit alles, was um mich herum vorging, mit berraschender Klarheit wahr. Ich fhlte mich wie ein Beobachter und hatte nicht den geringsten Eindruck, da ich persnlich betroffen sei. Aber vor mir standen drei Mnner, die eine groe Krise durchliefen, und es war faszinierend, sie dabei zu beobachten. Bevor er antwortete, streichelte Challenger seinen Bart und runzelte die Stirn. Man konnte deutlich sehen, da er bemht war, seine Worte sorgsam abzuwgen.

    Was war die letzte Neuigkeit, als Sie London verlieen? fragte er.

    Ich war etwa gegen zehn Uhr in der Redaktion der Gazette, sagte ich. Von Reuter kam eine Meldung herein, da ganz Sumatra von der Epidemie ergriffen sei und man deswegen nicht fhig gewesen sei, die Leuchttrme zu aktivieren.

    Seitdem sind die Ereignisse ziemlich schnell fortgeschritten, sagte Challenger und hob die Telegramme auf. Ich bin sowohl mit den Autoritten als auch mit der Presse in Verbindung, so da ich Nachrichten aus allen Teilen der Erde erhalte. Es gibt in der Tat ein allgemeines und sehr beharrendes Verlangen, da ich nach London kommen soll, aber ich sehe keinen Nutzen darin. Nach meinen Unterlagen fangen die Vergiftungserscheinungen mit geistiger Erregung an; es heit, da die heute morgen in Paris ausgebrochenen Straenkmpfe ziemlich gewaltttig waren. Auch die walisischen Bergleute haben einen Aufruhr angezettelt. Soweit

  • ich den bermittelten Nachrichten trauen kann, wird dieses Stadium der Erregung, das von Volk zu Volk und von Individuum zu Individuum verschieden ist, von einer gewissen Verzckung und einer Erhhung der Sinnesschrfe begleitet wovon ich auch einige Anzeichen in unserem jungen Freund hier wahrzunehmen glaube , was nach einem fhlbaren Intervall zu einem Koma fhrt und dann schnell den Tod zur Folge hat. Soweit ich meinen Kenntnissen in der Toxikologie trauen darf, gibt es, glaube ich, einige pflanzliche Nervengifte

    Daturo, half Summerlee ihm aus. Ausgezeichnet! rief Challenger aus. Es spricht nur fr die

    wissenschaftliche Przision, wenn wir unserem toxischen Gift auch einen Namen geben. Wir nennen es Datura. Ihnen, mein lieber Summerlee, gebhrt die Ehre leider nur posthum, aber nichtsdestoweniger einzigartig , dem universellen Zerstrer, dem Desinfektionsmittel des Groen Grtners, einen Namen gegeben zu haben. Die Symptome des Daturons sind also jene, die ich beschrieben habe. Da es sich ber die ganze Welt ausbreiten und jegliches Leben vernichten wird, scheint mir sicher zu sein, denn die Atmosphre ist ein universeller Trger. Bis jetzt ist es in seinen Auswirkungen an den Pltzen, wo es zugeschlagen hat, eher wechselhaft gewesen, aber der Unterschied basiert lediglich auf ein paar Stunden Zeit. Wir haben es mit einer Art heranrollender Flutwelle zu tun, die einen Strand nach dem anderen berschwemmt und in unregelmigen Abstnden hin und her fliet, bis sie schlielich alles unter sich begraben hat. Im Zusammenhang mit der Vorgehensweise und der Verbreitung des Daturons sind Gesetze an der Arbeit, die von grtem Interesse gewesen wren, htte die uns zur Verfgung stehende Zeit gelangt, sie zu studieren. Soweit ich sie verfolgen kann, er warf erneut einen Blick auf die Telegramme haben die weniger

  • entwickelten Rassen ihren Einflu als erste zu spren bekommen. In Afrika ist es zu bedauernswerten Vorfllen gekommen, und was die australischen Ureinwohner angeht, so scheinen sie bereits vllig ausgerottet zu sein. Die nordischen Vlker haben grere Widerstandskraft gezeigt als die sdlicher lebenden. Dieses Telegramm hier es wurde um neun Uhr fnfundvierzig in Marseille abgesandt will ich Ihnen wrtlich vorlesen: whrend der ganzen Nacht rauschhnliche Erregung in der Provence. Winzertumulte bei Nimes. Sozialistischer Umsturz in Toulon. Pltzliche Epidemie mit komahnlichen Begleiterscheinungen ergriff heute morgen die Bevlkerung. Pestefoudroyant. Viele Tote auf den Straen. Lhmung der Wirtschaft und allgemeines Chaos.

    Eine Stunde spter kam dieses, aus der gleichen Quelle: Wir sind vom Aussterben bedroht. Die Kathedralen und Kirchen quellen ber von Menschen. Wir haben bereits mehr Tote als Lebende. Es ist unvorstellbar und entsetzlich. Der Tod scheint schmerzlos zu sein, aber er kommt schnell, und es gibt keine Gegenwehr.

    Es gibt ein hnliches Telegramm aus Paris, wo die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Indien und Persien scheinen vllig entvlkert zu sein. Der slawische Teil der sterreichischen Bevlkerung ringt mit dem Tode, whrend der germanische von den Auswirkungen bisher kaum berhrt wurde. Allgemein gesprochen scheinen wenn meine bescheidenen Informationen stimmen die Bewohner der Tiefebenen und Kstenregionen die Auswirkungen der Epidemie strker zu spren als jene, die im Inland oder bergigen Gegenden leben. Sogar kleinste Anhhen rufen sprbare Unterschiede hervor. Wenn es einen berlebenden der menschlichen Rasse geben sollte, wird man ihn sicherlich erneut auf der Spitze eines Berges Ararat finden. Selbst unser kleiner Hgel knnte gegenwrtig eine zeitweilige Insel

  • inmitten des aufgewhlten Meeres bilden. Aber nach dem gegenwrtigen Zustand der Welt zu urteilen, kann er uns lediglich ein paar kurze Stunden vor der Flutwelle schtzen.

    Lord John strich sich ber die Stirn. Was ich nicht verstehe, sagte er, ist, wie Sie hier in aller

    Gemtsruhe sitzen und lachen knnen, wo Sie diesen Telegrammstapel in der Hand halten. Ich habe dem Tod ebensooft gegenbergestanden, wie die meisten Menschen; aber ein Tod, der uns allen gewi ist das ist grlich!

    Was mein Lachen angeht, sagte Challenger, so sollten Sie daran denken, da auch ich nicht gegen den stimulierenden zerebralen Effekt des therischen Gifts gefeit bin. Aber was den Schrecken anbetrifft, den der allgemeine Tod in Ihnen hervorruft, so mchte ich zu bedenken geben, da dies ein wenig bertrieben ist. Wrde man Sie in einem offenen Boot auf dem Meer aussetzen, ohne da Sie wten, in welche Richtung Sie sich wenden sollten, wrde aller Mut Sie verlassen. Die Isolation und die Ungewiheit wrden Sie niederschmettern. Aber wrden Sie die gleiche Fahrt in einem gut ausgersteten Schiff, auf dem sich alle Ihre Verwandten und Freunde befnden, unternehmen. Sie wrden egal wie ungewi Ihr Ziel auch sein mag zumindest eine gemeinsame und gleichzeitige Erfahrung machen, die Sie bis zum Ende mit den anderen in der gleichen, engen Verbindung belassen wrde. Ein einsamer Tod mag schrecklich sein, aber ein universeller so schmerzlos er auch kommen mag ist in meinen Augen kein Grund zur Furcht. Ich knnte mir sogar vorstellen, da das Grauen ganz allein auf der Seite desjenigen ist, der feststellt, als einziger berlebt zu haben, whrend alle Gelehrten, Berhmten und Hhergestellten gegangen sind.

    Was schlagen Sie also vor? fragte Summerlee, der zum erstenmal genickt und damit seine Einwilligung zur

  • Schlufolgerung seines wissenschaftlichen Kollegen gegeben hatte.

    Da wir jetzt etwas essen, sagte Challenger, denn im gleichen Moment drhnte der Schlag eines Gongs durch das Haus. Die Omeletts, die unsere Kchin zubereitet, werden nur noch von ihren Koteletts bertroffen. Jedenfalls knnen wir darauf vertrauen, da die Auswirkungen des kosmischen Gifts ihre beruflichen Fhigkeiten nicht beeintrchtigt haben. Des weiteren sollten wir, soweit unsere ernsthaften und vereinigten Anstrengungen dazu in der Lage sind, meinen 69er Schatzburger vor dem bewahren, was ich nur als Verschwendung eines ausgezeichneten Jahrganges bezeichnen kann. Er wuchtete seinen massigen Leib von der Schreibtischkante, auf der er, whrend er uns vom bevorstehenden Weltuntergang informiert hatte, gesessen hatte und sagte: Kommen Sie, wenn es uns schon vergnnt ist, noch ein bichen Zeit zu haben, sollten wir sie dazu nutzen, sie in nchterner und berechtigter Freude zu verbringen.

    Und in der Tat, die Mahlzeit erwies sich als uerst heiter. Es stimmt aber, da wir unsere grliche Lage trotzdem nicht vergessen konnten, denn der volle Ernst der Lage verdsterte, unser Unterbewutsein und dmpfte unsere Gedanken. Aber sicherlich ist es die Seele, die dem Tod nie ins Gesicht gesehen hat, die gegen Ende am strksten vor ihm zurckschreckt. Fr uns Mnner war der Tod whrend eines groen Zeitabschnittes unseres Lebens ein stndiger Weggefhrte gewesen. Was Mrs. Challenger anging, so verlie sie sich vllig auf die starke Fhrungsrolle ihres bedeutenden Gatten. Sie wrde dorthin gehen, wohin sein Pfad ihn fhrte. Die Zukunft bestand aus Schicksal. Die Gegenwart hatten wir selbst zu verantworten. Wir verbrachten sie in bester Kameradschaft und freundlicher Heiterkeit. Und wie ich bereits erwhnte, war ein jeder von uns uerst scharfsinnig. Selbst ich schlug hin und wieder Funken.

  • Was Challenger anbetraf, so war er einfach wundervoll. Nie zuvor habe ich die geistige Gre dieses Mannes dermaen stark empfunden, nie ist die Kraft seines Wissens mir mitreiender erschienen. Summerlee zog ihn ein bichen mit seiner blichen, tzenden Kritik auf, und Lord John und ich lachten dabei um die Wette. Mrs. Challenger, die eine Hand auf den Arm ihres Gatten gelegt hatte, versuchte derweil das Gebell des Philosophen unter Kontrolle zu halten. Leben, Tod, Schicksal, die Bestimmung des Menschen dies waren die gewaltigen Themen dieser denkwrdigen Stunde, die dadurch am Leben gehalten wurde, da mit zunehmender Zeit mein Bewutsein in einen Zustand pltzlicher Verzckung verfiel und mir anhand eines Gliederprickelns zeigte, da sich die unsichtbare Todeswoge langsam und sanft um uns herum erhob. Einmal stellte ich fest, da Lord John pltzlich die Hand ber die Augen legte, dann fiel Summerlee fr einen Augenblick in seinem Sessel zusammen. Jeder Atemzug, den wir machten, war mit seltsamen Krften geladen. Und dennoch fhlten wir uns wohl und glcklich. Schlielich legte Austin Zigaretten auf den Tisch und machte Anstalten, sich zurckzuziehen.

    Austin! sagte sein Herr. Ja, Sir? Ich danke Ihnen fr Ihre treuen Dienste. Ein Lcheln huschte ber das knorrige Gesicht des Dieners. Ich habe stets nur meine Pflicht getan, Sir. Ich erwarte fr heute das Ende der Welt, Austin. Jawohl, Sir. Um welche Zeit? Das vermag ich nicht zu sagen, Austin. Aber noch vor

    Einbruch der Dunkelheit. Sehr wohl, Sir. Der wortkarge Austin verabschiedete sich und ging hinaus.

    Challenger zndete sich eine Zigarette an, lehnte sich mit dem

  • Kopf zu seiner Gattin hinber und nahm ihre Hand in die seine.

    Du weit, wie die Dinge stehen, meine Liebe, sagte er. Ich habe es dir ebenso erklrt, wie unseren Freunden hier. Du hast doch keine Angst, nicht wahr?

    Es wird doch nicht weh tun, George? Nicht mehr, als das Lachgas beim Zahnarzt. Jedesmal, wenn

    er dich damit behandelte, bist du praktisch gestorben. Es war stets eine erfreuliche Erfahrung. Auch der Tod kann so sein. Der abgenutzte Krper wird gar

    nichts davon spren; statt dessen fhlen wir das geistige Entzcken, das in einem Traum oder im Zustand der Trance liegt. Vielleicht baut die Natur fr uns eine hbsche Tr, die mit einem hauchdnnen, schimmernden Vorhang bedeckt ist, um so fr unsere erstaunten Seelen einen Eingang fr eine andere Ebene der Existenz bereitzuhalten. Whrend meiner Untersuchungen des Bestehenden bin ich, wenn ich mich dem Kern meiner Forschungen nherte, immer wieder auf Weisheit und Freundlichkeit gestoen. Wenn ein verngstigter Sterblicher je der Zartheit bedurft hat, dann in jenem Moment, in dem er seine riskante Reise von einem Leben ins andere unternimmt. Nein, Summerlee, verschonen Sie mich jetzt mit Ihrem Materialismus, denn zumindest ich bin ein zu groes Ding, als da ich lediglich in Form einiger physikalischer Bestandteile etwa einer Tte Salz und ein paar Eimern Wasser enden knnte. Hier hier, und er schlug sich mit seiner groen, behaarten Faust gegen den bulligen Schdel da sitzt etwas, das sich zwar der Materie bedient, aber nicht aus ihr besteht; etwas, das den Tod vielleicht besiegen knnte, das der Tod selbst aber niemals zerstren kann.

    Da wir gerade vom Tod sprechen, sagte Lord John. Ich bin zwar irgendwie ein Christ, aber mir scheint, da in unseren Ahnen ein gewaltiger Naturtrieb am Werke war, als sie sich

  • zusammen mit ihren xten, Pfeilen und Bgen beerdigen lieen. Es war irgendwie, als wrden sie nach dem Tode anderswo weiterleben. Ich frage mich, fgte er hinzu und schaute ein wenig verschmt in die Runde, ob ich mich nicht besser fhlen wrde, wenn man mich mit meiner alten 450er, der kurzlufigen Vogelflinte mit dem gepolsterten Kolben und einem oder zwei Patronengurten zur letzten Ruhe bettete. Mag sein, da dies nur die Vorstellung eines Narren ist, aber ich empfinde nun einmal so. Was halten Sie davon, Herr Professor?

    Nun, sagte Summerlee, wenn Sie mich schon um meine Meinung fragen: Ich kann nicht ableugnen, da mir dies wie ein Rckfall in die Steinzeit oder noch frhere Epochen vorkommt. Ich bin ein Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts und mchte wie ein vernnftiger und zivilisierter Mensch sterben. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, da ich grere Angst vor dem Tode habe als Sie, denn ich bin ein alter Mann und htte was immer auch kommen mag sowieso nicht mehr lange zu leben, aber es ist nun mal gegen meine Natur, einfach dazusitzen und wie ein Schaf vor dem Metzger kampflos auf ihn zu warten. Sind Sie eigentlich ganz sicher, Challenger, da es nichts gibt, was wir tun knnten?

    Um uns zu retten? sagte Challenger. Nichts. Aber es steht mglicherweise in meiner Macht, unser Leben um ein paar Stunden zu verlngern, damit wir Zeuge der Entwicklung dieser schrecklichen Tragdie werden knnen, bevor das Schicksal auch uns ereilt. Ich habe gewisse Schritte unternommen, um

    Deswegen also die Sauerstofftanks? Genau deswegen. Aber was kann ein bichen Sauerstoff angesichts der

    atmosphrischen Vergiftung schon ausrichten? Knnten wir uns denn nicht genauso gut mit Ziegelsteinen gegen unser

  • Schicksal zur Wehr setzen? Wir haben es hier doch mit unterschiedlichen Ebenen der Materie zu tun, die nicht aufeinander bergreifen knnen. Kommen Sie, Challenger, das knnen Sie doch unmglich ernst meinen.

    Mein lieber Summerlee, dieses therische Gift wird mit hoher Wahrscheinlichkeit von materiellen Wirkstoffen beeinflut. Das sehen wir schon an der Methodik und Verbreitung des Ausbruchs: Wir sollten das zwar nicht a priori erwartet haben, aber es ist zweifellos eine Tatsache. Ich bin der festen berzeugung, da ein Gas wie Sauerstoff, das die Lebens- und Widerstandskraft des Krpers strkt, in extremer Weise die Auswirkungen dessen, was Sie glcklicherweise Daturon getauft haben, verzgern mte. Es mag sein, da ich mich irre, aber ich bin, was die Korrektheit meiner Schlufolgerung anbelangt, absolut zuversichtlich.

    Nun, sagte Lord John, wenn Sie damit meinen, da wir uns hinsetzen und an diesen Flaschen saugen sollen wie kleine Babys, werde ich daran nicht teilnehmen.

    Dazu gibt es keinen Anla, antwortete Challenger. Wir haben Vorkehrungen getroffen und das verdanken wir meiner Gattin , nach denen ihr Boudoir so luftdicht wie mglich gemacht werden soll. Mit Trvorlegern und gefirnitem Papier

    Gtiger Himmel, Challenger, Sie glauben doch nicht etwa, da Sie die Luft mit gefirnitem Papier drauen halten knnten?

    Sie haben wirklich ein geradezu perverses Talent, Ihre Zeit mit den falschen Schlufolgerungen zu verplempern, mein wackerer Freund. Wir haben uns diese ganze Arbeit nicht gemacht, um die Luft drauen zu halten, sondern um den Sauerstoff am entweichen zu hindern. Ich bin sicher, da wir wenn es uns gelingt, eine etwas sauerstoffreichere Luft als blich zu erzeugen unsere Sinne zusammenhalten knnen.

  • Ich hatte bereits zwei Sauerstofftanks, und Sie haben drei weitere mitgebracht. Es ist zwar nicht viel, aber immerhin etwas.

    Wie lange werden sie reichen? Ich habe keine Ahnung. Wir werden sie erst ffnen, wenn

    die Symptome nicht mehr zu ertragen sind. Dann lassen wir das Gas ausstrmen, wie wir es bentigen. Vielleicht gewinnen wir dadurch ein paar Stunden, mglicherweise sogar ein paar Tage, in denen wir die untergegangene Welt beschauen knnen. Unser Schicksal hngt davon ab, wie lange der Sauerstoff reicht. Wir allein wir fnf werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Erfahrung machen, wie es ist, der gesamten menschlichen Rasse auf ihrem Weg ins Unbekannte als Nachhut zu dienen. Vielleicht sind Sie nun so freundlich und gestatten mir, da ich mich ein wenig um die Tanks kmmere. Mir scheint, die Atmosphre wird bereits ein wenig drckend.

  • III

    Vom Gift umgeben Der Raum, der dazu dienen sollte, den Aussichtspunkt dieser unvergelichen Erfahrung abzugeben, war ein entzckend feminin eingerichteter Salon, der vierzehn oder sechzehn Quadratfu gro war. An ihn schlo sich, getrennt durch einen Vorhang aus rotem Samt, ein Kmmerchen an, das Professor Challenger als Ankleideraum diente. Dieses wiederum ffnete sich in ein groes Schlafzimmer. Der Vorhang war an seinem Platz belassen worden, aber das Boudoir und der Ankleideraum konnten fr die Zwecke unseres Versuchs als ein Zimmer betrachtet werden. Eine Tr und der Fensterrahmen waren mit gefirnitem Papier abgedichtet worden und waren somit praktisch versiegelt. ber der anderen Tr, die in einen Korridor mndete, befand sich ein Ventilator, den man, sollte eine Luftzufuhr sich als unumgnglich erweisen, mit einer Kordel in Bewegung versetzen konnte. In den einzelnen Zimmerecken standen Pflanzen in groen Bodenvasen. Die Frage, wie wir uns des durch das Ausatmen entstehenden Stickstoffs entledigen, ohne die Sauerstofftanks ber Gebhr zu beanspruchen, ist lebenswichtig, sagte Challenger und sah sich um, nachdem er die Sauerstoffflaschen nebeneinander vor die Wand gelegt hatte. Mit etwas mehr Vorbereitungszeit htte ich die ganze Kraft meiner Intelligenz diesem Problem widmen knnen, aber jetzt knnen wir nicht mehr tun, als uns mglich ist. Die Pflanzen werden uns nur wenig dienlich sein. Zwei der Sauerstofftanks sind so weit vorbereitet, da wir sie in einem

  • Augenblick aktivieren knnen. Damit sind wir auch gegen berraschungen gewappnet. Wir sollten uns allerdings nicht allzu weit von diesem Raum entfernen, da die Krise ganz pltzlich und schnell eintreten kann.

    Es gab ein breites, niedriges Fenster, das sich zu einem Balkon hin ffnete. Der Ausblick, den wir von hier aus hatten, war identisch mit dem, den wir bereits von seinem Arbeitszimmer aus genossen hatten. Als ich hinaussah, konnte ich keinerlei Anzeichen irgendwelcher Unordnung erkennen. Direkt unter meinen Augen zog sich die Serpentinenstrae hgelabwrts. Eine Pferdedroschke vom Bahnhof, eines jener prhistorischen berbleibsel, wie man sie nur noch in Drfern auf dem Lande finden kann, bahnte sich langsam einen Weg nach oben. Etwas weiter unten sah ich ein Hausmdchen, das einen Kinderwagen vor sich herschob und ein zweites Kind an der Hand fhrte. Die blauen Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Landhuser verliehen der gesamten, weitgedehnten Landschaft einen Hauch von Ordnung und heimeliger Gemtlichkeit. Nirgendwo im blauen Himmel oder auf der sonnenbeschienenen Erde waren die Vorboten einer Katastrophe zu erblicken. Die Landarbeiter waren auf die Felder zurckgekehrt, und die Golfspieler waren immer noch damit beschftigt, paarweise oder zu vieren die Hgel zu umrunden. In meinem Kopf fand allerdings ein dermaen starker Tumult statt, da er mich im Zusammenhang mit meinen berstrapazierten Nerven in all diesen Leuten etwas Erstaunliches sehen lie.

    Die Burschen da unten scheinen nicht die geringsten Krankheitssymptome zu spren, sagte ich und deutete auf die Hgel.

    Haben Sie je Golf gespielt? frage Lord John. Nein, noch nicht.

  • Nun, mein junger Freund, wenn Sie es getan htten, wrden Sie wissen, da das einzige, was echte Golfer davon abhalten kann, ihre Partie zu unterbrechen, der Weltuntergang ist. Hallo! Das Telefon klingelt schon wieder!

    Seit dem Essen und danach hatte das helle Schrillen der Telefonklingel unentwegt nach dem Professor gerufen. Nachdem er die Nachrichten entgegengenommen hatte, informierte er uns mit ein paar kurzen Stzen. Noch nie zuvor hatte man auf der Welt dermaen schreckliche Dinge registriert. Der groe Schatten kroch von Sden nach Norden wie eine riesige Springflut. gypten hatte das Delirium bereits hinter sich und lag im Koma. Spanien und Portugal waren nun, nach einem wilden Kampf, in dem die Klerikalen und Anarchisten sich ein verzweifeltes Gefecht geliefert hatten, in Schweigen verfallen. Aus Sdamerika kamen keine Kabel mehr durch. In Nordamerika hatten sich die Sdstaaten nach einem schrecklichen Rassenkrieg dem Gift ergeben. Nrdlich von Maryland waren die Auswirkungen noch nicht zum Hhepunkt gekommen, in Kanada waren sie kaum wahrnehmbar. Belgien, Holland und Dnemark waren nacheinander angesteckt worden. Aus jedem Winkel wurden verzweifelte Botschaften an die Zentren der Wissenschaft ausgesandt, die sowohl die Chemiker als auch die weltweit bekannten rzte um Hilfe anflehten. Die Astronomen wurden ebenfalls mit Anfragen berhuft. Aber man konnte nichts tun. Die Angelegenheit war nun nicht nur weltweit bekannt geworden, sondern lag auch auerhalb jeglicher menschlichen Kontrolle und jeden Wissens. Es war der Tod schmerzlos, aber unausweichlich , der Tod fr jung und alt, schwach und stark, reich und arm, und es gab keine Hoffnung, ihm zu entgehen. So sahen die Nachrichten aus, die das Telefon uns trpfchenweise und in konfusen Botschaften berbrachte. Die Grostdte kannten ihr Schicksal und bereiteten sich, soweit

  • wir wuten, mit Wrde und Resignation darauf vor. Trotzdem waren da drauen noch immer die Golfspieler und Landarbeiter, die sich unter dem Schatten des Schlachtermessers immer noch auffhrten wie herumtollende Lmmer. Es verwunderte mich. Aber schlielich woher sollten sie es wissen? Selbst auf uns war all dies mit einem einzigen Schritt zugekommen. Hatte in der Morgenzeitung etwas gestanden, was sie htte in Alarmstimmung versetzen knnen? Jetzt war es fast drei Uhr nachmittags. Noch whrend wir zu ihnen hinaussahen, schien sich unter den Schnittern ein Gercht zu verbreiten, denn wir stellten pltzlich fest, da sie von den Feldern eilten. Auch einige der Golfspieler kehrten zu ihrem Klubhaus zurck. Sie rannten, als suchten sie wegen eines Regenschauers Unterschlupf. Die kleinen Caddies eilten ihnen hinterher. Andere jedoch spielten weiter. Das Hausmdchen hatte sich umgewandt und schob den Kinderwagen nun wieder bergauf. Ich bemerkte, da sie eine Hand an die Stirn legte. Die Droschke hatte angehalten, und der mde Gaul ruhte sich mit hngendem Kopf aus. ber allem lag ein perfekter Sommerhimmel eine sich in alle Richtungen erstreckende Masse ungebrochenen Blaus, in dem sich lediglich ber den fernen Hgeln ein paar Schfchenwolken zeigten. Wenn die Menschheit an diesem Tag sterben mute, hatte sie wenigstens ein schnes Totenbett. Trotzdem machte die freundliche Lieblichkeit der Natur diese schreckliche und allumfassende Vernichtung nur noch bedauerlicher und grlicher. Es war einfach unglaublich, da man uns aus dieser schnen Welt so mitleidslos und schnell vertrieb!

    Aber wie ich bereits sagte, hatte das Telefon schon wieder geklingelt. Pltzlich hrte ich Challengers drhnende Stimme aus der Halle.

    Malone! rief er. Es ist fr Sie.

  • Ich eilte nach unten. Es war McArdle, der aus London anrief. Sind Sies, Malone? schrie seine mir bekannte Stimme. Mr. Malone, in London ist die Hlle los. Fragen Sie

    Professor Challenger um Gottes willen, ob er wei, was man dagegen unternehmen kann.

    Er wei auch nichts, Sir, antwortete ich. Seiner Meinung nach ist diese Krise ebenso universeller wie unausweichlicher Natur. Wir haben ein wenig Sauerstoff hier, aber das wird uns auch nur fr ein paar Stunden vor unserem Schicksal bewahren.

    Sauerstoff! brllte die mit dem Tode ringende Stimme. Es ist keine Zeit mehr, welchen zu besorgen. Seit Sie heute morgen gegangen sind, ist aus der Redaktion ein perfektes Tollhaus geworden. Die Hlfte des Stabes ist bereits ohne Bewutsein. Auch ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Durch das Fenster kann ich sehen, da der ganze Boden der Fleet Street mit Menschen bedeckt ist. Der gesamte Verkehr ist zum Erliegen gekommen. Nach den letzten Meldungen zu urteilen, ist die ganze Welt

    Seine Stimme war leiser geworden, pltzlich brach sie ab. Einen Augenblick spter vernahm ich durch das Telefon einen gedmpften Schlag, als sei er mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte gefallen.

    Mr. McArdle! schrie ich. Mr. McArdle! Es kam keine Antwort. Als ich den Hrer auf die Gabel

    hngte, wute ich, da ich seine Stimme nie wieder hren wrde.

    Im gleichen Moment, als ich meinen Fu auf die erste Treppenstufe setzte, um nach oben zurckzukehren, ging es los. Ich hatte den Eindruck eines Schwimmenden, der sich bis zu den Schultern im Wasser befindet und pltzlich von einer rollenden Woge bersplt wird. Eine unsichtbare Hand schien sich leise um meinen Hals gelegt zu haben und drckte sanft

  • das Leben aus mir heraus. Ich bemerkte einen immensen Druck, der sich auf meine Brust legte, fhlte eine Enge in meinem Kopf, ein lautes Singen in den Ohren und hatte helle Lichtblitze vor den Augen. Ich taumelte auf das Treppengelnder zu. Im gleichen Augenblick jagte keuchend und schnaufend wie ein verwundeter Bffel Challenger an mir vorbei. Es war die schreckliche Vision eines purpurroten Gesichts, vorgewlbter Augen und gestrubtem Haar. Er hatte sich seine kleine Frau, die allem Anschein nach ohne Bewutsein war, ber die Schulter geworfen und stolperte mit donnernden Schritten, taumelnd und doch flink, die Treppe hinauf, wobei er sich selbst nur durch reine Willensanstrengung auf den Beinen hielt. Um uns war die Pest dort oben hingegen die Sicherheit. Nachdem ich seine groe Leistung verinnerlicht hatte, eilte ich ihm nach, klammerte mich an das Gelnder und hielt mich daran fest, bis ich halb besinnungslos mit dem Gesicht auf den oberen Treppenabsatz fiel. Lord Johns eisenharte Finger packten den Kragen meines Jacketts, und ein paar Augenblicke spter lag ich unfhig zu sprechen oder eine Bewegung zu tun mit dem Rcken auf dem Schlafzimmerteppich. Die Frau lag neben mir, whrend Summerlee in einem am Fenster stehenden Sessel hockte, wobei sein Kopf beinahe seine Knie berhrte. Wie in einem Traum sah ich Challenger wie einen monstrsen Kfer langsam ber den Boden kriechen, und kurz darauf hrte ich das sanfte Zischen ausstrmenden Sauerstoffs. Challenger atmete zwei- oder dreimal tief ein. Seine Lungen drhnten, als er das lebensspendende Gas einsaugte.

    Es funktioniert! schrie er triumphierend. Meine Folgerung hat sich als richtig erwiesen! Und schon war er wieder auf den Beinen, munter und stark. Mit einem Schlauch, den er in der Hand hielt, eilte er zu seiner Gattin und hielt ihn vor ihr Gesicht. Ein paar Sekunden spter sthnte sie, bewegte sich

  • und setzte sich hin. Dann wandte er sich mir zu, und ich fhlte, wie das Leben allmhlich wieder durch meine Adern pulste. Die Vernunft sagte mir, da dies nicht mehr als ein kleiner Aufschub sei, aber dennoch, egal welchen Wert wir ihr auch damals beimaen, erschien mir jede weitere Stunde der Existenz als uerst erstrebenswert. Nie zuvor hatte ich eine solch sinnliche Freude erfahren, wie ausgerechnet in diesem Augenblick, als mir der Quell des Lebens zuteil wurde. Das Gewicht, das auf meinen Lungen lastete, verschwand; das Band, das sich um meine Stirn gelegt hatte, lste sich; ich fhlte nichts anderes mehr als Frieden, und war von sanfter, gleichgltiger Bequemlichkeit erfllt. Whrend man Summerlee mit den gleichen Mitteln wieder zu sich brachte, lag ich da und sah zu. Schlielich war Lord John wieder zur Stelle. Er sprang auf, reichte mir die Hand und half mir auf die Beine, whrend Challenger seine Gattin aufhob und auf ein kleines Sofa verfrachtete.

    Oh, George, wie schade, da du mich wieder zurckgeholt hast, sagte sie, whrend sie seine Hand hielt. Das Tor des Todes ist wirklich, wie du sagtest, mit hbschen, schimmernden Vorhngen versehen. Nachdem das Gefhl, da ich husten msse, vorbei war, war alles unvorstellbar friedlich und schn. Warum hast du mich nicht dort gelassen?

    Weil ich mchte, da wir die Reise gemeinsam machen. Wir sind so viele Jahre zusammen gewesen. Es wre doch traurig, wenn wir uns im letzten Moment noch trennen wrden.

    Einen kurzen Augenblick lang erkannte ich in seiner zrtlichen Stimme einen ganz neuen Challenger; einen Mann, der weit von dem polternden, arroganten Burschen, der abwechselnd seine Generation erstaunte und beleidigte, entfernt war. Hier, im Schatten des Todes, sah ich den wirklichen Challenger, jenen Menschen, der die Liebe einer

  • Frau errungen und behalten hatte. Pltzlich nderte sich seine Stimmung, und er war wieder unser starker Kapitn.

    Ich allein habe diese Katastrophe kommen sehen und vorausgesagt, sagte er mit einem hellen Frohlocken und wissenschaftlichem Triumph in der Stimme. Was Sie angeht, mein guter Summerlee, so glaube ich, da Ihre letzten Zweifel, was das Verblassen der Fraunhoferschen Linien angeht, nun beseitigt sind und Sie nun nicht mehr lnger behaupten, da der Inhalt mein