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Auf Adlers Flügeln getragen Tiere der Bibel im Spiegel des Handelns Gottes Dr. Hansjörg Bräumer, Celle

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Auf Adlers Flügeln getragen

Tiere der Bibel

im Spiegel des Handelns Gottes

Dr. Hansjörg Bräumer, Celle

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1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ....................................................................................................................... 3

I. Der Unterschied zwischen Tier und Mensch .................................................... 5

1) Allein der Mensch ist Gottes Ebenbild ............................................................ 6

2) Allein die Frau ist das dem Manne fehlende und zu ihm passende Gegenstück von wesentlicher Gleichheit ........................................................ 6 3) Der Mensch ist das einzige zum ewigen Leben bestimmte Geschöpf ........... 8

II. Die Schlange – eine Kreatur im Zwielicht ....................................................... 10

1) Die Rolle der Schlange ................................................................................. 10 2) Die Freiheit des Menschen ........................................................................... 12

I. Die Entscheidung der Frau ........................................................................... 12

II. Die freie Entscheidung des Mannes ......................................................... 13

III. Taube und Schlange als Vorbild ..................................................................... 15

1) Die Symbolik der Taube ............................................................................... 15 (1) Tauben als Boten des Neuanfangs ........................................................... 15 (2) Die Taube als Sinnbild der Liebe und des Glücks ..................................... 16 (3) Die Taube als Bote des Friedens .............................................................. 16

2) Die Taube versinnbildlicht den Neuanfang als Reich des Friedens ............. 16

IV. Der Löwe – der König der Tiere ....................................................................... 20

1. Der brüllende Löwe ...................................................................................... 21

2. Der Löwe als Wächter .................................................................................. 22 3. Der Löwe aus Juda ...................................................................................... 23

V. Das Schaf als Nutz- und Opfertier ................................................................... 26

1. Das Schaf als Nutztier .................................................................................. 26 2. Das junge Schaf, das Lamm als Opfertier .................................................... 27

3. Das Lamm als Zeichen der Versöhnung mit Gott ......................................... 28

VI. Der Wolf und das Lamm ................................................................................... 32

1. Der Wolf im Schafskleid ............................................................................... 32 2. Der Wolf als Wappentier .............................................................................. 34

VII. Der Hund: Treuer Wächter und dennoch verachtet ....................................... 37

1. Der Hund als treuer Wächter ........................................................................ 37 2. Streunende Hunde ....................................................................................... 38 3. Der Hund in Israel und im Neuen Testament ............................................... 41

VIII. Der Fuchs – der Verwüster .............................................................................. 43

1. Die Füchse als Bild für falsche Propheten .................................................... 43 2. Der Fuchs als Symbol für das Verhalten des Landesherrn Jesu .................. 44

IX. Das Schwein – ein fruchtbarer Allesfresser und ein beliebtes Opfertier ..... 47

X. Esel: Lastträger, Reittier und Symbol des Friedens ...................................... 52

1. Die sprechende Eselin des Bileam (4. Mose 22-24). ................................... 53 2. Der Esel als Symbol des Friedens ............................................................... 55 3. Der Esel als Reittier des Messias ................................................................. 56

XI. Der Hahn – Wächter und Mahner .................................................................... 59

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2

1. Der Hahn als Stellvertreter im Judentum ...................................................... 60 2. Der Hahn als Mahner und Wächter .............................................................. 62

XII. Hornisse – ein Symbol der Niedergeschlagenheit und Entmutigung .......... 65

1. Josaphat hat sein Volk aufgerufen, mit ihm zu beten ................................... 67 2. Josaphat wartete auf Gottes wegweisendes Wort ....................................... 67 3. Josaphat dankte Gott, noch bevor er etwas von Gottes Eingreifen sehen konnte .................................................................................................................... 68

XIII. Heuschrecke ..................................................................................................... 70

1. Die Heuschrecken als Symbol des Gerichts ................................................ 70 2. Die Heuschrecke als Überlebenschance ...................................................... 73

XIV. Der Skorpion und das Ei ............................................................................ 74

XV. Der Adler ..................................................................................................... 78

XVI. Der Frosch ................................................................................................... 83

XVII. Der Fisch ..................................................................................................... 88

XVIII. Der Hirsch und die Hinde ........................................................................... 93

XIX. Die Eule ....................................................................................................... 97

XX. Die Biene ................................................................................................... 101

XXI. Die Schwalbe ............................................................................................ 104

Epilog………………………………………………………………………………………108

Literaturverzeichnis .............................................................................................. 111

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3

Vorwort Die Bibel spricht sehr viel von Tieren. Tiere in ihrer Vielfalt begleiten den Menschen

vom Paradies bis zur Vollendung der Zeiten. In den menschlichen Dienst genommen,

sind Tiere Freunde. Aus dem Bereich des Menschen vertrieben, treten sie als Feinde

auf. Tiere sind einmal die schwächeren, oft ausgebeuteten Gefährten des Menschen,

unter Umständen aber auch die überlegenen Feinde.

Auf die tatsächlichen oder gewünschten Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier

weisen die rund 40 Tierbezeichnungen hin, die im Alten und Neuen Testament als

Personennamen erscheinen.

Die Tierwelt hat sich seit den Tagen der Bibel sehr verändert. Ausgesprochen stark

unterscheidet sich die heutige Einstellung zur Welt der Tiere und die heutige Situation

von der biblischen Zeit. Um der ursprünglichen Bedeutung der Tiere gerecht zu wer-

den, gilt es die Tierwelt des Heiligen Landes unter den Gesichtspunkten der Bibel zu

verstehen. Für das biblische und jüdische Denken sind Tiere ein Symbol des Handelns

Gottes.

Ein sprechendes Beispiel ist das Gleichnis vom Adler. Es sagt „etwas Grundwichtiges

über die geschichtliche Beziehung Jahwes zu Israel aus“1.

„Ihr habt selbst gesehen, was ich Ägypten tat, und wie ich euch getragen

habe auf Adlersflügeln und euch zu mir gebracht“ (2.Mose 19,4)

Der Gleichnischarakter der Tiere wird allein dem verständlich, der die biblischen Texte,

in denen Tiere genannt werden, in ihre erste Situation zurückgibt.

Die zum Teil knappen Bilder erschließen sich am ehesten dem, der sie im Umfeld des

Heiligen Landes sieht, und ihrem Sinn mit den Ohren der frühen Hörer nachspürt. Dazu

braucht es eine Einführung in das hebräische und jüdische Denken.

Beides verdanken meine Frau Rosemarie und ich in besonderer Weise drei bereits

verstorbenen jüdischen Freunden:

Wir widmen die folgenden Ausführungen in memoriam

Aharon Bier ( + 1987)

Rose Warmer (+ 1986) und

Daniel Rufeisen (+ 1998)2

Bis heute verbunden sind wir mit Frau Revka Bier. Wir lernten uns bereits 1974 ken-

nen. Jeder aus unseren Reisegruppen erinnert sich an ihre Beiträge an einem unserer

Tage in Jerusalem.

Auf Vermittlung von Frau Bier ist seit 2007 die in der Schweiz geborene orthodoxe

Jüdin Esther Janes unsere Reisebegleiterin. Esther Janes ist studierte Orientalistin.

Mit ihrer Hilfe war es möglich, neben den bekannten Touristikzielen entlegene Plätze

1 Buber, M.: Moses, 3.Auflage, Heidelberg 1966, S. 121; zum Adler vergleiche unten die Betrachtung XV 2 zu den Begegnungen mit unseren Freunden siehe unten Nachwort.

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im Heiligen Land aufzusuchen. Den Sabbat hat sie auch auf Reisen streng eingehal-

ten. Mit Stolz nennt meine Frau Esther Janes ihre jüdische Schwester.

Bearbeitet wurden die biblischen Betrachtungen zu Tieren der Bibel für die täglich

stattfindende abendliche Besinnung in Schüle‘s Gesundheitsresort und Spa in Oberst-

dorf vom 28.Juni bis 18. Juli 2017.

Danken möchte ich für die Fertigstellung des Manuskriptes

Frau Ute van der Heyden für das Layout und

Herrn Erich Schüttendiebel für die Bildbearbeitung.

Die Briefmarken mit den Tierabbildungen verdanke ich unserem Freund

Daniel Rufeisen.

Mein besonderer Dank für die Beratung und Begleitung bei der Textbearbeitung gilt

meiner Frau Rosemarie.

Jedem, der das vorliegende Manuskript in die Hand bekommt, wünsche ich viel Freude

beim Lesen.

Celle, im März 2018

Hansjörg Bräumer

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I. Der Unterschied zwischen Tier und Mensch

Eines ist Tieren und Menschen gemeinsam. Beide, Mensch und Tier, gehören zur

guten Schöpfung Gottes.

Für den Ablauf der Schöpfung der Welt und allen Lebens gestaltete ein israelischer

Philatelist 6 Briefmarken. Jede der Marken steht für je einen Schöpfungstag, d.h. für

eine Schöpfungsperiode. Die Serie erschien zum jüdischen Neujahrsfest am 7.9.1965:

➢ Die erste Periode ist eingeleitet durch das Gotteswort: „Es werde Licht“ (1. Mose

1,3). Ein Bündel von Lichtstrahlen erleuchtete die Erde.

➢ In der zweiten Periode entstand durch Gottes Wort „eine Feste zwischen den

Wassern“ (1. Mose 1,6). Herausgehoben aus dem chaotischen Dunkel

erscheint die Erde.

➢ Die dritte Periode ist bestimmt von dem Gotteswort: „Es werde sichtbar das

Trockene“ (1. Mose 1,9). Die Erde war bewohnbar und vollständig mit Pflanzen

und Bäumen bedeckt.

➢ In der vierten Periode sind Sonne, Mond und Sterne zu Lichtträgern bestimmt

(1. Mose 1,14-16).

➢ In der fünften Periode sind „Fische und Vögel“ geschaffen (1. Mose 1,20-23).

➢ Am Beginn der sechsten Periode hießt es: „Gott ließ die Erde lebendiges Leben

(hebr. näpäs hajjah) hervorbringen; er machte (hebr. casah) die Tiere, jedes

nach seiner Art (1. Mose 1,25).

Der Bericht der Bibel von der Erschaffung des Menschen lautet: „Gott schuf den Men-

schen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und

als Frau“ (1. Mose 1,27). Weiter heißt es: „Gott, der Herr, machte den Menschen aus

Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens ein“ (1. Mose 2,7).

Im Bericht der Schöpfung werden folgende Tiere aufgezählt:

➢ die Vögel, die auf Erden und unter der Feste des Himmels fliegen

➢ die Tiere, davon das Wasser wimmelt

➢ Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes.

Von den Tieren heißt es: „Gott machte jedes nach seiner Art.“ Jedes Tier in seiner

besonderen Art „führte Gott dem Menschen zu, dass er sähe, wie er sie nennte, denn

wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. Und der Mensch gab

jedem Tier seinen Namen“ (1. Mose 2,19+20).

Zählt man die Namen der Tiere, die in der Bibel genannt werden, so kommt man auf

die Zahl 90.3 In der vorliegenden Andachtsreihe werden nur 20 genauer beschrieben.

Es geht um ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihre Lebensweise und ihren Lebensraum. Von

Fall zu Fall wird dabei die besondere Bedeutung, die jeder Tierart im Blick auf den

Menschen zukommt, aufgezeigt. Bei allen Berührungspunkten zwischen Mensch und

3 Vgl. Schouten van der Velden, A., Tierwelt der Bibel, Stuttgart 1992, S. 7.

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Tier hat Gott bei der Schöpfung dem Menschen in drei Wesensunterschieden den Vor-

zug gegeben.

1) Allein der Mensch ist Gottes Ebenbild

Bei der Schöpfung des Menschen sprach Gott die Worte: „Lasst uns Menschen

machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (1. Mose 1,26). Und dann heißt es: „Gott schuf

den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. Mose 1,27, Luther-

bibel 2017).

In seinem Entschluss, Menschen zu schaffen, legt Gott in zwei Begriffen die Bestim-

mung des Menschen fest:

• Der Begriff Bild (hebr. säläm) heißt wörtlich übersetzt: Abbild der Urform, Stand-

bild in der Schöpfung. Der Mensch ist dazu bestimmt, Gott in der Welt zu reprä-

sentieren; anders ausgedrückt: Am Leben des Menschen soll Gottes Herrsein

ablesbar sein.4

• In der Wendung „uns ähnlich“ (hebr. kidmutenu) beschreibt Gott den Menschen

als Persönlichkeit, die dazu fähig ist, in Beziehung zu seinem Schöpfer zu

stehen. Der Mensch ist die Persönlichkeit, die auf Gott hören kann, die Gott

fragt und die ihm antworten darf. Der Mensch kann Gott verstehen und ihm

antworten.5

Als Abbild der Urform und als verantwortliches Ich vor Gott steht der Mensch im vis-a-

vis zu Gott.6 Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Ihm ähnlich heißt, der

Mensch ist geschaffen als Gottes Gegenüber, als Persönlichkeit mit einem freien

Willen. Er kann auf Gott hören, ihm antworten und zu ihm beten. Das ist die Würde

des Menschen, die ihn vom Tier unterscheidet. Der Mensch kann aber auch seine

Ohren gegenüber Gott verschließen und statt zu Gott zu beten, kann er sich von Gott

abwenden. Gebe Gott, dass wir die uns von Gott verliehene Würde nicht mit Füßen

treten.

2) Allein die Frau ist das dem Manne fehlende und zu ihm passende Gegenstück von wesentlicher Gleichheit

Es war am 6.Tag, der 6. Periode der Schöpfung, dass Gott die Tiere der Erde und den

Menschen erschuf (1. Mose 1,24+25).

In der israelischen Briefmarkenserie der Schöpfung ist jedoch auf der 6. Marke keine

Spur von einem Tier abgebildet. Das Gesicht des Menschen füllt die ganze Marke aus.

Damit bringt der jüdische Philatelist zum Ausdruck: Kein einziges Tier konnte der

Einsamkeit und dem Alleinsein des Menschen ein Ende setzen.

4 Belege zur Übersetzung säläm, vgl. Bräumer, Hj., 1. Mose 1-11, S. 55+56. 5 Zur Erklärung von kidmut: Der Mensch als Gottes Gegenüber, Westermann, C., Genesis 1-11, Neukirchen-Vlyn 1974, S. 208+209. 6 Leibowitz, N., Studies in Bereshit, 2. Aufl., Jerusalem 1974, S. 2.

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Nach der Feststellung Gottes „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (1. Mose

2,18), führte Gott dem Menschen die gesamte Tierwelt vor Augen. Vom Menschen

aber heißt es: „Er fand kein Gegenüber, das ihn stark machte“ (1. Mose 2,20). Als Gott

jedoch dem Mann die Frau zuführte, sprach dieser: „Das ist endlich Bein von meinem

Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (1. Mose 2,23). Gottes Entschluss lautete: „Ich

will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“ (1. Mose 2,18).

Die beiden Worte Hilfe und Entsprechung haben im Hebräischen eine

spezifische und umfassende Bedeutung:

• Hilfe (hebr. cezär) kann abgeleitet werden von einer Wurzel,

die so viel heißt wie „stark sein“. Die Hilfe liegt in der Stärke

des gemeinsamen Handelns. Die maskuline Form des

hebräischen Wortes Hilfe ist kein Hinweis auf die Frau als

„Gehilfin“ des Mannes. Hilfe bedeutet viel mehr, der Mann

braucht bei der Erfüllung seiner Aufgaben ein Gegenüber, das

ihn stark macht, stark zum Leben und zum Handeln.7

• Das Wort „entsprechend“ (hebr. kenägeddo) kennzeichnet die

Frau als das dem Mann entsprechende Gegenstück. Die Frau

ist das dem Mann fehlende Seitenstück. Sie ist bei aller

Verschiedenheit die passende Ergänzung von wesentlicher Gleichheit.

Als Gott dem Mann die Frau zuführte, empfängt der Mann die Frau mit einer „jauch-

zenden Bewillkommnung“ (J. G. Herder). Er stimmt das erste Liebeslied an und sagt

damit: Ich bin nicht mehr allein. Ich habe ein Gegenüber, eine Wieder-spiegelung mei-

ner selbst. In der Frau kenne ich mich wieder. Nach der Schöpfungsgeschichte der

Bibel sind Mann und Frau bei unterschiedlichem Geschlecht gleichwertig und gleich-

rangig.8

Wann immer es kulturgeschichtlich und in manchen Frömmigkeitsbewegungen zur

Unterordnung der Frau unter den Mann kam, gilt es den Grundsatz des Paulus zu

bedenken und diesem den Vorrang zu geben. Die von Paulus vorgegebene Richt-

schnur lautet: „Seid einander untertan in der Furcht Christi“ (Eph 5,21).

Die ersten beiden Wesensunterschiede zwischen Mensch und Tier sind:

• Allein der Mensch ist Gottes Ebenbild.

• Allein die Frau ist das dem Manne fehlende und zu ihm passende Gegenstück

von wesentlicher Gleichheit.

Dazu kommt der dritte Wesensunterschied:

• Der Mensch ist das einzige zum ewigen Leben bestimmte Geschöpf.

7 Belege zur Übersetzung von ezär vgl. Bräumer, Hj., 1. Mose 1-11, S. 76. 8 Zu den Belegen ebd. S. 76-80.

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3) Der Mensch ist das einzige zum ewigen Leben bestimmte

Geschöpf

So heißt es im Buch des Predigers: „Wer kennt des Menschen Atem, der nach oben

steigt, und den Atem des Viehs, das zur Erde hinunterfährt?“ (Pred 3,21).

Nach dieser wörtlichen Übersetzung besteht der dritte Wesensunterschied zwischen

Mensch und Tier aus Folgendem: Der Lebensatem von Mensch und Tier entschwindet

nach dem Tod in entgegengesetzte Richtungen.9 Allein der Mensch ist das einzige zur

Gottesgemeinschaft und zum ewigen Leben bestimmte Geschöpf Gottes. Diese, von

manchen Auslegern bezweifelte Aussage10 wird im Buch des Predigers an zwei Stellen

bestätigt und näher ausgeführt:

• In Pred 3,11 heißt es: „Auch die Ewigkeit (hebr. olam) hat er (Gott) ihnen, den

Menschen, ins Herz gelegt.“

• Und auch am Ende der Weisheitssprüche im Buch des Predigers heißt es: „Der

Mensch geht in sein Ewigkeitshaus.“ „Der Staub kehrt zurück zur Erde, wie er

gewesen, und der von Gott verliehene Lebensatem (hebr. ruah) kehrt zurück zu

Gott, der ihn gegeben hat“ (Pred 12,5+7).11

Für den Menschen gibt es kein Aufhören der Persönlichkeit.12 In dieser Deutlichkeit

wird dies an keiner Stelle vom Tier ausgesagt. Für die Annahme, dass auch Tiere

einen Platz im „Ewigkeitshaus Gottes“ haben, verweisen manche Ausleger auf fol-

gende Aussagen der Bibel:

• In der Arche werden Mensch und Tier in gleicher Weise gerettet (1. Mose 6,5-

9,17).

• In der zu Ende gehenden Zeit werden Mensch und Tierwelt ohne Feindschaft

zusammen sein: Das Lamm wird beim Wolf zu Gast sein (Jes 11,4-9; 65,25).13

• Und in seinem Brief an die Römer schreibt Paulus in Bezug auf die Kreatur:

„Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und der Verlorenheit befreit werden

zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes, denn wir wissen, dass die

gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tage seufzt und in Geburtswehen liegt“

(Röm 8,21+22).

Alle diese Stellen rufen den Menschen auf zum verantwortlichen Umgang mit der Tier-

welt, ohne jedoch explizit, ausdrücklich, darauf einzugehen, ob die Tiere im Ewigkeits-

haus Gottes einen Platz haben. Auch wenn man, wie Martin Luther, darauf hofft,

seinen Hund in der Ewigkeit wiederzusehen, sollte man die Entscheidung darüber

getrost Gott überlassen. Die entscheidenden Fragen lauten: Wo werden wir, Sie und

ich, in der Ewigkeit sein? Für ewig gerettet oder für ewig verloren? Gerettet ist der, der

9 Nur bei willkürlicher Veränderung des Wortlautes können Ausleger zu der Feststellung kommen: Der Mensch hat im Tod keinen Vorrang vor den Tieren. Zur Diskussion vgl. Lanka, A., Kohelet, Neukirchen-Vlyn 1978, S. 77 und Zimmerli, W., Das Buch des Predigers Salomo, ATD 16, Göttingen 1962, S. 15-17. 10 Vgl. Lanka, A., Kohelet, S. 68 und Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 100 und Schroer, S. 13. 11 Zur Übersetzung vgl. Zimmerli, Prediger, S. 243. 12 Gegen Lanka, S. 215. 13 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 100.

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in diesem Leben kompromisslos auf Jesu Seite steht. Er ist um unserer Sünden willen

gestorben, auf dass wir Frieden hätten. Mit ihm, unserem Erlöser, ewig vereint zu sein,

ist unsere größte Hoffnung.

In einem englischen Kirchenlied, das Hedwig von Redern (1866-1935) ins Deutsche

übertragen hat, heißt es:

Dort vor dem Throne im himmlischen Land

treff‘ ich die Freunde, die hier ich gekannt:

dennoch wird Jesus und Jesus allein

Grund meiner Freude und Anbetung sein:

Das wird allein Herrlichkeit sein,

das wird allein Herrlichkeit sein,

wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh,

wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh.

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II. Die Schlange – eine Kreatur im Zwielicht In einem Sprichwort heißt es: „Wo Eva gemalt steht, da

ist die Schlange auch nicht weit.“14 Die Schlange ist

eines der Tiere, die Gott in der 6. Schöpfungsperiode

geschaffen hatte. Ahnungslos begegnet das Menschen-

paar dem Tier, dem der Mensch den Namen „Schlange“

gegeben hatte.15

Die Begegnung des Menschenpaars mit der Schlange

ist dargestellt auf einer der israelischen Briefmarken. Sie

erschien 1985 anlässlich der Weltbriefmarkenaus-

stellung in Tel Aviv.

Das Motiv ist entnommen aus dem Titelblatt zur Genesis

in der sogenannten Schocken-Bibel.16 Die Schocken-

bibel entstand im frühen 14. Jahrhundert in Südwest-

deutschland und ist heute in der Schocken-Bibliothek in

Jerusalem.17 In der Mitte des Titelblattes ist ein Rahmenfeld mit dem Anfangswort

berēschit, dem Versbeginn des 1. Buches Mose, übersetzt: „Am Anfang“.

Die Titelblatt-Miniatur selbst besteht aus 46 Rundbildern. Auf dem ersten Medaillon

sind Adam und Eva mit der Schlange abgebildet. Ihm folgt die Vertreibung aus dem

Paradies.

Die Situation, die auf der israelischen Briefmarke abgebildet ist, ist Folgende: Adam

und Eva stehen beide unter einem der Bäume in der Mitte des Gartens. Eva hält in

einer ihrer Hände eine bereits angebissene Frucht. Adam ist gerade dabei, in eine der

Früchte zu beißen. Die Schlange windet sich am Stamm des Baumes der Erkenntnis

von Gut und Böse hoch. Ihr Blick ist auf den Mann gerichtet. Diese Szene hat eine

lange Vorgeschichte, in der die Schlange eine zwielichtige Rolle spielt.

1) Die Rolle der Schlange

„Die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Jahwe gemacht hatte, und

sprach zur Frau: Ist es wirklich so, dass Gott gesagt hat: Von allen Bäumen des Gar-

tens dürft ihr nicht essen?“ (1. Mose 3,1).

Die Schlange ist ein Tier des Feldes. Sie ist eine Kreatur Gottes, eines der zahlreichen

Geschöpfe des Allmächtigen. Das die Schlange Auszeichnende ist die Feststellung:

„Sie war listiger als alle Tiere des Feldes.“ Das Adjektiv „listig“ (hebr. arûm) bedeutet

14 Beyer, H. u. A., Sprichwörterlexikon, 3. Aufl., Leipzig 1987, S. 503. 15 Vgl. Zimmerli, W., 1. Mose 1-11, 2. Aul., Zürich 1957, S. 150. 16 Vgl. Carmel, Stamps Catalogue 1996, S. 80. 17 Vgl. Gutmann, J., Buchmalerei in hebräischen Handschriften, München 1978, S. 74+75. Auf dem in Tel Aviv herausgegebenen Schmuckblatt wird als Entstehung das Jahr 1290 angegeben.

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klug, und zwar sowohl im Sinne von besonnen (griech. phronimos) als auch verschla-

gen.18 Es wird mit keinem Wort gesagt, dass die Schlange der Teufel, d. h. eine über-

menschliche Macht gewesen sei. Eine solche Annahme würde meines Erachtens den

Menschen von vornherein entlasten. Der Mensch wäre dann nur das arme Opfer, eines

vor aller Zeit gegen Gott auftretenden Geschöpfes der himmlischen Welt, das stärker

ist als der Mensch.19

Die Schlange war eine Kreatur unter anderen. Was die Schlange dazu befähigte, im

Unterschied zu allen anderen Tieren artikuliert zu sprechen, wird nicht entfaltet. Das

einzige, was von der Schlange berichtet wird, ist: Sie brachte in das Licht der Schöp-

fung ein Zwischenlicht. Die Schlange wird zur Kreatur des Zwielichtes, indem sie die

Zweideutigkeit der Worte Gottes behauptet.20

Die von der Schlange gesprochenen Worte lauten: „Ist es wirklich so, dass Gott gesagt

hat: Von allen Bäumen dürft ihr nicht essen?“ (1. Mose 3,1). Die Wendung „Ist es denn

wirklich so“ (hebr. ap kî) übersetzt Luther mit „Ja, sollte“ und sagt in einer seiner Pre-

digten dazu: „Ich kann das Ebräische nicht wohlgeben, weder deutsch noch lateinisch,

es lautet eben das Wort ap kî, als wenn einer die Nase rümpft und einen verlacht und

verspottet.“21

Mit der einleitenden Wendung „Ja, sollte Gott gesagt haben“ gibt die Schlange vor,

mehr um Gott zu wissen als der Mensch. Gottes Liebe, so argumentiert die Schlange,

ist so groß, „dass er ein solches Verbot nicht nötig hat“. Die mit „Ja, sollte Gott gesagt

haben“ beginnende Frage ist „durchaus eine fromme Frage. Aber mit der ersten from-

men Frage in der Welt ist das Böse auf den Plan getreten… Die in das Kleid der Fröm-

migkeit eingehüllte Frage ‚Sollte Gott gesagt haben‘ ist die gottlose Frage schlecht-

hin“.22

Mit der Frage „Sollte Gott gesagt haben“ begann nicht nur in der Urgeschichte der

Abfall von Gott. Fragen mit der einleitenden Wendung „Sollte Gott gesagt haben“ sind

bis heute die Fragen, „durch die das Böse in uns, in meinem und Ihrem Leben Gewalt

gewinnt und durch die wir Gott ungehorsam werden“.23 Es sind die Fragen:

Sollte Gott gesagt haben…,

• … dass ER die Liebe ist?

• … dass ER uns unsere Sünden vergeben will?

• … dass wir keine Werke brauchen?

• … dass Jesus uns zugut gestorben und auferstanden ist?

• … dass wir das ewige Leben haben sollen?

• … dass wir nicht alleine sind?

18 Vgl. Niehr, H., aram, in: ThWAT, Bd. VI, Sp. 389 (387-392). 19 Vgl. Bräumer, Hj., 1. Mose 1-11, S. 84. 20 Vgl. Bonhoeffer, D., Schöpfung und Fall, 4. Aufl., München 1958, S. 80. 21 Luther, M., Predigten über das erste Buch Mose, EA, Bd. 33, S. 87. 22 Bonhoeffer, D., Schöpfung und Fall, S. 83. 23 Ebd., S. 84.

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• … dass wir getragen sind von der Gnade Gottes?

• … dass einmal alles Leid und Geschrei ein Ende haben soll?

Sollte Gott gesagt haben…

• … du sollst nicht stehlen!

• … du sollst nicht ehebrechen!

• … du sollst nicht falsch Zeugnis reden!

Sollte ER dies wirklich auch für unsere Zeit und für mich gesagt haben? Gilt es für mich

vielleicht gerade nicht?

Sollte Gott das Opfer Jesu gefordert haben – ER, von dem ich besser weiß, dass ER,

der allmächtige, allliebende Vater ist?24

In der Urgeschichte lautete die Frage: „Ist es wirklich so,

dass Gott gesagt hat: Von allen Bäumen dürft ihr nicht

essen?“

Mit dieser Frage stellt die Schlange „zunächst nur die Mög-

lichkeit hin, dass vielleicht der Mensch hier falsch gehört

habe, da Gott das doch nicht so gemeint haben könne“.25

Für den ersten Menschen ist diese Frage das „Angeredet-

werden auf seine Freiheit“.26

2) Die Freiheit des Menschen

Nach Karl Jaspers (geb. 1883), einem der Begründer der Existenzphilosophie, ist Frei-

heit „das Selbstdenken und das Handeln aus eigener Einsicht“.27

I. Die Entscheidung der Frau

Die erste Reaktion der Frau war das Selbstdenken. So konnte sie spontan der

Schlange mit den Worten entgegentreten: Du hast aus der Wahrheit des Wortes Got-

tes eine Lüge gemacht. Nach deiner Version lautet das Gotteswort: „Von allen Bäumen

des Gartens dürft ihr nicht essen“ (1. Mose 3,1).

In Wirklichkeit aber sagte Gott: „Nicht von allen Bäumen dürft ihr essen“ (1. Mose

3,2+3). Die Anzahl der Worte blieb dieselbe. Aus der Umstellung des einzigen Wortes

nicht wurde aus der Wahrheit eine Lüge.28 Aufgrund ihres Denkvermögens korrigiert

die Frau die Schlange und verteidigt Gott. Die Frau hatte erkannt, dass die Schlange

ihre Klugheit und Besonnenheit „zur Täuschung verwendete“.29 Mit ihrer Richtigstel-

lung entlarvt die Frau die Schlange als Kreatur im Zwielicht. Ihre Antwort lautet: Gottes

Wort ist nicht zweideutig. Ich bleibe bei der Eindeutigkeit des Wortes Gottes.

24 Zu den aktuellen Fragen vgl. Bonhoeffer, D., Schöpfung und Fall, S. 83+84. 25 Bonhoeffer, D., Schöpfung und Fall, S. 82. 26 Ebd., S. 85. 27 Jaspers, zitiert nach Thielicke, H., Theologische Ethik, Bd. III, §. 54, Anm. 8. 28 Vgl. Vgl. Bräumer, Hj., 1. Mose 1-11, S. 15. 29 Vgl. Zahn, Th., Matthäus, S. 400.

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Wenn Paulus in einem seiner Briefe sagt: „Die Schlange verführte Eva mit ihrer List“

(2 Kor 11,3), so wählt er dabei ein Zeitwort das wörtlich übersetzt heißt: „das Herz

eines Arglosen täuschen“, bzw. dazu beizutragen, dass sich das Herz eines Menschen

bewusst von Gott entfremdet (ex apatao).30

Wie es dazu kam, zeigt der weitere Bericht über das Verhalten der Frau. Es ist ein

langer Prozess des Selbstdenkens, den die Frau durchmacht, bis sie zu ihrer Entschei-

dung kommt. Die grobsinnlichen Gefühle sagen ihr: „Die Früchte sind gut zu essen“,

der fein ästethische Anreiz kommt zum Ausdruck in der Formulierung „lieblich anzuse-

hen“ und die höchste durchschlagende Verlockung birgt die Feststellung „begehrens-

wert für das Klugwerden“ (1 Mose 3,6a).31 Diese selbstgewonnenen Einsichten veran-

lassen die Frau, die von Gott gesetzte Grenze zu überschreiten. Die Schlange hat nur

das Giftkorn gesät.32 Dass dieses keimen und aufgehen konnte, war allein die selbst-

ständige Handlung der Frau. Im weiteren Verlauf heißt es: Die Frau „gab auch ihrem

Mann neben ihr und er aß“ (1. Mose 3,6b).

II. Die freie Entscheidung des Mannes

Von einer Verführung des Mannes durch die Frau wird kein Wort berichtet. Der Mann

macht einfach mit. So ist der Mann ebenso allein und voll verantwortlich. Nachdem die

Entscheidung zur Übertretung des Gottesgebotes gefallen war, war die zweite Über-

tretung viel leichter, ja schon fast selbstverständlich. Das Sprichwort „Einmal ist kein-

mal“ ist eine der Urlügen. Nach dem biblischen Bericht ist einmal das entscheidende

Mal.

Heißt es im Weltschöpfungsbericht: „Und Gott schuf den Menschen, einen Mann und

eine Frau.“, so heißt es nun: „Und der Mensch fiel von Gott ab, eine Frau und ein

Mann.“33

Die Geschichte vom Abfall des Menschen von Gott ist alles andere als die Geschichte

einer zweifachen Verführung. Sie ist vielmehr das Aufzeigen dessen, wozu der

Mensch in der ihm von Gott verliehenen Freiheit fähig ist.

Freiheit, so Karl Jaspers, ist das „Selbstdenken“ und „das Handeln aus eigener Ein-

sicht“

Die Schlange hat die Frau nicht verführt. Die Frau handelte aus eigener Einsicht. Es

war ein langer Prozess des Selbstdenkens, bis die Frau die Entscheidung traf: Ich

werde die von Gott gesetzte Grenze überschreiten.

Die Frau hat den Mann nicht verführt. Der Mann hatte alles mit angesehen. Er hat ohne

weiteres Nachdenken die Entscheidung getroffen: Auch ich will mich von Gottes Gebot

lösen.

30 Vgl. Bauer, W., Wörterbuch, Sp. 540 und Wolff, Chr., Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, Berlin 1989, S. 213. 31 Rad, G. v., 1. Mose, S. 72. 32 Vgl. Zimmerli, W., 1. Mose 1-11, S. 155. 33 Bonhoeffer, D., Schöpfung und Fall, S. 95.

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Ob Sie und ich uns nach Gottes Wort richten, ist allein Ihre und meine Entscheidung.

Es lohnt sich, in unserem Denken und Handeln sich jedes Mal neu kompromisslos auf

Gottes Seite zu stellen.

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III. Taube und Schlange als Vorbild

Neben den Sprichwörtern gibt es sogenannte „geflü-

gelte Worte“. Es sind Worte, die von nachweisbaren

Verfassern ausgegangen sind. Es sind Worte, die

Flügel bekommen haben, die vom Mund des Red-

ners zum Ohr des Hörers fliegen. In den Sprachen

aller Völker, die das Christentum angenommen

haben, sind es u. a. Aussprüche aus dem Alten und

Neuen Testament. So wurde das folgende Wort Jesu

zu einem geflügelten Wort: „Seid klug wie die Schlan-

gen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Mt 10,16).34

Um die gemeinsame Vorbildfunktion von Schlangen

und Tauben zu verstehen, gilt es zunächst die Sym-

bolik, den Sinnbildgehalt der Taube aufzuzeigen.

1) Die Symbolik der Taube

Im Alten Israel gab es verschiedene Arten von Tauben: die Felsen-, Hohl-, Ringel und

Turteltaube.35 Wo immer eine Taube unabhängig von ihrer Art auftauchte, sah der alt-

testamentliche Mensch den Vermittler einer Botschaft Gottes. Tauben galten als Boten

eines Neuanfangs, Sinnbild der Liebe und des Glücks und Boten des Friedens. Dies

ist die ursprüngliche, weithin vergessene Symbolik der Taube.

(1) Tauben als Boten des Neuanfangs

Um das Ende der Sintflut zu erkunden, sandte Noah dreimal eine Taube aus. Die erste

Taube kam ohne Lebenszeichen zurück. Die zweite Taube hatte einen Ölzweig im

Schnabel. Die dritte Taube blieb weg; sie hatte auf der neuen Erde Ruhe gefunden (1.

Mose 8,8-12).

Zum jüdischen Neujahrsfest am 13.08.1969 erschien in Israel eine Serie von fünf Mar-

ken zur Geschichte der Sintflut.36 Auf der vierten Marke kommt aus einigen verbliebe-

nen Wellen und Wolken die Taube mit dem Ölzweig zurück. Die dritte Taube fliegt

unter freiem Himmel davon, um in der neuen Welt zu bleiben. Sie hat auf der neuen

Erde Ruhe gefunden.

Für Noah erschienen die zweite und die dritte Taube als „Boten der erneuten Zuwen-

dung Jahwes“, als Boten der Gnade.37

34 Zum Unterschied zwischen Sprichwörtern und geflügelten Worten vgl. Büchmann, Geflügelte Worte, München/Zürich 1959, S. 6+9+31. 35 Vgl. Schroer, Die Tiere der Bibel, S. 76. 36 Carmel Stamps Catalogue, S. 37. 37 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 139.

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(2) Die Taube als Sinnbild der Liebe und des Glücks

Im Hohen Lied der Liebe sagt einer der Liebenden: „Deine Augen sind wie Tauben“

(Hhl 1,15+5,12). Die Bedeutung dieser Bildsprache ist: „Deine Blicke sind belebende

und beglückende Liebesbotschaften.“38

Zum jüdischen Neujahrsfest am 03.09.1952 erschienen vier Mar-

ken zu Motiven aus dem Hohen Lied der Liebe. Auf der dritten

Marke fliegt eine Taube über den Bergen in eine für den Liebenden

unerreichbare Felsspalte.39 Der Liebende – so will die Marke

gedeutet werden – lockt seine Geliebte zurück mit den Worten:

„Meine Taube in den Schlupfwinkeln des Felsens, im Versteck des

Felsensteiges! Lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine

Stimme hören. Denn deine Stimme ist angenehm und deine Gestalt

ist lieblich.“ (Hhl 2,14, Übersetzung Gerlemann).

Die Taube als Bild der beglückenden Liebe ist der Grund, dass von

der Taube gesagt werden konnte: In ihr ist nichts Falsches (Mt

10,16).

(3) Die Taube als Bote des Friedens

In einem der Lieder Davids ist von Tauben die Rede, deren

Flügel mit Silber überzogen sind. Daraus geht hervor, dass

man nicht nur in Ägypten, sondern auch in Israel folgenden

Brauch gekannt hat: Man schickte geschmückte Tauben aus,

um den Herrschaftsantritt eines Königs und seines Friedens-

reichs anzukündigen. In Psalm 68,14 heißt es: „Wenn ihr zu

Felde liegt, glänzt es wie Flügel der Tauben, die wie Silber und

Gold schimmern.“ Die Taube als Bote des Friedens ist auf

einer israelischen Briefmarke dargestellt. Sie erschien anläss-

lich der Olympischen Spiele in Los Angeles im Jahr 1984. Das

auf dem weißen Rand der Briefmarke abgedruckte Symbol ist

der siebenarmige Leuchter, das Wahrzeichen des jüdischen

Volkes. Der mittlere Arm des Leuchters ist ersetzt durch die

Fackel mit dem olympischen Feuer. Darüber schweben die

olympischen Ringe. Auf der Marke selbst steht auf dem obers-

ten Siegespodest eine Taube mit einem Ölzweig im Schnabel.

In Israel versinnbildlicht die Taube mit dem Ölzweig die uralte Friedenssehnsucht des

jüdischen Volkes.

2) Die Taube versinnbildlicht den Neuanfang als Reich des Friedens

Das Symbol der Taube taucht im Neuen Testament zum ersten Mal auf bei der Taufe

Jesu im Jordan. Die ersten drei Evangelisten berichten übereinstimmend: Bei der

38 Schroer, Die Tiere der Bibel, S. 78+79. 39 Rouw, J., Schalom, S. 15.

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Taufe Jesu im Jordan öffnete sich der Himmel. Gottes Geist kam auf Jesus herab, „wie

eine Taube herabschwebt“ und aus dem Himmel war die Stimme Gottes zu hören:

„Dies ist mein geliebter Sohn“ (Mt 3,16+17; Mk 1,10+11; Lk 3,21+22). Als Johannes

wieder Worte gefunden hatte, konnte er nur eines sagen: „Dieser ist Gottes Sohn“ (Joh

1,34). Zu dieser Überzeugung kam Johannes der Täufer durch das Symbol, das mit

der Taube verbunden ist. Mit Jesus hat Gott einen Neuanfang gesetzt. Die Grund-

legung dieser neuen Zeit ist Gottes Liebe. „Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen

eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, son-

dern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). D.h. die an Jesus glauben, werden einmal

eingehen in den Frieden des Himmelreiches.

Das zweite Mal taucht die Symbolik der Taube auf in dem Wort Jesu, das er an die

richtete, die kompromisslos auf seiner Seite standen. Es lautet: „Siehe, ich sende euch

wie Schafe mitten unter die Wölfe, seid also klug wie die Schlangen und ohne Falsch,

arglos rein und unverdorben (griech. akeraios) wie die Tauben“ (Mt 10,16).

„Wie die Tauben“ heißt: Nehmt euch die Tauben zum Vorbild:

• Seid Boten des Neuanfangs

• Seid Verkündiger der Liebe Gottes.

• Seid Wegbereiter des Friedens.

Verwirklicht diesen euren dreifachen Auftrag, ohne ein Hintertürchen offen zu lassen,

ohne Falsch, in „lauterer Geradheit“.40

Warum aber fügt Jesus dem Vorbild der Taube noch die Schlange als zweites Vorbild

hinzu?

Die gefahrenvolle Lage, in die die Jünger mit ihrer Verkündigung geraten, beschreibt

Jesus mit: „Sie sind wie Schafe mitten unter Wölfen“ (Mt 10,16). Um in solchen Situa-

tionen bestehen zu können, braucht es nicht nur lautere Geradheit, sondern auch „die

berechnende Klugheit der Schlange“.41

Im griechischen Neuen Testament heißt die Wendung „klug wie die Schlange“ wörtlich

übersetzt: „besonnen (phronimos) wie die Schlangen“,42 bzw. „auf die eigene Einsicht

bauend“.43 Bezieht man das Verhalten der Schlangen mit ein, so bietet sich die Über-

setzung an: „Seid scheu wie die Schlangen.“44

Die letzte Übersetzung ergibt sich aus dem Verhalten der Schlange: Die Schlange

greift nur an, wenn sie in Gefahr ist. Sieht die Schlange einen Feind nahen, geht sie

ihm in den meisten Fällen aus dem Weg. Sie sucht keinen Kampf. Sie bemüht sich zu

ihrem Schutz, ungesehen wegzukriechen.

Seid „besonnen“ bzw. „scheu“ wie die Schlangen ist die an seine Jünger gerichtete

Mahnung: Seid darauf bedacht, dass sich bei eurer Arbeit eure Wege nicht mit den

40 Schmid, J., Das Evangelium nach Matthäus, Leipzig 1963, S. 179. 41 Zahn, Th., Matthäus, S. 400. 42 Sand, Matthäus, S. 219. 43 Bauer, Wörterbuch, S. 1714. 44 Köhler, L., Kleine Lichter, Zürich 1945, S. 76-79.

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Wegen eurer Feinde kreuzen. Versucht Streit und Gefahr zu vermeiden.45 Jesus warnt

seine Jünger „vor einem selbstgesuchten Martyrium“.46 Droht ihnen in einer Stadt

Gefahr, „sollen sie in eine andere Stadt flüchten“ (Mt 10.14). Zu ihrem Schutz sollen

sie „vorsichtig sein und sich auf Gottes Macht und Weisheit verlassen“.47

Diese Mahnung hat Jesus in seinem Leben und Wirken verwirklicht. Jesus war „für

seine Gegner schwer zu fassen“.48 Von seinem Landesherrn Herodes Antipas war

Jesus bekannt, dass dieser ihn töten wollte (Lk 13,31). Jesus ging ihm aus dem Weg,

so dass Herodes Antipas Jesus erst während des Prozesses in Jerusalem zu Gesicht

bekam (Lk 23,8). Zu diesem Zeitpunkt hatte Jesus selbst beschlossen, sich in die

Hände seiner Feinde zu begeben, um den Erlösungstod am Kreuz zu sterben.

Für den, der auf dieser Welt Jesu Sache vertritt, gilt das Doppelgebot Jesu:

„Seid ohne Falsch wie die Tauben

und klug wie die Schlangen.“

Am Anfang der Geschichte Gottes mit seinen Menschen hat die Kreatur Schlange ihre

berechnende Klugheit „zur Täuschung des Menschen verwendet“.49 Den Vorbild-

charakter hat die Schlange nur im Einklang mit der Arglosigkeit der Taube. Allein im

Zusammenhang mit der der Taube zugeschriebenen Wesenszüge hat die Klugheit der

Schlange vorbildlichen Charakter. Das Korrektiv, das ausgleichende Moment der

Schlange, ist ihre Besonnenheit und Scheu ohne Arglist.

Die Schlange ist das Korrektiv zur blinden Vertrauensseligkeit und zu unbedachtem

Wagemut.50 Die von Jesus in die Welt gesandten Jünger brauchen „die Arglosigkeit

der Tauben und die Scheu der Schlangen“.51

Jesu Doppelgebot:

„Seid klug wie die Schlangen

und ohne Falsch wie die Tauben (Matth.10,16)“

ist zum geflügelten Wort geworden. Es ist der Rat Jesu für einen gradlinigen und

behutsamen Umgang mit Menschen, mit denen wir zusammenleben. Es ist die Scheu

der Schlangen und die lautere Gradlinigkeit der Tauben, entsprechend der Symbolik

der Taube in der Bibel.

➢ Menschen, die uns Böses wollen, gilt es, aus dem Weg zu gehen. Wenn sich

die Wege mit denen, die uns angreifen, kreuzen, gilt es, allen Streit und Gefahr

zu vermeiden.

➢ Die Maxime für unseren Umgang mit Menschen, mit denen wir auf dem Weg

sind, lautet: „lautere Gradlinigkeit“. Nur so können wir, wie es die Symbolik der

45 Vgl. Lamsa, S. 128+129. 46 Schweizer, E., Das Evangelium nach Matthäus, Berlin 1977, S. 155. 47 Lamsa, S. 129. 48 Schwarz/Schwarz, Das Jesus-Evangelium, S. 371. 49 Zahn, Th., Matthäus, S. 400. 50 Vgl. Schmid, J., Matthäus, S. 179. 51 Köhler, Kleine Lichter, S. 79.

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Taube in der Bibel aussagt, Boten des Neuanfangs, Verkündiger der Liebe

Gottes und Wegbereiter des Friedens sein.“

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IV. Der Löwe – der König der Tiere

„Der Löwe ist mächtig unter den Tieren, er kehrt vor nie-

mandem um“ (Spr 30,30).

Dieses den Löwen kennzeichnende Wort steht im Alten

Testament in dem Buch, das überschrieben ist mit „Sprü-

che Salomos“ (hebr. Mischle Schelomo). Das hebräi-

sche Wort Mischle bedeutet sowohl „außerordentliches

Wort“ als auch „Vergleich“, „Gleichnis“.52

Von den über 100 Stellen, in denen im Alten Testament

der Begriff Löwe vorkommt, reden nur etwa 25 von dem

Löwen als Tier. In den anderen Fällen veranschaulicht

der Löwe gleichnishaft Eigenschaften Gottes oder auch

bestimmter Menschen.53

Der Löwe in freier Natur war im Alten Testament so weit verbreitet, dass er für die

Herden, aber auch für Menschen eine Gefahr darstellte. Im 13. Jh. n.Chr. war der

Löwe jedoch in Israel völlig ausgerottet.54 Geblieben ist die Erinnerung und die sym-

bolische Bedeutung.

1992 erschien eine israelische Briefmarkenserie unter der Überschrift Tiere im Zoo von

Ramat-Gan und Jerusalem. Auf einer der Marken haben einschließlich des Randfel-

des der Löwe und die Löwin einen festen Platz. Löwen waren jahrhundertelang in ganz

Israel zu finden. Hauptsächlich aber lebten die Löwen an den Ufern des Jordans.

Der Löwe galt, wie es in Sprüche 30,30 heißt, wegen seines Mutes als der Mächtige

unter den Tieren. Die kraftvolle Gestalt und die prächtige schwere Mähne des männ-

lichen Tieres trugen dazu bei, dass der Löwe den Beinamen König der Tiere erhalten

hat.

Der Löwe wird von jedermann gefürchtet und ist sicher vor Angriffen.55 Die Löwen-

mutter zieht ihre Jungen auf und beschützt sie. Keiner wird es wagen, sich ihren Jun-

gen zu nähern.56 Außerdem lehrt sie ihre Jungen auch das Beutemachen.57 In der

Symbolsprache ist der Löwe in den meisten Fällen ein „majestätisches Identifikations-

symbol“.58

52 Ringgren, H., Sprüche, ATD Bd. 16, Göttingen 1962, S. 7+8. 53 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 143. 54 Velden van der Schouten, A., van der, Tierwelt der Bibel, S. 108 und Schroer, S. 92. 55 Vgl. Jacob, B., das erste Buch der Tora: Genesis, Berlin 1934, S. 900. 56 Vgl. Delitzsch, Fr., Genesis, S. 517. 57 Vgl. Botterweck, G. J., arî, in: ThWBAT, Bd. I, Sp. 411. 58 Schroer, S. 94.

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1. Der brüllende Löwe

Eine der Briefmarken, die zum jüdischen Neujahrsfest am 4.9.1957 erschien, zeigt

einen Löwen und darunter die Abbildung eines in Megiddo gefun-

denen Stempelsiegels. Das Siegel trägt die Inschrift: „Dem Schema

(gehörig), dem Minister des Jerobeam.“ Gemeint ist Jerobeam II.

Er regierte in den Jahren 784 – 744 v.Chr. im Nordreich Israel.59

Der Löwe auf dem Siegel hat ein weit aufgerissenes Maul. Warum

Schema, der Minister Jerobeams II., seine Verfügungen mit dem

Abbild eines brüllenden Löwen siegelte, ist nicht bekannt.

Es ist denkbar, dass es die Worte des Propheten Amos waren, die

Schema dazu veranlassten, für das Staatssiegel das Bild eines

brüllenden Löwen zu wählen. Amos, ein Herdenbesitzer, trat im

Reich Jerobeams II. auf und kündigte als Erster den Untergang des Nordreiches an.

Er begründete sein Auftreten, bevor er des Landes verwiesen wurde60, mit den Worten:

„Hat der Löwe gebrüllt, wer fürchtet sich dann nicht? Hat der Herr Jahwe

geredet, wer verkündigt dann nicht?“ (Amos 3,8, Übersetzung nach H. W.

Wolff).

„Der Herr hat geredet“ ist für Amos die einzige Legitimation. Sein Reden als Prophet

ist für Amos nichts anderes als ein „Reflexakt wie das Erschrecken beim Löwen-

gebrüll“.61

Mit dem Gleichnis vom Löwengebrüll gibt Amos, der Herdenbesitzer aus Tekoa, sei-

nen Gegnern im Nordreich eine alte Hirtenweisheit weiter, und zwar mit den Worten:

„Brüllt der Löwe im Dickicht und er hat keine Beute? Erhebt der Junglöwe

seine Stimme aus seinem Versteck, wenn er nicht etwas griff?“ (Amos 3,4).

Für die Viehzüchter gibt es keinen größeren Feind als den beutesüchtigen Löwen. Um

die Hirten nicht zur vorzeitigen Abwehr zu animieren, gibt der Löwe bei seinen Beute-

zügen keinen Laut von sich. Erst wenn er einen Fang getan hat, seine Beute ver-

schleppt und im Dickicht versteckt hat, ist das Gebrüll des Löwen zu hören. Das

Gebrüll des Löwen ist nicht immer zu hören. Gleiches gilt für Gottes Wort. Es gilt

besondere Aufmerksamkeit, wenn Gottes Wort nicht zu hören ist. Bricht Gott sein

Schweigen, dann gilt es für den Menschen, auf Gott zu hören. Das Gebrüll des Löwen

ist eine Mahnung: Bleibt weg. Und Warnung: Wenn nicht, werdet auch ihr meine Beute.

Löwen schlagen das Beutetier oder einen ihm entgegentretenden Menschen mit ihren

Pranken zu Boden und töten es durch einen Biss in die Kehle.62

Der brüllende Löwe auf dem Siegel Schemas ist eine Warnung an alle, die das Reich

Jerobeams II. angreifen, unabhängig davon, ob es feindliche Heere sind oder ein das

hereinbrechende Gericht ansagender Prophet.

59Vgl. Metzger, M. Grundriss der Geschichte Israels, Neukirchen 1963, S. 109 60 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 543+544. 61 Wolff, H. W., Dodekapropheton 2, Neukirchen 1969, S. 225. 62 Vgl. Schouten van der Velden, A., Tierwelt, S. 108.

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Ein majestätisches Identifikationssymbol ist nicht nur der brüllende Löwe, sondern

auch der Löwe als Wächter.

2. Der Löwe als Wächter

Vom Thron Salomos heißt es: „Derartiges war noch für kein Königreich gemacht wor-

den“ (2 Chro 9,19). Der Thron Salomos stand auf einem Postament, zu dem an der

Vorderseite eine sechsstufige Treppe hinaufführte. Auf den beiden Seiten jeder Stufe

stand je ein Löwe. Zusammen mit den beiden Löwen neben den Armlehnen des Thron-

sitzes waren es 14 Löwen, die den Thron Salomos bewachten.63

Löwen als Wächter finden sich nicht nur am Thron Salomos, sondern auch in dem von

Salomo errichteten Tempel.64 Bis heute sind sie in Synagogen und auf jüdischen Sym-

bolen die Wächter des Gottesdienstes.

Auf einer der Briefmarken zum jüdischen Neujahrsfest am

3.9.1989 fällt als Erstes ein goldener Löwe ins Auge. Er

steht aufrecht. Seine Vorderpranken wachen über die Ein-

haltung der Gebetszeiten und der Gebetsrichtung. Von

Daniel wird berichtet, dass er dreimal täglich im Oberge-

mach seines Hauses betete, dessen Fenster nach Jeru-

salem geöffnet waren (Dan 6,11). Diesem Brauch folgend,

findet sich in jedem jüdischen Haus ein sogenannter

Mizrah. Er ist angebracht an der Seite des Zimmers, das

nach Jerusalem weist. Der auf der Briefmarke abgebildete

Mizrah ist eine Arbeit aus Papier, die 1921 in der Ukraine

entstand. In der Mitte ist der brennende siebenarmige Leuchter. In einem hellen Feld

über dem Leuchter steht der Name Jahwe. Es ist davon auszugehen, dass wie in

jedem Mizrah mit dem Jahwenamen in dem Namen noch mit kleinen Buchstaben das

hebräische Wort Adonai, Herr, eingeschrieben ist. Gehalten wird der den Namen

erleuchtende siebenarmige Leuchter von den Pranken zweier Löwen.

Die Löwen wachen darüber, dass beim Gebet die Gebetsrichtung eingehalten wird,

besonders aber darüber, dass für den Beter der Herr allein Jahwe ist. Für den west-

europäischen Juden ist Osten die Himmelsrichtung, in die sie sich bei ihrem Beten

wenden. Um jedoch jeden Schein einer Sonnenverehrung bei deren Aufgang (hebr.

mizrah) zu vermeiden, soll sich der Beter ein wenig nach Südosten neigen.65 „Du sollst

keine anderen Götter haben neben mir“: nicht an den Gestirnen im Himmel ist unsere

Zukunft ablesbar. Unser Leben liegt allein in Gottes Hand.

Neben dem brüllenden Löwen und dem Löwen als Wächter ist der Löwe aus Juda ein

drittes majestätisches Identifikationssymbol.

63 Vgl. Bräumer, Hj., 2. Chronik, S. 97+98. 64 Vgl. Grunwald, M., Löwe Judas, in: Jüdisches Lexikon, Bd. III, Sp. 1226. 65 Vgl. Lowy, W., und Grotte, A., Misrach, in: Jüdisches Lexikon, Bd. II/1, Sp. 228-231.

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3. Der Löwe aus Juda

In dem Abschiedssegen, den der Erzvater Jakob jedem seiner zwölf Söhne erteilte,

spielt der Judasegen eine herausragende Rolle. Er lautet:

„Juda bist du, dich werden anerkennen deine Brüder… Juda

ist ein junger Löwe… und wie eine Löwin… Von Juda weicht

weder Zepter noch Führerstab… bis das Schilo kommen wird,

ihm werden die Völker folgen“ (1. Mose 49,8-10).

Es war 7 Jahre nach der Gründung des Staates Israel, dass

eine Briefmarkenserie erschien, von der jedem der zwölf

Söhne Jakobs eine Marke gewidmet war. Der Name ist jeweils

in ein Spruchband eingeschrieben. Über dem Spruchband mit

dem Namen Juda steht ein stolzer Löwe. Auf dem zu dieser

Marke gehörenden weißen Rand lauten die hebräischen

Worte: Juda ist ein junger Löwe (gûr‘arî), ein Löwe in seiner

ganzen Kraft, ein Löwe mit Zukunft.

Von Juda mit dem Wappentier des Löwen heißt es in dem ihm

zugesprochenen Segenswort: „Er wird von allen seinen Brü-

dern anerkannt“ (1. Mose 49,8). Das im Hebräischen für „aner-

kennen“ stehende Zeitwort kann von dem Begriff Majestät

abgeleitet werden.66 Nach dem babylonischen Exil werden alle Nachkommen Jakobs

„Juden“ genannt, unabhängig, zu welchem der zwölf Stämme sie ursprünglich gehört

haben.67

Als Jakob in seinem Segen für Juda dessen Name zum dritten Mal ausspricht, werden

seine Worte zu einer messianischen Weissagung. Juda wird seine Führungsrolle

behalten bis zu dem Zeitpunkt, „an dem an die Stelle des bisherigen eine höhere, wei-

tere Herrschaftsform tritt“.68 Am Anfang dieser neuen Herrschaft steht der Name

Schilo.69 Für die jüdische Überlieferung „bis das Schilo kommt“ ist Schilo einer der

großen Namen des Messias.70 Der Wiener Rabbiner Max Grünwald zitiert in seiner

Erwartung des Messias eine englische Hymne, in der es heißt: „Der Löwe Judas möge

alle Ketten brechen und uns stets den Sieg geben.“71

Für das Neue Testament ist es ein „allgemeiner, nachprüfbarer und offenkundiger Tat-

bestand“,72 dass Jesus, der Messias, ein Nachkomme Judas ist. Im Brief an die

Hebräer heißt es: Es ist „allbekannt (griech. prodelon), dass aus Juda unser Herr her-

vorgegangen ist“ (Heb 7,14). Durch Josef, den gesetzlichen Vater Jesu, ist Jesus aus

dem Stamme Juda. In Folge der von Kaiser Augustus angeordneten Steuererhebung

66 Vgl. Jacob, B., Das erste Buch der Tora: Genesis, Berlin 1934, S. 900. 67 Vgl. Josef, M., Israelit, in: Jüdisches Lexikon, Bd. III, Sp. 76. 68 Westermann, Genesis I/3, S. 242. 69 Viel gerätselt wurde darüber, was dieser Name Schilo bedeutet und wer mit dem Namen Schilo gemeint sein kann, vgl. Sellin, E., Die Schiloweissagung, Leipzig 1908, S. 3-20. 70 Vgl. Strack, H.; Billerbeck, P., Bd. I, S. 65 und Zobel, Gottes Gesalbter, S. 93, Anm. 3. 71 The Lion of Judah shall break everey chain. And give us the victory again und again. Zitiert nach Grünwald, M., Löwe Judas, in: Jüdisches Lexikon, Bd. II; Sp. 1226. 72 Grässer, E., An die Hebräer, EKK Bd. XVII/2, Zürich/Neukirchen 1993, S. 20.

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wurde Jesus in Bethlehem geboren. Geht man davon aus, dass Schilo übersetzt wer-

den kann mit der „Neugeborene“,73 so ist der in der Weissagung Jakobs erwartete

Neugeborene das Kind in der Krippe von Bethlehem im Lande Juda.

Das Wirken Jesu begann bereits mit seiner Geburt. Gelehrte aus dem babylonischen

Raum hatten in ihrer Sprache das Wort „Schallu“. Schallu heißt „der Neugeborene“74

und entspricht dem hebräischen Schilo. Als die Gelehrten bei ihren astronomischen

Beobachtungen eine ungewöhnliche Sternkonstellation entdeckten, deuteten sie diese

als den Stern „des neugeborenen Königs der Juden“ (Mt 2,1). Als sie Jesus in der

Krippe in Bethlehem fanden, „knieten sie nieder und beteten das Kind an“ (Mt 2,11).

Sie hatten erkannt, was bis heute nicht nur für Juden, sondern auch für viele Christen

schwer zu verstehen ist:

Das Kind von Bethlehem ist der Messias!

Albrecht Goes fasst dies in die Zeilen: „Wir können dich, Kind in der Krippe, nicht fas-

sen; wir können die Botschaft nur wahr sein lassen.“75

In seinem Blick in den Himmel hört Johannes die den Thron umgebenden 24 „Wür-

denträger“76 die Worte sagen: „Siehe, der Löwe aus dem Stamm Juda… Er hat

gesiegt. Er kann die Schriftrolle und seine Siegel öffnen“ (Off 5,5).

Die 24 ist eine Verdoppelung der Zahl 12. Es sind die 12 Vertreter der alt- und die 12

Vertreter der neutestamentlichen Gemeinde und damit ein Hinweis auf die zwölf Erz-

väter und die zwölf Apostel. Sie repräsentieren die „Universalität der Heiligen des Alten

und Neuen Bundes“.77

Der Lobpreis „Siehe, der Löwe aus Juda hat gesiegt“ gilt Jesus, dem in den Himmel

zurückgekehrten Messias. Jesus hat „in einem bestimmten historischen Augenblick…

einmal für immer schlechthin alles überwunden, was Gott widersteht“.78 Die Nachricht

vom „Sieg des Löwen aus Juda“ ist unzweideutig die Botschaft: Nach Jesu Tod am

Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten hat Gott Jesus, den Messias, aus dem

Stamm Juda „zur Teilnahme an seiner Herrschaft über seine ganze Kreatur erho-

ben“.79

In den über 100 Stellen, an denen in der Bibel vom Löwen die Rede ist, sind die über-

wiegende Mehrzahl Gleichnisse für das Handeln Gottes.

(1) Der brüllende Löwe steht für die Wirkungsweise des Wortes Gottes

Es gibt Zeiten in unserm Leben, in denen wir nur fragen können: Warum

schweigt Gott? Was hat Gott mit mir vor? Warum greift Gott nicht ein? Gott redet

zu seiner Zeit. So wie der Löwe nur brüllt, wenn er seine Beute gesichert hat.

73 Sellin, S. 20. 74 Hrozny, zitiert bei Sellin, S. 22. 75 Goes, A., zitiert nach Zottmaier, G., Es geschah in Heiliger Nacht, 2. Aufl., Würzburg/Zürich 1988, S. 113. 76 Berger/Nord, 1999, S. 367. 77 Brütsch, Chr., Offenbarung, Bd. I, S. 220+223. 78 Rissi, zitiert nach Brütsch, Chr., Bd. I, S. 252. 79 Barth, K., Dogmatik, Dritter Teil, Kirchliche Dogmatik III,3, Zürich 1950, S. 549.

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(2) Der Löwe als Wächter beinhaltet die Aufforderung, unser Vertrauen allein auf

Gott zu setzen.

Als König und Herr dieser Welt beansprucht er unser ganzes Leben. Ihm allein

gilt es zu gehören. Zu ihm allein sollen wir beten.

(3) Der Löwe aus dem Hause Juda ist die Verheißung: Jesus ist der Messias.

Seit Jesu Rückkehr in das Reich Gottes ist ER, Jesus, der Allgegenwärtige und

Nahe.

Allen, die kompromisslos auf der Seite Jesu stehen, gelten die Zusagen:

➢ Du bist nicht allein! Jesus steht hinter dir!

➢ Du bist nicht vergessen! Jesus ist zuverlässig!

➢ Du bist keinem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Jesus ist der Lenker deines

Lebens! Jesus hat dein Leben in seiner Hand.

Es lohnt sich, auf Jesu Seite zu treten mit der Bitte „Jesus, sei du mein Herr und Hei-

land“.

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V. Das Schaf als Nutz- und Opfertier

In der heutigen Umgangssprache sind Tiernamen

beliebte Schimpfwörter, z.B.: Esel, Kuh, Ziege, Kamel,

Schlange und Schaf. Im Unterschied dazu sind in alter

biblischer Zeit diese und andere Tiernamen Ehren-

namen. Eltern gaben ihren Kindern mit Vorliebe Tier-

namen. Sie verbanden damit die Hoffnung, dass sich in

deren Leben die in dem Namen ursprünglich enthaltene

Bedeutung verwirklicht. So heißt zum Beispiel Rahel, die

jüngere Tochter der Schwiegereltern Jakobs, „Mutter-

schaf“. Rahel bekam diesen Namen nicht, weil sie ein

Dummkopf, ein Dummerchen oder ein schwarzes Schaf werden sollte. „Mutterschaf“

hat die Bedeutung von milchreich und fruchtbar.80 Mit der Namensgebung Rahel,

„Mutterschaf“, setzten ihre Eltern in Rahel die Hoffnung, dass sie einmal zur Versor-

gung und zur Vermehrung ihrer Sippe beitragen werde.

Als Heranwachsende und junge Frau hütete Rahel das Kleinvieh ihres Vaters Laban.

Schafe gehören nach wie vor zum Landschaftsbild des Heiligen Landes. Auf einer

1978 erschienenen Marke werden Schafe auf einer satten Weide in einem Tal bei

Rosh Pinna, einer Stadt im Norden Galiläas, abgebildet. Bis heute können die Herden

eines Beduinenscheichs von einer Tochter des Scheichs geweidet werden.81

„Rahel war eine Hirtin“ (1. Mose 29,9). In früher alttestamentlicher Zeit war der Beruf

des Hirten und der Hirtin hochgeachtet. Der Urvater der Hirten war Abel. Von ihm heißt

es: „Abel wurde ein Schäfer“ (1. Mose 4,2). Das Schaf war das „älteste mit Sicherheit

nachgewiesene Haustier“.82

1. Das Schaf als Nutztier

Es ist zweifellos kein Zufall, dass die Auswahl auf ein

Schaf fiel. Gemeint ist die Gestaltung der Briefmarke

zum 75. Jubiläum der tierärztlichen Versorgung im heu-

tigen Israel. Als Woll-, Milch- oder Fell- und Fleischlie-

feranten waren die Schafe eine Hauptgrundlage der

Wirtschaft. Die Schafe waren die ersten domestizierten

Herdentiere.

Je größer die Herden waren, desto größer war der Sta-

tus des Besitzers.83 Hiob besaß 14 000 Schafe (Hiob

42,12). Von König Mescha von Moab wird berichtet,

dass sich sein Herdenbesitz in den Steppengebieten

östlich des Jordans auf 100 000 Schafe und 100 000 Widder belief (2 Kön 3,4). Am

Hof König Salomos wurden für die Mahlzeiten jeden Tag neben anderen Tieren 100

80 Vgl. Schroer, S. 15. 81 Vgl. Hertz, J. G. (Hrsg.), The Pentateuch und Haftoras, 2. Aufl., London 1969, S. 109. 82 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 109. 83 Vgl. Schroer, S. 32.

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Schafe geschlachtet (1 Kön 5,3). Auch im Haushalt Nehemias spielten Schafe eine

bevorzugte Rolle. Für seine Tafel wurden täglich zubereitet: „Ein Stier und sechs aus-

erlesene Schafe und Geflügel“ (Neh 5,18).

Schafe waren aber nicht nur Nutztiere. Sie waren „das häufigste Opfertier des alttes-

tamentlichen und überhaupt antiken Kultus“.84 Da der Schwanz der im Orient heimi-

schen Fettschwanzschafe als Delikatesse galt, wurde dieser beim Opfer der Gottheit

zugedacht.85

2. Das junge Schaf, das Lamm als Opfertier

Von dem ersten in der Bibel berichteten Opfer heißt es:

„Abel, der Schäfer, opferte von den Erstlingen seiner Herde, und zwar von

den Fettstücken. Jahwe blickte auf Abel und seine Gabe. Doch auf Kain und

seine Gabe blickte er nicht“ (1. Mose 4,4+5).

Vom Opfer Abels wird ausdrücklich gesagt, dass er ein Lamm, und zwar das erste

Tier, das ein Mutterschaf zur Welt brachte, als Opfertier wählte. Dazu achtete er sorg-

fältig darauf, dass das Opfer nach damaliger Vorstellung aus dem Besten, aus den

Fettstücken bestand. Mit anderen Worten: Abel wählte für sein Opfer das Erste und

das Beste.

Von Kain wird ohne nähere Erläuterung gesagt, dass er sein Opfer von den Früchten

des Erdbodens nahm. Jüdische Ausleger folgern daraus: Kain meinte, seine religiöse

Pflicht erfüllen zu können, indem er das Erste opferte, was ihm zur Hand kam.

Da Kain das „Erst-Beste“, Abel aber „das Erste und das Beste“ opferte, richtete Gott

sein Augenmerk nur auf das Opfer Abels.86

Vor Gott zu treten heißt, das Beste zu geben, was ich habe. Dies gilt auch für das

Feiern der Gottesdienste in unseren Gemeinden und Kirchen. Gottesdienst feiern ist

keine religiöse Pflichterfüllung in salopper und lässiger Haltung in der Meinung, für

Gott ist auch das Schlechteste noch gut genug. Für den Prediger bedeutet das Beste

geben eine gründliche Vorbereitung am Schreibtisch und auf den Knien. Mit seiner

Kleidung zeigt ein Gottesdienstbesucher, z.B. wie groß für ihn Gott ist, wie hoch er

Gott achtet und welches Maß an Ehre er Gott erweist.

Die von Abel getroffene Auswahl des Opfertieres ist wegweisend für die spätere Aus-

wahl der Opfertiere. So muss das für das Passahfest bestimmte Tier „fehlerlos, männ-

lich und nicht älter als ein Jahr sein“ (2. Mose 12,5). Außerdem muss das für die

Passahfeier bestimmte Lamm im unzerteilten Zustand als Ganzes gebraten werden.

Zweimal findet sich im Gesetz das Gebot: „Die Knochen des Passahtieres dürfen nicht

gebrochen werden“ (2. Mose 12,42; 4. Mose 9,12). Diese Anweisung ist für jüdische

84 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 176+177. 85 Vgl. Schroer, S. 32. 86 Zur jüdischen Auslegung und der daraus gezogenen Konsequenz siehe die Belege bei Bräumer, Hj., 1. Mose 1-11, S. 115.

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Ausleger die Aufforderung zur Einheit und Geschlossenheit der Israeliten als einer gro-

ßen Gemeinschaft.87 Geschlachtet und zubereitet werden soll das Lamm vom Famili-

envater, d.h. der erste jüdische Gottesdienst war ein Haus-Gottesdienst. Eine religiöse

Gemeinschaft ist nur dann stark, wenn der Glaube in der Familie praktiziert wird.88

In traditionell religiösen Familien wurde und

wird bis heute Wert darauf gelegt, dass die

Passahvorschriften genau eingehalten wer-

den. Ein Kalenderblatt ist eine der Illustratio-

nen einer in Deutschland entstandenen

Hagada, einer Beschreibung des Ablaufs

des Passahfestes von 1768. Wie beim ers-

ten Passah in Ägypten saßen die Feiernden

nicht am Tisch, sondern standen um den Tisch versammelt. Die Knochen des gebra-

tenen Lammes sind nicht gebrochen. Der Familienvater leitet die Festliturgie. Alle stan-

den in angespannter Erwartung bereit für den Aufbruch, die Lenden gegürtet, den

Wanderstab in der Hand.

Das Passahfest ist seinem Ursprung nach das Fest der Befreiung aus der Knecht-

schaft in Ägypten: „die Aufrichtung eines neuen Anfangs“.89 Für Juden ist bis heute

jede Passahfeier ein Bekenntnis zu Jahwe, dem Rettergott. „Gott ließ den Vätern das

Leben, davon leben die Kinder heute.“90

Als „das Heiligtum und später der Tempel in Jerusalem stand, war das Passahlamm

zum Teil Bestandteil des Opferdienstes“.91 Das Passahlamm als Opfertier wurde zum

Zeichen, das mit Gott Versöhnung und neue Gemeinschaft stiftet.

3. Das Lamm als Zeichen der Versöhnung mit Gott

Der Erste, der vom Lamm als dem Mittler der Versöhnung

mit Gott sprach, war Johannes der Täufer. Seit Jesu Taufe

wusste er: Jesus ist der Sohn Gottes (Mt 3,17). Als sich am

Tag darauf eine große Volksmenge um Johannes versam-

melt hatte, ging Jesus auf den Täufer zu. Spontan zeigte

Johannes mit dem Finger auf Jesus und sprach unerschro-

cken die Worte:

„Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt

Sünde trägt“ (Joh 1,29).

Diese Szene hielt der schwäbische Malerpfarrer Sieger

Köder in seiner Skulptur des Täufers fest. Der Zeigefinger

und die Augen des Täufers sind auf Jesus gerichtet. Sein

Mund ist geöffnet, was er zu sagen hat, drückt er als Zeichen

an sein Herz. Es ist ein kleines totes Lamm.

87 Vgl. Hertz (Hrsg.), S. 255 und Gradwohl, Bd. III, S. 64. 88 Vgl. Hertz, S. 254 und Hirsch, R. S., Exodus, S. 115+116. 89 Buber, M., Moses, Heidelberg 1966, S. 87. 90 Vgl. Schmidt, H. W., 2. Mose 12, in: GPM 1967, S. 170. 91 Vires, S. Ph. de, Jüdische Riten und Symbole, 6. Aufl., 1990, S. 117.

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Die Worte schlugen wie eine Bombe ein. Da war keiner, der sie nicht, wenn auch auf

unterschiedliche Weise verstanden hätte.

➢ Als die Schriftgelehrten das Wort von dem Lamm Gottes, „das zur Schlachtbank

geführt wird und der Welt Sünde trägt“ hörten, konnten sie nur an den leidenden

Messias denken. Schon im ältesten Teil des Talmuds, der Auslegung des Alten

Testaments, der Mischna, wird Jesaja 53 auf den Messias bezogen.92 In den

Ohren der Gelehrten hießen die Worte des Johannes nichts anderes als: Jesus

ist der Messias!

➢ Ein Großteil derer, die sich um Johannes am Jordan versammelt hatten, waren

einfache, praktizierende Juden. Von den Vorausdarstellungen des Messias

in ihren heiligen Schriften wussten sie wenig oder nichts. Was sie jedoch mit-

bekamen, wann immer sie in Jerusalem waren, war der Opferdienst. Der wich-

tigste Teil dabei waren die beiden täglich geopferten Lämmer. Auch unter den

größten Schwierigkeiten, selbst im belagerten Tempel, hielt das Volk an diesen

Opfern fest. Die Opferung der Lämmer, verbunden mit der Bitte um Verscho-

nung, war das tägliche Sühneopfer!93 Und jetzt hörten sie die Worte des Täu-

fers: Dieser Mann, auf den ich mit meinem Finger zeige, ist das tägliche Opfer-

lamm. Und er, dieser Jesus, nimmt nicht nur die Schuld der Israeliten auf sich,

sondern die der ganzen Welt.

➢ Und da war noch eine andere Gruppe unter denen, die die Worte des Johannes

hörten. Es waren - wie bei allen Ansammlungen - die meisten: die weniger

Frommen und die weniger begabten Hörer. Was sie jedoch beherrschten,

war die damalige, im ganzen Vorderen Orient bekannte Sprache, das Aramä-

ische. Wie jeder damals, sprach auch der Täufer selbstverständlich Aramäisch.

Das aramäische Wort für Lamm hat eine Doppelbedeutung. Es kann sowohl

Lamm als auch Kind bzw. Sohn bedeuten.94 So hörten die einfachen Leute die

Botschaft des Johannes im Klartext:

„Dieser Jesus ist der Sohn Gottes, der die Sünde der Welt trägt.“

Diese von Johannes dem Täufer geprägte Tradition nimmt der Apostel Paulus auf. In

seinem 1. Brief an die Korinther schreibt Paulus:

„Auch wir haben ein Passahlamm, das ist Christus, für uns geopfert“ (1.

Kor 5,7).

Damit sagt Paulus rückblickend auf den Tod Jesu am Kreuz: „Zwischen dem jüdischen

und christlichen Passah steht das Kreuz von Golgatha.“95

92 Vgl. ebd., S. 141. 93 Vgl. Schlatter, A., Der Evangelist Johannes, 3. Aufl., Stuttgart 1960, S. 46. 94 Vgl. Jeremias, J., ámós, in: ThWNT, Bd. I, S. 343 und Lilje, H., Das letzte Buch der Bibel, S. 103f. 95 Fascher, E., Der erste Brief des Paulus an die Korinther, Berlin 1988, 4. Aufl., S. 163. Eine von Johannes berichtete Einzelheit vom Tod Jesu am Kreuz lautet: „Weil es Vorsabbat war, baten die Juden Pilatus, damit die Leichen nicht am Sabbat am Kreuz blieben… es möchten ihre Schenkel zerschmettert und sie dann abgenommen werden“ (Joh 19,31). Von Pilatus gesandte Kriegsknechte kamen mit den entsprechenden Werkzeugen versehen und zerschlugen die Schenkel der beiden mit Jesus Gekreuzigten. Sie fingen bei den mit Jesus gekreuzigten an. Als sie zu Jesus kamen, zerschlugen sie ihm die Schenkel nicht. Sie sahen, dass er bereits gestorben war (vgl. Keil, C. F., Kommentar über das Evangelium des Johannes, Leipzig 1881, S. 556). Das Zerschlagen der

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Wenige Tage vor seinem Tod am Kreuz feierte Jesus mit seinen Jüngern ein Passah-

mahl. Beim Abschluss des Mahles sprach Jesus beim Darreichen des Brotes und des

Weines die Worte: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut, welches vergossen wird für

viele zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,26-28). Wenn Jesus sagt, dass sein Leib

gegeben und sein Blut vergossen wird, bezeichnet er sich selbst als Passahlamm. Er

gab seinen Leib zur „Erlösung für viele“, d.h. für die Völkerwelt.96 Mit dieser neuen

Sinngebung des Passahfestes hat Jesus das bis zum Ende der Zeit Heilige Abend-

mahl eingesetzt. Geblieben aber sind die Zusammenhänge.97

o Wie das Passahfest, so ist das Abendmahl „die Aufrichtung eines neuen

Anfangs.98

o Das Passahmahl ist, wie es Martin Buber kennzeichnet, ein „Weihemahl“.99

Dasselbe gilt für das von Christen gefeierte Abendmahl. Die erste Stelle, in der

vom Passahmahl berichtet wird, lautet: „Ein Passah ist dies für Jahwe“ (2. Mose

12,11). D.h. wir wollen unser Leben Gott zur Verfügung stellen. Wir wollen uns

zu ihm bekennen. Unser Leben wollen wir Gott weihen! Am Anfang des ersten

Passahs stand die Aufforderung Gottes: Die Israeliten sollen vom Blut des

Passahlammes nehmen „und dieses an die beiden Türpfosten und an die Ober-

schwelle streichen, und zwar an den Häusern, in denen sie essen… Wenn ich

das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen, und es soll euch kein Stoß des

Verderbens treffen“ (2. Mose 12,7+13).

Obgleich Gott jedes Haus der Israeliten kannte, achtete er dennoch auf die

Türen. Das Wahrnehmen der gekennzeichneten Türen ist das äußere Zeichen

dafür, dass die Bewohner dieses Hauses Gottes Anweisungen befolgt und sich

ihm geweiht haben.100 Das Kennzeichnen des Hauseingangs mit Blut ist „der

sichtbare Ausdruck für die Abkehr von den ägyptischen Göttern und die Hin-

wendung zu Gott“.101

Allein für die Bewohner, die sich kompromisslos auf Gottes Seite stellten, wurde das

Passah das Fest der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens. Was damals für den

Neuanfang stand, gilt bis heute für das christliche Passah, das Heilige Abendmahl. Für

die, die sich immer neu kompromisslos auf Jesu Seite stellen, ist das Abendmahl ein

Weihefest und das Fest der Befreiung vom Tode.

In Luthers Osterlied „Christ lag in Todesbanden, für unsre Sund gegeben“ heißt es:

Schenkel, das sogenannte crurifragium unterblieb bei Jesus. Crurifragium ist eine Zusammensetzung der Worte von crurus und frango, „die Schienbeine zerbrechen“ (vgl. Georges, Bd. I, Leipzig 1869, Sp. 1326). Das Zerbrechen der Schienbeine war eine Begleiterscheinung der Kreuzigung. Es hatte den gnädigen Effekt, den Tod zu beschleunigen, und zwar dadurch, dass das Atmen erschwert wurde (vgl. Barrett, Ch. K., Das Evangelium nach Johannes, Berlin 1990, S. 533). Das Unterbleiben des Crurifragium entsprach der Vorschrift der Schächtung des Passahlammes, dem die Knochen nicht gebrochen werden durften (2. Mose 12,46). Dadurch, dass dies bei der Kreuzigung Jesu zutraf, erwies sich Jesus als das „wahre Passahlamm“ (Strathmann, H., Das Evangelium nach Johannes, Göttingen 1959, S. 252). 96 Vgl. Jeremias, J., Die Abendmahlsworte Jesu, 3. Aufl., Göttingen 1960, S. 214+223. 97 Vgl. Gradwohl, Bd. III, S. 69. 98 Buber, M., Moses, S. 87. 99 Ebd., S. 85. 100 Vgl. Hertz, S. 256. 101 Gradwohl, Bd. III, S. 64.

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„Hier ist das rechte Osterlamm,

davon wir sollen leben,

das ist an des Kreuzesstamm

in heißer Lieb gegeben.

Das Blut zeichnet unsre Tür,

das hält der Glaub dem Tode für,

der Würger kann uns nicht rühren,

Hallelujah.“ (EG 101,5).

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VI. Der Wolf und das Lamm

Das Sprichwort „Er ist hungrig wie ein Wolf“ ist

zutreffend. Ein Wolf kann pro Tag mehr als 10 kg

Fleisch verschlingen.102 Er ist der „Schrecken der

Schafherde“103 und der Schrecken all derer, denen

eine Herde anvertraut ist. In der Regel ist eine

Schafherde bei Tag – wie eine am Abhang des Her-

mongebirges – vor Wölfen sicher.104

Tagsüber halten sich die Wölfe versteckt und bre-

chen erst zur Abendzeit zum Raub auf.105 Deshalb

spricht das Alte Testament von „Abendwölfen“. Der Prophet Habakuk berichtet von

den Rossen der Chaldäer: „Sie sind bissiger als die Wölfe am Abend“ (Hab 1,8). Bei

seinem Raubzug sucht ein Wolf vorzugsweise ein altes oder schwaches Tier aus, das

er von der Herde trennt. Tritt der Wolf im Rudel auf, teilt sich bisweilen das jagende

Wolfsrudel. Ein Teil jagt dem Beutetier nach, der andere vollführt eine Zangenbewe-

gung. So gerät das Beutetier in die Falle. Das Wolfsrudel ist eine der am „höchsten

entwickelten sozialen Organisationen“ des Tierreiches.106 Jesus sagt von der Kampf-

technik der Wölfe: „Der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe“ (Joh 10,12).

Das Verhalten und speziell die Jagdtechnik der Wölfe hat Eingang gefunden in die

Symbolsprache der Bibel.

1. Der Wolf im Schafskleid

Als Jesus seine Jünger aussandte, sprach er zu ihnen: „Siehe, ich sende euch wie

Schafe mitten unter die Wölfe“ (Mt 10,16). Was für Jesus dieses Bildwort bedeutete,

erklärt er in seiner Bergpredigt mit der folgenden Mahnung: „Hütet euch vor den fal-

schen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie räu-

berische Wölfe“ (Mt 7,15).

Außer den falschen Propheten werden in prophetischen Texten des Alten Testamen-

tes zwei Gruppen von Menschen mit Propheten in Schafskleidern verglichen:

➢ Von den Fürsten, die „um ihrer Habgier willen Blut vergießen und Menschen

umbringen“ heißt es: „Sie sind räuberische Wölfe“ (Hes 22,27).

➢ Richter, unter deren „rücksichtslosen Habgier Schwächere leiden müssen“107,

werden verglichen mit reißenden „Wölfen am Abend, die nichts von der Beute

bis zum Morgen übrig lassen“ (Zeph 3,3).

102 Velden, Tierwelt, S. 41. 103 Krauss, S., Fauna Palästinas, in: Jüdisches Lexikon, Bd. II, Sp. 602. 104 Die Briefmarke aus Israel erschien im Jahr 1972, vgl. Carmelstamps Katalog, S. 43. 105 Vgl. Møller-Christensen; Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 98. 106 Velden van der Schouten, Tierwelt, S. 41. 107 Elliger, K., Zephanja, in: Die zwölf kleinen Propheten, Bd. II, ATD 25, 4. Aufl., Göttingen 1959, S. 75.

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Wölfe im Schafskleid sind Menschen, die ihre Position und ihr Amt missbrauchen:108

Fürsten, Richter und falsche Propheten. Wölfe sind Bilder für die Feinde Gottes in der

Welt, aber auch von Anfang an innerhalb der christlichen Gemeinde. Deshalb sagt

Paulus den Ältesten der Gemeinde in Ephesus: „Ich weiß, dass nach meinem Weg-

gang grausame Wölfe unter euch einbrechen, die die Herde nicht verschonen werden“

(Apg 20,29).

Von Basilius dem Großen (geb. 329, Bischof in Caesarea seit 370 n.Chr.) sind die

folgenden Worte überliefert: Ketzer sind so beschaffen, „sie laufen in Schaffellen

umher, ihre Herzen aber rauben, wie räuberische Wölfe, die etwas Einfältigen und

verderben ihre Seele… Sie sind listige und tückische Menschen. Treffen sie auf gute

Leute, stellen sie sich, als ob sie ganz unschuldig lebten und nichts Schlechtes an sich

hätten, aber ihr Herz strotzt vor Bitterkeit und List“.109

Um Ketzer – die Zerstörer – einer Gemeinde zu entlarven, braucht es die Gabe der

Unterscheidung der Geister. Es ist einer der Gottesgaben, die Paulus aufzählt (1 Kor

12,10). Unterscheidung der Geister ist die Fähigkeit, göttliche, menschliche und anti-

göttliche Mächte voneinander zu unterscheiden. Sie ist besonders notwendig, wenn

Menschen den Anspruch erheben, Weisungen geben zu können, die sie direkt von

Gott oder, wie sie sagen, vom Heiligen Geist empfangen haben. Die Gabe der Unter-

scheidung ist es, Ketzerei zu enttarnen und zu entlarven. Der unaufgebbare Leitsatz

der Unterscheidung der Geister steht in dem Brief an die Hebräer. Dort heißt es: „Am

Ende dieser Tag hat Gott geredet durch einen, der Sohn ist“ (Heb 1,2). D.h. das Reden

Gottes in Jesus Christus „birgt den ganzen göttlichen Reichtum abschließend und voll-

ständig in sich. Über den Sohn hinaus gibt es in dieser Welt keine Offenbarung mehr,

in dem Sohn ist die ganze Offenbarung zusammengefasst“.110 Jesus Christus ist „der

letzte Offenbarungsträger in der heilsgeschichtlichen Kette der prophetischen Zeu-

gen“.111 Das Reden Gottes in Jesus Christus ist das „absolut gültige“.112 Die Worte

Jesu sind „die einzigen Orientierungspunkte für das Reden Gottes“.113

Wölfe im Schafspelz sind Ketzer, die die Gemeinde zerstören. Sie geben vor, eine

direkte Offenbarung empfangen zu haben. In Wirklichkeit aber wollen sie nur ihre ein-

seitigen Vorstellungen durchsetzen und ihre menschlichen Wunschträume verwirk-

lichen.114 Wölfe im Schafspelz zu erkennen, war eine der wichtigsten Gaben der frühen

Christen. Sie hat, auch wenn sie immer seltener wird, bis heute ihre Bedeutung nicht

verloren. Uns bleibt nur die an Jesus gerichtete Bitte: Gib mir die Gabe der Unterschei-

dung.

108 Schroer, S. 101. 109 Zitiert nach Physiologus, Frühchristliche Tiersymbolik, hrsg. Von Treu, U., Berlin 1981, S. 108+109. Physiologus, „der Naturkundige“, ist der Name für den anonymen Autor. Nach Ursula Treu entstand der Physiologus in einem ersten Stadium nicht lange nach 150 n.Chr. (Treu, S. 150). In der jetzt vorliegenden Form kann er jedoch aufgrund der Zitate der Kirchenväter erst nach 385 n.Chr. entstanden sein (vgl. Dinkler-v. Schubert, E., Physilogus, in: RGG, Bd. V, Sp. 365). 110 Michel, O., Der Brief an die Hebräer, 6. Aufl., Göttingen 1966, S. 93. 111 Strobel, A., Der Brief an die Hebäer, 4. Aufl., Göttingen 1991, S. 18. 112 Grässer, E., An die Hebräer, Hebräer 1-6, Zürich/Neukirchen-Vlyn 1990, S. 56. 113 Bours, J., Ich werde ihm den Morgenstern geben, Freiburg 1988, S. 48. 114 Zur Gabe der Unterscheidung der Geister vgl. Bräumer, Hj., Glauben wagen, Neuhausen Stuttgart 1984, S. 177+178.

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In der Symbolsprache hat der Wolf nicht nur als Wolf im Schafspelz, sondern auch als

Wappentier Eingang gefunden.

2. Der Wolf als Wappentier

Eine 1955 in Israel erschienene Briefmarkenserie ist den zwölf

Söhnen Jakobs gewidmet. Auf der zwölften Marke steht auf

einem Spruchband der Name Benjamin. Darüber abgebildet ist

ein heulender Wolf. Heulende Wölfe stehen für eine sich

nähernde Gefahr, der es vorzubeugen gilt. In einem Sprichwort

heißt es: „Wenn der Wolf Hunger hat, darf das Schaf nicht blö-

ken.“ Es darf sich nicht bemerkbar machen. Auf dem zu dieser

Marke gehörenden weißen Rand stehen die Worte in hebräi-

scher Sprache: „Am Morgen verzehrt er Raub.“

Nachempfunden ist diese Marke den an Benjamin gerichteten

Segensworten seines sterbenden Vaters:

„Benjamin ist ein reißender Wolf, am Morgen verzehrt

er Raub, am Abend verteilt er Beute“ (1. Mose 49,27).

Die meisten jüdischen115 und auch christlichen Ausleger ent-

scheiden sich für diese Übersetzung. Sie sehen in diesem Segenswort eine Weissa-

gung für den aus Benjamin hervorgehenden Stamm. Entsprechend lautet ihre Deu-

tung: Benjamin ist ein Stamm mit tüchtigen und grausamen Kriegern. Als Beispiele

nennen sie den Richter Ehud (Ri 3,15-30) und König Saul (1 Sam 9,1).

In einer wörtlichen Übersetzung jedoch lautet der Text:

„Benjamin wird den Wolf zerreißen, am Morgen schon verzehrt er ein Stück,

am Abend wird er Beute verteilen“ (1. Mose 49,27).116

Benjamin ist nicht mit einem wilden, die Beute reißenden Wolf zu vergleichen. Benja-

min ist es vielmehr, von dem gilt: Er reißt den Wolf.

In der Geschichte Israels zur Zeit des persisch-medischen Reiches war es der Benja-

minit Mordechai (Esther 2,5). Noch lebten überall im Lande Juden, die nicht nach

Judäa zurückgewandert waren. Mordechai hatte eine Schlüsselrolle am Hof des

damaligen Herrschers Ahasveros (= Xerxes I., 485-465 v.Chr.). Seine Cousine hatte

keine Eltern mehr. Mordechai, ihr Vetter, war ihr Vormund. Der hebräische Name sei-

nes Mündels war Hadassa, was soviel heißt wie Myrte.

Eines Tages wurden aus ganz Persien und Medien schöne Jungfrauen an den Hof

gebracht, damit der König seine Wahl treffen konnte. Mordechai befahl seiner Pflege-

tochter, ihre Herkunft zu verschweigen und den persischen Namen Esther anzuneh-

men. Der König nahm sie zu seiner Frau bzw. zu seiner Nebenfrau. Esther wurde in

115 Vgl. Zunz, „Ein Wolf, der zerreißt“: Torczyner: „Ein Wolf, der reißt“ und Buber: „Ein Wolf, der zerfleischt“ jeweils zur Stelle 116 Übersetzung von Samson Rafael Hirsch, Genesis 37-50, S. 623+624, bei seiner Übersetzung verweist Hirsch darauf, dass der Wolf kein Prädikatsnomen sondern ein Akkusativobjekt ist.

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jedem Fall die Lieblingsfrau des Herrschers.117 Mordechai hatte eine Verschwörung

gegen Xerxes aufgedeckt. Er weigerte sich jedoch, vor dem obersten Minister des Rei-

ches das Knie zu beugen und bekannte sich dadurch zum Judentum. Der Konflikt

zwischen Haman und Mordechai wurde zur Gefahr für das ganze jüdische Volk im

persisch-medischen Raum.

Haman konnte Xerxes dazu überreden, ein Vernichtungsdekret zu unterzeichnen, alle

Juden im ganzen Reich des Königs, von Indien bis Äthiopien, an einem Tag zu ver-

nichten. Mit einem Los bestimmte Haman das Datum für die Ausrottung. Das persische

Wort für Los heißt Pur. Von ihm wurde der Name Purim hergeleitet. Purim ist eines der

großen Feste, das bis heute die Juden in aller Welt als Fest der Errettung feiern.

Wie es dazu kam, erzählt das biblische Buch

Esther.118 Mordechai hatte Esther dazu aufgefor-

dert, sich für ihr Volk einzusetzen und, wenn es sein

muss, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Das Los der

Juden nahm eine Wende. Der König ließ Haman

hängen. Mordechai trat an Hamans Stelle. Er

erlangte ein Dekret, das die Juden rehabilitierte.

Unter den Juden herrschte große Freude.

Haman wurde zum Prototyp aller Judenhasser. Auf

einer modernen Illustration des Buches Esther trägt

der erhängte Haman eine Schärpe mit einem Toten-

kopf und Hakenkreuz.119 Das jährlich gefeierte

Purimfest ist für Juden in aller Welt der Beweis, wie

machtlos der Judenhass ist. Purim „ist das Symbol

der immer wieder gewährten Errettung. Was können

Antisemitismus und Pogrome uns schon anhaben? Wir sterben nicht!“120

Der im Buch Esther niedergeschriebene Bericht hat sich in der Geschichte der Juden

unzählige Male wiederholt. Die von Adolf Hitler geplante und auf grausamste Weise in

den Konzentrationslagern angegangene sogenannte „Endlösung der Juden“ führte zur

Auswanderung prominenter Juden und führte 1948 zur Gründung des Staates Israel.

Dennoch ist der Judenhass in Deutschland nicht ausgestorben. Und der Staat Israel

kämpft ständig um seine Existenz. Der niederländische Rabbiner de Vries trifft ins

Schwarze, wenn er sagt: „Haman ist noch nicht vom Erdboden verschwunden, aber

auch Mordechai lebt weiter.“121

„Mordechai lebt weiter“ ist die große jüdische Hoffnung. Die Sehnsucht nach einem

Land, in dem es endgültig keine Vertreibung, Verfolgung und Ermordung der Juden

mehr gibt, ist im Judentum nie erloschen.

117 Vgl. Wright, I. S., Esther, in: GBL, Bd. I, S. 355. 118 Abgefasst wurde dieses Buch um 225 v.Chr., vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 592. 119 Festschrift Megilla Esther von 1974. 120 Vries, S. Ph. de, Jüdische Riten und Symbole, S. 133. 121 Ebd. S.114.

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1962 erschien in Israel eine Briefmarke, auf der Wolf und

Lamm eng nebeneinander sitzen. Auf dem dazugehörenden

Rand stehen die Worte aus Jesaja 11,6: „Wohnen wird der

Wolf mit dem Schaf.“ Anlass zu dieser Briefmarke ist die

jüdische Hoffnung auf eine umfassende Friedenszeit, die

den Tierfrieden mit einschließt.122 Ein großer Teil praktizie-

render Juden erwarten bis heute ein irdisches nationales

Friedensreich, in welchem Raubtier und Haustier, Wolf und

Schaf beieinander weiden (Jes 65,25). Dieses nationale

Friedensreich ist ein Zwischenreich zwischen der Gegenwart

und dem ewigen Gottesreich.

Folgt man dem Segen Jakobs, so ist der Gründer des irdisch

nationalen Friedensreiches nicht der Messias aus dem Stamm Juda, sondern ein

Nachkomme aus dem Stamm Benjamin. In seinem Segen für Benjamin sagt Jakob:

„Benjamin wird den Wolf zerreißen“ (1. Mose 49,27). Jakob richtet damit seinen letzten

Blick auf die Überwindung der letzten Weltmacht, die die Ausrottung der Juden

betreibt. Benjamin, der „Allerkleinste, der Allerjüngste wird es sein, der den Wolf von

Jakobs Herde scheucht“.123

Die jüdische Gewissheit „Mordechai lebt weiter“ (de Vries) hat Eingang gefunden in

die Nationalhymne des Staates Israel. Sie ist überschrieben mit dem hebräischen Wort

Hatikvah, die Hoffnung. Sie wird mit Überzeugung von allen, auch den profansten

Juden gesungen:

„Solange im Herzen darinnen

ein jüdisches Fühlen noch taut.

Solange gen Südost zu den Zinnen

von Zion ein Auge noch schaut.

Solange lebt die Hoffnung auf Erden,

die uns 2000 Jahre verband.

Dass ein Freivolk wir wieder werden

in Zion, Jerusalems Land.“124

Was wir von Juden lernen können, ist Hoffnung. Es gibt ein Zur-Ruhe-Kommen.

122 Vgl. Gradwohl, Jesaja 11,1-9, Bd. III, S. 147 und Gradwohl, Jesaja 65, Bd. 2, S. 225-227. 123 Hirsch, Genesis, S. 624. 124 Der deutsche Text ist veröffentlicht von der Botschaft des Staates Israel.

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VII. Der Hund: Treuer Wächter und dennoch verachtet

„Der Hund frisst wieder, was er gespien hat“ (Spr

26,11). So lautet ein Wort in der auf Salomo zurück-

gehenden Sammlung von Weisheitssprüchen. Der

Apostel Petrus zitiert diesen Spruch und nennt ihn „ein

wahres Sprichwort“ (2 Petr 2,22). Ausgespieenes zu

beschnüffeln und wieder zu fressen, ist eine Hundege-

wohnheit.125 Dass diese Beobachtung als Spruchgut

sowohl ins Alte als auch ins Neue Testament Eingang

gefunden hat, zeigt: Hunde waren in biblischer Zeit „in

Israel nicht geliebt, vielmehr verabscheut und verach-

tet“.126 Dennoch war der Hund von Urzeiten an geachtet

als treuer Wächter.

1. Der Hund als treuer Wächter

Der alleinige Stammvater der Haushunde ist der Wolf.127 Auf dem weißen Rand einer

1988 erschienenen israelischen Briefmarke ist ein Wolf (hebr. za’eb, lat. canis lupus)

abgebildet. Er ist heute zu finden, wie die Marke zeigt, im Naturreservat Ein Zin im

Negev.

Wo man bei archäologischen Ausgrabungen Wolfsknochen findet, ist nicht sicher zu

unterscheiden, ob sie von einem jungen Wolf oder von einer frühen Form des Hundes

stammen. Sicher um Hundeknochen handelt es sich bei Funden in Jericho, die auf 7

000 v.Chr. zu datieren sind. Zoologische Untersuchungen ergeben, dass es bereits in

vorhistorischer Zeit 20 Hunderassen gab.128

Für die Zeit des Alten und Neuen Testamentes ist davon auszuge-

hen, dass die Hunde von ihrem Äußeren unserem heutigen Schä-

ferhund ähnelten.129 Auf einer israelischen Briefmarke anlässlich

der Weltausstellung der Hunde 1987 ist mit hebräischer Bezeich-

nung kaelaeb (lat. canaan dog) sowohl auf der Briefmarke als auch

auf ihrem weißen Bildrand ein Schäferhund abgebildet. Er hat kurze

spitze Ohren, eine spitze Schnauze und einen langen, leicht

buschigen Schwanz.

Schon in der vorhistorischen Zeit waren Hunde die Wächter der

Herde. Im Buch Hiob gibt es einen Hinweis auf Hunde, die die

Herde hüteten. „Die Hunde seiner Herde“ (Hi 30,1) bezeichnet Hiob

als Schäferhunde (hebr. kalebim, plural von kaelaeb). Die hebräi-

125 Vgl. Delitzsch, Fr., Salomonisches Spruchgut, Gießen 1985, S. 426. 126 Schroer, S. 52. 127 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 107. 128 Vgl. ebd., S. 106+107. 129 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 38.

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sche Bezeichnung kaelaeb ist ein lautmalerisches Wort, verwandt mit unserem „Kläf-

fer“.130 Die Hirten hielten sich Hunde, damit diese in der Nacht Alarm schlagen konn-

ten, wenn sich Diebe oder wilde Tiere näherten. Durch ihr Bellen zeigten sie als Wäch-

ter die Gefahr an. Sie waren jedoch nicht dazu abgerichtet, eine Herde Schafe zusam-

menzuhalten.131

Von Mitte des zweiten Jahrtausends v.Chr. an gab es einen

Herde- und Hütehund mit anderem Aussehen. Sein Stamm-

vater ist ebenfalls der Wolf. Man kann diesen bis heute

besonders bei Beduinen sehen. Es ist der sogenannte

Slugi.132 Die Abbildung eines Slugi findet sich ebenfalls auf

einer Briefmarke, die anlässlich der Weltausstellung der

Hunde erschien. Es ist ein kurzhaariger Hund. Er hat hän-

gende Ohren und einen langen geraden Schwanz.

Beliebt waren die vom Wolf abstammenden Hunde in alttes-

tamentlicher Zeit als Wächter der Herde. Völlig anders ver-

hielt es sich mit dem in und um Dorfgemeinschaften herum-

streunenden Hunden.

2. Streunende Hunde

Hunde in Dorfgemeinschaften gehörten weder zu einem

bestimmten Haus noch zu gleichen Familien. Sie waren

jedoch gebunden an den Ort, in dem sie ihr Leben auf der Dorfstraße verbrachten.

Den ganzen Tag lagen sie auf der Straße und schliefen. Tauchte ein fremder Hund

oder ein fremder Mensch auf, wurde er mit Hundegebell verjagt. Bei Einbruch der Dun-

kelheit streiften die Hunde jeden Abend mit Geheul und Gebell umher und suchten

sich im Abfall, der aus den Häusern auf die Straße geworfen wurde, ihre Nahrung.133

„Sie verschmähten sogar Aas und Leichen nicht.“134 Wenn sie überhaupt von Men-

schen gefüttert wurden, so warf man ihnen ein auf dem Feld zerrissenes Tier zum Fraß

vor. Eine Vorschrift des alttestamentlichen Gesetzes lautet: „Ihr sollt das Fleisch, das

auf dem Feld liegt, ein zerrissenes Tier, nicht essen. Dem Hund sollt ihr es hinwerfen“

(2. Mose 22,30).

Weil man dem Hund Aas zum Fraß vorwarf, wurde er zu den „unreinen und verab-

scheuungswürdigen Tieren gezählt… Er wurde deshalb auch nicht ins Haus genom-

men“.135 Die Abscheu vor dem Hund zur Zeit des Alten Testamentes wurde verstärkt

durch die Beobachtung der Verhaltensweisen der herumstreunenden Hunde. Gierig

leckten sie das Blut eines Verwundeten (1 Kön 22,38) oder Hingerichteten (1 Kön

21,19). Überließ man dem Hund eine Leiche, zerrten sie diese beiseite (Jer 15,3) und

zerrissen sie (1 Kön 16,4; 2 Kön 9,36).

130 Vgl. Schroer, S. 52. 131 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 42. 132 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 107. 133 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 38. 134 Schouten van der Velden, A, S. 38. 135 Botterweck, G. J., kaelaeb, in: ThWBAT, Bd. IV, Sp. 163.

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Hund ist im Alten Testament der einzige Name eines domestizierten Tieres, der als

Schimpfwort verwendet wird. Mit Hund oder verstärkt mit „toter Hund“ (2 Sam 16,9)

bezeichnete man sich gelegentlich einem König gegenüber, um so ein heftiges Gefühl

der Unwürdigkeit auszudrücken (2 Sam 9,8; 16,9).136 Zu den Schimpfworten, die man

Menschen entgegenschleuderte, gehören: „Hundezunge“ (Ps 63,24), „Hundeohren“

(Spr 26,17), „Hundewürger“ (Jes 66,3). Die Entlohnung eines Prosituierten an den

heidnischen Tempeln nennt man „Hundelohn“ (5. Mose 23,19). Es ist der Parallelaus-

druck zu „Hurenlohn“ (5. Mose 23,19).137 Mit einem Hund verglich man eine schamlose

Frau (Sir 26,25).

Von Paulus werden „Irrlehrer“ „Hunde“ genannt (Phil 3,2). Nach der Offenbarung sind

die, denen der Name Hund beigelegt ist, vom himmlischen Jerusalem ausgeschlossen

(Offb 22,15). Der Hund galt unter den Tieren „als das verachteste Wesen“.138 Jede

Berührung mit einem streunenden Straßenhund galt als Verunreinigung.

Im Gleichnis vom armen Lazarus, der mit seinen Wunden vor die Tür des Reichen

gelegt war, kamen auch noch die Hunde und leckten seine Geschwüre (Lk 16,21). Das

Wort Geschwüre bezeichnet im Aramäischen speziell die Pockengeschwüre.139 Die

verächtlichen Hunde, die Lazarus mit ihrer Zunge beleckten, verstärkten seine Leiden

noch. „Vielleicht hielten sie ihn bereits halbwegs für einen Kadaver.“140 Belecktwerden

von Hunden ist mehr als eine Belästigung. Es ist das Zeichen äußerster Entehrung.

Alles, was Ehre bedeutete, hatte Lazarus verloren. Was ihm, wie der weitere Verlauf

des Gleichnisses zeigt, geblieben war, ist seine Würde. Gott hatte ihn nicht vergessen.

Meine Ehre kann ich verlieren. Sie kann mir von anderen abgesprochen und entzogen

werden. Was mir jedoch niemand nehmen kann, ist die Würde. Jeder Mensch ist von

Gott geschaffen und hat damit eine angeborene Würde. Sprachgeschichtlich wurzelt

das Wort Würde im althochdeutschen wirdi und dann im mittelhochdeutschen Wirde

und es bedeutet: an der ersten Stelle, Wert, wertvolle Beschaffenheit. Würde „ist die

einem Menschen kraft seines inneren Wertes zukommende Bedeutung, Achtung for-

dernde Haltung“.141 Würde ist die innere Ehre. Daneben gibt es die sogenannte äußere

Ehre. Äußere Ehre wird einem Menschen von anderen zuerkannt und kann ihm

ebenso von Menschen genommen werden. Die innere Ehre, die Würde bleibt.142

Dies gilt in gleicher Weise für einen Querschnittsgelähmten im Rollstuhl, für Menschen

mit einer geistigen Behinderung, für Häftlinge und Exhäftlinge, für benachteiligte Men-

schen. Man spricht mit Recht von der Würde des Alters, von der Würde eines Patienten

und der Würde eines Sterbenden.

Das unvergleichliche Beispiel für einen, dem alle äußere Ehre genommen wurde und

dessen Würde unantastbar war, ist Jesus. Auf Jesus trifft die alttestamentliche Weis-

sagung zu: „Er war der Allerverachteste“ (Jes 53,3). Seine Würde jedoch konnte ihm

niemand nehmen.

136 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 109. 137 Botterweck, kaelaeb, Sp. 162. 138 Strack/Billerbeck, Bd. IV,2, S. 792. 139 Vgl. Schwarz/Schwarz, Das Jesusevangelium, S. 414. 140 Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 40. 141 Sprach-Brockhaus 1935, zitiert nach Schreiber, M., Würde, München 2013, S. 52. 142 Vgl. Trillhaas, W., Ethik, 2. Aufl., Berlin 1965, S. 314.

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o Gefesselt vor dem Hohepriester Hannas stehend, schlug ihm ein Diener des

Hannas ins Gesicht. Jesus reagierte „mit einer Ruhe, die tiefer berührt als alles

sonst“.143 Jesus verteidigte sich mit den Worten: „Wenn ich falsch gesprochen

habe, so beweise es, wenn ich aber recht gesprochen habe, warum schlägst

du mich?“

o Als Pilatus Jesus mit den Worten einschüchtern wollte: „Weißt du nicht, dass

ich Macht habe, dich zu kreuzigen?, antwortete Jesus: „Du hättest keine Macht,

wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,10+11). „Jesus stellt über-

legen und ruhig den richtigen Sachverhalt fest.“144

o Pilatus wollte Jesus loswerden. Er schickte ihn zu Herodes Antipas. Dieser

sollte als Landesherr über Jesus das Urteil fällen. Herodes war entschlossen,

mit Jesus zu diskutieren. „Er fragte Jesus mancherlei“ (Lk 23,9). Mit „Verlockun-

gen und Schmeicheleien, ironischen Bemerkungen und gewiss auch mit Dro-

hungen“145 wollte er Jesus dazu bewegen, vor ihm ein Schauwunder zu voll-

bringen. Jesu Antwort war nichts als Schweigen! „Christus kann aufhören zu

reden! Das ist die schrecklichste Möglichkeit der Weltgeschichte. Die Wahrheit

schweigt, aber sie ist dennoch nicht besiegt. Ihr Schweigen ist das Gericht.“146

Das Schweigen ist „die Würde der Distanz-Kultur. Wer den Mund hält, ist der

Würde näher als jeder, der munter drauflos plappert“.147

o Das erste Wort, das Jesus am Kreuz spricht, lautet:

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).

Die erste Reaktion auf die furchtbarste Schandtat der Menschheit ist das

Liebeswort der Vergebung. Vielleicht bringt es ein Mensch fertig, nach langem

inneren Kampf seinem Gegner zu vergeben. „Bei Christus ist das Liebeswort

der Vergebung das erste.“148 Vergeben können ist Ausdruck der Würde des

Menschen. Nach einem Wort des Kirchenvaters Augustinus gibt es zwei Arten,

Gutes zu tun: „Geben und Vergeben. Wegschenken, was man erworben hat,

und verzeihen, was man Böses erdulden musste.“149

Es ist die Würde eines Menschen, einen anderen nicht hinzurichten, sondern

aufzurichten.150 Bonhoeffer konnte in Würde seine Gefangenschaft bestehen

und mit aufrechtem Gang zu seiner Hinrichtung schreiten. Dabei war sein Leit-

wort: „Vergebung ist ohne Anfang und Ende.“151

Obwohl der Hund für Menschen in der Tradition des Alten Testamentes das verach-

teste Wesen der domestizierten Tiere ist, hat er heute in Israel einen festen Platz unter

den Haustieren.152

143 Guardini, R., Der Herr, S. 470. 144 Loewenich, W. v., Der Mensch im Lichte der Passionsgeschichte, Stuttgart 1947, S. 17. 145 Ernst, J., Lukas, S. 284. 146 Loewenich, W. v., S. 61. 147 Schreiber, Würde, S. 139+236. 148 Loewenich, W v., S. 67. 149 Augustinus (354 – 430), zitiert nach Magnificat Februar 2015, S. 62. 150 Vgl. Magnificat Juni 2016, S. 220. 151 Bonhoeffer, zitiert nach Magnifcat Juni 2016, S. 178. 152 Vgl. Michel, O., ThWB, Bd. III, S. 1100-1104.

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3. Der Hund in Israel und im Neuen Testament

Eine 1998 in Israel erschienene Briefmarkenserie über

Haustiere zeigt auf einem Exemplar einen kleinen Hund.

Es ist ein im Haus lebender Wach- und Spielhund.

Hund als Haustiere hat man bereits in der Zeit des Neuen

Testamentes gehalten. Dies geht u.a. aus einem

Gespräch hervor, das Jesus mit einer Syrophönizierin

und seinen Jüngern hatte.153 In dem Haus, in das Jesus

im Gebiet von Tyrus und Sidon eingekehrt war, erschien

unerwartet eine Frau. Sie fiel vor Jesus nieder mit dem

Hilfeschrei: Erbarm dich, Herr, Sohn Davids, Heile meine

Tochter. Jesus aber antwortete ihr kein Wort. Als die Jünger für die Frau eintraten, um

sie los zu werden, sprach Jesus zu ihnen: „Lass zuerst die Kinder satt werden, denn

es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hündlein vorzuwer-

fen“ (Mk 7,27).Die Frau, die diese schroff klingenden Worte mithörte, nahm sie in klu-

ger Weise auf. Sie antwortete: „Aber doch, Herr, auch die Hündlein unter dem Tisch

fressen von den Brosamen der Kinder“ (Mk 7,28). In den zwei im Griechischen über-

lieferten Evangelien ist bei diesem Gespräch nicht von „Hunden“ die Rede, sondern

von einem „Stuben- und Schoßhund“ (griech. kynarion).154

Bei dem Vergleich zwischen Kindern und kleinen Haushunden geht es nicht um eine

Charakterisierung der Heiden. Es geht vielmehr „um den Anspruch der Juden, die

Herrschaft Gottes zuerst verkündigt zu bekommen“.155

Aufmerksam hatte die Frau die Worte gehört, mit denen Jesus seinen Jüngern gegen-

über sein Schweigen begründete: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des

Hauses Israels“ (Mt 10,15). Mit ihrer Antwort: „Ja, Herr, aber“, da sind auch die Haus-

hunde unter dem Tisch, „ihnen genügen die Brosamen, die von ihrer Herren Tische

fallen“ (Mt 15,27). Die Hausherren reichen das Brot den Kindern. Die Abfälle bekom-

men die Haushunde unter dem Tisch, mit diesen Worten erkennt die Frau „die füh-

rende Rolle Israels“ an. Gleichzeitig durchbricht sie das schematische Denken, dass

der Glaube an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation gebunden ist.156 Mit ihrer

Antwort: Ja, Herr, du hast Recht, wenn ich jedoch bitte, verlasse ich mich auf dein

Wort, dass auch die Haushunde unter dem Tisch etwas abbekommen. Dieser Bitte hat

sich Jesus nicht versagt. Er wandte sich persönlich an die Frau und sagte: „Dein

Glaube ist groß“ (Mt 15,28). Die Begegnung Jesu mit der Syrophönizierin zeigt, was

ein großer Glaube ist.

Die Frau hatte erkannt: Jesus ist der Sohn Davids. Aus Liebe zu ihrer Tochter bat sie

Jesus um Hilfe. Sie tat alles in ihrer Macht Stehende. Sie fiel vor Jesus nieder und sie

erkannte den Sendungsauftrag Jesu an. Edith Stein, deutsche Philosophin jüdischer

153 Vgl. Velden, Tierwelt, S. 38. 154 Vgl. Bauer, Wörterbuch, S. 904+905. 155 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 109. 156 Sand, A., Das Evangelium nach Matthäus, Leipzig 1989, S. 315.

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Herkunft und Ordensfrau, fasst dies in die Worte: „Alles, was sonst getrennt auftritt, ist

im Glauben verschmolzen, Erkenntnis, Liebe und Tat.“157

157 Edith Stein, Ordensname Teresia Benedikta a Cruce, zitiert nach Magnifcat Januar 2017, S. 130.

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VIII. Der Fuchs – der Verwüster

In einem Sprichwort heißt es: „Der Fuchs kennt mehr als ein

Loch.“158 Es ist eine Anspielung auf die Durchtriebenheit des

Fuchses. Im biblischen Sprachgebrauch verkörpert der

Fuchs Hinterlist und Bosheit.159 Im vorderen Orient ist der

Fuchs eines der am häufigsten vorkommenden Raubtiere.

Im Heiligen Land gab es zwei Fuchsarten. Im mittleren und

südlichen Teil lebte der sogenannte ägyptische Fuchs.

Seine Färbung am Rücken ist braunrot und grau am Bauch.

Im nördlichen Teil lebt der etwas größere syrische Fuchs. Er

hat einen gelblich glänzenden Pelz.160 Beiden gemeinsam

ist der buschige Schwanz. Ein Sprichwort sagt: „Man kennt

den Fuchs am Schwanz.“161

Auf den mir bekannten israelischen Briefmarken kommt der Fuchs nur einmal vor. Sie

erschien zum Neujahrsfest am 21.8.1961.162 Abgebildet ist einer der großen Befreier

des Volkes Israel in der vorköniglichen Zeit. Sein Name ist Simson. In seiner Hand

trägt er eine brennende Fackel. Zu seinen Füßen ist ein Fuchs mit seinem hochste-

henden buschigen Schwanz. Im Kampf Simsons gegen den damaligen Erzfeind Isra-

els, die Philister, wird Folgendes berichtet:

Simson fing 300 Füchse. Dann nahm er Fackeln, kehrte Schwanz gegen Schwanz und

tat immer eine Fackel zwischen zwei Schwänze und zündete so die Garben samt dem

stehenden Korn an, auch Weinstöcke und Ölbäume (Ri, 15, 4+5). Die Fackeln in den

zusammengebundenen Schwänzen der auseinanderstrebenden Füchse hinderten sie

gegenseitig am Fortlaufen. So wurde die Gefahr des Feuerfangs vergrößert.163

In diesem Bericht aus dem Buch der Richter spielen die Füchse „eine passive Rolle“.164

Anders verhält es sich mit den Bibelstellen, in denen Menschen mit Füchsen vergli-

chen werden. Die Vergleiche fußen auf den dem Fuchs zugeschriebenen negativen

Eigenschaften, der Bosheit und der Hinterlist.165

1. Die Füchse als Bild für falsche Propheten

Der Prophet Hesekiel sagt von sich: „Es erging das Wort Jahwes an mich: Menschen-

sohn, prophezeie wider die Propheten Israels… Hört das Wort des Herrn: Wehe

denen, die aus ihrem eigenen Herz heraus prophezeien, und zwar nach dem, was sie

nicht gesehen haben. Gleich Füchsen in Trümmerstätten sind deine Propheten, Israel“

(Hes 13,1-4).

158 Sprichwörterlexikon, S. 181. 159 Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 112. 160 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 29. 161 Sprichwörterlexikon, S. 181. 162 Siehe Carmel, Stamps, S. 21. 163 Vgl. Hertzberg, H. W., Die Bücher Josua, Richter, Ruth, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 231. 164 Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 112. 165 Vgl. ebd.

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Der Vergleich mit den Füchsen geht darauf zurück, dass diese das Erdreich unter-

minieren,166 d.h. sie tun in ihren unterirdischen Wohnungen nichts als den Boden wei-

ter aufzuwühlen.167 Zu denken dabei ist an eine Stelle, wo davon die Rede ist, dass

die Füchse den Weinberg verderben.168

„Fangt die Füchse, die kleinen Füchse, die Weinbergverwüster, denn

unsere Weinberge blühen“ (Hhl 2,15).

Der Fuchs galt als Liebhaber der Trauben, vor allem jedoch als Verwüster von Wein-

stöcken.169 Sie graben in den Weingärten unterirdische Gänge und schädigen dabei

die Gewächse an ihren Wurzeln. Der Fuchs ist demnach das Bild eines Feindes, „der

im Untergrund arbeitet“. Er ist ein „treffendes Bild für die Feinde des Reiches Got-

tes“.170 Sie untergraben die Fundamente des Glaubens, indem sie bei jeder zentralen

Frage „nach falscher Richtung in die Ausweichlinie gehen“.171

Mit Füchsen, die den Weinberg verwüsten, sind Menschen zu vergleichen, die nur

eines im Sinn haben: die Worte der Bibel zu bezweifeln, die an jedem Wort herumdeu-

teln, die sich an jeder Herausforderung vorbeischleichen und sich um eine klare Ent-

scheidung drücken. Sind es im Alten Testament die falschen Propheten, die mit Füch-

sen verglichen werden, so trifft der Vergleich mit einem Fuchs im Neuen Testament

auf eine Persönlichkeit zu, auf Herodes Antipas, den Landesherrn Jesu.

2. Der Fuchs als Symbol für das Verhalten des Landesherrn Jesu

Es war Jesus selbst, der seinen Landesherrn als Fuchs

charakterisierte. Das war nach dem Bericht von Lukas bei

folgender Gelegenheit:

„Es kamen etliche Pharisäer zu Jesus und sprachen zu

ihm: Gehe fort und ziehe von hinnen, denn Herodes will

dich töten. Da sprach Jesus zu den Pharisäern: Geht hin

und sagt diesem Fuchs. Siehe, ich treibe böse Geister

aus und mache gesund heute und morgen und am dritten Tage werde ich am Ziel sein“

(Lk 13,31+32).

Die Adjektive, die das Verhalten des Fuchses in der Natur näher beschreiben, sind

„schlau“, „geschickt“, und „listig“. Als vielseitiger Jäger jagt der Fuchs alles, was er

überwältigen kann. Durch genauere Untersuchungen hat man festgestellt, dass die

Hauptnahrung des Fuchses aus Mäusen, vor allem aus Wühlmäusen, besteht. In

einem Fuchsmagen hatte man einmal 48 Wühlmäuse gefunden.172 „Seine empfind-

samen Sinnesorgane machen ihn zu einem vortrefflichen Jäger, der sich mit großer

Schlauheit und Vorsicht seiner Beute nähern kann.“173 Von der List des Fuchses

berichtet eine anonym erschienene Schrift aus dem 4. Jahrhundert:

166 Vgl. Keil, C. F., Biblischer Commentar zum Propheten Ezechiel, 2. Aufl., Leipzig 1892, S. 125. 167 Vgl. Bertholet, A., Das Buch Hesekiel, Freiburg/Leipzig/Tübingen 1897, S. 69. 168 Vgl. Zimmerli, W., Ezechiel, 1. Teilband, 2.Aufl., Neukirchen-Vlyn 1979, S. 291. 169 Vgl. Schroer, S. 102. 170 Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 30. 171 Quell, zitiert nach Zimmerli, W., Ezechiel, S. 291. 172 Vgl. Heinz Sielmann, zitiert bei Velden, Tierwelt, S. 152. 173 Møller-Christensen/Jørgensen, Biblisches Tierlexikon, S. 29.

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„Wenn der Fuchs hungrig ist und keine Jagdbeute zum Fressen findet, sucht er, wo

die Erde warm und staubig ist. Dort wirft er sich auf den Rücken und hält den Atem an

und röchelt. Dann glauben die Vögel, dass er tot ist und setzen sich von oben her auf

ihn, um von ihm zu fressen. So springt er auf, packt sie und verzehrt sie.“174

Die Väter der Alten Kirche deuten diese dem Fuchs nachgesagte List mit dem Handeln

des Teufels, und zwar mit folgenden Worten: „Wer Anteil am Fleisch des Teufels haben

will, muss sterben. Das aber ist des Teufels Fleisch: Hurerei, Geiz, Lust, Mord.“ In ihrer

Auslegung heißt es dann weiter: „Daher wird auch Herodes mit dem Fuchs vergli-

chen.“175

Ob die Parabel von der List des Fuchses bereits zur Zeit Jesu bekannt war, ist nicht

überliefert. Mindestens zwei Punkte aus der altkirchlichen Auslegung treffen auf Hero-

des Antipas zu: sein ehebrecherisches Verhalten und der Mord. Während seines Wir-

kens in Galiläa war Jesus seinem Landesherrn nicht persönlich begegnet.

Herodes hatte einen Teil seiner Residenzstadt über einen jüdischen Friedhof gebaut.

Juden blieb deshalb das Betreten von Tiberias verboten. So wirkte auch Jesus nie in

Tiberias. Was Jesus auf jeden Fall bekannt war, ist der Umgang seines Landesherrn

mit Johannes dem Täufer! Johannes hatte Herodes Antipas öffentlich des doppelten

Ehebruchs bezichtigt. Antipas hatte sich während einer Romreise in Herodias, die Frau

eines seiner Verwandten, verliebt. Herodias erwiderte seine Liebe und heiratete ihn.176

Seine Ehefrau, eine Nabatäerfürstin, schickte Herodes Antipas buchstäblich in die

Wüste. Herodias war entschlossen, den Täufer umbringen zu lassen. Herodes aber

ließ dies nicht zu (Mk 6,19+20). Herodias fand jedoch einen Weg, Johannes auszulö-

schen. Ihre Handlangerin dabei wurde ihre Tochter Salome, die sie mit in die Ehe

gebracht hatte.

Anlässlich seines Geburtstages hatte Herodes Antipas ein großes Festmahl gegeben.

Das Fest fand auf der Burg Machärus statt. Im dortigen Gefängnis saß Johannes der

Täufer ein. Während der Festmahlzeit hatte Salome mit ihren Tanzauftritten Herodes

Antipas und seine Gäste begeistert. Antipas ließ sich dazu hinreißen, einen Eid zu

schwören: „Bitte von mir, was du willst, ich will es dir geben bis zur Hälfte meines

Königreiches“ (Mk 6,23). Auf Rat ihrer Mutter hatte Salome den Kopf des Täufers

gefordert.Von Antipas heißt es: „Und der König war sehr betrübt“ (Mk 6,26).

Antipas hatte den Täufer gefangengesetzt. Aber er war nicht von ihm losgekommen.

Immer wieder suchte er das Gespräch mit Johannes. Beim Evangelisten Markus heißt

es: „Wenn er ihn gehört hatte, war er sehr unruhig und doch hörte er ihn gerne“ (Mk

6,20). In seinem Innersten hatte Antipas dem Täufer Recht gegeben. Die Konsequen-

zen jedoch hat er nicht gezogen. Das, was er wollte, ist, sich religiös mit dem Täufer

zu unterhalten. Er war ein religiös Interessierter.

Als solcher freute sich Herodes, als Pilatus später Jesus zu ihm führen ließ. Herodes

war entschlossen, mit Jesus zu diskutieren. Lukas berichtet: Herodes fragte Jesus

„mancherlei“ (Lk 23,9). Außer den religiösen Gesprächen wünschte sich Herodes von

174 Physiologus, S. 33+34. 175 Ebd., S. 34. 176 Vgl. Bruce, F. F., Herodias, in: GBL; Bd. II, S. 567.

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Jesus eines der Wunder, von denen er viel gehört hatte. Herodes forderte Jesus her-

aus „mit Verlockungen und Schmeicheleien, ironischen Bemerkungen und gewiss

auch mit Drohungen“.177

Jesu Antwort war nichts als Schweigen. Bis heute kann Jesus aufhören zu reden. „Das

ist die schrecklichste Möglichkeit der Weltgeschichte. Die Wahrheit schweigt, aber sie

darum nicht besiegt. Ihr Schweigen ist Gericht.“178

Das Schweigen ist „die Würde der Distanz-Kultur“.179 „Wer den Mund hält, ist der

Würde näher, als jeder, der munter darauf losplattert.“180 Wenn ein religiös Interessier-

ter unverpflichtet diskutieren will, gilt es, die Würde der Distanz-Kultur zu wahren. Es

gibt einen Punkt, an dem alles Diskutieren aufhören muss. Dietrich Bonhoeffer bringt

dies auf den Nenner: „Bleibe im Fragen, so bist du frei vom Gehorchen“.181 Das religi-

öse Interesse, das Fragen und Diskutieren, ist durchaus ein positiver Ansatz. Das Ent-

scheidende jedoch ist, dass Jesus Herr und Heiland meines Lebens wird.

Wenn einer dies nicht wollte, war es der Landesvater Jesu, Herodes Antipas. Er wollte

von Jesus nichts anderes als eine unterhaltsame Vorstellung. Er hat das Schweigen

Jesu als Zeichen des Gerichts verstanden. Dafür rächte sich Herodes mit der Rache

der kleinen Leute, mit Spott und Hohn. Mit schallendem Gelächter staffierte er Jesus

als Narrenkönig aus. Er ließ Jesus einen „alten verschlissenen Prunkmantel“182 über-

werfen. So schickte er Jesus zurück zu Pilatus. Herodes Antipas wollte sich durch

Nichthandeln aus der Verantwortung ziehen.

177 Ernst, J., Lukas, S. 284. 178 Loewenich, W. v., S. 61. 179 Schreiber, M., Würde, München 2013, S. 139. 180 Ebd., S. 236. 181 Bonhoeffer, D., Nachfolge, DBW 4, München 1989, S. 27. 182 Pixner, B., Mit Jesus in Jerusalem, S. 130.

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IX. Das Schwein – ein fruchtbarer Allesfresser und ein

beliebtes Opfertier

Eine volkstümliche Redewendung lautet: „Wer nichts

gelernt hat, muss Schweine hüten.“183

Schweine sind anspruchslose, fruchtbare und schnell

wachsende Allesfresser. Sie liefern Fleisch, Fett,

Leder und Borsten.184 Domestiziert wurden Schweine

bereits in der Jungsteinzeit (7 000 – 4 000 v. Chr.).185

Das Schwein gehört zu den paarzehigen Huftieren.

Es kann eine Länge von 1,50 bis 2 m und eine Schul-

terhöhe von ca. 1 m erreichen.186

Die Haltung des gesamten Alten Orients gegenüber dem Schwein war zwiespältig. Im

wasserreichen Niltal wurde Schweine erfolgreich gezüchtet. Ihren Hirten jedoch blieb

der Zugang zum Tempel versperrt. Priestertöchtern war es in Ägypten verboten,

Schweinehirten zu heiraten.187 In alttestamentlicher Zeit gehörten Schweine in Israel

nicht zu den Haustieren. Sie galten als unrein (3. Mose 11,7+8; 5. Mose 14,8).188

Über die Ursachen des alttestamentlichen Speiseverbotes für Schweinefleisch sind

mancherlei Vermutungen angestellt worden. Eine der Gründe, die bis heute vertreten

werden, ist: Schweine werden als unrein verabscheut wegen der Übertragung der

Trichinen auf Menschen willen.189 Weit naheliegender ist es,

dass das Schwein in der Umwelt Israels als heiliges Tier und

damit als Opfertier galt.

Auf einer rotfigürlichen Schale aus Griechenland hält der

Ephebe Epidronias ein junges Schwein. Der Name des wehr-

fähigen jungen Griechen (= Ephebe) steht am oberen Rand

der Schale. Sein Begleiter, vielleicht sein Lehrer, hebt das

Messer, um das Tier auf einem Altar im Freien zu schlach-

ten.190

Berichte über Schweineopfer gibt es aus nahezu allen Ländern im Umkreis des Volkes

Israel:

➢ In Ägypten steht das Schwein zum Mond und den Mondgöttern in besonderer

Beziehung. Man schlachtete Schweine und brachte sie Horus dar, dem Herrn

des Mondauges.

➢ Bei Babyloniern, Assyrern und Hethitern diente das Ferkel als Ersatzopfer für

Kranke gegen Dämonen.

183 Beyer, H. u. A., Sprichwortlexikon, 3. Aufl., Leipzig 1987, S. 528. 184 Vgl. Schroer, S. 72. 185 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 466. 186 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 92. 187 Vgl. Schroer, S. 72+73. 188 Vgl. Keel/Küchler/Uelinger, Bd. I, S. 122. 189 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 261. 190 Abbildung bei Schroer, S. 74.

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➢ Auf Zypern gilt das Schwein im Aphrodite-Astartekult als heilig. In verschiede-

nen Heiligtümern gab es Schweineopfer.

➢ Bei den Griechen wurden Schweine den Erdgottheiten, besonders der Demeter

und dem Dionysos geopfert. Dabei gab es ein eigenartiges Sühneopfer:

Lebende Ferkel wurden in Gruben versenkt, deren verweste Überreste wieder

herausgeholt und auf dem Altar geopfert.191

Während der babylonischen Gefangenschaft ließen sich die Israeliten dazu verleiten,

sich von Jahwe abzuwenden, um an heidnischen Opferfesten teilzunehmen und

Schweinefleisch zu essen. Der Prophet Jesaja nennt die, die sich an sakralen Mahl-

zeiten beteiligten, „Leute, die Jahwe Kränkungen antun“ (Jes 65,3). Diesen von ihrem

Volk Abtrünnigen (Jes 65,2) gilt die Strafankündigung, dass Gott ihre Sünden noch

einmal heimzahlen wird (Jes 65,6+7).192

Die Ablehnung der Teilnahme an Schweineopfern und das Verbot, Schweinefleisch zu

essen, war ein markantes Kennzeichen der Israeliten und ihres Glaubens. Es war

eines der großen Unterscheidungsmerkmale zwischen Israeliten und allen umliegen-

den Völkern und Nationen. Diese in ihrem Glauben und ihrer Kultur begründeten Dif-

ferenz machte sich Antiochus IV. zunutze.193

Antiochus IV. Ephiphanes (175 – 164 v.Chr.) zog im Jahr 169 in Jerusalem ein mit der

Absicht, die Israeliten zu hellenisieren.194 Nach der Überlieferung der Makkabäer-

bücher und dem Werk Antiquitates des jüdischen Historikers Josephus Flavius (geb.

38 n.Chr.) ging Antiochus IV. wie folgt vor: Er plünderte den Tempel und weihte diesen

dem Zeus Olympos. Er forderte, Zeus und den anderen Göttern Schweine und ande-

res unreines Vieh zu opfern. Nach Josephus brachte er selbst Schweineopfer dar. Den

Juden untersagte er unter Androhung der Todesstrafe Beschneidung, Sabbatheiligung

und die Darbringung von Opfern nach jüdischem Ritus. Eleazer, die makkabäischen

Brüder und deren Mutter erlitten den Märtyrertod, weil sie es ablehnten, Schweine-

fleisch von den Opfermahlen zu essen.195

Seit jener Zeit „wurde der radikale Verzicht auf Schweinefleisch als Speise und Opfer-

gabe zum unbedingten jüdischen Bekenntniszeichen“.196 Viele strenggläubig praktizie-

rende Juden halten sich bis heute an das Gebot des Verzichts auf Schweinefleisch.

Für die Juden, die dieses Gebot einhalten, ist dies ein Erinnerungszeichen daran, kei-

nerlei Praktiken von einer anderen Religion zu übernehmen. Die Entschlossenheit,

sich von jeder Religionsmischerei fernzuhalten, bewahrte das Judentum vor dem

Untergang.

Im Unterschied zum Judentum ist Religionsmischerei, der sogenannte Synkretismus,

eine Erscheinung, die jede Religion durch ihre Geschichte begleitet. Am Anfang stehen

dabei die mit großer Selbstverständlichkeit vorgetragenen Behauptungen: „Alle Religi-

onen sind gleich“ und „wir haben alle denselben Gott. Ein Blick auf die Geschichte der

191 Belege bei Botterweck, G., hazir, in: ThWBAT, Bd. II, Sp. 837-846. Nach einer jüdischen Überlieferung spielte das Schwein eine Rolle beim Kult des Moloch, vgl. Joseph, M., Speisegesetze, in: Jüdisches Lexikon, Bd. IV,2, Sp. 540. 192 Vgl. Westermann, C., Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66, Göttingen 1966, S. 316-319. 193 Vgl. Schroer, S. 73. 194 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 594. 195 Zu den Belegen vgl. Botterweck, G., hazir, Sp. 841. 196 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 121.

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vergleichenden Religionen zeigt: Die nichtchristliche Religion wird durch die Religions-

mischerei „angereichert, das Christentum stirbt daran.“197

Die Zeit unter Antiochus IV. war für das Judentum die Bewährungsprobe schlechthin.

Das Judentum wird überleben, solange es das Gebot aller Gebote nicht aufgibt: „Ich

bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Diene ihnen

nicht und bete sie nicht an“ (2. Mose 20,3+5).

Martin Buber kennzeichnet dieses Gebot als das „Gebot der ausschließlichen Vereh-

rungsbeziehung durch das Verbot ‚andere Götter‘ ‚mir ins Gesicht‘ zu haben“.198

Für das Christentum ist dieses Gebot von gleicher Wichtigkeit. Ein Christentum, das

fremdreligiöse Momente aufnimmt, hat keine Überlebenschance. Die aktuelle gegen-

wärtige Todesgefahr ist eine Vermischung mit islamischem Gedankengut. Eine Islami-

sierung ist solange nicht zu befürchten, solange Christen kompromisslos daran fest-

halten: Der Gott der Bibel ist der alleinige Gott, und es liegt „in keinem anderen Heil“

als in Jesus, dem Sohn des lebendigen Gottes (Apg 4,12).

Es ist kein Zufall, dass in Jesu Verkündigung das Schwein als Symbol für den Abfall

vom alleinigen Gott ist. Die römische Legion, die zur Zeit Jesu im Norden des Heiligen

Landes stationiert war, hatte als Feldzeichen das Schwein.199 Auch galten im Ostjor-

danland, in der sogenannten Dekapolis, die Schweine als heilige Tiere, die als Opfer

dargebracht wurden.200 Im Ostjordanland gab es große Schweineherden (Mt 8,28-34).

Da es den Israeliten nicht erlaubt war, dem einen Gott ein Schwein zu opfern, ist dies

der Hauptgrund dafür, dass den Juden das Essen von Schweinefleisch verboten

war.201 Heute gibt es kein Schweineopfer mehr, dessen Fleisch einen Menschen ver-

unreinigen könnte. Deshalb besteht für Christen kein Anlass, auf den Genuss von

Schweinefleisch zu verzichten.

Geblieben ist die Redewendung: „bei den Schweinen landen“. Diese geht zurück auf

die Gleichniserzählung Jesu von jenem Sohn, der sich sein Erbe auszahlen ließ und

bei den Schweinen landete. Von ihm heißt es: „Er begehrte, seinen Bauch zu füllen

mit Trebern, die die Säue aßen, und niemand gab sie ihm“ (Lk 15,16).

Der in der Lutherübersetzung mit „Trebern“ übertragene Begriff ist zurückübersetzt ins

Hebräische und Aramäische die Frucht des Johannesbrotbaumes.202 Entsprechend

heißt die Stelle: „Er hätte sich am liebsten den Bauch vollgeschlagen mit den Johan-

nesbrotschoten, mit denen die Schweine gefüttert wurden.“203 Johannesbrotschoten

waren zur Zeit Jesu das hauptsächliche Futter für Schweine.204 Die Schoten des

Johannesbrotbaumes waren das Brot in Notlagen und in Katastrophenzeiten.205 In

197 Vicedom, G., Mission im ökumenischen Zeitalter, Gütersloh 1967, S. 169. 198 Buber, M., Mose, S. 156. 199 Vgl. Schroer, S. 74+75. 200 Vgl. Pixner, B., Mit Jesus in Galiläa, S. 44. 201 Vgl. Pixner, B., Wege des Messias, S. 143. 202 Vgl. Strack, H.; Billerbeck, P., Bd. II, S. 213. 203 Jeremias, J., Gleichnisse, S. 129. Zur Übersetzung von Trebern mit Johannesbrotschoten vgl. Strack, H.; Billerbeck, P., Bd. II, S. 213, die Anmerkung in der Züricher Bibel zur Stelle und bei Grundmann, W., Lukas; Wiefel, Lukas und Edel zur Stelle. 204 Vgl. Strack, H.; Billerbeck, P., Bd. II, S. 214. 205 Vgl. Lamsa, S. 328.

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einer jüdischen Schriftauslegung heißt es: „Wenn Israeliten Johannesbrot nötig haben,

dann tun sie Buße.“206

Dies ist der Zielpunkt der Gleichniserzählung Jesu. Der aus wohlhabendem religiösen

jüdischen Haus kommende Sohn hatte nach damaliger Überlieferung die letzte Stufe

menschlichen Abstiegs erreicht. Danach aber heißt es: „Er kehrt sich zu sich“, „Er ging

in sich“,207 „Er kam zu sich selbst“.208 Diese Wendung ist im Hebräischen und Aramä-

ischen der Ausdruck für „Buße“ tun,209 für Umkehr, für den Beginn eines neuen

Lebens.

Auf dem Weg zu einem neuen Leben gilt es, vier Schritte zu gehen:

➢ Am Anfang steht „die Rückkehr zu klarem und richtigem Denken“.210 Der bei

den Schweinen Gelandete kommt zur Einsicht, dass er seinen Weg verfehlt hat,

dass er seine Notlage selbst verschuldet hat.211 Die äußere große Not hat ihn

dazu getrieben, zu sich selbst zu kommen und zur Klarheit zu gelangen.212

Unter dem Druck der äußeren Not erwacht in dem Davongelaufenen die Erin-

nerung an seinen Vater und an sein Vaterhaus. Dies ist der zweite Schritt zu

einem neuen Leben.

➢ Der bei den Schweinen Gelandete erinnert sich an den Wohlstand im Haus sei-

nes Vaters. Wie gut hat es dort der geringste Tagelöhner seines Vaters. Dabei

wird ihm bewusst, dass er kein Recht auf den Vater mehr hat, bei dem kein

Mangel herrscht.213 Er muss sich eingestehen, dass er „nach der Abfindung kei-

nerlei Anspruch mehr hat, nicht einmal auf Nahrung und Kleidung. Beides will

er sich verdienen“.214 Dies ist der nächste Schritt auf dem Weg zu einem neuen

Leben.

➢ Das Bekenntnis, das sich der Sohn für den Fall der Rückkehr zu seinem Vater

zurechtlegte, lautet: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.

Ich bin nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Mache mich zu einem deiner

Tagelöhner“ (Lk 15,18+19). Mit diesem Bekenntnis erinnert sich der Sohn an

das, was er einmal in seinem Elternhaus gelernt hat. In dem großen Schuld-

gebet des Esra heißt es: „Mein Gott, ich schäme mich und scheue mich, meine

Augen aufzuheben zu dir, mein Gott, denn unsere Missetat ist über unser Haupt

gewachsen und unsere Schuld ist groß bis an den Himmel“ (Esra 9,6).215

Zu einem neuen Leben gehört das Schuldbekenntnis. Das Schuldbekenntnis ist

mehr als Trauer und Betrübnis. Seine Schuld bekennen heißt: Gott Recht geben

mit den Worten: Ich habe es verwirkt, Gott Vater zu nennen und von ihm Sohn

206 Lev. Rabba 35 (132c), zitiert nach Grundmann, W., Lukas, S. 312+313. 207 Zu dieser wörtlichen Übersetzung vgl. Jeremias, J., Gleichnisse, S. 129+130. 208 Schniewind, J., Die Freude der Buße, S. 58. 209 Jeremias, J., Gleichnisse, S. 130. 210 Schniewind, J., Die Freude der Buße, S. 58+59. 211 Vgl. Schweizer, E., Lukas, S. 161. 212 Vgl. Jeremias, J., Gleichnisse, S. 130. 213 Vgl. Schweizer, E., Lukas, S. 161. 214 Vgl. Jeremias, J., Gleichnisse, S. 130. 215 Vgl. Strack, H.; Billerbeck, P., Bd. II, S. 217.

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genannt zu werden. Es wäre nur seien Güte, wenn er mich noch seinen Tage-

löhner sein lässt.216 Was der Sohn im Gleichnis Jesu bei seiner Rückkehr

erfährt, ist das „Geschenk eines neuen Lebens“ und dieses Erleben ist der vierte

Schritt.

➢ Noch bevor der Sohn sein Schuldbekenntnis aussprechen konnte, hat er erfah-

ren, was Vergebung heißt. Der Vater war ihm entgegengerannt, hatte ihn

umarmt und geküsst (Lk 15,20). In biblischer Zeit war der Kuss das Zeichen der

Vergebung (2 Sam 14,33).217 „Dem Vater graute nicht vor der Verwahrlosung

und Verdorbenheit seines Sohnes. Die überströmende und ungetrübte Liebe

seines Vaters ist die gleiche wie einst in den Jugendtagen.“218 Der Zielpunkt

des Gleichnisses, das Jesus erzählt, ist die Umkehr und die Vergebung Gottes.

In einer jüdischen Weisheit heißt es: „Die große Schuld des Menschen sind nicht die

Sünden, die er begeht – die Versuchung ist mächtig und die Kraft gering! Die große

Schuld des Menschen ist, dass er jeden Augenblick die Umkehr tun kann und nicht

tut.“219

Wer sich zu einem solchen Entschluss der Umkehr durchringen kann, erfährt, was

Philipp Friedrich Hiller in seinem seiner Lieder so formuliert:

„Mir ist Erbarmung widerfahren,

Erbarmung, deren ich nicht wert.

Das zähl ich zu dem Wunderbaren,

mein stolzes Herz hat’s nie begehrt.

Nun weiß ich das und bin erfreut

und rühme die Barmherzigkeit“ (EG 355,1). übüber

216 Schniewind, J., Freude der Buße, S. 60+64. 217 Vgl. Jeremias, J., Gleichnisse, S. 130. 218 Schniewind, J., Freude der Buße, S. 63. 219 Rabbi Bunan, zitiert nach Gradwohl, R., Bd. I, S. 52.

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X. Esel: Lastträger, Reittier und Symbol des Friedens

Im heutigen Sprichwortgut ist Esel durchgehend ein

Schimpfwort. Es seien hier nur drei Beispiele genannt:

„Wer sich zum Esel macht, der muss Säcke tragen“;

Es ist ein Esel, der mit einem Esel streitet“; Nicht alle

Esel haben vier Beine.“220

Völlig anders ist dies in der Bibel. An den der ca.

130221 im Alten und Neuen Testament erwähnten Stel-

len wird Esel „kein ein einziges Mal eindeutig als

Schimpfwort“ benutzt.222

Im kanaanäischen Raum konnte ein Fürst den Namen Esel tragen, ohne sich selbst

zu erniedrigen (1. Mose 33,19; 34,2). Das hebräische Wort für Esel bedeutet „rot-

braun“, „rötlich“ und „erdfarben“.223

Der seit dem 4. Jahrtausend in Ägypten vorkommende Hausesel ist der domestizierte

nubische Wildesel (equus taeniopus). In der syrisch palästinischen Landbrücke trifft

man seit Beginn des 2. Jahrtausends den Esel als Reittier an. Dieser stammt vom

westasiatischen Wildesel, den equus omagev, ab.224

Der Wildesel, der im Heiligen Land in großer Zahl vorkam, ist ausgestorben. Er ist wie

viele andere in der Bibel erwähnten Tiere in Naturschutzgebieten wieder eingesetzt.

Auf dem weißen Rand einer Briefmarke aus der Serie Naturreservate im Negev ist ein

Wildesel abgebildet. Er hat einen schlanken Körperbau und kurze Ohren.225

In Ägypten wurde der domestizierte Esel vornehmlich als Lasttier und beim Dreschen

eingesetzt. In alttestamentlicher Zeit trifft man ihn regelmäßig neben dem Lasttier als

Reittier an.

➢ Von Abraham heißt es, als er mit Isaak seinen Weg zum Berg Moria antrat: „Er

gürtete seinen Esel“ (1. Mose 22,3). Das mit gürten übersetzte Wort heißt in

seiner ersten Bedeutung „binden“, „umbinden“,226 d.h. Abraham lud alles, was

zum Opfer nötig war, auf seinen Esel.

➢ Mose „setzte seine Frau und seinen Sohn auf einen Esel und zog wieder nach

Ägypten“ (2. Mose 4,20).

➢ Die Brüder Josefs führten Esel mit nach Ägypten, um das Korn auf dem Rücken

der Esel auf dem Rückweg transportieren zu können (1. Mose 42,26; 45,23).

➢ Debora – eine Prophetin im vorköniglichen Israel – stimmt ein Siegeslied an,

indem es von den Vornehmen heißt: „Sie reiten auf weißen Eselinnen“ (Ri 5,10).

220 Beyer, H. u .A., Sprichwörterlexikon, S. 139+140. 221 Vgl. Heinz-Mohr, G., Gott liebt die Esel, Düsseldorf/Köln 1972, S.12. 222 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 125. 223 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 18 und In der Smitten W. Th., hamôr, in: ThWBAT, Bd. II, Sp. 1038. 224 In der Smitten, Sp. 1038, vgl. auch Shouten, S. 66 und Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 123 sowie Schroer, S. 57. 225 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 122. 226 Gesenius, S. 212.

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Für die Zucht von weißen Eselinnen waren die Städte Damaskus und Bagdad

bekannt. Die weißen Eselinnen im Lied der Debora können auch gewöhnliche

Eselinnen gewesen sein, die mit weißen Bändern verziert waren.227 Wann

immer ein Esel oder Eselin als Reittier benutzt wurde, legte man dem Tier das

Halfter an und band ihm eine Decke um.228

Die Esel waren in der frühen Zeit Israels ein Symbol für Vornehmheit. Das Pferd wird

erst erwähnt zur Zeit von König Salomo. Das Pferd hat jedoch in biblischer Zeit dem

Esel als Reittier nicht verdrängen können. Der Esel ist zwar nicht so schnell wie ein

Pferd, aber ausdauernder. „Vor allem in Bergregionen und in schwierigem Gelände ist

der Esel dem Pferd überlegen, weil er trittsicherer ist.“229 Von der Zeit Salomos an

setzte man das Pferd zu militärischen Zwecken ein. Salomo hat die Streitkräfte Israels

in großem Umfang mit Pferden und Streitwagen ausgerüstet (1 Kön 5,6). Das Pferd

zusammen mit Streitwagen wurde vor allem „als neue Waffe eingeführt“.230 Das Pferd

wurde zum Symbol des Krieges. Der Esel war im Gegensatz zum Pferd das „Symbol

des Friedens“231 und der „Friedfertigkeit“.232

Von der besonderen Rolle und Wertschätzung des Esels handeln mehrere Texte des

Alten Testament. An erster Stelle zu nennen ist die sprechende Eselin des aus dem

mesopotamischen Raum kommende Sehers Bileam.

1. Die sprechende Eselin des Bileam (4. Mose 22-24).

Die sprechende Eselin ist für Bibelspötter eine bestän-

dige „Angriffswaffe gegen die Wahrheit des Wortes Got-

tes“.233 Sie ist „das beliebte Tummelfeld für billige Aufklä-

rungswitze“.234

Der biblische Bericht handelt von Bileam, dem Sohn

Beors, einer historischen Persönlichkeit.235 Er gehörte zu

den Vorfahren, den Vorläufern der alttestamentlichen

Propheten.236 Der Moabiterkönig Balak hatte Bileam

unter Versprechen großer Geldbeträge dafür gewonnen, in sein Land zu kommen, um

die Israeliten auf ihrem Weg in das ihnen zugesagte Land zu verfluchen.

Auf dem Weg in Richtung Moab warnte Gott Bileam vor Wankelmütigkeit, d.h. vor der

Gefahr, „in welche ihn Ehr- und Geldgier stürzen würde“.237 Dazu wählte Gott einen

außergewöhnlichen Weg. Gott war der Veranlasser, dass das Reittier Bileams – es

227 In der Smitten, Sp. 1039. 228 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 22. 229 Schouten, Tierwelt, S. 66. 230 Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 128. 231 In der Smitten, Sp. 1041. 232 Schroer, S. 60. 233 Keil, C. F., Die Bücher Moses, S. 321. 234 Holzinger, H., Numeri, Kurzer Hand-Commentar zum alten Testament, Tübingen 1903, S. 113. 235 In diesem Punkt sind sich die neueren Arbeiten über Bileam einig vgl. Zobel, H.-J., Die Anfänge des Prophetentums im Alten Testaments, in: Von Bileam bis Jesaja (Hrsg. Wallis, G.,), Berlin 1984, S. 37, Anm. 22, S. 61. 236 Vgl. Zobel, Die Anfänge, S. 33. 237 Keil, C. F., Die Bücher Moses, S. 319.

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war eine Eselin – dreimal scheute und ihn nicht weitertragen wollte. Bileam drosch auf

seine Eselin ein, bis diese die Laute von sich gab, die Bileam deutete: „Was habe ich

dir getan, dass du mich dreimal geschlagen hast?“ (4. Mose 22,28).

Gott hat, um seinen Willen kund zu tun, jederzeit die Möglichkeit, das von ihm

Geschaffene in seinen Dienst zu nehmen. Dies gilt für kosmische Erscheinungen, für

Naturgewalten und für alle Kreaturen. Gott gab den Tieren einen Instinkt für Witte-

rungserscheinungen. Tiere haben „für meteorologische und ähnliche Vorgänge eine

lebhafte Empfindung“.238 Die vernunftlosen Tiere haben für viele Naturphänomene, z.

B. für Erdbeben und Gewitter, ein viel feineres und schärferes, instinktmäßiges Vorge-

fühl als der Mensch mit seinen fünf Sinnen.239 Gott kann tierische Laute so klingen

lassen, dass sie der Mensch deuten kann.

Die Schreie der Eselin waren für Bileam der Anlass, in die Höhe zu sehen und den

Stern Jakobs zu erblicken. Jetzt sprach Bileam die Worte:

„Ich sehe ihn, doch nicht jetzt“

Ich erblicke ihn, doch nicht nahe!

Es tritt hervor ein Stern aus Jakob…

Und Israel behält den Sieg.

Und er herrscht von Jakob aus“ (4. Mose 24,17-19, nach Delitzsch).

Der Seherspruch Bileams ist „die erste Segnung, die Israel auf dem Weg ins Heilige

Land empfing“.240 Bileam hatte den Segen nicht erteilt. Es war Gottes Segen, den

Bileam „festgestellt und bekundet hat“.241

Wo immer in der Bibel von Gottes Wirken gesprochen wird, gibt es neben seinem

rettenden das segnende Handeln. Die Errettung hat den Charakter des Augenblick-

geschehens. Es sind punktuelle Ereignisse: z.B. „das Ergebnis der Botschaft und das

Annehmen der Botschaft im Glauben, der Zuspruch der Vergebung, die Rechtfertigung

– dies alles hat den Charakter des Augenblickgeschehens“.242 Augenblicke aber erge-

ben noch keine Geschichte. „Damit aus diesen Augenblicken Geschichte wird, muss

das Element des Stetigen hinzutreten.“243

Dieses stetige Element ist der Segen. Der Segen ist vergleichbar mit einem Strahl

( ). Ein einmal von Gott empfangener Segen wird von Gottes Seite nicht rück-

gängig gemacht. Er kann nur einseitig vom Menschen gekündigt oder brutal zurück-

gewiesen werden. Wer dies nicht tut, steht unter dem Segen Gottes. Bileam war der

Erste, der die Israeliten auf dem Weg in das ihnen zugesagte Land segnete. Im Heili-

gen Land angekommen, wurde für Israel der Esel das Symbol des Friedens.

238 Holzinger, H., Numeri, Tübingen 1903, S.113. 239 Vgl. Keil, C. F., Die Bücher Moses, S. 321. 240 Westermann, C., Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968, S. 53. 241 Ebd., S. 13. 242 Ebd. 243 Ebd.

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2. Der Esel als Symbol des Friedens

Das Tier, das den Stamm Issaschar symbolisiert, ist

der Esel. Der Segen, den Jakob seinem Sohn Issa-

schar zusprach, ist folgender:

„Issaschar ist ein starkknochiger Esel, der

zwischen den Hürden lagert. Als er sah, dass

die Ruhe etwas Schönes und das Land gar

lieblich sei, da beugte er seinen Nacken zum

Lasttragen und wurde zum dienstbaren

Fronknecht“ (1. Mose 49,14+15).

Den Issascharsegen hat Marc Chagall in seinem

Issaschar-Fenster dargestellt. Es ist bestimmt von

den beiden segnenden Händen Gottes. Die Linke

trägt die Farbe eines Smaragdes, die Rechte ist

scharlachrot. Beide Hände sind ineinander verschlun-

gen und deuten auf den Segen Issaschars, der in ein

weißes Zelt eingraviert ist. Der Segen ist dargestellt als friedliche Weide, auf der

zunächst der lagernde Esel auffällt. Er ruht mit seinem blauen Kopf zufrieden auf dem

grünen Feld. Ein kleiner Vogel lässt sich auf dem Rücken des lagernden Esels nieder.

Über seinem Kopf weiden Schafe, dahinter ragt ein Hirtenstab auf. Das ganze Fenster

ist angefüllt mit Schätzen des Feldes: Früchte, Blumen und Weinreben, Weizen und

Gerste. Die Menschen aus dem Stamme Issaschar liebten ihr Land so sehr, dass sie

lieber doppelte Steuern zahlten, als in den Krieg zu ziehen.

Im Alten Testament gehören Friede und Segen zusammen. Friede, Schalom, ist das

stetige Handeln Gottes. Geber und Garant des Friedens ist immer Gott. Er steht zu

seiner Treue. Das, wozu Gott den Menschen einlädt, ist ein ganzes und heiles Ver-

hältnis zu Gott. Das hebräische Wort Friede, Schalom, kommt von dem Adjektiv scha-

lam, ganz, unversehrt, heil sein.244

Um dieses ganze und heile Verhältnis dem Menschen zu schenken, hat Gott Men-

schen beauftragt, anderen den Gottessegen zuzusprechen. Im Alten Testament über-

trug Gott das Segnen den Priestern mit den Worten:

Wenn ihr segnet, „sollt ihr meinen Namen“ auf die zu Segnenden legen. Dabei

sprecht die folgenden Worte: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr

lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. Der Herr hebe

sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“ (4. Mose 6,24-27).

Dies sind die einzigen Worte, die Gott selbst als Segensworte festgelegt hat. Es gibt

viele gute Segensworte, aber nur eines, das Gott selbst festgelegt hat.

Bei Issaschar waren die sichtbaren Zeichen des Segens eine Fülle von irdischen

Gütern, von Ruhe, Gelassenheit, ohne Streit und Krieg, ohne dass Krankheit, Leid und

Tod erwähnt wird.

244 Vgl. Illmann, K.-J., schaelm, in: ThWBAT, Bd. VIII, Sp. 93+94+99 und Gerlemann, G., schalam, in: ThAT, Bd. II, Sp. 922.

Issachar Marc Chagall Die Glasfenster von Jerusalem

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Eine weitere, und zwar umfassende Dimension bekommt der Segen durch den Einzug

Jesu nach Jerusalem auf einem Esel.

3. Der Esel als Reittier des Messias

Eine der großen messianischen Weissagungen lautet:

„Frohlocke laut, Tochter Zion! Brich in Jubel aus,

Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu

dir, gerecht und sieghaft, er ist der Friede und

reitet auf einem Esel (hebr. hamôr), und zwar auf

einem Hengst (hebr. cajîr), dem Jungen einer

Eselin (hebr. atôn)“ (Sach 9,9)

Diese messianische Weissagung sehen alle vier Evangelisten erfüllt mit dem Einzug

Jesu in Jerusalem (Mt 21,1-7; Mk 11,1-0; Joh 12,12-19). Jesus war unterwegs von

Bethanien am Ostabhang des Ölbergs nach Betfage, das nahezu auf der Bergkuppel

des Ölbergs lag. Zwei seiner Jünger sandte er voraus,

um in Betfage einen Esel zu mieten. Es war ein Esel-

hengst, der noch nicht als Reittier zum Einsatz gekom-

men war.245 Bevor Jesus sich auf diesen Eselhengst

setzte, „legten sie ihre weißen Obergewänder auf den

Esel“ (Mt 21,7).

Zu den Festen – so war es damals üblich – gehörte, dass

ein Chor vom Tempel aus den ankommenden Festpil-

gern entgegenzog. Dabei sangen sie Lieder aus dem alt-

testamentlichen Gebetbuch, aus den Psalmen.246 Der

Chor und die Volksmenge riefen: „Hosianna, dem Sohne Davids! Gesegnet ist, der da

kommt im Namen des Herrn“ (Ps 118,25+26).

Dass sie in Jesus den Messias erkannten, hatte zwei Gründe:

➢ Auf dem Eselhengst lagen die weißen Obergewänder der Jünger Jesu. Dies

erinnerte an die weißen Bänder, mit denen ein Esel geschmückt war, wenn er

als Reittier von Fürsten und Königen diente (Ri 5,10).247

➢ In einer jüdischen Weisheit heißt es: „Wer einen Esel im Traum sieht, hoffe auf

das messianische Heil.“248

Für die Sänger, die Jesus auf dem Ölberg entgegenzogen, gab es keinen Zweifel:

Jesus ist der erwartete Messias.

245 Beim Evangelisten Matthäus ist von einer Eselin die Rede und einem Füllen, das bei ihm war (Mt 21,2-4). Der Grund dafür ist die Übersetzung der poetischen Form des Jesutextes ins Griechische und führte zu der missverständlichen Annahme, dass Jesus, um in Jerusalem einzureiten, zwei Tiere angemietet habe. In Wirklichkeit handelt es sich um einen jungen ausgewachsenen Eselhengst (vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 124). 246 247 Vgl. In der Smitten, Sp. 1039. 248 Zitiert nach Michel, O., öros, in:ThWBNT, Bd. V, S. 285.

Gemälde in der Apsis der Kirche von Betfage

Esel bei Betfage

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Eine völlig andere Meinung vertraten die Repräsentanten des Hohen Rates. Wie aus

späteren rabbinischen Diskussionen hervorgeht, sahen jüdische Gelehrte einen

Widerspruch zwischen zwei prophetischen Worten:

➢ Bei Daniel heißt es: „Siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie ein

Menschensohn“ (Dan 7,13).

➢ Bei Sacharja heißt es: „Er kommt friedfertig und reitet auf einem Esel“ (Sach

9,9).

Um diese beiden Stellen in Übereinstimmung zu bringen, entwickelten jüdische

Gelehrte folgenden Leitsatz:

„Wenn Israel des Messias würdig ist, kommt er mit den Wolken des Himmels. Wenn

die Israeliten keine Verdienste haben, kommt er arm und reitet auf einem Esel.“249

Als Jesus in Jerusalem einzog, sagte er kein Wort zu den Hosianna-Rufen. Als die

Pharisäer Jesus um eine Korrektur seiner Jünger und infolge der Volksmassen auffor-

derten, antwortete Jesus mit einem Wort in Anlehnung an den Propheten Habakuk:

„Ich sage euch, wenn diese schweigen, werden die Steine schreien“ (Lk 19,40; Hab

2,11). Damit war Jesu Einzug in Jerusalem für die religiösen Repräsentanten nichts

anderes als ein versteckter Schuldspruch Jesu gegen Israel: Israel, so zeigt Jesu Han-

deln, ist in Schuld verstrickt. Der Messias kann zu ihnen nur auf einem Esel kommen.

Dieses Urteil Jesu konnten die Pharisäer nicht stehen lassen, dagegen mussten sie

protestieren. Jesus durfte die Repräsentanten seines Volkes nicht ungestraft als Sün-

der bezeichnen. Er musste sterben! So setzten die Phariäser alles daran, Jesus aus

der Welt zu schaffen.

Damals wusste noch keiner, dass der Einzug Jesu am Kreuz enden würde. Jesus hatte

es zwar immer wieder seinen Jüngern gesagt, fassen jedoch konnte es keiner. Allein

Jesus wusste, dass er, der Sohn Gottes, den Weg als Gottesknecht gehen musste,

von dem es heißt:

„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir

aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber

er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünden willen

zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten“ (Jes

53,4+5).

Er, so schreibt Paulus, ist „unser Friede“ (Eph 2,14). Jesu Leiden und Sterben hat dem

Segen eine neue Dimension gegeben. „Der Segen kann sich auch in Kreuz und Tod

verbergen.“250 Wenn es im Alten Testament vom Segnen heißt: Ihr sollt den Namen

Gottes auf den Menschen legen, so heißt es für Christen, den Namen Jesu auf einen

Menschen zu legen und zu sagen: „Du gehörst trotz allem Gott.“251

Trotz deiner Schmerzen, trotz deiner Behinderung, trotz deines Leidens in Ehe und

Familie: Du gehörst trotz allem Gott!

249 Vgl. Strack/Billerbeck, Bd. I, S. 843 und Michel, oros, S. 284+285. 250 Westermann, C., Segen, S. 251 Bonhoeffer, D., in: Auslegungen und Predigten, 2. Aufl., München 1965, S. 596.

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Viele Christen verbinden die Segensworte mit dem Zeichen des Kreuzes. Die Erteilung

des Segens am Schluss eines Gottesdienstes und bei einer Andacht steht und endet

für viele mit dem Zeichen des Kreuzes. Vor allem aber beim Besuch von Kranken und

Sterbenden hat das Zeichen des Kreuzes eine unaufgebbare Bedeutung.

Die Reaktion der religiösen Repräsentanten des damaligen Judentums zeigt: Wenn es

um die Entscheidung für oder gegen Jesus geht, kann ich Jesus auch mit frommen

oder zumindest fromm klingenden Worten ablehnen.

Gebe Gott, dass wir singen und beten können mit Worten aus dem Lied „Jesus zieht

in Jerusalem ein“:

„Seht, er kommt geritten, auf dem Esel sitzt der Herr, Hosianna.

Komm, Herr Jesus, komm, Herr Jesus,

komm, Herr Jesus, auch zu uns“ (EG 314,2).

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XI. Der Hahn – Wächter und Mahner

Huhn und Hahn kannte man in Mesopotamien,

Ägypten und Griechenland bereits im zweiten und

ersten Jahrtausend vor Christus.252 Ein in der

Gegend von Lachisch gefundenes Siegel zeigt

deutlich einen mächtigen Kampfhahn. Der Abdruck

des Stempelsiegels von tell en-Nasbe253 von ca.

700 v.Chr. trägt die Inschrift: „(Siegel) des Jaasanja

des Dieners des Königs“.254 Im Alten Testament

jedoch wird der Hahn (hebr. saekwi) nur einmal

erwähnt, und zwar im Buch Hiob.255

Die Übersetzung der Stellte lautet: „Wer hat dem

Hahn Einsicht gegeben?“ (Hi 38,36b). Bei

Torczyner heißt es: „Wer hat den Hahn mit Vernunft begabt?“ Und Martin Buber

überträgt: „Wer hat Merksamkeit gegeben dem Hahn?“256

Die für Buber typische Wortschöpfung „Merksamkeit“ ist eine gute Erklärung für die

beiden, dem Hahn zugeschriebenen Eigenschaften:

➢ Der Hahn sieht die Sonne noch vor ihrem Aufgang.

➢ Mit seinem Krähen kündigt der Hahn das Erscheinen der Sonne an.257

Mit seinen Eigenschaften hat der Hahn Eingang gefunden in das jüdische Morgen-

gebet. Täglich betet der Jude am Morgen den folgenden Lobpreis Gottes: „Gelobt sei

der, welcher dem Hahn (hebr. saekwi) Einsicht gegeben zwischen Tag und Nacht.“258

Warum der Hahn im Alten Testament nur einmal erwähnt wird, dafür gibt es folgende

Erklärung: Im Talmud, der jüdischen Auslegung des Alten Testamentes, steht das

Gebot: In Jerusalem dürfen keine Hühner gehalten werden, „damit das Opferfleisch

nicht von Insekten und Larven aus dem Hühnerdung verunreinigt wird“.259 Vermutlich

beschränkte sich das Verbot nur auf den Tempelplatz.260

Wenn zur Zeit Jesu der Hahn allgemein bekannt war, ist dies darauf zurückzuführen,

dass die Römer im Heiligen Land Hühner gehalten haben. Das Krähen des Hahnes

war in neutestamentlicher Zeit das Bild für die sogenannte dritte Nachtwache von 24

bis 3 Uhr. Diese wurde als „Hahnenschrei“ bezeichnet.261

252 Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 118. 253 Zu tell-en Nasbe vgl. Keel/Küchler, Bd. II, S. 893. 254 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 140. 255 Zur Übersetzung von saekwi mit Hahn vgl. Delitzsch, Fr., Hiob, S. 468 und Koehler/Baumgartner, S. 921. 256 Siehe Torczyner und Buber zur Stelle. 257 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 123. 258 Zitiert bei Delitzsch, Fr., Hiob, S. 468. 259 Zitiert nach Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 118. 260 Vgl. Kranz, S., Fauna Palästinas, in: Jüdisches Lexikon, Bd. II, Sp. 600. 261 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 117.

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So sagt Jesus den Jüngern in seiner Mahnung zur Wachsamkeit: „Denn ihr wisst nicht,

wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zur Mitternacht oder um den

Hahnenschrei oder des Morgens“ (Mk 13,35). Und in der Ankündigung der Verleug-

nung des Petrus verwendet Jesus dieselbe Zeitangabe: „Wahrlich, ich sage dir: In

dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ (Mt 26,34).

In der jüdischen und christlichen Symbolik spielt der Hahn jedoch eine diametral ent-

gegengesetzte Rolle. In manchen jüdischen Richtungen ist ein Hahn das stellvertre-

tende Sühneopfer. Im Christentum gilt er als Wächter und Mahner.

1. Der Hahn als Stellvertreter im Judentum

Es gibt einen alten Brauch am Vorabend des

großen Versöhnungstages. Er wird zum Teil

bis heute praktiziert. Der große Versöhnungs-

tag, der Jom Kippur, ist für Juden „der heiligste

Tag des jüdisch-religiösen Jahres“.262j

Der Höhepunkt des großen Versöhnungstages

sind die Worte, die seit der Einsetzung dieses

Tages allen an diesem Tag vor Gott Versam-

melten zugesprochen wurden: „Denn an

diesem Tag geschieht eure Entsühnung, dass

ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn“ (3.

Mose 16,30).263

Am Rüsttag des Versöhnungstages werden sogenannte Opfer der Sühne (hebr.

kapparot) dargebracht.264 Dabei opfert man zur Sühne einen Hahn oder eine Henne,

je nach Geschlecht des Sünders. Eine schwangere Frau, die noch nicht weiß, ob sie

einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt bringen wird, opfert beides.265

Auf einem Holzschnitt aus dem Buch von Antonius Magaritha „Der ganz jüdische

Glaub“ von 1530 sieht man Männer, Frauen und Kinder, die einen Hahn bzw. eine

Henne in einer Hand halten.

Vor der eigentlichen Zeremonie sagt man Worte aus dem Psalm 107: „Menschen, die

in Finsternis und Todesschatten wohnen, gefesselt in Elend und Eisen, weil sie wider-

spenstig waren dem Worte Gottes und des höchsten Rat verhöhnt… schrien zum

Ewigen in ihrer Not. Aus ihrer Bedrängnis errettete er sie. Er führte sie aus Finsternis

und Todesschatten und er zerriss ihre Bande“ (Ps 107,10-14).266

Ihr Gebet mündete dann ein in den Satz: „Ich fand einen Sühner.“267

262 Joseph, M., Jom Kippur, in: Jüdisches Lexikon, Bd. III, Sp. 309+310. 263 Vgl. Vries, S. Ph. de, Jüdische Riten und Symbole, S. 86. 264 Vgl. Joseph, M., kappara, in: Jüdisches Lexikon, Bd. III, Sp. 588. 265 Vgl. Lau, J. M., Wie Juden leben, Gütersloh 1988, S. 187. 266 Übersetzung nach Zunz zur Stelle. 267 Vgl. Lau, S. 187.

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Nach dem jüdischen Gebetbuch mit deutscher Übersetzung von Rabbi Bamberger

legte man die Hand auf den Kopf des gefundenen „Sühners“.268 Mit diesem Akt über-

trug man nach Vorbild des alttestamentlichen Sühneopfers seine eigene Schuld auf

das Tier.269

Die eigentliche Zeremonie am Vortag des großen Versöhnungstages ist dargestellt auf

einem Festblatt. Der Vater des Haues ist in der Regel ganz in weiß gekleidet. Das

Weiß symbolisiert das Wort des Propheten Jesaja: „Waren eure Sünden auch rot wie

Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Waren sie rot wie Purpur, sie sollen

weiß werden wie Wolle“ (Jes 1,18). Aus diesem Grund wird ein weißer Hahn bevorzugt

als Zeichen für die Vergebung der Sünden.

Den Hahn schwenkt der Hausvater um den Kopf und sagt dabei dreimal die Worte:

„Das ist mein Stellvertreter, das ist mein Auslöser, dieser Hahn geht dem Tod ent-

gegen, ich aber gehe einem guten Leben und Frieden entgegen.“270

Einige jüdische Gelehrte untersagten diese Sitte. Der bedeutendste jüdische Philo-

soph und Gesetzteslehrer des Mittelalters, Mose Maimonides (1135 – 1204), hat diese

Sitte verboten, weil sie auf die Amoräer zurückgeht.271 Die Amoräer waren Rabbiner

der jüdischen Periode von ca. 200 – 500 n.Chr. Sie sind die Verfasser der Gemara –

der Erläuterungen zur Mischna, dem Grundbestand des Talmuds und vieler Midra-

schim, vieler Auslegungen im Anschluss an die Toravorlesungen und des Jerusalemer

Talmuds.272 Viele deutsche und polnische jüdische Autoritäten sind für die Sühnehand-

lung mit dem Hahn eingetreten, sodass sie bis heute als alter Brauch geübt wird.273

Der geschlachtete Hahn bzw. die geopferten Hühner werden anschließend an Arme

verteilt. Die Juden, die den Hahn bzw. die Hühner als Sühneopfer ablehnen, verteilen

Münzen an die Armen. Für sie ist das Geld das Opfer der Sühne.274 Hinter der Sühne-

handlung (hebr. die Kappora), wie immer sie praktiziert wird, steht die Gewissheit: Ich

habe einen Auslöser, einen Stellvertreter gefunden, das ist meine Sühne!275

In klarer Abgrenzung zum Judentum schreibt Paulus: „Christus hat sich selbst darge-

boten für uns als Gabe und Opfer“ (Eph 5,2). „Er ist der Sünde gestorben ein für alle

mal“ (griech. ephapax) (Röm 6,10). Und in dem Brief, der an Christen geschrieben ist,

die ehemals Juden waren, heißt es: „“Wir sind geheiligt ein für alle mal (ephapax) durch

das Opfer des Leibes Jesu Christi… denn mit einem Opfer hat er für immer vollendet,

die geheiligt werden“ (Hebr 10,10+14).

Das das Christsein von allen andere Religionen Unterscheidende ist: Jesu Opfertod

am Kreuz ist das alle andere Opfer Ablösende und Überbietende. Jesus und Jesus

268 Vgl. Sidur Sefat Emet, Basel 1960, S. 250 (Anm.). 269 Vgl. Bräumer, Hj., 2. Mose 19-40, S. 284. 270 Zitiert nach Lau, S. 187. 271 Ebd. 272 Zu den Amoräern, vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 636. 273 Vgl. Joseph, M., Kappora, in: Jüdisches Lexikon, Bd. III, Sp. 588und Lau, S. 187. 274 Vgl. ebd. 275 Auch im Islam gibt es den Brauch des Sühneopfers. Frau Bitlis sen. Opferte anlässlich des muslimischen Opferfestes ein Lamm bzw. den Geldwert eines Lammes für arme Moslems.

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allein ist unser Stellvertreter und sonst keiner. Entsprechend ist in der christlichen Sym-

bolik der Hahn nicht mehr das stellvertretende Opfer, sondern, wie es seiner kreatür-

lichen angeborenen Eigenschaft entspricht, der Mahner und Wächter.

2. Der Hahn als Mahner und Wächter

Eine der Stätten, die ich mit Vorliebe auf allen Israelreisen

aufsuchte, ist die Kirche St. Peter beim Hahnenschrei.

Auf der Kuppel der großen Kirche sieht man eine Welt-

kugel und darauf ein Kreuz, das Zeichen des einzigen

Erlösers. Er gab sein Leben stellvertretend für die Sünden

der ganzen Welt. Er starb, auf dass alle, die an ihn glau-

ben, ewiges Leben bei Gott haben werden. Auf dem

Kreuz zu erkennen ist ein in der Sonne glänzender ver-

goldeter Hahn.

Der mit seinem Krähen den neuen Morgen ankündigende

Hahn ist die Erinnerung an die Verleugnung des Petrus.

Es war nach der Einsetzung des Heiligen Abendmahls. Jesus ging mit den ihm ver-

bliebenen elf Jüngern nach Gethsemane. Den Weggang des Judas konnte noch keiner

verstehen. Während des Weggespräches sprach Jesus die Worte: „In dieser Nacht

werdet ihr alle an mir zu Fall kommen…“ Petrus erwiderte: „Wenn alle an dir zu Fall

kommen, ich niemals!“ Da sprach Jesus zu ihm: „In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht,

wirst du mich dreimal verleugnen“ (Mt 26,31-33).

In Gethsemane tauchte Judas noch einmal auf und verriet Jesus mit einem Kuss.

Gefesselt wurde Jesus von Gethsemane in den Palast der Hohepriester geführt. Er

stand an der Stelle, an dem die Kirche St. Peter beim Hahnenschrei steht. Es war ein

Doppelpalast. Auf der einen Seite residierte der Seniorhohepriester Hannas, auf der

anderen der amtierende Hohepriester Kaiphas. Gebaut waren die Paläste um einen

Innenhof.

Johannes, der als Fischlieferant dem Wachpersonal bekannt war, hatte Petrus mit zum

Lagerfeuer hineingeschmuggelt.276 Johannes als Augenzeuge berichtete, was sich

dort ereignete. Als Erste sprach die Torhüterin Petrus darauf an: Ich habe dich schon

einmal im Gefolge von Jesus gesehen. Die spontane Reaktion des Petrus war: „Ich

bin das nicht!“ Noch einmal auf seine Jüngerschaft angesprochen, sagte Petrus: „Ich

bin’s nicht!“ Ein Verwandter des Malchus, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte,

wandte sich an ihn mit der Frage: „Sah ich dich nicht im Garten bei ihm?“ Petrus aber

leugnete zum dritten Mal – und in diesem Augenblick krähte der Hahn (vgl. Joh 18,25-

27)!

Genau in dem Augenblick wurde Jesus über eine Galerie vom Palast des Hannas zu

dem des Kaiphas geführt, so dass er auf den Hof mit dem Kohlenfeuer hinabblicken

konnte. Jesus blieb einen Augenblick stehen. Er blickte Petrus nur an.

276 Vgl. Schein, B., Following the Way, The Settling of John’s Gospel, Minneapolis/Minnesota 1980, S. 166.

Kreuz und Hahn auf dem Turm der Kirche St. Peter Gallicantu

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Da erinnerte sich „Petrus an die Worte des Herrn, die er zu ihm gesagt hatte: „Ehe der

Hahn heute kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und

weinte bitterlich“ (Lk 22,61.62).

Der Glaubensheld, der Sprecher der Jünger und der Aktivist von Gethsemane, hatte

jämmerlich versagt. Er hatte Jesus dreimal verleugnet, wie Jesus es ihm auf dem Weg

nach Gethsemane auf den Kopf zugesagt hatte.

Petrus war gescheitert. Der aber, der an keinem zu Fall Gekommenen, an keinem

Gescheiterten vorübergeht, ist Jesus! Das ist die Würde Jesu!

Jesus, gefesselt zu Kaiphas geführt, wandte sich zu Petrus und sah ihn an. Damit

sagte Jesus: Erinnere dich Petrus! Kehr um! Komm wieder zurück! Petrus verstand

diesen Blick Jesu. Er verließ den hohepriesterlichen Palast und weinte bitterlich. Er

bereute. Reue heißt: „Der Mensch muss sich in die Tatsache, dass er Sünder ist,

hineinstellen und die Scham aushalten; daraus geht die Erneuerung hervor.“277

Das Krähen des Hahns war für Petrus ein Zeichen der Mahnung. Er, Petrus hatte nicht

gehalten, was er versprochen hatte!

In der Kantate von Johann Sebastian Bach „Herz und Mund und Tat und Leben“ heißt

es in der dritten Arie in dem von Salomo Frank verfassten Text:

„Schäme dich, o Seele, nicht,

deinen Heiland zu bekennen,

soll er dich die seine nennen

vor des Vaters Angesicht!

Doch wer ihn auf dieser Erden

zu verleugnen sich nicht scheut,

soll von ihm verleugnet werden,

wenn er kommt zur Herrlichkeit.“278

Jesus hatte jedoch nicht nur die Verleugnung des Petrus mit angehört. Er sah auch,

wie Petrus hinausging und bitterlich weinte. Der auf ihn gerichtete Blick Jesu hatte ihn

dazu veranlasst. Er wusste Jesus, hatte sich nicht von ihm abgewandt. Jesus wacht

über mein Leben. So war der Hahnenschrei für ihn nicht nur Mahnung, sondern auch

Zeichen der Hoffnung.

Jesus wacht, solange ich lebe, über mich. Als nach der Auferstehung Petrus Jesus

wieder begegnete, da fragte Jesus ihn dreimal: Petrus, liebst du mich? Es war wieder

an einem Kohlenfeuer. Natürlich erinnerte sich Petrus an den Hahnenschrei in Jeru-

salem. Damals sprach er dreimal: Ich kenne den nicht! Jetzt aber sagte Petrus: Du

weißt, dass ich dich lieb habe (Joh 21,15-19).

Petrus setzte seine ganze Hoffnung auf Jesus. Er sprach nicht mehr mit geschwellter

Brust: Ich werde niemals mehr an dir zu Fall kommen. Nun sagte er: Ich setze mein

277 Guardini, R., Vorschule des Betens, 7. Aufl., Einsiedeln 1964, S. 72. 278 Bachwerke Verzeichnis 147.

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Vertrauen auf dich! Der Hahnenschrei wird mich erinnern: Du wachst über mich. Du

wirst mich nie verlassen. Ich werde für immer bei dir sein.

Auf der Kirche St. Peter in Gallicantu sitzt der Hahn auf dem Kreuz des Erlösers als

Mahner und Wächter. Seine Mahnung lautet: Schäme dich, o Mensch, nicht, deinen

Heiland zu bekennen. Das Krähen des Hahnes ist der Wachruf: Steh kompromisslos

auf meiner Seite. Meine Erlösung der Welt am Kreuz gilt auch dir.

Von Martin Luther sind folgende Worte überliefert:

„Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewe-

sen, den Forderungen Gottes zu genügen. Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott

mir um Christi willen dies täglich beweinte Zurückbleiben vergebe, so ist’s aus mit

mir.

Ich muss verzweifeln. Aber dass lass ich bleiben. Wie Judas an den Baum mich

hängen, das tu ich nicht. Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi wie die Sün-

derin. Ob ich auch noch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest.

Dann spricht er zum Vater: Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts

gehalten und alle deine Gebote übertreten, Vater, aber er hängt sich an mich. Was

will’s! Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlupfen. Das soll mein Glaube sein.“

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XII. Hornisse – ein Symbol der Niedergeschlagenheit und

Entmutigung

In einem Sprichwort heißt es: „7 Stiche töten ein

Pferd, 3 Stiche einen Menschen.“

Laboruntersuchungen haben jedoch ergeben, dass

der Stich einer Hornisse weit ungiftiger ist als der

der Honigbiene.279

Die Hornisse gehört zu den sogenannten

Hautflüglern. Neben den Käfern stellen die

Hautflügler die größte Insektenordnung dar mit ca. 150 000 Arten.280

Die Körpergröße der Königin beträgt ca. 23 bis 35 mm, die der Arbeiterinnen 18 bis 25

mm. Im Herbst, wenn die Nächte kühler werden, gehen die Königinnen, die

Arbeiterinnen und die Männchen ein. Allein die jungen befruchteten Weibchen

überwintern. Sie sind die Königinnen der kommenden Saison. Diese beginnen im

Frühjahr erneut mit der Gründung eines Hornissenstaates.281

Weit gefährlicher als die in Mitteleuropa vorkommenden Hornissenarten ist die

Hornisse im Vorderen Orient, die sogenanten vespa orientalis.282 Im Mittleren Osten

gibt es vier Arten von Hornissen. Zwei davon bauen ihre Nester in der Höhe, die

anderen beiden in Felshöhlen oder unter der Erde. Ungereizt sind die Hornissen

harmlos, aufgescheucht aber sind sie zu fürchten.283

Hornissen sind insofern nützlich, als sie viele Insekten vernichten. Ihre Larven werden

ausschließlich mit zerkauten Insekten gefüttert. Wenn jedoch keine Brut mehr zu

versorgen ist, machen sich Hornissen über reife Früchte her. Wenn diese angefressen

sind, haben sie für den Obstbauern keinen Wert mehr.284

In der Bibel kommt die Hornisse nur dreimal vor, und zwar im Alten Testament. Dabei

handelt es sich an jeder Stelle um denselben Gedanken. In dem ihnen von Gott

zugesagten Land werden die Hebräer von ihren Feinden dadurch befreit, dass Gott

ihnen Schwärme von Hornissen schickt.285 Im Einzelnen lauten die Zusagen Gottes

nach der revidierten Lutherübersetzung von 2017:

➢ „Ich will Hornissen vor dir hersenden, die vor dir vertreiben die Hiwiter,

Kanaaniter und Hetiter“ (2. Mose 23,28).

279 Wikipedia, Hornisse, S. 5+6. 280 Vgl. Schouten, S. 148. 281 Vgl. ebd. 282 Vgl. Wikipedia, Hornisse, S. 5. 283 Vgl. Köhler, L., Kleine Lichter. 50 Bibelstellen erklärt, Zürich 1945, S. 18+19 und Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 163. 284 Schouten, S. 148. 285 Vgl. Köhler, L, Kleine Lichter, S. 17+18.

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➢ „Dazu wird der Herr, dein Gott, Hornissen unter sie senden, bis umgebracht

sein wird, was übrig ist und sich verbirgt vor dir“ (5. Mose 7,20).

➢ „Ich sandte die Hornissen vor euch her, die vertrieben sie vor euch, die beiden

Könige der Amoriter, und nicht dein Schwert, noch dein Bogen“ (Jos 24,12).

Die Einnahme des ihnen von Gott versprochenen Landes haben die Hebräer nicht

ihren Waffen, sondern Gott zu verdanken.286 Von Gott gesandte Hornissen jagten

ihnen voraus, um die, die ihnen Widerstand leisteten, zu vertreiben. Außerdem waren

es Hornissenschwärme, die hinter ihnen herzogen, um die, die einen Hinterhalt bilde-

ten, unschädlich zu machen.287

Für unvoreingenommene Bibelleser bleiben zwei Dinge nicht nachvollziehbar:

➢ Wie können Hornissen vor einwandernden Stämmen vorherfliegen?

➢ Können Einheimische die Hornissen nicht eher ertragen als Neulinge im

Land?288

Bibelausleger übertragen den Begriff Hornisse deshalb mit einem von Gott veranlass-

ten „Entsetzen“289 oder mit „Panik“290, die Gott ausbrechen ließ. Entsprechend stehen

noch in der Lutherausgabe vor der revidierten Ausgabe von 2017 statt Hornissen die

beiden Worte „Angst und Schrecken“. Mit Recht jedoch ist die Lutherübersetzung von

2017 zu der Übersetzung mit Hornissen zurückgekehrt. Übereinstimmend übertragen

die ersten Übersetzungen den hebräischen Begriff mit „Hornisse“. Weder in der grie-

chischen (LXX), noch in der lateinischen (V), auch nicht in der syrischen (S) oder ara-

mäischen (T) Übersetzung findet sich eine Ersatzbezeichnung wie „Angst und Schre-

cken“ oder „Panik“. Alle alten Übersetzer entscheiden sich für Hornisse.291

Was bleibt ist die Frage: Welche symbolische Bedeutung hat der in der Bibel vorkom-

mende Begriff „Hornisse“ (hebr. sircāh)? Bei der Beantwortung hilft ein Blick in das

arabische Wörterbuch. Im Arabischen ist der Name des im Mittleren Osten in vier Arten

vorkommenden Insektes Hornisse die bildhafte Bezeichnung für „Niedergeschlagen-

heit“ und „Entmutigung“.292

Zur Zeit der Könige erinnerte man sich immer wieder, wie es dazu kam, dass die Isra-

eliten in das ihnen zugesagte Land einwandern konnten. Sie wussten, dass Niederge-

schlagenheit und Entmutigung die symbolische Wirkung von Hornissenschwärmen

haben. Eine solche Niedergeschlagenheit befiel den König Josaphat. Er regierte in den

Jahren 874 – 849 v.Chr. Sein Regierungssitz war Jerusalem. Er hatte Rechtsreformen

durchgeführt, sein Heer neu geordnet und sorgte für die Reinhaltung der Gottesdienste

im Tempel. In der Geschichtsschreibung wird er zu den die bedeutendsten Königen

neben Hiskia und Josia gezählt.293

286 Vgl. Hertzberg, W., Die Bücher Josua, Richter, Ruth, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 135. 287 Vgl. Jacob, B., Das Buch Exodus, Stuttgart 1997, S. 741. 288 Vgl. Köhler, Kleine Lichter, S. 19. 289 Hertzberg, S. 131. 290 Scharbert, J., Exodus, Würzburg 1989. 291 Vgl. Seidel, Th., sara’āt, in: ThWBAT, Bd. VI, Sp. 1128. 292 Vgl. Köhler, L., Kleine Lichter, S. 21 und Koehler/Baumgartner, Lexikon in Veteris Testamenti Libros, Leiden 1958, S. 817. 293 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 530.

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Eines Tages erschienen Boten am Königshof mit einer Nachricht, die alles zunichte zu

machen drohte. Eine mit den Israeliten eng verbundene Völkerschaft, die Moabiter,

schloss ein Bündnis mit einem aramäischen Stammesverband, den Ammonitern, um

gegen Josaphat in den Krieg zu ziehen. Der Allianz schlossen sich arabische Noma-

den an, die Meuniter, die Bewohner des Gebirges Seir. Sie kamen von jenseits des

Toten Meeres. Sie sammelten sich in Engedi am Westufer des Toten Meeres und

zogen über die sogenannte Blumensteige in Richtung des Tales am Fuße Tekoas.294

Josaphat wusste, dass sein Heer dieser Übermacht nicht gewachsen war. Er rechnete

mit dem Untergang seines Reiches und mit seiner Hinrichtung. Er war total niederge-

schlagen und entmutigt. Da dachte er daran, welche Folgen die Niedergeschlagenheit

hatte, als seine Vorfahren in das ihnen von Gott zugesagte Land einzogen. Damals

war es die Niedergeschlagenheit, die die Feinde der einwandernden Hebräer lähmte

und Schachmatt setzte. Josaphat wusste, dass, wenn er in seiner Niedergeschlagen-

heit und Entmutigung stecken blieb, ihm dasselbe Los blühte. Deshalb fasste er drei

programmatische Entscheidungen, die ihn von seiner Niedergeschlagenheit befreiten:

➢ Er breitete seine Not vor Gott aus.

➢ Er wartete auf ein wegweisendes Gotteswort.

➢ Er dankte Gott noch bevor er wusste, wie alles werden sollte.

1. Josaphat hat sein Volk aufgerufen, mit ihm zu beten

Im Tempel stellte er sich an die Spitze der Betenden und sprach:

„Jahwe, Gott unser Väter… Wir wollen in unserer Not zu dir rufen und du

wirst uns erhören und uns retten… Wir wissen nicht, was wir tun sollen.

Auf dich sind unsere Augen gerichtet“ (2 Chro 20,6+9+12).

Dabei wusste Josaphat, dass man vor Gott nicht stolz stehen darf. Er warf sich auf die

Erde, damit er nicht anmaßend dastehe. Die Not, in die Josaphat durch seine Entmu-

tigung und Niedergeschlagenheit geraten war, lehrte Josaphat das Beten. Das Sprich-

wort „Not lehrt beten“ ist keine Kennzeichnung für Feiglinge und Schwächlinge. „Not

lehrt beten“ ist eine königliche Entscheidung. Wie König Josaphat können Sie und ich

in jeder aussichtslosen Situation unsere Knie vor Gott beugen. Wir können und dürfen

jedes Problem vor Gott ausbreiten.

2. Josaphat wartete auf Gottes wegweisendes Wort

Josaphat hatte den Tempel nicht verlassen, bevor ihm Gott neuen Mut zusprach. Im

Falle Josaphats war es ein Diener Gottes, der dem König und dem betenden Volk die

folgenden Worte zusprach:

294 Vgl. Bräumer, Hj., 2. Chronik, S. 174-176.

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„Fürchtet euch nicht! Lasst euch nicht erschrecken vor der gewaltigen

Menge, die euch zu vernichten droht. Der Kampf ist nicht eure Sache. Er ist

Gottes Sache“ (2 Chr 20,15).

Der Gottesbote, der diese Worte sprach, hatte den Namen „Gott sieht“ (hebr. Jahasiel).

Gott verschließt vor keinem, der in seiner Not zu ihm betet, die Augen. Im Neuen Tes-

tament ist es der Apostel Jakobus, der niedergeschlagene Christen die Worte zurief:

„Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch“ (Jak 4,8). Traut Gott alles zu: Er wird eure

Niedergeschlagenheit in Freude verwandeln.

3. Josaphat dankte Gott, noch bevor er etwas von Gottes Ein-

greifen sehen konnte

Josaphat wusste um die Gebete der Väter seines Volkes und um ihre Erfahrungen.

„Sie riefen zum Herrn in der Not und er führte sie aus ihren Ängsten“ (Ps

107,6+13+28). In seinem Gebet im Tempel befolgte Josaphat die im Gebetbuch der

Bibel stehende Anweisung für den rechten Gottesdienst. Dort heißt es:

„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich prei-

sen“ (Ps 50,15).

Noch bevor Josaphat etwas vom Eingreifen Gottes sehen konnte, beauftragte er alle

Sänger im Tempel, das Lied anzustimmen:

„Danket dem Herrn, denn seine Barmherzigkeit währet ewiglich“ (2 Chro

20,21).

Gott danken heißt: mit Gottes Gegenwart und seiner Wegführung rechnen. Gott dan-

ken ist Ausdruck der Ehrung Gottes und seines Namens.295

Als Mose Gott nach seinem Namen fragte, sagte Gott nichts über den Klang seines

Namens oder über sein Sein aus. Er redete vielmehr davon, wie er, Gott, sich seinem

Volk gegenüber verhält. In der griechischen und lateinischen Übersetzung wird die

Antwort Gottes übertragen mit der Wendung: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3,14). Bleibt

man beim hebräischen Text, so kann dieser nur übersetzt werden mit: „Ich werde da

sein“ bzw. „Ich bin da bei euch.“296 Wenn Josaphat den Sängern den Text vorgibt:

„Danket dem Herrn“, so heißt dies: Rechnet damit, dass Gott erfüllt, was sein Name

besagt: Ich bin da bei euch!

In dieser Gewissheit verließen Josaphat und die Hebräer den Tempel. Eines nahmen

sie mit aus dem Tempel, als sie der Übermacht der Feinde entgegenzogen. Sie san-

gen die Worte „Danket dem Herrn, denn seine Barmherzigkeit währet ewiglich“ (2 Chro

20,21).

Was sich inzwischen im Tal unterhalb Tekoas ereignet hatte, haben sie nicht mitbe-

kommen. Im biblischen Bericht heißt es: „Der Herr ließ einen Hinterhalt kommen… alle

rieben sich auf, einer wurde dem anderen zum Verderben“ (2 Chro 20,23).

295 Guardini, R., Tugenden, Würzburg 1963, S. 159. 296 Vgl. Bräumer, Hj., 2. Mose 1-18, S. 86.

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Es ereignete sich dasselbe wie beim ersten Einzug der Israeliten in das ihnen von Gott

zugewiesene Land. Schwärme von Hornissen fielen über ihre Gegner her. Niederge-

schlagenheit und Entmutigung hat sie aufgerieben. Sie fielen über einander her und

zerfleischten sich selbst. Im Unterschied zu Josaphat und den Judäern haben sie

keinen Ausweg aus ihrer Niedergeschlagenheit und Entmutigung gefunden. Sie ende-

ten in der Selbstzerstörung.

Josaphat und die Judäer waren in dem von ihnen eingeschlagenen Weg bestätigt. Sie

stimmten erneut ein in das Loblied, das ihr Gebet im Tempel bestimmte. Sie lobten

den Namen des Herrn (2 Chro 20,20).

Hornissenschwärme, wie sie im Alten Testament geschildert werden, sind ein Bild für

Niedergeschlagenheit und Entmutigung. Wenn ich niedergeschlagen bin, sehe ich

keine Zukunft mehr! Alles ist dunkel! Die Hoffnung schwindet mehr und mehr! Im Rück-

blick auf mein Leben sehe ich nur einen Trümmerhaufen!

In solchen Situationen bleibt nur der Weg, den Josaphat eingeschlagen hat:

➢ Josaphat fiel in seiner Not vor Gott nieder. Er betete!

➢ Josaphat wartete auf ein Gotteswort!

➢ Josaphat dankte Gott und lobte seinen Namen!

Gott danken und ihn loben heißt, sich immer neu sagen, dass der Name Gottes die

Zusage beinhaltet: Ich bin da bei euch!

Dieser Name Gottes „Ich bin da bei euch“ ist in Jesus Mensch geworden. In Jesus ist

Gott wirklich da, „zu uns hin, mit uns, zu mir hin, mit mir“.297 In Jesus ist Gott der mich

begleitende Weggefährte. Wenn ich solange darum bitte, bis ich seine Nähe erfahre,

öffnet sich mein Weg, der mich aus der Niedergeschlagenheit und Entmutigung

herausführt.

297 Bours, J., Der Gott, der mein Hirte war mein Leben lang, 5. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 1981, S. 72.

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XIII. Heuschrecke

„Heuschrecken haben keinen König, dennoch

zieht ihr Heer geordnet zum Kampfe aus“

(Sprüche 30,27).

Dieses Sprichwort steht in der Sammlung der

Weisheitssprüche des Alten Testamentes. Hintergrund ist

die Beobachtung des Verhaltens einer ganz bestimmten

Art von Heuschrecken. Im Vorderen Orient gibt es über

40 Heuschreckenarte.298 Ann 56 Stellen im Alten

Testament werden Heuschrecken erwähnt und mit nicht weniger als 9 verschiedenen

hebräischen Worten bezeichnet.299 Die einzelnen Namen stehen nicht nur für die

verschiedenen Arten der Heuschrecken. Einige kennzeichnen die unterschiedlichen

Entwicklungsstufen des Insektes, andere sind die Namen von Heuschrecken in den

Landschaften, in denen die Heuschrecken beheimatet waren.300

Die Vertreter der weitaus größten Gruppe der Heuschrecken, die sogenannten

Feldheuschrecken, sind auch in Mitteleuropa heimisch. Sie richten keinen

nennenswerten Schaden an. Anders ist dies bei der sogentannten ägyptischen bzw.

afrikanischen Heuschrecke, der Wanderheuschrecke.301

1. Die Heuschrecken als Symbol des Gerichts

Ausgewachsene afrikanische Wanderheuschrecken sind 5 bis 7 cm lang. Sie haben

kurze Fühler und schmale harte Vorderflügel. Ihre Hinterflügel, mit denen sie fliegen,

haben eine Flügelspanne von 12 cm. Die Flügel sind durchsichtig wie Glas und silber-

glänzend. Sie haben sechs Beine. Die beiden hinteren weisen lange kräftige Schenkel

auf. Damit können sie große Sprünge machen. Das Heuschreckenmännchen erzeugt

einen schnarrenden Ton. Die Weibchen legen ihre Eier in Eikapseln, in eine Umhüllung

für 80 – 100 Eier. Die Wanderheuschrecke ist ein Vielfraß. Sie benötigt täglich etwa

ihr Körpergewicht an Nahrung. Der kräftige Oberkiefer ist mit Zähnen besetzt, während

der Unterkiefer aus einer harten Hornkante besteht.

In einem Schwarm wird die Zahl der Tiere auf 35 Millionen geschätzt. Es gab jedoch

auch Schwärme von doppelter Größe. Man hat Wanderheuschrecken beobachtet, die

die Erde auf einer Fläche von 1 000 km² bedeckten.302

Im Heiligen Land bot sich den Bewohnern und Forschern häufig die Gelegenheit, das

Aussehen und die Lebensgewohnheiten der ägyptischen Wanderheuschrecke zu

beobachten. Bei ihren Invasionen 1899, 1904, 1915 und 1928 bedeckten sie in weni-

gen Stunden das Land. In kürzester Zeit fraßen sie den Boden kahl. Sie bevorzugten

298 Vgl. Krauss, S., Heuschrecke, in: Jüdisches Lexikon, Bd. II, Sp. 1586. 299 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 168 und Schroer, S. 135. 300 Vgl. Wolff, H. W., Dodekapropheton, Joel und Amos, Exkurs zu Joel 1,4, Neukirchen/Vlyn 1969, S. 30+31. 301 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 163. 302 Vgl. Schouten, S. 134 und Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 157+158.

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Getreide, Gemüse und Obstbäume, verschmähten aber auch Baumrinde und selbst

Leder nicht. Bei der Invasion von 1928 bedeckten sie weithin die Ebene Jesreel. Eng-

lische Truppen gingen mit 45 Flammenwerfern gegen sie vor. Allein im Ostjordanland

sammelte man 3 700 l Eier ein.303

Hans-Wilhelm Hertzberg – er war von

1923 bis 1931 evangelischer Propst in

Jerusalem – erinnert sich an Fotogra-

fien aus dem Heuschreckenjahr 1915.

Darunter war eine Aufnahme von

einem Feigenbaum, bevor die Heu-

schrecken kamen, und eine weitere

Aufnahme eine halbe Stunde später,

nachdem sie dagewesen waren. Es

war ein Unterschied, als ob man in

unseren Breitengraden einen Baum

im Juli oder im Dezember sieht.

Vom Erleben eines Heuschreckeneinfalls erzählt Hertzberg: „Wir fuhren mit unserem

offenen Wagen durch einen riesigen Schwarm hindurch. Ich sehe mich noch sitzen,

den Kragen hochgeschlagen, den Kopf eingezogen, mit der rechten Hand den linken

Ärmel und mit der linken den rechten Ärmel zuhaltend: dennoch füllte sich der Wagen

zwischen den Sitzen rasch mit dem Gewimmel der Tiere. Im Tal neben uns war es wie

ein dichtes Schneegestöber.“304

Reisende ins Heilige Land berichteten von der Heuschreckenplage im Jahr 1865. Kein

Haus war vor ihnen sicher. Durch Fenster und Türen drangen sie in die Wohnungen

ein.305 Aufgrund dieser und anderer Beobachtungen ist es verständlich, dass im Alten

Testament häufig auf Eigenarten der Wanderheuschrecken hingewiesen wird.306

In alttestamentlicher Zeit wurden Verwüstungen durch Heuschrecken als ein Gericht

Gottes angesehen. Denjenigen, der das Gesetz übertritt, soll der Fluch treffen: „Du

wirst viel Samen auf das Feld säen, aber wenig einsammeln, denn die Heuschrecken

werden’s abfressen“ (5. Mose 28,38).

In der Verkündigung der Propheten sind Heuschreckenschwärme Bilder des Gerichtes

Gottes an den Völkern und an Israel.

➢ Als Gottes Gericht bilden Heuschreckenschwärme die 8. Plage, die Ägypten

heimsuchte. So heißt es im 2. Buch Mose: „Am Morgen führte der Ostwind die

Heuschrecken herbei. Und sie kamen über ganz Ägyptenland und ließen sich

nieder überall in Ägypten, so viele, wie nie zuvor gewesen sind noch hinfort sein

werden. Denn sie bedeckten den Erdboden so dicht, dass er ganz dunkel

wurde. Und sie fraßen alles, was im Lande wuchs, und alle Früchte auf den

303 Vgl. Kraus, Jüdisches Lexikon, Bd. II, Sp. 1586. 304 Hertzberg, H. W., Blicke in das Land der Bibel, 2. Aufl., Berlin 1960, S. 34f. 305 Vgl. Cassuto, U., A Commentary on the Book of Exodus, 2. Aufl., Jerusalem 1974, S. 124. 306 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 158.

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Bäumen, die der Hagel übrig gelassen hatte, und ließen nichts Grünes übrig an

den Bäumen und auf dem Felde in ganz Ägyptenland“ (2. Mose 10,13-15).

➢ Der Prophet Joel beschreibt eine Heuschreckenplage, durch die Gott in Israel

eine Wirtschaftskrise auslöste, mit folgenden Worten: „Was der Schäler – die

junge Heuschrecke – übrig ließ, das fraß die Heuschrecke, was die Heuschre-

cke übrig ließ, das fraß die Larve, was die Larve übrig ließ, das fraß die Puppe“

(Joel 1,4).307

➢ Mit dem Einfall eines Heuschreckenschwarmes schildert der um 760 v.Chr. auf-

tretende Prophet Amos seinen „ersten Blick in das Gerichtswalten Gottes“.308

➢ In der Offenbarung des Johannes gehören Heuschrecken zur Gedankenwelt

der großen Gerichte Gottes (Offb 9,3-11). Zu den bei den letzten Gerichten

hereinbrechenden Strafen gehören Heuschrecken. Von ihnen heißt es: „Es

wurde ihnen Macht gegeben, dass die Menschen Qualen erleiden sollten fünf

Monate lang… In jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht

finden, sie werden begehren zu sterben und der Tod wird vor ihnen fliehen…“

(Offb 9,5+6). Der entscheidende Unterschied dieser Gerichtsaussage zu den

Gerichtsaussagen im Alten Testament ist: „Die Strafen treffen nur die, die das

Siegel Gottes nicht an ihrer Stirn haben“ (Offb 9,4). In der Offenbarung ist das

Siegel auf der Stirn das vor den Katastrophen bewahrende Zeichen des Kreu-

zes.

Das Zeichen des Kreuzes, auch wenn es nach außen nicht sichtbar ist, ist das

Bekenntnis, auf Jesu Seite zu stehen. Wer auf Jesu Seite steht, für den gilt Jesu Wort:

„Wer mein Wort hört und glaubt an den, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben

und kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen“

(Joh 6,21).

Wer sich zu Jesus als seinem Herrn und Heiland bekennt, braucht vor keinem drohen-

den, sich anbahnenden oder hereinbrechenden Gericht mehr in Angst oder Schrecken

zu geraten.

Jesus starb am Kreuz für alle unsere Sünden. In der großen Weissagung des Prophe-

ten Jesaja heißt es: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch

seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5).

Das Größte, was wir erleben können, ist: Wir sind seit Jesu Tod frei von Angst vor

Strafe und Gericht. Die Strafe, das Gericht liegt auf ihm…“der Herr warf alle unsere

Sünden auf ihn“.

Jesu Wort: „Wer an mich glaubt, kommt nicht in das Gericht“ ist die Umschreibung

dessen, was Gnade bedeutet. Wir können die Freiheit von Schuld und Sünde nicht

durch gute Werke oder Verdienste verdienen. „Gnade, die nicht umsonst gegeben

wird, ist keine Gnade“ (Augustinus).309

307 Übersetzung von Schroer, S. 135. 308 Hertzberg, H. W., Blicke in das Land der Bibel, S. 33. 309 Augustinus, Euchiridion 28,107, zitiert nach Lohse, B., Epochen der Dogmengeschichte, Stuttgart 1963, S. 119.

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Für Christen, die kompromisslos auf Jesu Seite stehen, sind Heuschrecken und Heu-

schreckenschwärme keine Zeichen des Gerichtes mehr.

2. Die Heuschrecke als Überlebenschance

Heuschrecke war im Alten Testament ein beliebter

Männername.310 Auf einem judäischen Siegel aus

der Zeit um 700 v.Chr. liest man die Aufschrift: Für

Asarja (den Sohn) des Heuschreckenschwarmes

(gebah). Darunter sieht man das fein eingravierte

Bild einer Wanderheuschrecke. Gebah war offen-

sichtlich der Name des Familiengründers.311

In den alttestamentlichen Speisegeboten wird die

Heuschrecke als einziges Insekt zu den reinen, d.h.

essbaren Tieren gezählt. Im Einzelnen handelt es sich dabei um vier Heuschrecken-

arten (3. Mose 11,21+22).312 Man entfernte den Heuschrecken den Kopf, die Flügel

und die Beine, mahlte den Körper zu Mehl und vermischte ihn mit Honig. Aus dieser

Masse wurde eine Art Brot gebacken.313 Das Fleisch der essbaren Arten wurde nicht

als Fleisch angesehen. Deshalb war die Zubereitung mit Milch gestattet.314 Heuschre-

cken wurden auch gedörrt, geröstet und eingesalzen. Für Beduinen sind Heuschre-

cken auch heute noch eine Delikatesse.315

Wenn es von Johannes dem Täufer heißt: „Seine Nahrung bestand aus Heuschrecken

und wildem Honig“, so heißt dies nichts anderes: Johannes ernährte sich wie ein Step-

penbewohner.316

Der Heuschreckenschwarm ist Bild des Gerichts und zugleich eine Überlebenschance.

Beduinen konnten nur mit Hilfe gerösteter oder gesalzener Heuschrecken bzw. dem

aus gemahlenen Heuschrecken gewonnenen Mehl überleben.

Angesichts der hereinbrechenden Gerichte werden nur die Christen in das ewige

Leben eingehen, die von Herzen singen und bekennen können:

Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn.“ (EG 350,1)

310 Vgl. Schroer, S. 137. 311 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 168. 312 Die aufgezählten Arten sind Arbe, Solam, Hargol und Hajab. Näheres wird über sie nicht ausgesagt. Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 159. 313 Vgl. Schouten, S. 134. 314 2. Mose 23,19; 34,26; 5. Mose 14,21; vgl. Strack/Billerbeck, Bd. I, S. 98. 315 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 162. 316 Vgl. Gnilka, J., Das Evangelium nach Markus, Mk 1-8,26, S. 28.

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XIV. Der Skorpion und das Ei

Das Bildwort „mit Skorpionen züchtigen“ hat Eingang

gefunden in den Zitatenschatz der Weltliteratur.317 Es

ist entlehnt dem Motto, mit dem König Rehabeam seine

Herrschaft antrat. Rehabeam war ein Sohn Salomos.

Bei seinem Regierungsantritt im Jahre 932 v.Chr.

wurde er gebeten, die Steuern zu ermäßigen und die

Härten der Zwangsarbeit zu erleichtern. Seine

unnachgiebige Antwort war:

„Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich aber werde euch mit

Skorpionen züchtigen“ (1 Kön 12,11+14).

Skorpione nannte man damals die Metallhaken, die an der vielschwänzigen Folterpeit-

sche befestigt waren.318 Die Schläge mit dieser Art Geißel rufen ähnliche schmerzhafte

Entzündungen hervor wie die Bisse von Skorpionen.319

In der Tierwelt gehören die Skorpione zu den Spinnentieren. Sie haben vier Paar Lauf-

beine. Das Mundgliedmaßenpaar ist groß und auffällig, weil es mit kräftigen Scheren

versehen ist. Damit wird das Beutetier gepackt, um es mit dem Giftstachel zu lähmen.

Der gekrümmte hohle Giftstachel ist mit zwei Giftdrüsen verbunden. Diese haben ihren

Sitz am letzten Ende des auffälligen Schwanzes des Skorpions.

Im vorderen Orient gibt es zwölf Arten von Skorpionen. Die größten im Heiligen Land

vorkommenden Skorpionen können bis zu 15 cm lang werden. Sie können ihren

Schwanz über den Rücken nach vorne legen, so dass sich der Giftstachel nahe beim

Kopf und den Scheren befindet.320 Der Stich der Skorpione ist für erwachsene Men-

schen nicht tödlich. Die Dauer und die stete Wiederholung jedoch steigern die Schmer-

zen bis ins Unerträgliche.321

Es hat auch in jüngster Zeit noch Todesfälle bei Kin-

dern bis zu zwölf Jahren gegeben, verursacht durch

den Stich der gefährlichsten Art, nämlich durch den

gelben Skorpion.322 Skorpione werden aber auch von

Erwachsenen mit Recht gefürchtet. Sie dringen häufig

in Zelte, Häuser und Schlafzimmer ein, weil in der

Nähe der Menschen allerlei Kleintiere zu finden sind,

die als Beute dienen können.323 Mit Vorliebe kriechen Skorpione in die Nester der

317 Zoozmann, R., Zitatenschatz der Weltliteratur, Berlin/Darmstadt 1960, S. 432. 318 Vgl. Candale, G. S., Schutz-Schuffeit, zitiert nach Tiere, in: GBL, Bd. III, S. 1568. 319 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 171. 320 Vgl. Schouten, S. 32. 321 Vgl. Behm, J., Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 1949, S. 52 und Lohse, E., Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 1993, S. 60. 322 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 167. 323 Vgl. Schouten, S. 33.

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Hennen. Aus Angst gestochen zu werden, greifen Orientale nicht gerne bei Dunkelheit

in die Nester.324

Ein aufgerollter gelber Skorpion ähnelt einem Ei, so dass ein unerfahrenes Kind diesen

Skorpion im Glauben, es handele sich um ein Ei, in die Hand nehmen könnte.325

Anknüpfend an einen solchen Gedanken sagt Jesus: „Könnt ihr euch vorstellen, dass

ein Vater, der sein Kind liebt, das Experiment wagt, seinem Kind einen Skorpion statt

eines Eis in die Hand zu geben?“ Auf eine solche Frage konnten die Hörer Jesu nur

sagen: Unmöglich!

➢ Kein Vater, der der Bezeichnung Vater würdig ist, wird seinem Kind statt eines

gewünschten Eis einen Skorpion geben.

➢ Wenn er nur die geringsten väterlichen Gefühle hat, wird er seinem Kind nie

etwas Schädliches oder gar etwas Todbringendes in die Hand geben.

In der damals üblichen Argumentationsweise der Rabbiner fährt Jesus fort, vom

Geringeren auf das Größere zu schließen.326 Jesu Worte lauten: „Wenn nun ihr, die

ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater

im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten“ (Lk 11,13).

Im Unterschied zu einem irdischen Vater ist der Vater im Himmel „über jeden Verdacht

der Bosheit erhaben“.327 Ein irdischer Vater weiß, was Bosheit ist. Er kann sein Kind

misshandeln und missbrauchen; „er ist imstande, seinem Kind unwiederbringlichen

Schaden zuzufügen“.328 Allein von Gott gilt, was Jakobus so formuliert: „Alle gute

Gabe, alle vollkommene Gabe kommt von oben, von dem Vater des Lichtes, bei dem

keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichtes und Finsternis“ (Jak 1,17).

Jesu Bildwort vom Skorpion und dem Ei und dem sich anschließenden Schluss vom

Geringeren auf das Größere ist mehr als ein Gleichnis. Es ist ein Stück „Gebetserzie-

hung“329 oder anders ausgedrückt, ein Kapitel aus Jesu Schule des Betens. Jesus

weiß um die Erfahrung des Betens, dass Gott dem Beter nicht immer das gibt, worum

er gebeten hat. Wenn ein Beter anderes als das von Gott Erwartete empfängt, kommt

es zum Argwohn und dem Misstrauen, dass man der fürsorgenden Liebe Gottes nicht

würdig ist.330 In seiner Schule des Betens wirbt Jesus um „das Vertrauen, dass auch

da, wo wir statt des Erbetenen anderes empfangen, der Vater am Werke ist“.331 In

einem gern gesungenen Kanon heißt es: „Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große

Gaben, ach, dass wir Armen nur so kleine Herzen haben.“332

„Um Füße bat ich – und er gab mir Flügel“ ist der Titel der Biografie der indischen

Ärztin Mary Verghese. Sie wurde kurz nach ihrem Examen so schwer verletzt, dass

324 Vgl. Lamsa, S. 312 325 Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 171. 326 Zu dem Schluss a minora ad maius vgl. Voigt, G., Der rechte Weinstock, 2. Aufl., Berlin 1974, S. 208 und Rengstorf, K.-H., Das Evangelium nach Lukas, Göttingen 1965, S. 147. 327 Rengstorf, Lukas, S. 147. 328 Schlatter, A., Der Evangelist Matthäus, 5. Aufl., Stuttgart 1959, S.246 und Schniewind, Matthäus, S. 99. 329 Ernst, J., Das Evangelium nach Lukas, Leipzig 1984, S. 250. 330 Vgl. Zahn, Th., Das Evangelium des Lukas, 4. Aufl., Leipzig 1920, S. 452. 331 Voigt, G., Der rechte Weinstock, S. 208. 332 Kanon von Johannes Petzold, 1946, nach einem Wort von Johannes Scheffler 1657, EG 411.

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sie von der Hüfte an abwärts gelähmt blieb. Es war ein langer Weg, bis sie ein Ja zu

ihrem neuen Leben fand. Durch die Spezialoperationen, die sie vom Rollstuhl aus vor-

nahm, konnte sie vielen sogenannten hoffnungslosen Fällen helfen und hatte selbst

ein erfülltes Leben.333

Seine kleine Gebetsschule im Anschluss an das Bildwort vom Skorpion und dem Ei

schließt Jesus mit den Worten: „Der Vater im Himmel wird den Heiligen Geist geben

denen, die ihn bitten“ (Lk 11,13).

Wie muss dieses Wort auf uns wirken, wenn wir Gott um die Genesung einer Krank-

heit, um Glück in unserer Ehe, um die Zukunft unserer Kinder, um gute Freunde und

um einen erholsamen Urlaub bitten. Ist dieses Wort dann nicht ein Vertrösten, weil

Gott mir in meiner Alltagsnot nicht helfen kann oder will? Muss es in einem solchen

Fall nicht enttäuschend sein zu hören: Gott will uns „nur“ den Heiligen Geist geben?

Zu dieser Schlussfolgerung kommt jeder, der nichts von der Größe Gottes weiß. Gott

denkt und handelt in weit größerem Horizont, als ich es als Glaubender nur von ferne

ahnen kann. Mit dem Heiligen Geist gibt Gott uns nicht nur das Gute, sondern „das

Beste“, was er zu vergeben hat. Die Gabe des Heiligen Geistes ist die „unzerstörbare

Gemeinschaft mit ihm“. Der Heilige Geist ist die „Anzahlung“ dafür, einmal in alle Ewig-

keit mit und bei Gott zu leben.334 Der Heilige Geist ist, wie es Paulus formuliert: „das

Unterpfand unseres Erbes“ (Eph 1,14):

Gott ist unser Vater. Als Kinder des himmlischen Vaters können wir Gott um alles bit-

ten. „Dabei gehört“, wie es Karl Rahner formuliert, „zum Bittgebet beides: die Gewiss-

heit der Erhörung und der restlose Verzicht nach eigenem Plan erhört zu werden“.335

Es klingt wie ein Gegensatz „Gewissheit der Erhörung“ einerseits und „restloser Ver-

zicht nach eigenem Plan erhört zu werden“. Und doch gilt es, an beidem festzuhalten.

Gewissheit der Erhörung ist das Vertrauen, Gott hört mein Gebet. Meine Worte, mein

Rufen und mein Bitten verhallen nicht im Leeren. Es ist die Gewissheit, Gott wird ant-

worten.

„Verzicht nach eigenem Plan erhört zu werden“, ist das Vertrauen, Gott handelt in

weiser Voraussicht. Er allein weiß, was für mich und mein Leben das Beste ist.

Jene indische Ärztin Mary Verghese hatte Monate um Füße gebetet. Sie konnte sich

ihr Leben und die Ausführung ihres Berufs als Gelähmte nicht vorstellen. Die Flügel,

die Gott ihr schenkte, war die einmalige Gabe, Menschen, die aufgegeben waren,

durch ihre Operationen vom Rollstuhl aus zu operieren und zu einem neuen Leben zu

verhelfen.

In dem Lied „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ von Samuel Rodigast aus dem Jahr 1675

heißt es:

„Was Gott tut, das ist wohlgetan, er mich mich wohl bedenken;

Er als mein Arzt und Wundermann wird mir nicht Gift einschenken

Für Arzenei; Gott ist getreu,

333 Zu dem Buch „Um Füße bat ich und er gab mir Flügel“ vgl. Voigt, G., Der rechte Weinstock, S. 208. 334 Voigt, G., Der rechte Weinstock, S. 209. 335 Rahner, K., zitiert nach Magnificat Februar 2016, S. 178.

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drum will ich auf ihn bauen und seiner Güte trauen.

Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben.

Es mag mich auf die raue Bahn, Not, Tod und Elend treiben,

so wird Gott mich ganz väterlich

in seinen Armen halten; drum lass ich ihn nur walten.“ (EG 372, 3+6).

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XV. Der Adler

„Auf Adlers Flügeln getragen“, so beginnt ein im 20. Jahrhundert viel gesungenes Lied.

Es stammt aus der Feder einer jungen Frau. Sie war mit einem Arzt verheiratet, der in

China wirkte. Aufgrund einer chronischen Erkrankung musste sie nach Deutschland

zurückkehren. Wie sie mit ihrem schweren Los, das sie bis zu ihrem Lebensende

begleitete, fertig wurde, kommt in ihrem Lied zum Ausdruck:

„Auf Adlers Flügeln getragen übers brausende Meer der Zeit, getragen auf Adlers

Flügeln bis hinein in die Ewigkeit!

Über Berge und Täler und Gründe, immer höher zur himmlischen Höh;

denn die Flügel sind stark, die mich tragen, die Flügel, auf denen ich steh.“336

Das Gleichnis von den Flügeln des Adlers findet sich zum ersten Mal im Bericht über

den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Am Horeb, dem Gottesberg auf der Halb-

insel Sinai, angekommen, beauftragte Gott Mose, die folgenden Worte an die Israeliten

zu richten:

„Ihr habt selbst gesehen, was ich an Ägypten tat, und

wie ich euch getragen habe auf Adlers Flügeln und

euch zu mir gebracht“ (2. Mose 19,4).

Auf der 1985 erschienenen israelischen Briefmarkenserie Adler

und Geier ist ein typischer Adler abgebildet. Der hebräische

Begriff für Adler (naešaer) kann allgemein die Bezeichnung für

große Raubvögel sein – u.a. für die verschiedenen Arten der

Geier.

Anlässlich eines Seminars in Paraguay lud uns einer der Veranstalter ein, ein Geier-

nest aufzusuchen. Die jungen Geier hatten ihr Nest tief in einem ausgehöhlten Baum.

Wir kletterten auf einen Baumstumpf, um in das Nest hineinzuschauen. Der Aasge-

stank nahm uns fast den Atem. Erschreckend war das Zischen der jungen Geier. Plötz-

lich riss uns unser Begleiter weg vom Nest. Er hatte einen kreisenden Geier in der

Höhe erblickt und wusste, dass wir in Todesgefahr waren. Ein Geier, der seine Jungen

verteidigt, würde erst von uns ablassen, wenn er uns mit seinem scharfen Schnabel

getötet hätte.

Der Gänsegeier ist ca. 1 m lang und hat eine Flügelspannweite

von fast 3 m. Er kam häufig auf dem Sinai vor und ist heute noch

im Negev zu sehen.

In der Höhe kreisende Geier sind nicht leicht von einem Adler zu

unterscheiden.337

336 Zu dem Lied von Anni von Werthern, geb. von Viehbahn, vgl. Brandenburger, H., Georg von Viehbahn, Aidlingen/Wuppertal 1984, S. 161+162. 337 Vgl. Cansedale, zitiert nach Kronholm, T., naešaer, in: ThWBAT, Bd. V, Sp. 683.

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Worauf es in dem biblischen Vergleich Gottes mit einem Adler

ankommt, ist die Spannweite der starken Flügel. Er, der

heilige Gott, war es, der die Israeliten wie auf Adlers Flügeln

getragen und aus Ägypten herausgeholt und durch die Wüste

geführt hat. Das in seiner Formulierung knappe Bild wird in

der Abschiedsrede des Mose näher erklärt, und zwar mit den

Worten:

„Wie ein Adler (hebr. naešaer) ausführt seine Jun-

gen und über ihnen schwebt, so breitete er seine

Fittiche aus und nahm ihn und trug ihn auf seinen

Flügeln“ (5. Mose 32,11).

Nach Martin Buber konnten die Israeliten diesen sogenannten „Adlerspruch“ auf dem

Hintergrund ihres eigenen Erlebens folgendermaßen verstehen und deuten: „In sei-

nem geschichtlichen Verhältnis zu Israel ist Jahwe mit einem Adler zu vergleichen. Der

Adler stöbert sein Nest auf und schwebt darüber hin und her, um seine Jungen das

Fliegen zu lehren. Die Jungen des Adlers sind die Nationen, denen Jahwe ihre Gebiete

zugeteilt und deren Grenzen er festgesetzt hat. Der große Adler breitet seine Flügel

über alle seine Jungen aus. Eines von ihnen, ein schüchternes oder ermattetes, nimmt

er auf und trägt es auf seinen Schwingen, bis dieses selber den Flug wagen und dem

Vater folgen kann, der seine steigenden Kreise zieht. Dieses schwache Junge ist das

Volk Israel.“338

Wie auf Adlers Flügeln führte Gott Israel aus der Sklaverei Ägyptens. Am Gottesberg

auf dem Sinai angekommen, richtet Gott die folgenden Worte an sein Volk: „Ihr sollt

mir ein persönliches Eigentum unter allen Völkern sein. Es gehört mir zwar die ganze

Erde, doch ihr sollt mir ein Königtum von Priestern und ein heiliges Volk sein“ (2. Mose

19,5+6).

• Persönliches Eigentum (hebr. segullāh) ist nicht irgendein persönlicher Besitz,

sondern eine höchste Kostbarkeit, wie ihn sich nur Könige leisten können. Es

ist ein Besitz, der einem König ans Herz gewachsen ist und den man mit „Kron-

juwel“ umschreiben könnte.339 Israel ist für Gott ein kostbares, persönliches

Eigentum, das er aus der Gemeinschaft der Völker herausgenommen hat.340

Der Hinweis Gottes, „die ganze Erde gehört mir“, heißt: Israel hat kein Monopol

auf Gott, sondern ist regelrecht ein Sondergut, „ein Besitz, der aus dem allge-

meinen Familieneigentum herausgenommen ist“.341 Gott ist und bleibt der

Schöpfer der gesamten Menschheit. Israel gehört grundsätzlich – zusammen

mit allen anderen Nationen – zum Gesamtbesitz Gottes.342

338 Buber, M., Moses, 3. Aufl., Heidelberg 1966, S. 121f. 339 Vgl. Zenger, Exodus, S. 193. 340 Vgl. Lipinski, segullāh, Sp. 749+752. 341 Buber, Moses, S. 124. 342 Vgl. Hertz (Hrsg.), S. 291.

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• Das Wort Königreich (hebr. mamlākāh) bedeutet „Königsherrschaft oder auch

Herrschaftsbereich des Königs“.343 Die Verbindung Königsherrschaft mit Pries-

tern ist im Alten Testament „singulär“.344 Priester kann in diesem Zusammen-

hang soviel bedeuten wie die, die ständig in der Nähe des Königs sind, Diener,

die einem Herrn unmittelbar zur Verfügung stehen, die zur „direkten Herr-

schaftssphäre des Herrn“345 gehören. Der Begriff Priester ist aber nicht zu tren-

nen von der Funktion, die die Priester in allen Völkern haben. Ihre Aufgabe ist

es, die Menschen näher zu Gott zu bringen.346

Benno Jakob nennt diese Würdigung Israels den Höhepunkt des 2. Buches Mose,

wenn nicht überhaupt der ganzen Bibel. Benno Jakob war einer der bedeutendsten

jüdischen Bibelwissenschaftler des letzten Jahrhunderts. Er begann seinen Kommen-

tar 1938/39 in seinem Hamburger Alterswohnsitz und beendete seinen ersten Entwurf

1940 in seinem Exil in London. An den Überarbeitungen der einzelnen Texte arbeitete

er bis 1943. Die damaligen jüdischen Gemeinden, für die er seinen Kommentar

schrieb, existierten nicht mehr. Sie wurden vom NS-Staat zerstört. Die Menschen, die

nicht emigrieren konnten, wurden umgebracht.347 Umso mehr war es sein Anliegen,

das innerste Verhältnis zwischen Gott und Israel herauszuarbeiten. Dabei hat er nicht

übersehen, dass Gott nicht nur Israel gehört, sondern die ganze Erde. Er prägte dafür

den Satz:

„Israel gehört IHM allein, aber IHM gehört nicht Israel allein.“348

Dem großen jüdischen Bibelwissenschaftler war durchaus bewusst, dass Gott nicht

nur unter den Juden, sondern auch mit den Völkern und Nationen eine eigene

Geschichte hat. Nach dem Zeugnis des Alten Testamentes ist das Volk der Juden

Gottes persönliches Eigentum, Gottes Kronjuwel. Als zum Herrschaftsbereich des

Königs gehörende Priester ist es ihre Aufgabe, die Menschen näher zu Gott zu brin-

gen. Weil sie jedoch unter den Völkern und Nationen das kleinste und schwächste

sind, trägt Gott sie auf Adlers Flügeln.

Worauf jedoch Benno Jacob Wert legt, ist die Bedeutung des Adlergleichnisses für die

„individuelle Frömmigkeit“.349 Die Wendung auf „Adlers Flügeln getragen“ (Ex 19,4) ist

die Begründung eines bleibenden „Lebensverhältnisses“.350 So nennt es Martin Buber

in seiner Auslegung des Adlerspruches. Die Zusage Gottes lautet, wie es der Prophet

Jesaja formuliert:

„Ja, ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es

tun, ich will heben und tragen und erretten“ (Jes 46,4).

Die in Verbindung mit dem Adlerspruch stehenden großen Zusagen Gottes hat der

Apostel Petrus auf die Christen übertragen. Er schreibt den von Leid bedrohten Chris-

ten:

343 Buber, Moses, S. 125. 344 Ringgren/Seybold/Fabry,maelaek, Sp. 941. 345 Buber, Moses, S. 125. 346 Vgl. Hertz (Hrsg.), S. 291f. 347 Jacob, B., Das Buch Exodus, Stuttgart 1977, S. XI+XII. 348 Ebd., S. 538. 349 Ebd. 350 Buber, Moses, S. 123.

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„Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das hei-

lige Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten des, der

euch berufen hat zu einem wunderbaren Licht“ (2 Petr 2,9):

Das, worauf es bei Juden und Christen gleichermaßen ankommt, ist die individuelle

Frömmigkeit. Denken Sie noch einmal an jene junge Frau, die sich mit ihrem Mann auf

einen langen Einsatz in China vorbereitet hatte. Sie waren ausgereist, um Kranken zu

helfen und ihnen eine neue Perspektive zu geben. Nach kurzer Zeit erkrankte die junge

Frau. Ihr Name war Anni von Werthern. Sie musste ihren Mann zurücklassen. Nach

Deutschland zurückgekehrt, wurde sie nicht mehr gesund. Dennoch konnte sie dichten

und singen:

„Auf Adlers Flügeln getragen übers brausende Meer der Zeit,

getragen auf Adlers Flügeln bis hinein in die Ewigkeit.“

Sie lebte von der Zusage Gottes: Ich will dich tragen, wie der Adler ein schwaches

Jungtier auf seinen ausgebreiteten Flügeln trägt.

Diese Zusage gilt jedem Kranken, jedem, der Schweres zu tragen hat, jedem, der den

Verlust eines geliebten Menschen nicht verkraften kann. Wenn wir selbst keine Worte

zum Beten mehr finden, können wir die Worte aus dem Gebetbuch der Bibel sprechen

und nachbeten:

„Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten

Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmt mich am Ende mit Ehren

an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn

mir gleich Leib und Seel verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit mei-

nes Herzens Trost und mein Teil“ (Ps 73,23).

Das Gleichnis von den starken, tragenden Flügeln des Adlers ist Gottes Einladung an

den Menschen, ihm tief und fest zu vertrauen. In diesem Lebensverhältnis fordert Gott

nichts, bevor er gegeben hat.351 An erster Stelle steht Gottes Zusage: Ich will euch

tragen. In dem großen Lied des Vertrauens auf Gottes Treue von Jochen Klepper heißt

es:

Ja, ich will euch tragen bis zum Alter hin. Und ihr sollt einst sagen, dass ich gnädig bin. Ihr sollt nicht ergrauen, ohne dass ich’s weiß, müsst dem Vater trauen, Kinder sein als Greis. Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun, will euch milde heben: Ihr dürft stille ruhn. Stets will ich euch tragen recht nach Retterart. Wer sah mich versagen, wo gebetet ward? Denkt der vor’gen Zeiten, wie, der Väter Schar voller Huld zu leiten, ich am Werke war.

351 Vgl. Jacob, B., Exodus, S. 536.

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Denkt der frühern Jahre, wie auf eurem Pfad euch das Wunderbare immer noch genaht. Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug. Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug. (EG 380).

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XVI. Der Frosch

Es war auf einem Rundgang durch den Stephansdom in Wien.

Als ich unten am Treppenaufgang zur Kanzel stand, machte ich

eine für mich zunächst befremdliche Entdeckung. Auf dem

Gelädner der Stufen, die zur Kanzel führten, krabbelten

hintereinander aus Stein gehauene Frösche empor. Oben an der

Kanzelbrüstung stand ein Lamm. Dieses war gerade dabei,

einen der Frösche zu verschlingen. Diese kunstgeschichtlich

interessante Darstellung verstand ich erst, als ich mich an

folgende symbolische Deutung der Frösche erinnerte: In den

Schriften der Kirchenväter, z. B. bei Eucherius von Lyon,

versinnbildlichen Frösche die Ketzer.352 Der Steinmetz des

Kanzelgeländers im Stephansdom in Wien wollte mit seinem

Kunstwerk Folgendes aussagen: Allein Jesus,

den Johannes der Täufer „das Lamm Gottes

nennt, das der Welt Sünde trägt (Joh 1,29), kann

den Prediger davor bewahren, Ketzereien zu

verkündigen.353

Ketzerei bzw. Häresie ist die Verdrehung von

Glaubenswahrheiten. Der Begriff Häresie kommt

von dem griechischen Begriff hairesis, der soviel

bedeutet wie Auswahl bzw. eine Auswahl treffen. Ketzerei beginnt in der Regel mit der

bewussten und frei gewollten Auswahl einer bestimmten Lehre. Wird diese Lehre

absolut gesetzt, so wird sie zur Irrlehre.354 Von den Irrlehrern heißt es: Sie sind „falsche

Propheten…“, „falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den

Herrn, der sie losgekauft hat“ (2 Petr 2,1).

Die symbolische Darstellung der Irrlehren mit dem Bild der Frösche geht zurück auf

eine Stelle in der Offenbarung des Johannes. Von einer seiner Visionen schreibt der

Seher Johannes:

„Ich sah aus dem Rachen des Drachens und aus dem Rachen des Tieres

und aus dem Rachen der falschen Propheten drei unreine Geister gleich

Fröschen herausspringen“ (Offb 16,13).

In der persischen Religion galten Frösche als dienende Wesen des Gottes der Fins-

ternis.355 In der Offenbarung des Johannes werden „die verführerischen Reden, die

352 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, 4. Aufl., 1976, S. 112. 353 Die Wendung Lamm Gottes ist eine singuläre Genitivverbindung, die sich nur beim Zurückgehen auf das Aramäische erklärt. Im Aramäischen hat Lamm die Doppelbedeutung von Lamm und Knabe, Knecht und Sohn, vgl. Jeremias, J., amnós, in: ThWBNT, Bd. I, S. 343. 354 Zur Ketzerei vgl. Löser, W., Häresie, in: Lexikon kath. Dogmatik, S. 235. 355 Vgl. Lohse, E., Die Offenbarung des Johannes, S. 94.

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aus dem Maul der satanischen Dreiheit – Drache, Tier und falscher Prophet – aus-

gehen, mit Fröschen verglichen“.356 Frösche sind die „Boten“ der die Wahrheit zerstö-

renden Kräfte.357 Seit der zweiten über Ägypten hereinbrechenden Plage sind Frösche

das Bild für unheimliche, bedrohliche und vernichtende Mächte.

In dem Bericht über die zweite die Ägypter treffende Plage heißt es: „Der Nil wird von

Fröschen wimmeln. Sie werden hochsteigen und in dein Haus eindringen, in dein

Schlafgemach (Pharao) und sogar auf dein Bett (Pharao) und in das Haus deiner

Diener und zu deinem Volk, in deine Backöfen und Backtröge“ (2. Mose 7,28).

Bis heute werden bei der Feier des Passahfestes

von allen, die am Seder teilnehmen, die zehn

Ägypten treffenden Plagen im Chor aufgesagt.358

Eindrücklich dargestellt ist die Froschplage in der

exklusiv für die israelische Fluggesellschaft El Al

gedruckte Pessach-Hagada. Sie wurde jedem

Teilnehmer unserer Pilgerreise im März 1974 im

Flugzeug überreicht: Ein Frosch war bis in das Schlafzimmer des Pharao vorgedrun-

gen. Er sitzt grinsend auf dem Kopf des im Bett Liegenden.359

Der alttestamentliche Begriff für Frosch (hebr. separdea) heißt übersetzt: „der, der im

Sumpf hüpft“360 oder „der im Sumpf Quakende“.361 Die in der zweiten Plage erwähnten

Frösche waren eine Art der Laubfrösche. Von ihnen gab es ca. 270 Arten. Der Laub-

frosch wird 4 bis 5 cm lang. Im Unterschied zu anderen Froscharten besitzt der Laub-

frosch an den Spitzen der Zehen Haftscheiben. Diese ermöglichen es ihm, sich fest-

zuhalten und leicht an glatten, senkrechten Flächen hinaufzusteigen. So war es dieser

Froschart möglich, in die Paläste einzudringen und sich überall aufzuhalten.

Während der Paarungszeit sammeln sich die Laubfrösche in den Gewässern.362 Da

sich die Frösche sehr stark vermehren, wählten die Ägypter die Kaulquappe als

Hieroglyphe für die Zahl 100.000.363 Entwickelt ist der Frosch 4 Monate nach der

Eiablage. Er verlässt seine Brutstätte und sucht auf dem Land Nahrung.364

Frösche können sowohl im Wasser als auch auf dem Land leben. Sie gehören zu den

sogenannten Amphibien. Ausgewachsene Frösche atmen mit Lungen. Sie sind aber

auch in der Lage, durch die Haut Sauerstoff aufzunehmen.365 Junge Frösche, die zu

Tausenden die Laichplätze verlassen, können weite Landstriche verwüsten.366

356 Roloff, J., Die Offenbarung des Johannes, 2. Aufl., Zürich 1987, S. 164. 357 Lilje, H., Das letzte Buch der Bibel, 3. Aufl., Berlin 1941, S. 184. 358 Vgl. Die Pessach-Hagada, 4. Aufl., Basel 1960,S. 22. 359 Siehe El Al Hagada, Hrsg. Shaham Lewanson Aylon, Designed by Jean David Lod 1973, ohne Seitenangabe. 360 Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 186. 361 So Fürst, Hebräisch-Chaldäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 3. Aufl., Bd. II, Leipzig 1876, S. 287. 362 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 186. 363 Vgl. Schroer, S. 140. 364 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 186. 365 Schouten van der Velden, S. 129. 366 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 186.

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Die zweite Plage war wie die erste und alle folgenden nicht nur ein Schlag gegen Pha-

rao, sondern gleichzeitig ein Angriff auf die Götterwelt Ägyptens. Die dem Nilgott

Chnum zugeordnete weibliche Göttin wurde als Frau mit dem Kopf eines Frosches

dargestellt. Es war die froschköpfige Göttin Hektet.367 Hektet war die Göttin der Frucht-

barkeit und die Schutzherrin der Hebammen. Ägyptische Hebammen pflegten Amu-

lette mit dem Bild eines Frosches herzustellen.

Pharao hatte den Hebammen den Befehl gegeben, alle israelische Knaben bei der

Geburt zu töten (2. Mose 1,15+21). Seinen Untertanen hatte Pharao befohlen, alle

Söhne der Israeliten in den Nil zu werfen (2. Mose 1,22). Deshalb werden in der zwei-

ten Plage die Ägypter mit einem Tier bestraft, das aus dem Nil kommt und das die

Göttin und Beschützerin der Hebammen symbolisiert, bestraft.368

Dies muss den ägyptischen Herrscher in besonderer Weise getroffen haben. In Ägyp-

ten hatte der jeweilige Herrscher den Rang einer Gottheit. Der Pharao galt als „Voll-

strecker des göttlichen Regiments. Himmlische und irdische Macht deckten sich“.369

Durch die Froschplage wurde Pharao in seiner Identität zutiefst erschüttert. Die Frö-

sche drangen bis in sein eigenes Bett und kletterten an ihm genauso empor wie an

allen seinen Untertanen (2. Mose 7,29).370 In der mittelalterlichen Kunst sind Frösche,

die an den Beinen des Pharao hochklettern, ein beliebtes Motiv zur Darstellung der

Qualen der Verdammten.371

Da der Hofstaat des Pharao mit seiner großen Priester- und Dienerschaft einen hohen

Stand der Hygiene erreicht hatte, war die Froschplage eine furchtbare Heimsuchung.

Da man Gefahr lief, mit Fröschen im Bett aufzuwachen, wagte keiner nachts die Augen

zu schließen. Nachdem die Schrecken der Nacht überstanden waren, nahm die Plage

ihren Fortgang. Was sich bei Tag im Pharaonenhof ereignete, ist dargestellt auf einer

Abbildung in der Pessach-Hagada von Sarajewo.

Die Dienerschaft war mit ihren Schlagstöcken

nicht in der Lage, die Frösche zu vertreiben. Sie

krochen in den Teigtrog und in den Backofen. Als

sich die Hofleute an die Morgentafeln setzten,

um frisch gebackenes Brot zu essen, fanden sie

die widerlichen Tiere hineingebacken. Dem Pha-

rao, auf seinem Thron mit dem Zepter darge-

stellt, blieb keine andere Wahl, als mit erhobener

Hand um Gnade zu bitten.372

Die Frösche starben in den Häusern, in den Höfen und auf den Feldern. Hier häufte

man sie zusammen, „zu einem riesigen Haufen und das Land stank“ (2. Mose 8,10).

Die angehäuften Massen toter Frösche waren ein einziger Gestank von Verwesung

367 Vgl. Montet, P., Das Alte Ägypten und die Bibel. Bibel und Archäologie, Bd. IV, Zürich o.J., S. 155 und Zenger, E., Das Buch Exodus, Düsseldorf 1978, S. 93. 368 Vgl. Jacobsen, B. S., Bina Bamikra. Gedanken zur Tora, Jerusalem 1987, S. 110. 369 Marti, K., zitiert nach Zenger, S. 114. 370 Vgl. Cassuto, Exodus, S. 100+101. 371 Vgl. Zenger, S. 93. 372 Vgl. die Hagada von Sarajewo, 2. Aufl., 1967, S. 22. Das frühestes noch existierende Exemplar mit den Illuminierungen reicht zurück bis in die Zeit vor Mitte des 13. Jh. vgl. S. 13.

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und Fäulnis.373 Für den Pharao war das direkte Bedrängt- und Belästigtwerden von

den Fröschen zu Ende. Die Erleichterung ließ den Pharao aufatmen.374 Kaum hatte er

wieder Luft, da zog er auch schon stillschweigend sein Zugeständnis, Israel zu entlas-

sen, zurück.375 Pharao ließ die Chance, sich und sein Volk zu retten, ungenutzt

vorübergehen.376

Seit den über Ägypten hereinbrechenden Plagen sind Frösche ein Symbol für bedroh-

liche und vernichtende Mächte.

Das „geifernde Gequake“377 der Frösche ist ein Bild für „widerliche Reden“,378 die

darauf abzielen, die Hörer zu verführen. Es sind Reden, die mit aufgeblähtem

Schreien, höchst großmäulig, hochmütig und vorlaut vorgetragen werden. Innerlich

sind sie hohl, gemein und nichtig.379 Verführerische Reden haben nur ein Ziel: das

Denken der Hörer auszuschalten und sie zu selbstvernichtenden Taten zu verführen.

Dennoch gibt es Massen, die wie besessen solchem Geschrei folgen!

Am Anfang für verführerisches, ketzerisches Reden steht immer eine Teilwahrheit. Auf

den Begründer der deutschen Existenzphilosophie, Karl Jaspers (1883 – 1969), geht

die Erkenntnis zurück: „Das Absolutsetzen einer Teilwahrheit ist Ideologie.“

Aktuelle Beispiele, wie aus dem Absolutsetzen einer Teilwahrheit eine Ideologie wird,

sind:

➢ Am Anfang der ökologischen Bewegung steht die biblische Forderung der

Bewahrung der Umwelt. Absolut gesetzt jedoch wird sie zur grünen Ideologie

und damit zum Religionsersatz.

➢ Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist einer der Grundwahrheiten der

Bibel. Absolut gesetzt wird sie zum Gendermainstream. Hier gibt es dann nicht

mehr Mutter und Vater, sondern Eltern I und Eltern II.

➢ Das Ende der Strafverfolgung und der blinden Diskriminierung gleich-

geschlechtlicher Partnerschaften ist ein Gebot der Nächstenliebe. Absolut

gesetzt wurde heute daraus die gesetzliche Verankerung der „Ehe für alle“!

Diese und andere Ideologien erobern heute unsere Gesellschaft und wie damals die

Frösche unsere Häuser bis hinein in die Schlafzimmer. Sie werden selbst von der Kan-

zel unserer Kirchen verkündigt. Wie notwendig wäre in allen allen Kirchen und Frei-

kichen, bildlich gesprochen, die Abwehr von Fröschen, die das Kanzelgeländer

emporkrabbeln.

Jeder Prediger sollte sich davor hüten, Teilwahrheiten absolut zu setzen und zu ver-

kündigen. Für den Prediger gilt es, auf eigene Gedanken zu verzichten und sich allein

auf das, was im Wort Gottes steht, zu konzentrieren. Allein so bleibt er davor bewahrt,

Ketzereien zu vertreten und zu verkündigen.

373Vgl. Hirsch, Exodus, S. 80. 374 Vgl. Keil, Exodus, S. 408. 375 Vgl. Noth, Das zweite Buch Mose, S. 58. 376 Vgl. Scharbert, Exodus, S. 38. 377 Brütsch, Chr., Bd. II, S. 211. 378 Kraft, Offenbarung, S. 200. 379 Vgl. Dächsel, zitiert nach Brütsch, Chr., Bd. II, S. 212.

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Von Ketzereien bzw. Häresien d.h. von Irrlehren sagt Martin Luther: „Sie werden meis-

tens nicht geboren. Sie kommen als adelige Wahrheiten zur Welt und enden wie der

verlorene Sohn am Schweinetrog.“380 Luther hatte erkannt und gezeigt, wie sich Wahr-

heiten auf theologischem Gebiet bei einzelnen Christen und in Sondergemeinschaften

zu Irrlehren verwandeln. Sein Lebenswerk aber bestand darin, die Heilige Schrift zu

übersetzen und sie in ihrer Gesamtheit zum Maßstab aller Entscheidungen zu

machen.

Um alle Irrlehre zu vermeiden, lautet eines seiner programmatischen Worte:

„Ich will die Schrift aufs allerbeständigste und zum ersten haben, danach alles andere

nehmen und lassen, was mich die Schrift lehrt, es habe geschrieben, wer da wolle.“381

Eines der großen Bekenntnisse im Gebetbuch der Bibel lautet: „Dein Wort ist meines

Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege“ (Ps 119,105). Dazu dichtete Martin

Luther das Lied:

Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord, die Jesus Christus, deinen Sohn, wollen stürzen von deinem Thron. Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ, der du Herr aller Herren bist, beschirm dein arme Christenheit, dass sich dich lob in Ewigkeit. Gott Heiliger Geist, du Tröster wert, gib deim Volk einerlei Sinn auf Erd, steh bei uns in der letzten Not, g’leit uns ins Leben aus dem Tod.

380 Zitiert nach Thielicke, Theologische Ethik, Bd. I, § 1320, S. 444 381 Zitiert nach Aland, K. (Hrsg.), Lutherlexikon, 4. Aufl., Göttingen 1983, S. 287.

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XVII. Der Fisch

Vielleicht sind Sie schon einmal jemanden begegnet, der

am Revers seiner Jacke einen kleinen Fisch trägt. Wenn

nicht, dann ist es Ihnen sicher aufgefallen, das nicht

wenige am Kofferraum ihres Autos das Zeichen des

Fisches angebracht haben. Der Grund dafür ist, dass sie

mit dem Symbol des Fisches ihren Glauben an Jesus zu erkennen geben.

Der Erste, der die symbolische Bedeutung des Fisches beschrieb, war der

Kirchenvater Tertullian. Er lebte in den Jahren 160 – 220 n.Chr. Er vergleicht Jesus

mit einem Fisch (lat. piscis) und nennt die, die auf Jesu Seite stehen, „Fischlein“ (lat.

pisciculi).382

Die symbolische Bedeutung des Wortspiels Fisch und Fischlein geht zurück auf den

Bericht vom Beginn des Wirkens Jesu: Jesus hatte nicht nur den Ort Kapernaum zu

seiner Wahlheimat gemacht, sondern die gesamte Gegend am See Genezareth. Hier

am See sah er zwei Fischer, die ihre Netze auswarfen. Ihre Namen waren Simon

Petrus und Andreas. Zu ihnen sprach er: „Kommt, folgt mir nach, ich will euch zu

Menschenfischern machen“ (Mt 4,18+19).

Ein Stück weiter beobachtete Jesus noch zwei Brüder. Auch sie waren Fischer. Sie

flickten in ihrem Boot zusammen mit ihrem Vater Zebedäus ihre Netze, als Jesus

diesen beiden Brüdern – ihre Namen waren Jakobus und Johannes – zurief: Kommt

und folgt mir nach! Von den vier Fischern heißt es: „Sogleich verließen sie ihre Netze

und folgten ihm nach“ (Mt 4,21+22). Das war damals nichts Ungewöhnliches. Zu allen

Zeiten war der See Genezareth, auch Galiläisches Meer genannt (Mk 11,6; Mt 4,18),

die „Quelle für Wasser und Leben“.

Unter diesem Motto erschien im Jahre 1992 in Israel eine

dreiteilige Briefmarkenserie. Auf dem jeweiligen Rand ist eine

Abbildung des Sees Genezareth. Der See hat eine Länge von 21

km und eine Breite bis zu 12 km. Die Oberfläche beträgt 170 km².

Die Tiefe liegt zwischen 42 und 48 m.383 Auf der ersten der drei

Marken sieht man einen größeren und einen kleineren Fisch. Eine

Wiederholung findet sich auf dem Rand. Im See Genezareth gibt

es 25 einheimische Fischarten.384 Der bekannteste ist der

sogenannte Petersfisch, eine Barschart. Dieser kann bis zu 42 cm

lang werden. Die wirtschaftlich Bedeutsamen sind die entschieden

kleineren Seesardinien. Diese waren in den Familien und bei

großen Zusammenkünften die wichtigsten Speisefische.385

382 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 107. 383 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 180. 384 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 170, Das biblische Tierlexikon geht von 36 Arten aus, Vgl. S. 180. 385 Vgl. Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 170+171.

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Der Fisch als Nahrungsmittel war den Israeliten aus Ägypten bekannt. Der Nil war für

seinen Fischreichtum berühmt (2. Mose 7,18ff und Hes 29,4). In der Wüste sehnten

sich die Israeliten nach den Fischen, die sie in Ägypten gegessen hatten (4. Mose

11,5). Judäa war ein ausgesprochenes Binnenland ohne Seen. In alttestamentlicher

Zeit boten am Fischtor in Jerusalem Fischhändler aus dem in Libanon gelegenen Tyros

ihre Ware an (Zef 1,10; Neh 3,3). Da sie, damit ihre Ware nicht verdirbt, den Sabbat

nicht respektierten, wurde ihnen dieses von den Judäern übel genommen (Neh

13,16).386

Zu den Fischlieferanten in neutestamentlicher Zeit gehörten auch die Fischer aus dem

am See Genezareth gelegenen Magdala. Aus einer Notiz des Historikers Josephus

Flavius (37/38 – 100 n.Chr.) geht hervor, dass zur Zeit Jesu im Hafen von Magdala

nicht weniger als 230 Fischerboote mit vier Rudern lagen. Bekannt war Magdala durch

seine Salzereien. Hauptabnehmer der konservierten Fische waren die Jerusalemer. In

Jerusalem wurden für die vielen Festpilger besonders große Mengen an Fisch

benötigt.387

Das bekannteste Fischerdorf am See Genezareth war zur Zeit Jesu Bethsaida. Es war

der Heimatort der Fischer Andreas und Petrus (Joh 1,44). Bethsaida lag an einer nach

Osten offenen Lagune. Die vom Jordan in den See Genezareth geschwemmten

pflanzlichen und tieren Stoffe waren für die Fische ein Anziehungspunkt. Ohnegleichen

war die Nordostecke des Sees Genezareth ein Fischereiplatz ersten Ranges.388

Nach altkirchlichen Überlieferungen hatte die Familie der Fischer Johannes und

Jakobus auf dem Zionsberg in Jerusalem ein Anwesen auf dem Fischmarkt. Von hier

aus belieferte Johannes den in der Nähe gelegenen hohepriesterlichen Palast

regelmäßig mit Fisch.389 Nur so war es möglich, dass Johannes, der im

hohepriesterlichen Palast bekannt war, Petrus zur Zeit des Verhörs Jesu vor Hannas

und Kaiphas mit in den Innenhof des Palastes nehmen konnte (Joh 18,16).

Der Fischfang im See Genezareth war ein schwerer Beruf. Meist wurde mit Netzen

gefischt. Eine Möglichkeit war ein kreisrundes Wurfnetz mit einem Durchmesser von 3

– 5 m. Es war am Rande mit Steinen beschwert und wurde vom Ufer aus mit Schwung

flach auf das Wasser geworfen.

Daneben gabe es große Schleppnetze, die vom Fischerboot ausgeworfen wurden (Lk

5,4). Bei einem guten Fang wurden diese mit einem oder mehreren Booten an Land

geschleppt (Mt 13,47+48). Gefischt wurde im See Genezareth bei Nacht. Nachts

kamen die Fische aus dem kühleren Wasser an die Oberfläche und waren so leichter

zu fangen.390

Dies ist der Hintergrund der folgenden Begebenheit. Nach Jesu Kreuzigung und

Auferstehung hatten sich 7 Jünger Jesu entschlossen, ihren Beruf als Fischer am See

Genezareth wieder aufzunehmen. Noch immer war Petrus ihr Sprecher. Als er sagte:

386 Vgl. Schroer, S. 144 und Keel/Küchler/Uehlinger, S. 170. 387 Vgl. Bräumer, Hj., Orte im Leben Jesu, S. 229+230. 388 Vgl. Dalmann, G., Orte und Wege Jesu, 3. Aufl., Gütersloh 1924, S. 172f. 389 Vgl. Meinardus, O., Die heilige Woche, Catolica Unio 1988, S. 208 und Schein, B. E., Following the Way, Minneapolis/Minnesota 1980, S. 166. 390 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 181+182.

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„Ich gehe fischen“, sagten die Übrigen: „Wir kommen mit!“ Sie stiegen in das Boot und

„fingen in dieser Nacht nichts“ (Joh 21,3). Am Morgen stand Jesus am Ufer und fragte:

„Habt ihr nichts zu essen?“ Sie antworteten: „Nein.“ Da forderte Jesus sie auf: „Werft

das Netz zur Rechten des Bootes.“ Als sie es ausgeworfen hatten, konnten sie es

„nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische“ (Joh 21,4-6).

„Als sie an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und

Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt. Petrus

stieg herauf und zog das Netz an Land voll großer Fische, 153 Stück. Und obwohl es

so viele waren, zerriss das Netzt nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das

Mahl. Niemand unter den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten:

Es ist der Herr! Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt es ihnen, desgleichen

auch den Fisch“ (Joh 21,9-13).

Das Morgenmahl, das Jesus mit seinen Jüngern einnahm, war ein Mahl der

Vergebung, und zwar der positiven Vergebung. Positive Vergebung ist das Ja zur

Gegenwart. Jesus verzichtete auf jegliche Vorwürfe. Er fragte seine Jünger nicht:

Warum bloß habt ihr mich bei meinem Leiden allein gelassen? Warum seid ihr

geflohen? Was denkt ihr jetzt, wie alles weitergehen soll? Nichts von all dem! Jesus

zwang seine Jünger nicht zu einem schmerzlichen Rückblick. Er war einfach da. Er

teilte mit ihnen Brot und Fisch.

Mit diesem Morgenmahl bekommt das Abendmahl, das Jesus in Jerusalem mit seinen

Jüngern feierte, einen neuen Aspekt. Es wird zum Mahl, das dazu hilft, in der

Gegenwart zu leben. Von Oliver Twist stammt das Wort: „Manche bereiten sich ein

Leben lang darauf vor, in der Gegenwart zu leben.“ Sie kommen von ihrer

Vergangenheit nicht los. Sie klagen und beklagen sich. Jesus zwang seine Jünger

nicht, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Den, der nur wie gebannt in die

Vergangenheit blickt, vergleicht der Sozialforscher Silvio Gsell (1862 – 1930) mit Lots

Frau und schreibt: „Lots Weib schaute rückwärts und erstarrte zu Fels beim Anblick

des Grauens. Und allen Menschen geht es noch heute ebenso, die rückwärts schauen,

sie versteinern oder verknöchern oder verbittern…“.391

Jesus richtete den Blick des Petrus nach vorne. Er stellte Petrus die Frage: „Simon,

Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als mich diese lieb haben?“ (Joh 21,15).

Diese Übersetzung nach Luther (2017) kann zu der falschen Schlussfolgerung führen:

Jesus hätte von Petrus eine größere Liebe erwartet als von allen anderen Jüngern und

hätte in Folge allein den Auftrag gegeben, sich um seine Gemeinde zu kümmern! Legt

man die aramäische Übersetzung zugrunde – Aramäisch war damals die

Umgangssprache -, dann lautet die Frage: „Liebst du mich mehr als dieses da?“ das

aramäische Wort „diese“ bezieht sich auf „Dinge, nicht aber auf die Jünger“.392 Damit

ist die Frage folgendermaßen zu verstehen: Jesus zeigt auf die Fische und fragt

Petrus: Liebst du mich mehr als deinen alten Beruf? Liebst du mich mehr als die

Sicherung deiner Existenz? Als Petrus darauf antwortet: „Herr, du weißt, dass ich dich

lieb habe“, spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer“. Das hier gebraucht Wort für

Lämmer bedeutet: Die Kleinen, die Unmündigen und die Unwissenden.

391 Zitiert nach Magnificat 9/2011, S. 24. 392 Vgl. Lamsa, S. 443.

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Jesus fragte Petrus ein zweites Mal: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“

Das Wort für lieben wird sonst im Neuen Testament für die Liebe zu Gott gebraucht.

Willst du, dass ich dein Herr und dein Gott bin? Petrus sprach: „Ja, Herr, du weißt,

dass ich dich lieb habe.“ Da spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe.“ Das Wort,

das Jesus hier braucht, bedeutet: die Starken, die Erwachsenen, die, die alles wissen,

alles können, die Geschulten und Bibelfesten.

Zum Erstaunen des Petrus fragt Jesus ein drittes Mal: „Simon, Sohn des Johannes,

hast du mich lieb?“ Dies ging Petrus durch Mark und Bein. Vor Augen stand Petrus

das Kohlenfeuer im Hof des Hohepriesters. Dreimal hatte Petrus Jesus verleugnet. Als

Antwort auf die dritte Frage sagt Petrus: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich

dich lieb habe.“ Da sagt Jesus wieder zu Petrus, dass er seine Schafe weiden solle,

wobei er ein drittes Wort für Schafe wählt, so soviel bedeutet wie die alt gewordenen,

müden, kranken Schafe, die die nicht mehr alleine mit dem Leben zurechtkommen.

Nach den Worten Jesu besteht die Gemeinde aus:

➢ Unmündigen

➢ Starken und

➢ körperlich und seelisch Kranken. Dies gilt bis heute!

Anschließend sagte Jesus zu Petrus wie bei der ersten Berufung: „Folge mir nach!“

(Joh 21,19). D.h. Sei wieder ein Menschenfischer (Mk 3,16). Fang nicht mehr länger

Fische im See Genezareth, sondern gewinne Menschen, die sich zu mir als ihren Herrn

bekennen.

Der Erste, der Jesus mit einem Fisch verglich, war der Kirchenvater Tertullian. Der

griechische Name für Fisch wurde zu einem weit verbreiteten Sinnbild für Jesus, den

Christus, den Sohn des lebendigen Gottes.393 Die einzelnen Buchstaben des

griechischen Wortes für Fisch, I ch th y s, wurden wie folgt gedeutet: Jesus Christus

theou hyos soter, auf Deutsch: Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland und Retter.

Es kommt nicht darauf an, ob ich einen Fisch als Abzeichen an meiner Kleidung trage.

Auch ein Aufkleber auf meinem Auto ist noch kein Beweis für mein Christsein. Es

kommt darauf an, dass ich von Herzen bekennen kann: Jesus, der Christus, ist der

Sohn Gottes, mein Heiland und Erretter.

Wer dieses Bekenntnis spricht, bleibt nicht ohne Perspektive. Auch wenn ich dreimal

versage wie Petrus, stellt Jesus mir die Frage: „Liebst du mich?“ Liebst du mich mehr

als deinen Beruf und als deine Existenzsicherung?

Die Jünger, die zum Morgenmahl mit Jesus versammelt waren, hörten mit großer

Aufmerksamkeit dem Gespräch Jesu mit Petrus, dem Repräsentanten des

Jüngerkreises, zu. Gleichzeitig erinnerten sie sich an eine Begebenheit, die schon

länger zurücklag: Es war die Speisung der 5 000 mit fünf Broten und zwei Fischen.

Der Ort, an dem dieses Wunder geschah, war von dem Ort des Frühmals nur ca. 2 km

entfernt. Es war das am See Genezareth gelegene Gebiet der Sieben Quellen.

Heute steht hier die Basilika zum Gedächtnis der 5 000. Sie ist erbaut über einem

Gotteshaus, deren Reste bis ins 4. Jahrhundert zurückreichen. Das berühmte Mosaik

393 Vgl. Heinz-Mohr, G., Lexikon der Symbole, S. 107.

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mit Broten und zwei Fischen stammt aus einer hier am Ende des 5. oder zu Beginn

des 6. Jahrhunderts errichteten Kirche.394

Wie auf den in den letzten Jahren in Israel

erschienenen Briefmarken zu sehen ist, sind

in dem Korb nur vier Brote sichtbar. Das

Mosaik ist unmittelbar vor einem Felsbrocken

platziert. Darüber ist ein Altar, der Tisch des

Herrn, die mensa christi. Die sich anbietende

Deutung der vier statt fünf Brote ist Folgende:

Das fehlende fünfte Brot ist nicht etwas

verdeckt. Es ist vielmehr das Symbol für das Brot auf dem Altar, von dem aus das

Heilige Mahl ausgeteilt wird.395

Als Jesus das Speisungswunder mit fünf Broten und zwei Fischen vollbrachte, hat

keiner verstanden, was Jesus damit sagen wollte. Das Volk wollte ihn zum „Brotkönig“

machen. Seine Jünger hat Jesus dazu gedrängt, an das andere Ufer des Sees zu

rudern. Er selbst zog sich zurück auf den Berg um zu beten (Mk 6,45+46).

Allein schon, dass Jesus sie vor der Speisung in Gruppen zu je 100 und je 50 lagern

ließ (Mk 6,40; Lk 9,14), hätte sie – schriftkundig, wie sie waren – an folgendes Ereignis

erinnern müssen. Die Anordnung der Lagerung des Volkes auf den Terrassen im

Gebiet der Sieben Quellen396 entsprach den von Mose auf der Wanderung durch den

Sinai angeordneten Lagerordnung (2. Mose 18,25). Mit dieser Anordnung sagt Jesus:

Erkennt doch, in bin der von euch erwartete zweite Mose, der Messias. Ich werde euch

aus der Sklaverei in die Freiheit führen und Gott wird euch auf dem Weg mit allem

Notwendigen, mit Brot und Fisch, versorgen.397 Ihr werde keinen Mangel leiden.

In dem 1975 getexteten Kirchenlied von Jürgen Henkys heißt es:

„Jesus zu den Fischern lief

und Simon und Andreas rief

sich doch ein Herz zu fassen

die Netze zu verlassen

Vielleicht kommt er auch heut vorbei

ruft mich und dich zwei oder drei

doch alles aufzugeben

und treu mit ihm zu leben“ (EG 313,1)

394 Vgl. Loffreda, St., Die Heiligtümer von Tabgha, Jerusalem 1975, S. 25+37. 395 Vgl. Bräumer, Hj., Orte im Leben Jesu, S. 215. 396 Vgl. Loffreda, St., Die Heiligtümer von Tabgha, S. 48. 397 Vgl. Bräumer, Hj., Orte im Leben Jesu, S. 214.

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XVIII. Der Hirsch und die Hinde

Schnee in Israel gab es in den vergangenen Jahren

mehrfach. Wie uns Freunde berichteten, löste ein

unerwartet einsetzender Schneefall in Jerusalem ein

Verkehrschaos aus. Bad erschienen Postkarten, die

israelische Landschaften in weißem Gewand zeigten.

Ein in Israel erschienener Kalender zeigt auf dem

Dezemberblatt 2016 einen im Schnee stampfenden, nach

Nahrung und Wasser suchenden Hirsch. Mich erinnerte

diese Abbildung an die bekannteste Bibelstelle, die vom

Hirsch handelt:

„Wie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser – so schreit meine Seele,

Gott, zu dir“ (Ps 42,2).

Das von Luther mit „schreien“ übertragene Verbum heißt wörtlich übersetzt „sich

sehnen nach, etwas verlangen“ bzw. „lechzen“.398 Es ist die Beschreibung für „heftiges

Lechzen“ bei „herrschender Dürre“,399 ein Ausdruck für „verschmachten“, „nach Luft

schnappen“ und „mit der Zunge“ nach Wasser suchen.400

Der Prophet Jeremia schreibt von dem Verhalten einer Hirschkuh, einer sogenannten

Hinde, bei einer Dürre, die so furchtbar ist, „dass die Erde lechzt, weil es nicht regnet“:

„Selbst die Hirschkühe, die auf dem Feld werfen, verlassen die Jungen, weil

kein Gras wächst“ (Jer 14, 4+5).

Diese Schilderung steht im Widerspruch zu den Lebensgewohnheiten der Hirschkühe.

Eine Hinde wirf nach 36 Wochen Trächtigkeit in der Regel nur ein Kitz. Zuvor sucht sie

ein sicheres Versteck auf, am liebsten im dichten Unterholz. Dieses bietet dem Jungen

einen natürlichen Schutz. Das Muttertier entfernt sich von ihrem Kitz nur so weit, dass

sie bei Gefahr sofort zur Stelle sein kann. Wenn eine Hirschkuh ihr Kitz verlässt, ist sie

in äußerster Gefahr zu verdursten und zu verhungern. Sie legt dann weite Wege

zurück, um eine Wasserstelle und Nahrung zu suchen.401

Übertragen auf den Beter ist die verzweifelte Nahrungssuche und das „Lechzen nach

Wasser“ ein Bild für „Lebenshunger und Gottessehnsucht“ in „größter Not und

Entbehrung“.402 Es gibt Situationen, in denen ich nur noch sagen kann: Herr, steh mir

bei! Sei mir nahe! Verlass mich nicht! Der eindrückliche Vergleich mit dem nach

Wasser schreiendem Tier ist ein anschauliches Bild für die Sehnsucht und die Qual,

in der der Beter nach Gott verlangt. Seine an den Vergleich angefügten Worte lauten

in Psalm 42: „Es dürstet meine Seele nach Jahwe, dem Gott meines Lebens“ (Ps 42,3).

398 Vgl. Gesenius, S. 617, Koehler/Baumgartner, S. 734. 399 Delitzsch, Fr., Psalmen, S. 345. 400 Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 36. 401 Vgl. ebd., S. 36. 402 Schroer, S. 109.

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Der Beter ist sich bewusst, dass Gott allein ihm neue Kraft zum Leben geben kann. Er

weiß, sein Leben ist schlechthin abhängig von Gott.403 Über die „elementaren

Lebensbedürfnisse“,404 die den Beter veranlassen, Gott zu suchen, wird im Einzelnen

nichts gesagt. Es kann eine schwere Krankheit sein, Leid und Trauer oder aber die ihn

umgebenden Spötter, die ihn herausfordernd fragen: „Wo ist nun dein Gott?“405 Was

immer ihn umtreibt, über allem steht seine einzige Sehnsucht, den „Gott seines

Lebens“ zu suchen und in engster Gemeinschaft ihm nahe zu sein.406

Von Juda Halevi (1075 – 1141), dem größten jüdischen Dichter des Mittelalters, gibt

es ein Gedicht mit der Überschrift „Dem Quell entgegen“. In diesem heißt es:

„Dem wahren Lebensquell eil ich entgegen

Und halte nichts von Trug und Lebensleere,

nur meines Königs Antlitz will ich seh’n,

nur IHM mit Ehrfurcht und Respekt begegnen.“407

Nach der Berichterstattung von open doors über verfolgte Christen ist folgende Bitte

der Betroffenen veröffentlicht: „Betet für uns, dass wir in der Nähe Gottes bleiben. Betet

zuerst, dass wir unseren Glauben an Jesus nicht verleugnen. Dann erst bittet für

unsere Befreiung.“

Der nach Wasser lechzende Hirsch ist zwar die bekannteste, aber nicht die einzige

Bibelstelle, die vom Hirsch handelt. In der großen Schau des Propheten Jesaja von

der Heimkehr der Erlösten nach Jerusalem heißt es:

„Dann springt der Lahme wie ein Hirsch“ (Jes 35,6).

Das Bild von dem schnellfüßigen Hirsch geht zurück auf ein Segenswort des Erzvaters

Jakob. Seinem Sohn Naftali, dem Zweiten von Rahels Magd Bilha, erteilte Jakob

seinen Segen mit folgenden Worten: „Naftali ist eine flüchtige Hirschkuh, von ihm

kommen schöne Reden“ (1. Mose 49,21). Das in der revidierten Lutherbibel 2017 mit

flüchtig übertragene Wort heißt wörtlich übersetzt: „frei umherschweifend“ und

„schnellfüßig“.408

Nach einem Midrasch, der jüdischen Schriftauslegung nach der

Lesung der Heiligen Schrift, ist das Wappentier des Stammes Naftali

die Hirschkuh.409 Entsprechend gestaltet ist die Marke Naftali in der

1955 erschienenen Briefmarkenserie zu den 12 Stämmen Israels.

Über dem den Namen Naftali tragenden Spruchband ist eine Hinde

abgebildet. Auf dem weißen, die Briefmarke erklärenden Rand steht

403 Vgl. Kraus, H.-J., Psalmen, Teilband I, 4. Aufl., Neukirchen-Vlyn 1972, S. 319. 404 Schroer, S. 110. 405 Vgl. Kraus, Psalmen, I, S. 319. 406 Vgl. Weiser, A., Die Psalmen, Teil I, 5. Aufl., Göttingen 1959, S. 235. 407 Zitiert nach Gradwohl, R., Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Bd. I, S. 116. 408 Jacob, B., Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934, S. 919. 409 Vgl. Fuchs, H.; Jampel, S., Naftali, in: Jüdisches Lexikon, Bd. IV/1, Sp. 380.

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in Iwrid, in der heutigen Sprache Israels „Naftali“, die schnellfüßige Hirschkuh“.410

Das Abschiedswort Jakobs für seinen Sohn Naftali ist ein Hinweis auf die

Beweglichkeit und Freiheit411 der Nachkommen Naftalis, die auf den Höhen westlich

des Sees Genezareth wohnen werden. Der Vergleich mit der „umherschweifenden und

schnellfüßigen“ Hirschkuh zielt auf die Trittsicherheit, die Sprungkraft und auf die

Schnellfüßigkeit der Hirschkuh ab.

➢ Von der Trittsicherheit heißt es in einem Danklied Davids: „Er macht meine

Füße den Hinden gleich und stellt mich auf meine Höhen… Du gibst meinen

Schritten weiten Raum, dass meine Knöchel nicht wanken“ (Ps 18,34+37).

➢ Das Bild der Sprunkraft findet sich beim Propheten Habakuk: „Der Herr, der

Allmächtige, ist meine Kraft, er macht meine Füße den Hinden gleich und lässt

über die Höhen mich schreiten“ (Hab 3,19).

➢ Die Schnellfüßigkeit ist die Eigenschaft eines Boten, der alle Kraft aufwendet,

um seine Botschaft so schnell wie möglich zu überbringen.

In der babylonischen Gefangenschaft hatten die Juden ihre Selbstsicherheit verloren.

Sie waren wie gelähmt! Bei ihrer Befreiung erst fassten sie wieder Fuß. Der Lahme

sprang wie ein Hirsch (Jes 35,6).

Jeder von uns kennt Situationen, in denen wir wie gelähmt sind! Am liebsten möchten

wir gar nicht mehr weiter leben.

➢ Es ist nicht umsonst, wenn wir Gott um Trittsicherheit bitten, dass unsere

Knöchel nicht wanken.

➢ Gott sandte Jesus, damit er uns aus der Tiefe der Verzweiflung führt. Jesu

Absicht ist es, uns zu neuen Höhepunkten in unserem Leben zu führen.

➢ Die, die in Jesus den Sinn und das Ziel ihres Lebens gefunden haben, können

nicht anders, als ihre Erfahrungen den anderen weiterzusagen, und zwar mit

der Schnellfüßigkeit eines Hirsches oder einer Hinde.

Nach einer jüdischen Tradition war es Naftali, der mit

Trittsicherheit, Sprungkraft und Schnellfüßigkeit Jakob die

gute Nachricht überbrachte: Josef lebt! Josef ist ein Fürst in

Ägypten! Rückblickend, so die jüdische Erklärung, sagt

deshalb Jakob von seinem Sohn Naftali: „Von ihm kommen

schöne Reden.“412

Naftali, der schnelle Bote guter Nachrichten, macht Marc

Chagall zum Thema zu seinem Fenster Naftali. Die von

Chagall geschaffenen Fenster zu den zwölf Stämmen Israel

für die Synagoge der neuen hebräischen Universitätsklinik

Hadassah wurden 1962 eingeweiht.

1973 erschien dazu eine großformatige Briefmarkenserie.413

Die obere Bildhälfte des Naftalifensters ist beherrscht von

410 Carmel Stamps Catalogue, S. 13. 411 Vgl. Proksch, O., Die Genesis, 3. Aufl., Leipzig/Erlangen 1924, S. 281. 412 Vgl. Die Jerusalemer Fenster. Einführung. In Zusammenarbeit mit Dr. Miriam Freund, S. 10. 413 Carmel Stamps Catalogue, S. 47.

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einem Vogel mit kräftigen Blau- und Rottönen, mit gelbem Kopf und prächtig gefärbten,

ausgebreiteten Schwingen. Er symbolisiert den Inhalt der guten Nachricht Naftalis:

Josef ist Fürst in Ägypten. In der unteren Bildhäfte ruht eine Hirschkuh unter einem mit

Edelsteinen übersäten Baum. Sie hat ihren Auftrag erfüllt.

Es waren „schöne Reden“, die die Hindin zu übermitteln hatte (1. Mose 49,21). Das

bewusst gewählte Adjektiv „schön“ (hebr. šāpær) betont den Aspekt der Harmonie.

Schön heißt hier nicht äußere sinnliche Schönheit, sondern „harmonische Gestaltung

der einzelnen Teile eines Gegenstandes“.414 Die schönen Worte aus dem Munde

Naftalis sind „poetische Produkte“.415

Die Worte, die Jakob bei seinem Abschiedssegen für Naftali gefunden hat, sind in der

jüdischen Überlieferung der Anlass dazu, Naftali zum Stamm der Meister der

Redekunst zu erklären.416

Die Darstellung Naftalis auf dem Fenster von Marc Chagall ist einfach wie eine

Stimme. Es veranlasst den Betrachter zum Schweigen. Die aus Schweigen geborene

Einfachheit ist die Voraussetzung für die Kunst der Rede.

Im Alten Testament ist Naftali der Bote, der einer Hindin gleicht, von der gute Worte

kommen. Heute sind es die Christen, zu deren vornehmsten Aufgaben es gehört,

jedem, der in Leid und Not ist, ein gutes Wort zu sagen; ein Wort, das Licht in sein

Leben bringt.

Auf ein gutes Wort ist jeder von uns angewiesen. Ein gutes Wort ist wie ein heller

Strahl, der unseren Alltag erleuchtet. Von dem schönsten aller guten Worte sagt Rose

Ausländer:

„Wir wohnen Wort an Wort.

Sag mir dein liebstes, Freund,

meines heißt Du.“417

Es ist nicht das plumpe Du einer Anrede. Es ist die mit dem Du verbundene

Zuwendung, die dem anderen zu verstehen gibt: Du bist einmalig! Du bist wertvoll! Du

bist von Gott geliebt! Deine Zukunft liegt in Jesu Hand!

Diese Worte lohnen sich zu überbringen, wie damals Naftal mit der Schnellfüßigkeit

einer Hindin seinem Vater die gute Nachricht überbrachte: Josef lebt. Er ist ein Fürst

in Ägypten!

414 Hirsch, Genesis, S. 619. 415 König, E. Genesis, 2./3. Aufl., Gütersloh 1925, S. 764. 416 Vgl. Hertz, H. W. (Hrsg.), The Pentateuch and Haftoras, 2. Aufl., London 1969, S. 186. 417 Zitiert nach EG Bayer S. 777.

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XIX. Die Eule

In einem Sprichwort heißt es: „Eulen und Licht

vertragen sich nicht.“418

Eulen bilden eine eigene Ordnung unter den Nacht-

raubvögeln.419 Unter den Eulen gibt es ca. 200

Arten.420

Im Alten Testament werden Eulen 8 Mal erwähnt. Zu

ihrer Bezeichnung dienen vier hebräische Worte.421

So ist es kein Zufall, dass auf der 1987 in Israel

erschienenen Briefmarkenserie „Biblische Vögel“

vier Eulenarten abgebildet sind.

Eulen besitzen eine sehr typische Gestalt. Der Körper ist

gedrungen. Der Kopf ist im Vergleich zu anderen Vögeln auf-

fällig groß und rundlich. Der Schnabel der Eulen ist

gekrümmt und scharfkantig. Eulen haben große, nach vorn

gerichtete Augen. Diese ermöglichen es ihnen, Gegen-

stände sowie ihre Beutetiere räumlich zu sehen und

Geschwindigkeiten und Abstände abzusc hätzen. Die Augen

selbst sind unbeweglich. Stattdessen können Eulen ihren

Kopf bis zu 270° drehen. Dadurch ist ihr Gesichtsfeld stark

erweitert. Viele Eulen haben einen optisch auffallenden

Gesichtsschleier.422 Ihre Augen sind von einem Kreis steifer Federn umgeben.

Dadurch entsteht der Eindruck, dass Eulen ein Gesicht haben.423

Bei der nächtlichen Jagd auf allerlei Kleintiere verlassen sich Eulen meist auf ihr

Gehör. Damit kann die Eule präzise feststellen, woher ein Geräusch kommt.424 Beweg-

liche Ohrläppchen vor und hinter der Ohröffnung sind mit kurzen harten Federn aus-

gestattet und unterstützen die Geräuschortung. Der Teil des Gehirns, in dem sich das

Gehörzentrum befindet, ist sehr gut entwickelt. Bei der Schleiereule zum Beispiel wur-

den 95 000 Nervenzellen festgestellt, bei der Krähe sind es nur 27 000.425

Zum Beutespektrum gehören Mäuse, kleine Vögel, Fische, Schlangen, Regenwürmer,

Schnecken, Fledermäuse, Frösche, Motten und große Käfer. Viele Eulenarten fressen

auch Aas.426 Hauptsächlich deshalb galten Eulen im Volk Israel als unreine Tiere und

durften nicht gegessen werden (3. Mose 11,16+17; 5. Mose 14,15+16).427

418 Beyer, H. und Beyer, A., Sprichwörterlexikon, 3. Aufl., Leipzig 1987, S. 142. 419 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 108. 420 Vgl. Wikipedia, Eulen, zuletzt bearbeitet 29.04.2017. 421 Causdale, G. S und Schütze-Schaffert, M., Tiere, in: GBL, Bd. III, S. 1563. 422 Vgl. Wikipedia, Eulen. 423 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 109. 424 Vgl. Schouten van der Velden, S. 20. 425 Vgl Wikipedia, Eule. 426 Vgl. ebd. 427 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 110.

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Im Verhältnis zum Körpergewicht haben Eulen eine große Flügelfläche. Dies ermög-

licht ihnen einen geräuscharmen Flug.428 Der Eulenschrei klingt einmal leise, dunkel

und wehmütig klagend, zum anderen auch laut und schneidend. Der laute Ruf des

Steinkauzes klingt wie „Uhwit… uhwit“ und wird als Todesankündigung verstanden:

“Komm mit… kommt mit.“429

Über ein großes Rufrepertoire verfügt der Uhu. In der Balz-

zeit lässt das Männchen ein dumpfes „bubo“ erklingen, das

bis zu einem Kilometer weit zu hören ist. Das Weibchen ant-

worte auf diesen Ruf mit einem helleren „u-hu“. Von diesem

Balzruf abgeleitet ist die deutsche Bezeichnung „Uhu“ und

der Gattungsname „Bubo“.

Der Uhu ist die größte Eulenart. Uhus haben einen massi-

gen Körper und einen auffällig dicken Kopf mit Federohren.

Die Augen sind orangegelb. Der Uhu nistet gerne in Fels-

wänden, Nischen und Felsbändern. Als Brutplatz benutzt er

aber auch von Menschen geschaffene Steinbrüchen sowie Ruinen, Kirchen und leer

stehende Bauwerke.430

Die Lebensweise des Uhus, aber auch die anderer Eulenarten machen diese Vogelart

für Menschen zu unheimlichen Tieren. In der Ankündigung des Untergangs Edoms,

eines der Nachbarvölker Israels, heißt es:

„Von Geschlecht zu Geschlecht liegt es wüst; in alle Ewigkeit durchwandert

es keiner mehr. Eule und Igel nehmen es in Besitz, Uhu und Rabe wohnen

darin“ (Jes 34,10+11).

Wo immer Menschen weichen und nur noch Trümmer zurückbleiben, werden diese zu

Wohnstätten von Eulen. In der Warnung über Ninive heißt es: „Dohlen und Eulen wer-

den auf ihren Säulen die Nacht verbringen, horch das Käuzchen krächzt im Fenster,

der Rabe auf der Schwelle“ (Zeph 2,14).431 In seinem Gerichtswort über Babylon

schreibt der Prophet Jesaja: „Wüstentiere werden sich da lagern und ihre Häuser wer-

den voll Eulen sein“ (Jes 13,21). Zu dem unheimlichen Charakter der Ruinen der Welt-

stadt gehört es, „dass Uhus ihre Häuser füllen“.432

In einem seiner Gebete schildert David sein Leiden mit den Worten: „Ich bin wie eine

Eule in der Wüste, wie ein Käuzchen in zerstörten Städten“ (Ps 102,7). David weiß

sich von seinen Feinden verspottet und verflucht. Niemand will mit ihm verkehren, weil

er mit dem Vergleich mit dem Ruf des Käuzchens seinen Tod voraussagt.433

428 Wikipedia, Eule. 429 Vgl. Schouten van der Velden, S. 22. 430 Vgl. Wikipedia, Uhu. 431 Zur Übersetzung vgl. Rudolph, W., Micha, Nahum, Habakuk, Zephania, Berlin 1977, S. 276 und Anm. 14f, S. 278. 432 So die Übersetzung von Kaiser, Jesaja 13-39, Göttingen 1973, S. 10. 433 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 110.

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Für den alttestamentlichen Menschen sind Eulen, und im Besonderen der Steinkauz,

die Verkünder von Zerstörung, Elend und Jammer. Im Unterschied dazu war in der

vom griechischen Denken her geprägten Welt die Eule das Sym-

bol der Weisheit. In der griechischen Mythologie war der Stein-

kauz der Begleiter von Pallas Athene, der Göttin der Weisheit.

Deshalb erhielt er die lateinische Bezeichnung Athene noctua.434

Im alten Athen gab es viele Eulenbilder und Eulenstatuen zu

Ehren der Athene. Auf den silbernen Tetradrachmen befand sich

eine Eule. So wurde der Spruch: „Eulen nach Athen tragen“ zur

Kennzeichnung einer überflüssigen Handlung. Das Bild der Eule

befindet sich auf der Rückseite der heutigen griechischen 1 €-

Münze.435

Die griechische Bedeutung hat sich in der orientalischen Welt nie durchgesetzt. Hier

blieb die Eule aufgrund ihrer Rufe und Lebensweise ein unheimlicher und Unheil

ankündender Vogel. So hat sich rund um die Eule ein Aberglaube verschiedenster

Ausprägung entwickelt. Dabei ist die Schleiereule am meisten in

abergläubische Rituale involviert.436

Die Schleiereule ist die am nächsten zum Menschen lebende

Art. Im Heiligen Land wohnte sie vorwiegend im Gebälk von Tür-

men und in altem Mauerwerk. Nachts fiel sie durch Schnarch-

töne auf. Im Orient hat sich folgender Aberglaube mit der Schlei-

ereule verknüpft: Nachts fliegt sie in offenstehende Fenster, um

schlafenden Kindern das Gesicht zu zerkratzen.437

Wie praktizierende Juden diesen Aberglauben entgegentreten,

konnte ich ablesen an einem Anhänger, die Eltern an die Wiege ihrer

Säuglinge hängen. Es ist ein äußerst aussagekräftiges Symbol. Auf

der Rückseite ist ein Kinderkopf umgeben von blühenden Zweigen.

In den unteren Schlaufen hängen 10 Kettchen mit Ornamenten und

Granatäpfeln. Der Granatapfel ist im Alten Testament das Symbol

für Liebe, Fruchtbarkeit und Segen.

Auf der Vorderseite sind zwei Inschriften eingraviert:

➢ Rings um das Oval geschrieben ist das große jüdische Glau-

bensbekenntnis: „Höre Israel, der Herr, dein Gott, ist einer“ (5.

Mose 6,4).

➢ Die mittlere Inschrift ist der Beginn der von Gott selbst festge-

legten Segensworte: „Der Herr segnet dich und er behütet

dich“ (4. Mose 6,24).

434 Vgl. Schouten van der Velden, S. 22. 435 Vgl. Wikipedia, Eule. 436 Vgl. ebd. 437 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 110+111.

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Die beiden Worte stellen das Kind unter den Segen des alleinigen Gottes. Sie sind

zugleich die Zurückweisung jeder Art von Aberglaube.

Das in dem Wort Aberglaube steckende „aber“ heißt wie in vielen Fällen „dagegen“.438

Aber-Glaube ist Gegen-Glaube. Aberglaube ist Zweifel an der Allmacht Gottes und die

Furcht vor angsterregenden Erscheinungen, wie sie den Eulen angedichtet werden.

Das Sprichwort: „Je dunkler die Nacht, je heller sieht die Eule“439 ist keine

angstmachtende Beobachtung bzw. Behauptung. Für den Glaubenden gilt: „Der das

Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen“ (Ps 94,9).

In der Gewissheit: „Gott ist allwissend und allgegenwärtig“ können wir mit David beten:

„Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne“ (Ps

139,3).

„In einem Lied von Nikolaus Decius heißt es angelehnt an das alttestamentliche Gloria:

Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade,

darum, dass nun und nimmermehr

uns rühren kann kein Schade.

Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlass,

all Fehd hat nun ein Ende“ (EG 179,1).

438 Kluge, Fr., Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 20. Aufl., Berlin 1967, S. 2. 439 Zitiert nach Beyer, H.+A., S. 142.

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XX. Die Biene

Auf dem weißen Rand einer 1983 in Israel erschienenen Brief-

marke steht in hebräischer und englischer Sprache das Bibel-

wort: „ein Land, in dem Milch und Honig fließt“ (2. Mose 3,8).

Dabei ist vor dem Begriff Honig eine mit Blütennektar gefüllte

Bienenwabe eingezeichnet.

Auf der Marke selbst ist eine Biene dargestellt. Diese ist im

Begriff, eine noch freie Wabe mit dem von ihr gesammelten

Nektar zu füllen. In dem zu dieser Briefmarke veröffentlichen

Kommentar heißt es: Die in der Bibel oft vorkommende

Bezeichnung Israels „als Land, in dem Milch und Honig fließt“ ist ein Hinweis, dass es

bereits vor tausenden von Jahren in Israel eine Bienenhaltung gab. Weiter heißt es im

Text: Heute gibt es in Israel ca. 80 000 Bienenvölker. Produziert werden 2 500 Tonnen

Honig von höchster Qualität, zumeist aus dem Nektar der Orangenblüten. Die ent-

scheidende Rolle jedoch, die Bienen spielen, ist die Bestäubung vieler Pflanzen in der

Blüte wie zum Beispiel Avocados, Melonen, Gurken, Erdbeeren sowie das Winter-

gemüse. Nicht unerwähnt bleibt das Bienenwachs und das unter dem Namen propulis

bekannte Bienenharz, dem heilkräftige Wirkung bescheinigt wird.

Die Briefmarke mit der Biene und die dazu veröffentlichte Erklärung zeigt, dass die

Bürger des modernen Staates Israel davon überzeugt sind: Unser Land ist das Land,

in dem Milch und Honig fließt.

Es war um 1950 v.Chr., als Sinuhe der Ägypter seinen Reisebericht verfasste.440 Sein

Weg führte auch durch die Gegenden des heutigen Israel. Dazu schreibt Sinuhe unter

anderem: Das Land war reich an Honig, den es sogar in andere Länder exportierte.441

Im Alten Testament wird Honig zum ersten Mal erwähnt, und zwar als Gastgeschenk.

Auf ihrer zweiten Reise nach Ägypten, um dort Weizen zu kaufen, sollten die Söhne

Jakobs – so war es der Wille ihres Vaters – dem ihnen noch unbekannten hochran-

gigen ägyptischen Würdenträger u.a. „ein wenig Honig“ mitbringen (1. Mose 43,11).

Die Betonung „ein wenig“ soll das Geschenk als Gastgeschenk charakterisieren. Ein

Gastgeschenk zeichnet sich nicht durch „Massenhaftigkeit“, sondern durch Beschei-

denheit aus.442 Ein massiges Geschenk schafft eine peinliche Situation. Ein beschei-

denes Geschenk ist eine Aufmerksamkeit, die der Gastgeber gerne annimmt. Hinter

dem „ein wenig“ steht auch das Wissen Jakobs, dass der ihnen noch Unbekannte der

zweitmächtigste Mann Ägyptens ist und mit allem im Überfluss versorgt war.

Die ältesten Zeugnisse von der Hochschätzung der Biene und der Bienenzucht stam-

men aus Ägypten. „Um das Jahr 4000 v.Chr. während der 1. Dynastie in Ägypten

erscheint die Biene als Symbol der Kunst. Ein ägyptisches Relief aus der Zeit um 3000

v.Chr. zeigt eine Szene aus der Bienenzucht, nämlich das Auspressen des Honigs aus

den Waben.“443

440 Zu Sinuhe dem Ägypter vgl. Ermann, A., Die Literatur der Ägypter, Leipzig 1923, S. 39+40. 441 Vgl. Schmidt, W. H., Exodus, 1. Teilband, Neukirchen-Vlyn 1988, S. 165. 442 Vgl. Jacob, B., Genesis, S. 782. 443 Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 147.

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Für die 400 Jahre in Ägypten lebenden Israeliten war Milch und Honig ein Bild für satte

Weiden und alle erdenklichen Köstlichkeiten. Auf ihrer Wanderung durch die Steppen

des Sinai sagt Gott seinem Volk ein Land zu, „das dem mit allem Überfluss versehenen

Ägypten nicht nachsteht“.444

Die von Gott den Israeliten versprochene neue Heimat ist ein „Land, in dem Milch und

Honig fließt“ (2. Mose 3,8). Als Mose Kundschafter aussandte, um das Land zu erkun-

den, bestätigten diese bei ihrer Rückkehr: „Wir sind in das Land gekommen, in das ihr

uns sandtet, und wahrlich, Milch und Honig fließen darin“ (4. Mose 13,27).445 Es ist ein

Land mit Weiden für milchspendende Tiere und mit Bäumen, in deren Zweige Früchte

für den Menschen wachsen.“446 Es ist eine fruchtbare, blühende Landschaft, in der es

weder an Milch noch an Honig mangelt.

„Milch und Honig sind ideale Nahrungs- und Genussmittel, selbst für Säuglinge.“447

Man kann sie unbedenklich dem kleinsten Kind geben. Von dem von der Jungfrau zur

Welt gebrachten Immanuel heißt es: „Rahm und Honig wird er genießen.“448 Milch und

Honig sind Produkte, die ohne jede Zubereitung genossen werden können. Sie haben

nicht „die geringsten ungenießbaren oder schädlichen Bestandteile“. Sie sind „natur-

rein, nahrhaft, erfrischend und von köstlichem Geschmack“.449

Milch stammt vom Tier, Honig wird dank der Biene von Pfla nzen

gewonnen. Pflanzen produzieren in der Blüte zuckerhaltige Pflan-

zensäfte, wozu auch der Nektar gehört. Die Biene sammelt den

Nektar in ihrem Kropf, der sogenannten Honigblase. Hier erfolgt

ein erster Umwandlungsprozess. Gelagert wird dann der Nektar

in den Waben. Hier wird durch Fermentation und Wasserentzug

der Honig produziert.450 Um 1 kg Honig zu einzutragen, muss die

Biene den Kropf, die sogenannte Honigblase, 50 000 Mal füllen. Dazu muss sie 3 Mil-

lionen Blüten besuchen.451

Honig war und ist eines der im wahrsten Sinne des Wortes kostbarsten Nahrungs- und

Genussmittel. In einem Weisheitsspruch aus dem Buch Jesu Sirach heißt es: „Gar

winzig unter den fliegenden Wesen ist die Biene und doch bringt sie das beste Gut

hervor“ (Sirach 11,3).452

Gott schuf die Biene, um den Menschen glücklich zu machen. Ohne Bienen gibt es

keinen Honig. Nach König David soll der Honig uns daran erinnern, dass es nur eines

gibt, das weit besser ist als Honig. In einem seiner Gebete sagt David:

„Die Furcht des Herrn… ist süßer als Honig und Honigseim“ (Ps 19,10+11).

444 Vgl. Jacob, Exodus, S. 52. 445 Zu der Wendung „ein Land, in dem Milch und Honig fließt“ vgl. 2. Mose 13,5; 33; 3. Mose 16,13f; 5. Mose 6,3; 11,9; 26,9+15; 27,3; Jos 5,6; Jer 11,5; 32,22; Hes 20,6; Sirach 46,8. 446 Cassuto, zitiert nach Gradwohl, Bd. I, S. 103. 447 Jacob, Exodus, S. 52. 448 Das in der Lutherübersetzung 2017 mit Butter übertragene Wort wird von anderen Übersetzern mit Süßrahm bzw. mit süßer, frischer, noch weicher Butter wiedergegeben, vgl. Wildberger, H., Jesaja, Neukirchen-Vlyn 1972, S. 268. 449 Jacob, Exodus, S. 52. 450 Vgl. Schouten van der Velden, S. 14. 451 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 148-149. 452 Übersetzung nach Keel/Küchler/Uehlinger, Bd. I, S. 169.

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Der von Luther mit „Furcht“, von anderen Übersetzern mit „Verehrung“ übertragene

Begriff hat in der hebräischen Sprache eine Doppelbedeutung. Er bedeutet sowohl

Furcht im Sinne von Angst als auch von Ehrfurcht (hebr. jirat).453

➢ Furcht und Angst packt einen Menschen in Notsituationen und Gefahren.

➢ Ehrfurcht ist die „Verehrung Gottes“.454 Ehrfurcht ist der Schlüssel zur Dankbar-

keit. Nur der dankbare Mensch weiß um das Geheimnis der Ehrfurcht.455

➢ Ehrfurcht ist Staunen, Demut und Scheu.

➢ Ehrfurcht ist die Anerkennung der Hoheit, Würde und Heiligkeit Gottes.

➢ Ehrfurcht ist das Geheimnis, das den Menschen nötigt, Distanz zu halten.

➢ Ehrfurcht ist das Gegenteil von plumper Vertraulichkeit.

Wann immer ich den mir von der Biene geschenkten Honig genieße, bin ich dazu ein-

geladen, in Demut, Bescheidenheit, Sorgfalt und Distanz vor Gott zu treten und das

eine große Wort zu sagen: Danke!

Allein der dankbare Mensch lebt bewusst. Die Biene will uns daran erinnern, nichts zu

genießen ohne ein Dankgebet. Es ist das Gebet vor dem Essen und das Danke sagen

bei allem Schönen, das wir erfahren. Erst die Dankbarkeit macht unser Leben reich.

Wenn ein Mensch auch für das Kleinste Dankbarkeit empfindet, beginnt er zu blühen.

Dankbarkeit richtet ihn auf wie Wasser eine Pflanze.

Jeder Tag gibt Grund genug zu neuem Dank. Dabei genügen die einfachen Worte:

Herr, ich danke dir! In dem großen Danklied des aus einer Hugenottenfamilie stam-

menden Carl Friedrich Wilhelm Herrosee heißt es:

„Betet ihn an!

Anbetung dem Herrn;

mit hoher Ehrfurcht

wird auch von uns sein Name stets genannt,

sein Name stets genannt,

sein Name stets genannt“ (EG 333,5).

453 Siehe Gesenius, S. 315+316 und Koehler/Baumgärnter, S. 400. 454 Vgl. Fuhs, H. F., jāre, in: ThWBAT, Bd. III, Sp. 887-891. 455 Barth, K., Kirchliche Dogmatik, Bd. III, Teil 4, Zürich 1951, S. 384. „Ehrfurcht“ – so formuliert es Karl Barth – „ist das Staunen, die Demut, die Scheu des Menschen vor einem Faktum, in welchem ihn ein Überlegenes begegnet: Hoheit, Würde, Heiligkeit, ein Geheimnis, das ihn nötigt, Distanz zu nehmen und zu bewahren, bescheiden, besonnen und sorgfältig mit ihm umzugehen.“

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XXI. Die Schwalbe

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, so heißt es in einer um

300 n.Chr. in Griechenland niedergeschriebenen Sammlung von Tier-

fabeln.456 Hintergrund der zum Sprichwort gewordenen Wendung ist die

Zugehörigkeit der Schwalben zu den Zugvögeln.

In der 1992 in Israel erschienenen Briemarkenserie „Singvögel“ sind auf

einer der Marken Schwalben abgebildet.457 Sowohl auf der Marke selbst

als auch auf dem Rand sind je drei Schwalben im Flug zu sehen. Auf der

Marke steht auf Englisch und Hebräisch „Schwalbe“, auf dem Rand der

wissenschaftliche Name Hirundo rustica. Im Land der Bibel sind die

Schwalben im Herbst und im Frühjahr zu Gast. Ihre Brutgebiete sind Europa und

Asien. Sie durchziehen das Heilige Land, um im südlichen und tropischen Afrika zu

überwintern.458

Auf Hebräisch heißt die Schwalbe deror, ein Wort, das aus einer Wurzel abgeleitet ist

und soviel heißt wie „loslassen“, „vorwärtsstoßen“. Der Name deutet hin auf den

„schnellen, gleitenden und vor Hindernissen elegant abschwenkenden Flug der

Schwalben“.459 Das hebräische Wort für Schwalbe kann aber auch wie im Babylo-

nischen soviel bedeuten wie Freilassung, und zwar die Freilassung von Sklaven.460

Die Flugweise der Schwalbe sowie die mögliche Verbindung mit dem Begriff Freilas-

sung sind ein Bild für die Wirkungslosigkeit eines unverdienten Fluches. So heißt es in

einem der Weisheitssprüche des Alten Testamentes:

„Wie ein Vogel dahinfliegt und eine Schwalbe enteilt, so ist ein unverdienter

Fluch: er trifft nicht ein“ (Sprüche 26,2).

In der Antike herrschte ein fester Glaube an die Kraft des Fluches.461 Die Auffassung,

wonach jeder Fluch unvermeidlich eine Auswirkung hat, entspricht nicht der biblischen

Wahrheit. Ein grundloser Fluch trifft nicht! Er trifft nicht ein!462 Dies ist ein befreiendes

Wort für jeden, der darunter leidet, dass jemand grundlose einen Fluch gegen ihn aus-

gesprochen hat.463

Für unverdiente Fluchworte gibt es ganz unterschiedliche Absender:

➢ Die Bettlerin an der Tür, die sich zu wenig bedacht fühlte.

➢ Eltern, die die Wege ihrer Kinder verurteilen.

➢ Geschwister, die sich in Erbstreitigkeiten nicht einigen können.

➢ Menschen, die sich in Freundschaft oder Ehe enttäuscht betrogen und verlas-

sen fühlen.

456 Die auf mündliche Überlieferung zurückgehenden Tierfabeln werden Äsop zugeschrieben. Der legendäre Fabeldichter Äsop soll im 6. Jahrhundert v.Chr. auf Samos gelebt haben. Vgl. Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim/Wien/Zürich 1987, 2. Aufl., Bd. II, S. 186. 457 Vgl. Carmel Stamp Catalogue, S. 103. 458 Vgl. Schoten van der Velden, S. 86. 459 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 126. 460 Vgl. Koehler/Baumgartner, S. 217 und Genesius, S. 168. 461 Vgl. Gemser, B., Sprüche Salomos, Tübingen 1937, S. 73. 462 Vgl. Delitzsch, Fr., Salomonische Spruchbuch, Gießen/Basel 1985, Leipzig 1873, S. 416. 463 Vgl. Ringgren, H., Sprüche, in: ATD, Teilband 6, Göttingen 1969, S. 105.

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Verwünschungen oder Flüche, wer auch immer sie ausspricht, sind äußerst schmerz-

haft. Sofern jedoch ein Fluch ohne begründendeten Anlass ausgesprochen wird, bleibt

er wirkungslos. Auch wenn der Verfluchende einen bestimmten Adressaten im Auge

hat, „fliegt der Fluch dahin ohne Ziel“.464 Er „enteilt“ wie eine Schwalbe und „bleibt

unwirksam“.465 Nach dem Talmud, der jüdischen Auslegung des Alten Testamentes,

wird ein unbesonnenes Verwünschen zur Anklage des Verwünschenden bei Gott.466

Spätere jüdische Ausleger gehen davon aus, dass ein zu Unrecht Verfluchter von Gott

freigesprochen ist, wobei der unverdiente Fluch den Fluchenden selbst trifft.467

Dem Apostel Paulus war die zu seiner Zeit noch in der Synagoge üblichen Sitte, gegen

die Feinde Fluchworte auszusprechen,468 ein Dorn im Auge. In deutlicher Anknüpfung

an das Wort Jesu „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen“ (Mt 5,44)469 erlässt

Paulus für die Christen die Anweisung: „Segnet und flucht nicht“ (Röm 12,14). In den

Ausführungen des Jakobusbriefes heißt es: Der Lobpreis Gottes schließt das Fluch-

wort über Menschen, die das Geschöpf desselben Gottes sind, aus (Jak 3,9+10).470

Lässt sich ein Mensch dazu hinreißen, einen anderen zu verfluchen und dazu noch in

ungerechtfertigter Weise, dann gleicht dieser Fluch dem Flug einer Schwalbe, die in

der Luft schwebt und davon fliegt.

Indem ich mich nach der von Gott gesetzten Ordnung richte, bekomme ich die Kraft,

den zu segnen, der mich verflucht.

Das regelmäßige Auftauchen der Zugvögel u.a. der Schwalben im Land der Bibel im

Herbst und im Frühjahr ist für den Propheten Jeremia ein „beschämendes Gegenbei-

spiel für den Menschen“.471 „Turteltaube, Schwalbe und Kranich halten die Zeit ihrer

Ankunft ein; aber mein Volk kennt die Ordnung Jahwes nicht“ (Jer 8,7).

Die Zugvögel, Geschöpfe ohne Vernunft, kennen „ihre Zeiten“. Zuverlässig kehren sie

immer wieder in ihre Heimat zurück.472 Zugvögel wissen genau, wann sie zurück keh-

ren müssen und halten ihre Zeiten ein, sie tun von selbst und verlässlich „das Rich-

tige“.473

Der Mensch jedoch, der Gott am nächsten steht, verharrt in „immerwährender Abkehr“

(Jer 8,6), so sagt es der Prophet Jeremia vom Gottesvolk seiner Zeit. Es lebt in „Abkehr

ohne Umkehr“.474 Dabei ist Jeremias Vergleich kein Vorwurf, sondern eine Einladung,

Zeiten einzuhalten, um zur Besinnung zu kommen.

464 Plöger, O., Sprüche Salomo, Neukirchen-Vlyn 1987, S. 309. 465 Ringgren, Sprüche, S. 105. 466 Vgl. Delitzsch, Fr., Salomonisches Spruchbuch, S. 416. 467 Vgl. ebd. 468 Vgl. Michel, O., Der Brief an die Römer, 3. Aufl., Göttingen 1963, S. 305. 469 Vgl. Wilkens, U., Der Brief an die Römer (Römer 12-16), Zürich/Braunschweig/Neukirchen-Vlyn 1989, 2. Aufl., S. 22 und Schmidt, H. W., Der Brief des Paulus an die Römer, 3. Aufl., Berlin 1972, S. 215. 470 Vgl. Mußner, F., Der Jakobusbrief, Leipzig 1976, S. 168 und Michel, O., Der Brief an die Römer, S. 305, Anm. 5. 471 Rudolph, W., Jeremia, 2. Aufl., Tübingen 1958, S. 52. 472 Vgl. Weiser, A., Das Buch des Propheten Jeremia, 4. Aufl., Göttingen 1960, S. 71. 473 Schreiner, J., Jeremia, Leipzig 1987, S. 63. 474 Weiser, Jeremia, S. 70.

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Gott hat dem Menschen das Gebot gegeben, einen Tag in der Woche als einen heili-

gen Tag zu begehen (2. Mose 20,8-11). Für Juden ist es der Sabbat, der Tag des

Mitfeierns des großen Schöpfungsfestes, mit dem Gott sein Werk vollendete (1. Mose

2,2+3). Für Christen ist es der Sonntag, der Tag der Auferstehung Jesu (Mt 28,1+6;

Lk 24,1+6f). Der wöchentliche Feiertag ist eine von Gott bestimmte Zeit des Innehal-

tens. Es ist die Zeit, zurück- und vorauszublicken. Im Zurückblicken erkennen wir, ob

wir auf der falschen Spur sind. Im Vorausblicken liegt die Möglichkeit des Hinüber-

wechselns in die richtige Spur.475 Die Lebensweise der Schwalbe als Zugvogel ist ein

Gleichnis für das Einhalten der von Gott bestimmten Zeiten.

Noch in einem dritten Punkt ist die Schwalbe ein Bild dafür, wie ich zur Ruhe kommen

kann, wenn ich beleidigt, gehasst und verflucht werde.

Es ist die Lebensweise der Schwalben. Dazu gehört der kunst-

volle Bau ihrer Nester. Als Baumaterial holen sich Schwalben

Lehm oder Ton aus Pfützen oder auch ein Gemisch von Kies

und Lehm, das sie auf alten Kieswegen finden.

Für den Bau sind besonders gut klebende Körpersekrete

erforderlich, welche im Schwalbenspeichel bereitgestellt wer-

den. Innen wird das Nest mit Federn ausgekleidet.476 Im Laufe

eines Sommers werden im Nest zweimal Junge ausgebrütet.477 Die Schwalben leben

in Kolonien und bauen ihre Nester unter Dachrändern dicht an dicht.478 Bei vielen Völ-

kern des Altertums ist es nicht nur Sitte, Schwalben an Häusern nisten zu lassen, son-

dern auch an den Mauern ihrer Heiligtümer.479

Das Erste, was einem zum Tempel in Jerusalem Pilgernden ins Auge fällt, sind die

zahlreichen Schwalbennester an der Mauer, die den Vorhof des Tempels umgeben.

Beim Betrachten der Schwalbennester ruft der Pilger, der zum Heiligtum kommt, aus:

„Die Schwalbe hat ein Nest, wo sie ihre Jungen untergebracht hat. Ich aber

habe deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein König und mein Gott“ (Ps

84,4).

Die an den Mauern des Heiligtums nistenden Schwalben sind für den im Heiligtum

Angekommenen ein Bild für das Glück der Gottesnähe. An den Altären Gottes findet

der Pilger Schutz, Geborgenheit, Heimat und Ruhe.480

Ruhe ist mehr als Entspannung und Zufriedenheit. Zur Ruhe kommen heißt, in einem

ganzen und heilen Verhältnis zu Gott zu leben. Der alttestamentliche Beter fand diese

Ruhe an den Altären, den Symbolen der Gottesnähe im Tempel.

Der Ort, an dem ein Christ zur Ruhe kommt, zu einem ganzen und heilen Verhältnis

mit Gott, ist das Kreuz von Golgatha. In dem Lied der Fürstin Eleonore Reuß (1835-

1903) „Ich bin durch die Welt gegangen“ heißt es:

475 Vgl. Gradwohl, R., Jeremia 8,4-7, in: Bibelauslegungen 476 Vgl. Schouten van der Velden, S. 86 und Wikipedia, Schwalbe. 477 Vgl. Møller-Christensen/Jørgensen, Tierlexikon, S. 127. 478 Vgl. Schouten van der Velden, S. 86. 479 Vgl. Hupfeld, H., Die Psalmen, 3. Aufl., Bd. II, Gotha 1888, S. 315 und König, E., Die Psalmen, Gütersloh 1927, S. 302. 480 Vgl. Kraus, H.-J., Psalmen, Bd. II, S. 584 und Hupfeld, Psalemn, S. 315.

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„Es ist eine Ruhe gefunden

für alle fern und nah

in des Gotteslammes Wunden

am Kreuze auf Golgatha“ (EG Bayern 621,5).

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Epilog Erinnerungen an die Begegnungen mit unseren Freunden Aharon Bier, Rose Warmer

und Daniel Rufeisen

Aharon Bier veröffentlichte 1976 den Reiseführer Eretz Israel. Er ist gewidmet seinen

Eltern Mordechai und Gittel Bier, die Macher als Heranwachsenden ins Heilige Land

brachten. Geschrieben ist das Werk als Begleiter für jüdische Pilger. Hier finden sich

Orte im Heiligen Land, die man vergeblich in christlichen Reiseführern sucht.

Die Gespräche auf den Wegen in Jerusalem und das gemeinsame Feiern jüdischer

Festtage im Hause Bier waren für meine Frau und mich Stunden des „Lernens“!

Ein Beispiel der Argumentationsweise von Bier ist folgende Berechnung des Kommens

des Messias:

„Meine Rechnung ist nicht eine Rechnung, wann Messias kommt, ein gläubiger Jude

darf solche Rechnungen gar nicht machen, ich sagte nur, dass von Zerstörung des

1.Tempels bis zur Rückkehr waren 50 Jahre, der Bau war 20 Jahre = 70. Vom Zerstö-

rung des Tempels und Massada bis zum zweiten Aufstand, waren 70 Jahre vom

1.Zion. Kongress bis ‚47 Krieg sind 50 Jahre, bis zum sechs Tage Krieg noch 20 = 70.

Wenn wir aber von Balfour Deklaration 1917 rechnen , so sind die ersten 50 Jahre in

1967 – der Sechstagekrieg – plus Maximum noch 20 Jahre (zusammen 70) bis der

Messias kommen MUSS!“

Das wäre das Jahr 1987. In diesem Jahr ist Aharon Bier gestorben und seinem

Messias begegnet.

In einem Tischgespräch im Hause Bier sprachen wir über die Erwartung des Anbruchs

des messianischen Reiches. Dabei sagte meine Frau Rosemarie versehentlich, dass

dem messianischen Reich das tausendjährige Friedensreich Jesu vorausgeht. Der

Begriff tausendjähriges Reich schlug ein wie eine Bombe. Die Assoziation mit dem von

Hitler propagierten tausendjährigen Reich stand riesengroß im Raum. Meine Frau war

über ihren Fauxpas schockiert. Bier bemerkte die Betroffenheit meiner Frau und

bemühte sich, eine Brücke zu bauen. Er lenkte in versöhnlichem Ton ein. Seine Worte

lauteten in etwa: wenn euer Jesus wiederkommt, werden wir sehen, ob er unser

erwarteter Messias ist.

Rose Warmer wurde als Tochter einer gut situierten, streng orthodoxen Familie in

Ungarn geboren. Sie war Tänzerin, Bildhauerin und, wie sie von sich selbst sagte,

„Jüdin ohne Religion“ nach langen, heftigen Kämpfen konvertierte sie zum Christen-

tum. Ihr Herz blieb aber bei ihrem jüdischen Volk. Als die Deportation von Juden auf

dem Balkan begann, hätte sie in die Schweiz emigrieren können. Sie besaß ein

Schweizer Visum. Sie aber entschloss sich, bei ihrem Volk zu bleiben bzw. wie sie es

ausdrückte, mit ihrem Volk ins Elend zu gehen. Sie durchlebte die Hölle der Zwangs-

arbeit bei Krupp und die Konzentrationslager Auschwitz, Birkenau und Bergen-Belsen.

An Typhus erkrankt und im Koma liegend, wurde sie von den Engländern zur Pflege

nach Celle gebracht, wo sie wieder zu Kräften kam. Die Aufzeichnungen ihres Lebens

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finden sich in dem Buch von Myrna Grant. Der Titel lautet: „Reise im Gegenwind“,

Franke Verlag, Marburg.

Nach einer langen Zeit der Erholung wurde ihre neue Heimat Haifa in Israel. Um jedoch

völlig an Leib und Seele zu genesen, rieten ihr mehrere Ärzte, sich in Deutschland

medizinisch behandeln zu lassen. Sie willigte schließlich ein, allerdings mit dem Vor-

behalt, nie wieder nach Celle zu gehen. Unsere wiederholten Einladungen blieben

schließlich nicht erfolglos. Zweimal war Rose Warmer zu einem der großen Israel

Seminare in der Lobetalarbeit in Celle als Referentin zu Gast. Wie bei allen Seminaren,

trafen wir uns nach den Vorträgen mit den Referenten zu einer gemütlichen Runde in

unserem Privathaus. Der Mitreferent Referent von Rose Warmer war ein renommierter

israelischer Kenner. An diesem Abend erzählte er, dass er als hoher Offizier eine

Audienz bei Adolf Hitler hatte. Er schwärmte von der Faszination, die von Hitler aus-

ging. Alle Bemühungen, ihn zu stoppen, blieben erfolglos. Voll Begeisterung berichtete

er sogar von den Deportationen der Juden aus dem Balkan. Wir waren fassungslos.

Rose Warmer, deren Gesicht stets von der Liebe Jesu erleuchtet war, saß versteinert

wie Lot’s Weib in der Ecke unseres Sofas. Sie brachte kein Wort über ihre Lippen. Die

Erinnerungen schnürten ihr die Kehle zu. Wir dachten an die Antwort, die sie ihren

jüdischen Leidensgenossen gab, wenn diese sie, weil sie Christin war, hasserfüllt frag-

ten: wo warst du, als wir nach Auschwitz und in die Öfen gingen? Ihre Antwort bestand

in drei Worten: „Ich war dort“.

Daniel Rufeisen trafen wir zum ersten Mal im Oktober 1981 im Kloster Stella Maris in

Haifa. Von einem Platzregen überrascht, kamen wir zu spät zu dem vereinbarten Ter-

min. Im Kloster hatte das Stundengebet begonnen, so konnte ich keinen nach Pater

Daniel fragen. Ich irrte durch die Klostergänge, bis ich in einer Ecke eine kleine Gestalt

entdeckte. Die im Gebet versunken war. Als er mich sah, sagte Pater Daniel nur: „ ich

betete für sie, dass auf der Straße nichts passiert“.

Geboren wurde Daniel Rufeisen in einem Dorf in B Gallizien. Seine Eltern betrieben

ein kleines Gemüsegeschäft. Ihrem Sohn gaben sie den Namen Oswald. Mit zwölf

Jahren trat Oswald Zionistische Jugendbewegung ein. 1941 flüchtete er mit seinen

Eltern Richtung Osten. Er verpflichtete sich als Dolmetscher und geriet so in die mobi-

len Tötungseinheiten der Einsatzgruppen des Deutschen-Reichs- Sicherheitshaupt-

amtes. Oswald Hufeisen bekam eine schwarze Uniform und eine Waffe. Da er von den

Einsätzen zu Massenexekutionen wusste, konnte er seine jüdischen Landsleute war-

nen und rettete 300 Juden das Leben. Sein „Verrat“ blieb nicht unentdeckt. Im August

1942 konnte er dank seines Vorgesetzten fliehen. Im Kloster zu Mir bekam er Asyl.

Nach der Lektüre des NT in der Klosterbibliothek wurde er Christ und von der dortigen

Äbtissin getauft. Nach dem Krieg studierte er Theologie und absolvierte seine Zeit als

Kaplan in Krakau, zusammen mit Woytila, dem späteren Papst Johannes Paul II.1959

wanderte Daniel Rufeisen nach Israel aus. Die authentische Beschreibung seines

Lebens ist unter dem Titel „Daniel Oswald Rufeisen, der Mann aus der Löwengrube“,

Köln 1989 erschienen. In Haifa gründete Pater Daniel die Gemeinde der hebräischen

Christen. Zum Höhepunkt unserer Begegnungen im Gemeindezentrum in Haifa

gehörte ein Sederabend zum Passafest, der einmündete in die Feier des Heiligen

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Abendmahles. Über unsere Begegnungen und Gespräche schrieb ich einen umfang-

reichen Bericht, den ich Pater Daniel zur Korrektur zuschickte. Ich stand damals noch

ganz unter dem Eindruck, mit welcher Freude Pater Daniel von seiner Audienz bei

Papst Johannes Paul Il. im Jahre 1984 berichtete. Dann folgte im gleichen Vortrag in

tiefer Betroffenheit die Aussage: meine Kirche hat mich wenig später, ohne direktes

Glaubensgespräch, in statu extra ecclesiam gesetzt. Damit wurde Pater Daniel die

offizielle Zugehörigkeit zur römischen Kirche abgesprochen. Diese Entscheidung

wurde in den Organen der römischen Kirche veröffentlicht. Dies bestätigte uns bei

einem Abendessen der katholische Bischof Professor Dr. Wothe. In meinem Bericht

über Pater Daniel Rufeisen habe ich die Entscheidung der römischen Kirche nicht aus-

geklammert. Pater Daniel hat in seiner Korrektur meines Berichtes diese ganze

Passage gestrichen und handschriftlich am Rand vermerkt: „Daniel weiß nichts

davon“. Je länger ich über diesen Vermerk nachdenke, desto größer wird meine Hoch-

achtung vor Pater Daniel Rufeisen. Um nicht bitter und verbittert zu werden, hat Pater

Daniel tiefste, von ihm erlebte Enttäuschung als nicht geschehen bezeichnet.

Für Pater Daniel Rufeisen war dies keine billige Verdrängung. Es war vielmehr die

bewusste Entscheidung, auf jede verbale oder schriftliche Anklage gegen seine Kirche

zu verzichten. Durch sein Schweigen über das zugefügte Unrecht hat er selbst zum

Frieden gefunden und konnte so weiter im Segen wirken. Als Pater Daniel am 30.Juli

1998 starb, titelte eine Zeitung in Israel:

„Geboren als Jude, lebte als Christ und wurde begraben als Jude und Christ“. An

seinem Grab sprach der Bruder Pater Daniels Arie den Kaddisch. Ein Neffe sagte nach

der Beerdigung Hier wurden 2000 Jahre Zwist zwischen Juden und Christen begra-

ben“.

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