6
Abb. 1. Pheromone sind stereochemisch oft sehr komplex. Japonilure (1) stammt aus dem Japankäfer Popillia japonica, 4,6,8,10,16,18-Hexamethyldocosan (2) aus dem Zuckerrohr- käfer Antirogus parvulus. hält diese durch direkten Kontakt mit der Haut des zu untersuchenden Organismus. Anschließend werden die Extrakte oder die SPME-Proben mit gekoppelter Gaschromatogra- phie und Massenspektrometrie (GC- MS) untersucht. Auf diese Weise erhält man meist sehr geringe Mengen eines oft kom- plexen Gemischs, dessen Zusam- mensetzung spurenanalytische Me- thoden aufklären müssen. Das größ- te Problem ist die Strukturaufklä- rung. Hier helfen Elektronenstoßio- nisations-Massenspektren, die durch ihre hohe Fragmentierung dem ge- übten Auge viele Strukturinforma- tionen geben, sowie hochauflösende GC-MS-Untersuchungen, mit denen sich die molekulare Zusammenset- zung bestimmen lässt. Umfangrei- che Spektrenbibliotheken helfen hier; interessant wird es aber beson- Der erste Schritt, um ein Phero- mon beispielsweise von Gliedertie- ren zu identifizieren, besteht darin, einen Extrakt zu gewinnen, der das Pheromon enthält. Dafür kann man ganze Tiere oder Organe, beispiels- weise Drüsen, extrahieren. Elegan- ter ist es jedoch, Adsorbentien wie Aktivkohle zu nutzen. Diese adsor- bieren die an die Umgebung abge- gebenen Stoffe, welche die zu un- tersuchenden Tiere in kleinen Kam- mern freisetzen. Mit wenig Lö- sungsmittel lässt sich so ein Dampf- raumextrakt gewinnen. Als Alternative dazu hat sich in den letzten Jahren die Festphasen- mikroextraktion (solid phase micro- extraction, SPME) entwickelt. Dabei nimmt eine mit einer flüssigen Phase belegte Spritzenspitze entweder in der Kammer flüchtige Verbindungen aus dem Dampfraum auf, oder sie er- Stefan Schulz Die Pheromonforschung ist ein interdisziplinär geprägtes Gebiet: Es geht darum, Pheromone zu identifizieren und zu synthetisieren, Biosynthesewege aufzuklären und die Pheromonperzeption bis hin zur Signalverarbeitung zu verstehen. Dazu kommt die Frage, wie sich Pheromone im Pflanzenschutz, in der Medizin und der Tiermedizin anwenden lassen. Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere Pheromone ders bei unbekannten Verbindun- gen, die immer noch häufig zu fin- den sind. Ein reiner Spektrenver- gleich reicht zur Identifizierung nicht aus. Unabdingbar ist die Be- stimmung des gaschromatographi- schen Retentionsindizes und schließlich ein Vergleich mit einer Referenzsubstanz. Für die Strukturaufklärung sind auch Mikroreaktionen nützlich, um das chemische Verhalten der Zielver- bindung ermitteln. Beispiele sind die Bestimmung der Position der Dop- pelbindung mit Dimethyldisulfid, Hydrierungen, Reduktionen, die Umwandlung in Trimethylsilylether und Ester (Silylierung) oder die Um- wandlung in Cyanide, um die Me- thylverzweigungen in Ketten zu be- stimmen. Biologische Methoden sind die Kopplung von Insektenantennen an QUERGELESEN ❯❯ Um Pheromone zu identifizieren, müssen Spek- trenvergleiche, chemische Mikroreaktionen und biologische Methoden kombiniert werden. ❯❯ Bei der Synthese von Pheromonen sind hoch stereoselektive Methoden nötig. ❯❯ In den letzten Jahren wurden einige ungewöhn- liche Pheromonstrukturen entdeckt; mittlerweile sind auch Pheromone von anderen Tieren als Insekten bekannt. O O Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten 704 Foto: Hansjörg Schulthess, pixelio.de

Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

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Page 1: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

Abb. 1. Pheromone sind stereochemisch oft sehr komplex. Japonilure (1) stammt aus dem

Japankäfer Popillia japonica, 4,6,8,10,16,18-Hexamethyldocosan (2) aus dem Zuckerrohr-

käfer Antirogus parvulus.

hält diese durch direkten Kontakt mit der Haut des zu untersuchenden Organismus. Anschließend werden die Extrakte oder die SPME-Proben mit gekoppelter Gaschromatogra-phie und Massenspektrometrie (GC-MS) untersucht.

Auf diese Weise erhält man meist sehr geringe Mengen eines oft kom-plexen Gemischs, dessen Zusam-mensetzung spurenanalytische Me-thoden aufklären müssen. Das größ-te Problem ist die Strukturaufklä-rung. Hier helfen Elektronenstoßio-nisations-Massenspektren, die durch ihre hohe Fragmentierung dem ge-übten Auge viele Strukturinforma-tionen geben, sowie hochauflösende GC-MS-Untersuchungen, mit denen sich die molekulare Zusammenset-zung bestimmen lässt. Umfangrei-che Spektrenbibliotheken helfen hier; interessant wird es aber beson-

� Der erste Schritt, um ein Phero-mon beispielsweise von Gliedertie-ren zu identifizieren, besteht darin, einen Extrakt zu gewinnen, der das Pheromon enthält. Dafür kann man ganze Tiere oder Organe, beispiels-weise Drüsen, extrahieren. Elegan-ter ist es jedoch, Adsorbentien wie Aktivkohle zu nutzen. Diese adsor-bieren die an die Umgebung abge-gebenen Stoffe, welche die zu un-tersuchenden Tiere in kleinen Kam-mern freisetzen. Mit wenig Lö-sungsmittel lässt sich so ein Dampf-raumextrakt gewinnen.

Als Alternative dazu hat sich in den letzten Jahren die Festphasen-mikroextraktion (solid phase micro-extraction, SPME) entwickelt. Dabei nimmt eine mit einer flüssigen Phase belegte Spritzenspitze entweder in der Kammer flüchtige Verbindungen aus dem Dampfraum auf, oder sie er-

Stefan Schulz

Die Pheromonforschung ist ein interdisziplinär geprägtes Gebiet: Es geht darum, Pheromone zu

identifizieren und zu synthetisieren, Biosynthesewege aufzuklären und die Pheromonperzeption

bis hin zur Signalverarbeitung zu verstehen. Dazu kommt die Frage, wie sich Pheromone im

Pflanzenschutz, in der Medizin und der Tiermedizin anwenden lassen.

Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

�Pheromone�

ders bei unbekannten Verbindun-gen, die immer noch häufig zu fin-den sind. Ein reiner Spektrenver-gleich reicht zur Identifizierung nicht aus. Unabdingbar ist die Be-stimmung des gaschromatographi-schen Retentionsindizes und schließlich ein Vergleich mit einer Referenzsubstanz.

Für die Strukturaufklärung sind auch Mikroreaktionen nützlich, um das chemische Verhalten der Zielver-bindung ermitteln. Beispiele sind die Bestimmung der Position der Dop-pelbindung mit Dimethyldisulfid, Hydrierungen, Reduktionen, die Umwandlung in Trimethylsilylether und Ester (Silylierung) oder die Um-wandlung in Cyanide, um die Me-thylverzweigungen in Ketten zu be-stimmen.

Biologische Methoden sind die Kopplung von Insektenantennen an

� QUERGELESEN

�� Um Pheromone zu identifizieren, müssen Spek-

trenvergleiche, chemische Mikroreaktionen und

biologische Methoden kombiniert werden.

�� Bei der Synthese von Pheromonen sind hoch

stereoselektive Methoden nötig.

�� In den letzten Jahren wurden einige ungewöhn -

liche Pheromonstrukturen entdeckt; mittlerweile

sind auch Pheromone von anderen Tieren als

Insekten bekannt.

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Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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Page 2: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

einen Gaschromatographen (GC-electroantenno-graphic detection, GC-EAD) oder Verhaltens test mit Extraktfraktionen. So ergeben sich Hinweise, welche der vielen in einem Extrakt vorkommen-den Verbindungen ein Pheromon sein könnte.

Pheromone synthetisieren und testen

� Nachdem eine plausible Struktur vorgeschlagen wurde, muss diese synthetisiert werden. Dazu sind möglichst kurze, direkte Synthesewege mit breit anwendbaren, verlässlichen Methoden zu verwen-den. Ist die Konstitution klar, muss die Stereoche-mie geklärt werden. Diese erfordert hoch stereo-selektive Synthesen. So ist eine Wittig-Reaktion, die ein (Z)/(E)-Verhältnis von 9:1 liefert, oft für die Pheromonsynthese weniger nützlich als ein Ansatz über die Acetylenmethode mit anschlie-ßender Lindlar-Hydrierung, die ein Verhältnis von 99:1 erreicht. Für die Anwendung sind die stereo-chemischen Anforderungen immens wichtig,1) da beispielsweise viele Motten Mischungen ähnlicher Verbindungen als Pheromon nutzen, die sich nur in den stereochemischen Verhältnissen einiger Be-standteile unterscheiden. Beim Japankäfer Popillia japonica, einem Golfplatzschädling in Nordame-rika, muss das Pheromon Japonilure (1) einen En-antiomerenüberschuss von 99 % aufweisen, um optimal zu wirken.

Nachdem die Zielverbindung hergestellt und ihre Identität bewiesen ist, muss ihre Wirksamkeit nachgewiesen werden. Elektrophysiologische Ver-suche zeigen, ob eine Verbindung vom Zielorga-nismus überhaupt erkannt wird; Biotests weisen die Aktivität einer Verbindung nach. Derartige Untersuchungen nehmen oft genauso viel Zeit in Anspruch wie eine komplexe Synthese. Erst wenn klar ist, dass ein Organismus die Verbindung her-stellt, sie unter bestimmten Bedingungen an die Umgebung abgibt und dass diese Verbindung im Biotest beim Empfänger eine Verhaltensänderung hervorruft, kann man von einem Pheromon spre-chen.

Um die Biosynthese zu untersuchen, werden markierte Vorstufen verfüttert und deren Einbau in die nun bekannten Pheromone beobachtet. Da-raus lassen sich Hinweise auf die Biosynthesewege ableiten, insbesondere wieder über die Massen-spektrometrie. Die beobachteten Einbauraten sind meist gering. Im Gegensatz zu Mikroorganismen, bei denen sich durch genetische Manipulation Bio-synthesewege leichter modifizieren lassen, ist das bei Insekten mit der Ausnahme von gut unter-suchten Modellsystemen wie Fruchtfliegen kaum möglich. Hier helfen nur Geduld und empfindli-che Messtechnik.

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Page 3: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

Bei der Strukturaufklärung un-bekannter Pheromone hat die Be-deutung der kernmagnetischen Re-sonanzspektroskopie in den letzten Jahren zugenommen. Durch die ho-hen Feldstärken und den großen Empfindlichkeitsgewinn ist es manchmal sogar sinnvoll, Fraktio-nen oder ganze Extrakte ohne wei-tere Trennung zu untersuchen. Iso-lierte Mengen im Mikrogramm-bereich können in günstigen Fällen zur Strukturbestimmung ausrei-chen.

Pheromonale Erkennung aufklären

� Neben Einzelsubstanzen oder Mi-schungen weniger Verbindungen sind in den letzten Jahren zuneh-mend pheromonal vermittelte Er-kennungsprozesse Untersuchungs-gegenstand, die auf komplex zusam-mengesetzten Mischungen beruhen. So verwenden soziale Insekten auf allen Insekten vorkommende Koh-lenwasserstoffgemische als Signale, um Art-, Kasten- oder Koloniezuge-hörigkeit zu bestimmen. Diese cuti-culären Kohlenwasserstoffschichten bestehen aus sehr vielen verschiede-nen, oft verzweigten, Kohlenwasser-stoffen. Eine Ameise lässt eine Ar-beiterin mit dem richtigen Muster in den Bau, verwehrt aber einer zu ei-nem anderen Bau gehörenden Arbei-terin den Zugang. Diese Kohlenwas-serstoff-Buketts ähneln sich zwar, sind aber doch für den jeweiligen Bau spezifisch und werden durch Be-rührung weitergegeben.

Kürzlich wurde ein Rezeptor ent-deckt, der in Abhängigkeit von der Zusammensetzung verschieden stark reagiert; je ähnlicher das Mus-ter, desto geringer die Reizung.2) Dieser Mechanismus unterscheidet sich stark von anderen Pheromon-rezeptoren und könnte den Mecha-nismus des Ähnlichkeitsvergleichs bei den sozialen Insekten erklären.

Solche Muster chemisch nach-zuempfinden, ist anspruchsvoll, da sehr wenige Chemiker bereit sind, 50 oder mehr verschiedene langket-tige Kohlenwasserstoffe, die oft Me-thylverzweigungen tragen, zu syn-Abb. 4. Pheromone aus Mikroorganismen.

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Abb. 2. Neuentdeckte, ungewöhnliche Pheromone: das Sexualpheromon der Australischen Rotrückenspinne La-

trodectus hasselti ist ein Serinderivat (3); Sexualpheromone von Schmierläusen (4), (5) und (6); Brassicalacton

(7) aus dem großen Kohlweißling Pieris brassicae; Chiloglottone 1 (8) aus Orchideen der Gattung Chiloglottis.

Abb. 3. Pheromone aus Caenorhabditis elegans.

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�Magazin� Pheromone 706

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Page 4: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

thetisieren. Zudem ist das Problem der Bestimmung der Chiralität die-ser Methylverzweigungen in den langen Ketten noch ungelöst. Als Beispiel für die mögliche Komplexi-tät der Probleme, die bei der Analyse auftreten, sei 4,6,8,10,16,18-Hexa-methyldocosan (2) erwähnt, ein Kohlenwasserstoff des Zuckerrohr-käfers Antirogus parvulus. Die relati-ve Konfiguration wurde synthetisch geklärt;3) die Verbindung zeigte je-doch keine biologische Aktivität.

Neuentdeckte, ungewöhnliche Pheromone

� In den letzten Jahren wurden eine Reihe strukturell ungewöhnlicher Pheromone identifiziert, die sich von bisher bekannten deutlich unter-scheiden.4) Der unsymmetrisch dia-cylierte Serinmethylester (3) ist das Sexualpheromon der Australischen Rotrückenspinne Latrodectus hasselti, die zu den Witwen-Spinnen gehört.5) Die Weibchen geben das Pheromon beim Netzbau ab; Männchen reagie-ren darauf mit Balzverhalten. Die Struktur des Pheromons ließ sich durch Analyse des Massenspektrums und anschließende Synthese aufklä-ren. Es ist erst das zweite Pheromon aus Gliedertieren, das sich von Ami-nosäuren ableitet, und nur als das ge-zeigte Enantiomer (3) aktiv.

Strukturell ungewöhnliche Mono-terpene dienen der langschwänzigen Schmierlaus Pseudococcus longispinus als Sexualpheromone. Die Gewin-nung der Pheromone gelang durch Dampfraumanalyse großer Mengen gezüchteter Weibchen; die Männ-chen lassen sich selektiv mit einem Insektizid abtöten. Wiederum ließ sich durch Analyse der Massenspek-tren und Synthese von Vergleichsver-bindungen die Struktur des Sexual -pheromons aufklären.6) Das Cyclo-pentanderivat (4) weist ein neuarti-ges, irreguläres Monoterpengerüst auf. Die absolute Konfiguration des Pheromons ist noch ungeklärt. Ande-re Schmierläuse verwenden ebenfalls ungewöhnliche Monoterpene als Se-xualpheromone: die Affinis-Schmier-laus (Pseudococcus viburni) beispiels-weise ein Cyclopentanderivat (5)7)

und Maconellicoccus hirsutus ein Cy-clobutanderivat (6).8)

Männchen des großen Kohlweiß-lings Pieris brassicae verwenden Brassicalacton (7) als Aphrodisia-kum, um Weibchen von ihrer Virili-tät zu überzeugen.9) Flüchtige Ma-krolide mit Terpenstruktur treten in der Natur recht selten auf, meist bei Insekten. Markierungsexperimente zeigten, dass die Verbindung durch Abbau aus Geranylgeraniol entsteht. Auch Pflanzen können sich in die chemischen Kommunikationswege von Insekten einklinken. Orchideen der Gattung Chiloglottis locken Männchen von Wespenarten an, die Chiloglottone 1 (8) als weibliches Pheromon verwenden.10)

Jenseits der Insekten

� Die chemische Kommunikation von Insekten ist die bei weitem am besten untersuchte, da sie auf Grund ihrer potenziellen Schädlichkeit von großem kommerziellen Interesse ist. Wie sieht es bei anderen Tieren aus?

Wurzelnematoden können be-trächtliche Schäden an Kulturpflan-zen verursachen. Daher werden ihre Pheromone seit längerem unter-sucht, doch erst in den letzten Jah-ren gelang ein Durchbruch: In dem molekularbiologischen Modellorga-nismus Caenorhabditis elegans fan-den sich unterschiedliche Ascarosi-de mit vielfältiger pheromonaler Wirkung. Mit abnehmenden Nah-

� Die Welt der Botenstoffe

dividuen verarbeitet werden.

Heutzutage reichen oft wenige

oder nur ein Individuum zur Iden-

tifizierung einer Substanz aus. Da-

rauf aufbauend entwickelten sich

mit der Zeit intensive Kooperatio-

nen zwischen Biologen und Che-

mikern, die sehr viele Pheromone

identifizierten, insbesondere aus

agrarwirtschaftlich wichtigen In-

sekten.

Heute sind von etwa 2000 Insek-

tenarten Pheromone bekannt. Wer

sich einen Überblick verschaffen

möchte, sei auf die freie Internet-

Datenbank Pherobase verwiesen

(www.pherobase.com).

Semiochemikalien, also Botenstof-

fe, sind in der Natur weit verbrei-

tet. Alle großen Organismengrup-

pen nutzen sie, seien es Insekten

und andere Gliedertiere, Säugetie-

re, Fische, Pilze, Pflanzen oder Bak-

terien.

Es gibt mehrere Klassen von Bo-

tenstoffen:

• Pheromone werden von den In-

dividuen einer Art abgeben, sie

dienen zur innerartlichen Kom-

munikation;

• Kairomone sind Verbindungen,

die eine Art abgibt und die dem

Empfänger Vorteile bringen;

• Allelochemiekalien nutzen dem

Sender und nicht dem Empfän-

ger;

• Synomone verschaffen sowohl

dem Sender als auch dem Emp-

fänger Vorteile bei der Kom-

munikation.

Bei der strukturellen Identifizie-

rung von Botenstoffen war die

Chemie insbesondere in der An-

fangszeit führend, ausgelöst durch

die bahnbrechenden Arbeiten von

Adolf Butenandt: Er identifizierte

vor etwa 50 Jahren das Bombykol,

das Sexualpheromon der Weib-

chen des Seidenspinners Bombyx

mori (Abbildung). Damals muss-

ten zur Isolierung etwa 500 000 In-

Pheromone �Magazin� 707

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Page 5: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

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rungsressourcen werden Dauerphe-romone wie (9) und (10) abgegeben. Diese führen dazu, dass die Würmer in ein Dauerstadium wechseln, in dem sie lange überleben können, bis die Bedingungen wieder günstiger sind. Das ursprünglich identifizierte Daumon (11) erwies sich später als eine wenig aktive Nebenkomponen-te des Dauerpheromons. Einige der Derivate sind auch als Paarungsphe-romon aktiv, wie (10) und (12).11)

Auch Mikroorganismen nutzen Pheromone zur Informationsüber-tragung. So sind seit längerem Quo-rum-sensing-Faktoren bekannt, die konzentrationsabhängig eine Ände-rung der Genexpression hervor-rufen und damit vielfältige physio-logische Änderungen bewirken können. Weit verbreitet sind

Abb. 5. Oben: Pheromone (16) bis (18) der Meerneunaugen Petromyzon marinus.

Unten: Potenzielle Pheromone (19) und (20) der Brücken echse Sphenodon punctatus.

N-Acylhomoserinlactone (AHL), beispielsweise (13), das in dem ma-rinen Bakterium Roseobacter gallae-ciensis die Produktion des Antibio-tikums Tropodithietsäure hervor-rufen kann.12) Im Gegensatz zu den AHL ist das Ketol (14) gattungsspe-zifisch: Nur Bakterien der Gattung Vibrio verwenden es als Quorum-sensing-Verbindung.13) Strukturell ähnelt es einigen Insektenpheromo-nen. Der Pflanzensymbiont Rhodop-seudomonas palustris und einige an-dere Bakterien nutzen das Cumar-säurederivat (15), das die Gen-expression reguliert.14) Anders als bei den AHL wird hier die Seitenket-te der Homoserinlactone nicht von den Bakterien synthetisiert, sondern vom Wirtsorganismus aufgenom-men.

Meerneunaugen (Petromyzon ma-rinus) sind parasitisch lebende Fi-sche, die insbesondere in den Gro-ßen Seen in Amerika Schäden in der Fischerei hervorrufen. Da sie wie Lachse zur Eiablage in Frischwasser-flüsse zurückkehren, nutzen sie ein Pheromon zur Orientierung. Dieses besteht aus einem Gemisch der Ste-roidderivate (16) bis (18).15) Gegen-wärtig gibt es Versuche, es kommer-ziell zu verwenden, um die Populati-on der Neunaugen zu reduzieren.

Pheromone sind bei höheren Tie-ren oft schwierig nachzuweisen, da die Verhaltensmuster komplex sind und häufig mehrere sensorische Ka-näle zusammen spielen müssen, um eine Verhaltensänderung hervor-zurufen. Entsprechend sind Biotests sehr aufwendig und schwierig und werden daher eher selten durch-geführt. Allerdings sind potenzielle Pheromone wie die exocrinen Drü-sensekrete chemisch oft sehr interes-sant, z. B. in Reptilien. Die Brücken -echse Sphenodon punctatus, ein le-bendes Fossil, besitzt in ihren Cloa-caldrüsen ein komplexes Gemisch aus Glyceriden. Diese sind kombina-torisch aus zwölf ungewöhnlichen Fettsäuren zusammengesetzt, bei-spielsweise (19) und (20).16) Jedes Individuum weist eine andere Gly-ceridmischung auf, die über Jahre stabil ist. Das Sekret eignet sich da-her ideal zur Individualerkennung; ein experimenteller Nachweis dazu steht allerdings noch aus.

Die Pheromonforschung ist für den Chemiker sowohl synthetisch als auch analytisch anspruchsvoll. Gerade die Notwendigkeit, sich im-mer wieder mit neuer Chemie aus-einanderzusetzen, die Chance, Ef-fekte direkt zu beobachten, und die möglichen Anwendungen von Phe-romonen machen den Reiz dieses Arbeitsgebiets aus.

Stefan Schulz, Jahrgang

1957, ist Professor für Orga-

nische Chemie an der TU

Braunschweig. Seine Interes-

sen liegen auf der Natur-

stoffchemie und der che-

mischen Ökologie. Dabei geht es meist um

Signalstoffe, angefangen von Bakterien bis

hin zu Säugetieren.

�Magazin� Pheromone 708

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Page 6: Auf der Spur der chemischen Sprache der Tiere

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S. Schulz, Chem. Biodiversity 2009, 6,

1–37.

� Biographisches und Chemisches

Zukunft hat. Mit der Übernahme

von Schulpartnerschaften und Vor-

trägen über chemische Themen an

Schulen kümmern sich die Senior-

experten Chemie um die neue Ge-

neration, welche die Zukunft gestal-

ten soll.

Nachrichten: Worauf freuen Sie sich

am meisten in Bremen?

Altenburg: Auf interessante Vorträ-

ge aus allen Bereichen der Chemie.

Darüber hinaus ist eine solche Ta-

gung auch immer ein Treffpunkt in-

teressanter, wichtiger und bekann-

ter Personen, die man hier sprechen

kann.

Nachrichten: Was sollten die ande-

ren Teilnehmer auf keinen Fall ver-

passen?

Altenburg: Chemische Vorträge

können Anziehungspunkt sein –

wenn sie allgemein verständlich

dargeboten werden und nicht nur

für Spezialisten verständlich sind.

Daher sollten Jungchemiker und

Senioren, aber nicht nur die, an den

Vorträgen und Posterdarstellungen

aus der Reihe „Biographisches und

Chemisches“ unbedingt teilneh-

men. Etwas Besonderes ist dabei

der Vortrag: „Wichtige Entdeckun-

gen in der Wissenschaft“, da auch

Experimente einbezogen werden.

Und wichtig: Gleich nach Ende der

Vorträge stellen die fünf SEC–Vor-

standsmitglieder sich und ihre Auf-

gaben in Form einer Powerpoint-

Darstellung vor und stehen den

GDCh-Senioren für Fragen und

Diskussionen zur Verfügung.

Horst Altenburg

organisiert für die

Seniorexperten

Chemie (SEC) die

Vortragsreihe „Bio-

graphisches und

Chemisches“ auf

dem GDCh-Wissenschaftsforum in

Bremen. Besonderen Wert legt er

darauf, dass die Vorträge allgemein

verständlich sind.

Nachrichten aus der Chemie: Herr

Altenburg, Sie organisieren die Vor-

tragsreihe „Biographisches und Che-

misches“ für die Seniorexperten Che-

mie. Was erwartet den Besucher?

Horst Altenburg: Die Senioren der

GDCh berichten in vier Vorträgen

und sechs Postern über interessan-

te und grundlegende Themen aus

der gesamten Chemie. Da die Vor-

träge und Poster allgemein ver-

ständlich präsentiert werden, sind

sie für alle Besucher, nicht nur für

Studenten und Senioren empfeh-

lenswert. Außerdem stellen sich die

Senior Expert Chemists mit ihren

Zielen vor. Alle Senioren, aber auch

Gäste sind herzlich eingeladen.

Nachrichten: „Chemie schafft Zu-

kunft“, so das Motto des Wissen-

schaftsforums in Bremen. Welchen

Beitrag leistet die SEC dazu?

Altenburg: Wie schon der frühere

Bundespräsident Johannes Rau

feststellte, können wir viele essen-

zielle Probleme unserer Gesell-

schaft nur mit der Chemie lösen. In

der Vortrags- und Posterreihe wer-

den Beispiele gezeigt, wie die Che-

mie hier helfen kann. Die Senior-

experten Chemie wollen aber gene-

rell durch verständliche Information

zur Chemie, etwa durch Publikatio-

nen in Tageszeitungen und bei

selbst organisierten Veranstaltun-

gen oder Tagungen, die Gesellschaft

mit der Chemie vertrauter machen.

Man muss der Bevölkerung die

Angst vor dem „Chemischen“ neh-

men und einen Grundstein dafür

legen, dass sie erkennt, welche Be-

deutung die Chemie heute und in

Pheromone �Magazin� 709

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Der Vorstand der Seniorexperten Chemie:

Ursula Kraska, Horst Altenburg,

Birgitta Krumm, Klaus-Richard Sperling,

Wolfgang Gerhartz (v.l.).