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Auf ein Wort - M – Menschen Machen Medien (ver.di) · 4 M 7.2012 AKTUELL ver.di-Fernsehpreis verliehen Zum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen

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Auf ein W

ort

2 M 7.2012

INHALT

Bereit für die nächste RundeVon Stephan Kolbe | Das Landgericht Köln hatte eswahrlich nicht leicht zu entscheiden, ob die Tages-schau-App mit dem Rundfunkstaatsvertrag vereinbarist oder nicht. Denn das erwartete Urteil hat schnelldie Dimension einer Grundsatzentscheidung erreicht,bei der es mal wieder im Kern um die seit Jahrenschwelende Frage geht: Wie viel dürfen die Öffent-lich-Rechtlichen im Internet? Zum Hintergrund:Acht Zeitungsverlage hatten den NDR verklagt, weilsie der Meinung sind, dass die Inhalte der Tages-schau-App einer Tageszeitung zu ähnlich und des-halb laut Rundfunkstaatsvertrag verboten seien.

Das Gericht hat es sich nun einfach gemacht –oder schwer, je nach Lesart. Mit seinem Urteil vom27. September entschied es, dass eine bestimmteAusgabe der Tagesschau-App (die vom 15. Juni 2011)mit dem Rundfunkstaatsvertrag nicht vereinbar ist,weil die Angebote „nicht sendungsbezogen“ und„presseähnlich“ waren. Die App als solche aber wurde nicht beanstandet oder gar verboten, weil sierechtmäßig nach den Vorgaben des Rundfunkstaats-vertrages zugelassen wurde.

Und so sind alle Beteiligten genau so schlau wie vor-her. Die ARD kann sich freuen, ihre Marke „Tages-schau“ auch weiterhin als App zugänglich machenzu können. Die Verleger wiederum können sich da-ran erfreuen, der ARD gezeigt zu haben, dass derenApp rechtswidrig war – wenn auch nur an einem bestimmten Tag. Entschieden ist damit aber wiedernichts. Der Streit, wie viel Text in eine öffentlich-rechtliche App darf, kann munter weitergehen.

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dieGebührenzahler ist dies leider nur zum Nachteil.Denn sollte die ARD mit den Verlegern doch nochzu einer Einigung kommen, dann wohl nur zu einemhohen Preis – der Beschneidung der Textinhalte.Zwar wäre dann Frieden an dieser Front. Für die öffentlich-rechtlichen Anstalten bedeutet dies aberden Verzicht auf ein wesentliches Kommunikations-element und für die Gebührenzahler einen weiterenVerlust an von ihnen finanzierten Inhalten im Netz.

TITEL

8 Journalismus braucht Qualifizierungsoffensive Von Susanne Stracke-Neumann11 Ein moderner Volo-Vertrag Aus- und Weiterbildung kommt in vielen Verlagen

zu kurz

SCHWERPUNKT

13 Grundrechenart Social Media Widersprüche, Defizite und Chancen im Journalismus15 Potenziale nutzen Social Media-Beraterin Simone Janson über Defizite

in Print-Medien

AKTUELL

4 Abendzeitung Nürnberg eingestellt4 Aus für Anzeigenblatt Blitz Tip4 ver.di-Fernsehpreis verliehen4 Berlin: dapd hat Insolvenz angemeldet4 SWR: Orchesterfusion beschlossen5 WAZ-Gruppe auf Sparkurs5 NWZ: Leiharbeit abgeschafft5 WZ: 40 Kündigungen ausgesprochen

KOLUMNE

6 Ein Solitär Zapp und nichts weiter oder

das Elend der Medienkritik

PORTRÄT

7 Und Action! Ein Mann, der für Film-Kollegen durchs Feuer springt

MEDIEN + GESELLSCHAFT

16 Traditionell eigenwillig DOK Leipzig: Sonderprogramm zur US-Wahl und

Retrospektive „Meschrabprom“18 Die letzte Klappe Bewährungsstrafe für frühere NDR-Fernsehspielchefin 20 Geschmäckle bei essen & trinken20 Filmtipp: Sachamanta 21 FREELENS: Fotos für den guten Zweck22 Wie eine Fliege an der Wand Neuer Doku-Trend aus England verspricht

„das echteste Fernsehen“

MEDIEN + POLITIK

23 Presse-Grosso gesetzlich regeln24 Dubiose Angebote Amtlich legitimierter Bundeseinheitlicher Presseausweis

fehlt seit 200925 Komplexitätsfalle Disput in Berlin über die Rolle der Medien

in der Euro-Krise

Foto: pressmaster - Fotolia.com

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Bedarf undWirklichkeitAlle reden von „lebenslangem Lernen“ und Journa-listen schreiben auch darüber. Medien nutzen viel-fältige Verbreitungswege oder sollten es tun, aus ihrem eigenen Interesse. Crossmediales Arbeiten istangesagt. Das professionell und auf höchstem Niveauzu tun, ist unabdingbar für guten Journalismus –eigentlich keine neue Erkenntnis! Allerdings scheintsich das Engagement dafür vielerorts in Sonntags -reden zu erschöpfen. Kein Kongress, keine Veranstal-tung, in der die Fahne des Qualitätsjournalismus –auch von Seiten der Verleger – nicht hoch gehaltenwird. Derweil ist der geltende Volontärs-Tarifvertrag22 Jahre alt. In den Redaktionen hat die Arbeitsdichteungeahnte Ausmaße erreicht, nicht zuletzt aufgrundder Informationsflut und der vielfältigen Kontakt-möglichkeiten mit den Rezipienten durch das Inter-net. Aber anstatt in kluge Köpfe und gute Arbeits -bedingungen – Weiterbildung – zu investieren, wirdan Personal gespart, an der Bezahlung „gestrichen“durch Tarifflucht, Outsourcing, … . Es wird verkauft,gekauft, geschlossen – weil nicht gewinnträchtig.Die vorliegende M ist voll von Beispielen querdurchs Land. So fällt es vielen Redaktionen schwer,dem „enormen Schulungsbedarf“ nachzukommen,der in Studien verzeichnet wird. Die Freien bleibenoft außen vor – und es werden doch immer mehr,und die meisten Medien immer abhängiger von ihrerqualifizierten Zu- und Mitarbeit! „Wir brauchen eineQualifizierungsoffensive“ sowohl in der Aus- alsauch in der Weiterbildung, fordert deshalb die djuin ver.di. Auch tarifpolitisch besteht hier Hand-lungsbedarf. Die „inhaltlichen und technologischenEntwicklungen in der Medienbranche müssen jetztim Volo-Tarifvertrag nachvollzogen und verbindlichverankert werden“, betont Vize-ver.di Frank Werneke.(Titel S. 8 bis 12)

Die journalistische Qualität, oder besser: der kritischeBlick darauf, zieht sich wie ein roter Faden durch dievorliegende M-Ausgabe. Vom Medienmagazin „Zapp“,ein Solitär der Medienkritik im deutschen Fernsehen(S.6), über die Rolle der Medien in der Euro-Krise(S.25) bis hin zur internationalen Berichtserstattungzum Beispiel über den Bürgerkrieg in Syrien (S. 36)oder verzerrte Bilder über in der Slowakei lebendeRoma (S.40).

Karin Wenk,verantwortliche Redakteurin

Edit

oria

l

INHALT

Foto: Chr.v.Polentz

26 Keine Journalistenschüler mehr nach Hammelburg Berufsgenossenschaft und Bundeswehr streichen

Präventionslehrgang

TARIFE + BERUF

27 Knebelverträge für Fotografen28 Mehrheit ging an Rheinische Post Sitz der Zeitungsgruppe mit Vollredaktion

bleibt in Saarbrücken29 Eiskalt am Alex Kündigungen im Berliner Verlag beim Abendblatt

angedroht30 Dudenverlag zerschlagen Rund 140 Entlassungen angedroht 30 Schon entdeckt? Berg.Link31 Tarifflucht beim Darmstädter Echo Neueinstellungen ohne Rücksicht auf Verträge31 Entlassungen bei der Märkischen

– Sozialplan abgeschlossen32 Von Leidmedien lernen Die sprachlichen Entgleisungen in Berichten

über Behinderte 33 Mit der Arbeit der dju zufrieden Umfrage mit interessanten Ergebnissen und einer

Spende für ROG33 Gehaltserhöhungen Erster Tarifvertrag für dpa-Töchter bringt bis zu

5 Prozent mehr34 Gratis-Dreingabe Wie Journalisten aufgefordert werden,

umsonst zu arbeiten

MEDIEN + INTERNATIONAL

36 Eine Gratwanderung Interview über die Syrien-Berichterstattung

mit dem Hörfunkkorrespondenten der ARD Ulrich Leidholdt in Amman

39 Syrien: 40 Journalisten getötet40 Gegen verzerrte Bilder Roma produzieren in Kosice

ein eigenes Radio- und Fernsehprogramm 41 Aktion für Mazen Darwish, Syrien42 Um sie mundtot zu machen Türkei: 44 kurdische Journalisten vor Gericht

– dju-Vertreter als Beobachter in Istanbul43 Solidarische Grüße nach Österreich44 Im Fokus der Kartelle Eine investigative mexikanische Journalistin

findet Zuflucht in Hamburg45 Massenentlassungen und Privatisierung Spanien: Streichorgie beim

öffentlich-rechtlichen Rundfunk

SERVICE

46 Leute47 Impressum

47 Veranstaltungen und Seminare Hamburg47 Veranstaltung in Frankfurt a. M.

über Prozess gegen türkische Journalisten47 LiMA regional

Grafik: Hermann Haubrich

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AKTUELL

ver.di-Fernsehpreis verliehenZum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen.ver.di übernahm diese Tradition von der Deutschen Angestellten Gewerkschaft(DAG). Bei einem Festakt in der Akademie der Künste in Berlin ging der Preis fürdie beste Regie in diesem Jahr an Burhan Qurbani (r.) für den Film „Shahada“.Max Zeitler (l.) und Boris Dennulat wurden für das Drehbuch zum Film „Wer rettetDina Foxx“ ausgezeichnet. Beide Filme wurden vom ZDF ausgestrahlt. Der ver.di-Fernsehpreis ist mit je 7.500 Euro dotiert. n

Berlin: dapd hat Insolvenz angemeldetDie dapd nachrichtenagentur und die dapd nachrichten haben am 2. Oktober inBerlin ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung in Gang gesetzt. Insgesamt sindacht Unternehmen der dapd media holding AG betroffen. Cord Dreyer hat dieGeschäftsführung der dapd nachrichtenagentur niedergelegt und ist aus dem Vor-stand ausgeschieden. Von der Insolvenz ausgenommen sollen unter anderem ddpimages und ddp direct sein. Dr. Wolf von der Fecht aus Düsseldorf wurde zum alleinigen Geschäftsführer der insolventen bzw. von Insolvenz bedrohten Gesell-schaften bestellt. „Der Rechtsanwalt wird bis Ende November prüfen, in welcherForm für die Gesellschaften eine Fortführungsperspektive besteht“, heißt es in einerPressemitteilung. „Auch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens werden diedapd-Gesellschaften die Nachrichtenproduktion wie bisher fortsetzen. Kunden er-halten den gewohnten Service im gleichen Umfang und der gewohnten Qualität.“

ver.di appelliert an Gesellschafter und Insolvenzverwalter der nachrichten-agentur dapd, im anstehenden Insolvenzverfahren so viele Arbeitsplätze wie mög-lich zu erhalten und für einen Neustart die Kompetenz der Beschäftigten zu nut-zen. „Es kommt jetzt darauf an, dass dapd die vor ihr liegende Zeit der Restruktu-rierung nutzt, sich auf ein Kerngeschäft zu konzentrieren und insbesondere denBeschäftigten eine Zukunft in einer gut aufgestellten Agentur zu eröffnen“, sagteCornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di. Red. n

SWR: Orchesterfusion beschlossenDer Rundfunkrat des Südwestrundfunks (SWR) hat in seiner Sitzung am 28. Sep-tember die Fusion seiner beiden Sinfonieorchester in Baden-Baden/Freiburg undStuttgart beschlossen. Das teilte der SWR am gleichen Tag mit. Der Sender sei be-auftragt worden, konkrete Schritte für die Zusammenlegung der Klangkörper imJahr 2016 in Angriff zu nehmen. SWR-Intendant Peter Boudgoust wird mit denWorten zitiert, die jetzige Entscheidung sei schmerzhaft, „aber unter den gegebe-nen finanziellen Rahmenbedingungen unausweichlich“. Ein vorliegendes Alter-nativmodell habe notwendige Voraussetzungen nicht erfüllt, hieß es.

Nach Aussagen von Hörfunkdirektor Gerold Hug sollen beide Orchester bis2016 weiter wie bisher arbeiten. Nächster Schritt sei, einen Hauptprobenstandortfür das fusionierte Orchester festzulegen. Dabei werde dem Intendanten ein un-abhängiges Gremium zur Seite stehen und einen entsprechenden Vorschlag un-terbreiten. Er wünsche sich, „dass beide Orchester ihre Erfahrung, ihr spezifischesProfil und ihren Sachverstand mit einbringen“, so Hug. (s. M 6/2012). FBT n

Abendzeitung NürnbergeingestelltDie Abendzeitung Nürnberg (AZ) erschien am 29. Sep-tember zum letzten Mal. Das Blatt gilt als älteste Boulevardzeitung Deutschlands, die erstmalig am 18. Oktober 1919 heraus kam. 50 Arbeitsplätze, davondie Hälfte für Redakteure, wurden vernichtet. Die djuin ver.di bedauert diese Entscheidung des Manage-ments und des Eigentümers Gunther Oschmann.„Das ist ein schwarzer Tag für die Pressevielfalt in Bayern“, erklärt dju-Geschäftsführer Kalle Kaschel- Arnold. Er fordert den raschen Abschluss eines Sozialplans, der die Folgen für die betroffenen Be-

schäftigten abmildere. NachAnsicht der dju haben „Ma-nagementfehler und eine feh-lende Konzeption zu dieser fatalen Entwicklung beigetra-gen, dazu kne belnde Druck-verträge mit einem räumlichzu weit entfernten Druck -unternehmen.“ In einem Ge-

spräch mit Vertretern von ver.di und dem BayerischenJournalistenverband hatte Geschäftsführer RolandFinn vor der Entscheidung zugesagt, auch für den Falleiner Schließung werde man sich um die betroffenen Beschäftigten kümmern. „Wir erwarten, dass diese Zusage jetzt schnell umgesetzt wird. Einzelheiten sindin einem Interessenausgleich und Sozialplan mit demBetriebsrat oder einem Sozialtarifvertrag mit den Ge-werkschaften auszuhandeln“, betont Kaschel-Arnold.Wichtig sei dabei, dass Auszubildenden und Volon -tären die Fortsetzung ihrer Ausbildung ermöglichtwerde. Das wäre über Vereinbarungen mit anderenZeitungsverlagen denkbar. PM n

http://dju-mittelfranken.verdi.de/aktuelles/rettet-die-az

Aus für Anzeigenblatt Blitz Tip Mit Verärgerung hat der Landesfachbereich Mediendes ver.di Landesbezirks Hessen auf die am 28. Sep-tember bekannt gewordene endgültige Einstellung derAnzeigenzeitung Blitz Tip reagiert. Die Zeitung er-schien am 29. September letztmalig. Die Beschäftigtenerhalten aktuell keine Vergütung mehr, einer der Ge-sellschafter, die Frankfurter Rundschau bemüht sichdem Vernehmen nach, ab Anfang Oktober einen Er-satz in eigener Regie auf den Markt zu bringen. ver.difordert die Gesellschafter – neben der FrankfurterRundschau auch die Verlagsgesellschaft Madsack – auf,ihrer sozialen Verantwortung nach zu kommen undden Blitz Tip-Beschäftigten eine Perspektive aufzu -zeigen bzw. in Sozialplanverhandlungen einzutreten.Eine Perspektive könne auch darin bestehen, dass Beschäftigungsmöglichkeiten bei der seitens derFrankfurter Rundschau geplanten eigenen Publikationangeboten werden. PM n

Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de

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AKTUELL

Leiharbeit abgeschafftBei der Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ) wurden 65 Be-schäftigte aus Redaktion undVerlag, die bisher als Leihar-beitnehmer/-innen beschäftig-te wurden, jetzt direkt beimVerlag angestellt. Sie werdennun besser bezahlt als zuvor –Volontäre und Redakteure allerdings nach wie vordeutlich unter Tarif. Der Verlag ist ohne TarifbindungMitglied im Arbeitgeberverband. Für einen Haustarif-vertrag hatten die Gewerkschaften ver.di und DJVmehrfach zu Streiks aufgerufen. Dennoch konnte bisher kein Haustarifvertrag durchgesetzt werden. DieDruckerei wurde bereits vor Jahren in eine eigene Ge-sellschaft überführt und ist tarifgebunden. Sil n

40 Kündigungen ausgesprochen

Nach Medienberich-ten wurden 40 Be-schäftigte der West-deutschen Zeitung, dieim Verlag W. Girardeterscheint, gekündigt.Betroffen seien die Be-

reiche Druckvorstufe, Anzeigen und Vertrieb. DieseAufgaben sollen künftig extern vergeben werden. Esstünde aber noch nicht fest, an wen. Die Gekündigtensollen ab dem 1. November in eine Transfer- und Qua-lifizierungs-Gesellschaft wechseln können. Die West-deutsche Zeitung erscheint bereits seit 1887. Red. n

Aufgrund der „dramatischen Umsatzentwicklung“ bei den Werbe- und Vertriebs-erlösen sollen bei der Essener WAZ-Mediengruppe bis 2014 die Kosten um zwanzigProzent in allen Bereichen gesenkt werden. Dies hat jetzt der neue Finanzchef derWAZ-Mediengruppe, Thomas Ziegler, in einer öffentlich gewordenen und inzwi-schen bestätigten E-Mail den Führungskräften der Gruppe mitgeteilt. Es sei gegen-über Banken und Gesellschaftern erklärtes Ziel, für 2014 ein Gruppen-EBITA (alsoeinen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 150 Millionen Eurozu erreichen. Die Führungskräfte, darunter auch die Chefredakteure der Zeitungs-titel der Gruppe, forderte Ziegler auf, Modelle und Maßnahmen für die Umsetzungdieses Ziels vorzubereiten. Das Sparziel könne nur erreicht werden, formulierte

Ziegler weiter, wenn „heutige Prozesse undStrukturen nicht fortgeführt werden“. Vonden erwarteten Kostenreduzierungen sollendurchweg alle deutschen Bereiche der WAZ-Mediengruppe unabhängig ihrer aktuellen Er-gebnis- und Renditesituation betroffen sein.

In einer gemeinsamen Erklärung hat sichdie Arbeitgemeinschaft der Betriebsräte der Westdeutsche Allgemeine Zeitung, NeueRuhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, Westfälische Rundschau, Westfalenpost und WAZNew Media „sehr irritiert“ über das Vorgehen der Gruppengeschäftsführung (GGF)gezeigt. Die Redaktionen aller vier Zeitungstitel der WAZ-Gruppe in NRW hättenvor drei Jahren mit dem Abbau von 300 Stellen 30 Millionen Euro eingespart. Da-nach hätten sich alle Beteiligten auf ein Konzept für eine „lokale Offensive“ geei-nigt, um die Zeitungen zukunftsfähiger zu machen. Dieses Konzept könne nurfunktionieren, wenn die Redaktionen so ausgestattet seien, dass sie Qualität liefernkönnten. „Warum wird so kurz nach dem Start schon wieder alles in Frage ge-stellt?“, fragen die Betriebsräte. Hilfreicher wäre es aus Sicht der Betriebsräte ge-wesen, wenn die GGF ihre Absprachen genauso konsequent einhielte, wie sie esvon der Belegschaft erwarte. „Wir brauchen jetzt Unterstützung, keine Panikmacheund keine demotivierenden Drohungen“, schreiben die Betriebsräte.

Nach dem Bekanntwerden des Schreibens von Ziegler hatte GeschäftsführerChristian Nienhaus versucht zu beschwichtigen: „Es ist nicht beschlossen, mitdem Rasenmäher zu verfahren,“ sagte er der F.A.Z. In welchen Bereichen wie vielgespart werden solle, sei noch offen. WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz erklärte ineiner Betriebs versammlung seiner Zeitung Mitte September, dass bis Novemberder erste Teil für die Planung der Einsparung einer „beträchtlichen Summe“ stehenmüsse. fbi n

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KOLUMNE

Von Günter Herkel | Um den Medienjournalismus istes in diesem Lande nicht eben gut bestellt. In vielenPrintmedien befindet er sich auf dem Rückzug. DenVerlagen dient er mitunter als bequeme Manövrier-masse. Die Pressekonzentration trägt dazu bei, dieVielfalt der medienkritischen Stimmen einzudämmen.Wo ein Autorenpool mehrere Blätter eines Verlagesbedient, macht sich gern publizistische Einfalt breit.Auch fördert die Verflechtung großer Häuser unterei-nander nicht gerade die Bereitschaft, über die großenund kleinen Sauereien in der Branche zu berichten.

In den elektronischen Medien erscheint die Si-tuation nicht besser. Zwar leistet sich etwa die Hälfteder ARD-Anstalten ein Magazin, das sich kritisch mitder Entwicklung in Print-, Funk- und Online-Medienbeschäftigt. Die Rede ist hier vom Hörfunk. Im Fern-sehen sind die Anstalten weniger mutig. Soeben fei-erte „Zapp“, das Medienmagazin des NorddeutschenRundfunks, seinen 10. Geburtstag. Aber „Zapp“ ist einSolitär in der deutschen TV-Landschaft. Das Pro -Sieben-Format „Switch Reloaded“ zählt in diesemKontext nicht, da es sich auf Parodien besonders däm-licher TV-Produktionen beschränkt. Gemessen daran,dass das Fernsehen immer noch als gesellschaftliches„Leitmedium“ gilt, ein unbefriedigender, ja beschä-mender Zustand.

„Medienseiten und Mediensendungen“, so urteilteunlängst Hans-Jürgen Jakobs, der langjährige Chef desMedienressorts der Süddeutschen Zeitung, „gehören zurguten Unternehmenskultur von Verlagen und Sen-dern“. Der Medienjournalismus sei notwendig, weiler helfe, die Qualität der Medien zu sichern. Zudem seier „ein wichtiger Teil der Selbstkontrolle der Branche“.

„Zapp“ läuft mittwochs nach 23 Uhr, verantwor-tet vom NDR, und wird in 3sat und zwei Digitalpro-grammen wiederholt. Während der Fußball-Europa-meisterschaft 2008 sowie Ende 2009 verirrten sich einige Ausgaben der Sendung sogar ins Erste. Zu mehrexperimentellem Mut reichte es bei den ARD-Pro-grammgewaltigen aber nicht. Natürlich ist „Zapp“ ei-ne Spezialsendung für ein überdurchschnittlich anMedienthemen interessiertes Publikum, mithin keinQuotenrenner. Dabei bietet die Sendung ein Spek-trum, das in der Summe vieler Minderheiteninteres-sen durchaus mehrheitsfähig sein könnte. Einige The-men im September: der Medienhype um Bettina WulffsAutobiografie, das Porträt eines rechtsorientieren Ver-lags, Behinderten klischees in den Medien, Zwangsver-träge für Foto grafen, PR-Einträge bei Wikipedia.

In seinen besten Beiträgen liefert „Zapp“ dem Publikum wertvolle Nachhilfe in Sachen Medienkom-petenz. Am „Fall“ der Gattin des kurzzeitigen Bundes-präsidenten Wulff demonstrierte das Magazin, wie diemediale Gerüchteküche funktioniert, wie selbst an -gesehene Medien und Sendungen offenbar der Ver -suchung nicht widerstehen konnten, mit dunklenAndeutungen den Ruf der damaligen First LadyDeutschlands zu schädigen. Das Beispiel belegt zu-gleich, warum „Zapp“ eine Menge Feinde hat, selbst

im eigenen Haus. Denn nicht jeder ARD-Verantwort-liche findet es gut, wenn über Fehlleistungen aus deneigenen Reihen berichtet wird. So mancher öffentlich-rechtliche Rundfunkmanager hält diese Art vonselbstkritischer Medienschau für Nestbeschmutzung.

Diese Erfahrungen machte schon die Redaktioneines „Zapp“-Vorläufers. Von 1972 bis 1979 lief – an-ders als „Zapp“ – von vornherein im Ersten das me-dienkritische, vom Westdeutschen Rundfunk verant-wortete Magazin „Glashaus – TV intern“. Der An-spruch, gelegentlich hinter die Kulissen der eigenen,immerhin öffentlich-rechtlichen Anstalt zu blicken,traf früh auf den erbitterten Widerstand diverser re-gionaler Programmdirektoren. „Glashaus“ so wetterteseinerzeit ein TV-Direktor, sei „das Instrument einerFraktion im proramminternen Bürgerkrieg, und dieGegenpartei ist machtlos“. Den Machern wurde derRat erteilt, sich doch bitte auf die Sauereien bei denGroßverlagen zu beschränken. Ernsthafte Konkurrenzim Bereich der elektronischen Medien gab es damalsnoch nicht, obgleich die Kommerzfunkinteressentenbereits vernehmlich mit den Hufen scharrten. Der Ge-genwind aus einzelnen Anstalten wurde schließlichso stark, dass das Programm sang- und klanglos ein-gestellt wurde. Das half zumindest Peinlichkeiten zuvermeiden, wie sie im Umfeld von Dieter HildebrandtsSatireleiste „Scheibenwischer“ passierten. Aus diesergelegentlich recht CSU-kritischen ARD-Sendungklinkten sich die Bayern einige Male einfach aus.

Ohnehin steht Medienjournalismus gemeinhin„unter dem Generalverdacht, parteiisch zu sein – nettzu den Freunden, gemein zu den anderen“ (Jakobs).Aber zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Pro-grammauftrags gehört eben auch, sich kritisch umfinstere Machenschaften der schwarzen Schafe in dereigenen Familie, in den einzelnen Landesrundfunk-anstalten zu kümmern. Davon gab es in der Vergan-genheit einige. Erinnert sei an korrupte Sportredak-teure wie Emig und Mohren, betrügerische Fernseh-spielgrößen wie Heinze, Unterschlagungen beim KIKA, an Fälle von Schleichwerbung wie „Marienhof“oder fragwürdige Sponsorenpartnerschaften, wie siedie ARD eine Zeitlang mit dem Radrennstall der Tele-kom pflegte.

Die meisten dieser Skandale wurden von „Zapp“kritisch unter die Lupe genommen. Souveräne Rund-funkmanager müssten diese Art der Selbstreinigungeigentlich begrüßen. Die Wirklichkeit sah und siehtoft anders aus. Allzu viel Fremdeinblick in die Sender-Innereien ist manchen Anstaltsoberen nicht geheuer.Dabei lässt sich im Internetzeitalter kaum noch etwasvertuschen. „Viele Qualitätsmedien“, urteilte schonvor einiger Zeit der Medienjournalist und „bildblog“-Erfinder Stefan Niggemeier, „haben noch nicht er-kannt, wie wichtig Transparenz ist, jetzt, wo die Leserschnell an viele Informationen kommen und sichselbst ein Urteil bilden können.“ In diesem Sinne:Herzliche Glückwunsche für „Zapp“, auf die nächsten10 Jahre! n

Ein SolitärZapp und nichts weiter oder das Elend der Medienkritik Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de

➧ Günter Herkel

lebt in Berlin und arbeitet als freier Medien-journalist für Branchen-magazine in Print und Rundfunk.

Bild: NDR

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PORTRÄT

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Eine Lagerhalle in der Blomeschen Wildnis, eine Ge-meinde bei Glückstadt an der Unterelbe. Vor der Hal-le: Ausgebrannte Autowracks mit verkohlten Leichen,ein halber Polizeiwagen mit rotierendem Blaulicht, eine verkohlte Hauswand, in der das Fenster fehlt.Gleich soll es eingesetzt werden, damit Dave, Mode-rator und Hauptdarsteller eines Werbefilms für eineKamera, kopfüber durch die dann berstende Scheibespringen kann, um danach in den Splittern auf einerMatte zu landen.

Stuntman Sönke Korries hat die Filmcrew nebender Matte um sich versammelt. Heute macht er selbstkeinen Stunt, sondern hat den Drehort, das Equip-ment, Komparsen, seine jahrelange Erfahrung, derWerbeproduktion zur Verfügung gestellt – sein Stunt-Knowhow vermietet.

Wind ist aufgezogen und das beunruhigt ihn, im-merhin geht es um den Einbau einer Fensterscheibeaus Spezialglas: „Es muss jetzt jeder wissen, was pas-siert. Das Risiko, das wir haben, ist diese Scheibe, dassdiese Scheibe da heil reinkommt, bevor die in sich sel-ber zerspringt. Denn das ist wie ein rohes Ei, diesesDing. Das heißt, wir werden alle Kameras einrichtenund alle Mitwirkenden auf Position stellen und dannwerden wir die Scheibe einbauen. Dann kriegen wirvon jeder Kamera ein OK. Dann gebe ich Dave das GOund ACTION. Alle auf Position.“

Wohl jeder hat Korries schon einmal gesehen. Etwa im Kino in Filmen wie „Inglourious Basterds“,„Soul Kitchen“ oder „Gegen die Wand“. Oder imFernsehen im „Großstadtrevier“, „Tatort“ oder „Alarmfür Cobra 11“. Doch erkannt wird er meist nie, denner doubelt Schauspieler wie Götz George, Heinz Hönigoder Armin Rohde in den gefährlichen Parts. Ange-fangen hat alles bei den Karl-May-Festspielen in BadSegeberg. Als 14jähriger machte Korries dort ein Prak-

tikum als Pyrotechniker. Seit nunmehr über zwanzigJahren ist er Stuntman. Früher war es besser in diesemungeschütztem Beruf – jeder darf sich Stuntman nen-nen: „Die Gagen sind verfallen. Wir haben Buyout-Verträge.“

Gagen zwischen 250 – 350 Euro pro Tag sind kei-ne Ausnahme. Was auf den ersten Blick gar nicht soschlecht aussieht, gewinnt aber vor der Realität desArbeitsalltags der Stuntleute eine andere Dimension:Sie werden nicht für die gesamte Dauer einer Film-oder TV-Produktion verpflichtet, sondern nur ein,zwei, drei oder vier Tage. Dann kommt lange wiedernichts. Und gedreht wird meistens nur im Sommer.Obendrein können Stuntmen und -women in der Re-gel wie Spitzensportler nur bis zum Alter von 35–40Jahren ihren Beruf aktiv ausüben. Dann ist Schlussund fürs Alter meist kein Geld mehr da.

Sönke Korries klares Ziel: „Wir müssen die Gagenwieder auf Vordermann bringen.“ Nicht alleine, son-dern zusammen mit den anderen Filmschaffenden,„die,“ so die ver.di FilmUnion, „als Selbstständige, aufProduktionsdauer oder unständig Beschäftigte undAngestellte in der Film- und Fernsehproduktion arbei-ten.“ 2005 wurde er ver.di-Mitglied und trat in dieFilmUnion ein.

Etwa 4.000 Film- und Kulturschaffende sind hierorganisiert – das geht von den Aufnahmeleitern, überCutter, Darsteller, Kameraleute, Maskenbildner, Pro-duktionsfahrer oder Regisseure bis hin zum Tonmeis-ter. Und natürlich sind die Special Effect Men dabei.Und wie immer in der Gewerkschaft: Wer sich enga-giert, macht auch schnell ehrenamtlich Karriere. 2008wird Sönke Korries Mitglied im RegionalvorstandHamburg, 2010 wird er in den Bundesvorstand ge-wählt. Seit 2012 ist er Mitglied im Tarifausschuss:

„Ich bin auch in der Arbeitsgruppe Urheberrecht,wo wir sehr gute Fortschritte machen und ich auchzum ersten Mal für die Stuntleute aktiv werden kann.“Bei Wiederholungen werden Stuntmen finanziellnicht bedacht. Früher einmal gab es Tantiemen, dochdie guten Zeiten sind durch Knebelverträge mit denProduktionsfirmen längst passé. Seit 28 Monaten ver-handelt die Tarifkommission mit den Produzentenum einen Urhebertarifvertrag. Nächster Termin ist der11. Oktober (nach Redaktionsschluss). Und Sönke istdabei, nicht nur für seine Stuntkollegen: „Ich setzemich in dieser ehrenamtlichen Aufgabe für alle Film-und Fernsehschaffenden ein, hoffe dennoch für dieStuntbranche da sein zu können.“

Und er tingelte durch die Filmstädte München,Köln, Berlin und Hamburg und warb ohne Tricks unddoppelten Boden für eine bundesweite, gewerkschaft-liche Interessensvertretung der Stuntleute. Anfang Au-gust war es dann soweit: Die Berufsgruppe Stunt inder ver.di FilmUnion wurde gegründet. Standesgemäßgab es einen ganz besonderen Auftakt der gemein -samen Arbeit: Ein „High Fall Training“ für Neumit-glieder und Vorständler der FilmUnion bei Korries inder Blomeschen Wildnis.

Zurück an den Set der Werbeproduktion: Dave istdurch das Fenster gesprungen und liegt auf der Matte.Sönke Korries untersucht ihn auf mögliche Verletzun-gen. Nichts. Korries richtet sich auf und beklatschtden gelungenen Stunt, die Crew macht es ihm nach.Denn nicht nur in der Gewerkschaft, sondern aucham Set gilt uneingeschränkte Solidarität.

Wulf Beleites n

Foto: Mathias Thurm

Und Action!Ein Mann, der für Film-Kollegen durchs Feuer springt

Sönke Korries, Stuntman: Für seine Kollegen am Set springt er durchs Feuer oderbrettert mit quietschenden Reifen gegen die Wand, für seine Stuntkollegen geht erden beschwerlichen Gewerkschaftsweg durch Dick und Dünn und gründet die Berufsgruppe Stunt in der ver.di FilmUnion.

In ver.di wird die FilmUnion unterstützt

von connexx.av, der gewerkschaftlichen

Interessenvertretung vonMedienschaffenden in

Rundfunk, Film, AV-Produktion und

Neuen Medien. www.connexx-av.de

www.verdi-filmunion.de

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cherchen beliefern zu können. Es ist also dringend ander Zeit, den Volontärstarifvertrag, der sich nach An-sicht von Frank Werneke, dem stellvertretendenver.di-Vorsitzenden und Fachbereichsleiter Medien„im Kern bewährt hat“, an die modernen Zeiten an-zupassen. Die Ausbildung muss breiter werden. „Dassdie Online-Ausbildung Teil des Volontariats ist, sollteinzwischen eine Selbstverständlichkeit sein“, fordertdie Jugendvertreterin im Bundesvorstand der Deut-schen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju),Sarah Benecke. Ulrich Janßen, dju-Bundesvorsitzen-der, betont: „Der kompetente Umgang nicht nur mitder Redaktionssoftware, sondern auch mit Social Me-dia gehört in die journalistische Ausbildung. Dabeigeht es um mehr als technische Fertigkeiten oder da-rum, sich mit Facebook auszukennen. Es geht auchum Themen wie Datenschutz, Persönlichkeitsrechteund Dialogkompetenz.“

Deshalb müssen die inhaltlichen und technolo-gischen Entwicklungen der Medienbranche jetzt imVolo-Tarifvertrag nachvollzogen und verbindlich ver-ankert werden, verlangt Werneke, assistiert vom dju-Tarifsekretär Matthias von Fintel: „Eine journalis -tische Ausbildung, die Ausdrucksformen in Video-,Audio-, Online- und klassischen Printbeiträgen nichtgleichwertig nebeneinander ausbildet, ist nicht zu-kunftsträchtig.“

Social Media-Projekte für Journalistenschüler.Viel neuer Inhalt für das zweijährige Volontariat beiTageszeitungen und Zeitschriften. Deshalb experi-mentieren einige Zeitungshäuser mit neuen Aus -bildungswegen. Bei der Schwäbischen Zeitung ist dasVolontariat inzwischen auf drei Jahre verlängert undenthält Pflicht stationen bei lokalen Radio- und Fern-sehanbietern. Die Axel-Springer-Akademie führt mitihren Journalistenschülern Projekte zu Social Mediadurch, die zum Beispiel während der Fußball-Welt-meisterschaft in Südafrika als Experiment mit der nor-malen Nachrichtenübermittlung per Agentur undAuslandskorrespondent konkurrierten. Außerdem gehen die Journalistenschüler für einige Wochen andie Columbia-University in New York und damit in

Vor 22 Jahren gingen die Redakteurinnenund Redakteure auf die Straße für ein Ziel,das in der Bericht erstattung über den bisdahin längsten Journalistenstreik in

Deutschland kaum erwähnt wurde: eine tarif lich ge-regelte Ausbildung für Volontärinnen und Volon täre,die den Qualitätsansprüchen der Zeit entsprach. ImTarifvertrag, der dann abgeschlossen wurde, hieß es,dass die jungen Leute auch den Umgang „mit einemgegebenenfalls vorhandenen rechnergesteuerten Re-daktionssystem“ lernen sollten. Seither sind nicht nurder Klebeumbruch am Leuchttisch und die klappern-den Schreibmaschinen aus den Zeitungshäusern ver-schwunden, es sind auch zahlreiche Medienkanäleneben dem Printprodukt entstanden. In Redaktionenwird Online-Content produziert, gebloggt, getwittert,gefilmt und mit dem Leser gechattet.

Für den „Forschungsbericht Crossmedia 2012“haben die Wissenschaftlerinnen Susanne Kinnebrockund Sonja Kretzschmar zusammen mit dem Lokal-journalistenprogramm der Bundeszentrale für politi-sche Bildung insgesamt 90 Fragebögen aus Lokal- undRegionalredaktionen ausgewertet: So gut wie alle Redaktionen füllen eine Website, 90 Prozent nutzenFacebook als Kanal zum Leser, zwei Drittel twitternüber einen Redaktionsaccount und ebenso viele erstel-len eine Mobile-Website. Doch die Autorinnen stellenauch eine Diskrepanz fest: „Es wird zwar angegeben,dass generell crossmedial produziert wird, aber defacto werden die Möglichkeiten noch nicht ausge-schöpft.“ Denn die Umfrage zeigt: „In sozialen Netz-werken publizieren die Lokalredaktionen täglich, aufTwitter zumindest mehrmals die Woche, Videos wer-den zumindest wöchentlich erstellt, ebenso Beiträgefür lokale Blogs. Infographiken oder Audios leistensich die Redaktionen allenfalls einmal im Monat.“

Aber das Crossmediale geht in vielen Verlagshäu-sern über die ursprüngliche Printredaktion hinaus.Verlage sind an lokalen Radios und Fernsehsendernbeteiligt. Zeitschriften haben ihre Fernsehableger.Und freie Journalisten haben bessere Überlebens -chancen, wenn sie das technische Knowhow besitzen,auch diese Redaktionen mit den Ergebnissen ihrer Re-

Crossmediales Arbeiten, Social Media nutzen und bedienen, den digitalen Kontakt mit dem User halten, das sind nur einige der Schlagworte, die fallen, wenn es um die Zukunft der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche geht. Voraussetzung für den Erfolg: Neue Schwerpunkte in der Ausbildung und kontinuierliche Weiterbildung in den Redaktionen. Eine Qualifizierungsoffensive tut Not.

Von Susanne Stracke-Neumann

Journalismus braucht Qualifizierungsoffensive

Tarifsekretär Matthias von Fintel:

„Eine journalis tische Ausbildung,die Ausdrucksformen in Video-,Audio-, Online- und klassischenPrintbeiträgen nicht gleichwertignebeneinander ausbildet, istnicht zukunftsträchtig.“

Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de

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ein Land, wo die Zahl der nur noch im Internet er-scheinenden Zeitungen zunimmt.

Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag hatzusammen mit der Fachhochschule Kiel einen drei-jährigen Master-Studiengang für die Volontärinnenund Volontäre entwickelt, der allerdings „kein Zucker-schlecken“ ist, gibt der Dekan des Fachbereichs Me-dien, Bernd Vesper, zu. Den zusätzlichen Zeitaufwandfür die Volos beziffert er auf gut 20 Stunden die Wo-che im Fernstudium, dazu gibt es sechs Mal im JahrBlockseminare an der Fachhochschule – neben dernormalen Arbeit in den Redaktionen. Die tageszeitungnannte das „Überstunden im Tarnmantel“. Auch hierscheint Regelungsbedarf – auch wenn man damit nurdie tarifgebundenen Verlage erreicht. Denn das Kom-binationsmodell scheint durchaus interessant undweiterentwicklungsfähig – zu Bedingungen, die denStudienaufwand bei der Volontärsarbeit angemessenberücksichtigen.

Doch kehren wir zurück zu den ungenutztenMöglichkeiten, die der „Forschungsbericht Cross -media 2012“ in den Redaktionen aufzeigte. Schließ-lich sind es nicht nur die Volontäre, die die neuentechnologischen Raffinessen bedienen sollen, son-dern auch die Kollegen, deren Ausbildung eher aufdem Stand des alten Volo-Tarifvertrags basiert. Struk-turen und Arbeitsbedingungen in den Redaktionensind schuld an den verpassten Chancen, mit demUser in Kontakt zu kommen, meinen die Forscherin-nen: „Auch die redaktionellen Organisationsstruk -turen sind mit Blick auf den erhöhten Koordinations-bedarf noch kaum ausgebaut. Crossmedia-Verant-wortliche oder Koordinatoren sind keineswegs überallklar benannt, redaktionellen Strategien, wann wel-ches Thema über welchen Kanal zu spielen ist, sindoft nicht formuliert, Konferenzen zur Kanal- und The-men-Koordination sind auch noch nicht fester Be-standteil des Arbeitsalltages. Kurzum, crossmedial pro-duziert wird derzeit anscheinend eher noch auf Zuruf,ein integriertes Konzept und damit verbunden klareAufgabenverteilungen, die sich auch in einer entspre-chenden Organisationsstruktur widerspiegeln, sinddie Ausnahme. Ebenso fehlt es an Richtlinien, wie

sich die Zeitung auf Facebook oder Twitter verhaltensoll. Strukturell ist die Anpassung an Vielkanalbedin-gungen noch nicht erfolgt.“

„Nur wer es schafft, vom monomedialen Print-haus zum multimedialen Medienunternehmen zumutieren, wird konkurrenzfähig bleiben. Und zwarvor allem auch mit dem Kernprodukt Print“, warntder Chefredakteur von Horizont.net, Volker Schütz.Die Verteilung desselben journalistischen Inhalts amNewsdesk durch ein Content Management SystemCMS klinge zwar zeit- und arbeitskraftsparend. Dochdas sei „Technikgläubigkeit an der falschen Stelle“,meint Schütz. „Gute Geschichten werden von einemguten Redakteur gemacht und nicht von einem gutenCMS.“ Außerdem müssen die guten Geschichten fürdie verschiedenen Kanäle noch passend aufbereitetwerden. „Die Verleger haben die irrige Vorstellung,dass crossmediales Arbeiten Zeit spart. Das Gegenteilist der Fall“, unterstreicht Cornelia Haß, Bundesge-schäftsführerin der dju in ver.di.

Tarifpolitischer Handlungsbedarf. Die Wege zur Le-serin, zum Leser haben sich also vervielfältigt, dochnicht die Zahl der Mitarbeiter. Nach dem aktuellenJahrbuch Zeitungen 2011/2012 wurden innerhalb ei-nes Jahres 600 Redakteursstellen bei deutschen Tages-zeitungen abgebaut. Da fällt es vielen Redaktionenschwer, dem „enormen Schulungsbedarf“ nachzu-kommen, den die Studie verzeichnet. „Von unserenMitgliedern bekommen wir in immer stärkeren Um-fang die Meldung, dass die Möglichkeit zur Weiterbil-dung leidet“, berichtet Werneke. „Im Gegensatz zuvielen anderen Branchen haben wir jedoch in der Ver-lagswirtschaft keinerlei gesicherte Ansprüche auf Fort-und Weiterbildung. Unser Versuch, zu tarifvertrag -lichen Vereinbarungen zu gelangen, ist regelmäßig gescheitert.“ Dabei sei es bei der immer größeren Zahlvon freien Journalistinnen und Journalisten ganzwichtig, auch für diese Weiterbildung sicherzustellen:„Hier tun sich Handlungs bedarfe auf – betrieblich wieauch tarifpolitisch.“ „Statt sich in Scharmützeln umdie Tagesschau-App aufzureiben, sollten die Zeitungs-verleger unternehmerisch handeln, sich nicht arg-

dju-Bundesvorsitzender Ulrich Janßen

„Dabei geht es um mehr als tech-nische Fertigkeiten oder darum,sich mit Facebook auszukennen.Es geht auch um Themen wie Datenschutz, Persönlichkeits -rechte und Dialogkompetenz.“

dju-BundesvorstandsmitgliedJoachim Kreibich

„Gleichzeitig glauben mancheVerleger, Weiterbildung erschöpfe sich darin, den Kollegen in der Redaktionmal ‘ne Schnellbleiche’ zu ver -ordnen, wenn ein neuesRedaktionssystem angeschafftwird.“

Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de

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wöhnisch in ihren Claims einigeln, sondern offensivwerden: „Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive.Das gilt für die Ausbildung gleichermaßen wie für dieWeiterbildung“, fordert dju-Vorsitzender Janßen. Diesollte dann aber nicht so aussehen, wie dju-Bundes-vorstandsmitglied Joachim Kreibich die Situation ausseiner Erfahrung beschreibt: „Die Kolleginnen undKollegen in den Redaktionen schreiben fast jeden TagArtikel, in denen betont wird, wie wichtig Weiterbil-dung ist – übergreifend über alle Branchen. Lebens-langes Lernen ist in allen qualifizierten Jobs längstUsus. Gleichzeitig glauben manche Verleger, Weiter-bildung erschöpfe sich darin, den Kollegen in der Re-daktion mal ‘ne Schnellbleiche’ zu verordnen, wennein neues Redaktionssystem angeschafft wird. Das seidann schon genug. Wer mehr mitkriegen will, könnesich ja selber drum kümmern. Wenn ihm/ihr bei dertäglichen Arbeitsbelastung denn noch Zeit dafürbleibt.“

Dass die Weiterbildung möglichst schnell gehensoll, hat auch Gabriele Hooff acker von der Journalis-tenakademie in München schon oft erfahren undschrieb dazu in ihrem Blog: „Nicht selten werde ichgefragt: ‚Können Sie bitte bei uns in zwei Tagen denSeminarteilnehmenden die neuen Präsentationsfor-men on line, mit Bloggen, Audio, Video und SocialMedia, alles mit vielen praktischen Übun gen, beibrin-gen?’ Manchmal frage ich zurück: ‚Wollen wir die jour-nalistischen Darstellungsformen, Suchmaschinenop-timierung, Photoshop und Content-Managementnicht noch gleich mit dazupacken?’ Leider verstehennicht alle Arbeitgeber die Ironie“.

Auch international ein wichtiges Thema. Alle reden vom „lebenslangen Lernen“, die UNO und dieUnesco, auch die Europäische Union, die seit 2007 regelmäßig den Weiterbildungsaufwand in den Mit-gliedsländern erhebt und vergleicht und bis 2015 eineValidierung einführen will. In Berlin fand Mitte Sep-tember der „4. Deutsche Weiterbildungstag“ statt, derim Bundestag eröffnet wurde. Auch die internationa-len Journalistenorganisationen IJF und EJF greifen dasThema auf, wie Wolfgang Mayer betont, der als dju-Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IJF sitzt:„Lebenslanges Lernen durch kontinuierliche Weiter-bildung ist in jeder Branche zwingend notwendig. Dasgilt für Journalisten und Journalistinnen in besonde-rer Weise, damit sie ihre spezielle Rolle für die Gesell-schaft adäquat erfüllen können. So ist denn auch inden Satzungen der IJF und EJF das Ziel ausdrücklichfestgeschrieben, den Standard journalistischer Arbeitund die Bildung der Journalisten aufrecht zu erhaltenund zu verbessern. Die Journalistengewerkschaftensind überall aufgerufen, der Forderung nach Weiter-bildung besonderes Gewicht zu geben“.

Der jüngste „Adult Education Survey“ der EU(2009/2010) ergab für Deutschland, dass die Weiter-bildungsbeteiligung alle Branchen zusammengenom-men bei rund 42 Prozent liegt, davon dann allerdingsnur 59 Prozent betriebliche Weiterbildung. Insgesamtsei die betriebliche Weiterbildung seit 2007 um dreiProzent reduziert worden. Fast ein Drittel der Weiter-bildungswilligen kümmert sich selbst ohne betrieb -liche Unterstützung darum, heißt es in der Studie.„Die Verantwortung für die Weiterbildung haben dieVerlage als Arbeitgeber“, stellt Mayer für den Journa-lismus klar. Der Schweizer Medienwissenschaftler Vin-

zenz Wyss berichtete auf dem letztjährigen Journalis-tentag, dass nach seiner Erhebung 60 Prozent derSchweizer Journalistinnen und Journalisten im Jahrdavor keine Weiterbildung hatten.

Bei fast der Hälfte der Bildungsveranstaltungenhandelte es sich nach dem allgemeinen „Survey“ umKurzveranstaltungen, die höchstens einen Tag langdauern. Auch der Verband der Deutschen Lokalzei-tungen setzt zum Beispiel auf kleine Workshops undInfotage „mit Beispielen aus Verlagen für Verlage“,wie Ann-Kristin Ebeling er-klärt. Insgesamt hatte derVerband der Deutschen Lo-kalzeitungen in den vergan-genen zwölf Monaten 231Gäste und hat ein Netzwerkaus 15 Volontärsausbildernaufgebaut, die sich aller-dings schon länger nichtmehr getroffen haben.

Die Zahl der angebote-nen Weiterbildungen imJahr 2012 gibt Anja Pasquayvom Bundesverband derDeutschen Zeitungsverlegerfür die Akademie Beruf licheBildung der deutschen Zei-tungsverlage mit 61 an ins-gesamt 133 Seminartagenan. Die Journalistische Be-rufsbildung in Baden Würt-temberg zählte 42 Seminare mit 108 Tagen. Die Wei-terbildung in Rheinland-Pfalz/Saarland kam auf 15Seminare an 35 Tagen. Am Programm des Jahres 2011nahmen, alle drei Einrichtungen zusammengerech-net, 1.200 Journalistinnen und Journalisten teil.

Die Entwicklung beschreibt Pasquay so: „DieZahl der Teilnehmer ist in den vergangenen fünf Jah-ren stark gestiegen, wie mir die Geschäftsführerin un-serer ABZV versicherte. Dort kommen zirka 30 Pro-zent der Seminarteilnehmer aus eigener Initiative, dieanderen werden von den Verlagen angemeldet.“ Beider Auswahl der Seminare sei ein klarer Praxisbezugzu beobachten: „Themen, die in der Medienbericht-erstattung heiß diskutiert werden, sind als Seminarezumindest nach den Erfahrungen der ABZV eher Ladenhüter. Praxisbezug ist das A und O. Ob Cross-media, Sprache, Recherche oder Presserecht: Die Teil-nehmer müssen beim Lesen der Ausschreibung dasGefühl haben: ‚Wenn ich Montag und Dienstag Semi-nar X besuche, komme ich Mittwoch in die Redaktionund kann X – oder kann es jedenfalls viel besser alsvorher.’“

Zwei weitere Beispiele: Die Akademie für Publi-zistik in Hamburg hat in den Redaktionen rund 500bis 600 Journalisten weitergebildet und rund 1.000Teilnehmer im vergangenen Jahr im Haus begrüßt,berichtet Direktorin Annette Hillebrand, die reinenVolo-Kurse nicht mitgerechnet. Allerdings kommennicht nur Profi-Journalisten, sondern auch andereMedieninteressierte in die Seminare. Bei den ausge-wählten Themen sieht sie einen deutlichen Trendzum Hintergrund und zum langen Text. Das diesjäh-rige Reporter-Forum in Hamburg stellte ebenfalls eine„Renaissance der Reportage“ fest.

An der Akademie der Bayerischen Presse in Mün-chen hat Direktor Martin Kunz jährlich etwa 2.000

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Gabriele Hooffacker,Journalistenakademie München

„Nicht selten werde ich gefragt:‚Können Sie bitte bei uns in zweiTagen den Seminarteilnehmen-den die neuen Präsentationsfor-men online, mit Bloggen, Audio,Video und Social Media, alles mit vielen praktischen Übungen,beibringen?’“

Foto: Noah Cohen

Foto: pressmaster - Fotolia.com

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Teilnehmer in Fortbildungen gezählt, die der Arbeit-geber zahlt. Das zeige einen Aufwärtstrend, in denvergangenen Jahren seien es zwischen 1.600 und1.700 gewesen. Dabei registrierte Kunz eine Frauen-quote von 70 Prozent und schrieb im Juni-Newsletterder Akademie, dass viele aktuelle Kurse zu nahezu 100Prozent weiblich besetzt seien: „Oft sitzt nur ein Quo-tenmann im ‚Kreativ Schreiben’-Seminar oder im ‚On-linevideos’-Workshop.“ Andere Bildungsinstitutionenmachten vergleichbare Erfahrungen. Allerdings hörtman aus anderen Häusern auch von abgesagten Ter-minen mangels Interesse.

Hohes Teilnehmerpotenzial. Eine aktuelle Statistikzur journalistischen Weiterbildung fehlt. Der „AdultEducation Survey“ schlüsselt seine Ergebnisse zwarnach Branchen auf, bündelt diese aber so großzügig,dass es für Tageszeitungen und Zeitschriften keineAussagekraft hat. Dabei ist das Teilnehmerpotenzialfür Fortbildungen hoch: Die Angaben zur Zahl derJournalisten in Deutschland schwankt zwar stark undreicht bis zu 160.000, wie Hooffacker unter Bezug aufdas Statistische Bundesamt schreibt. Im Bereich derPrintmedien hat das Presseversorgungswerk 2010rund 22.000 Redakteure, 20.000 freie Journalisten und200 Volontäre versichert. Nach den Angaben der Ver-bände gibt es allerdings insgesamt etwa 1.100 Tages-zeitungsvolontäre und 700 Zeitschriftenvolontäre. Inder „8. Stichtagssammlung der deutschen Tagespres-se“ wurden 133 Publizistische Einheiten, 347 Verlageals Herausgeber und 1.584 einzelne Ausgaben ver-zeichnet.

Doch die Print- und Online-Journalisten brau-chen nicht nur Weiterbildung im Web 2.0 und ande-ren journalistischen Fertigkeiten, auch wenn der VDZfür sein Social-Media-Seminar mit dem Slogan wirbt„Zwölf Fragen, die sich Redaktionen heute stellen soll-ten!“ und sich nur der Prozessoptimierung widmet.Neue Technologien führen auch zu neuen Fragenjournalistischer Ethik. Der Presserat verzeichnet im-mer mehr Beschwerden über den Umgang von Redak-tionen mit Informationen, die sie ungefragt aus densozialen Netzwerken ziehen. „Die Online-Redaktionund das Internet machen keine neuen ethischenGrundregeln notwendig. Aber der Transfer in die vir-tuelle Welt und die analoge Anwendung dieser Regelndort will reflektiert und geübt sein. Man muss ja auchnicht das Auto neu erfinden, wenn man von der Land-straße zur Autobahn wechselt. Aber üben muss manschon, wenn man stets heil nach Hause kommenwill“, ist Manfred Protze überzeugt, der für die dju seitvielen Jahren Mitglied im Presserat ist. „Der unver-meidbare Verschleiß der in der Ausbildung erworbe-nen Professionalität schließt die Ethik ein. Auch indiesem Teil der Profession kann nur berufsbegleitendeWeiterbildung eine drohende Erosion aufhalten.“

Ganz besonders, wenn der amerikanische Me-dienforscher Matt Waite recht hat, dass der Journalis-mus künftig auch mit Hilfe von Drohnen arbeitenwerde, wie er beim Hamburger Scoopcamp ausführte.Die können nicht nur bei Natur- oder Reaktorkata-strophen zum Einsatz kommen. Bei der Zukunftsaus-sicht wird sich vor allem die Yellow Press die Händereiben. n

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Ein moderner Volo-Vertrag Aus- und Weiterbildung kommt in vielen Verlagen zu kurz

Der Volontärs-Tarifvertrag, für den du schon als Volon -tärin gekämpft hast, ist nun schon 22 Jahre alt. In derZeit hat es viele technologische und arbeitsmäßige Veränderungen in den Redaktionen gegeben. Wie solltesich das in einer Modernisierung des Volo-Vertragswider spiegeln?

Renate Angstmann-Koch: Viele Tageszeitungs-Verlagebilden ihre Volontäre längst crossmedial auch in den

Bereichen Online oder Video aus, ebenso imNewsroom. Allerdings gibt es dafür in den seltenstenFällen ein wirklich geplantes und zeitlich abgestimm-tes Programm. Meist geht es hier zu wie vor 1990:Learning by doing. Die beste trimediale Ausbildunggibt es zurzeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk,der allerdings kein Geld mehr hat, alle seine bestensausgebildeten Volontäre selbst zu übernehmen. Auchim Printbereich spielen heute Fotos und Gestaltungeine wesentlich größere Rolle. Allerdings werden dieseimmer wichtigeren Elemente in den Medien nicht mitAusbildung oder Fortbildung unterfüttert. Wort, Bild,Ton, Graphik, Video, Online, Web und Network – dasalles müsste sich in einem modernisierten Ausbil-dungstarifvertrag wiederfinden.

Wenn ein Verlag keine eigene Internet-Redaktionhat – und womöglich seine redaktionellen Inhalteeins zu eins ins Netz stellt, statt sie ordentlich aufzu-bereiten –, müsste er seine Volontäre zu einem Part-nerverlag schicken. So wie heute schon Volontärekleiner Lokalzeitungen einzelne Abschnitte ihrer Aus-bildung beim jeweiligen Mantelblatt absolvieren.

Kaum war sie 1988 Volontärin beim Schwäbischen Tagblatt geworden, schon fandsich Renate Angstmann-Koch in der Rolle der Volontärssprecherin der dju in Baden-Württemberg wieder. Und das in einer aufregenden Zeit, denn bis 1990 kämpftendie Journalistinnen und Journalisten darum, dass die Volontärsausbildung endlicheinen akzeptablen Standard bekommt, der in einigen Häusern schon üblich war,aber beileibe nicht in allen. So begann ihr gewerkschaftliches Engagement, und eshat bis heute nichts von seiner Kraft verloren. Sie ist Mitglied des Landesvorstandsin Baden-Württemberg, Stellvertreterin im Bundesvorstand der dju und seit vielenJahren Mitglied der dju-Tarifkommission.

M sprach mit Renate Angstmann-Koch über die Erfordernisse einer guten Aus- undWeiterbildung im Zeitalter von Crossmedia.

Anja Pasquay, Bundesverband DeutscherZeitungsverleger

„Die Zahl der Teilnehmer ist inden vergangenen fünf Jahrenstark gestiegen … Dort kommenzirka 30 Prozent der Seminar -teilnehmer aus eigener Initiative, die anderen werden von den Verlagen angemeldet.“

Foto: David Ausserhofer / BDZV

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Genügt es, die Journalistenausbildung nur technisch-handwerklich zu erweitern?

Nein, man müsste sie auch inhaltlich ergänzen, etwaum Themen wie Social Media. Man muss sich das malvorstellen – 1990 lag der Fall der Mauer gerade einJahr zurück. Bonn war noch Regierungssitz und dieD-Mark Zahlungsmittel, eilige Post wurde per Faxübermittelt. Die Zeitungsseiten wurden damals nochvon Metteuren mit Schriftsetzer-Ausbildung amLeuchttisch mit dem Skalpell umbrochen. Da ist esüberfällig, den Ausbildungs-Tarifvertrag an die heuti-gen Gegebenheiten anzupassen.

Bei dem damals längsten Journalistenstreik in Deutsch-land für eine geregelte Ausbildung sind die Redakteurin-nen und Redakteure für etwas auf die Straße gegangen,was ihnen erst mal gar nicht zugute kam, sondern durchAusbildungsverpflichtung eher mehr Arbeit machte.Siehst du ein solches Eintreten für den Nachwuchs heuteauch noch?

Ja, unbedingt. Das zeigte nicht zuletzt der Journalis-tenstreik im letzten Jahr. Aber die Ausgangslage istkomplizierter geworden. Die Einstellungspraxis derVerleger orientiert sich daran, Menschen mit einemwissenschaftlichen Hochschulabschluss erst einigeJahre mit Aussicht auf ein Volontariat als Freie amHungertuch nagen zu lassen. Viele lassen sich daraufein, weil eine gute Ausbildung in einem Zeitungsver-lag noch immer als einer der besten Berufszugängegilt. Im Tarifkampf 2011 ging es den Tageszeitungs-Journalisten in erster Linie darum, Einbußen für diekünftigen Redakteurinnen und Redakteure abzu -wehren. Denn die Verleger wollten das mit den Be-rufsjahren wachsende Wissen und wachsende Er -fahrung nicht mehr in der Gehaltsstaffel honorieren.Die Streikenden sahen ihr Berufsbild und die Voraus-setzungen für journalistische Qualität in Frage ge-stellt. Dabei ist bis heute zu beobachten, dass diemeisten Redakteurinnen und Redakteure mit großerSorgfalt, viel Spaß und Energie ihr Wissen und ihreErfahrung an die Jüngeren weitergeben, wenn sie nurirgendwie Zeit dafür finden. Sie wollen den Volon -tärinnen und Volontären einen guten Berufseinstiegermöglichen. Schließlich sind sie die Zukunft derBranche. Eine höhere Qualifikation der Berufseinstei-ger müsste sich dann aber auch in höheren Anfangs-gehältern niederschlagen.

Eine gute Ausbildung ist die Basis, aber alle reden vom„lebenslangen Lernen“, von Weiterbildung. Im Mantel -tarifvertrag für Zeitungen und Zeitschriften ist davonnicht die Rede. Ist das kein Thema in den Redaktionen?

Weiterbildung ist ein Thema, seit es Tarifpolitik fürRedakteure an Tageszeitungen gibt. Allerdings sind dieAnläufe der Gewerkschaften, einen Weiterbildungs-anspruch im Tarifvertrag zu verankern, immer imSand verlaufen. Mal sollten die Redakteure die Hälfteder investierten Bildungszeit durch Urlaubsverzichtrealisieren, dann wiederum war es nicht klar, welcheWissensgebiete in den Bildungskatalog aufgenommenwerden. In den achtziger Jahren gab es noch eine Fül-le von Weiterbildungsstätten, die nach und nach wirt-schaftliche Probleme bekamen und heute höchstensein Schattendasein führen. Gleichzeitig hat sich aber

jede Hochschule eine Art Journalistik-Studiengang zugelegt – welcher Güte auch immer. Unter den Ver-legern herrscht die Meinung vor, dies sei Weiterbil-dung genug. Hinzu kommt, dass der Arbeitsdruck invielen Redaktionen heute so stark ist, dass Seminar-besuche mehr denn je unter den Tisch fallen. Daswirkt sich leider in einigen Verlagen auch schon aufdie Ausbildung aus.

Welche Themen sollten in der Weiterbildung ganz vornestehen?

Ähnliche, wie sie auch bei einer Überarbeitung desAusbildungs-Tarifvertrags eine Rolle spielen: neue Medien und Recherche für das Handwerk und Euro-papolitik oder die Finanzmärkte als übergreifendeThemen für die Berichterstattung. Aber selbst Rheto-rik und Moderation sollten heute zur Aus- und Wei-terbildung gehören.

Weiterbildung scheint in der PR-Branche wichtiger zusein als bei den Verlagen. Werbekampagnen kommen im-mer verdeckter in ihrer Absicht daher, die wahren Hinter-gründe sind oft nur schwer zu erkennen. Warum rüstendie Verlage ihre Redaktionen nicht durch die Vermittlungwichtiger Informationen in einer Weiterbildung gegenden PR-Einfluss?

Die meisten Verlage orientieren sich nur daran, ihrengegenwärtigen Kostendruck über das Personal einzu-sparen. Die Qualität ist vielen Verlegern egal. Die Gewinne sind eigentlich nichtkleiner geworden, sie verteilensich aber auf die Anzeigen -blätter, das Privatradio, das E-Paper und die Werbeagenturder Zeitung – und die Rendite-Erwartungen sind höher ge-worden. In vielen Verlagenwerden Redakteursstellen ge-strichen und die Honorar-Etatsfür die Freien eingedampft. Dableiben in der täglichen Arbeitgründ liches Nachdenken undsorgfältige Recherche viel zuoft auf der Strecke. Dann wer-den die PR-Texte von Ver -bänden, Unternehmen oderParteien weit weniger kritischüberprüft, als es angemessenwäre. Die Stoffe werden ofthervorragend aufgearbeitet,doch sie sind eben meist troja-nische Pferde, also Werbungfür bestimmte Ideologien oderProdukte, etwa die Riester- Rente. Hinzu kommt, dass ineinigen Verlagen die Redaktio-nen unter dem Druck stehen, eigene Aktionen undVeranstaltungen der Zeitungshäuser hervorzu heben.Die Verleger müssen sich aber im Klaren sein, dass siedurch Klientel- und Sparpolitik den Ast ab sägen, aufdem sie sitzen. Denn das größte Pfund des professio-nellen Journalismus ist und bleibt die Glaubwürdig-keit, die Unabhängigkeit und ihr Nachweis im täg -lichen Lesestoff. Das Gespräch führte

Susanne Stracke-Neumann n

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Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender

„Deshalb müssen die inhaltlichen und technologischenEntwicklungen der Medien -branche jetzt im Volo-Tarifvertragnachvollzogen und verbindlichverankert werden“

Renate Angstmann-Koch, Mitglied im dju-Landesvor-stand Baden-Württemberg

Foto: Stefanie Herbst

Foto: Erich Sommer

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„Social Media sind zu einer Art Grundrechenart ge-worden, die man benutzt, ohne darüber nachzuden-ken“, beschrieb der Sprecher der Social Media WeekBerlin, Rico Valtin, das Thema der Veranstaltung ge-genüber M. Man versuche, Menschen verschiedensterBereiche, wie Künstler, Startup-Gründer, Lehrer, poli-tisch Aktive und Freiberufler in den Gedankenaus-tausch zu bringen, sagte Valtin, „denn inzwischen istallgemein klar geworden, dass die Betreuung der Facebook-Seite nicht mehr eine Aufgabe für Prakti-kanten ist“.

Die Veranstalter erwarteten 6.000 Teilnehmer,was einem 20-prozentigen Zuwachs gegenüber demVorjahr entspräche. Auffällig war der hohe Frauen -anteil, den die Organisatoren mit fast 50 Prozent an-gaben. „Wir achten sehr genau darauf“, erklärte Val-tin, „und kümmern uns deshalb darum, dass auch beiden Rednern der Frauenanteil hoch ist. Dazu müssenwir allerdings Frauen direkt für ein Vortragsthema an-sprechen, denn im Gegensatz zu Männern kommensie nicht auf uns zu.“

Neue interessante Stimmen. Die Teilnehmer kamenaus verschiedenen europäischen Ländern. Aus Parisreiste die französische Journalistin Maelle Fouquenetan. Sie arbeitet seit fünf Jahren mit sozialen Netzwer-ken, bildete Journalisten aus und realisierte mit ver-schiedenen französischen Zeitungen Social Media

Projekte. „Wir können unheimlich davon profitie-ren“, meinte sie zur Bedeutung der Social Media fürden Journalismus. Auf die Frage, was sie unter SocialMedia zusammenfasse, antwortete sie: Alle Dienste,die man im Internet und mobil „for sharing“ nutzenkönne. Sharing sei das wesentliche Kennzeichen, dasSocial Media von anderen Internet-Plattformen unter-scheide. „Sharing“ – das gemeinsame Benutzen, dasTeilen, aber auch das Verteilen – wird auch von ande-ren Teilnehmern als kennzeichnende Funktion derSocial Media genannt. Im Zentrum von FouquenetsArbeit mit Social Media stehen Facebook und Twitter.Besonders Facebook sei sehr geeignet, um beispiels-weise für Interviews Experten zu finden. Anders alsdie klassischen Medien, die immer auf die gleichenExperten zurückgreifen würden, ließen sich hierüberneue interessante Stimmen finden, die auch andereAspekte in Diskurse einbringen könnten.

Nur fünf Prozent der Teilnehmenden sind älterals 50 Jahre. Gerne würde man auch ältere Menschengewinnen, das sei jedoch nicht einfach, da diese nurschwer über die Social Media-Kanäle erreichbar undzudem schlechter vernetzt seien, erklärte Valtin imGespräch mit M. Auf der Suche nach Wegen habeman auch schon bei Gewerkschaften angefragt, aberkeine positive Resonanz erhalten.

Die Social Media Week finanziert sich nur überSponsoring. „Es ist Bestandteil des Konzepts, dass alleVorträge und Workshops kostenlos angeboten wer-den“, sagte Valtin. Redner erhielten daher auch keineHonorare. Was dazu führt, dass große Namen eher sel-ten im Programm der Social Media Week zu findensind.

Jenseits des Hypes und trotz der Kostenfreiheitvieler Social Media Dienste im Internet sollte man be-denken, dass es sich um einen Milliardenmarkt han-delt. Die Nutzer zahlen mit ihren Daten, die sie in diePlattformen einbringen. Während der mangelhafteDatenschutz in den sozialen Netzwerken für Redak-tionen zumeist weniger gravierend ist, sollten Journa-listen genau darauf achten, welche Informationen siepreisgeben. Nicht nur Überwachungsorgane, sondernauch Juristen und Psychologen lesen mit – zumeist fürAuftraggeber.

Twitter – das unterschätzte Medium. Wer Twittersinnvoll einsetzen will, muss sich mit Hashtags aus-kennen, denn diese sind bei Twitter das zentrale Ele-ment. Die ehemalige UN-Mitarbeiterin und Journalis-tin Melanie Nolte beschäftigte sich in ihrem Vortragauf der Social Media Week mit dem Gebrauch vonHashtags. Sie erläutert den Einsatz von Hashtags, gibtHinweise zu Twitter als Recherchewerkzeug und er-klärt typische Fehler.

SCHWERPUNKT

Grundrechenart Social MediaWidersprüche, Defizite und Chancen im Journalismus

„Social Media im Journalismus“ war ein Schwerpunkt der Social Media Week vom24. bis zum 28. September in Berlin. Konkrete Einzelaspekte wie Social Media Mo-nitoring, die journalistische Relevanz von Twitter, Datenjournalismus, Finanzierungdurch Crowdfunding oder die Überprüfung von Video- und Fotomaterial in sozialenNetzwerken wurden in einer Vielzahl von Veranstaltungen an drei verschiedenenTagungsorte diskutiert.

Save the Date

Die nächste Social MediaWeek findet vom 18. bis 22. Februar statt.Die Konferenzen werdenparallel in Hamburg, New York, Tokyo, Toronto,Washington DC, Milan,Paris und Singapore statt-finden sowie auch das erste Mal in Atlanta undDoha.

Foto: Vilmar Valdmann (SMWBerlin)

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Hashtags werden durch das Symbol „#“ gekennzeich-net und dienen der Markierung von Schlüsselwörtern.Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Suchfunktionvon Twitter: „Wer auf Twitter eine Mit teilung verfasst,stellt Schlüsselbegriffen das Symbol voran und ordnetdie Mitteilung dadurch thematisch ein. Bei der Suchenach diesem Suchbegriff werden alle mit dem passen-den Hashtag versehenen Tweets hervorgebracht“, erklärt Nolte. Mitteilungen werden bei Twitter Tweetsgenannt. Eine Suche nach „#verdi“ würde alle Tweets

finden, in denen die Verfas-ser die Bezeichnung verdimit dem Symbol versehenhaben. (Die Suche nach#ver.di findet Tweets mitdem Wort ver.di ohne Rau-te.) Man sollte bei der Ver-wendung von Hashtags da-rauf achten, dass die Schlüs-selworte keine Leerzeichenoder Satzzeichen enthaltendürfen – ein Fehler, der vonBenutzern häufig gemachtwerde.

Darüber hinaus bekämeman zugleich die Leute an-gezeigt, die zum gesuchtenThema etwas geschriebenhätten, so Nolte weiter. Da-her seien Hashtags nichtnur die Basis jeder Recher-

che auf Twitter, sondern auch eine Möglichkeit, Ex-perten und Augen zeugen zu finden. Nolte empfiehltdeshalb, Hashtags bei Twitter auch in den Benutzer-profilen einzusetzen, um eigene Themen, Fachgebieteund Tätigkeitsfelder kenntlich zu machen, da bei ei-ner Suche Profile mit einbezogen würden.

Das bei Twitter etablierte Symbol sei bereits vonanderen Social Media Plattformen übernommen wor-den, wie etwa Pinterest und Instagram, erklärt sie wei-ter. Bei diesen sozialen Netzen steht der Austauschvon Fotos im Mittelpunkt. Nolte, die sich inzwischenhauptsächlich mit der Entwicklung von Kommunika-

tionsstrategien beschäftigt, berichtet, dass Hashtagszwischenzeitlich sehr bewusst eingesetzt würden, umPersonen und Themen zu propagieren. Mit der wach-senden Bedeutung von Hashtags bilde sich neben derSuchmaschinenoptimierung, Search Engine Optimi-zation oder SEO genannt, gerade eine neue Varianteheraus: Social Search Optimization, SSO abgekürzt.Während SEO eingesetzt werde, um Webseiten aufSuchmaschinen besser zu platzieren, werde SSO ein-gesetzt, um Personen und Themen in den Social Media ins Zentrum zu rücken.

Twitter wird im Journalismus nicht nur für dieRecherche eingesetzt, sondern auch als Medium fürdie Verbreitung eigener Mitteilungen. Dafür rät Nolte:„Man sollte sich vorher überlegen, wo die Reise hin-gehen soll“. Das fange schon mit der Wahl des ge-wählten Pseudonyms oder Namens an und höre nichtbei der Verwendung von Hashtags auf. Während Re-daktionen Twitter oft lediglich für die Ankündigungvon Artikeln und Themen verwenden, empfiehlt Nol-te insbesondere freien Journalisten, es nicht dabei zubelassen. Twitter sei eben keine reine Selbstdarstel-lungsplattform, sondern es ginge auch um „SocialSharing“. Journalisten sollten auf Retweets – also dieWeiterleitung eigener Mitteilungen durch Andere –reagieren und können auch auf interessante Storiesvon Kollegen verweisen. „Twitter hat viel gemeinsammit Blogging, man könnte es als Microblogging be-zeichnen“, sagte sie.

Eigene Hashtags festlegen. Redaktionen nutzten zuwenig die Möglichkeit, sich durch die Erzeugung ei-gener Hashtags zu profilieren, kritisierte Nolte. Siewählten oft lange oder unklare Schlüsselbegriffe. The-men, die von einer Redaktion besetzt werden, könn-ten auch mit einem eigenen Hashtag begleitet wer-den. Hashtags wie „#Politik“ oder „#Wirtschaft“ seiennur selten hilfreich. Die Trendanalyse auf Twitter zei-ge zugleich relevante Hashtags an, diese sollten gezieltverwendet werden. Hingegen erfinde man für neueThemen besser eigene.

„Bei den meisten Zeitungen werden Twitter-Bei-träge lediglich von der Online-Redaktion erzeugt“, be-schrieb Nolte die gängige Praxis im Print-Bereich,„nur wenige haben diese Aufgabe bereits über die Res-sorts verteilt“. Als interessantes Beispiel nannte Noltedie Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei der jedem Resortein eigenes Hashtag zugeordnet sei. Der US-Fernseh-sender CBS ginge sogar soweit, für jede Sendung einHashtag zu erzeugen, das zusätzlich während der Sen-dung eingeblendet werde. Gerade bei regelmäßigenMagazinsendungen sei das sehr wirkungsvoll. Außer-dem sollten Hashtags mit Markencharakter, wie etwader Name der Zeitung, auf allen Materialen erwähntwerden, von der Print-Ausgabe über Werbematerialenbis zur Visitenkarte.

Allerdings müsse man auch verfolgen, wie die ei-genen Hashtags von Twitter-Nutzern weiterverwendetwürden, um frühzeitig „Fehlentwicklungen“ zu erken-nen. Als Beispiel, was ansonsten passieren könne,nannte Nolte den Fall der US-Modemarke KennethCole, die während des arabischen Frühlings eine Kol-lektion „Cairo“ betitelt und mit dem entsprechendenHashtag versehen habe. Als die Firma dann noch aufTwitter diese Produkte mit unpassenden Slogans be-worben habe, seien die Wogen hochgeschlagen undein Image-Schaden entstanden. Uwe Sievers n

Social Media Week: Von Chicago über Shanghai bis Bogota und Glasgow

Die Social Media Week entstand 2009 in New York als Gegenveranstaltung zu den teuren Fach-konferenzen zum Thema Social Media. Enthusiasten in anderen Städten wurden darauf auf-merksam, kooperierten mit dem New Yorker Organisationsteam und übernahmen die Idee. Inzwischen findet die Veranstaltung zweimal pro Jahr zeitgleich in 13 Städten weltweit statt.An den insgesamt mehr als 1.000 Einzelveranstaltungen nehmen über 36.000 Menschen teil,wie die Veranstalter auf ihrer Webseite mitteilen. Von Anfang an war die Social Media Weekdurch ihren Initiator Toby Daniels mit der Startup-Szene verbunden.

Koordiniert wird das Ganze durch ein loses Netzwerk von Aktiven. Die einzelnen Städte haben unterschiedliche, selbstgewählte Schwerpunktthemen. Die Organisatoren führen die Veranstaltung unabhängig durch und kooperieren global vor allem in technischen Dingen, etwa bei der Teilnehmerregistrierung, der gemeinsamen Webpräsenz und beim Streaming ein-zelner Events. In Deutschland wird die Social Media Week im Februar in Hamburg und im Sep-tember in Berlin durchgeführt. Schwerpunkte der Berliner Social Media Week, die in diesem Jahrzum dritten Mal stattfand, sind Kunst, Politik, Kultur und Entrepreneurship (Gründerwesen).

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Informationen über das weltweite Projekt: http://socialmediaweek.org/

2 Screenshots: http://socialmediaweek.org/about/

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M 7.2012 15

Mit dem Begriff Social Media wird viel umher geworfen.Frage ich nach, fallen die Antworten sehr unterschiedlichaus. Manchmal wird auch mit den Achseln gezuckt. Wassind die Kennzeichen der Social Media, was verstehen siedarunter?

Simone Janson: Social Media sind eine neue Kommu-nikationsform im Internet, bei der man direkt mit denanderen Nutzern in Kontakt treten kann. Inter akti -vität ist das Hauptkriterium der Social Media Platt -formen. Es geht nicht mehr nur um Konsumieren;Menschen werden von Nachrichtenkonsumenten zuNachrichtenproduzenten. Auch Blogs sind Bestandteilder Social Media.

Viele Print-Medien sind in den Social Media vertreten.Welche Defizite sind dabei erkennbar?

Redaktionen sollten ihre Leser in den Social Mediaernster nehmen, das tun sie oft nicht in ausreichen-dem Maße. Dahinter verbirgt sich auch eine Einstel-lungsfrage: Die in vielen Redaktionen vorherrschendeHaltung, sie hätten die Informationen und ihre Leserkonsumieren diese lediglich, funktioniert in den Social Media nicht. Die Leser wollen stärker einbezo-gen werden und Social Media sind dazu ein probatesMedium. Für viele Leser ist das der Grund, warum siein den sozialen Netzwerken mit Redaktionen in Kon-

takt treten. Entfalten sich dann Diskussionen, gehenRedakteure oft nicht darauf ein. Foren müssen mode-riert werden. Das ist natürlich in vielen Redaktionenein Ressourcenproblem. Dazu kommt noch der Kon-kurrenzgedanke, die Befürchtung, Social Media wür-den den Zeitungen die Butter vom Brot nehmen. Esgibt allerdings auch noch viele Redaktionen, die über-haupt erstmal in die Netzwerke gehen müssen.

In einer Studie der dpa-Tochter news aktuell und Fakten-kontor (2011) geben 39 Prozent der Befragten an, dassder Einsatz von Social Media an die Online-Redaktion delegiert sei. Außerdem plane fast die Hälfte der Redak-tionen keine weiteren Investitionen in Social Media, ob-wohl 64 Prozent der Journalisten davon ausgingen, dassder Einsatz von Social Media im Arbeitsalltag an Bedeu-tung zunehmen werde. Wie sehen Sie das?

Social Media können in Redaktionen gezielt zur Re-cherche genutzt werden. Leser kennen sich oft sehrgut mit einem Problem oder Thema aus, Augenzeugensind vor Ort, wenn kein Journalist da ist. Wie diesePotenziale besser genutzt werden können, zeigt zumBeispiel der britische Guardian und die taz verfügtauch über eine rege Community. Twitter wird von vielen Journalisten und Redaktionen unterschätzt. Fürmich ist Twitter mittlerweile der wichtigste Nachrich-tenkanal.

Allerdings ist der Gedanke, Journalismus würdedurch Social Media kostengünstiger, ein Trugschluss.An zusätzlichen Investitionen kommt man nicht vor-bei. Das Gespräch führte

Uwe Sievers n

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Die Journalistin und Social Media-Beraterin Simone Janson hat einige Ratgeber ver-öffentlicht und lehrt an diversen Bildungseinrichtungen. In Berlin war sie mit Vorträgen und Workshops präsent. Im Interview mit M spricht sie über die Arbeitmit sozialen Netzwerken im Print-Sektor.

Simone Janson

Foto: privat

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16 M 7.2012

Beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumen-tar- und Animationsfilm DOK versammeln sich vom 29. Oktober bis 4. November Filmemacher aus allerWelt. Rund 2.850 Filme aus 77 Ländern – etwas wenigerals im Rekordjahr 2011 – wurden eingereicht, davonetwa 2.200 Dokumentar- und 650 Animationsfilme.

Insgesamt zeigtDOK Leipzig in seiner 55. Ausgabe 200 Dokumentar-und 150 kurze Ani-mationsfilme. BeimPublikum wie beiden Filmemachernsteht DOK Leipzig

für ein eigenwilliges, politisch streitbares Filmpro-gramm auf höchstem künstlerischem Niveau.

In den letzten Jahren hat sich das älteste Dok -festival der Welt auch zu einem der wichtigen euro-päischen Branchentreffpunkte entwickelt. Permanentwerden Trainings- und Fortbildungsangebote aus -gebaut und man widmet sich verstärkt neuen und interaktiven Medien. Dank seines DOK Marktes, desInternationalen Koproduktionstreffens, zahlreicherPodiumsdiskussionen und vieler weiterer Angebotehat sich die Zahl der internationalen Fachbesucherseit 2004 auf über 1.400 verdoppelt. Die Begeisterungfür das Festival wächst auch bei den Besuchern kon -tinuierlich: Im vergangenen Jahr wurde mit 37.000Zuschauern erneut ein Rekord erreicht.

Preisregen in fünf Wettbewerbssektionen. Ausden Einsendungen wurden rund 75 Filme ausgewählt,die in fünf Wettbewerbssektionen um die GoldenenTauben sowie zahlreiche weitere Preise konkurrieren.Der mit 2.500 Euro dotierte ver.di-Preis wird wiederan einen der Filme im Internationalen Wettbewerb fürlange Dokumentarfilme vergeben. Zur ver.di-Jury gehören neben dem Regisseur Jürgen Kautz die Kul-turmanagerin Sophia Littkopf, die Kamerafrau AnnaIntemann, die Journalistinnen Ulrike Werner undGundula Lasch, die Fotografin Karin Wieckhorst so-wie der Journalistik-Student Martin Lippert.

Den Hauptpreis, die mit 10.000 Euro dotierteGoldene Taube, stiftet erneut die Telepool GmbH.Zum neuen Hauptsponsor der DOK ist die Europä -ische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutzam Arbeitsplatz (EU-OSHA) aufgestiegen. Die Agenturmit Sitz in Bilbao stiftet bereits seit 2009 den mit8.000 Euro dotierten „Healthy Workplaces Film Award“für den besten Dokumentarfilm zum Thema Arbeit.Außerdem präsentiert EU-OSHA während der Festival-woche die Ergebnisse eines Fotowettbewerbs. Filme-macher sollen ermutigt werden, sich kritisch mit derheutigen Arbeitswelt auseinanderzusetzen, um diesesThema europaweit in den Fokus zu rücken. Das ge-lang Preisträgerin von 2011, der deutschen Filme -macherin Carmen Losmann, mit ihrem Film „Work

Hard Play Hard“ in besonderer Weise: Sie hatte diedeutsche Managerwelt mit eiskalten Bildern in Szenegesetzt und hinterfragt.

Sonderprogramme mit filmischen Highlights. Neben den Wettbewerben und dem internationalenProgramm gibt es traditionell zahlreiche Sonder -programme und Hommagen. Die diesjährige Retro-spektive befasst sich mit dem deutsch-russischen Film-studio ‚Meschrabpom’, dessen Filme in den 1920er und30er Jahren die gesamte europäische Filmavantgardeinspirierten. Gezeigt werden Dokumentar- und Ani-mationsfilme aus der so genannten „roten Traum -fabrik“, die zwischen 1922 und 1936 entstanden sind,unter anderem von legendären Regisseuren wie BorisBarnet oder Wsewolod Pudowkin.

Der traditionelle Länderschwerpunkt widmetsich dem jungen Dokumentarkino im spanisch -sprachigen Lateinamerika.Präsentiert werden heraus-ragende Werke einer neuen Generation von Filme -machern. Im Zentrum ihrer Filme steht nicht nur dieAufarbeitung der Schatten der Diktaturen – sie setzensich auch mit der Lebenswirklichkeit in ihren Ländernauf künstlerisch aufregende Weise auseinander. In den1960er und 70er Jahren beschäftigten sich auch dieDokumentarfilmregisseure der DEFA intensiv mit Lateinamerika. Es entstanden zahlreiche Filme überdie Revolutionen und deren Scheitern, die auch dieHoffnungen der DDR-Bürger auf einen wirklichen,menschlichen Sozialismus widerspiegeln. Zwölf Dokumentarfilme präsentiert DOK Leipzig in demSonderprogramm „Erinnere dich mit Liebe und Hass –Die DEFA und Lateinamerika“.

Kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USAwürdigt das Festival mit seinem Sonderprogrammzum Thema Demokratie den US-amerikanischen Sen-deplatz „POV“ (Point of View), der 2012 sein 25-jäh-riges Bestehen feiert. Hier geht es nicht um Objekti -vität, sondern um Standpunkte, ungewöhnliche undnicht selten unbequeme Sichtweisen, um Themen,die vielen Amerikanern weh tun. Im Programm wer-den Schattenseiten des Engagements der Weltmachtbeleuchtet, Geheimnisse gelüftet.

Für die Freunde des Animationsfilms bietet DOKLeipzig eine Entdeckungsreise in ein Jahrhundert polnischer Puppenanimation: Der polnischstämmigeRegisseur Wladyslaw Starewicz schuf vor genau 100 Jahren mit „Die schöne Lukanida“ den erstenPup pen animationsfilm weltweit, der im Kino gezeigtwurde. Die Retrospektive ehrt den Erfinder der Stop-Motion-Technik und verdeutlicht Starewiczs Einflussauf nach folgende Generationen polnischer Puppenani-mateure.

Hommagen sind im 55. DOK-Jahrgang dem 1965nach Schweden emigrierten Regisseur Peter Nestler,der US-amerikanischen Pionierin des feministischenKinos und Queer Cinema Barbara Hammer sowie demvisionären Ideengeber und mutigen Produzenten Bo-ris von Borresholm gewidmet. BeLa n

MEDIEN + GESELLSCHAFT

Traditionell eigenwilligDOK Leipzig: Sonderprogramm zur US-Wahl und Retrospektive „Meschrabprom“

➧ Wettbewerbsprogramm

Das Wettbewerbsprogramm kann im Internet abgerufenwerden: www.dok-leipzig.de

Foto: dok-leipzig.de

Page 17: Auf ein Wort - M – Menschen Machen Medien (ver.di) · 4 M 7.2012 AKTUELL ver.di-Fernsehpreis verliehen Zum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen

Der Journalistenpreis würdigt herausragende journalistische Beiträge in Bild, Wort und Ton, die das Thema in seiner regionalen Bedeutung der Öffentlichkeit näher bringen und zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 1. November 2012 publiziert wurden.

Informationen und Anmeldeunterlagen unter:www.vr-journalistenpreis.de

Einsendeschluss: 15. November 2012

Die Beiträge bitte senden an:Rheinisch-WestfälischerGenossenschaftsverband e.V.

PresseabteilungMecklenbecker Straße 235 – 23948163 MünsterTelefon: 0251 7186 - 1021Email: [email protected]

Unsere Pressebüros unterstützen Sie gern bei der Recherche.

Pressebüro Rhein-Ruhr:Ralf BrökerTelefon: 02853 [email protected]

Pressebüro in Koblenz:Julia BöingTelefon: 0251 7186 - [email protected]

Pressebüro Münsterland:Hans-Peter LeimbachTelefon: 0251 7186 - [email protected]

Pressebüro Ostwestfalen-Hellweg:Rainer StephanTelefon: 05242 [email protected]

Pressebüro in Meinerzhagen:Karl E. RinasTelefon: 02354 [email protected]

Volksbanken, Raiffeisenbanken, Spar- undDarlehnskassen in Rheinland und Westfalen

Thema: Wirtschaft vor Ort

In der Fachjury:Helmut Dahlmann (Landesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes NRW), Harald Heuer (Leiter der Abteilung „Zeus & Bildungsprojekte“ der WAZ-Mediengruppe, Essen), Wolfgang Jüngst (WISO-Redakteur, Zweites Deutsches Fernsehen), Wolfgang Kleideiter (stellvertretender Chefredakteur, Zeitungsgruppe Münsterland, Westfälische Nachrichten & Partner), Jens Reddeker (Redakteur, Neue Westfälische/nw-news.de), Claudia Schall (Chefredakteurin, Radio Köln), Dr. Julian Stech (Preisträger 2004 und Leiter der Wirtschaftsredaktion des General-Anzeigers, Bonn), Ulli Tückmantel (Preisträger 2007 und Leiter des Ressorts „Report“ der Rheinischen Post, Düsseldorf) und Yasmin Osman, Redakteurin des Handelsblatts, Frankfurt

Journalistenpreis 2012

Der Preis ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert.

10:50

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18 M 7.2012

Die frühere NDR-Fernfilmchefin Doris Heinze, die langeZeit innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstal-ten beinahe nach Belieben schalten und walten konn-te, wurde am 8. Oktober in Hamburg wegen Bestech-lichkeit, Untreue und Betrug zu einer Freiheitsstrafevon einem Jahr und 10 Monaten auf Bewährung ver-urteilt. Eine Spurensuche.

Doris Heinze kannte sich aus mit Verbrechen und Ver-brechern. Die Arbeit von Polizisten und Staatsanwäl-ten war ihr vertraut, Tatorte waren ihr Metier. LautThomas Schreiber, Leiter des NDR-ProgrammbereichsFiktion & Unterhaltung, war sie „eine Visionärin, eineganz exzellente Dramaturgin und Redakteurin“. Hein-ze wurde neben ihrer Tätigkeit als Produzentin vonTV-Filmen der romantischen Art besonders für ihreVerdienste um die NDR-„Tatort“-Reihe geschätzt, alsSpiritus Rector der Ermittler Charlotte Lindholm, Bo-rowski & Jung und Cenk Batu, dem ersten „Tatort“-Kommissar mit Migrationshintergrund. Ihn hatte siejust in dem Moment entworfen, in dem die Debatteum Integration und Assimilation in Deutschland ih-ren Höhepunkt erreicht hatte. Sie habe das Gefühl,dass Deutschland für einen türkischen Ermittler bereitsei, hatte sie damals gesagt. Heinze konnte auch pro-vozieren.

Doch menschlich sei sie schwierig gewesen, sagteDrehbuchautor Fred Breinersdorfer. Ein weiterer Film-schaffender äußerte sich zu Heinze, will aber nicht ge-nannt werden. Er sagte: „Sie war rigoros, nachtragend,ehrenkäsig, und seilschaftsbewusst. Wer bei ihr durch-gefallen war, bekam nicht nur beim Sender oder derFörderung Schwierigkeiten, sondern im gesamten Sys-tem der Öffentlich-Rechtlichen.“ Hans Leyendeckervon der Süddeutschen Zeitung, der den Skandal um ihre Person im Sommer 2009 aufdeckte, beschriebHeinze so: „Sie hatte viel Macht. Wer beim NDR imFilmbereich landen wollte, musste über sie gehen.Wenn sie den Daumen senkte, war jemand draußen.Sie saß in Jurys, sie hatte Einfluss, auch darauf, welcheFilme ausgezeichnet wurden. An ihr vorbeizukommenwar schwierig.“ Ein System aus Vetternwirtschaft, Ein-schüchterungen und willkürlichen Begünstigungen.

Seit dem 5. Juli 2012 mussten sich Doris Heinze,ihr Mann Claus Strobel und die ehemalige AllMedia-Produzentin Heike Richter-Karst wegen schwerer Be-stechlichkeit, schwerer Untreue und Betrugs vor derWirtschaftskammer des Hamburger Landgerichts ver-antworten. Bei Prozessbeginn wurden dem Trio 14Straftaten zwischen 2003 und 2007 zur Last gelegt,fünf Anklagepunkte sind aus Gründen der Prozessbe-schleunigung wieder fallen gelassen worden. Strobelwurde zu 180 Tagessätze zu 18 Euro und Richter-Karstzu 300 Tagessätze à sieben Euro verurteilt. Als Produ-zentin einer ARD-Anstalt mit einem Jahresgehalt von100.000 Euro durfte Heinze nur ein Drehbuch proJahr schreiben. Dafür stand ihr die Hälfte des sonstüblichen Honorars von 26.000 Euro zu. Ihr Manndurfte für die Redaktion seiner Frau keine Bücher ver-

fassen. Das Ehepaar Heinze-Strobel hielt sich jedochnicht an die Regelung, die ja gerade verhindern soll,dass Senderangestellte jemandem nach Belieben Jobszuschustern. Sowohl Heinze als auch Strobel verfielenauf eine List: Jahrelang verfassten sie Drehbücher unter Pseudonym, die Heinze dann beim NDR ein-schleuste. Die Bücher von „Marie Funder“ und „Nik -las Becker“ wurden anschließend von Heinze persön-lich an die Produzentin Richter-Karst von der Münch-ner AllMedia Pictures GmbH transferiert und dort fürdie ARD produziert.

„Mein Verhalten war ein irre großer Fehler“, sagteHeinze vor Gericht. Sie habe ihre einflussreiche Posi-tion ausgenutzt, um Stoffe von sich und ihrem Mannunter Pseudonym bei dem Sender unterzubringen. Siebedauere ihr Vorgehen, weil ihr viele Leute beim Sen-der vertraut hätten. „Ich hatte die ganze Zeit natürlichein schlechtes Gewissen“, sagte sie. Über die juris -tische Tragweite ihres Verhaltens sei sie sich nicht imKlaren gewesen, auch habe sie nicht den Eindruck ge-habt, anderen zu schaden.

Kriminelle Energie. Das Ehepaar Heinze-Strobel liebteanscheinend ein Leben in Luxus. Beide bestreiten aller-dings, dass Gier das Tatmotiv war. Im Prozess sagtensie, sie haben es getan, weil sie gerne schreiben. DassHeinze sich allerdings sehr wohl über die juristischeTragweite ihres Verhaltens klar war, darf man der Tat-sache entnehmen, dass siegroße Energie darauf verwen-dete, ihre Machenschaften zuverschleiern. Als Heinzes Ver-stöße publik wurden, habe sieRichter-Karst gefragt, ob die je-manden kenne, der für dasPseudonym einspringen kön-ne, sagte die Produzentin imProzess aus. Als der Mitange-klagten niemand einfiel, kamHeinze ihre ehemalige Agen-tin Inga Pudenz zu Hilfe. Aller-dings bereute Pudenz ihrenHilfe versuch vor dem Ham-burger Landgericht mittler-weile. Es sei töricht von ihr ge-wesen, dass sie gegenüber demNDR zunächst behauptet ha-be, das Pseudonym „MarieFunder“ sei ihres. Sie habe esnur getan, weil Heinze sie da-mals um diese Aussage ge beten habe.

Auch Richter-Karst entwickelte im „System Heinze“ ein hohes Maß an krimineller Energie. So hatsie in ihrer Zeit als AllMedia-Geschäftsführerin unterdem Pseudonym „Markus Benz“ eine Folge für die„Polizeiruf 110“-Reihe geschrieben und das Drehbuchanschließend ihrer Firma untergeschoben. Als Firmen-chefin konnte sie die Honoraranweisung selbst ab-zeichnen. Obwohl das Buch nie verfilmt wurde, soll

MEDIEN + GESELLSCHAFT

Die letzte KlappeHamburg: Frühere NDR-Filmchefin zu Bewährungsstrafe verurteilt

Die angeklagte ehemalige NDR-Filmchefin Doris Heinze und ihr EhemannClaus Wilhelm Strobel (2.v.l.)im Hamburger Gerichtssaal neben ihren Anwälten GerdBenoit (r.) und Udo Jacob.

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Richter-Karst eine sechsstellige Summe für die „Poli-zeiruf 110“-Folge „Licht aus“ kassiert haben. Vor Ge-richt legte sie ein Geständnis ab.

Strobel, der als alias Niklas Becker fünf Dreh -bücher geschrieben haben will, benimmt sich vor Ge-richt entweder dumm oder dreist. Auf die Frage desRichters, ob er gewusst habe, was seine Frau beimNDR mache, behauptete er: „Ich wusste, dass sie Re-dakteurin ist. Ich wusste nicht, mit welchen Stoffensie genau arbeitet. Um ehrlich zu sein, habe ich dasso gar nicht verstanden.“ Dazu stottert und stammelter, dass die Süddeutsche Zeitung sich fragte, „wie derauch nur einen einzigen geraden Satz zu Papier brin-gen konnte.“

Schweigend geduldet. Niemand im System der Öffentlich-Rechtlichen, das aus ARD- und ZDF-Chefs,Redakteuren, Fördergremienmitgliedern und Produk-tionsfirmen besteht, schien jemals Fragen zu stellen.Lieber schwieg man und ließ Leute wie Heinze jahre-lang gewähren. Ein Kenner der Szene liefert das Motivfür dieses Vogel-Strauß-Verhalten, zumindest von einigen: „Heinze konnte nur deswegen ungestört ihreMachtfülle ausnutzen und ausbauen, weil alle, die da-von wussten, aus Angst, nie wieder arbeiten zu kön-nen, den Mund hielten.“

Der Schaden, der dem NDR entstanden ist, be-läuft sich auf ca. 80.000 Euro. Der immaterielle Scha-den jedoch, der den Karrieren von Filmschaffendenzugefügt wurde, die bei Heinze durchfielen, ist nichtwiedergutzumachen. Auch die Aufträge, die das Ehe-paar Heinze-Strobel durch ihre unerlaubte TätigkeitDrehbuchautoren wegnahmen, sind für immer verlo-ren. Der Verband deutscher Drehbuchautoren (VDD)kritisierte in einer Stellungnahme daher völlig zuRecht ein „System der unkontrollierten Machtfülle

der leitenden Redakteure in der ARD“.Dieses System habe eine ganze Bran-che – Autoren, Regisseure, Schauspie-ler, Produzenten – in die Abhängigkeitvon Redakteuren gezwungen, die häu-fig willkürlich darüber entschieden,„wer was schreibt, wer inszeniert, werspielt und wer produziert“. Lutz Mar-mor, der NDR-Intendant, sagt zu die-sem Vorwurf: „Hier von einem Systemzu sprechen macht es nicht besser. Beiuns muss besondere Sorgfalt herr-schen beim Umgang mit Gebühren-geld, das versuchen wir umzusetzen.Wir haben mehr Kontrollen als freieProduktionsfirmen, aber man sieht:Keine Kontrolle kann so gut sein, dasssie nicht umgangen werden kann.“ Dassoll es hoffentlich nicht gewesen sein?

Das relativ milde Urteil kam nurzustande, weil das Gericht im Rahmender Strafzumessung u.a. zugunsten der

Angeklagten wertete, dass sie bereits Schadenswieder-gutmachung geleistet haben. Auch sah die Kammeres als erwiesen an, dass es den Angeklagten nicht da-rum gegangen war, sich ohne (angemessene) Gegen-leistung aus öffentlichen Mitteln finanzielle Vorteilezu verschaffen. Vielmehr ging das Gericht davon aus,dass für die erhaltenen finanziellen Vorteile im We-sentlichen entsprechend qualitativ hochwertige Leis-tungen erbracht wurden. Christoph Brandl n

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Foto: Philipp Guelland dpa / lno

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„Sachamanta“ (Bauernradio)Es muss nicht immer das Internetsein. Für Menschen mit keiner oderschlechter Schulbildung eignet sichdas Radio wohl sogar besser als soziales Netzwerk: Man muss nichtschreiben und lesen können, um Nach-richten zu verbreiten. Jeder kannsich zu Wort melden. Nur eines giltes für den Laien vielleicht zu über-winden: die Scheu, ins Mikrofon zusprechen. Dass eine solche Hürde zuschaffen ist, hat 2009 schon SusanneJägers kraftvoller Dokumentarfilm„Dschungelradio“ belegt. Seine Heldinnen, darunter auch etliche Analphabetinnen, haben sich aus

eigener Kraft eine Frauenradiostation in Nicaragua auf gebaut,die ihnen eine große Stütze ist im Kampf gegen den alltägli-chen Machismo und sexuelle Gewalt.

Mit „Sachamanta“ kommt nun ein berührender globalisie-rungskritischer Beitrag aus Argentinien ins Kino. Es ist einweiteres Zeugnis eines regelrechten Booms an kleinen, unab-hängigen Sendern in Zentral- und Südamerika. Die Filmema-cherin und Radioaktivistin Viviana Uriona porträtiert bäuerli-che und indigene Gemeinschaften des nörd lichen Argentiniens,die sich in der Bewegung „Movimiento Campesino Santiagodel Estero“ organisiert und zusammengetan haben, um sichgegen Unterdrückung und Landraub zur Wehr zu setzen.

Im Jahr 2000 haben sie fünf eigene Radiostationen aufgebaut, sehr schlicht und keineswegs mit europäischenStandards vergleichbar, aber immerhin! Damit steht denLandwirten ein Sprachrohr zur Verfügung, das ihre Schicksalenicht ignoriert oder verfälscht wie in den Massenmedien,sondern ein Gemeinschaftsgefühl schafft. Endlich können dieCampesinos unzensiert Botschaften austauschen und ihreMusik verbreiten. Urionas Film versprüht viel Energie, weil erdem unermüdlichen Kampfesgeist, dem Mut und der Ausdau-er dieser Rebellen Raum gibt. Ihre Protagonisten reden offenund mit einfachen Metaphern über ihre Ängste, Probleme undVisionen. Es sind starke Persönlichkeiten, deren ausdrucksstar-ke Gesichter wie Landschaften wirken, zerfurcht von Mühsalund Wut, aber auch umfangen von Humor, Güte und Entschlos-senheit. Dazu passen die unspek takulären Bilder in Schwarz-weiß von Gehöften, Radiostudios, Menschen und Tieren.

Ein wenig zu kurz kommen nur die politischen Hintergründefür den wirtschaftlichen Überlebenskampf der Bauern: Um zuverstehen, wie es zu dem Landraub und der Entrechtungkommen kann, muss man wissen, dass die meisten argentini-schen Kleinbauern über keinen Nachweis wie etwa einemGrundbuchauszug über ihr Eigentum verfügen. Deshalb kannes vorkommen, dass der Staat „ihr“ Land als „herrenlos“ deneinflussreichen Großbauern verkauft. Da Politik, Polizei undJustiz zu den Mächtigen halten, bleibt den Geprellten nur,sich selbst zu organisieren. Gelingt es den Bauern nicht, ihrLand zu behalten, müssen sie in der Stadt Arbeit suchen.Nicht selten landen sie dann in den „Villas miserias“, denSlums am Rande der Großstädte Argentiniens. Alles in allemaber ist „Sachamanta“ ein eindrückliches Plädoyer gegen ge-sellschaftliche Ungerechtigkeiten. – Ein Film, der Mut macht,gemeinsam die Stimme zu erheben. Kirsten Liese n

20 M 7.2012

MEDIEN + GESELLSCHAFT

Film

tipp

Arg. / De 2012, Regie: V. Uriona.

50 Min.

Spanisch mit deutschen Untertiteln.

Der Film ist im Oktober inverschiedenen deutschen

Städten zu sehen. Termine unter

www.kameradisten.de

Geschmäckle bei essen & trinkenÜber tausend Beschwerden gehen jährlich beim Deut-schen Presserat ein, der viermal im Jahr tagt. Meistsind es Leser, die sich über die Medien beschweren.Erstmalig aber in der langen Geschichte des Presse-rates: Ein Betriebsrat beschwert sich über seinen eigenen Verlag.

Frischer Wind weht an der Elbe beim VerlagshausGruner + Jahr am Baumwall in Hamburg. Vorstands-chef Bernd Buchholz hat das Sonnendeck verlassenmüssen, neue Verlagschefin ist Julia Jäkel. Und kauman Bord gibt es die erste steife Brise – ausgerechnetbeim eher gemütlichen essen & trinken: Als Beilage zuder Juni-Ausgabe erschien mit e&t-Logo ein Extraheftzur Gastronomie der „Autostadt“ in Wolfsburg. Hin-weis auf der Titelseite: „In Kooperation mit Autostadt“und daneben das Logo der VW Erlebnis- und Abhol-stätte.

Nun wäre es nicht Besonderes, wenn sich ein Ess-magazin mit biologisch geführten Gaststätten unterden Gesichtpunkten „Biologisch – Nachhaltig – Fair“,so die Unterzeile, beschäftigt. Mehr als ein Ge-schmäckle bekommt die Sache aber, wenn dem Kooperationspartner auf gut zwölf von insgesamt 26Seiten des Extraheftes überschwängliches Lob entge-genwabert, wenn in den „redaktionellen“ Texten zweiBiobetriebe positiv namentlich genannt werden, diesich dafür jeweils mit einer ganzseitigen Anzeige be-danken dürfen, wenn durch einen kurzen Blick aufdie Internetseite der Autostadt ersichtlich wird, dassein großer Teil der Fotos von der Autostadt stammen,dies aber in den Foto-Credits nicht gekennzeichnetist. Und wenn schließlich mit neun namentlichen Er-wähnungen in den unterschiedlichen „Artikeln“ aufdie Kreativdirektorin der Autostadt, auf Dr. MariaSchneider das hohe Lied der Wichtigkeit und Kreati-vität gesungen wird, wenn sich auf der letzten Seitenoch einmal eine lobende Zusammenfassung allerneun Restaurants findet mit Formulierungen, wie sieauch auf der hauseigenen Internetseite des Autohau-ses stehen, so kann das alles kein Zufall sein und istweit mehr als ein Geschmäckle.

Bei Gruner + Jahr gilt der Bertelsmann Verhal-tenskodex, der „Code of Conduct“. Im Punkt 4.5 zur„Unabhängigen und verantwortungsvollen Bericht -erstattung“ heißt es im dritten Spiegelstrich: „Wir hal-ten uns an bestehende Regeln zur Trennung von Wer-bung und redaktionellen Inhalten.“ Genau dies abersah der g+j-Betriebsrat im Fall des e&t-Extraheftes alsnicht gegeben und wandte sich an den Compiance-Ausschuss, einer Art hausinterner Schlichtungsstelle.Der Ausschuss reagierte mit einem lapidaren Schrei-ben: „Die Beratungen und das Ergebnis derselben sindzum Schutz der Beteiligten vertraulich.“

Zu vertraulich für den BR, der diese „Taktik desHerumlavierens nicht hinnehmen“ will. Er reichteEnde September eine Beschwerde beim Presserat ein.Sollte dieser die Beschwerde zulassen, wird er sie aufseiner nächsten Sitzung im Dezember behandeln.

Wulf Beleites n

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Die FREELENS Foundation Germany e.V. in Hamburgwurde erst in diesem Jahr gegründet – ein Verein, dersich die Förderung hilfsbedürftiger Fotografen im In-und Ausland zum Ziel gesetzt hat. Die Foundation hatbereits überraschend viel Resonanz hervorgerufen. Sohaben sich zahlreiche Fördermitglieder gefunden und

es konnten bereits sehr erfolgreich Spendengelder ge-sammelt werden. Mit dieser Ausstellung wird ein un-gewohnter Weg eingeschlagen, um weitere Geldmittelzu akquirieren. So wurden zahlreiche bekannte Foto-grafen und Fotografinnen angesprochen, die eine Ar-beit für den guten Zweck gespendet haben.

Wie kann man einzelne hilfsbedürftige Fotogra-fenkollegen unterstützen sowie fotografische Projekte,Ausstellungen, Symposien und Workshops in anderenLändern vorantreiben? Der Grundgedanke der FREE-LENS Foundation ist so bestechend wie einfach: Eskönnen Vorschläge von Fotografen eingereicht wer-den, die auf ihren Auslandsreisen auf widrige Lebens-und Arbeitsbedingungen ihrer Kollegen gestoßen sindund die der finanziellen Unterstützung bedürfen. DerFotograf wird zum sogenannten Paten und über-nimmt in enger Absprache mit der FREELENS Foun-dation die Realisierung und Dokumentation einesFörderprojekts vor Ort. So ist gewährleistet, dass diedafür zur Verfügung gestellten Gelder oder Sachmittelihr Ziel tatsächlich erreichen. PM n

Mit dem Medienpreis zeichnet die Deutsche AIDS-Stiftung Personen aus, die in besonderer Weise überHIV/AIDS berichten und damit zu solidarischem Ver-halten gegenüber Betroffenen beitragen.

Die Stiftung verleiht den Preis für Arbeiten, die inZeitungen, Zeitschriften oder im Internet, im Hör-funk, Fernsehen oder anderen AV-Medien veröffent-licht wurden. Außerdem nimmt die Stiftung künst-lerische Beiträge zu HIV/AIDS an.

Die Beiträge müssen im Zeitraum vom 1. Januar 2011bis zum 31. Dezember 2012 erstmals in deutscherSprache veröffentlicht worden sein.

Das Preisgeld in Höhe von insgesamt 15.000 Eurowird für bis zu drei herausragende Beiträge vergeben.Eine unabhängige Experten-Jury wählt die Beiträgeaus.

Einsendeschluss: 31. Januar 2013

Formlose Bewerbung mit dreifacherAusfertigung des Beitrages an:

Deutsche AIDS-Stiftung– Medienpreis –Markt 26 · 53111 Bonn

Tel: 0228 60469-0Fax: 0228 60469-99

E-Mail: [email protected]: www.aids-stiftung.de

gesponsert von Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

MEDIENPREIS der Deutschen AIDS-Stiftung 2011/2012

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FREELENS: Fotos für den guten Zweck„Gute Fotos – guter Zweck“ ist der Titel einer Benefizausstellung zugunsten der FREE-LENS Foundation, die am 8. November um 19 Uhr in Hamburg eröffnet wird. Bis zum17. Januar ist in der FREELENS Galerie (Steinhöft 5, 20459 Hamburg) zeitgenössischeFotokunst anzuschauen und zu erwerben. Mit Arbeiten von Peter Bialobrzeski, ElliottErwitt, Jan Grarup, Heidi und Hans-Jürgen Koch, Eva Leitolf, Gerd Ludwig, Rudi Meisel,Dirk Reinartz und vielen anderen!

Gerd Ludwig: Akkorde der Freundschaft verbinden die Akkordeonspielerin Olesya Kamovich und ihre Kameradinnen, die sich am Sonntag in Sewastopol (Ukraine) auf der Promenade treffen, um zu singen und zu tanzen, 2002

Mehr Wissen:

www.freelens-foundation.org

Rudi Meisel: Auf der Chausseestraße Berlin, 2009

MEDIEN + GESELLSCHAFT

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Der Aufwand war enorm. Allein vierzig Kameras waren nötig, um eine Neu-geborenenstation so auszustatten, dass alle möglichen Perspektiven er-

fasst werden konnten. Doch der Einsatz hat sich gelohnt: „One BornEvery Minute“ war vor zwei Jahren einer der großen Programm-

erfolge bei Channel 4. Das Format gilt heute als Trendsetterfür ein neues Genre.

Die Bezeichnung „Multi Rig Documentaries“ be-ruht auf dem Begriff aus der Veranstaltungs-

technik „Rigging“ und bezieht sich auf dietechnikintensive Vorarbeit, die nötig ist,

um das Material für die Dokumenta-tionen der neuen Generation zusammeln. „Wenn man 24 Stunden

am Tag dreht, was sich auf einer Ge-burtenstation ja nicht vermeiden lässt,

müssen die Ereignisse in drei Schichtenpro Tag beobachtet werden, und das dreiWochen lang“, erläutert Axel Kühn. Er ist

Geschäftsführer von Shine Germany, „OneBorn Every Minute“ ist eine Produktion von

Dragonfly Film and Televi sion, einer Tochter derbritischen Mutterfirma Shine Group. Kühn, früher

Geschäftsführer von Tresor TV („Die Super Nanny“),ist zuversichtlich, dass das neue Genre über kurz oderlang auch den deutschen Markt erobern wird, selbstwenn der kostspielige Aufwand aus Sicht deutscherSender und Produzenten zunächst abschreckend wirkt:Die Kameras werden ausnahmslos ferngesteuert, spe-ziell ausgebildete Techniker sind jeweils für mehrereGeräte zuständig. Inklusive Redaktions- und Produk-tionspersonal sind pro Schicht zwölf Personen betei-ligt. Man kann sich vorstellen, wie viel Bildmaterialauf diese Weise produziert wird. Entsprechend um-fangreich ist anschließend die Schnittzeit. Aber die Bil -der sind den Aufwand wert: Eine Szene kann aus fünfBlickwinkeln gleichzeitig dokumentiert werden; miteinem Kamerateam wäre so etwas gar nicht möglich.

Bislang zurückhaltend. Bislang sind diese Dokumen-tationen der neuen Generation ein vorwiegend briti-sches Phänomen. Shine Germany ist laut Kühn aller-dings mit einigen deutschen Sendern im Gespräch:„Alle sind angetan von der Unmittelbarkeit der Emo-tionen.“ Aber auch, muss er einräumen, zurückhal-tend wegen der Kosten: „Könnten wir die Produktio-nen zum halben Preis herstellen, man würde sie unsaus der Hand reißen.“ Er geht dennoch davon aus, in-nerhalb der nächsten Monate die erste Dokumentati-on dieser Art herzustellen. Kühns Kollegen sind dadeutlich zurückhaltender. Endemol beispielsweise ver-wendet das Arbeitsmodell zwar schon geraume Zeitfür „Big Brother“, plant aber keine dokumentarischenFormate. Uwe Kersken, Produzent und geschäftsfüh-render Partner der Kölner Gruppe 5 Filmproduktion(„Die Deutschen“), ist ohnehin überzeugt, „diese ArtSchlüssellochfernsehen“ werde in Deutschland „niedie Primetime erobern, weil die Zuschauer zur Haupt-sendezeit großes Fern sehen bevorzugen.“

Auf dem britischen Fernsehmarkt hat das neue Genreallerdings für viel Bewegung gesorgt. Neben „OneBorn Every Minute“ hat Shine für Channel 4 nochweitere Reihen produziert. Für „The Family“ zum Bei-spiel wurde ein Einfamilienhaus komplett mit Kame-ras bestückt, für „Educating Essex“ gleich eine ganzeSchule: Mit Hilfe von 65 Kameras wurden einige ausge-wählte Lehrer und Schüler beobachtet. Gerade dieseallumfassende Überwachung, räumt Kühn ein, wärein Deutschland problematisch: „Hierzulande muss ge-währleistet sein, dass niemand gegen seinen Willengefilmt wird. Bei einer Geburtenstation wäre das keinProblem, weil im Gegensatz etwa zu einer Schule aus-geschlossen ist, dass jemand zufällig auftaucht.“

Aber es gibt auch ethische Einwände. In Englandsind die Kameras unter anderem in einem Hochsi-cherheitsgefängnis angebracht worden („Strange-ways“, ITV). Kersken erinnert dies an Closed CircuitTelevision (CCTV), die öffentliche Übertragung vonVideoüberwachungssystemen, die man von der Ter-rorabwehr in Großstädten kennt. Er hält die Entwick-lung generell für bedenklich: „Jetzt sorgen wir auchim Fernsehen dafür, dass wir immer durchsichtigerwerden.“ Kameras zu installieren, „wo der Schutz derindividuellen Intimsphäre eigentlich oberstes Gebotsein sollte, etwa in Geburtskliniken oder Sterbehospi-zen“, interpretiert der Produzent als Zeichen dafür,„dass wir die Grenze zwischen Subjekt und Objekt im-mer mehr diffundieren lassen. Das kann Konsequen-zen haben, die wir noch gar nicht absehen können.“Entsprechend fassungslos ist Kersken angesichts desBBC-Formats „Our War“ (BBC 3), das eine Kriegsbe-richterstattung der besonders ausgefallenen Art bietet:Britische Soldaten in Afghanistan wurden mit Helm-kameras ausgerüstet. Kersken kommt das vor, „alswürden wir ‚Wildlife’-Dokumentationen von Men-schen machen, womöglich inklusive entsprechenderJagdszenen. Bei Löwen oder Walen mag das interes-sant sein, vielleicht sogar sinnvoll, aber bei Soldaten?Wo liegt denn da der Mehrwert?“ Kein Wunder, dassder Produzent grundsätzliche Bedenken gegen das„Multi Rig“-Genre hat: „Wenn wir diese Entwicklungimmer mehr zulassen, können wir nicht verhindern,dass wir seelisch völlig ausgeplündert werden. Ich se-he die Gefahr, dass im Fernsehen auch noch persön-lichste Bereiche ausgestellt werden. Bestimmte Fern-sehmacher versuchen, die Grenzen mehr und mehrzu verschieben und merken nicht, wenn es beginnt,pathologisch zu werden; für die Macher wie auch fürdie Zuschauer.“

Bei den Sendern gibt es solche Vorbehalte aller-dings nicht. Beim SWR wird laut Fernsehkultur- Chefin Martina Zöllner bereits konkret über entspre-chende Formate nachgedacht. Sie räumt zwar ein,dass dem „Multi Rig“-Prinzip „etwas Voyeuristisches“anhafte, glaubt aber auch, „dass in dem Maße, wie wirim Fernsehen das Gestalterische auf die Spitze treiben,bei den Zuschauern das Bedürfnis nach dem unmit-telbar Authentischen, nach dem direkten, unmanipu-

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Wie eine Fliege an der Wand Neuer Doku-Trend aus England verspricht „das echteste Fernsehen“

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MEDIEN + POLITIK

lierten Einblick wächst.“ Auch Alexander Hesse, bisvor kurzem Leiter der ZDF-Redaktion Geschichte undGesellschaft („37 Grad“, „Terra X“), weiß das „MultiRig“-Prinzip zu schätzen. Das ZDF hat vor fünf Jahrenmit „Die Babystation“ (Produktion: Spiegel TV) zweiStaffeln lang ein ganz ähnliches Format gezeigt wie„One Born Every Minute“. Die neue Produktionsformmit ihren installierten Kameras habe ein Problem ge-löst, das bei Produktionen dieser Art regelmäßig auf-tauche: „Das Team steht ständig im Weg.“

Noch einen Schritt weiter. Bei den „Multi Rig“-Do-kumentationen aber gibt es aus Sicht der beobachte-ten Personen gar kein Team. Kein Wunder, dass dieMacher vom „echtesten Fernsehen“ schwärmen. An-dere haben das allerdings auch bereits behauptet.„Den Trend, die Kamera in dokumentarischenFormaten verstecken zu wollen, gibt es schonlänger“, erläutert der Marburger Medienwis-senschaftler Gerd Hallenberger und erinnertan das Schlagwort „fly on the wall“, mit demsich die Macher der ersten Doku-Soaps ge-schmückt hätten: „weil sie angeblich wie eineFliege an der Wand unmittelbaren Zugriff aufdie Wirklichkeit hatten. Die neuen ‚Multi Rig’-Formate gehen noch einen Schritt weiter und geben vor, noch wahrhaftiger zu sein als klassischeDokumentationen. Der Reiz solcher Formate bestehtdarin, scheinbar näher an der Realität zu sein.“ Tilmann P. Gangloff n

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Der Konflikt zwischen dem Bundesverband Presse-Grosso (BVPG) und der Bauer Media Group konnteauch während des dritten Runden Tisches im Bundes-wirtschaftsministerium Mitte September nicht beige-legt werden. Die Berichterstatter der Regierungsfrak-tionen hatten daraufhin erklärt, sich nunmehr für ei-ne gesetzliche Sicherung des PressevertriebssystemsGrosso einzusetzen. Dazu würden sie „zügig“ einengemeinsamen Änderungsantrag zur 8. Novelle des Ge-setzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ein-bringen. Während BVPG und Verlegerverbände die-sen Schritt begrüßten, kam von der Bauer MediaGroup heftige Kritik. Geschäftsführer Andreas Schooerklärte, dass eine „Zementierung des Status Quo“ denPressevertrieb in Deutschland nicht zukunftsfähigmachen würde. Er plädierte für „konkrete Reformen“.Hintergrund ist ein Rechtsstreit, in dem der Bauer-Ver-lag Anfang des Jahres vor dem Landgericht KölnRecht bekam. Danach dürfe der BVPG nicht mehrstellvertretend für seine Mitglieder einheitliche Kon-ditionen aushandeln, da dies gegen das Kartellrechtverstoße, erklärte das Gericht. Bauer wollte auf dieserGrundlage mit den Pressegrossisten einzeln verhan-deln. (M 1 und 2 / 2012) Der BVPG ging in Berufung.Der Streit vor Gericht dauert an. wen n

Presse-Grossogesetzlich regeln

Akt

uell

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Foto: vege - Fotolia.com

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Ansehen!

http://www.ndr.de/fernse-hen/sendungen/zapp/me-dien_politik_wirtschaft/pres-seausweise101.html(gesendet am 29.08.2012um 23.20 Uhr im NDR- Medienmagazin ZAPP)

Stichwörter „Presseausweis kaufen“ ein, erscheinenzahlreiche Links – die wenigsten führen zu seriösenVerbänden. Und ginge es nach einigen selbst ernann-ten Presseausweis-Ausstellern, würde das Arbeitsmittelfür professionelle Medienschaffende zum „Spaßlap-pen“ für Sensationslustige mutieren. dju-Bundesge-schäftsführerin Cornelia Haß betont: „Journalistinnenund Journalisten brauchen den Presseausweis, um ih-re Arbeit zu tun. Sie übernehmen damit eine beson-dere Verantwortung und brauchen freien Zugang zuInformationen und Orten, an denen etwas passiert, umsich ein eigenes Bild zu machen.“ Das träfe auf ande-re – wenn auch noch so medieninteressierte – Bevöl-kerungsgruppen nicht zu. Deshalb dürfe das Arbeits-mittel für hauptberufliche Journalistinnen und Jour-nalisten nicht zum „Grabbeltisch-Angebot“ für jeder-mann verkommen, so Haß.

Schnäppchenpreise. Das NDR-Medienmagazin ZAPPhatte das Thema in einem Ende August gesendetenBeitrag aufgegriffen und u.a. beim „Deutschen PresseInstitut“ nachgefragt, das sich selbst als „Piraten derPresse“ bezeichnet und eigens gebastelte „Presse -ausweise“ zum Schnäppchenpreis von 39,90 Euro vertickt. „Die Hürde für das Erlangen eines Presseaus-weises liegt viel zu hoch“, meinte Vermögensverwal-ter Andre Müller, Initiator des „Instituts“, gegenüberZAPP. Der „Presseausweis“ sei auch für „Abenteuerlus-tige und VIPs“ gedacht, schließlich würde fast jederSchüler täglich bei Facebook posten und damit jour-nalistisch tätig werden. Mit dem Lock-Angebot sollen„Interessenten“ – meist eben keine professionellenJournalisten – an das dubiose „Institut“ gebundenwerden. Ein „Geschäftsmodell“ sei noch in Arbeit, soMüller. Kein Problem, lässt sich doch in der Zwischen-zeit mit den „Presseausweisen“ schon mal prima Geldverdienen. Auch bei der Polizei führt die Presseaus-weis-Schwemme für Möchtegern-Journalisten undNeugierige zu Problemen. Sollen die Ordnungshüterbei derartigen Ausweisen Arbeitsproben von Journa-listen bewerten und dann entscheiden, was Journalis-mus ist und was nicht?

Unsicherheit bei Behörden wächst. Die Arbeit vonBehörden wird durch die fragwürdige Presseausweis-Praxis ebenso erschwert wie die von professionellenJournalisten: Wiebke Henning, Pressesprecherin derPolizei Lüneburg, beklagt im ZAPP-Beitrag die Un -sicherheiten seit Wegfall des früheren bundeseinheit-lichen Presseausweises. Unter anderem bestünde beiEreignissen wie z.B. dem Castor-Transport die Gefahr,dass sich hunderte Leute „so ein Ding kaufen, das beiuns einreichen, mit der Akkreditierung durch die Ab-sperrungen kommen und vielleicht eigene Aktionenstarten. Es wäre wünschenswert, Journalisten wiederein verlässliches Dokument in die Hand zu geben“, sodie Polizeisprecherin. Auch Oliver Platzer, der Spre-cher des Bayerischen Innenministeriums, spricht sichgegenüber ZAPP ausdrücklich für die Wiedereinfüh-rung des amtlich legitimierten bundeseinheitlichenPresseausweises aus. Nun müssten die anderen Innen-minister nachziehen. „Da arbeiten wir dran", sagt Cor-nelia Haß und fügt hinzu: Bis zur Umsetzung würdedie unproblematische Anerkennung des von densechs Verbänden ausgestellten Ausweises die Arbeit er-leichtern. „Aussehen, Kriterien und Sicherheitsmerk-male sind der Polizei bekannt.“ Gundula Lasch n

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Dubiose AngeboteAmtlich legitimierter Bundeseinheitlicher Presseausweis

fehlt seit 2009Der letzten „M“ lag der Antrag für den Presseausweis2013 bei. Man kann ihn auch im Netz auf den dju- Seiten herunter laden und ausgefüllt in den ver.di- Bezirks-/ bzw. Fachbereichsbüros abgeben oder hin-schicken. Wer einen Presseausweis beantragt, mussnachweisen, dass er/sie hauptberuflich journalistischarbeitet. Diese Abfrage organisieren die deutscheJournalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di,der Deutsche Journalistenverband (DJV), der Bundes-verband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Freelens – der Verein der Fotojournalisten und der

Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) als dieVerbände, die den bundeseinheitlichen Presseausweisausstellen. Bis 2008 trug der gemeinsame Ausweis dergroßen Verbände das Signum des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und den Vermerk auf derRückseite: „Der Presseausweis legitimiert den Aus-weisinhaber, sich innerhalb behördlicher Absperrun-gen zur aktuellen Berichterstattung aufzuhalten.“ FürPolizisten war klar: Wer so einen Ausweis hat, ist wirk-lich Journalist und darf durch.

Innenminister stiegen aus. Am 7. Dezember 2007 beschloss die Innenministerkonferenz (IMK), dass Presseausweise ab 2009 nicht mehr die Autorisierungder Innenminister auf der Rückseite tragen dürfen. Alsoffizielle Begründung dafür wurde angegeben, dasssich die traditionell Presseausweise ausstellenden „Alt-verbände“ dju, DJV, BDZV und VDZ nicht mit „An-wärterverbänden“ auf gemeinsame Kriterien einigenkonnten. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dieIMK wollte sich einen „Klotz am Bein“ vom Leibeschaffen.

Seit 2009 lautet die Formulierung auf der Rück-seite des Presseausweises: „Institutionen und Unter-nehmen werden gebeten, den Vertretern der Pressedie der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienen-den Auskünfte zu erteilen.“ Der feine Unterschied zuvorher: Es ist lediglich eine Bitte formuliert, eine be-hördlich erteilte Legitimation ist dies nicht mehr.

Journalist ist keine geschützte Berufsbezeich-nung – und der Besitz irgendeines Presseaus weiseskein Merkmal für einen professionellen Berichterstat-ter. Gibt man in einer Internet-Suchmaschine die

Presseausweis-Schwemmefür Möchtegern-Journalistenführt auch bei der Polizei zuProblemen

Foto: Armin Weigel dpa / lby

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M 7.2012 25

„Europa ist ja nicht immer eine Umarmung sich lie-bender Partner, sondern oft auch griechisch-römischoder Freistil“, konstatierte zu Beginn Rolf-Dieter Krau-se, langjähriger Brüssel-Korrespondent der ARD. DieGültigkeit dieser Aussage lässt sich derzeit tagtäglichin den Medien nachvollziehen. Griechen-Bashing,Streit um Eurobonds, Kritik am Merkel-Kurs – kein Pro-jekt bringt in Europa so viel Unfrieden wie der Euro.Und mittendrin die Medien, die den Bürger informie-ren und orientieren sollen. Keine leichte Aufgabe.

Das geht bereits mit dem Europaparlament los,in dem faktisch eine Große Koalition herrscht. „DasFehlen eines klaren parteipolitischen Lagergegensat-zes führt natürlich dazu, dass jeder Bürger auch erst-mal auf der Seite seines Landes steht“, befand PeterEhrlich, Brüsssel-Korrespondent der Financial TimesDeutschland. Was den Regierungen das immer gleicheSpiel erleichtere: „Das sind meine nationalen Interes-sen, und die sind dann identisch sozusagen mit denInteressen meiner Bürger, und das, was ich will, istauch das Beste für Europa.“

Extrem gut vernetzte Korrespondenten. Die Bür-ger aber stehen den EU-Institutionen misstrauisch bisverständnislos gegenüber. Denn diese sind wenigerdemokratisch eingebunden als die Macht träger in denNationalstaaten. Die Akteure in der EU-Kommissionzum Beispiel sind nicht direkt gewählt, sondern vonden Regierungen benannt, resümierte Claudia Huber,Verfasserin der Studie „Zwischen Routine, Ratspräsi-dentschaft und Gipfel. Interaktionen von Politik undMedien in der EU“. Das europäische Mediensystem seistark fragmentiert. „Eine gemein same Öffentlichkeitexistiert faktisch nicht, die nationalen Medien spre-chen immer nur die Bürger ihres jeweiligen Landesan.“ Das habe ein bestimmtes Milieu extrem gut ver-netzter Korrespondenten in Brüssel erzeugt. Es findeeine „Kultur der Kollaboration statt, die im National-staat eigentlich nicht denkbar wäre“, sagte Huber. DieMedien arbeiteten für unterschied liche Märkte, stün-den sich nicht als direkte Konkurrenten gegenüber. Eine publizistische Konkurrenz, die bekanntlich dasGeschäft belebt, gibt es also kaum. Die Folge: Ein ge-wisser Herdentrieb unter den Korrespondenten. Werzu viel Kritisches oder Negatives aus Brüssel berichte,werde schnell als „Euro-Skeptiker“ abgewatscht. Dassunter diesen Bedingungen warnende Stimmen bei derAnbahnung von Fehlentwicklungen eher selten sind,verwundert da kaum, meint Peter Ehrlich von der Financial Times. Als Beispiel führte er die Immobilien-krise in Spanien an.

Unabhängig von der Euro-Debatte hätte es mehrLeuten innerhalb wie außerhalb Spaniens auffallenkönnen, dass es irgendwie komisch ist, wenn ein

Land, das 100.000 Wohnungen oder Häuser im Jahrbrauche, 300.000 baue. „Das kann nicht funktionie-ren.“ Hinterher wussten es alle besser. Gründe, wiesoder Recherchejournalismus in Brüssel nicht besondersausgeprägt ist, liegen für Claudia Huber auf der Hand.Es fehlten schlicht die Ressourcen. Der Spiegel, so rech-nete sie vor, hat in Berlin 36 Leute, in Brüssel sitzendrei. In jeder Berliner Redaktion gebe es Spezialistenfür Finanzen, Gesundheit, Sport – in Brüssel dagegenmüssten Universalisten ran, die manchmal schlichtselbst von der Komplexität überfordert seien. Das be-kennt sogar ein erfahrener Mann wie ARD-Korrespon-dent Krause. „Wenn Sie da um vier Uhr morgens soeinen Gipfel zu Ende gehen haben und haben danndas Vergnügen, gleich um halb sechs im Morgenma-gazin erzählen zu sollen, was das bedeutet, dann se-hen Sie vor der Kamera oft nicht gut aus.“ Manchmalsacke erst nach ein paar Tagen richtig durch, was dapassiert sei. Forderungen nach einfachen, für jedenTV-Konsumenten verständlichen Erklärungen schmet-terte Krause ab. „Einfach“ gehe nicht. „Wer in einerkomplexen Welt einfache Antworten haben will, derschreit danach, belogen zu werden.“

Wirtschaftlicher Sachverstand gefragt. Zumalauch Wirtschaftswissenschaftler sich schwer damittun, die Euro-Krise zu erklären. Erschwerend hinzukomme die enorme Zunahme von PR-Agenturen, deren Wirken einen unabhängigen Journalismus viel-fach erschwere, klagte der Berliner (und frühere Brüs-seler) dpa-Korrespondent Martin Romanczyk. Da -gegen hilft nur die Aneignung möglichst umfang -reichen wirtschaftlichen Sachverstands.

Hans-Martin Tillack, für den Stern jahrelang inBrüssel tätig, sieht die Journalisten aber nach wie vorin der Pflicht, dem Bürger mehr Durchblick zu ver-schaffen. Für den Normalo sei die mittlerweile ent-standene Euro-Rettungsarchitektur kaum noch nach-vollziehbar. Das gelte auch für die Rolle der Europäi-schen Zentralbank. „Die EZB ist bis heute eine der in-transparentesten Organisationen nach dem Vatikan“,warnte Tillack. Dabei sei sie gegenwärtig dabei, sicheine „unglaubliche Machtfülle“ anzueignen: mit kost-spieligen Anleihekäufen, mit der Rolle als Bankenauf-sicht. Es müsse sehr viel mehr getan werden, die kri-tische Berichterstattung darüber zu stärken. Europaaber, so sein Fazit, sei viel zu wichtig, um es solchenGeheimbünden zu überlassen. Günter Herkel n

MEDIEN + POLITIK

KomplexitätsfalleDisput in Berlin über die Rolle der Medien in der Euro-Krise

Das Projekt Europa steckt in der Krise. Ein EU-Gipfel jagt den anderen, ein Rettungs-schirm löst den nächsten ab. Die Bürger blicken nicht mehr durch, die Journalisten oftauch nicht. Über die Rolle der Medien in der Euro-Krise debattierten unlängst in Berlin(im Rahmen des Mainzer MedienDisputs) Korrespondenten und Wissenschaftler.

EZB-Chef Draghi nach einerPressekonferenz.„Die EZB ist bis heute eineder intransparentesten Organisationen nach dem Vatikan“, warnt Hans-MartinTillack.

Mehr Informationen

www.mediendisput.deNächste Veranstaltung inBerlin am 13. November

Foto: Arne Dedert dpa / lhe

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26 M 7.2012

Links:

www.bgetem.de/presse-ak-tuelles/versicherungsschutz-fuer-journalisten

www.bmvg.de (Presse, Seminare für Journa-listen)

http://dju.verdi.de/junge-journalisten/hochschulgruppe

2013 sollen keine Auszubildende mehr am Seminar„Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ teilnehmenkönnen. Bisher wurden angehende Journalisten amBundeswehrstandort Hammelburg in Realsituationengeschult. Nun fehlt es an freien Terminen. Die djuHochschulgruppe Hannover und der dju Landesvor-stand Niedersachsen-Bremen suchen gemeinsam mitden Veranstaltern nach Lösungen.

Als die Berufsgenossenschaft Energie Textil ElektroMedienerzeugnisse (BG ETEM) Mitte September aufNachfrage bekannt gab, dass sie das Seminar „Schutzund Verhalten in Krisengebieten“ für Volontäre undStudierende streicht, stieß das bei der dju-Hochschul-gruppe Hannover auf Unverständnis. Denn der dju-Hochschul- und Ausbildungsbeauftragte des Landes-bezirks Niedersachsen-Bremen, Sami Atwa, hatte dasSeminar gerade erst zufällig bei einer Recherche überBerufsgenossenschaften entdeckt und eine Teilnahmeorganisiert. Der dju-Landesbezirk Niedersachsen-Bremenförderte die Teilnahme mit Fahrtkostenzuschüssen.

So reisten dreizehn Studierende des StudiengangsFotojournalismus der hannoverschen Hochschule fürMedien, Information und Design im Mai zum Ver -einte Nationen-Ausbildungszentrum der Bundeswehrnach Hammelburg. Auf dem Übungsgelände werdenin Gebäuden und Geländeformationen verschiedeneGefahrensituationen simuliert. So wurde eine Spreng-stoffattrappe versteckt, um zu testen, ob sich die Teil-nehmer an den Theorieteil vom Vormittag erinnerten.„Uns wurde gesagt, wir sollten uns grundsätzlich im-mer genau umschauen, bevor wir uns in eine Situati-on begeben. Das tun wir seitdem. Lernerfolg gleich100 Prozent“, erinnert sich Jung-Fotografin JaninaRahn an die sich kontinuierlich steigernden Rollen-spiele, wie zum Beispiel später auch eine Bomben -explosion. „Ich erfuhr am eigenen Leib, wie es sichanfühlen kann, wenn man in ein Krisengebiet fährt.

So würde ich nicht mehr blauäugig in eine solche Situation hineingehen. Gleichzeitig hab ich auch ei-niges über mich als Person erfahren und wie man inStressmomenten reagiert“, so beschreibt TeilnehmerinPatricia Kühfuss ihre Eindrücke. Irritiert waren dieTeilnehmer jedoch, dass in diesem Jahr das vorherfünftägige Seminar erstmals auf drei Tage verkürztwurde. „Wir fühlten uns nach den drei Tagen ausrei-chend vorbereitet und hätten die fehlenden Inhaltegut aufnehmen können“, fasst Fotografin Rahn dieStimmung zusammen. Die Übungen zur Geiselnahmeund eine Situation unter Beschuss sind im regulärenSeminar für die letzten zwei Tage vorgesehen.

Seit 2004 schulte die Bundeswehr in Zusammen-arbeit mit der BG ETEM als Veranstalter mehr als 700 Journalisten. Werdende Journalisten konnten seit 2008 im gleichen Seminar sicherheitsbewusstesVerhalten in Gefahrensituationen lernen. Die Berufs -genossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallver-sicherung hat satzungsgemäß unter anderem die Auf-gabe mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütungvon Arbeitsunfällen zu sorgen. Für Sami Atwa ist diesgerade für Nachwuchsjournalisten wichtig. „Studieren-de müssen heute oft wesentlich früher in ihrem Ab-schlussberuf arbeiten. Besonders betroffen davon sindFotojournalisten, die schon während des Studiumsweltweite Reisen unternehmen, um aus Krisen- undKriegsgebieten zu berichten.“ Auch könne sich einbisher unbedenkliches Land innerhalb kurzer Zeit inein Krisengebiet verwandeln. „Während des Seminarswerden die Teilnehmer oft das erste Mal mit der Ge-fahr von Verletzung, Tod, mit Geräuschkulissen undentsprechenden Stresssituationen konfrontiert.“ Esmüsse verhindert werden, dass angehende Journalis-ten einen Auftrag annehmen und aufgrund mangeln-der Vorbereitung scheitern, betont Atwa. Das Argu-ment einer mili tärähnlichen Ausbildung lehnt er ab.Es gehe ausschließlich um verantwortungsbewusstesSchutzverhalten.

Aktuell laufen Gespräche zwischen dem dju Lan-desvorstand und den Veranstaltern, um eine Teilnah-me für junge Journalisten so praxisnah wie möglichzu gestalten. Die bei der Bundeswehr verantwortlicheMitarbeiterin erklärte, dass angestrebt werde, „im Rah-men der Kapazitäten so viele fertig ausgebildete Jour-nalisten wie möglich an der Ausbildung in Hammel-burg teilnehmen zu lassen.“ Da die Nachfrage abersehr stark angestiegen sei, gäbe es in 2013 keinenLehrgang speziell für Volontäre. „Dies bedeutet abernicht, dass zukünftig keine Lehrgänge mehr für Vo-lontäre durchgeführt werden“, so die Mitarbeiterinweiter. Sie habe auch Verständnis für die besondereSituation junger Fotojournalisten. Deshalb solle diePlanung für 2014 auch wieder unter den Aspekten derBedürfnisse von Volontären und Auszubildenden er-folgen. Beate Barrein n

MEDIEN + POLITIK

Keine Journalistenschülermehr nach HammelburgBerufsgenossenschaft und Bundeswehr streichen Präventionslehrgang

Foto: Jonas Wresch

Praktische Übung in Hammelburg: Schutz suchenund beobachten

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Medien-preis

Wettbewerb für Printmedien,

Hörfunk und Fernsehen!

Anzeige

Knebelverträgefür FotografenDie Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union(dju) in ver.di rief ihre Mitglieder auf, nicht über dieKonzerte von Leonard Cohen und Coldplay im Septem-ber zu berichten, da die Veranstalter die freie Bericht-erstattung einschränkten. Einige folgten dem Aufruf.

„Das Management von Cohen schränkt die Bildbe-richterstattung mit Knebelverträgen ein und hält dieauf Akkreditierungen wartenden Textjournalisten un-verhältnismäßig lange hin“, sagte dju-Bundesge-schäftsführerin Cornelia Haß. Dies sollten die Mediennicht akzeptieren und auf eine Berichterstattung ver-zichten oder darin die Öffentlichkeit über die Arbeits-weise der Agentur informieren. Konkret habe das Co-hen-Management als „Gegenleistung“ für eine Akkre-ditierung eine Vorberichterstattung verlangt, sich dieEntscheidung über die Akkreditierung jedoch aus-drücklich bis zum letzten Moment vorbehalten. Foto-grafinnen und Fotografen müssen für eine Akkreditie-rung zustimmen, ihre Fotos nur ein einziges Mal ineinem einzigen, zuvor benannten Medium zu veröf-fentlichen. Gleichzeitig verlange das Management sel-ber aber eine freie Nutzung der Bilder: „Die Agenturwill auf diese Weise offenbar nicht nur Hofbericht -erstattung produzieren, sondern setzt sich auch übergeltendes Urheberrecht hinweg. Diesen Zwängen soll-ten sich seriös arbeitende Journalistinnen und Jour-nalisten verweigern“, machte Haß deutlich. Knebel-verträge gerade in der Fotoberichterstattung überKonzerte seien eher die Regel als die Ausnahme: „Aberallein die Tatsache, dass alle die Arbeit der Fotografin-nen und Fotografen behindern und einschränken, legitimiert diese Vorgehensweise natürlich nicht“,stellte Haß klar. Und bereits wenige Tage später legteauch das Konzertmanagement der britischen Pop-Band Coldplay für die drei Mitte September statt -gefundenen Konzerte Fotografen ähnliche Knebelver-träge vor. Einschränkungen der freien Berichterstat-tung waren darüber hinaus auch bei Auftritten vonLady Gaga publik geworden.

„Die Presse sollte niemanden mit Bildern und Be-richten adeln, der Pressefreiheit und Urheberrechtefür ungültig erklärt und Konzerthallen zu rechtsfreienRäumen machen will.“ sagte Cornelia Haß. Das sahauch der Norddeutsche Rundfunk so. Er verzichtetein seinem Online-Veranstaltungsbericht auf Fotosvom Konzert von Coldplay, das am 22. September inHannover stattfand. Damit protestierte der Sender da-gegen, dass die Band von Pressefotografen verlangthabe, „ einen inakzeptablen Vertrag zu unterschrei-ben“(heise). Und auch auf der Website http://mrkni-ster.bplaced.net/wordpress/2012/09/ verzichtete manauf Konzertbilder von Coldplay und folgte so demBoykottaufruf der dju. Red. n

➧ Mithilfe und Hilfe

Die dju sammelt einschlägige Verträge und berät ih-re Mitglieder, wie sie sich dagegen wehren können: [email protected] und http://dju.verdi.de/-/XVr

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TARIFE + BERUF

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28 M 7.2012

TARIFE + BERUF

Johannes M. Fischer ist Chefredakteur der Lau-sitzer Rundschau (LR) und erleichtert. Sein Blattist dem „Teufel nochmal von der Schippe“ ge-sprungen – glaubt er zumindest – und ebennicht an einen Finanzinvestor verkauft worden,wie zu befürchten war. Nun gehört er mit zurRP wie die Saarbrücker Zeitung. Wie die Düssel-dorfer mit ihren „Einkäufen“ umgehen, zeigtein Blick auf die Aachener Zeitungen. „In Aachenherrscht ein rauer Wind, seitdem die RP einenAnteil von 25 Prozent am Aachener Zeitungs-verlag (Aachener Nachrichten, Aachener Zeitung)gekauft hat, beschreibt Franz Blatt, ver.di-Gewerkschafts sekretär die Situation vor Ort. ImJahr 2010 ist mit der Medien-Personalservice-Euregio (MPE) die erste Leiharbeitsfirma ge-gründet worden, in der Redakteure arbeitenmüssen, die bislang im Aachener Mutterhausbeschäftigt waren. Auch Neueinstellungen wer-den nicht mehr im Verlag selber beschäftigt,sondern in der Euregio Content GmbH (EC), ei-ner ebenfalls nicht tarifgebundenen Verlags-tochter. Wer dort als Berufseinsteiger landet,muss Gehaltseinbußen von rund 30 Prozenthinnehmen. Tendenz steigend, weil für Mitar-beiter der EC die Berufsjahresstaffel wegfällt. Da-zu kommt die wöchentlich zu leistende Arbeits-zeit von 40 statt 36,5 Stunden.

Doch nicht nur die Aachener Journalistensind unter Druck, auch die Kolleginnen undKollegen in der Abteilung Vorstufe/Verlagspro-duktion wurden innerhalb der letzten beidenJahre outgesourct und in die nicht tarifgebun-dene Euregio Medien-Produktion (EMP) über-führt. Ähnliches gilt für die Mitarbeiter im Ti-cketverkauf und in der Weiterverarbeitung.Zeitungs zusteller mussten Lohnkürzungen umbis zu 50 Prozent hinnehmen. Von den einstvier Zustellerfirmen des Aachener Verlages exis-tieren noch zwei. „Die zwei, in denen sich dieBetriebsräte vehement gegen die Lohnkürzun-gen gewehrt hatten, wurden platt gemacht“, er-zählt ein Mitarbeiter, der nicht genannt werdenwill. Ein Betriebsratsmitglied der RheinischenPost spricht – hinter vorgehaltener Hand – voneiner „offen gewerkschaftsfeindlichen Haltung“seines Verlages, nennt dessen politische Liniekonservativ bis „reaktionär“. Besonders beiWahlen agitieren RP-Blätter hemmungslos.Leidtragende sind oft Politiker des linken Flü-gels wie Katharina Schwabedissen, die Spitzen-kandidatin der Linkspartei. Sie wurde in denAachener Nachrichten aus einem Bild vom Auf-

Mehrheit ging an Rheinische Post Sitz der Zeitungsgruppe mit Vollredaktion bleibt in Saarbrücken

Die Rheinische Post Mediengruppe (RP) aus Düsseldorf hat die Mehrheit der SaarbrückerZeitungsgruppe gekauft. Neben der Saarbrücker Zeitung gehören die Lausitzer Rundschau(LR) aus Cottbus, der Trierische Volksfreund und der Pfälzische Merkur aus Zweibrücken zurGruppe. Die Übernahme gilt als eine der größten Transaktionen in der jüngeren Presse -geschichte.

tritt der NRW-Spitzenkandidaten im lokalenFernsehen ganz einfach herausgeschnitten undsomit der Eindruck erweckt, sie sei gar nicht dagewesen. Zum Kandidatengespräch der Zeitungwurde sie erst gar nicht eingeladen. Die Nähe zurCDU ist sogar schriftlich belegt. Laut Rechen-schaftsbericht der Parteien für das Bundestags-wahljahr 2009 hat die Mediengruppe Rheini-sche Post knapp 13.000 Euro an die CDU ge-spendet.

Nicht nur in Aachen, sondern auch im Düsseldorfer Verlagshaus der RP sind neuer-dings Entlassungen und Outsourcing in nichttarifgebundene GmbHs angesagt. Betroffen sinddie Bereiche Anzeigenabteilung, Verlagsmarke-ting und Vorstufe. Auch für die VerlagsgruppeSaarbrücker Zeitung befürchtet MedienexperteHorst Röper Personalabbau. Bei großen Über-nahmen wie dieser sei der Refinanzierungs-druck für den Käufer ziemlich groß, weiß derExperte. Deshalb sei Outsourcing wie in Aachenkein Einzelfall, sondern eher Normalität.

In Saarbrücken, Cottbus, Trier und Zwei-brücken sollten also jetzt die Alarmglocken läu-ten. Nach wie vor gehört neben der Rheini-schen Post die Gesellschaft für StaatsbürgerlicheBildung (GSB) Saar zur Saarbrücker Medien-gruppe. Sie hatte erst am 1. August einen Groß-teil der Anteile von Holtzbrinck gekauft(M5/2012). Hinter der GSB stecken saarländi-sche Parteistiftungen von CDU, FDP und SPD.Mit im Boot sind außerdem die Mitarbeiter, de-ren Beteiligungsgesellschaft die Verträge jetztvon Frankfurter Fach leuten prüfen lässt. Immer-hin ist in dem Papier für die GSB ein Vetorechtfür Zu- und Verkäufe fixiert, was diesbezüglicheAlleingänge der Düsseldorfer verhindert. Außer-dem soll der Sitz der Gruppe in Saarbrückenbleiben und die Mitarbeiter der SZ-Gruppe sol-len weiter in Vollredaktionen arbeiten. Aller-dings fehlen zentrale Forderungen von ver.di.So gewährt die Rheinische Post den Mitarbei-tern der SZ-Gruppe weder eine Beschäftigungs-garantie – gefordert wird der Ausschluss be-triebsbedingter Kündigungen bis Ende 2015 –noch einen Ausgliederungsschutz, noch wirdeine Rückkehr in den Flächentarif nach demAuslaufen der Haustarifverträge zugesichert.Auch ein ernst zunehmendes Redaktionsstatutsucht man in den Papieren vergeblich. Das bis-herige der SZ sieht nämlich weder Mitbestim-mungs- noch Vetorechte des Redaktionsbeiratesvor. Über all diese Punkte soll es jedoch zwi-schen ver.di und der Geschäftsleitung dem-nächst Gespräche geben. Eine Zusage dafür ge-be es aus Düsseldorf, was von ver.di als „positi-ves Signal und vertrauensbildende Maßnahmegewertet“ werde, wie es in einem aktuellenver.di-Betriebsinfo heißt. Adrian Klöck nFo

to: picture-alliance / dpa / Becker & Bredel

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M 7.2012 29

Was ist los am Standort Berlin?, fragten die Konzern-betriebsräte am 19. September in einem Mitarbeiter-Info ihre Geschäftsführungen. Die erste Antwort kam24 Stunden später: Da hörten die Beschäftigten derBVZ Anzeigenzeitungen GmbH (Berliner Abendblatt),wie die komplette Redaktion mit 14 JournalistInnen,zwei Empfangskräften und einer Disponentin sowiezusätzlich sechs Pauschalisten für entbehrlich erklärtwurden. Dass das nur der Beginn einer größeren Ent-lassungswelle sein könnte, befürchtet die dju in ver.diund sieht Gefahr für insgesamt 50 Arbeitsplätze. Erst-mals seit 15 Jahren – orakelt die Geschäftsführung –drohe das hauptstädtische Verlagshaus von M. Du-Mont Schauberg (MDS) mit Berliner Zeitung, BerlinerKurier, Stadtmagazin tip und Abendblatt in die Verlust-zone zu rutschen. Die Betriebsräte haben Indizien da-für, dass es bei Personaleinsparungen bald auch umRedakteursstellen beim Berliner Kurier und der BerlinerZeitung, um Arbeitsplätze in Dokumentation undPoststelle sowie um „Synergien“ bei der Vermarktungdes Stadtmagazins tip gehen könnte.

Endlich wieder ein richtiger Verleger!, hoffteman, als Alfred Neven DuMont zu Jahresbeginn 2009am Berliner Alexanderplatz einzog. Nach der „Heu-schrecke“ Mecom von Finanzinvestor David Montgo-mery, die ausschließlich auf Rendite aus war, ver-sprach die traditionreiche, im Familienbesitz befind-liche Kölner Mediengruppe MDS – der viertgrößtedeutsche Zeitungsverlag – mehr kaufmännischen Verstand und größere Chancen für Qualitätsjourna-lismus. Doch was seither praktisch passierte, desillu-sionierte vielfach: das alternativlose und schnelle Ausfür das hauseigene Online-Projekt Netzeitung, Syner-giesuche und Experimente, wie die Bildung der Redak-tionsgemeinschaft für die MDS-Flaggschiffe BerlinerZeitung und Frankfurter Rundschau sowie die Grün-dung diverser tarifloser Billig-Töchter. Die Betriebsräte

listen in dem genannten Infoblatt etliche Manage-mententscheidungen auf, die zur aktuellen wirtschaft-lichen Lage am Alexanderplatz beigetragen habendürften. Von rausgeschmissenem Geld für ein unzu-längliches Redaktionssystem und unnötige Druck-technik bis zum Wechsel auf eine MDS-nahe, aberteurere wöchentliche Fernsehbeilage ist die Rede. Unddavon, dass auf „immer weniger Mitarbeiter ... im Ver-lag immer mehr Leiter“ kommen. Schließlich wird da-ran erinnert, dass auch die 152 Mio. Euro, die Du-Mont Schauberg für den Berliner Verlag gezahlt hat,wie bei Mecom überwiegend mit Kredit finanziertworden seien. „Den bezahlen wir jetzt wieder ab.“

Und MDS agiert eiskalt! „Wir erfuhren von denKündigungen eine halbe Stunde vor den Mitarbei-tern“, erklärt Abendblatt-Betriebsvorsitzender FalkoHoffmann. Dabei hätten die Interessenvertreter nichtnur „rechtzeitig, schriftlich und umfassend“ infor-miert, sondern mit den Betriebsräten vorab auch Alter-nativen beraten werden müssen. So verlangt es der ge-rade erneuerte Tarifvertrag über Weiterbeschäftigung,Qualifizierung und Sozialplan für den Berliner Verlag,den tip Verlag und die BVZ AnzeigenzeitungenGmbH. Er schreibt auch explizit fest, dass Nachteilefür Arbeitnehmer durch Synergieprojekte und anderebetriebsändernde Maßnahmen „ausgeglichen oder ge-mildert werden“ sollen. Dass „Mitarbeiterinnen undMitarbeiter Anspruch auf Umsetzungen innerhalb desGesamtunternehmens in Berlin haben, schafft zusätz-liche Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung“, betontAndreas Köhn, der auf ver.di-Seite mit verhandelt hat.Nichts davon nun beim Abendblatt, wo es dem Ver-nehmen nach um sechsstellige Einsparungen jährlichgeht. Die Gewerkschaften protestierten gegen den Ta-rifbruch und forderten, die angedrohten 17 Kündi-gungen zurückzunehmen.

Billig-Tochter. Die nicht tarifgebundene Anzeigenzei-tungs-GmbH – „wir sind das Niedriglohnsegment imHaus“, so Betriebsratschef Hoffmann – vertreibt dasAbendblatt mit 20 Lokalausgaben für ganz Berlin in1,2 Mio. Exemplaren. „Gerüchte gab es schon länger,jetzt ist klar, dass künftig die Billig-Tochter mdsCrea-tive als Dienstleister die redaktionellen Inhalte zuar-beiten soll.“ Die Publishing-Gesellschaft, die bislangaus Köln Sonderbeilagen zuliefert oder Layoutaufträgeübernimmt, ist erst seit kurzem in der Hauptstadt prä-sent und bietet in Jobanzeigen „Mitarbeit auf freieroder 400-Euro-Basis“.

Zwischen der Abendblatt-Geschäftsführung unddem Betriebsrat sind zunächst drei Gespräche bis Mitte Oktober terminiert. Die Interessenvertretungwerde auf Basis des Tarifvertrages versuchen, so vieleBeschäftigte wie möglich im Haus zu halten, sagt derVorsitzende, weiß aber, dass das nicht einfach wird.

Ob Strategien und Erfahrungen von DuMont-Schauberg aus regionalen Monopolmärkten ausrei-chen, „um auf dem umkämpften Markt der überregio-nalen und Hauptstadtzeitungen mithalten zu kön-nen“ bezweifelt dju-Geschäftsführerin Cornelia Haßangesichts fortschreitender Substanzverluste. Nötig seieine Zukunftsstrategie, „die Bestand und Aussicht aufErfolg hat“. Um den gruppenweiten Ideen- und Inno-vationsprozess zu koordinieren, hat in Köln gerade ei-ne zentrale MDS-Stabsstelle Innovationsmanagementihre Arbeit aufgenommen. Das könnte auch eine Dro-hung sein. Helma Nehrlich n

TARIFE + BERUF

Eiskalt am AlexKündigungen im Berliner Verlag beim Abendblatt angedroht

Der Berliner Verlag, das hauptstädtische Filetstück von M. DuMont-Schauberg, gerät in wirtschaftliche Schieflage. 17 Kündigungen, die jetzt beim Berliner Abendblattangedroht sind, scheinen nur der Auftakt einer umfassenden Entlassungswelle.

Solidaritätsstreik von Beschäftigten des Berliner Verlages in der Tarifrunde Redakteure 0in Tageszeitungen 2011.

Foto: Ch. v. Polentz / transitfoto.de

➧ Aktuell informiert

www.dju-berlinbb.dehttp://dju.verdi.de/aktuellhttp://druck.verdi.de/newslet-ter

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TARIFE + BERUF

Berg.LinkIm Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gibt es seit gut zwei Jahren eine andere Zeitschrift, das Umsonstmagazin Berg.Link.Es erscheint alle zwei Monate, anzeigenfinanziert, mit 40 Seiten, in einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Das Ziel sinddemnächst 10.000. Herausgeber Heiko Schwarzburger ist Fach-journalist für Solartechnik mit eigenem Verlag. Berg.Link istkein Renditeprojekt, sondern seine Herzensan gelegenheit.

Für Schwarzburger ist der Prenzlauer Berg mit gut150.000 Einwohnern ein öko-soziales Experimentierfeld. Dieletzten Ausgaben drehten sich zum Beispiel um menschlicheKonstanten in der Stadt; Ökofood zu Dumpinglöhnen?; Heimat von Migranten im Wilden Osten; Nix von der Stange –Design- und Manufakturläden im Kiez. Es geht in den Heftenvor allem um die lokalen Schnittstellen zu globalen Themen.„Die Energieversorgung ist auch hier ein Riesenthema. DieLeute wollen weg von Öl und Gas. Wir beraten dazu die Eigen-tümergemeinschaften im Kiez. Denn Berg.Link ist nicht nureine Zeitschrift, sondern die sichtbare Fläche eines ganzenNetzwerkes“, schwärmt Schwarzburger.

Berg.Link beschäftigt sich beispielsweise mit dem ThemaTextilien. Es geht dabei weniger um Mode, als vielmehr umdie medizinischen Fragen von hautverträglicher Kleidung. Fürviele Kunden kaum erkennbar sind zum Beispiel immer wiederauch Plastikbestandteile in Geweben nachweisbar. Wo be-kommt man im Stadtteil ökologisch und sozial – weil nicht zuDumpinglöhnen – hergestellte Kleidung? Wie kann man Alt-kleider wieder vernünftig entsorgen? Der Fokus liegt dabei jeweils auf dem Prenzlauer Berg. Nur dort will Schwarzburgerpublizieren. Mit Stadtmagazinen wie zitty oder tip will dasHeft gar nicht erst in Konkurrenz treten. Auch will Berg.Linkkein Kiezmagazin sein, das über die nächsten Partys, Festeoder Events berichtet. Es geht um nicht weniger als den öko-sozialen Stadtumbau am Beispiel dieses ausgesuchtenmittlerweile gutbürgerlich-grünen Milieus und Kiezes.

„Das ist hier eine community, die sich ihre eigenenSprachrohre schafft. Das vermisse ich bei den so genanntengestandenen Medien, die an der notwendigen Umgestaltungder Gesellschaft gar nicht teilnehmen“, sagt Schwarzburger.So seien gerade Tageszeitungen in der Regel viel zu sehr ihrenAnzeigenkunden verpflichtet. Nur Energieriesen wie Vatten-fall könnten etwa die Werbepreise der Tageszeitungen nochbezahlen. Alternative Solarfirmen, die viel mehr für einenWandel in der Gesellschaft einstünden, könnten dieses Geldgar nicht aufbringen.

Vor allem setzt Heiko Schwarzburger darauf, dass dieMenschen sich wieder informieren wollten. Artikel über 4 bis6 Seiten sind für ihn zumutbar: „Die Leute lesen! Und dieLeute, die nicht lesen, interessieren mich wenig. Die Tageszei-tungen verlieren ihre Leser, weil sie zu wenig Nutzwert trans-portieren. Es geht darum, nachbarschaftliche Information miteinem hohen Nutzwert und Wissen zu verbinden. Deswegenglaube ich an eine Regionalisierung des Journalismus“, er-klärt er sein publizistisches Konzept. Thomas Klatt n

Engagierte Medien abseitsdes Mainstreams sind hochinteressant, aber wenigbekannt. Deshalb stellt M mit dieserRubrik in jedem Heft einesdavon vor.

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kt?Dudenverlag

zerschlagen Rund 140 Entlassungen angedroht

Das Bibliographische Institut (BI) – populär „Duden-verlag“ genannt – soll zerschlagen werden. Der Haupt-sitz des zur Franz-Cornelsen-Bildungsgruppe gehören-den Unternehmens wird von Mannheim nach Berlinverlagert, der Bereich Kinder- und Jugendbuch soll ver-kauft werden, Massenentlassungen sind angekündigt.

Das BI beschäftigt in Mannheim rund 190 Kollegin-nen und Kollegen und in einer Dependance in Berlin5 Mitarbeiter. Nach den Planungen der Unterneh-mensspitze soll es künftig etwa 30 Arbeitsplätze inBerlin geben. Etwa 20 sollen in Mannheim verbleibenim Bereich Sprachtechnologie. Die redaktionellen Ar-beitsplätze sollen in eine „BI-RedaktionsserviceGmbH“ mit 12 Beschäftigten ausgelagert werden, dieausdrücklich kein Tochterunternehmen des BI ist.Überspitzt ausgedrückt: „Dudenverlag künftig ohne(eigene) Redaktion“, heißt es in einer Betriebsratsinfo.Unterm Strich sollen rund 145 Arbeitsplätze im BI ver-nichtet werden (die externen Redaktionsstellen ein-gerechnet). ver.di forderte den Verlag auf, mit dem Be-triebsrat einen Interessenausgleich auszuhandeln. Zu-vor hatte der Betriebsrat vor Gericht per EinstweiligerVerfügung versucht, den Umzug zu verhindern. Erunterlag in zwei Instanzen. Grundlage dafür war eineStandortsicherungszusage aus dem Jahr 2009, nachder bis Ende 2015 der Verlagssitz des BI in Mannheimverbleiben sollte.

Bestürzung auf dem Jahreskongress der Gesell-schaft für Angewandte Linguistik im September in Er-langen angesichts dieser Informationen. Die Sprach-wissenschaftler wollten nicht glauben, „dass dieseMaßnahmen alternativlos seien“, erklärte ver.di-Sekre-tär Gerd Vohs, der als Gast am Kongress teilnahm. Be-sonders die Zusammenarbeit von Dudenredaktionund Institut für Deutsche Sprache (IDS), ebenfalls inMannheim ansässig, sei unverzichtbar. Der Dudenver-lag verfüge mit seinen Nachschlagewerken und Da-tenbanken über einen „Schatz für deutsche Sprache“,so Vohs, den es zu pflegen und nicht ausschließlichwirtschaftlichen Verwertungsinteressen unterzuord-nen gelte. Gefordert wurde ein „runder Tisch“ zur Ret-tung des Dudenverlags in der „Hauptstadt der deut-schen Sprache“, die Mannheim und gerade nicht Ber-lin sei. Zahlreiche Tagungsteilnehmer haben in einerResolution an die Geschäftsführung des BI gefordert,die Dudenredaktion als selbstständige Organisations-einheit in hinreichender Personalstärke und mit derfür eine zeitgemäße und professionelle Lexikografieerforderlichen Sachmittelausstattung zu erhalten.

Allein die Geschäftsführung scheint all das nichtzu beeindrucken. Sie halte unbeirrt an ihren Planun-gen fest und verweigere jede inhaltliche Auseinander-setzung über mögliche Alternativen, heißt es aus demBetriebsrat. Auch plane sie, die Kündigungen bereitsin der zweiten Oktoberhälfte direkt nach der Buch-messe auszusprechen. wen n

Solidaritäts- erklärungen

Der Betriebsrat des BI nimmt unter der E-Mail-Adresse

[email protected]

gern Solidaritätserklä-rungen von Kolleginnenund Kollegen entgegen,die die Forderungennach Erhalt der verlags-eigenen Redaktion amStandort Mannheim unterstützen.

30 M 7.2012

Page 31: Auf ein Wort - M – Menschen Machen Medien (ver.di) · 4 M 7.2012 AKTUELL ver.di-Fernsehpreis verliehen Zum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen

Entlassungen bei der Märkischen – Sozialplan abgeschlossenZiemlich genau ein halbes Jahr, nachdem der Madsack-Konzerndie Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft (Märkische Allge-meine Zeitung) in Potsdam übernahm, wurden im Juni 41 Entlas-sungen im Verlagsbereich angekündigt. Weitere Umstrukturierun-gen auch in Redaktion und Druckerei drohen. Akut betroffen sinddie komplette Anzeigenvorstufe, die Gestaltung, Korrektorat, Ar-beitsvorbereitung, kaufmännische Sachbearbeiter sowie Beschäf-tigte der IT-Abteilung. Bei einem Aktionstag Ende Juli zeigten 130Beschäftigte dem Unternehmen dafür vor den Toren die „RoteKarte“. (M6/2012) Auch mit einem Offenen Brief hielten Beschäf-tigte dagegen und erläuterten dem Vorsitzenden der Geschäfts-führung, warum Madsack gut daran täte, seine Potsdamer Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter zu behalten. Gefordert wurden „faireVerhandlungen über mögliche Weiterbeschäftigung“. Dazu kames nicht. Dem Betriebsrat blieb nur, über einen Sozialplan zu ver-handeln. Der steht jetzt. „Wir haben Abfindungsregelungen ver-einbart, die Sockelbeträge enthalten und in der Summe knapp ei-nem Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr entsprechen. Au-ßerdem wird es einen mit 100 000 Euro ausgestatteten Härtefall-fonds geben“, erläutert Betriebsratsvorsitzende Karin Wagner.Festgeschrieben seien auch Ausgleichsregelungen beim Wechselauf Arbeitsplätze an anderen Standorten und Qualifizierungsmaß-nahmen. Verabredet wurde zudem eine Altersteilzeitregelung, dieallerdings von den Tarifparteien verhandelt werden muss. Im Oktober sollen dazu Gespräche starten. neh n

M 7.2012 31

„Die Empörung der rund 400 Kolleginnen und Kolle-gen im Darmstädter Echo ist groß“, berichtet der Leiterdes ver.di-Fachbereichs Medien in Hessen, ManfredMoos. Die bisher 100 Redakteure und 300 Verlags -angestellte sollen ab kommendem Jahr in Tochter -gesellschaften überführt werden, die im tariflosen Zustand sind. Nur die bereits lange im Betrieb Be-schäftigten sollen individuell ihre angestammtenRechte weiterhin vertraglich zugesichert bekommen.Neu einstellen will der Echo-Verleger Hans-Peter Bach,Chef der Echo Zeitungen Gmbh des MedienhausesSüdhessen, der auch gleichzeitig Präsident der Indus-trie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt ist, künftigdann ohne Rücksicht auf Tarifverträge.

Wie sich das gestalten kann, bekommen derzeitbereits fünf junge Redakteure zu spüren. Sie erstellenseit dem 1. Juli 2009 in der „Echo RedaktionsserviceGmbH“ (ERS) hauptsächlich für die Frankfurter Rund-schau Lokalteile für Groß-Gerau und Darmstadt. ERSgehört zum Medienhaus Südhessen, genau wie auchder Rundschau-Wettbewerber Darmstädter Echo. DieRedakteure seien bei ERS 40 Wochenstunden statt dertariflich vereinbarten 36,5 tätig, erhielten jedoch nurdas für die reduzierte Zeit festgelegte Einstiegsgehalt,das im ersten Berufsjahr 3.032 Euro brutto beträgt –ohne Perspektive auf künftige Erhöhung. Teilweise ar-beiteten sie nur Teilzeit- oder mit befristetem Vertrag.Weitere Nachteile: Die für Zeitungsverlage tariflich all-gemein verbindlich vereinbarte betriebliche Absiche-rung für das Alter durch das Presseversorgungswerkvon fünf Prozent des Bruttomonatseinkommens wer-de für die Mitarbeiter der ERS seitens des Arbeitgebersnicht beigesteuert. Das berichtet ein Mitarbeiter desDarmstädter Echos. Denn kürzlich erst habe es bei einer Mitarbeiterversammlung mit der Geschäftsfüh-rung Streit gegeben, weil der Betriebsrat die Öffent-lichkeit informiert habe.

Redakteure kritisieren vor allem die Entwertungihres Berufs aufgrund der beabsichtigten Verschlech-terung von Arbeitsbedingungen und Entlohnung.Von Redakteuren werde umfassende Vorbildung ver-langt: Ein Studium sowie ein zwei-jähriges Volontari-at; obendrein müssten unbezahlte Praktika absolviertwerden. Wenn Redakteure schließlich mit 30 Jahrenins Berufsleben einsteigen könnten, hätten andere be-reits zehn Jahre Arbeitsleben hinter sich.

Hintergrund der angedrohten Verschlechterun-gen sei eine im Darmstädter Echo seit Jahresbeginn2012 angelaufene Umstrukturierung zum „prozessge-steuertem Unternehmen“. Es wurde begonnen, Ar-beitsabläufe zu optimieren, um Kosten zu sparen. Dazu kommt die Tarifflucht. Wie wichtig die Tarif -bindung den Mitarbeitern ist, musste die Geschäfts-führung jetzt zur Kenntnis nehmen: Die bereits streik -erfahrene Redaktion des Darmstädter Echos gab zu ver-stehen, dass sie es nicht hinnehmen, dass es künftigArbeitnehmer zweiter Klasse im Blatt gebe!

Auch die Freien haben beim „Echo“ nichts zu la-chen: Deren Honorar liegt deutlich unter den als an-gemessen geltenden Sätzen der gemeinsamen Vergü-tungsregeln, zum Beispiel um die 20 Cent statt 54Cent pro Zeile in der lokalen Berichterstattung, soManfred Moos. Bei ver.di Hessen sieht man die Situa-tion so: „Wir prüfen alle Möglichkeiten bis hin zumArbeitskampf“. Das Darmstädter Echo erreichte lautIVW 2/2012 eine verkaufte Auflage in Höhe von rund49.000 Exemplaren; die aller Echo-Zeitungen des Me-dienhauses Südhessen in der Region liegt bei rund83.000 Exemplaren. Gitta Düperthal n

TARIFE + BERUF

Tarifflucht beimDarmstädter EchoNeueinstellungen ohne Rücksicht auf Verträge

Die Echo Zeitungen GmbH des Medienhauses Südhessen will 400 Redakteure, Redak-teurinnen und Verlagsangestellte in den tariflosen Zustand überführen. Die wollensich das aber nicht bieten lassen. Der ver.di-Fachbereich Medien in Hessen prüft alleMöglichkeiten – auch einen Arbeitskampf.

Beschäftigte des DarmstädterEchos im Tarifkampf 2011

Foto: Wulf-Ingo Gilbert

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Page 32: Auf ein Wort - M – Menschen Machen Medien (ver.di) · 4 M 7.2012 AKTUELL ver.di-Fernsehpreis verliehen Zum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen

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Welcher Journalist träumt nicht gerade zu Beginn sei-ner Berufslaufbahn davon, alsbald in einem Leitmedi-um arbeiten zu dürfen. Doch wenn es um Behinderteund Behinderung geht, versagen diese Meinungs -führer im Radio-, Fernseh-, Print- oder Online bereichoftmals oder sie finden nicht den richtigen Ton. Dasmeinen zumindest die Macher von leidmedien.de ausBerlin, die selbst in der Medienbranche tätig sind undvon denen selbst einige im Rollstuhl sitzen. Jetzt wollen sie mit ihrem Online-Portal nicht-behindertenKollegen auf die Sprünge helfen.

Einer der Gründer von leidmedien.de ist Raul Kraut-hausen, der nicht „an der Glasknochenkrankheit lei-det“, sondern sie einfach hat. Er ist auch nicht „anden Rollstuhl gefesselt“, sondern er sitzt darin und be-nutzt ihn einfach. Das sind nur zwei Beispiele sprach-licher Entgleisungen, wie er sie oft in der Presse beob-achtet. „Die Medien stellen beim Thema Behinderungoft nur das Leid in den Mittelpunkt. Da heißt es dann:Er macht trotz seiner Behinderungen dies und das.Trotz seiner Glasknochen ist er glücklich. Und alleswas man tut, ist gleich doppelt so gut, nur weil einerbehindert ist. Das wollen wir ändern“, erklärt der Re-dakteur.

Leidmedien.de gibt dezent aber deutlich Hinwei-se, wie Redaktionen mit Behinderten umgehen solltenund wie über sie besser zu berichten wäre. Wie jedernormale Protagonist möchte auch ein Behinderternicht einfach geduzt werden. Und sei die Hand auchnoch so verformt, man darf sie zur Begrüßung ruhigschütteln. Es geht um wichtige Anregungen, denn ge-rade bei der Aufklärung über Behinderung kommeJournalisten eine Schlüsselstellung zu. „90 Prozent desWissens, das Nicht-Behinderte über Behinderte ha-ben, stammt aus den Medien. Man muss sie sensibili-sieren. Denn nicht jeder Blinde lebt in absoluter Dun-kelheit und nicht jeder Gehörlose in totaler Stille,sondern die meisten kennen das nicht anders. Sie leben ein Leben, wie viele andere auch“, sagt Kraut-hausen.

Inklusion. Rebecca Maskos hat einst bei Radio Bre-men volontiert. Sie weiß, dass Behinderte es in der Re-gel immer nur als Helden, die ihr Schicksal meistern,oder als Versorgungsobjekte von Institutionen vor dieKamera oder das Mikrophon schaffen. Sie fordert vonihren Kollegen einen Paradigmenwechsel, um In -klusion, also selbstverständliche Teilhabe am Alltagbesser ermöglichen zu können. Die Journalisten soll-ten ihren Fokus ändern und nicht mehr vorwiegendgefühlsbetont berichten.

„Die meisten journalistischen Ansätze sind doch:Ach ist das toll, auch mit Behinderung kann manganz normal leben! Das sind solche Berichte, die nichtweiter helfen. Behinderte haben ganz andere Proble-me. Die fragen sich, wo kriegen sie Gelder für ihre Assistenz her? Wie können sie zum Beispiel Leute be-zahlen, die sie tagtäglich aus dem Bett heben? Denndas ist wichtiger Teil eines selbstbestimmten Lebens.

Journalisten könnten sich mal fragen, wieso Behin-dertenhilfe ein so durchorganisiertes System ist, in dasUnmengen von Geld fließt, das aber nicht Inklusionbefördert, sondern im Gegenteil weiterhin die Aus-sonderung von behinderten Menschen verfestigt“,gibt die ebenfalls rollstuhlfahrende Redakteurin zu be-denken.

Akzeptanz und entspannter Umgang. Allerdingsgebe es auch Positivbeispiele. So sei die Rolle derkleinwüchsigen Polizei-Pathologin, Spitzname Albe-rich, im Münsteraner Tatort durchaus gelungen undinklusiv. Ihre Rolle werde nicht verleugnet und sie seinormaler Teil der Handlung. „Die Tatsache, dass Witzeüber ihre Kleinwüchsigkeit gemacht werden, zeigt Ak-zeptanz. Meine Freunde machen auch oft Witze übermeine Behinderung. Das ist für mich Zeichen einessehr entspannten Umgangs“, meint Maskos, die selbstwenig mehr als einen Meter misst. Allerdings tun sichFilm und Fernsehen noch viel zu schwer, behinderteSchauspieler zu engagieren. „Wieso muss der einarmi-ge Kommissar von Edgar Selge gespielt werden undnicht von einem behinderten Schauspieler? Da redensich Regisseure oft damit heraus, dass sie beim Castingzu wenig Zeit gehabt hätten“, hält leidmedien-Redak-teur Kraut hausen dagegen.

Die Unbeholfenheit vieler Journalisten undMedienverantwortlicher rühre auch daher, weilkaum behinderte Kollegen in den Redaktionenarbeiteten. Der deutsche Journalismus habe danoch viel nachzuholen, ganz anders als etwain Großbritannien. Nicht nur dass dort vieleBerichte wesentlich näher an der Lebens-wirklichkeit von Behinderten seien.

Bei der BBC gibt es etwa behinderteModeratoren, die ganz normale Sen-dungen für das ganz normale Publi-kum moderieren. Hierzulande kommtdas höchstens in Behinderten-Spezial sendungen wie „Menschen –das Magazin im ZDF“ vor. Betroffe-ne treffen zwar auch hier auf vielEmpathie und Anteilnahme, abernur bis zu einem gewissen Punkt.„Es hört bei der Frage auf, ob daseigene gesunde Kind auf eine Inklusionsschule zusammen mitBehinderten geht. Es hört dann auf,wenn es darum geht, ob SchwangerePID wollen? Ja natürlich, wer will schonein behindertes Kind! Es hört da auf, ob derBeziehungspartner eine Behinderung haben kannoder nicht? Oder ob Unternehmen lieber ihre Aus-gleichsabgabe zahlen, um keine Menschen mit Be-hinderungen beschäftigen zu müssen. Genau dassind die Komfortzonen, an die wir ran müssen“,fordert Krauthausen. „Es ist immer dieser Blickvon vermeintlich gesund auf vermeintlich krank.Das ist systemimmanent und das ist das, was wiranprangern.“ Thomas Klatt n

TARIFE + BERUF

Von Leidmedien lernenDie sprachlichen Entgleisungen in Berichten über Behinderte

Foto: Marcin Sadlowski / Fotolia.com

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Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsge-meinschaft finanzierten Forschungsprojekts „Politi-sche Kommunikation in der Online-Welt“ wird der-zeit an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf un-ter der Leitung von Professor Gerhard Vowe und Dr. Marco Dohle eine Studie zum politischen Einfluss ver-schiedener Medien durchgeführt. Dabei werden unteranderem Journalistinnen und Journalisten befragt.Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union(dju) in ver.di hat diese Untersuchung unterstützt, in-dem sie ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Befra-gung aufgerufen hat. Insgesamt haben sich 1.284Menschen an der Umfrage beteiligt.

Zudem wurden einige speziell die dju betreffen-den Fragen in den Fragebogen zusätzlich aufgenom-men. Diese Antworten wurden bereits ausgewertet.Dabei zeigen sich folgende zentrale Ergebnisse: DieMehrheit der befragten Journalistinnen und Journa-listen sieht in der dju-Mitgliedschaft Vorteile: Rund60 Prozent fühlen sich über berufspolitische Themenbesser informiert als nicht-organisierte Kolleginnenund Kollegen. Mit der Kommunikation der dju mit ih-ren Mitgliedern sind ca. 45 Prozent zufrieden odersehr zufrieden. Lediglich 15,8 Prozent sind mit derKommunikation unzufrieden.

Bei der Frage nach der Zufriedenheit mit derKommunikation gegenüber Nicht-Mitgliedern zeigtsich mehr als die Hälfte der Befragten unentschlossen.Vermutlich wollte sich die Mehrheit hier nicht festle-gen, weil es für sie schwer einzuschätzen ist, wie diedju mit Nicht-Mitgliedern kommuniziert.

Die Tarifpolitik der dju stößt bei 42,6 Prozent derMitglieder auf Zufriedenheit, rund 17 Prozent äußernUnzufriedenheit. Die Rechtsberatung der dju wirdüberwiegend positiv bewertet: Rund 45 Prozent derBefragten sind damit zufrieden; nur ein geringer Teilvon 14 Prozent gibt das Gegenteil an. Ein ähnlichesBild ergibt sich bei der Frage nach der Zufriedenheitmit dem Mitgliederservice insgesamt: Auch hier über-wiegt mit 45 Prozent die Zufriedenheit. n

TARIFE + BERUF

Mit der Arbeit der dju zufriedenUmfrage mit interessanten Ergebnissen und einer Spende für ROG

Ein Jahr nach Aufnahme der Tarifgespräche für die et-wa 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dpa-Tochtergesellschaften im newsroom und der damitzusammenhängenden Betriebsteile in Hamburg undLeipzig einigten sich DJV und ver.di mit den Ge-schäftsführungen der dpa-Töchter auf einen Tarif -vertrag zu Gehaltserhöhungen. Er sichert allen Be-schäftigten die gleiche lineare Erhöhung ihres Effek-tivgehalts und beendet die unterschiedliche Erhö-hungspraxis nicht nur bei den einzelnen Töchtern,sondern auch innerhalb eines Tochterunternehmens.„Nasenprämien“ kann es in Zukunft nur noch darü-ber hinaus geben. Das Ergebnis tritt rückwirkend zum1. September 2012 in Kraft.

Die effektiven Monatsgehälter aller Beschäftigtenwerden ab 1. September 2012 um 2%, bei einer Min-desterhöhung von 60 Euro erhöht. Am 1. März 2013

und am 1. Oktober 2013 erfolgen zwei weitere Erhö-hungen um jeweils 1%. Damit ergeben sich in dennächsten zwölf Monaten Gehaltserhöhungen von we-nigstens 4% und für niedrigere Gehälter unterhalbvon 3.000 Euro sogar bis zu 5% durch den Mindest-betrag. Die Laufzeit des Gehaltstarifvertrages geht biszum 31. Januar 2014.

Die Tarifvertragsparteien haben auf Drängen derGeschäftsführung allerdings vereinbart, dass dienächste Gehaltserhöhung frühestens ab 1. April 2014wirksam werden darf. Im Herbst 2013 werden die Ver-handlungen über einen Manteltarifvertrag für diedpa-Töchter wieder aufgenommen. Ziel der Tarifver-handlungen ist, die Ungleichbehandlung zwischenden Mitarbeitern der dpa-Mutter und den dpa-Töch-tern zu beseitigen. Am Ende sollten einheitliche Regelungen für den dpa-Konzern stehen. PM n

GehaltserhöhungenErster Tarifvertrag für dpa-Töchter bringt bis zu 5 Prozent mehr

Foto: Chr. von Polentz / transitfoto.de

Die Teilnahme an der Umfrage wurde mit einer Spende von 1 Euro zugunsten Reporter ohneGrenzen (ROG) „belohnt“. Das Projekt und die Uni gaben noch Einiges dazu. So konnte am24. September von dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß und Prof. Gerhard Vowe (r.)eine Spende von 1850 Euro an ROG-Geschäftsführer Christian Mihr übergeben werden.

➧ Mehr …

Mehr Informationen zu demProjekt finden sich auf derSeite www.fgpk.de. Erste Befunde der Haupt -untersuchung werden nochim Herbst 2012 vorliegen.

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Dass speziell freie Journalisten häufig viel Arbeit fürwenig Geld haben, dass Autoren komplett recher-chierte und ausformulierte Geschichten „zur Ansicht“schicken und bei Nichterscheinen auch nicht bezahltwerden sollen und dass angestellte Redakteure häu-fig unbezahlte Überstunden machen, weil sie ohnehinzur Selbstausbeutung neigen und korrekte Arbeitszeit -erfassung für „Stechuhrjournalismus“ halten, all dasist in der Branche bekannt. Und doch verursacht jedesneue Beispiel immer wieder Kopfschütteln. Aber dassauch öffentlich-rechtliche Anstalten versuchen, ihrefreien Mitarbeiter umsonst oder unter Tarif zu beschäf -tigen, ist eine neue Eskalationsstufe im Wettlauf umBilligjournalismus.

Die 22jährige Maximiliane Rüggeberg hat im Augustmit einem Blogartikel unter ihrem Pseudonym Ma-rue23 viel Wind gemacht. Er war aber auch über-schrieben mit „Ausbeutungsmaschine Journalismus“.Die Studentin aus Bochum beschreibt darin ihre Er-fahrungen bei der Suche nach einem Volontariat. Seitihrem 16. Lebensjahr hat sie für Zeitungen geschrie-ben, zahlreiche Praktika bei Onlinemedien und Ra-diostationen gemacht sowie eine Weiterbildung beider Grimme Akademie absolviert, ein Einser-Abiturhingelegt und auch ihr Studium der Medienwissen-schaft an der Ruhruniversität wird sie demnächst mitBestnote bestehen: „Doch was ich momentan in denBewerbungsverfahren erlebe, ist so unglaublich, frechund unverfroren, dass ich mir unbedingt Luft machenmuss“. Beim ersten Vorstellungsgespräch bei einergroßen Tageszeitung wurde ihr angetragen, erst ein-mal eine einjährige Hospitanz in der Redaktion zuleisten. Und das ohne jede Garantie, anschließendwirklich Volontärin zu werden. Dafür sollte sie 1.000Euro brutto monatlich bekommen. Nach Abzug vonSteuern und Sozialabgaben sowie den Kosten fürWohnung und Auto hätte sie ihren Lebensunterhaltwohl nur noch auf Pump finanzieren können. „Wirwissen, davon kann man kaum leben, aber verstehenSie das bitte nicht als Ausbeutung“, kommentiertendas die Zeitungsleute nur lakonisch. Das zweite Ange-bot sah nur auf den ersten Blick besser aus. Fürs Volontariat bei einem Verlag sollte „ungefähr Tarif“gezahlt werden. Das wären ca. 1.700,– Euro. Doch imVertrag war dann auf einmal nur noch von 1.500 Eurobrutto die Rede. Dafür sollte die angehende Volontä-rin aber unterschreiben, dass sie zusätzlich zu den ver-traglich vereinbarten 42 Wochenstunden noch weite-re 25 Überstunden im Monat ableisten werde. Unent-geltlich natürlich. Marue23 lehnte dankend ab.

Nicht nur Berufsanfänger fühlen sich mittlerweilebei Vertrags- und Honorarverhandlungen wie auf demHornberger Pferdemarkt. Freie Mitarbeiter bei deut-schen Verlagen und Medienhäusern sind da besonde-rer Willkür ausgesetzt. Denn für sie gilt kein Tarifver-trag. Es existieren lediglich Honorarempfehlungen,die beispielsweise die dju in ver.di durch die Mittel-standsgemeinschaft Journalismus herausgibt. Auch

die auf dem Urheberrecht fußenden Ver-gütungsregeln – mit den Zeitungsverle-gern verbindlich vereinbart – werdenfast nirgends umgesetzt. Wie ansons-ten verfahren wird, war kürzlich in einem Beitrag des NDR-Medienmaga-zins ZAPP zu sehen. Autoren des Mad-sack-Verlags (u.a. Hannoversche Allge-meine) sollen demnach für die Online-verwertung ihrer Beiträge kein Honorarerhalten. Stattdessen wurde ihnen ge-droht, künftig keine Aufträge mehr zu bekommen, wenn sie gegen diese Regelungvor gehen.

Tarifverträge eigenwillig ausgelegt. Andersmüsste es eigentlich bei den freien Mitarbeitern deröffentlich-rechtlichen Sendeanstalten aussehen. Dennderen Berufsausübung ist durch Tarifverträge ge-schützt. Aber auch hier wird in den Führungsetagenviel Kreativität aufgewendet, um die tariflichen Regelun-gen zu Ungunsten der eigenen Kreativen auszulegen.

So gibt es im WDR-Fernsehen ein recht erfolgrei-ches Verbrauchermagazin mit dem Titel „Servicezeit“.Auch im WDR-Hörfunk gibt es eine „Servicezeit“. Diebeiden unterschiedlichen Sendungen werden vonzwei unterschiedlichen Redaktionen in zwei unter-schiedlichen Gebäuden in den unendlichen Weitender WDR-Gebäudetrakte in der Kölner Innenstadt hergestellt. Und doch muss die zufällige Namens-gleichheit die WDR-Oberenbewogen haben, nach Synergie-Effekten zu su-chen, womit in aller Regel Einsparungen gemeint sind.Zu Lasten der Autoren. Dielangjährige FernsehautorinSamantha Klein (Name ge-ändert) wurde von der Fern-seh-Servicezeit aufgefordert,aus ihrem Verbraucherbei-trag auch ein Stück für denHörfunk zu produzieren.Der Hörfunkbeitrag musswohl gut gelungen sein, denn er wurde nicht nur inder Hörfunk-Servicezeit, sondern auch noch imWDR2-Mittagsmagazin ausgestrahlt, dem journalisti-schen Aushängeschild des WDR-Radio programms.Autorin Klein erwartete nun zusätzlich zu ihrem Fern-sehhonorar auch das tariflich vorgesehene Honorarfür einen Hörfunkbeitrag, also ca. 300 Euro zusätzlich.Die Rechnung hatte sie allerdings ohne die Verbrau-cherjournalisten der Hörfunk-Servicezeit im WDR ge-macht. Dort interpretierte man den Begriff Synergieso, dass die Fernsehautorin für das Radiostück gar keinzusätzliches Honorar erhalten solle. Man war wohl da-von ausgegangen, dass die Fernsehredaktion 100 Euroaufs übliche Honorar aufschlage und der Hörfunk -ableger dadurch mitfinanziert sei.

Gratis-Dreingabe Wie Journalisten aufgefordert werden, umsonst zu arbeiten

Weblinks:

Blogartikel von Marue23:http://marue23.tumblr.com/post/28839555744/ausbeu-tungsmaschine-journalismus

Offener Brief der freien Mitarbeiter des ZDF Studio Berlin:https://www.openpetition.de/petition/online/offener-brief-der-freien-mitarbeiter-des-zdf-studio-berlin

Stefan Müller-Römer: www.medienrechtsanwaelte.de n

Foto: g3design0001 - Fotolia.com

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Uwe Möller, der Leiter der WDR-Hörfunk-Pro-grammgruppe Wirtschaft, will zu dem Fall nicht Stel-lung beziehen und verweist auf die Pressestelle. UnterKollegen soll er aber erklärt haben, er halte „mehr als150 Euro für gut gebaute Beiträge“ für „übertrieben“,weil Leistungen wie Recherchen und Reisen schonmit dem Fernsehhonorar abgegolten seien. Dem -gegenüber erklärt Uwe-Jens Lindner von der WDR-Pressestelle, für freie Mitarbeiter gelte weiterhin derTarifvertrag. Aber: „Langfristig streben wir an, dass dieVerträge mit Produktionsfirmen die trimediale Ver-wertung der Themen einschließen, so dass nicht fürjede Extra-Leistung gesondert verhandelt werdenmuss“. Allerdings bestünde gar keine Notwendigkeitzur gesonderten Nachverhandlung, wenn der WDRsich schlicht an den Tarifvertrag halten würde.

Kein Fotohonorar, keine Namensangabe. Ihre lie-be Not mit tarifvertraglichen Leistungen hat auch Kla-ra Brauer (Name geändert) als freie Autorin der Deut-schen Welle (DW). Als Nahost-Expertin bereist siehäufig die arabische Welt und bringt exklusives Ma-terial mit nach Deutschland. Seit die Deutsche Wellekein deutschsprachiges Radioprogramm mehr aus-strahlt, werden alle Beiträge in Textform auf der DW-Website veröffentlicht. Der Aufforderung „bring dochmal ein Foto mit!“ kam Klara Bauer gerne nach. Wassie weder ahnen, noch glauben konnte: Statt zweiergetrennter Honorare für Text und Bild gab es nurnoch ein einziges für „multimediale Inhalte“, dasaber mit dem identisch war, was sie für ihren Textohnehin bekommen hätte. Das exklusive Fotoaus Kairo durfte sie als Gratis-Dreingabe verste-hen. Und nicht nur das: Das von der DeutschenWelle via Internet weltweit publizierte Fotowar noch nicht mal mit ihrem Namen verse-hen, sondern mit „copyright: Deutsche Wel-le“. Auf diese Weise konnte Klara Bauer nochnicht einmal ihre Verwertungsrechte bei derVG Bild-Kunst geltend machen. „Verhee-rend ist das nicht nur für mich, sondernvor allem für den Berufsstand der Fotogra-fen“, so Bauer. „Wenn die schreibendenKollegen künftig Fotos mal eben so mit er-ledigen, können professionelle Fotografeneinpacken“.

Die DW-Autorin Bauer machte sich beider Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marke-ting schlau, die eine Honorarübersicht fürBildhonorare zur Verfügung stellt. Hier erfuhrBauer auch, dass eine erhöhte Vergütung fälligist, wenn der Urheber eines Fotos nicht ord-nungsgemäß genannt ist. Dies machte die Jour-nalistin bei der Deutschen Welle, die sich zudem Fall im Übrigen nicht äußern wollte, geltendund erhielt postwendend 60,- Euro zusätzlich –getarnt als „Info honorar“. Man wollte wohl nichtmit einem „Foto honorar“ einen Präzedenzfallschaffen. Nach Ansicht von Johannes Hoffmannvon der Deutschen Welle sei es „durchaus Praxis der

Redaktionen, Beiträge inklusive Fotos über die Leis-tungsart ‚Multimediale Inhalte’ zu honorieren“. Dassdies zwingend zu einer geringeren Honorierung derMitarbeiter führe, könne Hoffmann allerdings nichtbestätigen. Und dann fügt er noch vielsagend hinzu:„Die schwierige Etat-Situation der DW hat Auswirkun-gen auf alle Bereiche“.

Die Vorstellungen des Zweiten Deutschen Fern-sehens, ihre Mitarbeiter künftig auch gratis arbeitenzu lassen, führte dazu, dass die freien Mitarbeiter desZDF Studio Berlin im März 2012 zu einer Vollver-sammlung einluden. Im komplizierten Standes- undStatusrecht des ZDF-Tarifvertrags drohten die FreienMitarbeiter des sogenannten 3. Kreises in unverhält-nismäßiger Weise von den Konsequenzen der aktuel-len Kürzungsvorgaben der KEF betroffen zu sein, dasie über den geringsten arbeitsrechtlichen Schutz ver-fügen. So sorgte es für große Irritationen unter denMitarbeitern, dass beim ZDF in Berlin Stellen für FreieMitarbeiter in allen produzierenden Bereichen ausge-schrieben wurden, während bereits beschäftigte freieKollegen um den Bestand ihrer Einsatztage fürchte-ten. In einem Offenen Brief an den ZDF-IntendantenDr. Thomas Bellut, den weit über hundert Betroffeneunterzeichnet haben, werden aber noch groteskerePläne angesprochen. So soll das ZDF pauschal gefor-dert haben, dass freie Mitarbeiter „halbe Tage“ ganzohne jeden Ausgleich arbeiten sollen. Regina Henrich-Dieler von der ZDF-Pressestelle teilte auf Anfrage mit,dass der Offene Brief bekannt sei und die darin ange-sprochenen Fragen „hausintern geklärt“ worden sei-en. Worin die Klärung bestand, teilte sie leider trotzwiederholter Nachfrage nicht mit.

Neben den Verstößen gegen geltende Tarifverträ-ge ist der Umsonstjournalismus auch urheberrecht-lich sehr problematisch und könnte die Sender nochin die Bredouille bringen. Betrachtet man § 32 Urhe-bergesetz, der eine angemessene Vergütung des Urhe-bers klar gesetzlich vorschreibt und Gestaltungen, diedies umgehen sollen, für unwirksam erklärt, tragendie Pläne des ZDF oder anderer Auftraggeber auch einerhebliches rechtliches Risiko in sich, wie Rechtsan-walt Stefan Müller-Römer, Fachanwalt für Urheber-und Medienrecht aus Köln, erläuterte. Denn in allerRegel werden in den Medien ja Werke hergestellt. Ineinem für freie Journalisten wegweisenden Urteil hatdas Landgericht Hamburg festgestellt, dass „der Ur -heber tunlichst an dem wirtschaftlichen Nutzen zubeteiligen ist, der aus seinem Werk gezogen wird, undzwar bei jeder einzelnen Nutzung des Werkes“ (Urteilvom 22.09.2009, 312 O 411/09).

Überstunden erfasst. Bei der in Bielefeld erscheinen-den Neuen Westfälischen wurde im vergangenen Jahreine Arbeitszeitregelung für Redakteure verabschiedet.Nach einer testweisen Arbeitszeiterfassung hatte derBetriebsrat festgestellt, dass jeder Redakteur im Schnitt42 Tage im Jahr unbezahlte Überstunden machte.Seitdem wird die Arbeitszeit offiziell elektronisch er-fasst: Niemand darf mehr als 40 Stunden auf seinemArbeitszeitkonto ansammeln, und diese sollen zeitnah„abgefeiert“ werden. Auch die Ostseezeitung in Ros-tock, der Wiesbadener Kurier und die Nürnberger Nach-richten haben ähnliche Regelungen eingeführt, umGratisarbeit von Journalisten zu vermeiden.

Marue23, die Studentin aus Bochum, wird nundoch ab 1. Oktober als Volontärin anfangen. Auf ih-rem Blog fand sich ein Kommentar, dessen Autor sichals Chefredakteur des in Bayreuth erscheinendenNordbayerischen Kuriers herausstellte. Und sie wirddort mit dem vollen Tarifgehalt bezahlt. Es geht alsoauch anders. Hektor Haarkötter n

(Professor für Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation)

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M sprach über die konkrete Arbeit vor Ort und eigeneErfahrungen bei der Berichterstattung über die ge-walttätigen Auseinandersetzungen in Syrien mit demHörfunkkorrespondenten der ARD, Ulrich Leidholdt,der seit vielen Jahren aus Amman in Jordanien überdie gesamte Region berichtet.

Konnten Sie seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März2011 nach Syrien reisen?

Ulrich Leidholdt: Nein. Ich war das letzte Mal im Mai2010 in Syrien. Seitdem bemühe ich mich regelmäßigum ein Visum. Aber die Anträge werden von den sy-rischen Behörden entweder abgelehnt oder gar nichtbeantwortet. Vor allem seit Ausbruch des Konflikts er-geht es so vielen Kollegen aus westlichen und arabi-schen Staaten. Wobei ich dabei kein System erkennenkann. Vereinzelt werden Visa ausgestellt, davon abge-sehen, dass Korrespondenten aus den befreundetenNationen wie China und Russland leichter einreisenkönnen.

Aber sie sind sicher in der Region unterwegs, was ja auchgefährlich ist?

Ich bin natürlich in der Region unterwegs. Ich habegerade das Flüchtlingslager im jordanischen Za`ataribesucht. Hier sind 30.000 syrische Flüchtlinge voninsgesamt 200.000 in Jordanien untergebracht. In je-dem Land des arabischen Raums wird ein Visum ver-langt. Das ist oft schwierig. Und zum Beispiel bei derFormel 1 in Bahrain im Frühjahr bekamen eben nurSportjournalisten ein Visum. Natürlich gilt der Iraknach wie vor als ein unsicheres Land. Deshalb wurdebei der ARD beschlossen, nur unter bestimmten Um-ständen nach Bagdad zu fahren, weil man sich dortohne professionellen Schutz nicht bewegen kann. Dasaber schränkt die journalistische Arbeit ein, ist ver-hältnismäßig teuer und gibt natürlich keine völlige Sicherheit. Bei den vielen Bombenanschlägen kannman schnell zur falschen Zeit am falschen Ort sein.Allein im Juni gab es im Irak 325 Gewalttote und imSeptember in den ersten zehn Tagen schon über 100Tote.

Welche Quellen nutzen Sie für Ihre Berichterstattung?

Wir arbeiten mit sogenannten Stringern zusammen,journalistischen Mitarbeitern, die in den jeweiligenLändern sitzen und meist einheimische Muttersprach-ler sind. Sie sind Freelancer oder bei Medien ihres Lan-des angestellt. Wir kennen sie oft schon viele Jahreund können uns auf sie verlassen. Sie liefern Informa-tionen zu, werten eigene Medien aus und erhaltenvon uns auch Rechercheaufträge, machen Interviews,sammeln O-Töne. Wir können sie immer um Ein-schätzungen bitten. Wir verfolgen sehr aufmerksamdie Medien der Länder, auch Al Jazeera und Al Arabia.

MEDIEN + INTERNATIONAL

Eine Gratwanderung Syrien – ein Land im Bürgerkrieg. Es wird gemordet, gefoltert, vergewaltigt, ver-stümmelt, bombardiert. Tausende sind auf der Flucht. Das syrische StaatsoberhauptBaschar al-Assad geht mit Brutalität und schweren Waffen gegen die Aufständischenvor. Die „Rebellen“ wehren sich mit aller Kraft und ohne Pardon. Verschiedene Glaubensgruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber, alte Konflikte sind erneutaufgebrochen. Die syrische Opposition ist zerstritten. Ein Teil lebt im Ausland, wirdargwöhnisch betrachtet von den Daheimgebliebenen. Die arabische Welt agiert imUmgang mit Syrien nicht einheitlich. Auch die internationale Staatengemeinschaftkommt auf keinen gemeinsamen Nenner in der „Syrienfrage“.

In diesem Geflecht unterschiedlicher Machtinteressen ist die Berichterstattung nichteinfach. Die Medien stehen vor großen Herausforderungen. Kritische Stimmen werfenihnen unter anderem Einseitigkeit, mangelnde Objektivität, Schwarz-Weiß-Malerei,Propagandagetriebenheit vor.

Ein Junge sitzt am 3. Augustin der Wohnung seiner Eltern,

die durch Granatbeschuss von Assad’s Armee

in Talbiseh (Nähe von Homs) zerstört wurde. Fo

to: REUTERS / Shaam News Network / Handout

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MEDIEN + INTERNATIONAL

Wir nutzen die Nachrichtenagenturen, vor allem Reuters und AFP englisch sowie natürlich die deut-schen Agenturen, nicht zuletzt, um zu sehen, wie siedie Dinge beschreiben. Dazu kommen diverse Aus-schnittsdienste sowie die eigenen Archive. Beim Radiosind das vor allem auch Tonarchive mit Aufzeichnun-gen, die längere Zeit Bedeutung haben, wie etwa einhalbes Dutzend von Interviews mit UN-Vermittler Kofi Annan über seine Erfolge (die eher gering waren)und seine Misserfolge. Und wichtig für die Bewertungoder Einordnung der Ereignisse sind oft auch For-schungsergebnisse von wissenschaftlichen Instituten.Klar ist, dass man oft zwischen den Zeilen lesen muss.

Offenbar ein gigantisches Puzzle an Informationen. Wel-che Möglichkeiten gibt es, Quellen zu überprüfen?

Aus den vielen Informationen, die durchaus Puzzle-teilen gleichen, lässt sich oft ein glaubwürdiges Bildzusammensetzen. Die Möglichkeiten, Dinge und Aus-sagen zu überprüfen, sind schwierig. Leichtgläubigkeitund Oberflächlichkeit sind fehl am Platze. Und es gibtGrenzen, wo man sagen muss, diese Information istnicht sicher. Dann fehlt ein Stück und das Puzzle istnicht komplett. Mitunter entsteht ein Bild, was nochFragen offen lässt, aber eine Tendenz rechtfertigt. Dasmache ich dann deutlich. Ich maße es mir ohnehinnicht an, sagen zu können, wie es 100% ist, weil ichalle Infos einfach nicht habe.

Was ist dran am häufig geführten Vorwurf einer „Agen-turgläubigkeit“? Das heißt, Agenturmeldungen werdenohne Prüfung übernommen?

Das wird häufig den Redaktionen vorgeworfen. Siesind bei ihren stündlichen, aktuellen Sendungen aufdie Agenturen angewiesen, um sich zu orientieren.Ein Redakteur kann nur bedingt Allrounder sein, erkann nicht jedes Problem kennen. Auch deshalb gibtes ja Korrespondenten vor Ort, die wiederum einstückweit davon abhängig sind, was die Redakteurelesen, wie sie es einschätzen, was sie auswählen. BeiNachfragen zu einer Information entwickelt sich einGespräch oder eine Diskussion, in der man nicht im-mer auf einen Nenner kommt. Da wird auch oft ge-sagt, aber die Agenturen haben das doch, große Agen-turen wie Reuters oder AFP wissen eben mehr, als un-ser eigener Mann. Manchmal kann ich sie überzeu-gen, dass ich den Sachverhalt anders sehe undmanchmal eben nicht.

Auch ich schaue auf die Agenturen. Wird über einen Sachverhalt – zum Beispiel einen Anschlag inBagdad – von allen berichtet und auch weitgehendübereinstimmend, ist die Verlässlichkeit groß. Berich-tet eine Agentur gar nicht, muss ich mich fragen: wa-rum? Ich bin für 60 verschiedene Wellen bei der ARDzuständig, brauche also diese Nachrichten. Wenn ichdenke, dass das Thema keines ist, biete ich es nicht an.

Und natürlich macht man auch Fehler, davor istkeiner gefeit. Als Anfang Juli Syrien ein türkischesKampfflugzeug abgeschossen hatte, stand die Frage imMittelpunkt: Wo sind die Piloten? Ich hatte eine Quel-le, die mir sicher erschien und die mir mitteilte, dasssie von Syrern geborgen und in Damaskus in Haft ge-nommen worden sind. Das erwies sich später alsfalsch. Sie wurden bis heute nicht gefunden. Dasmusste ich revidieren. Ein anderer Fall ist es, wenn ich

eine vage Info habe, die spektakulär erscheint, keinesichere Quelle und ich verwende sie, dann handeleich fahrlässig.

Welche Rollen spielen inländische Medien? Gibt es über-haupt noch Medien jenseits des Staatsfernsehens? Wieunabhängig ist Al Jazeera?

Syrien ist seit Jahrzehnten ein stark autoritär geführtesLand, in dem weder ein Parlament noch eine Regie-rung das Sagen haben, sondern der Präsident und sei-ne Geheimdienste sowie sogenannte Sicherheits -kräfte, die Assads Politik durchsetzen. Das zeigt natür-lich ganz klar, dass man von einer freien und unab-hängigen Presse nicht sprechen kann. Ob es nun dasStaatsfernsehen ist oder die staatliche Nachrichten-agentur SANA oder die durchaus existierenden Privat-sender: Sie sind alle auf Linie. Da gibt es niemand, derkonträr zu den staatlichen Medien berichtet.

Al Jazeera ist – seit der Gründung vor 15 Jahren –ein Novum in der arabischen Welt, die nicht für freiePresse und nicht für eine Art der Berichtserstattungbekannt ist, wie wir sie kennen. Hervorzuheben ist,dass Al Jazeera die Entwicklungen in den einzelnen

Staaten der Region schonvor dem sogenannten arabi-schen Frühling kritisch be-gleitet hat. Dabei warenmehr Freiheiten möglich,als man das vorher kannte.Da kommen auch Leute vonHamas und Hisbollah zuWort, gleichzeitig aber auchisraelische Militärsprecherund Experten. Das war undist ungewöhnlich für einenarabischen Kanal. Das hatauch viel Aufmerksamkeiterzeugt, aber natürlich auchviel Ärger, etwa bei den au-toritären Golfstaaten. EineEinschränkung: Al Jazeerasendet ja aus dem Golfemi-rat Katar, das ist von kriti-schen Äußerungen ausge-nommen.

Seit Beginn der Aufstän-de in den arabischen Staaten

hat Al Jazeera eine andere Rolle eingenommen. Si-cherlich hat der Sender das Voranschreiten der Revo-lution in Tunesien und Ägypten durch seine Berichtevorangetrieben. Menschen, die in irgendeiner Stadtauf die Straße gingen, haben durch ihn erfahren, siesind nicht allein, sondern woanders ist das auch so,das Ausland nimmt sie wahr und in den Nachbarstaa-ten gibt es ähnliche Entwicklungen. Das hat ihnenden Rücken gestärkt. Dann ist Al Jazeera vom wohl-wollenden Begleiter der revolutionären Entwicklung,zum Mitspieler geworden. Das ist in Syrien sehr deut-lich geworden. Hier wird klar Stellung bezogen für dieOpposition. Al Jazeera hat Oppositionelle frühzeitiggeschult und ausgerüstet mit Technik, zum Beispielmit Satellitentelefonen, um auch auf sie zurückgreifenzu können. Das ist berufsethisch nur schwer verant-wortbar, sie so in Gefahr zu bringen. Nach dem syri-schen Gesetz ist allein der Besitz eines Satellitentele-fons strafbar und kann denjenigen vor ein Militärge-

ARD-HörfunkkorrespondentUlrich Leidholdt kommt vomWDR. Seit Mitte der neunzigerJahre war er als Korrespon-dent im ARD-Nah-Ost-StudioAmman, in den ARD-StudiosWien, Nairobi, Neu Delhi undTel Aviv im Einsatz, außerdemals ARD-Krisenreporter imKongo und in Afghanistan unterwegs. Seit 1. Juli 2008 ist er Leiter des ARD-Hörfunk-Studios in Amman.

Foto: WDR / Annika Fußwinkel

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richt bringen, wenn man darüber Berichte für einFernsehen absetzt, umso mehr. Auch wenn die Leutedies freiwillig tun. Die Verantwortung hat, wer denAuftrag gibt. Al Jazeera ist demnach auch Partei ge-worden. Ich halte es jedoch mit Hanns Joachim Fried-richs, der sinngemäß gesagt hat: Ein Journalist solltesich mit nichts gemein machen, auch nicht mit einerguten Sache. Sicher kann man als Mensch und Be obachter sagen, man sieht sich auf der Seite der Opposition, nicht auf der Seite des Regimes. Aber dasist nicht Aufgabe des Journalisten. Er soll beobachten,einordnen und Hilfestellung geben, damit Hörer oderZuschauerinnen verstehen, was in einem Land vor-geht. In Kommentaren kann ich natürlich auch eineargumentativ begründete Meinung sagen.

Das ist das Thema unseres nächsten Journalistentages:Dürfen sich Journalisten mit einer Sache gemein machen?Darüber wollen wir Ende November in Berlin diskutieren.Danke für diese Anregung!

Die Macht der Bilder spielt nach wie vor eine große Rollein der Berichterstattung. Falsche Videos wurden auch imdeutschen Fernsehen gezeigt, im Nachhinein sind dieFehler eingeräumt worden. Wie gehen sie mit den viel-fältigen Bewegtbild-Informationen um?

Videos kommen ins Haus, ob gewünscht oder nicht,können bei youtube angeschaut werden. Der Bedarfist mehr als gedeckt. Aber sie sagen wenig aus. Es sindAusschnitte, man sieht Leichen, eine Stadt unter Be-schuss, schreiende Frauen. Man kann es nicht einord-nen. Ich würde sie in jedem Fall vorsichtig nutzen,

wenn ich wie das Fernsehenauf fremde Bilder ange -wiesen bin, weil ich nichtins Land komme. Auch Augenzeugenberichte bei Al Jazeera aus Aleppo oderDamaskus – etwa wenn sichjemand über Skype meldet –sind oft fragwürdig. Aberauch ich habe den einenoder anderen O-Ton aus ei-nem Video schon eingesetztund dann moderiert: Ein Aktivist aus Homs schildertdie Situation so. Aber manmuss sich auch die Situationdieser Informanten vorstel-len, die sitzen in einer Stadtund können sich bei Dauer-beschuss praktisch nicht be-

wegen, sehen einen Ausschnitt aus dem Fenster, ha-ben aber auch keinen Gesamteindruck. Ich kann esden Leuten deshalb nicht verübeln, dass sie nichtmehr sagen können. Jedoch sollte es nicht pauscha -lisiert werden.

Tatsache ist, dass die Armee sich auf Städte kon-zentriert, dass sie bestimmte Waffen einsetzt, Artille-rie, Luftwaffe. Das wird auch von der Armee bestätigt.Ich muss dann nicht phantasiereich sein, um zu wis-sen, dass in einer eng bebauten Stadt nach einem Artilleriefeuer nicht nur „Terroristen“, wie sie das Regime bezeichnet, sondern auch zivile Menschen ge-tötet werden. Ich muss aber im Detail vorsichtig sein.Sowohl das Regime als auch die Opposition, die zu-

nächst eine friedliche war und jetzt eine weitgehendbewaffnete ist, agieren offenbar zunehmend nachdem Motto: Viel hilft viel. Das sieht man an den ge-nannten Opferzahlen, die häufig hochgepuscht wer-den. Es ist kaum zu überprüfen, wie viele Menschenwirklich ums Leben gekommen sind. Aber das istauch nicht relevant, um den Konflikt darzustellen.Die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrech-te“ wird oft zitiert, auch in Agenturen (leider). Sie sitztin London und besteht im Wesentlichen aus einemMann. Wenn in Aleppo eine Autobombe hochgehtund dann nach zehn Minuten Agenturen vermelden,dass es 48 Opfer gegeben hat, ist das unglaubwürdig.Also muss ich hier davon aus gehen, dass interessen-gelenkt gearbeitet wird. Natürlich macht auch das Re-gime Propaganda, es ist ja im Besitz der staatlichenMedien und kann so verbreiten, was es will. Auch dortmuss ich mit solchen Angaben höchst vorsichtig sein.Ich verzichte in der Regel auf Opferzahlen und wenn,nutze ich die Angaben der UNO. 20.000 Tote sagt dieUNO seit Beginn des Aufstands in Syrien, 27.000 sagtdie Opposition. Das bestätigt, dass man diese Zahleneigentlich nicht benutzen kann. Unbestritten ist, dassviele Menschen sterben und, dass das furchtbar ist,aber dafür brauche ich keine Zahlen, wenn ich sienicht genau nennen kann.

Ich weiß, dass es Fehler gegeben hat, etwa ein Foto, das aus dem Irak-Krieg stammte und dann Syrien zugeordnet wurde. Das ist bedauerlich, auchwenn der Fehler berichtigt wurde. Aber daraus zuschließen, dass jedes Bild, jedes Video gefälscht ist,wäre ebenso unglaubwürdig, geht an der Realität vor-bei. Es zeigt aber auch, dass man im Zweifel besser dieFinger davon lässt, besonders von wackeligen Handy-bildern, deren Aussagen oft gering sind. Und wir wissen, Bilder hinterlassen eine starke Wirkung, auchwenn man sagt, dass die Informationen nicht bestä-tigt werden können. Auch medialer Dauerbeschusshinterlässt dauerhafte Wirkung!

Was sagen sie zum Vorwurf einseitiger Berichterstattungoder der Schwarz-Weiß-Malerei? Wie kann eine differen-zierte Berichterstattung gelingen?

Das Regime hat es sich natürlich selbst zuzuschreiben,wenn eine Berichterstattung stattfindet, die nicht allesabdeckt. Schließlich erschwert es Journalisten, sichein eigenes Bild zu machen. Aber ich habe immer ge-sagt, dass es in Syrien nicht nur die Menschen auf derSeite des Regimes oder die auf der Seite der Oppositiongibt. Dazwischen gibt es eine große schweigendeMehrheit, die sich nicht positioniert hat. Lange Zeit –etwa bis Weihnachten – war es in den zwei großenStädten Aleppo und Damaskus sehr ruhig geblieben.Die Menschen waren sehr zurückhaltend. Ich habeauch Experten in meinen Beiträgen zu Wort kommenlassen, die gesagt haben, dass es insbesondere für dieethnischen und religiösen Minderheiten ein Problemist, zu sehen, was sich abspielt und nicht zu wissen,was kommt nach Assad. Sie wollten dann vielleichteher den Status quo aufrechterhalten. Das wurde auchvom Regime befördert. Assad fragte, wollt ihr Verhält-nisse wie im Irak nach dem Sturz Sadam Husseins. Eine Suggestivfrage: Wer sagt da ja?75 Prozent der Menschen in Syrien sind Sunniten und10 Prozent Alawiten. Letztere bilden den Kern derFührungsschicht in allen Bereichen, vor allem bei

MEDIEN + INTERNATIONAL

Al Jazeera informiert in Arabisch und Englisch auf jeweiligen TV-Sendern bzw. Internetseiten.Im Web kann man das aktuelle Fernsehprogramm„watch live“ ansehen, oder in den Nachrichten stöbern.Bild oben: Themenblock„Inside Syria“

Screenshot: http://www.aljazeera.com/indepth/spotlight/syria/

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Elitetruppen, Geheimdiensten und im politischenStaatsapparat. Verständlich, dass sich die Sunniten inihrer Masse als benachteiligt empfinden. Wobei esauch eine kleine sunnitische Minderheit gibt, die vonAssad durch die wirtschaftliche Liberalisierung profi-tiert hat. Sie konnte private Geschäfte tätigen, denAufschwung nutzen. Andere haben sich eingerichtet.Das gilt jedoch nicht für die verarmte Landbevölke-rung. Auch vor Beginn des Aufstands haben 30 Pro-zent der Syrer unter der Armutsgrenze gelebt. Daraushat sich von Anfang an die Opposition gespeist. Undje mehr sich der Konflikt zugespitzt hat, die Kämpfequasi in die eigene Straße kamen, wurden viele Men-schen in eine Position gedrängt, sich irgendwie zuverhalten. Und das geschieht dann aus der jeweils ei-genen Betroffenheit heraus.

Dazu kommt, dass in Syrien ein bewaffneter Kon-flikt stattfindet, der sich schon lange hinzieht und derkein rein innersyrischer Konflikt ist. Das betone ichhäufig in meinen Beiträgen: In Syrien tobt ein Stell-vertreterkrieg, in den die ganze Welt einbezogen ist,zu Lasten der Syrer. Da sind die Interessen Russlands,Irans, der Golfstaaten und der Türkei. Die einen wol-len Waffen verkaufen, bei anderen spielt Religion einewichtige Rolle, die Gegnerschaft zum Iran und derKampf um die regionale Vorherrschaft. Das muss inden Medien thematisiert werden und geschieht auch,denke ich.

Als das Bild des italienischen Fotografen Marco di Laurovon Leichen aus dem Irak-Krieg, aufgenommen 2003, alsBeweisfoto zur Schlagzeile des Massakers in Al Houla inder Zeitung oder auch auf der BBC-News Website ver -öffentlicht wurde, wurden die Medien in die Nähe vonPropaganda und Kriegshetze gerückt. Was sagen Sie zudem Vorwurf, wonach die Syrienberichterstattung belegt,dass Kriege heutzutage nicht durch die Medien journa-listisch begleitet, sondern mit Unterstützung der Mediengeführt würden?

Das hat immer zwei Seiten. Die Rolle der Medien wur-de auch beim Vietnamkrieg diskutiert. Jeder erinnertsich an das Foto vom saigoner Polizeichef, der vor lau-fenden Kameras einen Vietkong erschießt oder an daswegrennende schreiende verletzte Kind nach einemNapalmangriff. Da haben die Medien den Krieg be-gleitet in einer Weise, die diesen Krieg auch mit ent-schieden hat. Auf der anderen Seite wird natürlich ei-ne Gegenstrategie entwickelt, nach der Erkenntnis:Das hat uns geschadet. Das führte zum Beispiel imIrakkrieg zum „embedded journalism“, bei dem Jour-nalisten in die kämpfende Truppe integriert wurden.Oder im Balkankrieg, wo es täglich ein Briefing vonder NATO gab. Dann wurde von „chirurgischen Schlä-gen“ gesprochen und im Nachhinein hat man festge-stellt, dass es doch Zivilisten getroffen hat. Natürlichversuchen diejenigen, die Krieg führen, die Medien inihrem Interesse zu instrumentalisieren. Das ist be-kannt. Die Frage ist, wie ich damit umgehe: Man musses wissen, dann muss man es merken, wenn es pas-siert und sich dann entsprechend verhalten. Klingteinfach, ist aber im konkreten Fall schwierig. Größt-mögliche Distanz ist hier wichtig. Andererseits führtzu große Distanz auch dazu, dass ich über den eigent-lichen Fakt vielleicht zu wenig erfahre. Das ist eineGratwanderung. Das Gespräch führte Karin Wenk n

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40 Journalisten in Syrien getötetIn Syrien kamen seit Beginn der Konflikte im März2011 bereits rund 40 Journalisten und Bürgerjourna-listen ums Leben – zehn von ihnen hauptberuflicheKorrespondenten, die Hälfte davon aus dem Ausland.Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt diese teilwei-se gezielten Morde. Die etwa 30 Journalisten, die mo-mentan in Syrien im Gefängnis sitzen, müssen umge-hend freigelassen werden, so die Organisation in einerPressemitteilung. Jüngstes Opfer der Kämpfe ist dersyrische Journalist Musaab Audatallah. Am 22. Auguststürmten Sicherheitstruppen Medienberichten zufol-ge seine Wohnung in Damaskus und schossen ihnnieder. Audatallah hatte für die regierungsnahe Zei-tung Tischrin gearbeitet. Er soll mit der Oppositionsympathisiert und unter Pseudonym regierungskriti-sche Berichte geschrieben haben.

Wenige Tage zuvor, am 20. August, starb die ja-panische Kriegsreporterin Mika Yamamoto bei einemGefecht zwischen Regierungstruppen und Rebellen inAleppo (http://bit.ly/PtAqiy). Der palästinensische Fern-sehjournalist Baschar Fahmi und sein türkischer Ka-meramann Cuneyt Ünal von Al Hurra TV, die mit Ya-mamoto unterwegs waren, werden seitdem vermisst.In einem Youtube-Video behauptet die Freie SyrischeArmee, regierungsfreundliche Sicherheitstruppenwürden die Journalisten gefangen halten.

Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit ist Syrien mitPlatz 176 von 179 eines der Schlusslichter. Den syri-schen Präsidenten Baschar al Assad zählt ROG in seineraktuellen Liste vom 3. Mai 2012 zu den größten „Fein-den der Pressefreiheit“ weltweit. (http://bit.ly/IGdV9d).

Nuran Unal (3.v.l.) und Arzu Fahmi (4.v.l.)

mit Porträts ihrer vermissten Ehemänner

Cunneyt Unal und Bashar Fahmi.

Unal und Fahmi reistenam 20. August mit zwei

japanischen Journali-sten nach Syrien.

Mika Yamamoto wurdedort getötet.

Laufend aktualisierte Informationen zur

Situation von Journalistenin Syrien:

http://en.rsf.org/syria.html

Foto: REUTERS / Umit Bektas

Foto: http://en.rsf.org/

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In den slowakischen Medien kommen Roma vor allemals Problem vor: arm, ungebildet, kriminell und nichtintegrationsfähig. Davon hatten in Kosice, der zweit-größten Stadt des Landes, einige Journalistinnen undJournalisten die Nase voll: Um differenzierte Geschich-ten von und über Roma zu erzählen gründeten sie vorzwölf Jahren die Roma-Medienagentur MECEM. Inzwi-schen produziert MECEM ein eigenes Radiopro-gramm, Fernsehsendungen, eine Internetseite und eine eigene Zeitung. Damit informieren sie mit wach-sendem Erfolg differenziert über den Alltag und dieKultur der Roma-Minderheit.

Junge Roma lernen bei MECEM das Journalistenhand-werk in der Praxis. Inzwischen sind vier der fünf festen Reporter/innen und Redakteure bei MECEMRoma. „Sie leisten gute Arbeit“, freut sich Chefredak-teurin Jarmila Vaňova. So hat die Roma-Presse- undMedienagentur MECEM schon einige Preise gewon-nen – zuletzt den der österreichischen Erste Bank Stif-tung für soziale Integration und eine Auszeichnungdes slowakischen Kulturministers.

Im Osten der Slowakei leben die meisten Romain bitterer Armut: In ihren selbstgezimmerten Sied-lungen am Rande der Dörfer haben nur die wenigstenStrom oder fließendes Wasser. Arbeit findet kaum ei-ner von ihnen. Manche Siedlung meldet eine Arbeits-losenquote von 100 Prozent. Die wenigen Jobs in derstrukturschwachen Region gehen an „weiße“ Slowa-ken. Die „Zigeuner“ heißt es, seien ohnehin zu faulzum Arbeiten. Viele Lehrer schicken Roma-Kinder aufdie Sonderschule, wo sie unter ihresgleichen bleiben.Weiterführende Schulen in der Kreisstadt sind für diemeisten unerreichbar, weil ihre Familien die Fahr -karten für den Bus nicht bezahlen können. Seit Gene-rationen bleiben Roma so in einem Teufelskreis ausArmut und fehlender Bildung gefangen.

Hinzu kommt, dass immer noch sehr viele Fami-lien sechs, acht oder mehr Kinder haben. Die Älterenmüssen sich schon mit zehn oder zwölf um die klei-nen Geschwister kümmern. Mit 15 oder 16 sind vieleverheiratet und bekommen selbst ihr erstes Kind. FürsLernen bleibt da wenig Zeit.

Die Konflikte zwischen Roma und Nicht-Romaum Kleinkriminalität, Schmutz, Nachbarschaftsstrei-tigkeiten und die angeblich nicht miteinander ver-träglichen Kulturen sieht MECEM ChefredakteurinJarmila Vaňová nicht als Probleme zwischen Volks-gruppen: „Es ist die Armut, die die Probleme schafft.“

Seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, hö-ren die Roma, dass sie minderwertig seien. Die Nazisermordeten rund eine halbe Million „Zigeuner“ inden Konzentrationslagern. Ihre Sprache, das Roma-nes, war sogar noch zu Ostblock-Zeiten verboten. DieMenschen wurden, so wie viele andere Minderheitenweltweit, entwertet, entwurzelt und ihrer Identität be-raubt. Auf ihre Kultur und ihre Wurzeln ist Vaňovádennoch stolz: In den großen Roma-Familien helfeman sich gegenseitig, achte vor allem die Älteren und

die Mütter. „Wir teilen in der Not auch unser letztesBrot miteinander.“ Ihre beiden Identitäten als Slowa-kin und Roma erlebt die Journalistin als Bereicherung.

Erst allmählich besinnen sich zumindest die Ge-bildeteren unter ihnen auf ihre kulturellen Wurzeln:Viele junge Roma wollen wieder Romanes, die Spra-che ihrer Vorfahren lernen. In Kosice ist Mitte Mai daserste slowakisch-romanes-Wörterbuch erschienen.MECEM sendet sein Programm auch auf Romanes.

Hetzen im Parlament. Wie nötig diese Arbeit weiter-hin ist, zeigen schon ein paar einfache Zahlen: Ob-wohl nach Schätzungen fast zehn Prozent der slowa-kischen Bevölkerung Roma sind, sitzt nur einer vonihnen im Parlament. Selbst dort dürfen Abgeordneteungestraft gegen die Minderheit hetzen: „Aktiv sinddie Roma nur, wenn sie Kinder machen und da sindsie sehr aktiv“, zitiert MECEM einen nationalistischenslowakischen Politiker. „Die Journalisten schreiben

und senden, was die Mehrheitsgesellschaft erwartet“,kritisiert Jarmila Vaňová. In vielen Beiträgen würdenEreignisse an der Volkszugehörigkeit der Beteiligtenfestgemacht. So bleibe die Individualität der Menschenauf der Strecke.

Auch viele westliche Reporter machen Roma zuStatisten der Vorurteile. Die MECEM-Chefin erzähltvon einem britischen Kamerateam, das eine Roma-Fa-milie dafür bezahlte, dass sie den Stoff für eine Hor-rorgeschichte lieferten: Mitglieder der Familie solltensich auf „gepackte Koffer“ setzen und auf Kosten desSenders nach England fliegen, um die Bilder für dieangebliche Invasion der „Zigeuner“ ins britische So-zialsystem zu liefern. Immerhin hat MECEM durch-gesetzt, dass der Fake-Beitrag nicht ausgestrahlt wur-de. Ein Zeitungsartikel ähnlicher Machart erschiendennoch. Die Leute von MECEM recherchierten nachund stellten den Ver-gleich zwischen Arti-kel und Wirklichkeitins Internet. „Weiluns die Reporter mitteuren Schadener-

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Gegen verzerrte BilderRoma produzieren in Kosice ein eigenes Radio- und Fernsehprogramm

➧ Infos und Features

http://www.mecem.sk/rpa/?lang=english

Ein sehenswertes Feature von MECEM: Jarmila Vaňova führt mehrere Tatsachen auf, die siezu dem Schluss führen, dass Roma-Stimmen bei Wahlen gekauft werden.

Screenshots: www.mecem.sk/rpa/?id=human&lang=english -> Human rights

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satzklagen gedroht haben, mussten wir die englischeVersion unserer Gegenüberstellung vom Netz neh-men“, berichtet Vaňová.

Auch die falsche Geschichte von einer slowaki-schen Roma-Siedlung, die angeblich geschlossen inden Westen auswandern wollte, verbreitete sich inganz Europa. Die Journalistinnen und Journalistenvon MECEM fanden heraus, dass die Siedlung nur1.100 und nicht wie behauptet 2.000 Einwohner hat-te und dass nicht alle sondern nur etwa 100 Bewoh-nerinnen und Bewohner ausgewandert sind – verteiltüber zehn Jahre. Noch wilder trieb es Anfang 2012 dieSchweizer Weltwoche: Über die Agentur Life kaufte dieRedaktion das Foto eines Roma-Jungen im Kosovo,der mit einer Spielzeugpistole auf den Fotografen zielt.Darunter stand: „Die Roma kommen: Raubzüge in derSchweiz. Familienbetriebe des Verbrechens“.

Doch schon die Summe vieler kleiner Fälschun-gen verzerrt das Bild der Roma. Oft bezahlten Journa-listen Roma für das von ihnen gewünschte Verhalten,um sie dabei dann zu filmen oder zu fotografieren: Re-porter geben ihnen Geld für ordinäres Fluchen oderdafür, dass sie Müll aus dem Fenster werfen.

Um solchen Auswüchsen entgegen zu wirken,unterstützt MECEM auch Kolleginnen und Kollegen,die über die Roma berichten wollen. Aber Chefredak-teurin Vaňová erinnert sich auch noch gut an einedeutsche Journalistin, die einen Tag vor Weihnachtenfür nur eine Stunde eine Roma-Siedlung besuchenwollte, um dann für die Feiertage mit ihrer Familie indie Berge zu verschwinden. Die „Kollegin“ hatte MECEM gebeten, den Besuch entsprechend vorzu -bereiten. Jarmila Vanová sagte ab.

Interessengeleitet. Skeptisch sieht die Chefredak-teurin auch die vielen gut meinenden Journalistinnenund Journalisten, die über die vermeintliche oder tat-sächliche Not der Roma berichten und sie damit indie reine Opferrolle drängen. Die Informationen fürdiese Berichte und Reportagen kämen häufig nur vonMenschenrechtsorganisationen, die damit oft eigeneInteressen verfolgten. Schließlich lebten sie davon,dass neue „Hilfsprogramme“ aufgelegt werden. So hätteeine tschechische Organisation vermutlich Berichteüber einen angeblichen Ansturm von Roma-Asylbe-werbern aus der Slowakei lanciert, um an Geld für dieBetreuung der angeblichen Flüchtlinge zu kommen.„Kurz nachdem wir diesen Verdacht veröffentlicht

hatten, hörte dieseKampagne auf“, be-richtet Vaňová. Siebe klagt, dass zu vieleJournalisten zu wenigüber die Roma wüss-ten und mangels Zeitfür gründliche Re-cherche bewusst oderunbewusst falsche In-formationen weiter-tragen: „Ein Journalist,der ein realistischesBild der Wirklichkeitliefern will, muss zu-mindest einen Teil sei -ner Geschichte selbsterlebt haben.“ Robert B. Fishman n

Leiter des Medienzentrumsvor MilitärgerichtSeit Februar gibt es kaum noch Neuigkeiten über das Schick-sal von Mazen Darwish. An diesem Tag wurde der Leiter des„Syrischen Zentrums für Medien und freie Meinungsäußerung“zusammen mit mehreren Mitarbeitern und Besuchern in derHauptstadt Damaskus festgenommen. Seitdem weigern sichdie Behörden, Anwälten oder Familienangehörigen Informa-tionen über den Verbleib von Mazen Darwish zu geben.

Die Razzia am 16. Februar 2012 wurde Augenzeugen zufolgevon uniformierten Männern vorgenommen, die Angehörigedes Luftwaffengeheimdienstes sein sollen. Die acht ebenfallsfestgenommenen Mitarbeiter des Medienzentrums müssensich zurzeit vor einem Militärgericht verantworten. Der Rich-ter hat den Geheimdienst mehrfach aufgefordert, Darwish alsZeugen vorzuführen, doch kam die Behörde der Aufforderungnicht nach. Am 6. August schließlich hieß es, Darwish könnenicht als Zeuge auftreten, weil er an ein geheimes Militärge-richt übergeben worden sei.Amnesty International ist über diesen Hinweis alarmiert.Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation sind dieProzesse vor diesen geheimen Gerichten extrem unfair. Rechts-beistände sind dort nicht zugelassen, die Verhandlungsterminesind geheim. Rechtsmittel gegen Urteile sind nicht möglich.Gegen manche Angeklagte sind in den vergangenen Jahren –auch schon vor Beginn der Proteste gegen Präsident Basharal-Assad vor eineinhalb Jahren – Todesurteile verhängt wor-den. Auch die Hinrichtung der Verurteilten findet unter Ge-heimhaltung statt.

Seit Beginn der Proteste in Syrien sind mehrere tausend Op-positionelle festgenommen und in der Haft gefoltert worden.Amnesty International liegen die Namen von etwa 500 Ge-fangenen vor, die in der Haft zu Tode gekommen sein sollen.Für die meisten Menschenrechtsverstöße im Land sind die Sicherheitskräfte der Regierung verantwortlich, aber auch dieAufständischen haben sich Misshandlungen zuschulden kom-men lassen.Es ist nicht bekannt, was genau Mazen Darwish vorgeworfenwird. Amnesty International ist jedoch überzeugt, dass er lediglich inhaftiert worden ist, weil er seine Meinung frei ge-äußert hat und für das Syrische Medienzentrum arbeitet.

Was können Sie tun?Schreiben Sie an den syrischen Verteidigungsminister und for-dern Sie die Freilassung von Mazen Darwish, dem Leiter des Syrischen Medienzentrums in Damaskus. Schreiben Sie aufArabisch, Englisch oder Deutsch an:

amnesty internationalPostfach 53108 BonnTel.: 0228 / 98 37 30 www.amnesty.de

ver.diBundesverwaltungPaula-Thiede-Ufer 1010179 Berlinwww.verdi.de

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His Excellency ‘Imad al-FraijMinistry of DefenceOmayyad SquareDamascusSYRIENFax: 00 963 – 11 223 7842

Bitte senden Sie auch eine Kopie an:

Botschaft der ArabischenRepublik SyrienFrau Abir Jarf, Geschäftsträgerin a.i.,Gesandte-BotschaftsrätinRauchstraße 25, 10787 BerlinFax: (030) 5017 7311E-Mail: [email protected]

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In der Türkei findet derzeit einer der weltweit größtenProzesse gegen kritische Journalisten statt. Sie sollender kurdischen PKK-Guerilla angehören oder ihr zu -arbeiten und damit den Terror unterstützen. Verteidi-gung, Gewerkschaften und Menschenrechtsorgani -sationen sehen darin einen Versuch der islamischenAKP-Regierung, die kurdische Presse vor dem Hinter-grund des verstärkt militärisch geführten Kampfes gegen die PKK mundtot zu machen.

„Gerechtigkeit ist die Grundlage der Macht“ (AdaletMülküm Temeledir) – dieser Spruch ziert viele türki-sche Gerichtssäle. Ob die goldenen Lettern auch aufdas 15. Sonderstrafgericht zutreffen, bezweifeln dieAnwälte der 44 dort angeklagten Journalisten. Ihnenwird in einem der sogenannten KCK-Verfahren Zuge-hörigkeit oder Arbeit für „die Organisation“ vorgewor-fen. Gemeint ist die verbotene Union der Gemein-schaften Kurdistans (KCK), die als politischer Arm derPKK-Guerilla gilt. Die Angeklagten, von denen 36 seitüber neun Monaten in Untersuchungshaft sitzen,sind überwiegend Kurden oder arbeiten für kurdischeMedien.

Der Andrang im Justizgebäude im IstanbulerStadtteil Caglayan war Mitte September groß, und derVorsitzende Richter Ali Alcin wechselte angesichtswinkender Angehöriger und Sprechchören („Wir wer-den niemals schweigen“) zwischen Bitten um Ruheund der Unterbrechung des Prozesses. Nach vier Tagenvertagte er ihn auf den 12. November. Er wird dannim 80 Kilometer von Istanbul entfernten Gefängnisvon Silivri fortgesetzt. Das war eine schwere Enttäu-schung für Angehörige und Kollegen der Angeklagten,hatten sie doch gehofft, dass wegen der nach ihrerÜberzeugung dünnen Beweislage wenigstens einigeHäftlinge auf freien Fuß gesetzt würden. Freigelassen

wurden schließlich nur zwei Journalisten von der tür-kischen Tageszeitung Vatan.

Als Beweise führt die Staatsanwaltschaft unter an-derem abgehörte Telefonate, Notizen und Berichte so-wie Aussagen überwiegend anonymer Zeugen an. Bei-spiel Fatma Kocak: Die Herausgeberin der prokurdi-schen Nachrichtenagentur DIHA soll Informationenüber eine Rebellen-„Aktion“ veröffentlicht haben, oh-ne die Sicherheitskräfte darüber in Kenntnis zu setzen.Ferner wird ihr die Teilnahme und der Bericht über ei-ne Frauenkonferenz in Venezuela zur Last gelegt sowieein Artikel unter dem Titel „Kann die demokratischeAutonomie für die Lösung (des Kurdenkonflikts) einModell sein?“ (Unter dem Begriff „Demokratische Autonomie“ fasst die KCK den Versuch zusammen,lokale Selbstverwaltungsstrukturen neben den staat -lichen Behörden aufzubauen.)

In einem anderen Fall gilt die Berichterstattungüber Folgen des Erdbebens von Van als strafwürdig.VerlagsmitarbeiterInnen stehen vor Gericht, weil sieRechnungen gestellt und Vertriebserlöse eingetriebenhaben. Über das Konto des Herausgebers der Tages -zeitung Özgür Gündem, Ziya Cicekci, sollen so „im Na-men der Terrororganisation Gelder beschafft“ wordensein.

Die Verteidigung mit insgesamt 100 Anwältenmachte von Anfang an klar, dass sie die Anklage für

rein politisch motiviert hält.Das Sondergericht sei „abhän-gig von den Interessen der Re-gierung“, um die kurdischePresse insgesamt mundtot zumachen, sagte einer der An-wälte. Es sei demokratischnicht zu kontrollieren undwerde nach dem Prozess wie-der aufgelöst. Nicht eine ein-zige Waffe gehöre zu den Beweismitteln, sondern nurNotizblocks und Adressbü-cher, die alltäglichen Arbeits-mittel von Journalisten. Auchdie anonymen Zeugenaus -sagen sind in den Augen derVerteidigung wertlos. Diesekönnten nicht überprüft wer-den, und die Formulierungenin polizeilicher Behördenspra-che lässt sie zweifeln, ob esdiese Zeugen überhaupt gibt.Die Anwälte forderten des-halb die Einstellung des Ver-fahrens und die Freilassung al-ler Angeklagten. Richter Alcinwies all dies zurück. „Wir be-urteilen nicht die kurdische

Presse oder die kurdische Sache, sondern Personen,denen Vorwürfe gemacht werden“, sagte er.

In ernstem Zweifel daran hatte die dju Hessen be-reits vor dem Prozess eine Patenschaft für den ange-klagten Ömer Celik übernommen und beteiligt sichdamit an einer Kampagne der Europäischen Journa-listenföderation EJF „gegen zunehmende Unter -drückung der Pressefreiheit in der Türkei“. ÄhnlichReporter ohne Grenzen: „Das (türkische) Rechtssys-tem missbraucht weiterhin massiv seine Autorität.Seit Jahren verurteilen wir die Kriminalisierung kriti-

Um sie mundtot zu machenTürkei: 44 kurdische Journalisten vor Gericht – dju-Vertreter als Beobachter in Istanbul

Plakat der Journalisten -gewerkschaft TGS gegen die Inhaftierung von 95 Journalisten.

In der Redaktion der kurdi-schen Zeitung Özgür Gündemwird der Journalisten gedacht, die ums Leben gekommen sind.

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➧ Weitere Informationen:

http://dju.verdi.de/internatio-nales/journalistenprozesse

Siehe auch Veranstaltungs-hinweis S. 47

schen und engagierten Journalismus. Artikel werdenals Terrorakte eingestuft und Anti-Terror-Gesetze undUntersuchungshaft systematisch missbraucht“, heißt esin einer ROG-Stellungnahme. Emma Sinclair-Webb vonHuman Rights Watch sagte laut Tageszeitung Dünya:„Das harte Durchgreifen gegen die kurdische Presseweckt schwere Befürchtungen über den Umgang mitMinderheiten und Minderheitenmeinungen.“

Gleich zu Prozessbeginn hatten die Anwälte das„Menschenrecht“ der Angeklagten eingefordert, sichin ihrer Muttersprache Kurdisch verteidigen zu dür-fen. Richter Alcin verweigerte auch dies unter Hinweisauf den Vertrag von Lausanne aus dem Jahre 1923.Dem zufolge werden in der Türkei nur religiöse Grup-pen als Minderheiten anerkannt. Den Kurden, mehr-heitlich Moslems, steht deshalb laut Alcin kein Dol-metscher zu. Die Angeklagten quittierten dies, indemsie sich mit schwarzen Streifen den Mund zubanden.

Der Prozess fand auch international Aufmerk-samkeit. Aus Deutschland war eine Delegation vonWissenschaftlern, Politikern, dju-Vertretern und Jour-nalisten angereist. Der Hamburger Völkerrechtler Prof.Norman Paech nannte es einen „Skandal“, dass sichin der Türkei derzeit insgesamt fast 90 Journalisten inHaft befinden. „Wir sind hier, um den schleichendenProzess der Aufhebung der Unabhängigkeit der Ge-richte öffentlich zu machen“, fügte er hinzu. In einerErklärung der deutschen Delegation heißt es: „EineTürkei, die sich in ihrer Verfassung als demokrati-scher, laizistischer und sozialer Rechtsstaat definiert,macht sich mit der Behinderung der freien Presse un-glaubwürdig. … Solange JournalistInnen, die ihrenBerufen nachgingen, mit Vorwürfen, die den Grund-sätzen eines demokratischen Rechtsstaats widerspre-chen, in Haft gehalten werden, solange wird man voneiner funktionierenden Demokratie in der Türkeinicht sprechen können“. Die Türkei wird aufgefor-dert, die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkeizu gewährleisten und die sofortige Freilassung aller Inhaftierten zu veranlassen.

Der Vorsitzende der türkischen Journalisten -gewerkschaft Ercan Ipekci wies im Gespräch mit derDelegation auf ein Bekenntnis von InnenministerIdris Naim Sahin hin, der unumwunden zugegebenhabe, dass die Operation gegen die kritische Pressevon der Regierung zentral beschlossen, geplant undumgesetzt worden sei. Er verglich die Angriffe auf kur-dische Medien mit den militärischen Operationen ge-gen die Kurden-Rebellen im Südosten der Türkei.Ipekci berichtet über großen politischen Druck der Re-gierung auf die Verleger. So sei der Dogan Konzern miteiner milliardenschweren Steuerforderung in die Kniegezwungen worden und habe jegliche regierungs -kritische Berichterstattung eingestellt. Dogan und an-

dere Verlage gehören zu größeren Wirtschaftsimpe-rien. Diese seien von Regierungsaufträgen abhängig.Für Ipekci ist die AKP-Regierung dabei, „ihre Mei-nungshoheit und ideologische Vorherrschaft zu etab-lieren“.

Wie das geht, schilderte der arbeitslose JournalistErtugrul Mavioglu, der den Prozess beobachtete. DieRegierung nehme direkten Einfluss auf die Redak -tionsleitungen. Chefredakteure würden regelrecht„abgeordnet“. Als seine Artikel bei der TageszeitungRadikal wiederholt abgelehnt wurden, fühlte er sichgemobbt und akzeptierte seinen Rausschmiss gegeneine Abfindung. In den so genannten KCK-Operatio-nen sitzen nach kurdischen Informationen derzeitmehr als 8.000 Politiker, Bürgermeister, Abgeordnete,Wissenschaftler, und Gewerkschafter unter dem Ter-rorvorwurf in Haft. Offiziellen Angaben zufolge sollenes „nur“ 1.000 sein. Edgar Auth n

Zum Prozessauftakt gab es eine improvisierte Presse -konferenz vor dem IstanbulerGericht mit Abgeordnetender kurdischen Partei BDPund Anwälten, darunter Eren Keskin (hinten Mitte).

In Österreich kündigten die Zeitungsverleger den der-zeitigen Kollektivvertrag (KV). Einigt sich der Verbandnicht bis zum 31. Dezember mit den Gewerkschaftenläuft der alte KV aus. Die Journalistengewerkschaftwertet diesen Vorstoß angesichts laufender jahrlangerVerhandlungen als „Kriegerklärung“ und reagiert mitzahlreichen Protest-Versammlungen in vielen Medien-häusern.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di erklärt sich in einer Resolutionsolidarisch mit den von der Kündigung ihres Kollek-tivvertrags betroffenen österreichischen Kolleginnenund Kollegen. „Die Vorgangsweise ist tatsächlich eineProvokation, wenn diese Kündigung mit der Auffor-derung verknüpft wird, dass bis Jahresende ein neuerKollektivvertrag ausgehandelt werden solle. Offenbarsoll damit an Arbeitsplatzabbau in Redaktionen undVersuche, die geltenden kollektiven Regelungen fürJournalistInnen zu unterlaufen, angeknüpft werden.Wir kennen diese Herangehensweise aus eigener Er-fahrung und müssen uns selber immer wieder gegenVersuche der Verleger wehren, die Redaktionen kaputtzu sparen“, heißt es.

„Die dju in ver.di fordert den österreichischenZeitungsherausgeberverband mit Nachdruck auf, dieKündigung des Kollektivvertrags zurückzuziehen undmit konstruktiver Grundeinstellung an den Verhand-lungstisch zurückzukehren, den sie im Juni willkür-lich verlassen haben.“ Red. n

Solidarische Grüße

Reso

luti

on

Fotos: Joachim Legatis

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44 M 7.2012

MEDIEN + INTERNATIONAL

Korruption in Mexiko ist das Thema von Ana Lilia Pérez. Ihre Berichte und Publikationen sind gefährlich,vor allem wenn höchste politische Kreise betroffensind. Nun hat sie Zuflucht in Hamburg gefunden – weilsie in Mexiko um ihr Leben fürchten musste.

„Die ersten Morddrohungenhabe ich direkt im An-schluss an das Erscheinenvon „El Cartel Negro“ („Dasschwarze Kartell“) erhalten.Doch wer dahinter steckt,darüber kann ich nur speku-lieren“, erklärt Ana Lilia Pé-rez und rückt die schwarze,rechteckige Brille mit denrosafarbenen Bügeln zu-recht. Das brisante Buchüber das organisierte Verbre-chen und die Netzwerkerund um Mexikos halbstaat-lichen Erdölkonzern Petró -

leos Mexicanos (Pemex) hat in Mexiko viele Schlag-zeilen gemacht. Minutiös weist die Journalistin darinnach, welches Interessensgeflecht, welche Machen-schaften und welch ein Maß an Vorteilsnahme undKorruption es rund um den wichtigsten Konzern desLandes gibt. Wie Kartelle die Pipelines der Pemex an-zapfen und den Treibstoff dann in Eigenregie in denUSA verkaufen – geduldet von staatlichen Funktionä-ren und gedeckt von Mitarbeitern des Konzerns, diedabei kräftig mitverdienen. So wie GewerkschaftsbossCarlos Romero Dechamps, der seiner Tochter mit demGehalt eines einfachen Erdölarbeiters ein Jet Set-Le-ben ermöglicht. Keine haltlosen Vorwürfe, sonderneine detailliert untermauerte Anklage, der Ana LiliaPérez Dokumente und Interviewpassagen angefügthat, so dass auch die Staatsanwaltschaft eine Fülle vonAnsatzpunkten findet.

Hartnäckig, investigativ, ethisch. Das brisante Buchhat in Mexiko für Schlagzeilen gesorgt und auch ei-nen parlamentarischen Untersuchungsausschuss

nach sich gezogen. Nicht zum erstenMal, denn die 35-jährige Frau mitdem vollen Gesicht und den halblan-gen pechschwarzen Haaren gehört zuMexikos international bekannten in-vestigativen Journalistinnen. Seitmehr als einer Dekade beschäftigt siesich mit dem Energiesektor. „Der istzum einen ein Stück Nationalheilig-tum, weil die Mexikaner überausstolz auf das größte Unternehmendes Landes sind, zum anderen jedochsehr attraktiv für Parteiinteressen, Po-litik und Kartelle“, so die kleine, agileFrau. In Reportagen und Hinter-grundberichten hat sie nachgewie-sen, wie immer wieder die Politik ihre

Hand nach der Pemex ausstreckte. Erst die PRI (Parteider institutionalisierten Revolution), die mit denWahlen Ende Juni nach zwölfjähriger Abstinenz wie-der in die Regierungsverantwortung gewählt wurde,dann die PAN (Partei der Nationalen Aktion). Mit derkonservativen Partei und deren Präsidenten VicenteFox und Felipe Calderón sowie ihren Machenschaftenim Energiesektor, von denen Kinder und Angehörigeprofitierten, hat sie sich in einem weiteren Buch beschäftigt. Und nebenbei auch nachgewiesen, dassMexikos einflussreichster Gasmagnat, Jesús ZaragozaLópez, den Wahlkampf von Felipe Calderón, Mexikosnoch amtierenden Präsidenten, mitfinanziert hat.

Brisante Recherchen, die die Reporterin seit 2003für das investigative Magazin „Contralínea“ („Gegenden Strich“) durchführt. Das erscheint alle vierzehnTage und gehört zu den Medien, in denen noch akri-bisch recherchiert wird. Überaus riskant in Mexiko –vor allem wenn es um die Machenschaften der Kartelle und prominente Politiker geht. Ihnen ist AnaLilia Pérez mit ihrer Arbeit auf die Füße getreten. Sohat sie beispielsweise nachgewiesen, dass in Gastanksdoppelte Böden für den Kokaintransport in die USAeingebaut waren.

Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt. Ihre Berichte haben sie in den Fokus von Auftragskillerngebracht. Seit dem Erscheinen des Buches im Novem-ber 2011 verging kaum ein Tag, an dem nicht eine E-Mail oder ein Anruf einging, in der sie bedroht wur-de. Vier Personen schützer waren bis zur Ausreise am25. Juni damit beschäftigt, die investigative Reporte-rin vor Anschlägen zu schützen. Seit dem 26. Juni ist sienun in Sicherheit. Die „Hamburger Stiftung für poli-tische Verfolgte“ hat für sie eine Wohnung gefunden.„Das Stipendium der Stiftung kam genau zum richti-gen Zeitpunkt. So hatte ich eine Option: Mexiko zuverlassen, erst einmal zur Ruhe zu kommen und wiedereinen klaren Gedanken zu fassen.“ Eines stünde je-doch fest: „Ich werde zurückkehren und meine Arbeitfortsetzen“, erklärt sie mit fester Stimme. Ihren Beitragmöchte sie leisten, damit Mexiko irgendwann wirk-lich eine demokratische Regierung hat.

Das wird derzeit international mehr anerkanntals im Heimatland. So nimmt Ana Lilia Pérez, die Ar-chäologie und Anthropologie studierte bevor sie zumJournalismus wechselte, am 8. Oktober in Leipzig den„Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ inEmpfang. Eine Würdigung ihrer Arbeit, die in Mexikoderzeit wohl kaum möglich wäre. Der neuen Regie-rung steht sie nämlich ausgesprochen reserviert ge-genüber. „Es droht die Wiederauferstehung der PRI-Maschinerie – nur mit einem deutlich jüngeren Re-präsentanten“, mahnt sie. Bis zur Jahrtausendwendehatte die PRI, die Partei der institutionalisierten Revo-lution, in Mexiko die nahezu perfekte Diktatur aufge-baut. Für die freie Meinungsäußerung und die Pressesei die Wiederwahl der PRI nach zwölf Jahren konser-vativer Herrschaft alles andere als ein gutes Zeichen.

Knut Henkel n

Im Fokus der KartelleEine investigative mexikanische Journalistin findet Zuflucht in Hamburg

➧ Ana Lilia Pérez

Leider sind ihre Bücher bishernur auf Spanish zu erhalten.

Foto: Knut Henkel

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M 7.2012 45

Bei RTVE, der neben zwei Fernsehsendern und meh-reren Themenkanälen ein breites Angebot an Radio-programmen unterhält, werden im laufenden Jahr 37Prozent (204 Millionen Euro) der staatlichen Zuschüs-se gestrichen. Zusammen mit einem Gesetz, das denSendern bereits in der vergangenen Legislaturperiodedas Recht entzog, Werbung auszustrahlen, macht die-se Entscheidung einen weiteren Sendebetrieb auf ho-hem Niveau unmöglich. „Wo genau sie das Geld ein-sparen wollen, ist noch nicht klar“, erklärt die Nach-richtensprecherin und Mitglied im Betriebsrat beiRTVE, Ana Molano. Sie befürchtet, dass es auf Kostendes Personals geht. „Denn der Haushalt für den Sen-debetrieb steht bereits für das gesamte Jahr fest. Dakann nicht weiter gespart werden.“ Bleiben die 6.000Beschäftigten. Zehn Prozent davon haben nur einenZeitvertrag. „Mit der neuen Arbeitsgesetzgebung, dievon der Regierung Rajoy eingeführt wurde, sind sieganz leicht zu entlassen“, befürchtet Molano, Mitgliedbei Spaniens größter Gewerkschaft CCOO.

Die neue Geschäftsführung von RTVE ist erstmalsseit 2006 wieder vollständig regierungshörig. Rajoyhat auch hier das Gesetz reformiert. Statt im parla-mentarischen Konsens einen Geschäftsführer zu su-chen, kann dieser jetzt mit absoluter Parlamentsmehr-heit ernannt werden. Rajoys Volkspartei (PP) verfügtüber diese und hat einen engen Vertrauten durchge-setzt. Die Moderatoren, die nicht mit den Konservati-ven sympathisieren, mussten gehen. Programme mitkritischen, politischen Inhalten, die unter dem sozia-listischen Vorgänger Rajoys, José Luis Rodríguez Za-patero, in Funk und Fernsehen Zuschauer- und Zu -hörerrekorde feierten, wurden durch langweilige Talk-

shows ersetzt. Erstmals seit Jahren werden wiederStierkämpfe live übertragen.

„Ich glaube nicht an öffentlich-rechtliche Me-dien“, erklärt Esperanza Aguirre, Parteifreundin Ra-joys und Präsidentin der Region rund um die Haupt-stadt Madrid. Ihr Landessender Telemadrid und dasFernsehen in der ebenfalls von den Konservativen regierten Region Valencia RTVV stehen kurz vor derPrivatisierung. Beide Anstalten stehen tief in den ro-ten Zahlen. Telemadrid verzeichnete im vergangenenJahr 116 Millionen Euro an Verlusten, der Sender inValencia 171 Millionen Euro. Die Konservativenschimpfen mit Blick auf die Schuldenkrise über die„Geldverschwendung“. Hinter vorgehaltener Handwird erklärt: Im Zeitalter des Internets hätten die Sen-der als Propagandainstrument ausgedient. Bei RTVVin Valencia wurde bereits ein Massenentlassungsver-fahren eingeleitet. Bis zum Jahresende werden 1.198der 1.800 Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, einer vondrei Kanälen wird geschlossen. Bei Telemadrid bereiteteine Beraterfirma die Restrukturierung und den an-schließenden Verkauf vor. Der Betriebsrat befürchtet,dass zwei Drittel der 1.200 Beschäftigten auf der Stre-cke bleiben.

Geldfluss in dunkle Kanäle. „Als Aguirre 2003 dieRegierung übernahm, war die Sendeanstalt völlig ge-sund“, rechnet die zweitgrößte Gewerkschaft Spa-niens, die sozialistische UGT, in einer Untersuchungzu Telemadrid vor. 17,1 Prozent der Zuschauer in derRegion schalteten ihren Landessender ein. Heute sindes noch 6,4 Prozent. Sinkende Einschaltquoten füh-ren zu sinkenden Werbeeinnahmen. „Als Aguirre andie Regierung kam, deckte Telemadrid 50 Prozent derKosten mit Werbeeinnahmen. 2011 waren es noch 27Prozent“, lautet das Ergebnis der UGT-Studie. DerGrund für diese Entwicklung: Der Sender wurde nachund nach zum politischen Sprachrohr der Landesre-gierung. „Um fragen zeigen, dass sieben von zehn Ma-dridern der Meinung sind, es handle sich um einenparteiischen Sender“, beschwert sich die UGT.

„Sie selbst sind für die Verschwendung von Gel-dern verantwortlich, über die sie sich jetzt beschwe-ren“, erklärt Paco Audije von der CCOO und Mitgliedim Executive Committee der Internationalen Journa-listen Förderation (IJF). Audije hat als ehemaligerNachrichten redakteur bei RTVE die Entwicklung inder Branche miterlebt. „Immer mehr Programme wur-den an private Produktionsfirmen vergeben, währendin den Sendeanstalten Personal und Einrichtungenungenutzt blieben. Meist gingen die Aufträge anUnter nehmen, die der jeweiligen Regierungspartei nahe stehen“, berichtet er. So mancher ehemalige leitende Angestellte einer Sendeanstalt machte seineeigene Produktionsfirma auf und verdiente danndank der Gelder aus den öffentlichen Sendeanstaltenein kleines Vermögen.

Wie weit diese Praxis ging, zeigt der Fall des Be-suchs von Papst Benedikt XVI. 2006 in Valencia.RTVV vergab die Live-Übertragung an ein der Landes-regierung nahestehendes Unternehmen und zahltedafür 7,4 Millionen Euro. Die tatsächlichen Kostenbeliefen sich auf 3,2 Millionen Euro. Der Rest flossüber dunkle Kanäle zurück an konservative Regional-politiker und in die Kassen der Partei. Spaniens obers-ter Strafgerichtshof, die Audiencia Nacional, ermittelt. Reiner Wandler, Madrid n

MEDIEN + INTERNATIONAL

Massenentlassungenund PrivatisierungSpanien: Streichorgie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Die Sparwut in Spanien hat die öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender erreicht.Beim staatlichen Radio Televisión Española (RTVE) wird ebenso die Schere angesetzt,wie bei den regionalen Sendern, die durch die jeweiligen Regionalverwaltungen sub-ventioniert werden. Ein neues Gesetz der konservativen Regierung unter Mariano Ra-joy ermöglicht es, Sendeanstalten zu privatisieren. Mehrere Regionen haben bereitsan gekündigt, davon Gebrauch machen zu wollen. Nach einer Sanierung sollen die Sen-der verkauft werden. Tausende Mitarbeiter fürchten um ihren Job.

➧ Protest

Beschäftigte protestieren am 6. Juni gegen Stellenab-bau und eine mögliche Privatisierung des TV-Sendersder Hauptstadtregion Telemadrid (s. Bild).

Foto: Reiner Wandler

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Michael Antwerpes gab die Leitungder Hauptabteilung Sport beim SWR-Fernsehen ab, um verstärkt alsModerator von Sport-, Ratgeber- undUnterhaltungssendungen im SWRund in der ARD wirken zu können.

Sandra Djajadisastra, früher Text-chefin von Glamour und Redakteurinbei Marie Claire, wurde stellv. Chef -redakteurin der FrauenzeitschriftFreundin. Die gleiche Position über-nimmt Anfang 2013 Coco Pelger, zuletzt Photo Director von InStyle. Jana Gutsche, bisher stellv. Mode-chefin von Freundin und Freundin Don-na, wurde Leiterin des Ressorts Mode.

Kotaro Dürr und Merih Ugur, beide bisher schon bei dem jungenSWR-Programm DASDING tätig, mo-derieren auf dieser Welle die Sendung„Aufstehen mit DASDING“.

Dorthe Ferber, bislang als Redakteu -rin im ZDF-Hauptstadtstudio vor allemfür Parteipolitik und soziale Themenzuständig, folgt zum 1. November als Leiterin des ZDF-LandesstudiosNordrhein-Westfalen in Düsseldorfauf Michaela Kolster, die für dasZDF Programmgeschäftsführerin beiPHOENIX wird.

Kai Henkel, bisher beim SWR Redak-tionsleiter der Dokumentations-Reihe„betrifft“ und in der ARD und ARTEfür viele Features und Reportagen zuständig, löste als Leiter der SWR-Fernsehabteilung Kultur und Gesell-schaft Peter-Michael Latzel ab, derbei ARTE Geschäftsführer und Koordi-nator für die ARD wurde.

Elisabeth Herzel, Artdirector von Essen & Trinken (G+J), wurde nebenClemens von Luck stellv. Chefredak-teurin des Food-Magazins. In ihrerneuen Funktion ist sie vor allem fürdie Bereiche Art und Food-Produktionzuständig.

Jan Hildebrand, bisher Redakteur im Ressort Politik der Blätter Die Weltund Welt am Sonntag, wechselt indas Hauptstadtbüro des Handels-blatts und wird ab Januar 2013 überFinanzpolitik berichten.

Die Journalistin und PR-Beraterin Regina Körner war nur acht Monatelang Kommunikationschefin der Ber-telsmann-Stiftung. Beide Seiten habensich zum 1. Oktober getrennt.

Rainer Laux, zuletzt Head of AfricanProductions and Mobile Content beider Modern Times Gruppe, über-nimmt die neu geschaffene Stelle eines Director TV bei Burda InternetPublishing.

Christine Longin, seit langem für dieNachrichtenagentur AFP Deutschlandtätig, zuletzt als Korrespondentin inParis, wechselte zu dapd, wo sie dieressortübergreifende Berichterstat-tung aus Frankreich verantwortet.

Iris Mayerhofer, zuletzt bei der TV-Produktionsfirma Endemol für dieSparte Dokutainment und Reality zu-ständig, wird bei Odeon Film einennicht-fiktionalen Bereich aufbauen.

Anne Nürnberger, früher u. a. Chef -reporterin bei Bild am Sonntag undMitglied der Chefredaktion der B.Z.,wurde Chefredakteurin CorporatePub lishing bei der köckritzdörrichGmbH (Reutlingen), die zur kdgroupgehört.

Isa Petereit, zuletzt als stellv. Chef -redakteurin für Women’s Health tätig,wird Ende November stellv. Chefre-dakteurin bei der FrauenzeitschriftBrigitte. Miriam Wiederer, bisherLeiterin des Ressorts Beauty von Gra-zia, löst zum Jahreswechsel als Chefindieses Ressorts bei Brigitte und allenunter dem Dach des Magazins er-scheinenden Publikationen ChristaMöller ab, die in den Ruhestandgeht. Zugleich wird Wiederer gemeinsam mit Fashion Director Anne Peter sen das Ressort Modeund Beauty leiten.

Dr. Susanne Pfab, bisher bei der ARDLeiterin der Geschäftsstelle der Gre-mienvorsitzendenkonferenz, soll nachdem Willen der Intendantinnen undIntendanten ARD-Generalsekretärinwerden, kann das seit Februar 2011vakante Amt aber aus familiärenGründen erst in rund zwei Jahren an-

treten. In diesem Zeitraum soll Dr. Michael Kühn, Hauptreferent imJustiziariat des NDR, als „Bevoll-mächtigter des ARD-Vorsitzes“ mitdem Generalsekretariat und demkünftigen ARD-Vorsitzenden (NDR)zusammenarbeiten.

Florian Pfitzner, der u. a. ein Volon-tariat bei der Neuen Westfälischen(Bielefeld) absolvierte, wurde Landes-korrespondent in Düsseldorf für diesesBlatt sowie das Mindener Tageblattund die Neue Osnabrücker Zeitung.

Kai Schöneberg, zuletzt bei der Fi-nancial Times Deutschland u. a. für

die Seite 1 zuständig, wurde bei dertaz neben Beate Willms Leiter desRessorts Wirtschaft und Ökologie. Für die taz war er schon von 2001 bis2009 tätig.

Johannes W. Steinbach, der als früherer Redakteur bei der Verlags-gruppe Handelsblatt, Chef vomDienst eines Hamburger Fachverlagssowie Pressesprecher bzw. -referentzweier Unternehmen über eine lang-jährige Berufserfahrung verfügt, gab seine Position als Pressesprecherdes Bundes Deutscher Heilpraktiker(BDH) auf, um sich auf sein Presse -büro JWS (Konz) zu konzentrieren. Zu seinen Schwerpunkten gehörenweiterhin die Pressearbeit und diePublikation redaktioneller Texte aufnaturheilkundlich-medizinischem Ge-biet.

Albert Wiederspiel, seit 2003 Leiterdes Filmfests Hamburg, bleibt bis2018 im Amt.

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Page 47: Auf ein Wort - M – Menschen Machen Medien (ver.di) · 4 M 7.2012 AKTUELL ver.di-Fernsehpreis verliehen Zum 48. Mal wurde am 27. September in Berlin der ver.di-Fernsehpreis verliehen

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Redaktionsschluss: M 7.2012: 26.09.2012M 8.2012: 21.11.2012ISSN-Nr.: 09 46 – 11 32

Veranstaltungen und Seminare für Selbstständige und Freie in Hamburg

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Medienkompetenz: Was ist eigentlich dieses Internet?

Dienstag, 4. Dezember 2012, 19 – 21 Uhr

Es gibt keine dummen Fragen... Selbständige erfahren einfach und verständ-lich, welche Angebote und Programme man heute so (nicht) braucht undwie man rein kommt ins Web 2.0. Voraussetzung: Grundlagenpraxis mitdem PC.Referent: Holger Ahrens, Projektleiter, Trainer, Web-Entwickler Moderation: Beate Schwartau, Unternehmungsberaterin & Coach

Prozess gegen türkische JournalistenIn der Türkei sind derzeit rund 100 Journalistinnen und Journa listen ange-klagt, groß teils inhaftiert. An den Gerichtsverfahren nehmen internationaleBeobachter teil, die durch ihre Präsenz die Türkei an ihre versprochene Demokratisierung und ihren Einsatz für Presse- und Meinungsfreiheit erin-nern wollen (s. auch S. 40). Joachim Legatis (Mitglied im dju-Bundesvorstand) stellt seine Erfahrungen alsProzessbeobachter und seine Einschätzung zur Lage der Pressefreiheit in derTürkei zur Diskussion am 29. Oktober um 19 Uhr im Café Wiesengrund,Am Weingarten 14 in Frankfurt am Main. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Eine kurze Rückmeldung erleichtertaber die Planung: [email protected]

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jenseits von googeln und mogeln? In mehrstündigen Workshops bekommt Ihr (Weiter-)Bildung nach Wahl, imNetz könnt Ihr Euren persönlichen „Stundenplan“ zusammenstellen. Das Weiterbildungsangebot hat die Qualität von Journalistenschulen, istanerkannt als Bildungsurlaub und dennoch bezahlbar – Tageskarten gibt esschon ab 15 Euro. Studierende und Schüler*innen können sogar kostenfreiteilnehmen, da LiMAregional mit den Studierendenvertretungen kooperiert.

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München am 10. NovemberLeipzig am 17. NovemberFrankfurt am Main am 24. NovemberBielefeld am 1. DezemberErfurt am 8. Dezember

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26. J

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TAG

„Einen guten Journalisten erkenntman daran, dass er sich nicht ge-mein macht mit einer Sache, auchnicht mit einer guten Sache.“ Das Zitat des Tages themen-ModeratorsHanns Joachim Friedrichs, das einem In-terview mit dem SPIEGEL aus dem Jahr

1995 entstammt, prägt die Arbeit vieler Journalistin-nen und Journalisten. Sie wollen neutral sein, objektivbe richten und ihre Leserschaft eigene Schlüsse ziehenlassen.

Wir wollen diese Herangehensweise hinterfragen undsie zur Diskussion stellen. Denn jede, wenn auch nochso neutral formulierte Beobachtung oder Schluss - folgerung ist subjektiv. Ihr liegt eine bewusste Ent-scheidung zugrunde.

Aber heißt das im Umkehrschluss, dass wir uns mitden Dingen, über die wir berichten, auch gemein ma-chen dürfen? Was hat es für Auswirkungen auf unsereArbeit, wenn wir diese Frage bejahen? Mit wem sollenwir uns gemein machen?

Das sind nur drei der Fragen, auf die wir auf dem 26. Journalistentag Antworten suchen.Sa

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4. N

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2012

Partei ergreifen –Sollen wir das? Dürfen wir das? Oder müssen wir das?

10.15 Uhr Eröffnung Frank Werneke(stellvertretender ver.di-Vorsitzender)

10.30 Uhr Sebastian Dullien(Professor der Volkswirtschaftslehre, Journalist):„Ihr wisst nicht, worüber Ihr schreibt –Womit macht Ihr Euch gemein?“

11.30 Uhr Ulrike Trautwein(Generalsuperintendentin der Evangelischen Kirche in Berlin):„Warum macht Ihr Euch nicht endlich gemeinmit der gerechten Sache?“Diskussion

12.30 Uhr Mittagspause

13.30 Uhr Schnipsel und Schlagzeilen Ein Film der DJS

13.45 Uhr Keynote Klaus Schrage(ehemaliger Lokalchef vom Schwabacher Tagblattund Gesellschaftsreporter der Nürnberger Nachrichten):„Wie machen sich Lokaljournalistinnen und -journalisten gemein mit ihrer Region?“

14.30 Uhr Kaffeepause

15.00 Uhr Podiumsdiskussion:Dürfen oder sollen sich Journalisten mit einer Sache gemein machen?• Welche Rolle spielen Verlagspolitik

oder Programmrichtlinien bei Recherche oderBerichterstattung?

• Kollidieren Redaktionsstatute mit Pressefreiheit?• Ist engagierter Journalismus unter den herr-

schenden ökonomischen Bedingungen möglich?

Es diskutierenNikolaus Blome(stellvertretender BILD-Chefredakteur)Elmar Theveßen(stellvertretender ZDF-Chefredakteur)Anita Stocker(Chefredakteurin Stiftung Warentest)

Moderation: Uli Röhm Diskussion mit dem Plenum

16.45 Uhr Schlusswort:Ulrich Janßen (dju-Vorsitzender)Cornelia Haß (dju-Bundesgeschäftsführerin)

Tagesmoderation: Inez Kühn und Uli Röhm

GEMEIN MACHEN

24. NOVEMBER 201210–17 UHR

im Haus der ver.di-Bundesverwaltung,

Paula-Thiede-Ufer 10in 10179 Berlin

http://dju.verdi.de/journalistentag-2012

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos.

Vorabendpartyam 23. November 2012

ab 19.30 Uhr im Atrium des ver.di-Hauses

Anzeige. Illustration: fotomek - Fotolia.com. Gestaltung: Petra Dreßler