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Fred McMason
Aufbruch in die Neue Welt
Mai 1598. Als die drei Pilgerschiffe aufbrachen, um den Atlantik zu überqueren,
herrschte auf den Galeonen noch fröhliche Stimmung. Sie wollten in die Neue Welt, jenen vielversprechenden Kontinent, auf dem
Sir Walter Raleigh bereits die Kolonie Virginia gegründet hatte. Es waren ein paar hundert Leute, die mit Kind und Kegel ihre Heimat England für
immer zu verlassen gedachten. „Drüben'' sollte alles besser sein, schöner, herrlicher, sorgloser, ein Land
in dem Milch und Honig flossen, in dem jeder ein riesiges Stück Land erhielt, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können.
Aber auf diesen drei Auswandererschiffen, das stand schon jetzt fest, würden bald Tränen fließen, Tränen des Kummers, der Sorge und der Verzweiflung,
Tränen des Heimwehs und der Angst. Und da war noch etwas: Eine Karavelle folgte dem Konvoi, besetzt mit waghalsigen Abenteurern...
Die Hauptpersonen des Romans: Robert Granville - der Kapitän der Auswanderer-Galeone „Discoverer" entpuppt
sich schon bei Beginn der Reise als korrupter Hundesohn. Harris - sein Erster Offizier vertritt eigene Ansichten und fliegt daher in einer
dunklen Nacht über Bord. Kelvin Bascott - der feiste Glatzkopf ist Koch auf der „Discoverer" und bar jeder
Skrupel, wenn er einen Mordauftrag erhält. Alec Morris - das adelige Bürschchen fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und will
sich duellieren. Philip Hasard Killigrew - der Auftrag der Königin, Auswanderer in die Neue Welt
zu bringen, schmeckt ihm gar nicht und steht von Anfang an unter einem ungünstigen Stern.
1.
Philip Hasard Killigrew stand fast unbeweglich auf dem Achterdeck der Schebecke und sah den drei Galeonen nach, die mit dem ablaufenden Ebbstrom themseabwärts segelten. Der kleine Konvoi bewegte sich noch sehr langsam.
Dieser Maimorgen versetzte fast alles in fröhliche Stimmung. Die Bäume an den Themseufern zeigten ihr erstes prächtiges Grün. Die Sonne war vor einer halben Stunde aufgegangen, und der Himmel glänzte in einem kühlen Blau.
Alles in allem war es ein herrlicher Morgen, wie er prachtvoller kaum sein konnte, ein Stimmungsbild, trotz der morgendlichen Frische.
Hasard hatte das Kommando über diesen Konvoi, der in die Neue Welt segeln sollte, um Siedler und Auswanderer hinüberzubringen. Die Königin selbst hatte ihn darum gebeten.
Der Seewolf lauschte wie gebannt einer hellen Stimme, die glockenhell und rein durch den glasklaren Morgen klang. Es war eine Frau, die da sang, aber er konnte sie unter der
Vielzahl der Menschen nicht entdekken.
Er wußte nur, daß der Gesang von der „Explorer" kam, einer Galeone unter Kapitän Amos Toolan, einem dicklichen frömmelnden Gemütsmenschen, den Edwin Carberry als freundliches puritanisches Rübenschwein bezeichnet hatte, als er ihn das erste Mal sah.
Freundliches puritanisches Rübenschwein, dachte Hasard belustigt. Carberry hatte die drei Kapitäne genau richtig eingeschätzt, und zwar auf den ersten Blick. Sie waren auch recht unterschiedlich.
James Drinkwater von der „Pilgrim" war ein beherrschter, hochgewachsener und gradlinig denkender Mann.
Robert Granville von der „Discoverer" hingegen war ein undurchsichtiger Kerl, herrschsüchtig, hemmungslos und wahrscheinlich ein korrupter Hundesohn, wenn Hasard ihn richtig taxiert hatte.
Aber das mußte erst die Zukunft ergeben. Er traute Granville jedenfalls nicht über den Weg. Zudem hatte es schon den ersten Ärger gegeben.
„Sie singen das Auswandererlied
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der Iren", sagte Ben Brighton. „Es ist eine etwas schwermütige Melodie, aber ein fröhlicher Text. Ich kenne dieses Lied, hab's schon oft gehört. Aber es klang nie so rein wie von dieser Frauenstimme."
Hasard nickte ausdruckslos. „Stimmt. Sie singt wunderbar." „Zieh in die Welt, die Welt ist groß
und wunderbar", sang die Frau, „zieh in die Welt und suche dort dein Glück. Ein froher Mut begleiten soll dich immerdar, dann bringt die Sehnsucht dich zur Heimat auch zurück."
Auf der „Explorer" wurde laut geklatscht, nachdem das Lied beendet war.
„Hört sich wirklich gut an", sagte Hasard mit einem leisen Seufzen. „Aber was wissen diese armen Leute schon von der großen Welt? Sie sind nie über London hinausgelangt. Sie sehen nur das gelobte Land vor sich und haben keine Ahnung, was ihnen mit der Überfahrt in ihrer qualvollen Enge noch bevorsteht."
„Du scheinst heute ganz besonders pessimistisch zu sein, Sir", sagte Don Juan de Alcazar, der sich ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielt. „Das ist doch sonst nicht deine Art."
„Mir gefällt der Auftrag nicht, aber ich konnte ihn schlecht ablehnen", erwiderte Hasard. „Pessimismus mag auch dabei im Spiel sein. Ich sehe mehr als dreihundert Menschen, zusammengepfercht wie Vieh auf drei kleinen Galeonen. Männer, Frauen, Kinder, Heranwachsende. Alle sind voller Optimismus, sie freuen sich auf das neue Fleckchen Erde, wo sie hoffen, in Ruhe und Beschaulichkeit leben zu können. Jetzt sieht alles noch rosig aus, erscheint abenteuerlich und neu. Wie aber wird es in etwa drei Wochen aussehen? Oder nur in vierzehn Tagen? Ich soll diese Schäf
chen zusammenhalten und darauf achten, daß sie die Neue Welt gesund und munter erreichen. Das ist wahrhaftig keine leichte Aufgabe."
„Das ist richtig. Noch sind wir auf der Themse", gab Don Juan zu. „Im Channel sieht es schon wieder ganz anders aus, und wenn wir in den Atlantik segeln, geht es erst richtig los."
„Und der Atlantik ist nur der Anfang. Wenn er seine Krallen zeigt, sieht es für die Leute schlecht aus."
Dan O'Flynn unterbrach ihr Gespräch und zeigte mit dem Daumen über die Schulter achteraus.
„Wollte eure Unterhaltung nicht stören, aber wir haben offenbar noch ein weiteres Schiff dazugekriegt. Uns folgt seit dem Ablegen beharrlich eine kleine Karavelle."
Der Seewolf drehte sich nicht einmal um.
„Das ist mir nicht entgangen. Sie ist eben ausgelaufen wie wir auch, zufällig zur selben Zeit. Sie haben den Ebbstrom genutzt, die günstigste Zeit, um themseabwärts zu segeln. So haben wir es auch getan."
„Irgend etwas ist merkwürdig an dem Schiff", beharrte Dan. „Die Kerle darauf sehen recht abenteuerlich aus, gar nicht so wie Seeleute im allgemeinen. Außerdem beobachten sie uns dauernd durch den Kieker."
„Sollen sie", sagte der Seewolf achselzuckend. „Möglicherweise sind es Angehörige der Pilger, die Freunde und Bekannte ein Stück auf der Themse begleiten. Um Piraten dürfte es sich wohl kaum handeln, denn die haben nicht viel zu erwarten von den armen Leuten."
Old O'Flynn starrte etwas finster und mit zusammengekniffenen Augen zu den drei voraussegelnden Galeonen, deren Decks von vorn bis achtern mit Menschen überfüllt waren.
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Sie standen zusammengedrängt da und blickten abschiednehmend auf ihre Heimat, die sie vermutlich nie wiedersehen würden.
„Diese Reise steht unter keinem guten Stern", sagte Donegal mehr wie zu sich selbst. „Das soll keine Unkerei sein, aber ich fühle es überdeutlich. Wir werden noch eine Menge Ärger kriegen."
„Hör auf", sagte Hasard scharf. „Kaum beginnt eine Reise, da tritt der alte Geisterseher auf den Plan und sieht schwarz. Ich will das nicht mehr hören, verdammt noch mal!"
„Man hört's an deiner Stimme, daß deine Laune nicht gerade die beste ist", entgegnete Old O'Flynn. „Du wirkst schon vor Antritt der Reise gereizt und nervös, wenn ich das bemerken darf."
„Wir haben auch keine leichte Aufgabe vor uns", sagte der Seewolf mit einem Grollen in der Stimme. „Und dann mußt du zu allem Überfluß noch düster daherreden."
„Das war nicht dahergeredet, das liegt in der Luft. Ich bin ganz besonders empfänglich dafür."
Hasard winkte verärgert ab. Er verfluchte sich selbst, daß er heute einen so ausgesprochen lausigen Tag hatte. Er konnte nicht einmal genau sagen, woran das lag, es gab eben solche Tage, da lief einem unerklärlicherweise eine Laus über die Leber. Vielleicht lag es daran, daß ihm die ganze Sache nicht gefiel.
Er hätte sich wohler gefühlt, wie ein Wolf in ein Rudel spanischer Galeonen einzubrechen und Beute zu reißen, als hier auf puritanische Pilger aufzupassen, die mit den allergrößten Erwartungen einem ungewissen Schicksal entgegenfuhren. Es war trotz des schönen Wetters und der all
gemein guten Laune eben etwas bedrückend.
„Schon gut, Donegal", sagte er und versuchte seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben. „Es war nicht so gemeint. Meine Stimmung wird sich im Laufe des Tages schon bessern, hoffe ich."
Seine Stimmung besserte sich jedoch nicht, denn in diesem Augenblick erschien einer der drei adligen Narren auf dem Achterdeck, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Schnösel, den Hasard nicht ausstehen konnte.
Drei dieser erlauchten Gentlemen hatten sie an Bord. Sie waren auf den besonderen Wunsch der Königin an Bord der Schebecke untergebracht worden, und es hatte gleich zu Anfang mit ihnen Ärger gegeben. Die Gents waren sich natürlich zu fein, um auf den „verwanzten" Pilger schiffen zu fahren. Man konnte ihnen auch nicht zumuten, sich mitten unter dem Pöbel und dem gemeinen Decksvolk zu bewegen.
So hatten sie an Bord Quartier gefunden, und ihr Benehmen war nicht gerade das, was man mit gentlemenlike zu bezeichnen pflegte. Die ersten Zusammenstöße mit den Arwenacks hatte es bereits gegeben.
Der Schnösel hieß Alec Morris. Er trug blaue Kniehosen, weiße Strümpfe und eine himmelblaue, bis zur Hüfte reichende Jacke, unter der ein Rüschenhemd hervorlugte. An den Füßen hatte er dunkle Schuhe mit silbernen Schnallen. Sein Gesicht war etwas rundlich, die Augen von einem wässerigen Blau. Sein Gehabe wirkte geziert und überheblich.
Da er auf den Morgengruß verzichtete, nahm Hasard ihn vorerst nicht zur Kenntnis und sah durch ihn hindurch. Offenbar erwartete dieser
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Affe einen Bückling von der gesamten Mannschaft.
Vielleicht hatte er mal gehört, daß Sir Francis Drake mit auf dem Rükken verschränkten Armen auf dem Achterdeck seines Schiffes hin und her zu gehen pflegte. Anscheinend hielt er das für eine sehr wirkungsvolle oder beeindruckende Pose, denn genau die gleiche Haltung nahm er jetzt ebenfalls ein. Mit etwas verkniffenem Mund marschierte er wie ein Admiral von einer Seite zur anderen. Wer ihn auf den ersten Blick so sah, mußte ihn zweifelsohne für den Kapitän der Schebecke halten.
Old O'Flynn sah ihm mißtrauisch zu und verfolgte argwöhnisch jede seiner Bewegungen. Don Juan runzelte unwillig die Stirn, während Ben Brighton und Dan etwas spöttisch grinsten.
Sie alle taten jedoch vorerst so, als sei er nicht vorhanden.
Von den beiden anderen Gimpeln war nichts zu sehen. Frank Davenport, ein hochverschuldeter Kerl aus adligen Kreisen, ruhte anscheinend noch. Auch Sir William Godfrey, ein älterer Mensch, ebenfalls aus Adelskreisen mit einer rötlichen Säufernase und leicht aufgedunsenem Gesicht, war noch nicht an Deck. Kein Wunder, sie hatten gestern abend noch kräftig einen gezecht.
Der schmächtige Geck marschierte auf und ab und blieb dann plötzlich vor Hasard stehen.
„Die Reise hat also begonnen", stellte er inhaltsschwer fest. „Nun bleibt natürlich die Frage offen, wie sie ausgeht. Wir befinden uns auf der Themse."
Das war eine sehr logische und sehr scharfsinnige Feststellung, wie der Seewolf vor sich selbst zugeben mußte. Die Reise hatte begonnen,
und sie befanden sich auf der Themse. Sehr klug war das.
Hasard gab keine Antwort. Er drehte sich nur einmal kurz um und warf einen Blick über die Schulter zurück. Die Karavelle folgte ihnen immer noch etwa schräg versetzt im Kielwasser.
„Ich bemerkte soeben, daß die Reise begonnen hat", sagte der Dandy etwas schärfer. „Und es bleibt noch die Frage offen, wie sich der Verlauf dieser Reise gestalten mag."
„Die Frage bleibt immer offen", sagte Hasard kühl, nachdem er sich jetzt doch zu einer Antwort entschlossen hatte. „Und daß die Reise begonnen hat und wir uns auf der Themse befinden, beruht auf der simplen Tatsache, daß wir die Leinen gelöst und die Segel gesetzt haben. Da uns kein anderer Fluß im Augenblick zur Verfügung steht, befinden wir uns logischerweise auf der Themse. Es ist stark zu vermuten, daß die anderen das ebenfalls bemerkt haben."
Morris sah das unverhüllte Grinsen in den Gesichtern der Männer auf dem Achterdeck und lief rot an. Er ärgerte sich über die Antwort. Er hatte auf seine Feststellung freudige Zustimmung erwartet, doch statt dessen ließ man ihn kühl abfahren.
Er nahm seine Wanderung wieder auf und musterte die Männer mit rotem Kopf. Aber die gaben seine Blicke nur kühl zurück oder sahen ihn gar nicht an.
„Wie lange wird die Überfahrt dauern?" fragte er nach einer Weile.
„Auch diese Frage wird vorerst noch offen bleiben", erwiderte der Seewolf. „Der Atlantik ist unberechenbar. Hinzu kommen einige andere Faktoren, die ebenfalls unberechenbar sind."
„Alles ist berechenbar", sagte Alec
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Morris herablassend und mit überheblich klingender Stimme. „Alles, sage ich, auch der Atlantik. Es gibt da gewisse Gesetze, nach denen sich alles berechnen läßt."
„Dann sollten Sie es doch eigentlich genau wissen, wenn Sie die gewissen Gesetze kennen", sagte Hasard. „Das Prinzip ist sehr einfach. Sie nehmen die Strecke, die wir vor uns haben und ziehen davon die Strecke ab, die wir jeweils zurückgelegt haben. Nach den gewissen Gesetzen gibt es dann ein logisches und klares Ergebnis."
Der Dandy winkte geziert ab. „Das ist das Grundgesetz der Navi
gation", erklärte er. „Ich habe mit einem Astronomen gesprochen. Es ist alles sehr einfach. Sie richten den Bug des Schiffes nach Karte und Kompaß aus, visieren gewissermaßen das Ziel an und segeln los. Selbstverständlich erreichen wir dann jeden Punkt, den wir wollen. Ich verstehe gar nicht, daß man soviel Aufhebens um die lächerliche Navigation macht."
Hasard ließ sich nicht anmerken, daß er sich über die Einfalt dieses lächerlichen Kerls ärgerte. Die anderen hörten inzwischen gespannt zu, warum Navigation so einfach war. Bisher hatte das noch keiner von ihnen gewußt. Aber dieses unausgegorene Bürschchen schien ja eine Menge davon zu verstehen - wenigstens nahm er selbst das an.
Was er dann alles von der Navigation zu berichten wußte, war so haarsträubend, daß sie ihr Grinsen nur mühsam verbargen. Zudem brachte er das in klugscheißerischer und überheblicher Manier vor.
„Sie haben es ja zu erstaunlichen Kenntnissen gebracht", höhnte Hasard. „Haben Sie studiert?"
„Ein Mann von meiner Intelligenz
hat kein Studium nötig", erklärte Morris von oben herab. „Zu was soll ich studieren, wenn die Gelehrten mir nicht einmal das Wasser reichen können! Das wäre doch sinnlos. Ich handle nur nach den Gesetzen der Logik, weiter nichts. Aber die muß man natürlich erst verstehen."
„Da sprechen Sie mir aus der Seele. Ihre anfänglichen Äußerungen waren schon absolut logisch."
„Das ist nun mal meine Art. Äh da wäre noch etwas: Wie sieht es auf der Reise mit Piraten aus? Ich meine, man hört doch so allerlei."
„Möchten Sie gern welche kennenlernen, Mister Morris?"
„Ich bin ein wagemutiger Mensch, ein Mann, der das Abenteuer geradezu sucht und natürlich auch immer findet."
„Weil Sie nach logischen Gesichtspunkten vorgehen", sagte Hasard mit ernstem Gesicht, worauf der Stiesel nachdrücklich nickte. „Ja, also die Piraten im nördlichen Atlantik, die legen so eine Art Winterschlaf ein und erwachen erst kurz vor Beginn des Sommers. Dann spinnen sie sich in langes Seemannsgarn ein und verbringen die kalten Monate im Ruhezustand. Möglicherweise sind schon ein paar erwacht. Aber das werden wir ganz sicher herausfinden."
„Ich werde diese Brut mit Stumpf und Stiel ausrotten", versprach der Jüngling.
Nach dieser heroischen Ankündigung verließ er erst einmal das Achterdeck, um nach den beiden anderen „Gentlemen" zu sehen.
2.
„Da haben wir uns aber was aufgeladen", sagte Hasard mit einem entsa
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gungsvollen Blick auf die Themse. „Dieses Würstchen ist nicht nur überheblich und eingebildet. Der Kerl hat auch noch eine große Klappe und versteht von der Welt absolut nichts. Wie stellt der sich wohl eine Überfahrt über den Atlantik vor?"
„Ganz einfach", sagte Dan O'Flynn feixend. „Er legt den Bug nach Karte und Kompaß aus und segelt los. Und wenn er von der Neuen Welt wieder zurück will, geht es umgekehrt. Wir sollten die Seekarten über Bord werfen und uns diesem hervorragenden Navigator anvertrauen."
„Das Bürschchen kann nicht mal durch eine Pißrinne segeln, ohne anzuecken oder den richtigen Kurs zu finden", sagte Old O'Flynn grollend. „Mit dem kriegen wir noch Kummer, und mit den beiden anderen auch. Das sind die gleichen Bastarde wie der Kapitän der ,Discoverer', mit dem wir bereits Ärger hatten."
„Sieht ganz so aus", meinte der Seewolf nachdenklich. „Fast muß ich dir recht geben."
Aus der Kombüse zog ein lieblicher Duft herauf. Es roch nach kroß gebratenem Speck und Eiern. Genauso verführerisch war der Duft nach frisch gebackenem Brot. Sie hatten in London sehr viel eingekauft, um für die lange Reise gerüstet zu sein, denn ein Aufenthalt unterwegs war nicht vorgesehen. Außerdem boten sich nur die Azoren an, und die lagen zu weit südlich. Es hätte eines langen und zeitraubenden Umwegs bedurft.
Hasards Blick fiel auf Mac Pellew, der mir grämlicher Miene über das Deck latschte. Richtig finster sah er heute aus.
Vor der Kombüse blieb er stehen und blaffte hinein: „Zwei Eier, gefälligst bienenwachsweich, eins etwas härter. Dazu Salz und Pfeffer und
viel Butter aufs Brot. Die Hafersuppe mit Sirup gesüßt, das Brot nicht zu hart."
„Und die Affenärsche mit Kabelgarn aus Seide kalfatert, was, wie?" donnerte der Profos dazwischen. „Was soll der Stuß?" Er blieb vor Mac stehen und sah ihn drohend an.
Mac Pellew winkelte den Daumen ab und zeigte nach achtern, wo die „Gents" ihr Quartier hatten.
„Die Overlords wünschen zu frühstücken", sagte er zornig. „Und mich behandeln sie wie den letzten Arsch. Bring mir das und bring mir jenes! Und nicht zu scharf und nicht zu weich! Bin ich vielleicht der Hoflakai? Die können mich mal, diese Windmacher."
„Die Obergroßhochlords haben überhaupt nichts zu melden!" bollerte der Profos weiter. „Und Extrawünsche stehen hier nicht zur Debatte. Wann und was es zu essen gibt, das bestimmst du und der Kutscher, auch, ob die Eier hart oder weich sind. ist das klar?"
„Mir schon, aber denen nicht. Die nehmen an, ich würde sie von morgens bis abends bedienen."
Der Profos grinste tückisch. „Gar nichts wirst du. Wenn es et
was zu essen gibt, dann erscheinen die Kerle gefälligst dort, wo auch die anderen essen. Und wenn ihnen das nicht paßt, dann..."
„Was dann?" „Dann holt sie der Teufel, und der
heißt Carberry. Ich hoffe, richtig gehandelt zu haben, Sir", sagte er dann zu Hasard.
Der Seewolf nickte. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig.
„Sehr richtig, Ed. Jeder hält sich an die üblichen Spielregeln und an die Schiffsordnung. Das gilt für ausnahmslos alle. Wer auf Sonder
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wünsche besteht, kann jetzt noch aussteigen. Unterwegs dürfte das mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein."
„Du hast es gehört, Mac", sagte der Profos. „Extrawürste werden nicht gebraten. Wenn die ehrenwerten Gents wieder irgendwelche Wünsche haben, kannst du sie getrost an mich verweisen. Ich bin hier auch für Beschwerden aller Art zuständig, weil ich ein so trostreiches Wesen habe."
Mac Pellew tat das, was er nur selten einmal tat. Er grinste, und er grinste sogar ein bißchen hinterhältig. Aber weil er beim Grinsen immer wie ein Clown aussah, der in eine Zitrone beißt, fragte Carberry ihn auch gleich besorgt, ob er etwa Zahnschmerzen habe.
„Nein, nein", versicherte Mac hastig. „Ich mußte nur lachen. Soll ich den ehrenwerten Gents dann eine freundliche Einladung übermitteln?"
„Ja", sagte der Profos nickend. „Tu das, wenigstens beim ersten Mal, damit sie auch gleich die Spielregeln kennenlernen. Bis jetzt haben die Kerlchen noch rein gar nichts begriffen."
Mac wollte gerade nach achtern gehen, doch der Gang wurde ihm abgenommen. Sir William Godfrey erschien und steuerte auf Mac und den Profos los.
Godfrey war ein Mann unbestimmbaren Alters mit grauen Haaren und einer dicklichen roten Säufernase. In seinen Kreisen galt er als Spinner und Rappelkopf, der schon immer in die Neue Welt wollte. Unter dem Vorwand, beim Aufbau der neuen Kolonie tatkräftig mitzuhelfen, war er losgezogen, aber auch er hatte nichts anderes im Kopf, als auf der anderen Seite des Atlantiks nach Gold zu suchen, das er dort in großen Mengen zu
finden hoffte. Dann würde er einst als reicher Mann nach England zurückkehren, genau wie Frank Davenport und Alec Morris, die alle das gleiche Ziel verfolgten.
Dicht vor den beiden blieb er schnaufend stehen und sah sie an.
„Ich bin ungehalten", erklärte er anstelle einer Begrüßung. „Und ich muß mich sehr wundern, um das gleich zu sagen. Wir geruhen um diese Zeit ausgiebig zu frühstücken, aber es ist niemand da, der uns bedient, obwohl ich diesen Mann ausdrücklich darauf hingewiesen habe. Offensichtlich sind Sie hier der Schiffsmann, oder wie man das nennt. Stauchen Sie diesen Kerl tüchtig zusammen, mein Lieber, damit er weiß, was er uns in Zukunft schuldig ist."
„Ich bin zwar nicht der Schiffsmann", sagte Carberry freundlich, „sondern der Profos, was soviel wie Zuchtmeister bedeutet."
„Nun, nun", sagte Sir Williams gnädig, „dann habe ich mich ja an den richtigen Mann gewandt. Züchtigen Sie diesen Kerl also wegen seiner groben Vernachlässigung. Peitschen Sie ihn aus, wie das üblich ist, damit er künftig weiß, welchen Respekt er uns zu erweisen hat."
Carberry blieb immer noch freundlich. Er nahm den Kerl einfach nicht ernst.
„Bei uns wird niemand ausgepeitscht", erklärte er. „Und schon gar nicht aus dem läppischen Grund, den Sie eben angeführt haben. Und wie Sie zu frühstücken geruhen, interessiert mich einen Dreck. Hier hält sich jeder an eine bestimmte Ordnung. Das gilt auch für Sie und Ihre ehrenwerten Freunde. Wer sich aber nicht daran hält", sagte er drohend, „den werde ich mir dann in meiner Eigen
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schaft als Zuchtmeister vorknöpfen. Sie werden also die unendliche Güte haben, mit Ihren Freunden dort zu speisen, wo es an Bord üblich ist. Dafür haben wir extra einen Raum, eine sogenannte Messe. Wann ist es soweit?" wandte er sich fragend an Mac Pellew.
„In einer knappen halben Stunde." „Empörend!" rief Sir William aus.
„Das muß ich mir nicht gefallen lassen. Wir genießen Vorzugsbehandlung, denn wir entstammen adligen Kreisen. Es ist eine Zumutung für uns, mit dem gemeinen Schiffsvolk an einem Tisch sitzen zu müssen."
„Für uns ist das eine ebensolche Zumutung", sagte der Profos grob, „uns das Gewäsch und Gelaber einiger unwissender Kerle anhören zu müssen, die von der Seefahrt keine Ahnung haben und sich einbilden, der Nabel der Welt zu sein."
Auf Sir Williams Stirn schwoll eine Zornesader. Er blickte den Profos fassungslos und entgeistert an.
„Ich werde mich an den Kapitän wenden!" keifte er.
„Das ist nicht erforderlich", erklang Hasards kühle Stimme, der alles mitangehört hatte. „Was mein Profos sagt, das gilt - auch für Sie. Wenn Sie mit meinen Leuten nicht an einem Tisch sitzen wollen, dann essen Sie anschließend in der Messe. Damit ist das dann ein für allemal klargestellt. Sie sind Gäste auf diesem Schiff, und als solche haben Sie sich zu verhalten. Ich war nicht scharf darauf, Sie mitzunehmen. Ich habe es nur aus Gefälligkeit getan."
„Ich werde mich an eine höhere Instanz wenden!" rief Sir Williams erbost.
„Der liebe Gott ist da oben", sagte der Profos trocken. „Aber Sie sollten
ihn nicht wegen solcher Lappalien belästigen."
Sir William platzte fast vor Wut. Er war eine solche „Behandlung" nicht gewohnt und hatte angenommen, sein bisheriges Leben in Saus und Braus auch hier an Bord ungehindert fortsetzen zu können - mit der erforderlichen Bedienung selbstverständlich. Diese Kerle dachten jedoch ganz anders darüber.
„Ich werde mich bei Hofe beschweren", verkündete er laut.
„Tun Sie das", riet Hasard. „Solange wir uns auf der Themse befinden, können Sie jederzeit aussteigen. Sie können aber auch gern auf den Pilgerschiffen mitfahren, wo man Ihrer Bequemlichkeit ganz sicher Rechnung tragen wird."
Sir William Godfrey verschwand voller Empörung nach achtern.
„Dem hast du es aber gegeben", sagte Mac anerkennend. „Der ist ganz käsig im Gesicht geworden."
„Soll er", sagte Carberry verächtlich. „Auf Kerle wie die sind wir nicht angewiesen. Ich kann solche Gockel auf den Tod nicht ausstehen, die auf Kosten anderer schmarotzen und sie dann noch geringschätzig betrachten. Die Kerle waren sich ja zu fein, auf den angeblich verlausten und verwanzten Pilgerschiffen zu fahren."
Der Kutscher, der alles mitgehört hatte, nickte nur zustimmend. Dabei lag ein feines undeutbares Lächeln, auf seinem Gesicht.
Auf den Pilgerschiffen hatte der Gesang mittlerweile aufgehört. Dafür wurde auf der „Explorer" jetzt laut gebetet. Kapitän Amos Toolan war der Initiator des Gebetes. Der frömmelnde Puritaner hielt die Leute bei jeder sich bietenden Gelegenheit dazu an. Im Anschluß an das Gebet hielt Toolan noch eine Ansprache,
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doch die Worte verstanden sie auf der Schebecke nicht. Der Wind zerfetzte sie zu einem undeutlichen Gemurmel.
Als es Frühstück gab, ließen die drei Gents sich nicht blicken. Der Kutscher rang sich lediglich zu einem müden Schulterzucken durch.
„Wer nicht will, der hat schon", murmelte er. „Der Hunger wird die Burschen schon in die Messe treiben."
Die Arwenacks hauten kräftig ein. Der Duft nach gebratenem Speck und Eiern durchzog noch immer das ganze Schiff.
Kurz vor dem Abräumen, die meisten hatten ausgiebig gegessen und waren fertig, erschienen die Gents wie auf ein geheimes Kommando. Sir William war offensichtlich ausgesprochen schlechter Laune und ließ sich mit mürrischem Gesicht an der Back nieder. Alec Morris nahm ebenfalls Platz und tat so, als sei es eine Gnade, daß er in der Messe erschienen war.
Der dritte Mann, Frank Davenport, sah noch reichlich verkatert aus. Er konnte es kaum erwarten, England hinter sich zu lassen. Offenbar waren ihm ein paar Gläubiger auf den Fersen, denn es war ein offenes Geheimnis, daß er hochverschuldet war.
Bei Hofe, wo er herumschmarotzt hatte, war man heilfroh, daß Davenport auf die Idee verfallen war, auszuwandern. Damit war man ihn auf elegante Art und Weise endlich losgeworden. Auch er hoffte sehnlichst, drüben viel Gold zu finden und war nur auf seine eigenen Vorteile bedacht.
Die drei aßen schweigend und mit verbissenen Gesichtern. Als sie fertig waren, erhoben sie sich und gingen nach achtern. Den Kutscher und Mac Pellew würdigten sie dabei keines
Blickes, als die beiden die Back abräumten und die Messe aufklarten.
„Eingebildete Lackaffen", knurrte Mac. „So was wie die will in der Neuen Welt eine Kolonie aufbauen, ein Land kolonisieren und besiedeln, wo knochenharte Arbeit verlangt wird und jeder auf jeden angewiesen ist. Dabei haben die Gents so zarte Händchen wie die höfischen Schreiberlinge. Von denen hat noch keiner gearbeitet."
„Das haben sie auch nicht", sagte der Kutscher. „Sie umgeben sich nur mit dem Anschein des Wohlwollens. Wenn wir die Neue Welt erreicht haben, gehen die Gents ihre eigenen Wege und werden sich den Teufel um die Siedler kümmern. Sie faseln nur von Gold, und daß dort drüben ungeahnte Schätze ruhen sollen."
„Woher wollen die das denn wissen?"
„Gerüchte, wie sie eben immer wieder auftauchen und sich hartnäckig halten. Genaueres wissen sie natürlich nicht. Vielleicht liegt gerade darin der Reiz für sie - Ferne, Abenteuer, Reichwerden. Es sind eben Glücksritter oder meinetwegen Hasardeure."
„Was beweist, daß sie keine Ahnung von der Wirklichkeit haben. Aber drüben sind sie auf sich allein gestellt, und da wird ihnen ihre Überheblichkeit schon vergehen."
„Du sagst es, Mac. Jeder muß erst ein gewisses Maß an Erfahrungen hinter sich bringen. Die haben es noch vor sich."
Als der Kutscher an Deck ging, sah er gerade noch, wie die Gents achtern in ihrer Kammer verschwanden. Sie schienen eingeschnappt zu sein.
Bis zum Mittag ließen sie sich auch nicht mehr blicken. Sie erschienen
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erst dann wieder, als die Arwenacks bereits gegessen hatten.
Es hatte ganz den Anschein, als würden sie nicht viel Freude miteinander haben.
Einen Tag später sollte sich das bewahrheiten. Und das war erst der Anfang.
Zunächst einmal wunderte sich der Seewolf, daß die kleine Karavelle ihnen immer noch beharrlich fast im Kielwasser folgte. Sie hockte ihnen sozusagen wie eine Laus im Pelz. Von einem abschiednehmenden Geleit konnte also keine Rede mehr sein. Blieb also nur noch die Möglichkeit, daß die Karavelle zufällig denselben Kurs hatte wie der Verband der Pilgerschiffe.
Das war es aber nicht, was den Seewolf ärgerte. „Pilgrim" und „Explorer" segelten ganz normal. Sie hatten die Themse hinter sich gelassen und segelten auf östlichem Kurs mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend. Der Wind wehte frisch und kühl aus Nordost. Soweit war das ganz normal, denn auch die Schebecke lag über Steuerbordbug wie auch die Karavelle achteraus.
Der Kapitän der „Discoverer" hingegen schien sein Handwerk nicht zu verstehen, so hatte es jedenfalls den Anschein. Er benahm sich jedenfalls wie ein Tölpel. Die „Discoverer" gierte immer stärker zum Land hin und drohte, auf Legerwall zu geraten. Bevor es kritisch wurde, brachte Kapitän Granville das Schiff wieder auf Kurs, verlor allerdings jedes Mal viel Zeit bei dem Manöver.
Hasard sah dieser Segelei anfangs spöttisch, dann verärgert zu, als die
„Discoverer" immer weiter achteraus blieb.
„Möchte wissen, wo dieser Hundesohn so erbärmlich segeln gelernt hat", sagte Hasard. „Wenn wir nachher die Ostspitze runden und Kurs auf Ramsgate nehmen, sitzt der Kerl auf dem Trockenen. Spätestens in Dover kann er die Pilger dann ausbooten. Ist der wirklich so dämlich, oder stellt er sich nur so an?"
„Zumindest ist er ein korrupter Hundesohn", sagte Ben Brighton. „Diesen Granville kennen wir bisher von den anderen am besten. Aber er hat offenbar keine Ahnung vom Segeln, darin muß ich dir recht geben, Sir."
Don Juan de Alcazar hatte einen Blick durch das Spektiv geworfen und setzte es jetzt wieder ab.
„Er steht auf dem Achterdeck beim Rudergänger", sagte er. „Einer von beiden scheint sein Handwerk jedenfalls nicht zu verstehen."
„Dann muß es der Kapitän sein", meinte Dan O'Flynn, „denn der gibt ja dem Rudergänger die Anweisungen. Man kann nicht lange zusehen, ohne daß es einen in den Fäusten juckt. Der Kerl hält den gesamten Konvoi auf."
Granville hatte seine Galeone wieder auf Kurs gebracht und ließ ein paar Segelmanöver ausführen, die er sich hätte ersparen können. Es dauerte jedoch nicht lange, dann drehte der Bug seiner Galeone wieder dem Land zu.
„Ja, pennt denn dieser Affenarsch am Kolderstock?" brüllte der Profos. „Die sind ja nicht mal in der Lage, einen Torfkahn zu segeln!" Er hatte die Arme in die Hüften gestemmt und blickte mit funkelnden Augen zu der Galeone hinüber, die buchstäblich durch die See torkelte.
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„Kopflastig ist sie nicht", sagte Hasard, „hecklastig ist sie ebenfalls nicht, und nach einem plötzlichen Wassereinbruch sieht es auch nicht aus. Alles scheint an Bord normal zu sein. Anscheinend kommt der Kerl mit dem bißchen Kabbelwasser nicht klar. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man einen unfähigen Kapitän über den Atlantik schickt und ihm die Verantwortung für mehr als hundert Leute aufhalst, wenn er keine Ahnung vom Segeln hat."
Die See war ein bißchen kabbeliger geworden, seit sie die Themse achteraus gelassen hatten. Der Nordost und die leichte Strömung schufen unregelmäßig durcheinanderlaufende Seen und sorgten für kleine Spritzer, die an Deck leckten.
Dieses Kabbelwasser war jedoch nicht gefährlich, und ein erfahrener Seemann lachte höchstens verächtlich darüber. Der Nordost blies auch nicht mit großer Heftigkeit. Es war eine Situation, die jeder Moses gemeistert hätte.
Nur Robert Granville hatte als einziger Schwierigkeiten mit Wind und Wasser. Er hatte das Schiff einfach nicht in der Gewalt.
„Wenn er noch lange so weiterklüst", sagte Hasard grimmig, „dann statten wir dem Gentleman einen Besuch ab, mit dem guten Ratschlag, wieder umzukehren, bevor er die ihm anvertrauten Leute in Lebensgefahr bringt."
„Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß dieser Granville die augenblickliche Situation ganz bewußt herbeiführt", ließ sich der Spanier vernehmen. „Ich habe jedenfalls den Eindruck."
Hasard drehte sich zur Seite und sah dem langjährigen Freund in die dunklen und ernstblickenden Augen.
„Warum sollte er? Dafür liegt doch nicht der geringste Grund vor."
„Bei einem Hundesohn wie dem weiß man das nie. Nenne es meinetwegen Intuition oder wie auch immer. Ich kann es nicht erklären."
„Du wandelst doch nicht auf Donegals Pfaden, wenn du jetzt Eingebungen hast?" fragte Hasard spöttisch.
„Ich glaube kaum. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, daß dieser Kapitän so, sagen wir mal, so ausgesprochen dämlich ist und nichts vom Segeln versteht. Das will mir nicht in den Kopf. Auf der Themse hat er die Galeone einwandfrei geführt."
„Da gab es auch keine Kabbelsee, und der Nordost war nur ein laues Lüftchen."
„Daran hat sich nicht viel geändert", bemerkte Don Juan. „Der Unterschied ist nur geringfügig, beinahe lächerlich. Und ausgerechnet jetzt benimmt er sich wie ein Anfänger. Wie will er dann später den Kanal durchsegeln, wenn es aufbrist?"
„Vermutlich gelangt er mit seiner Segelei gar nicht so weit. Aber gut, angenommen, er verzögert die Reise wirklich. Was hätte er davon? Er muß doch einen Grund haben."
Don Juan blickte zur „Discoverer". Am Fockmast killten Fock- und Marssegel, als Granville versuchte, wieder Höhe zu gewinnen und an den Wind ging.
Das seltsame Manöver wurde auch auf den anderen Schiffen mit offensichtlichem Spott und einem hinterhältigen Grinsen quittiert. Ein paar Leute zeigten mit ausgestreckten Händen zu der Galeone, die so segelte, als reite sie einen mittelschweren Sturm ab.
„Den Grund kenne ich noch nicht. Vielleicht sollten wir ihn mal fragen
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oder ihm fähigen Ersatz anbieten. Jedenfalls könnten wir ohne seine eigenartigen Manöver schon ein paar Meilen weiter sein."
„Das stimmt allerdings." Es war, als habe Granville gero
chen, daß ihm ein kleiner Besuch abgestattet werden sollte. Hasard hatte auch ernstlich vorgehabt, persönliche Zweifel an den Qualitäten des Kapitäns anzumelden. Gerade als er dem derzeitigen Rudergänger Stenmark den Befehl zur Kursänderung geben wollte, klappte auf der „Discoverer" ganz plötzlich alles hervorragend. Sie hatte wieder Höhe gewonnen, lag auf Ostkurs wie die anderen und segelte mit Backbordhalsen über Steuerbordbug. Sie wich seltsamerweise auch nicht mehr vom Kurs ab.
Hasard gelangte schließlich zu der Überzeugung, daß es wohl doch Schwierigkeiten unbekannter Art gegeben hatte.
„Seltsam war das schon", meinte er, „aber jetzt hat sich der ehrenwerte Mister Granville wohl gefangen. Wir werden ihn trotzdem ganz besonders ausgiebig im Auge behalten."
Die Schebecke der Arwenacks segelte nur mit „halber Kraft". Sie war schneller, leichter und wendiger als die Galeonen, die sich weitaus schwerfälliger durch die See bewegten. Sie trieb ihre Schäfchen wie ein Hirtenhund vor sich her und orientierte sich an dem langsamsten Schiff des Verbandes. Zur Zeit war das zweifellos die „Discoverer". Wie sich die anderen auf See verhielten, mußten sie erst noch zeigen.
Wie festgeleimt klebte schräg versetzt im Kielwasser die Karavelle, ein ebenfalls schnelles und wendiges Schiff. Es wurde immer noch an ihr herumgerätselt, zumal die Kerle so taten, als gehörten sie dem Verband
an. In regelmäßigen Abständen schrickten sie ihre Schoten und schlichen mit langsamer Fahrt hinterher, um als letzte im Konvoi zu bleiben.
„Spätestens morgen kaufen wir uns die Burschen", kündigte der Seewolf an. „Falls sie dann noch in unserem Kielwasser hängen. Dann werden wir erfahren, was es mit denen auf sich hat."
„Wahrscheinlich sind die ebenfalls für eine Überraschung gut", orakelte Dan O'Flynn. „Die Reise scheint jedenfalls ganz anders zu verlaufen, als es meinen Vorstellungen entspricht."
„Sieht ganz danach aus", murmelte Hasard. Er sagte den anderen nicht, daß er ebenfalls ein ungutes Gefühl hatte. Old O'Flynn hatte es ohnehin schon an seiner Laune bemerkt und ihn daraufhin angesprochen.
Die Überraschung erfolgte ein paar Stunden später ganz unerwartet, als sich der Konvoi Margate näherte. Hinter diesem östlichen Punkt von North Foreland sollte gerundet werden. Der Verband würde von dort ab bis in die Nähe von Dover Südkurs segeln und sich dann in südsüdwestlicher Richtung an der englischen Küste weiterbewegen. Man würde vorerst noch dicht unter Land bleiben. Aber selbst dort schon würden die Siedler einen ersten Vorgeschmack von ruppiger See kriegen.
Die Entfernung zum Ufer betrug eine gute halbe Meile. „Pilgrim" und „Explorer" segelten fast auf gleicher Höhe. Etwas weiter hinter ihnen folgte die „Discoverer", dann die Schebecke, der sich wiederum wie ein Fühlungshalter die unbekannte Karavelle anschloß.
Robert Granville schien offenbar der Teufel zu reiten. Hasard und seine Mannen sahen mit immer grö
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ßer werdender Verwunderung, wie die „Discoverer" hart nach Steuerbord steuerte, den Verband verließ und auf die im schwachen Dunst liegende Küste zuhielt. Schon ein paar Minuten später zeigte die Galeone ihnen das Heck.
„Das ist ja ein dicker Hund", kommentierte der Seewolf verblüfft. „Was ist denn bloß in den Kerl gefahren? Ist der verrückt geworden? Jagt fast mit vollem Preß auf das Land zu und riskiert, nicht mehr klarzukommen."
„Den müssen wahrhaftig alle guten Geister verlassen haben", meinte auch Ben kopfschüttelnd. „Man sollte diesem Kerl einen Warnschuß vor den Bug setzen, aber damit riskieren wir leider, daß unter den ahnungslosen Pilgern eine Panik ausbricht. Sollen wir eins der vereinbarten Signale setzen?"
„Er wird sich den Teufel drum kümmern", erwiderte Hasard. „Laß aber trotzdem das Signal zum Aufschließen setzen."
Die gebräuchlichsten Signale waren vorher abgesprochen worden. Jeder der Kapitäne hatte sie vorher noch einmal schriftlich von Hasard erhalten, um Irrtümer oder Fehlern vorzubeugen. Die Verständigung zwischen den Schiffen hatte Bill übernommen, der jetzt das entsprechende Signal vorheißte.
Aufschließen, am Verband bleiben, bedeutete es. Der von dem alten Segelmacher Will Thorn genähte Wimpel war von roter Farbe mit zwei weißen Streifen. Die rote Farbe besagte gleichzeitig, daß Gefahr bestand. In diesem Fall war es das Abdriften auf Legerwall beim derzeitigen Wind.
Hasard sah zähneknirschend zu, daß Granville das Signal überhaupt nicht beachtete. „Pilgrim" und „Ex
plorer" schlossen daraufhin sofort dichter auf, obwohl für sie keine Veranlassung dazu bestand. Die Kerle kriegten schon jetzt alles in den falschen Hals.
Hasards Narbe von der rechten Stirn über die linke Braue zur linken Wange war ebenfalls als Signal aufzufassen. Sie wurde rötlich - ein sicheres Zeichen, daß bei ihm alles auf Sturm stand, und er sich nur noch mühsam beherrschte.
„Verflucht und zugenäht!" brüllte er. „Den Bastard knöpfe ich mir vor. Wenn der nachher nicht mehr in der Lage ist, sich freizusegeln, dann erlebt er die Hölle auf Erden."
Er wollte Befehl geben, hinterherzusegeln, aber dann folgten möglicherweise die beiden anderen Galeonen ebenfalls blindlings der Schebecke, weil sie immer noch das Signal sahen.
„Diesen Kerlen muß man alles einbleuen", sagte er mit schwer unterdrückter Wut. „Die sind wie sture Büffel - und genauso dämlich."
Robert Granville war auch gleich für die nächste Überraschung gut.
Auf der „Discoverer" wurden die Segel aufgegeit. Es ging alles sehr schnell. Zwei Segel killten noch wild. Ihr Knattern drang wie das Feuer von Musketen herüber. Die restlichen Segel wurden nur provisorisch aufgepackt, nachlässig wie es schien.
Dann wurden beide Anker gesetzt, während die Galeone mit dem Heck zum Land trieb. Die Ankertrossen peitschten aus der See wie wilde, zügellose Schlangen und kamen steif. Wassertropfen wurden von den singenden Trossen nach oben geschleudert. Wenn die Anker jetzt nicht hielten und Grund faßten, saß die Galeone in wenigen Minuten fest.
Drüben wurde Trosse gesteckt. Das
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Schiff begann zu schwoien und zerrte wie wild an den Trossen. Aber es trieb nicht weiter ab.
Während Hasard noch voll kochender Wut das unerklärliche Manöver beobachtete, hatte sich Dan O'Flynn mit dem Kieker bereits einen ersten Überblick verschafft. Er schüttelte fassungslos den Kopf und reichte den Kieker an Hasard weiter.
„Da tut sich was, Sir. Vielleicht solltest du mal einen Blick riskieren. Zwei Boote haben von Land abgelegt. Sieht so aus, als erhielte die ,Discoverer' eine Menge Besuch."
Hasard fuhr wie ein gereizter Tiger herum.
„Runter mit dem Signal, Bill!" rief er. „Die anderen Kerle segeln sonst noch auf das Land zu. Neues Signal setzen! Anluven, hart an den Wind, Warteposition einhalten und Kreuzschläge segeln. Hoffentlich kapieren das die dreimal verdammten Dummköpfe endlich."
Das neue Signal wurde verstanden und befolgt, bis auf Granville, der von dem Verband keine Notiz nahm und vor Anker liegenblieb.
Erst jetzt warf Hasard einen Blick durch das Spektiv.
Schräg vom Land her näherte sich ein mit Menschen fast überladenes Boot der „Discoverer". Ein zweites stand gerade im Begriff, abzulegen. Auch dieses Boot war mit Menschen überladen. An Bord erkannte Hasard Männer, ein paar Frauen und Kinder.
Er preßte hart die Lippen zusammen, und er fragte sich erbost, welches Spiel dieser Granville hier wohl trieb, denn von einer derartigen Vereinbarung war ihm nichts bekannt.
Wie gebannt blickte er durch das Spektiv.
„Granville nimmt offenbar neue Siedler oder Pilger an Bord", ließ
sich Don Juan vernehmen. „Ob die anderen Kapitäne das ebenfalls wußten oder darüber informiert sind?"
„Das werde ich erfahren. Aber zumindest hat jetzt die Raterei ein Ende. Jetzt wissen wir, aus welchem Grund er die Reise verzögert hat. Er wollte Zeit schinden, denn zwischen ihm und diesen Leuten fand offenbar eine Absprache statt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wollte der ehrenwerte Mister an diesem Ort sein. Deine Intuition war also genau richtig, Juan."
„Was gedenkst du zu tun, Sir? Willst du die Angelegenheit auf sich beruhen lassen?"
„Ich denke gar nicht daran. Ich bin sicher, daß dieser Kerl ein paar Nebengeschäfte tätigt und sich zusätzlich eine Stange Geld verdient. Wir segeln zu ihm hinüber."
Bevor die Schebecke jedoch den Kurs änderte, geschah drüben ein Unglück.
3.
Auf den überladenen Booten ging es sehr hektisch zu. Außerdem trieben die Männer von der „Discoverer" die Leute mit barschen Worten und harten Flüchen zur Eile an. Es konnte ihnen nicht schnell genug gehen.
Zwei Jakobsleitern waren ausgebracht worden. Das erste Boot hielt genau auf sie zu. Oben standen Kerle mit finsteren Gesichtern an Deck, die ungeduldig winkten.
„Los, beeilt euch, verdammt noch mal, nicht so lahm! Hopp auf, packt die Tampen oder haltet euch fest!"
Kinder schrien, ein paar Frauen kreischten. Das überladene Boot begann wild zu schlingern. Mittlerweile war auch das andere heran, und jetzt
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wurde das Gedränge noch größer und wilder.
In der Hektik und Aufregung stießen die beiden Boote an die Bordwand der Galeone. Das erste Boot drehte sich hart zur Seite und knallte gegen das andere. Dort waren die ersten Pilger gerade beim Auf entern.
Ein entsetzlich lauter Schrei war zu hören. In ihrer Angst sprangen die Leute alle zur einen Seite hinüber.
Da kenterte das Boot, während das zweite noch einmal hart an die Bordwand krachte.
Von einem Augenblick zum anderen war der Teufel los.
Zwei der Rudergasten gingen über Bord. Ein etwa zehnjähriger Junge versank schreiend in den Fluten. Ein hagerer Mann sprang ihm mit einem Schrei der Verzweiflung nach, erreichte ihn jedoch nicht mehr.
Fast alle Pilger des einen Bootes landeten in dem kalten Wasser. Sie begannen um sich zu schlagen und laut um Hilfe zu brüllen.
Aus dem anderen Boot sprangen die Leute wie Affen an die Bordwände, griffen nach Tauen oder verkrallten sich in der Jakobsleiter. Wieder landeten einige von ihnen im Wasser.
Ein paar Männer hielten sich krampfhaft an dem Boot fest und versuchten es aufzurichten. Das Boot kenterte nochmals, bis es kieloben im Wasser trieb.
Die Unglücksstelle vor der „Discoverer" sah aus wie nach einem Schiffsuntergang. Überall trieben Leute, die angstvoll um Hilfe schrien.
„Dieser Wahnsinnige", knirschte Hasard. „Ich würde ihm am liebsten die Faust zwischen die Augen setzen. Haltet Tampen und Haken bereit, wir werden so schnell wie möglich helfen.
Einige dieser bedauernswerten Leute können nicht schwimmen."
Die Schebecke segelte unter vollem Preß auf die Unglücksstätte zu.
Dort war immer noch die Hölle los, denn jetzt erschienen immer mehr Auswanderer an Deck, die sich in qualvoller Enge zusammendrängten und die aufenternden Leute behinderten.
Die Besatzung reagierte äußerst grob. Wer im Weg stand, wurde von harten Fäusten durchgeschüttelt oder erhielt einen Tritt.
Einigen war es gelungen, erschöpft und triefend das Deck zu erreichen. Dort standen sie wie verlorene Schafe herum und starrten ins Wasser, wo die anderen schwammen.
Der hagere Mann schrie laut und gellend. Offenbar handelte es sich bei dem untergegangenen Jungen um seinen Sohn. Er tauchte wieder und verschwand für lange Augenblicke unter Wasser. Als er auftauchte, lag Entsetzen in seinem Blick. Den Jungen hatte er nicht gefunden.
Die anderen hatten genug mit sich selbst zu tun, um aus dem kalten Wasser auf das sichere Schiff zu gelangen. Um den hageren Mann kümmerte sich niemand.
Die Schebecke war heran, die Segel wurden samt der Rahruten abgefiert. Langsam dümpelte sie auf die Menschen zu.
Smoky, der die ganze Zeit den Mann beobachtet hatte, der pausenlos nach seinem Sohn tauchte, sprang mit einem Satz über Bord. Auch die Zwillinge Hasard und Philip hechteten in das kalte Wasser.
Ferris Tucker warf einer kreischenden Frau einen Tampen zu, in den sie sich verkrallte. Mit einiger Mühe hievte er sie an Bord. Einen weiteren Mann bargen Batuti und
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Nils Larsen. Die Leute froren entsetzlich, als sie an Deck standen, und klapperten mit den Zähnen.
Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich augenblicklich um sie, versorgten sie mit heißer Brühe und gaben ihnen Decken. Dann brachten sie sie nach unten, damit sie die nassen Sachen wechseln konnten.
Das umgeschlagene Boot trieb davon. Wind und Wellen jagten es auf den Strand zu.
Hasard kümmerte sich zunächst um die Leute, die ins Wasser gefallen waren. Die Sache mit Granville war jetzt nicht vorrangig. Zuerst mußten die Leute in Sicherheit sein.
Sieben Auswanderer hatten sie jetzt an Bord. Den anderen war es gelungen, an der Galeone aufzuentern.
Smoky und die Zwillinge tauchten unermüdlich weiter. Der hagere Mann war so erschöpft und unterkühlt, daß er kaum noch die Arme hochbrachte.
Als er ganz langsam im Wasser versank, legte Smoky seinen Arm dem Mann um den Hals und schwamm auf die Schebecke zu. Dort wurde er sofort von kräftigen Fäusten nach oben gehievt und blieb reglos und wie tot auf den Planken liegen.
Im anderen Boot warteten vier Männer, die die Jolle vom Strand her zum Meer gepullt hatten. Sie konnten sich zum Ablegen nicht entschließen und sahen ratlos zu den beiden Schiffen. Sie hatten mitgeholfen, einigen Leuten das Aufentern zu erleichtern, und sie hatten auch ein paar Männer aus dem Wasser gefischt.
„Was ist mit dem Jungen?" rief Hasard besorgt. Himmel, er wird doch nicht ertrunken sein, dachte er.
Seine Söhne schüttelten müde die Köpfe. Smoky warf ihm aus dem
Wasser nur einen entsagungsvollen Blick zu.
Der Hagere kam zu sich und blickte sich gehetzt um. Trotz seiner Schwache war er sofort wieder auf den Beinen.
„Mein Sohn!" schrie er. „Wo ist mein Sohn? Er ist ertrunken, er ist tot, ertrunken!"
Der Kutscher wollte ihn festhalten und beruhigen, doch der Hagere riß sich mit einem weiteren Schrei los, blickte mit irren Augen ins Wasser und sprang über Bord. Wieder tauchte er.
Jetzt hielt auch den Profos nichts mehr. Der Mann hatte keine Kraft mehr, er konnte nicht mehr schwimmen, sein Körper war fertig und völlig erschöpft. Das Wasser war eisigkalt, als Carberry hineinsprang. Sekundenlang hielt er die Luft an und schüttelte sich. Erst dann begann er sich an die Kälte zu gewöhnen.
Inzwischen waren auch die drei Gents an Deck erschienen. Hasard sah, daß sie Granville jovial zuwinkten. Sonst kümmerten sie sich jedoch um nichts. Gleichgültig sahen sie dem Treiben im Wasser zu, ohne selbst eine Hand zu rühren.
Der Seewolf stieß ein verächtliches Knurren aus. Von den drei Kerlen hatte er auch nichts anderes erwartet als tatenloses Zusehen. Auf den Bastard Granville schienen sie jedoch große Stücke zu halten.
Nach einer Weile stand fest, daß der Junge ertrunken war. Die Zwillinge und Smoky gaben sich zwar allergrößte Mühe, ihn zu finden, aber er war nicht mehr da. Auch seine Leiche tauchte nicht mehr auf.
Hasard schluckte hart. Sein Gesicht war kantig und verschlossen. Er warf einen Blick auf den Profos, der wieder an jener Stelle tauchte, wo der
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Hagere versunken war. Als er schnaufend nach oben kam, schüttelte er müde den Kopf.
Die Zwillinge enterten halbdurchgefroren nach einer Weile mit verkniffenen Gesichtern auf. Beide schlotterten vor Kälte.
„Er muß auf den Grund gesunken sein", murmelte Philip mit blauen Lippen und klappernden Zähnen.
Hasard gab keine Antwort. Er würgte an dem Kloß, der ihm im Hals saß wie eine riesige Qualle.
„Zurück an Bord, Ed und Smoky", sagte Hasard heiser. „Es hat keinen Zweck. Ihr findet sie nicht mehr."
Auch von Bord aus wurde pausenlos das Wasser abgesucht. Vater und Sohn blieben jedoch unauffindbar. Beide hatten den Tod in der See gefunden.
Die Arwenacks hatten verkniffene Gesichter, wenn sie zur „Discoverer" hinübersahen. Dort wurden jetzt die ersten Leute eilends unter Deck gebracht. Das Boot mit den vier Rudergasten bewegte sich ebenfalls auf die Küste zu, nachdem die Männer noch eine Weile gewartet hatten. Jetzt pullten sie ziemlich schnell dem Strand entgegen.
Smoky und der Profos wurden an Bord gehievt. Mac Pellew hielt ihnen auffordernd eine Buddel mit scharfem Schnaps entgegen. Beide tranken einen langen Zug und reichten die Buddel weiter.
„So weit sind wir jetzt also schon", sagte Hasard erbittert. „Zwei Tote, nur weil ein verdammter Bastard etwas dazuverdienen will und auf eigene Faust handelt. Die Reise steht wahrhaftig unter keinem guten Stern."
„Ein betrüblicher Unfall", sagte Alec Morris und hüstelte geziert. „Na
türlich kann man niemandem die Schuld geben, aber ..."
„Gehen Sie unter Deck, Sie Idiot", fauchte ihn Hasard an. „Verschwinden Sie augenblicklich, und nehmen Sie Ihre Genossen mit. Ich kann Ihre dümmlichen Visagen vorerst nicht mehr ertragen."
„Aber Sir", sagte Morris lahm. Er blickte in ein Augenpaar, das
wie kaltes Gletschereis schimmerte, und deren Anblick ihn hart schlucken ließ. Er hatte das unangenehme Gefühl, als rinne Eiswasser durch seine Adern.
„Haben Sie mich nicht verstanden?" brüllte der Seewolf mit einer Stimme, die alle an Deck zusammenzucken ließ.
Die drei Kerle erfaßte panische Angst. Der überhebliche Dandy wurde blaß. Davenport zuckte heftig zusammen, und Sir Williams drehte sich bei den ersten Worten um und hastete nach achtern, als seien sämtliche Höllenhunde hinter ihm her. Innerhalb weniger Sekunden waren sie achtern verschwunden.
„Wir gehen bei der ,Discoverer' längsseits", sagte Hasard. Bei diesen Worten sah er wie ein reißender Wolf aus. „Es ist auch überflüssig zu fragen, ob es gestattet ist, an Bord kommen zu dürfen."
Es waren nur noch dreißig oder vierzig Yards bis zur Galeone. Die Schebecke trieb langsam heran.
Was da mit einem federnden Satz an Bord sprang, war ein ungebändigter schwarzhaariger Teufel, dem die silbergrauen Schläfen noch mehr Gefährlichkeit verliehen. Sein Gang war kraftvoll. Er glich einem Höllenfürsten, der sich mit kraftvollen Schrit
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ten und einer unglaublichen Geschmeidigkeit seinen Weg durch die Menge bahnte. Ein paar Kerle der Besatzung wischte er mit einer lässigen Handbewegung zur Seite.
Zwei weitere Schritte brachten ihn über den Niedergang auf das Achterdeck der Galeone.
Dort stand Kapitän Robert Granville mit seinem Ersten Offizier Harris, dem Rudergänger und einem weiteren ungeschlacht wirkenden Kerl, der offenbar der Profos dieses Schiffes war.
Granville versuchte krampfhaft, sich den Anschein völliger Gelassenheit und Ruhe zu geben, doch er wußte selbst, daß ihm das nicht gelang.
Er war wahrhaftig kein weicher Mann, aber beim Anblick des schwarzhaarigen Tigers in Menschengestalt begannen ihm die Knie zu zittern. Der Riese sah aus, als wolle er ihn im ersten Impuls totschlagen, und das mit der bloßen Faust.
Hasard kannte diesen Bastard längst, diesen dicklichen herrschsüchtigen Kerl mit dem despotischen Gehabe, den finsteren Augenbrauen, die dicht und buschig auf seiner Stirn wuchsen, und den riesigen Ohren, die wie große Löffel aussahen. In den Fischaugen erkannte er Angst, aber auch den Willen, sich trotz allem durchzusetzen.
Einen halben Schritt vor ihm blieb der Riese abrupt stehen. Granville war unwillkürlich zurückgewichen, denn es hatte ganz den Anschein, als wollte dieser Seewolf ihn untermangeln.
„Sie sind ein Bastard", sagte Hasard eisig, „ein lausiger, abgefeimter und hinterhältiger Bastard, Granville. Es gibt im gesamten Verband keinen größeren Halunken als Sie."
Granville steckte die Beleidigungen ein. Er spürte, daß dieser Mann ihn absichtlich provozierte, und er kümmerte sich den Teufel darum, daß seine Leute alles hörten. Vielleicht wartete er nur auf eine harte Erwiderung, um eiskalt zuschlagen zu können. Darauf aber wollte es Granville nicht ankommen lassen.
„Ich habe nichts Ungesetzliches getan", sagte er heiser. „Ich habe nur ein paar Leute an Bord genommen, wie das schon lange vorher vereinbart war. Für diese Leute trage ich allein die Verantwortung. Man kann mir nichts vorwerfen."
„Sie haben keinerlei Recht, weitere Leute an Bord zu nehmen!" fuhr ihn Hasard scharf an. „Schon gar nicht, ohne die anderen davon zu unterrichten. Sie kümmern sich den Teufel um den Verband und kochen in aller Heimlichkeit Ihre eigene Suppe. Sie verlassen den Verband, ohne die elementarsten Regeln zu beachten und bringen durch Ihr Verhalten die anderen Schiffe in Gefahr. Und da behaupten Sie unverfroren, man kann Ihnen nichts vorwerfen? Ein Mann und ein Kind sind ertrunken, Mister Granville, aber das tun Sie mit einem Schulterzucken ab, weil es Sie überhaupt nicht berührt."
„Es war nicht meine Schuld", keuchte Granville. Er trat schluckend noch einen halben Schritt zurück und vermied krampfhaft, in die harten eisblauen Augen zu blicken. „Ich konnte nichts dafür. Es geschah in der Hektik, weil ich mich wieder in den Verband eingliedern wollte, um keine Zeit zu verlieren. Die Boote haben sich gerammt..."
„Sie haben durch Ihre idiotischen Segelmanöver genügend Zeit herausgeschunden, um alle anderen aufzuhalten, und Sie haben das ganz be
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wußt auf eine hinterhältige Art und Weise getan. Ich sollte Sie wegen Unfähigkeit absetzen, Mister. Das wäre die natürliche Konsequenz."
Der Dicke wurde blaß und schnappte nach Luft.
„Ich verbürge mich dafür, daß ich alle Leute heil ans Ziel bringen werde", stammelte er tonlos.
„Sie können für überhaupt nichts bürgen, weder für das eine noch für das andere. Sie haben verantwortungslos gehandelt, um sich zu bereichern. Das ist der wahre Grund. Wie viele Leute haben Sie an Bord?"
„Etwa hundert", murmelte Granville eingeschüchtert.
„Jetzt haben Sie noch zwei Dutzend mehr an Bord. Haben Sie für zusätzlichen Proviant und Trinkwasser gesorgt? Oder wollen Sie den anderen Leuten die Rationen kürzen? Wie haben Sie sich das gedacht?"
Granville war immer noch von der Furcht befangen, plötzlich diese gewaltige harte Faust auf der Nase zu spüren. Dieser Killigrew sah mehr als furchterregend aus.
„Ja, Sir, das habe ich", sagte er schnell. „Ich habe mehr Proviant und mehr Trinkwasser an Bord genommen."
Hasard glaubte ihm kein Wort. Dieser schlitzohrige Halunke hatte ganz sicher nicht mehr an Bord genommen, eher noch weniger.
„Sie werden von mir nicht erwarten, daß ich Ihnen auch nur ein Wort glaube", sagte Hasard scharf. „Nach allem, was Sie sich bisher geleistet haben, sind Sie für mich unglaubwürdig, von Ihren anderen Charaktereigenschaften ganz zu schweigen. Sie werden jetzt Ihre beiden Jollen abfieren und die aufgenommenen Leute wieder an Land bringen, um sie dort auszubooten."
Granville sah aus, als habe er einen Schlag ins Gesicht erhalten.
„Das - das können Sie nicht verlangen, Sir", murmelte er. „Die Leute haben ihre Passage bezahlt."
„Ich kann noch viel mehr verlangen, Mister, denn ich habe das Kommando über die Pilgerschiffe. Das dürfte Ihnen bekannt sein. Ich kann Sie auch mit der Galeone wieder nach London zurückschicken, wo Sie einige weitere Unannehmlichkeiten erwarten dürften. Die Passage zahlen Sie den Leuten wieder zurück."
Hasard hatte mit einem wilden Aufbegehren gerechnet und damit, daß Granville jetzt Schwierigkeiten bereiten würde. Das wilde Aufbegehren erfolgte jedoch von ganz anderer Seite.
Eine Frau in einem langen Kleid hatte zusammen mit drei anderen das Achterdeck betreten und warf sich vor ihm auf die Planken. Der Seewolf sah in ein verhärmtes, ausgezehrtes Gesicht, in dem Falten der Bitternis standen, obwohl die Frau noch nicht alt war.
Sie umklammerte seine Stiefel und blickte aus tränenumflorten Augen zu ihm hoch.
„Bitte, hoher Herr, schickt uns nicht wieder fort", flehte sie. „Wir haben all unser Hab und Gut verkauft, alles, was wir hatten. Wir haben nichts mehr, kein Haus, kein Vieh. Unsere ganze Hoffnung ist die Neue Welt, wo wir uns eine Existenz aufbauen wollen. Dafür haben wir unser letztes Geld gegeben. Sie dürfen uns nicht fortschicken, Herr, und uns damit der bitteren Not ausliefern."
Die anderen Frauen begannen ebenfalls zu flehen und zu klagen. Sie sahen ihre einzige Hoffnung durch ein paar harte Worte zerstört.
Dem Seewolf war der Auftritt peinlich. Er sah weinende Gesichter und
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erkannte, daß auch die Männer hart schluckten und sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischten.
Ein paar von ihnen beteten laut zu Gott und waren völlig verzweifelt. Immer mehr ausgezehrte Gestalten umringten ihn und beschworen ihn flehentlich, sie doch mitzunehmen.
„Wir haben keine Bleibe mehr", sagte ein Mann mit Bart und langen Koteletten. „Wenn Sie uns zurückschicken, Sir, dann müssen wir sogar im Freien mit unseren Kindern übernachten. In unserem kleinen Häuschen wohnen schon andere Leute."
Der Seewolf bemerkte, daß Granville sich etwas zur Seite gedreht hatte, so daß er ihn nur im Profil sah. Es war ein unschönes Profil mit gekrümmter Nase, etwas wulstigen Lippen und einer riesigen buschigen Augenbraue und dem noch riesigeren Ohr. Die wulstigen Lippen grinsten niederträchtig. Der Kerl hatte wieder Oberwasser und schien davon überzeugt zu sein, daß das Flehen der Frauen nicht auf taube Ohren stieß.
Hasard wollte und konnte nicht die Hoffnungen dieser Leute zerstören, ihnen ihre Träume nehmen, sie einfach wieder zurückschicken. Zwei von ihnen hatten es bereits mit dem Leben bezahlt.
Na warte, du Bastard, dachte er. Dir wird dein hinterhältiges Grinsen noch vergehen. Es wird dir noch leid tun, diese Leute an Bord genommen zu haben.
Er half der Frau auf, die ihn immer noch anflehte und unter Tränen die Hände rang. Und er nickte dem bärtigen Mann beruhigend zu, dessen Gesicht ganz aus gespannter Aufmerksamkeit bestand, als hinge sein Leben unmittelbar von den nächsten Worten ab.
Im Prinzip war es auch so, denn ein
Wort des Seewolfs hätte genügt. Hasard hatte alle königlichen Vollmachten und das Kommando über den Pilgerkonvoi. Er konnte Granville notfalls absetzen und die Galeone nach London zurückschicken.
Als er etwas Beruhigendes zu den Frauen sagen wollte, schob sich ein Kerl mit finsterem Gesicht in sein Blickfeld, ein Mann, der Hasard auf Anhieb umsympathisch war.
Der Kerl war stämmig und untersetzt, dunkelblond und grauäugig. Ein besonderes Merkmal in dem brutalen Gesicht war die plattgeschlagene Nase. Darauf mußten schon etliche harte Fäuste explodiert sein.
Der Kerl war ein Schlägertyp und erinnerte den Seewolf penetrant an einen Affen, so lange Arme hatte er. Damit konnte er sich mühelos im Stehen die Kniekehlen kratzen, ohne sich bücken zu müssen.
„Spielt hier nicht die Heulsusen!" fuhr er die Frauen an. „Ab mit euch auf das andere Deck!"
„Darf man fragen, welche Funktion Sie hier ausüben?" fragte Hasard. „Oder sind Sie dafür prädestiniert, sich in die Angelegenheiten Ihres Kapitäns zu mischen?"
„Ich - äh - ich bin Tibbs, Gordon Tibbs, Sir, der Decksälteste. Ich weiß nicht, ob ich präne . . . äh ..."
„Verschwinden Sie", sagte Hasard kalt, „und halten Sie sich aus dieser Angelegenheit heraus. Wird's bald?"
Der Kerl warf ihm einen tückischen Blick zu. Er sah Granville an und gewahrte das unmerkliche Nicken. Verärgert drehte er sich um und pendelte mit seinen langen Affenarmen davon.
„Wir sind bereit, Sir", sagte Granville. „Wenn Sie es sich noch anders überlegt haben, können wir unter Segel gehen, damit wir keine weitere Zeit verlieren. Ich hoffe doch instän
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dig und flehe zu Gott, daß Sie diese bedauernswerten Kreaturen nicht wieder zurückschicken."
„Zu Gott flehen Sie, soso. Haben Sie auch zu Gott gefleht, als die beiden Leute ertranken? Ich hatte nicht gerade den Eindruck. Aber wie dem auch sei, Mister Granville, was hier geschah, müssen Sie vor Gott und Ihrem Gewissen abmachen. Ich hoffe, es bedrückt Sie sehr."
„Es tut mir furchtbar leid", heuchelte der Dicke. Er brachte es fertig, einen gottergebenen Blick zum Himmel zu schicken. Auf Hasard hatte das allerdings nicht die geringste Wirkung. Dieser Kerl war ein gewissenloser und durchtriebener Halunke, der eiskalt über Leichen ging.
„Ich werde diese Leute nicht zurückschicken", sagte Hasard.
„Ich wußte, daß Sie ein edler Mensch sind, Sir. Dann können wir die Reise also fortsetzen?"
„Noch nicht, es gibt da noch ein paar Punkte zu klären."
„Aber gewiß doch, Sir", sagte Granville beflissen. „Ich bin Ihnen selbstverständlich in jeder Beziehung behilflich."
„Das freut mich sehr, Mister Granville. Punkt eins: Wieviel hat jeder dieser armen Leute an Sie für die Überfahrt bezahlt?"
„Oh, den üblichen Preis, Sir. Ein paar Pfund."
„Ich wünsche eine exakte Zahl." „Äh, so um die sechzig Pfund,
glaube ich." „Glauben heißt, nicht wissen. Wie
viel also genau?" Hasards Stimme war etwas schärfer geworden, was Granville wieder blaß werden ließ.
„Genau achtzig Pfund", murmelte er leise.
„Das sind genau zwanzig Pfund zuviel", stellte Hasard fest. „Bei jetzt
noch dreiundzwanzig Leuten sind das vierhundertsechzig Pfund. Eine sehr stolze Summe, Mister Granville. Sie werden die zuviel verlangte Passage freundlicherweise wieder zurückgeben, und zwar sofort."
Granville brach der Schweiß aus. Feine Perlen erschienen auf seiner Stirn. Er sah sich gehetzt um und grinste verzerrt.
„Ich warte", sagte Hasard, „aber nicht mehr lange. Wir haben eine Menge Zeit aufzuholen - durch Ihr Verschulden."
„Ich - nun, ich dachte, ich werde die Leute dafür etwas besser verpflegen."
„Abgelehnt, Mister Granville. Alle Leute erhalten die gleiche Verpflegung. Es gibt keine Bevorzugung. Das würde nur den Neid der anderen erregen. Lassen Sie jetzt das Geld holen und jeweils zwanzig Pfund an jeden Neuankömmling verteilen. Nein, Sie werden es mir persönlich geben, wenn die Leute damit einverstanden sind. Ich werde es für sie solange in Verwahrung nehmen, bis es gebraucht wird."
„Aber, Sir, in der Neuen Welt ist das Geld nichts wert. Niemand kann drüben etwas damit anfangen."
„Ich weiß. Holen Sie es trotzdem." Granville drehte sich um. Sein
Atem ging stoßweise, und er hatte böse glitzernde Augen.
„Holen Sie die geforderte Summe aus der Bordkasse, Mister Harris", befahl er seinem Ersten Offizier.
Um die Lippen des Ersten spielte ein undeutbares Lächeln. Offenbar, so fand Hasard, war ihm diese Regelung recht. Er hatte den Eindruck, daß sich Harris und Granville nicht gut verstanden, weil der eine ein Halunke und der andere ein anständiger und ehrlicher Mann war.
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„Sofort, Sir", sagte Harris. Als er zurückkehrte, gab er Gran
ville das Geld, der es mit verkniffenem Gesicht weitergab.
„Bis dahin hat jetzt alles seine Richtigkeit, Mister Granville. Bleibt also noch Punkt zwei."
„Was denn noch?" ächzte Granville mit zuckenden Lippen.
„Sie haben doch angeblich für gute Verpflegung gesorgt, und ich nehme nicht an, daß Sie mich belügen. Ich möchte gern Ihre Proviantliste sehen und sie dann mit dem tatsächlichen Bestand vergleichen. Zwei meiner Leute werden das kontrollieren. Als Zeuge kann Ihr Erster Offizier fungieren, oder Sie selbst. Ich darf also um die Liste bitten."
Dieser verdammte Satan, dachte Granville erregt. Der machte ihn fertig bis zum Geht-nicht-mehr, dieser schwarzhaarige unnachgiebige Bastard. Er wünschte ihn in die finsterste Hölle. Dort sollte er schmoren und dem Teufel einen Pahlstek in den Schwanz knoten. Zuzutrauen war ihm das ohne weiteres.
Dieser Kerl war eisenhart, und er hatte die Befehlsgewalt über die drei Galeonen. Granville konnte sich dem nicht widersetzen, obwohl er anfangs mit dem Gedanken gespielt hatte.
Aber er brauchte sich nur die Kerle auf der Schebecke anzusehen. Die sahen wie reißende Wölfe aus und waren es sicher auch. Er hatte schon viel von ihnen und dem schwarzhaarigen Bastard gehört. Die Kerle galten als absolut unbestechlich.
Zähneknirschend fügte er sich und ließ den Koch rufen.
Als Hasard den sah, mußte er selbst hart schlucken. Der sah genauso schlimm aus wie der Decksälteste. Er hatte ein verschlagenes tückisches Gesicht mit auffallend gelblichen Au
gen, die wie schmutziger Bernstein wirkten. Der Kerl war glatzköpfig, dick und schmierig. Kelvin Bascott hieß das Monstrum, das sich seine fetten Finger an einer schmierigen Schürze, oder was immer das sein mochte, abwischte.
„Hol die Proviantliste, Bascott", knurrte Granville. „Der ehrenwerte Sir zweifelt an meihen Worten."
„Ein Zweifler also", sagte der Koch verschlagen. Er maß Hasard mit einem aufdringlichen und frechen Blick. „Kann er haben."
Der Kerl watschelte beim Gehen wie eine lahme Ente. Hasard musterte ihn mit einem eisigen Blick, der dem Dicken durch und durch ging. Hart schluckend wandte er sich ab.
Als er die Proviantliste brachte, nahm Hasard sie nur zögernd entgegen, aus Angst, an dem Ding klebenzubleiben.
„Das ist also Ihre Proviantliste", sagte er angewidert. „Sieht aus, als frühstücke Ihre Mannschaft darauf. Na ja."
Er winkte dem Kutscher und Mac, die ohnehin der Unterhaltung zugehört hatten, und gab dem Kutscher mit spitzen Fingern die schmierigen Lappen.
„Das ist die Proviantliste", sagte er erklärend, „falls du das für das Blubberstück eines Wales halten solltest. Überprüft den genauen Bestand und teilt mir dann das Ergebnis mit. Mister Harris wird euch begleiten, oder wollen Sie das lieber selbst tun?"
Granville wollte nicht. Er war verschnupft und verärgert.
Als die Männer verschwanden, sagte er mißmutig: „So viele Schwierigkeiten hat mir noch keiner bereitet Mister Killigrew. Das grenzt fast an Schikane."
„Es dient nur der Wahrheitsfin
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dung, denn damit nehmen Sie es anscheinend nicht so genau. Mit der Verantwortung scheint es bei Ihnen ebenfalls zu hapern. Wenn Sie das Schikane nennen, dann sollten Sie mal darüber nachdenken, warum bei den Kapitänen Toolan und Drinkwater alles in Ordnung ist. Bisher gab es noch keinen Grund zu Beanstandungen."
„Toolan ist ein frommer Spinner", sagte Granville verächtlich. „Bei dem gibt's mehr zu beten als zu beißen. Und Drinkwater ist ein verdammter Angeber, der so tut, als könne er kein Wässerchen trüben. Aber ich bin wieder mal der Sauhund."
„So ist es", sagte Hasard trocken. „Und deshalb werde ich jedem Sauhund genau auf die Finger schauen."
Unter den Auswanderern hatten sich längst Erstaunen und Respekt vor dem riesenhaften schwarzhaarigen Mann mit den Silberschläfen breit gemacht. Dieser Mann sah ganz so aus, als wahre er ihre Interessen und kümmere sich um sie. Die Leute murmelten leise durcheinander, wobei den Seewolf bewundernde Blicke trafen.
Hasard schaute sich um. Die beiden anderen Galeonen segelten in langen Kreuzschlägen vor der Küste und hielten sich genau an die vereinbarten Signale. Seltsamerweise hielt sich auch die rätselhafte Karavelle daran, als gehöre sie dem Verband an. Sie befand sich etwas weiter draußen und hatte in den Wind gedreht. Die Kerle, die sich auf ihr befanden, warteten in aller Ruhe ab, was weiter geschah.
Hasard entschloß sich, dort einmal ernsthaft nachzufragen. Er war selbst gespannt, was es mit dem Schiff auf sich hatte.
Nach einer knappen halben Stunde
kehrten Mac, der Kutscher und Mister Harris wieder zurück.
Hasard sah schon an den Gesichtern, daß da etwas faul war.
4.
„Wie sieht es aus?" fragte er knapp. „Nichts stimmt überein", erwiderte
der Kutscher und wedelte mit dem speckigen Ding, das Granville und der Koch als Proviantliste bezeichnet hatten. „Hier sind wesentlich mehr Lebensmittel und Proviant aufgeführt, als tatsächlich an Bord sind. Es fehlen vierzehn riesige Käselaibe, etliche Sack Mehl, Hartwürste, Speckseiten, Graupen und Butter - mindestens zwanzig Fässer Butter. Das einzige was stimmt, sind die Trinkwasservorräte. Aber die hat's schließlich auch umsonst gegeben."
Granville fuhr erregt dazwischen. „Augenblick mal!" fauchte er.
„Was sich an Bord befindet, ist genau errechnet worden. Der Koch hat viel zuviel aufgeschrieben, weil er mit mehr Personen gerechnet hat. Stimmt's, Bascott?"
Der Dicke mit dem watschelnden Entengang, der sich im Hintergrund hielt, nickte bestätigend.
„Es stimmt, Sir, haargenau. Ich hatte mich um etliche Personen verrechnet."
Die beiden Halunken halten also zusammen, dachte Hasard. Ihm war nicht das kaum merkliche verschwörerische Grinsen entgangen sowie der Blick, den sie schnell gewechselt hatten.
„Wir haben eine gewisse Zeit veranschlagt für die Reise", sagte Hasard. „Zuzüglich ein Zehntel als Reserve. Bist du sicher, daß es reicht, Kutscher?"
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„Es reicht nicht", erklärte der Kutscher mit Bestimmtheit. „Für die zusätzlichen zwei Dutzend Leute schon gar nicht. Es dürfte mehr als knapp werden. Mister Harris wird das ebenfalls bestätigen können."
„Mister Harris wird gar nichts!" donnerte Granville. „Er ist für die Navigation zuständig, aber nicht für den Proviant. Das überlasse ich dem bewährten Bascott, der darin Erfahrung hat."
Der „bewährte Bascott" grinste tükkisch und verschlagen, wurde jedoch ernst, als der Erste sich räusperte.
„Die Listen decken sich tatsächlich nicht mit dem wahren Bestand", erklärte er. „Ich nehme nur das zur Kenntnis, was ich gesehen und kontrolliert habe."
Ein dicklicher Mann, der zu den Pilgern gehörte, hob die Hand. Er war grauhaarig und hatte einen gestutzten Bart.
„Vielleicht ist in London schon ein Irrtum unterlaufen", sagte er. „Als die Fuhrwerke mit dem Proviant eintrafen und ausgeladen wurden, kehrte eines von ihnen wieder vollbeladen zurück, nahm aber einen ganz anderen Weg. Vielleicht hilft Ihnen das weiter, Sir."
Granville sah den Mann an, als wolle er ihn ermorden.
„Interessant", meinte Hasard. „Ist dieser Vorfall noch von anderen gesehen worden?"
Ein paar Hände hoben sich scheu, Männer und Frauen nickten.
„Wohin ging denn diese Fuhre, Mister Granville?" fragte Hasard.
„Das entzieht sich meiner Kenntnis, davon weiß ich nichts."
„Sie haben ein Haus in Southwark, eine Frau und zwei Kinder", zählte Hasard auf. „Besteht nicht die Möglichkeit, daß die vollgepackte Fuhre
zu diesem Haus gefahren und dort abgeladen wurde?"
„Wollen Sie mich etwa der Unterschlagung bezichtigen?" rief Granville empört. „Das muß ich mir nicht bieten lassen!"
„Doch, das müssen Sie sich bieten lassen. Ich will, daß hier alles korrekt zugeht und niemand sich auf Kosten anderer bereichert. Die Leute haben eine hohe Passage bezahlt und ein Recht auf gute und ausreichende Verpflegung. Und jetzt raus damit!" brüllte Hasard den zusammenzukkenden Kapitän an. „Wo ist der Proviant geblieben? Ich verlange eine klare Antwort, sonst holt Sie der Teufel!"
„Er - das Zeug - äh - wurde wohl irrtümlich nach Southwark gebracht", stammelte Granville mühsam und wich erneut einen Schritt zurück, als er das harte gnadenlose Gesicht sah. „Kann sein, daß der Kutscher oder der Händler etwas mißverstanden hat."
„Demnach würde die Proviantliste also stimmen, wenn alles vollzählig an Bord wäre", sagte der Kutscher. „Auf ein Pferdefuhrwerk paßt eine ganze Menge."
Dieser Granville ist ein Schwein, dachte Hasard, ein erbärmlicher, korrupter Drecksack, der die Ärmsten der Armen um ihr bißchen Geld betrog, das sie ein ganzes Leben lang gespart und wofür sie gedarbt und gelitten hatten. Man müßte diesen Bastard öffentlich auspeitschen.
„Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, für was ich Sie halte", sagte der Seewolf angewidert. „Aber ich kann diese Leute nicht einfach nach London zurückschicken. Ich würde alle ihre Hoffnungen zerschlagen. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit. Sie, Mister Granville, werden jetzt
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noch einmal in Ihre Bordkasse greifen, und zwar mit vollen Händen. Das ist offenbar der einzige Punkt, an dem man Sie empfindlich treffen kann. Sie behalten fünf der Neuzugänge an Bord. Die anderen werden auf die beiden anderen Galeonen verteilt. Das sind achtzehn Leute. Achtzehn mal sechzig Pfund ergibt eintausendachtzig Pfund. Diese Summe werden Sie mir übergeben. Ich verteile sie an die Kapitäne Toolan und Drinkwater. Hinzu kommen noch einmal einhundertsechzig Pfund, die unter die Pilger verteilt werden. Diese Summe haben Sie bereits für die Leute kassiert, die ertrunken sind. Ich werde Ihnen jeden lausigen Copper vorrechnen, verlassen Sie sich darauf. Wenn Sie diese geforderte Summe nicht an Bord haben, können Sie sich als abgesetzt betrachten. Ich werde dann jemand anderen mit der Führung des Schiffes beauftragen. Überlegen Sie sich das sehr genau."
Granville war fix und fertig. Seine wulstigen Lippen zitterten, sein Körper bebte, in seinen Augen glitzerten Wahnsinn und eine kaum noch beherrschbare Wut.
„Sie Teufel!" kreischte er. „Sie sind ja verrückt! Sie ruinieren mich! Bei dieser Reise setze ich zu!"
„Ganz sicher nicht - im Gegenteil. Die anderen Kapitäne setzen auch nicht zu. Es bleibt eine schöne Stange Geld übrig. Bei den Pilgerfahrten ist mehr zu verdienen als bei der Kauffahrteischiffahrt. Sie werden also mit einer goldenen Nase zurückkehren falls überhaupt."
Granville ging diesmal selbst nach achtern, um das Geld zu holen. Er spielte wiederholt mit dem Gedanken, die Pistole zu ziehen und diesen Bastard einfach zu erschießen. Er beherrschte sich nur sehr mühsam, als
er zurückkehrte und die Goldmünzen abzählte.
Hasard ließ die beiden Lederbeutel mit den Münzen an den Kutscher weitergeben und wandte sich an die Pilger, die ihn wie ein Wundertier anstarrten.
„Ich möchte", sagte er ruhig, „daß diejenigen von Ihnen, die vorhin als Zeugen fungiert haben, jetzt auf mein Schiff überwechseln. Fünf von Ihnen bleiben an Bord der ,Discoverer'. Der Rest wird auf die beiden anderen Schiffe verteilt. Bringen Sie Ihr Gepäck mit."
Im Nu quirlte und brodelte alles durcheinander. Viele waren schon jetzt heilfroh, die Galeone verlassen zu können, denn sie hatten längst gemerkt, was hier gespielt wurde, und daß der Kapitän ein niederträchtiger und korrupter Hundesohn war, der sie nur ausbeuten wollte. Etliche andere schreckten auch vor den abstoßenden Visagen des Kochs, des Bootsmannes und des Decksältesten zurück. Diese Kerle legten nicht gerade das beste Benehmen an den Tag.
Innerhalb kurzer Zeit war der Wechsel vollzogen. Gepäck stapelte sich auf der Schebecke, und achtzehn Leute tummelten sich an Bord.
„Das wäre erledigt", sagte Hasard zu Granville. „Sie werden verstehen, daß ich gerade diese Leute abgezogen habe."
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr!" tobte Granville.
„Ich zog sie ab, um sie nicht Ihrer Willkür auszusetzen, Mister, denn immerhin haben diese Leute etwas gesehen, das Ihnen absolut nicht paßt. Ich schütze sie also nur vor eventuellen Repressalien. Gleichzeitig habe ich damit Ihr unerlaubtes Nebengeschäft unterbunden."
„Haben Sie sonst noch Wünsche?"
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schrie Granville zornig. „Soll ich Ihnen auch noch das restliche Geld aushändigen? Oder soll ich vielleicht über Bord springen und ersaufen?"
„Letzteres überlasse ich Ihrer Entscheidung. Sie werden bei Ihrem zweifelhaften Abgang nicht viel Trauer hinterlassen."
„Am liebsten würde ich alles hinschmeißen. Ich habe die Nase voll."
„Das bleibt ebenfalls Ihnen überlassen. Es gibt genug fähige Männer, die in der Lage sind, die Galeone zu führen."
Hasard bemerkte immer wieder aus den Augenwinkeln, daß der Erste Offizier Harris ihn neugierig und respektvoll musterte. Immer wenn Granville einen Rüffel einstecken mußte, lächelte der schlanke Mann unmerklich.
„Wir werden jetzt die Reise fortsetzen", sagte Hasard, „und zwar bis nach Ramsgate. Dort geht der Verband für ein paar Stunden vor Anker, falls Sie das Signal wieder einmal ignorieren sollten."
„Davon ist mir nichts bekannt. Was sollen wir in Ramsgate?"
„Ach ja, richtig, das sollten Sie natürlich wissen. Auf der Reede von Ramsgate fieren Sie Ihre beiden Boote ab", sagte Hasard kalt. „Dann pullen Sie an Land und ergänzen die Vorräte, bis die Proviantliste vollständig ist. Sie werden alles das besorgen, was noch fehlt, und ich werde mich selbst von diesem Ergebnis überzeugen. Im übrigen wünsche ich Ihnen eine gute Reise, Kapitän Granville. Vermeiden Sie nach Möglichkeit, weitere Zusammenstöße zwischen uns beiden zu provozieren. Ich habe zwar Humor, aber der hält sich bei bestimmten Dingen sehr in Grenzen."
„Woher soll ich das viele Geld nehmen?" schrie Granville gequält.
„Ziehen Sie es von der Fuhre Proviant ab, die irrtümlicherweise den falschen Weg genommen hat", riet der Seewolf. „Wir sehen uns dann auf der Reede von Ramsgate wieder."
Er ließ einen fluchenden und vor Wut berstenden Mann zurück, der ihn in die finstersten Höllenschlünde wünschte.
„Dieser Hurensohn", knirschte Granville in ohnmächtiger Wut. „Dem soll die Pest an den Hals fahren, ersaufen soll er mit seinen dreimal verdammten Kerlen! Eines Tages bringe ich ihn um."
Hasard hörte die leisen Verwünschungen nicht, mit denen Granville ihn bedachte, denn sie waren nur geflüstert. Zu Granvilles Glück hörte er sie nicht, sonst wäre es ihm dreckig ergangen. Hasard hatte einen ausgesprochenen Piek auf den Mann, denn er konnte korrupte Halsabschneider auf den Tod nicht ausstehen. Mit Typen wie Granville verfuhr er daher hart, unnachgiebig und unbeugsam. Er würde ihn auch weiterhin genau im Auge behalten, denn es lag noch ein weiter Weg vor ihnen.
Die Leinen wurden gelöst. Auf der „Discoverer" hievten sie die Anker.
Sie hatten alle Mühe, wieder Höhe zu gewinnen, um nicht auf die nahe Küste gedrückt zu werden.
Die achtzehn Pilger standen an Deck herum und sahen zu der Galeone hinüber. Der ältere Mann mit dem gestutzten Bart war auch dabei.
„Dankt Gott, Leute, und dem ehrenwerten Kapitän dieses Schiffes, daß wir nicht an Bord bleiben mußten. Dieser Mann ist ein Unmensch, und
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ich fürchte, daß an seinen Händen Blut klebt. Er wird keine Rücksicht auf unsere Brüder und Schwestern nehmen. Es wird eine lange Fahrt des Leidens und der Entbehrungen geben."
Damit hast du recht, dachte Hasard. Der Leidensweg hat bereits seinen Anfang genommen. Nur haben es die meisten noch nicht bemerkt. Es fängt meist alles mit Kleinigkeiten an, und es geht unmerklich weiter.
„Jetzt hat der Hundesohn wirklich alle Hände voll zu tun, um Höhe zu kneifen", sagte Don Juan, der das Segelmanöver der „Discoverer" beobachtete.
Der Wind wehte immer noch aus Nordost. Es hatte ein klein wenig aufgebrist. Die „Discoverer" versuchte mit Backbordhalsen in spitzem Winkel zum Wind zu segeln, um dadurch Höhe zu gewinnen. Bei dem Rahsegler war das Manöver nicht einfach, denn immer wieder packte der Wind zu und drückte den Bug der Galeone zum Land hin. Durch die leichte Strömung wurde das Schiff dadurch zusätzlich immer weiter versetzt.
Für die Schebecke war das kein Problem. Sie konnte wesentlich höher am Wind segeln als die behäbig wirkende Galeone. Sie lief im spitzen Winkel ab und schloß zu den beiden anderen Schiffen auf, als Granville fluchend Höhe zu gewinnen suchte. Der Rudergänger war in diesem Augenblick nicht zu beneiden.
Endlich hatte sie es geschafft. Es hatte fast eine halbe Stunde gedauert, bis sie aufschließen konnte.
„Wir segeln jetzt zur ,Pilgrim' hinüber", sagte Hasard, als der Konvoi endlich wieder auf Kurs lag. „Dort setzen wir neun Leute ab. Das könntest du übernehmen, Ben. Laß die
Leute selbst entscheiden, wie sie sich auf den Schiffen verteilen wollen,"
„In Ordnung. Ich werde mit ihnen reden. Willst du das Geld auch gleich übergeben lassen?"
„Ja, natürlich. Alles soll seine Richtigkeit haben."
Auf den beiden Galeonen hatte man das Manöver genau beobachtet. Aber beide Kapitäne hatten keine Ahnung von Granvilles Extratouren. Sie wunderten sich nur, daß neue Pilger zustiegen. Und Drinkwater wunderte sich noch mehr, als die Schebecke jetzt Kurs auf sein Schiff nahm und offenbar längsseits gehen wollte. Auch Amos Toolan fand das sehr verwunderlich.
Inzwischen sprach Ben mit den Pilgern und gab jedem die zwanzig Pfund zurück, die sie an Granville zuviel bezahlt hatten. Vorerst konnten die Pilger damit nicht viel anfangen, aber es war Gold, das seinen Wert immer behielt. Früher oder später würden sie es brauchen können.
Ben und die Pilger wurden sich schnell einig. Ein paar ausgesprochen fromme Leute wollten zu Toolan überwechseln, als Ben ihnen den Kapitän kurz schilderte. Die restlichen neun sollten zu James Drinkwater an Bord gehen.
Die Schebecke lief von schräg achtern auf die „Pilgrim" zu und näherte sich ihr in rascher Fahrt. Der Abstand schmolz immer mehr zusammen und bald lagen sie auf gleicher Höhe.
„Kurs beibehalten!" rief Hasard hinüber. „Wir gehen längsseits."
Drinkwater nickte dem Seewolf zu und stellte ein paar Männer ab, um die Leinen wahrnehmen zu lassen.
Die Schebecke legte elegant an. Es war ein sauberes und gekonntes Manöver. Zwischen beiden Schiffen
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spritzte Wasser auf. Ein paar Fender verhinderten den Anprall, der ohnehin kaum zu spüren war. Gleich darauf wurde vertäut. Die Schebecke erweckte den Eindruck eines schnellen Kurierbootes, das eine eilige Nachricht zu überbringen hatte.
„Sind Sie bereit, neun zusätzliche Leute an Bord zu nehmen, Kapitän Drinkwater?" fragte der Seewolf. „Selbstverständlich zur ausgehandelten Passage von sechzig Pfund pro Person. Es hat Schwierigkeiten mit Kapitän Granville gegeben, wie Sie sicher bemerkt haben. Er hat zusätzlich zwei Dutzend Leute an Bord nehmen wollen."
Drinkwater, ein schlanker, hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren und ehrlichem Gesicht, nickte zustimmend. Seine grauen Augen blickten den Seewolf offen und ehrlich an.
„Das wundert mich keineswegs", sagte er ruhig. „Mir war allerdings davon nichts bekannt, und Amos weiß ebenfalls nichts davon. Wir waren ehrlich überrascht. Natürlich nehme ich die Leute an Bord, Sir. Man kann sie ja schlecht zurückschikken. Ich muß aber eingestehen, daß es bei dem Proviant zu einem Engpaß kommen könnte. Besteht die Möglichkeit, irgendwo noch zusätzlichen Proviant aufzunehmen, Sir?"
Eine ehrliche und klare Antwort, dachte Hasard. Drinkwater war ein verantwortungsbewußter Mann, der nicht das Geld grinsend einstrich und sich dann den Teufel um die Leute scherte.
„Wir gehen auf der Reede vor Ramsgate vor Anker. Granville wird dort ebenfalls Proviant übernehmen, weil er unterversorgt ist."
„Ich nehme an, Sie haben ihm das nahegelegt, Sir", sagte Drinkwater mit einem leichten Hüsteln.
„So ist es. Leider ist er recht uneinsichtig. Haben Sie soviel Platz an Bord?"
„Aye, Sir. Vier Leute sind bei der Abfahrt in London nicht erschienen. Der Platz reicht aus. Die neuen Leute sollen mir willkommen sein. Sie können sofort überwechseln. Meine Männer werden sich um das Gepäck persönlich kümmern."
„Vielen Dank, Kapitän." Drinkwaters Männer gingen unver
züglich an die Arbeit. Die Arwenacks halfen ebenfalls dabei. Innerhalb kurzer Zeit war das Gepäck der Pilger von Bord und wurde in einem der Räume der Galeone verstaut.
Drinkwater hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet, wie Hasard erleichtert feststellte. Er bedauerte lebhaft, daß Granville nicht vom gleichen Schlag war.
„Das klappte ja reibungslos", sagte Dan O'Flynn. „Hoffentlich geht es bei Toolan auch so leicht."
Hasard grinste etwas grimmig vor sich hin.
„Toolan ist zwar ein frommer Mensch", erwiderte er, „aber er hat keine ausgesprochene Abneigung gegen Gold. Notfalls könnte ich ihn zwingen, die Leute aufzunehmen, aber mir ist lieber, wenn es ohne Drohungen klappt. Geld und gute Worte sind für Toolan Balsam, den man notfalls noch mit ein paar frommen Sprüchen würzen kann."
Die Leinen wurden gelöst. Hasard ließ die Schebecke ins Kielwasser der „Pilgrim" zurückgleiten und drehte in den Wind. Sie luvten so hart an, bis die Schebecke fast auf der Stelle stand. Erst als die „Pilgrim" zwei Kabellängen voraus war, ließ er Ruder legen und nahm Kurs auf die „Explorer".
Auf dem Achterdeck dieser Ga
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leone, wo in London der Gesang erklungen war, stand Kapitän Amos Toolan. Seine Patschhändchen hatte der Dicke in scheinbar liebenswerter Bescheidenheit und Demut über dem rundlichen Bauch gefaltet.
Der Blick aus seinen Augen verriet nichts, außer vielleicht einer kleinen mißtrauischen Wachsamkeit. Er musterte die neun Pilger, die wie verloren auf dem Deck standen, jedoch sehr gründlich.
Hasard wiederholte seinen Spruch, verschwieg jedoch absichtlich, daß Toolan für jeden Pilger sechzig Pfund erhalten sollte. Er wollte die Reaktion des frommen Mannes abwarten, der auch einen Bordgeistlichen auf seinem Schiff hatte.
„Der Herr hat uns ein Problem beschert", tönte Toolan. „Er will uns prüfen. Neun zusätzliche Schafe an Bord meines Schiffes werden das Problem noch vergrößern. Wie soll ich sie versorgen, Sir?"
„Der Herr liebt alle seine Schäfchen", sagte Hasard. „Und er hofft in seiner großen Güte auf verständige Herzen, die brüderlich alles teilen. Es sind ja nur neun bedauernswerte Leute."
„Ich sehe es, ich sehe es. Doch will der Herr, daß die anderen dann Not leiden?" fragte er listig. „Ich habe fast hundert Leute an Bord, Sir, und alle wollen verpflegt sein."
„Wir werden in Ramsgate vor Anker gehen und zusätzlich noch etwas Proviant aufnehmen", sagte Hasard. „Mit den anderen Kapitänen ist das bereits abgesprochen. Wir haben auch schon überschlagen, was wir zusätzlich brauchen. Es ist nicht sehr viel."
„Es ist eine schwere Bürde, Sir", gab Toolan zu bedenken. Er dachte
wohl hauptsächlich daran, daß es eine Menge kosten würde.
„Nun, ich appelliere an Ihre Barmherzigkeit, Kapitän. Heißt es nicht in der Bergpredigt: ,Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen'?"
„In der Tat, so steht es geschrieben", sagte Toolan seufzend. „Doch wo bringe ich die Leute unter? Mein Schiff ist fast überfüllt."
Der schlitzohrige Puritaner wollte nicht so recht anbeißen und wand sich unter fadenscheinigen Begründungen.
„Dann werde ich es wohl nochmals bei Kapitän Drinkwater versuchen müssen", sagte der Seewolf bedauernd. „Er wird sicher über die fünfhundertvierzig Pfund erfreut sein."
Die schläfrig-blinzelnden Äuglein wurden sofort hellwach. Der Adamsapfel in dem dicken Hals begann nervös nach oben zu wandern. Der Dicke hatte sich erstaunlich schnell wieder gefangen.
„Um der Barmherzigkeit willen", sagte er salbungsvoll. „Liebet eure Mitmenschen, so sagt der Herr. Mir fällt ein, daß ich im Unterdeck noch ein Plätzchen frei habe. Es wird zwar etwas eng zugehen, aber wir haben ja noch das Vieh an Bord, das sich umständehalber dezimieren wird. Das schafft zusätzlichen Platz. Gut, Sir, lasset die Schäflein zu mir kommen und wehret ihnen nicht."
„Sie erhalten beides, Schäflein und Scherflein", sagte Hasard, sein fast impertinentes Grinsen gewaltsam unterdrückend.
Der Profos grinste ebenfalls. Ein wenig erinnerte ihn der Dicke an den schlitzohrigen Bastard Nathaniel Plymson aus der „Bloody Mary" in Plymouth. Er nahm zwei große Bal
Der folgende Brief stammt von einem langjährigen Freund der SW-Serie: T H , Straße ,1000 Berlin 33. Er schreibt: Sehr geehrte Redaktion! Seit meinem letzten Brief ist gut ein Jahr vergangen, darum möchte ich mich heute wieder zu Worte melden. Zuerst einmal möchte ich mich bei Ihrem Herrn Chefredakteur entschuldigen, dem ich damals einen wohl etwas heftigen Brief schrieb. Die Kopie dazu sandte ich damals an die Seewölfe-Redaktion. Leider schieße ich hier und da übers Ziel hinaus. Entschuldigen Sie also bitte! Mein damaliges Schreiben an die Redaktion kam nicht zur Veröffentlichung, was ich ein wenig bedauert habe. Allerdings hoffe ich, daß meine Anregungen nützlich waren. Aber einen Punkt von damals möchte ich noch anschneiden. Mittlerweile sind die Seewölfe wieder in England, und die junge Freundin von Luke Morgan, Asha Sharam, tauchte nicht wieder auf. Sie wurde doch hoffentlich nicht vergessen? An und für sich sollte sie bereits in Lissabon sein. Vielleicht holen die Seewölfe sie ja auch auf dem Rückweg in die Karibik ab. Nun komme ich auf das derzeitige Thema der Foren, die Zyklen: natürlich hatten sie gewisse Vorteile. Die Autoren hatten die Möglichkeit, den einen oder anderen Charakter besser herauszustellen. Andererseits wurde die Handlung sehr in die Länge gezogen. Ich möchte nicht sagen, daß ich dafür bin, die Zyklen Wiederaufleben zu lassen, aber vielleicht könnte man doch hin und wieder den einen oder anderen bringen, nicht zu lange jedoch. Zehn bis fünfzehn Bände sollten ausreichend sein, ohne jene zu verärgern, die keine Zyklen mögen. Selbstverständlich ist es nicht einfach, einen Mit
telweg zu finden. Da ich selbst ein wenig schreibe, kann ich, glaube ich wenigstens, die Autoren verstehen. In letzter Zeit nahm die Serie deutlich an Fahrt auf ... Nun noch meine Suchmeldung, sie war auch im letzten Brief, der nicht veröffentlicht wurde. Sollte man mich mißverstanden haben, als ich schrieb, daß ich bereit bin, den Neuwert zu zahlen? Selbstverständlich nicht mehr als DM 2,50 pro Band plus Porto. Ich suche die Bände Nr. 15 und 16. Mit freundlichen Grüßen - T H
Herzlichen Dank für Ihren Brief, lieber HerrH .Natürlich erhielten wir Ihre Kopie vom Schreiben an den damaligen Chefredakteur. Sie brauchen sich nicht zu sorgen, daß Sie übers Ziel hinausgeschossen wären. Der Brief war sachlich und begründet - für eine zweite Auflage der Seewölfe. Aber viele Briefe gingen zum Thema der Zweitauflage leider nicht ein, so daß die Verlagsleitung keineswegs ermuntert wurde, dieses Problem erneut zu überdenken. Ihr Wunsch, Luke Morgan möge nun seine Asha Sharam wieder in die Arme nehmen, bleibt wohl auch unerfüllt, denn die Seewölfe klüsen zur Zeit ja bereits westwärts, um die Auswanderer in die Neue Welt zu bringen. So hängt wieder ein „rotes Fädchen" in der Luft und wartet darauf, zu Ende geknüpft zu werden - eine Tatsache, die damit zusammenhängt, daß die SW-Autoren ihre einzelnen, in sich abgeschlossenen Stories schreiben, allerdings nach einer Generallinie, die ihnen von Fred McMason vorgegeben wird. Das passiert eben, wenn wir auf die Zyklen verzichten...
Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
In der Seemannskiste der SW-Nr. 612 brachten wir die Zeichnung eines Segelschiffsmastes mit seinen Stengen und Rahen sowie anderer Einzelheiten. Auf den beiden vorigen Seiten stellen wir unseren Lesern als Ergänzung den Untermast eines Rahseglers mit seinen Details vor. In dieser und ähnlicher Form waren die Rahsegler um die Jahrhundertwende geriggt, wobei zu bemerken wäre, daß der Mars (A) meist rundum mit einer Segeltuchverkleidung versehen war, die den Ausguck etwas abschirmen sollte. 1 Untermast, 2 Unterwanten, 3 Püttingswanten (über sie stieg man - wobei man umgreifen mußte - von außen auf den Mars), 4 Topp des Untermastes, 5 Marsstenge, 6 Stengewanten, 7 Stengepardunen (mit den Pardunen, die sich hinter den Wanten befinden, werden die Stengen schräg achterlich nach der Seite verspannt; sie gehören wie die Wanten zum stehenden Gut eines Segelschiffs), 8 Brampardune, 9 Royalpardune, 10 Brampüttingswant, 11 Bramwanten, 12 Eselshaupt der Marsstenge, 13 Bramstenge, 14 Royalstenge, 15 Flaggentopp, 16 Flaggenknopf. A Mars, 1 Marsrand, 2 Längssaling des Untermastes, 3 Dwarssaling des Untermastes, 4 Soldatengatts (von den Seeleuten spöttisch so genannt, weil die Seesoldaten es vorzogen, durch dieses Loch auf den Mars zu gelangen, statt außen herum, was freilich gefährlicher war - siehe 3 auf S. 34). B Eselshaupt des Untermastes (das brillenförmige Verbindungsstück von Untermast und Stenge). C Längssaling, 1 Bram-Längssaling, 2 Dwarssaling, 3 Ausleger.
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len auf die Schulter und trug sie zur „Explorer" hinüber.
„Gehet hin, die ihr mühselig und beladen seid", murmelte er dabei zu den Pilgern. „Er wird euch erquicken, Amos - äh - Amen, meine ich."
Amos Toolan sah mit biedermännischer Jovialität zu, wie die neun Schäfchen auf seine Galeone überwechselten. Noch mehr allerdings schien er sich zu freuen, als die fünfhundertvierzig Scherflein den Besitzer wechselten. Wenn man bedachte, daß der Schiffszimmermann von Amos Toolan sechseinhalb Pfund Jahresheuer empfing, war das ein ansehnlicher Batzen Geld, den der Dicke da einstrich.
Jetzt blickte er gottergeben zum Himmel und dankte dem Herrn, wobei allerdings offenblieb, wofür er ihm dankte. Hasard tippte da mehr auf die Scherflein. Die nahmen kaum Platz weg und fraßen ihm überdies nicht die Haare vom Kopf. Und Ärger kriegte er mit denen auch nicht.
Die Pilger wechselten über. Ihr Gepäck, das ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten durfte, wurde in den Stauraum verfrachtet. Sie behielten nur das Allernotwendigste zu ihrem persönlichen Gebrauch bei sich.
„Das Problem haben wir gelöst", sagte Hasard. „Der liebe Amos ist wahrhaftig ein christlicher Mensch, unendlich in seiner großen Güte. Aber die Talerchen stehen ihm zu."
„Ohne die Talerchen wäre ihm das freie Plätzchen ganz sicher nicht eingefallen", erklärte Ben. „Erstaunlich, was ein paar glitzernde Talerchen so alles bewirken können."
„In der Tat." Hasard seufzte. „Der anständigste von allen scheint mir noch James Drinkwater zu sein. Er hat sofort zugesagt, ohne sich lange zu zieren."
„Dann haben wir ja fast alles erledigt", meinte Dan, „bis auf einen letzten kleinen Punkt, den es noch zu klären gibt."
Hasard runzelte die Stirn und sah Dan fragend an.
„Was gibt es denn noch?" „Die Karavelle, Sir", erinnerte Dan
O'Flynn. „Wollten wir den Herrschaften nicht einmal auf den Zahn fühlen?"
„Richtig, das hatten wir vor. Unsere Schäfchen sind auf Kurs und halten ihn hoffentlich auch. Da können wir uns einen kleinen Abstecher ruhig mal erlauben. Also, Kurs auf die Karavelle, Sten."
„Aye, aye, Sir." Stenmark legte Ruder.
5.
Die Karavelle segelte ganz achtern am Verband und lag etwa eine halbe Meile zurück. Sie war ein gutes Schiff und offenbar auch hervorragend in Schuß, soweit sich das aus dieser Entfernung erkennen ließ.
„Mit welchem Recht wollen wir sie eigentlich kontrollieren?" fragte Ben Brighton gelassen. „Nur, weil sie wie zufällig unserem Kurs folgt?"
„Eine gute Frage. Aber ich bin nun einmal von Natur aus mißtrauisch und in diesem Fall auch neugierig. Gestern hat jemand gesagt, die Kerle sähen aus wie Schnapphähne. Da wir aber die Verantwortung für den gesamten Verband haben, steht uns auch zu, sich einmal nach jenen ganz freundlich zu erkundigen, die uns so beharrlich folgen. Es könnte ja eine Absicht dahinterstecken. Wenn dir ständig jemand folgt, würdest du ganz sicher auch neugierig sein, was der von dir will."
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„Nun ja, dagegen ist nichts einzuwenden", meinte Ben. „Aber sie werden dir die Antwort geben, daß sie segeln können, wo sie wollen."
„Das sagtest du schon einmal. Fragen wir trotzdem mal nach."
Für die Kerle auf der Karavelle war jetzt unverkennbar, daß die schnelle Schebecke direkten Kurs auf sie nahm. Sie war mit dem Heck durch den Wind gegangen und lag jetzt mit Steuerbordhalsen direkt auf Gegenkurs. Das Manöver war blitzschnell erfolgt. Für einen unwissenden Zuschauer wirkte es fast, als sollte hier ein Passagiergefecht stattfinden.
Carberry hatte sich den Kieker ausgeliehen und peilte die Lage.
„Schnapphähne ist eigentlich nicht das richtige Wort", sagte er. „Die Kerle sehen eher etwas abenteuerlich aus. Bin mal gespannt, was die Bübchen uns zu erzählen haben. Scheinen so eine Art Glücksritter zu sein."
Gerade als er das Spektiv an Dan zurückgab, änderte die Karavelle ein wenig den Kurs nach Steuerbord und hielt näher auf das Land zu. Sie schien das North Foreland runden zu wollen, oder aber sie wollte die Begegnung mit der Schebecke vermeiden.
Hasard ließ sich davon nicht beirren. Für die Schebecke war es nur ein Klacks, erneut zu halsen. Ein paar Minuten später lag sie bereits auf dem anderen Bug und deckte die Karavelle ab. Dann segelten sie auf gleicher Höhe dahin, nur ein paar Yards voneinander entfernt.
Wie viele Leute sich an Bord befanden, ließ sich nicht feststellen. An Deck waren vier Mann zu sehen, der Rest hielt sich unten auf.
Hasard sah auf dem Achterdeck einen Mann in mittleren Jahren mit ei
nem dunklen Vollbart, der so tat, als habe er die neben ihm segelnde Schebecke nicht bemerkt. Ein jüngerer Bursche stand am Ruder, der ebenfalls kein Interesse an dem eigenartigen und hier so gut wie unbekannten Schiff zeigte.
Ein weiterer stand wie verloren auf dem mittleren Deck und blickte offenbar interessiert zum Land hinüber, während der vierte auf einer Taurolle hockte und die Planken zu zählen schien.
Sie ignorierten die Schebecke ganz bewußt, das stand für den Seewolf fest, denn sie gönnten ihr keinen Blick.
Das Schiff selbst war in Ordnung und zweifellos seetüchtig. Es schien frisch überholt worden zu sein.
Stenmark segelte so dicht heran, bis er das Weiße im Auge des Rudergängers erkennen konnte.
Ein weiterer Mann erschien an Deck. Er warf einen kurzen Blick auf die Schebecke und schlurfte dann behäbig nach achtern. Es war ein wüst aussehender Bursche mit kurzen Haaren und Bartstoppeln in einer verlebt wirkenden Visage. Seine Augen blinzelten tückisch.
„Darf man fragen, wohin Sie segeln?" fragte Hasard hinüber. „Sie scheinen den Fühlungshalter zu spielen, aber ich bin sicher, daß Sie nicht zu meinem Verband gehören. Warum folgen Sie uns so hartnäckig?"
Der Stoppelbärtige blieb dicht vor dem Niedergang zum Achterdeck stehen und warf einen Blick herüber. Dann zuckte er mit den Schultern und sah den Bärtigen an.
„Meinen die uns?" fragte er. „Weiß nicht, was die von uns wol
len", sagte der Bärtige so laut, daß sie es auf der Schebecke mühelos verstanden. „Keine Ahnung. Sie fragen,
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wohin wir segeln. Aber wen geht das was an, nicht wahr?"
Die Kerle grinsten ein bißchen hinterhältig. Der Kerl auf der Taurolle reckte sich und stand auf.
„Ja, wohin segeln wir denn?" fragte er höhnisch. „Immer dem Bug nach, was?"
„Ja, immer dem Bug nach", sagte der Bärtige und schien sich köstlich zu amüsieren. „Wenn wir dem Heck nachsegeln, müßten wir ja wieder zurück."
Das schien auch die anderen ungemein zu erheitern, denn sie lachten laut und ungeniert.
Hasard blickte auf die Persennings. Darunter verbargen sich den Konturen nach Drehbassen kleineren Kalibers. Sie hatten insgesamt sechs Drehbassen an Bord und zwei kleine Stücke zusätzlich auf jeder Seite. Zweifellos handelte es sich um Dreipfünderfalkons, die seewassergeschützt ebenfalls unter Persennings verborgen waren.
„Genau die dämliche Antwort habe ich erwartet", sagte Ben. „Sie war vorauszusehen. Die lachen uns aus, die Rabauken."
„Vielleicht wäre es besser, Sie segelten dem Heck nach", sagte Hasard laut. „Es kann durchaus sein, daß Ihnen gleich ein Stück vom Bug fehlen wird."
„Unser Bug ist stabil!" rief der wüste Kerl. „Der hält was aus!"
„Das dürfte sich ja feststellen lassen", meinte Hasard und gab dem Waffen- und Stückmeister Al Conroy ein Zeichen mit der Hand.
AI Conroy hatte sofort begriffen. Sie verstanden sich auch ohne lange Worte und Erklärungen.
Zwei Stückpforten flogen hoch. Tucker, Shane, Matt Davies und Jack Finnegan rannten zwei Culverinen
aus. Die dunklen Schlünde der Kanonen zeigten genau auf den Bug der Karavelle. Shane hielt wie durch Zauberei plötzlich eine glimmende Lunte in der Faust und schickte sich an, sie auf den Zündkanal zu pressen.
Hasard registrierte zufrieden, daß der Bärtige und der andere Kerl mit den Stoppeln im Gesicht schlagartig die Farbe wechselten, als sie sich übergangslos mit den beiden Rohren konfrontiert sahen. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet.
„Hehe!" rief der Bärtige nervös. „Was soll das denn? Friedliche Handelsfahrer angreifen, was? Wir haben euch nichts getan, und zu holen ist bei uns auch nichts. Ihr versteht wohl keinen Spaß?"
„Wir wollen nur eine ehrliche Antwort", sagte Hasard kühl. „Ich habe Sie nach dem Kurs gefragt und wollte Aufklärung darüber, warum Sie uns so hartnäckig folgen."
„Wir folgen euch überhaupt nicht!" rief der Bärtige empört. „Aber wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Wir segeln nach Ramsgate und dann weiter über den Atlantik zu den - äh den..."
„Zu den Azoren", setzte der andere hinzu. „Aber leider gibt es nur diesen einen Weg. Wir hatten nicht die Absicht, um Nordirland herumzusegeln, nur weil ihr zufällig vor uns seid."
Hasard wußte, daß sie ihn anlogen. Sie stellten es als einen reinen Zufall hin. Aber ihre ganzen Segelmanöver deuteten daraufhin, daß sie die Absicht hatten, an dem Verband zu bleiben. Sie hatten immer wieder in den Wind gedreht und abgewartet, bis der Verband sich neu formiert hatte. Sie würden diese Laus im Pelz also auch künftig weiter mit sich herumschleppen müssen.
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Der Stoppelbärtige wurde jetzt auch noch frech und grinste.
„Damit dürfte dann wohl alles klar sein, Gents!" höhnte er. „Im übrigen können wir hinsegeln, wo es uns paßt. Wir können sogar zum Mond segeln, wenn wir wollen. Oder habt ihr die See für euch allein gepachtet? Wir sind der Ansicht, daß sie allen gehört."
Ben Brighton grinste dünn. Er hatte, wie gesagt, keine andere Antwort von den Kerlen erwartet.
„Natürlich gehört die See allen", sagte Hasard verbindlich, ohne sich seinen Ärger anmerken zu lassen. „War ja auch nur eine Frage, Gents. Mehr wollte ich gar nicht wissen. Mast- und Schotbruch! Und besten Dank für die aufschlußreiche Antwort."
Die Gents sahen ihn etwas unbehaglich an, als der schwarzhaarige Riese ihnen aus seinen durchdringend blikkenden eisblauen Augen einen Blick zuwarf. Der Bärtige las darin eindeutig eine Warnung. Er wollte noch ein paar hohnvolle Worte hinzufügen, unterließ es dann jedoch. Die Kerle auf der Schebecke sahen wie Eisenfresser aus, und es war wohl gesünder, sich nicht weiter mit ihnen anzulegen.
Er und seine anderen Rabauken waren sichtlich erleichtert, als die Schebecke wieder abdrehte und den drei Galeonen folgte.
„Teufel, Teufel auch", sagte der Vollbärtige, „das scheint ein ganz scharfer Hund zu sein. Bellt sich die Kehle heiser, nur weil wir ein bißchen in seinem Kielwasser quirlen. Kann ihm doch, bei allen Teufeln, egal sein, wohin wir segeln, und wenn wir zur Hölle fahren."
Der Kerl mit den tagealten Bartstoppeln sah der Schebecke nach und kniff die Augen schmal.
„Vor dem sollten wir uns wirklich in acht nehmen", sagte er nachdenklich. „Dem paßt das ganz und gar nicht, daß wir uns achtern an seinen Verband hängen. Gibt man dem eine blöde Antwort, dann zeigt er gleich seine Kanonen. Wir werden wohl etwas mehr Abstand halten müssen, sonst rückt uns der Kerl ernsthaft aufs Fell."
Auch die anderen taten sehr empört, weil jemand gewagt hatte, sie nach dem Kurs zu fragen. Die See war weit und groß - und sie gehörte allen.
Aber sie brauchten den Verband, um an ihr Ziel zu gelangen.
„Was grinst du so impertinent?" fragte Hasard seinen Ersten, der Daumen und Zeigefinger unter das Kinn gelegt hatte und halb achteraus blickte, so daß er die Karavelle gerade noch im Blickfeld hatte.
„Ich will mich nicht ständig wiederholen", erwiderte Ben. „Aber war das eigentlich nötig? Die Kerle haben uns verspottet und sich eins gegrinst. Sie haben haargenau die gleiche Antwort, die auch du einem anderen gegeben hättest, Sir. Ich mußte nur grinsen, weil ich nichts anderes erwartet habe."
„Natürlich war das nötig", sagte Hasard. „Wir haben eine lange Reise vor uns, die erst dann richtig beginnt, wenn wir den Atlantik in Angriff nehmen. Da möchte ich gern wissen, mit wem man es zu tun hat. Die Kerle sahen mir keineswegs wie friedliche Handelsfahrer aus."
„Sie wollen zu den Azoren. Da haben sie für eine Weile zwangsläufig denselben Kurs wie wir."
„Sagten sie. Und wer das glaubt, mag selig werden. Ich glaube es jeden
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falls nicht. Das war gelogen, denn sie haben viel zu lange mit der Antwort gezögert."
„Weshalb folgen sie uns dann?" „Weil für sie die Navigation ver
mutlich ein Buch mit sieben Siegeln ist. Sie haben keinen fähigen Mann an Bord."
„Das ist nur eine Vermutung." „Stimmt, aber sie wird sich als rich
tig erweisen. Da sind ein paar Hitzköpfe und Rabauken an Bord, die in die Neue Welt wollen. In London haben sie was läuten hören und auf eine solche Gelegenheit geradezu gewartet. Das ist meine Theorie."
„Dann hätten sie mit einem Pilgerschiff mitreisen können", wandte Ben Brighton ein.
„Diese Art von Kerlen reist nicht auf Pilgerschiffen, denn da müssen sie sich unterordnen, was keinesfalls in ihrer Absicht liegt. Sie wollen frei und unabhängig sein."
„Was veranlaßt sie, in die Neue Welt zu segeln?"
„Gold", sagte Hasard trocken. „Nichts weiter als Gold. Da hat ihnen jemand einen Floh ins Ohr gesetzt. Sie wollen reich werden, genau wie unsere drei Spinner an Bord, die auch nur ständig vom Gold faseln und sich sofort verdrücken werden, wenn wir erst einmal drüben sind."
„Dann sollen sie doch in unserem Kielwasser selig werden. Die Kerle gehen uns nichts an."
„Da irrst du dich, alter Freund, und ich möchte meine Vermutung gern noch ein wenig weiter ausspinnen. Angenommen, wir werden unterwegs durch widrige Winde oder was auch immer aufgehalten. Kann auch eine längerdauernde Kalme sein. Weiter angenommen, die Kerle haben sich nicht mit genügend Trinkwasser und Proviant eingedeckt. Sie sind
buchstäblich am Verhungern oder Verdursten. Was werden sie dann wohl tun?"
Ben Brighton brauchte nicht lange zu überlegen.
„Aha, daher weht der Wind", sagte er bedächtig, wie es seiner Art entsprach. „Du meinst, sie werden sich dann das von anderen holen, was sie so dringend brauchen."
„Genau das meine ich, und deshalb wollte ich mir diese Kerle ein wenig näher ansehen. In derartigen Situationen gibt es Mord und Totschlag. Da werden alle Skrupel über Bord geworfen, und jeder ist sich selbst der Nächste. Kerle, die sich in einer extremen Situation befinden, werden sich nicht scheuen, die Pilgerschiffe zu überfallen. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. Es kann natürlich auch alles ganz anders sein, aber dann habe ich mich eben geirrt."
Ben Brighton nickte langsam. Später sollte er noch einmal an Hasards Worte erinnert werden.
„Du hast recht, Sir. Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet, obwohl die Möglichkeit immerhin besteht. Andererseits können wir den Kerlen nicht verbieten, auf unserem Kurs zu segeln."
„Das werden wir auch nicht. Aber wir werden ein waches Auge auf sie haben, denn sie drehen auf dem Atlantik sicher nicht in Richtung der Azoren ab. Lassen wir uns überraschen."
Die Karavelle mit ihren undurchsichtigen Kerlen segelte jetzt dicht unter Land und hatte die „Pilgrim" überholt. Auch an der „Discoverer" würde sie bald vorbei sein, um dann die Spitze zu runden. Noch lief der Verband auf Ostkurs, doch schon gleich würde sich das ändern. Dann wurde gerundet und auf Südkurs wei
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tergesegelt. Die Rabauken auf der Karavelle schienen sich jetzt nicht mehr um den Verband zu kümmern und segelten ihm auf und davon, als hätten sie nichts mehr damit zu tun.
Hasard wußte es jedoch besser. Sie liefen Ramsgate an und würden sich dort auf die Lauer legen, denn sie hatten genau beobachtet, was sich auf den Schiffen getan hatte. Sich darauf etwas zu reimen, fiel selbst dem Dümmsten nicht schwer.
Amos Toolan mit der „Explorer" war der erste, der rundete und damit den neuen Kurs einschlug. Noch während der Rundung zog die Karavelle an der Galeone vorbei und verschwand hinter dem vorspringenden Landstrich.
Alles klappte zu Hasards Zufriedenheit. Die zweite und dritte Galeone rundeten und liefen jetzt mit fast achterlichem Wind auf Südkurs.
Auch die Weisung des Seewolfs, sich vorerst dicht unter Land zu halten, wurde von allen eingehalten.
Bis nach Ramsgate war es jetzt nicht mehr weit.
„Bis wir dort sind und alles an Bord genommen haben", sagte Hasard, „ist es ohnehin dunkel. Ich werde den anderen vorschlagen, diese Nacht auf der Reede zu verbringen. Die See wird ruppiger, und auch der Wind scheint aufzubrisen. Morgen früh sind dann alle ausgeruht, und wir können in den Kanal segeln."
„Das halte ich für eine gute Lösung", meinte Ben. „Nachdem wir ohnehin schon Zeit durch diesen Granville verloren haben, kommt es auf eine Nacht nicht mehr darauf an."
Robert Granville, von dem auf der Schebecke gerade die Rede war, befand sich in ausgesprochen schlechter Stimmung. Mit finster zusammengezogenen Augenbrauen wanderte er auf dem Achterdeck ruhelos und verärgert von einer Seite zur anderen. Einmal streifte sein Blick verächtlich die Schebecke, die sich ihnen näherte, nachdem sie auf die Karavelle losgesegelt war.
„Möchte wissen, was der alten Lissy eingefallen ist, uns einen Bewacher mitzugeben, der sich wie ein Schießhund aufführt", sagte er wütend. „Den Seewolf gibt sie uns mit, diesen Korsaren, der seinen immensen Reichtum irgendwo in der Karibik verborgen hält und auf unermeßlichen Schätzen hockt. Zum Dank hat er ihr eine alte marode Galeone mit ein paar Silberbarren mitgebracht, und darüber hat sie sich noch gefreut. Für den Kerl war das doch nur ein Almosen. Aber auf mir hackt er herum, als hätte ich den Himmel niederstürzen lassen - wegen ein paar lumpiger Pfund. Nun sagen Sie doch auch mal was, Harris", fuhr er den Ersten Offizier an. „Sie sperren nur das Maul auf und horchen zu. Haben Sie etwa keine eigene Meinung?"
„Die habe ich schon, Sir", erwiderte der Erste etwas förmlich. „Nur unterscheidet Sie sich ein wenig von der Ihren."
„Sie haben doch wohl die Tatsachen gesehen", polterte Granville. „Oder fiel Ihnen nicht auf, daß der Kerl mich beleidigt und gedemütigt hat?"
„Er vertritt eine andere Auffassung von Recht als Sie, Sir."
„Ach ja? Sie halten wohl noch zu diesem Bastard?"
„Ich weiß nur, daß über ihn und seine Männer eine Menge Lügen ver
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breitet worden sind, Sir. Das bezieht sich zum einen auch auf die sogenannten Schätze, auf denen er in der Karibik angeblich hockt. Bisher hat sich immer erwiesen, daß nichts davon stimmt und alle Märchen auf die Intrigen gewisser Hofschranzen zurückgehen. Er hat verständlicherweise viele Neider."
„Und was ist mit mir? Harte Worte, Beleidigungen, Schmähungen. Das muß ich mir als Kapitän sagen lassen!" rief Granville erbost.
„Er hat korrekt gehandelt", sagte der Erste, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Korrekt gehandelt, nennen Sie das?" brauste der Kapitän auf. „Sind Sie denn ganz von Gott und der Welt verlassen, Sie uneinsichtiger Kerl?"
Der Erste blieb kalt bis in die Knochen. Er war mit den Machenschaften seines Kapitäns nicht einverstanden und brachte das auch unverblümt zum Ausdruck. Bisher hatte er nur stillschweigend alles übergangen, um keinen Ärger zu provozieren.
„Ich bin mir durchaus bewußt, was ich sage. Das hat mit Gottverlassenheit nichts zu tun. Dieser Mann, den man den Seewolf nennt, hat mit meinem Bruder bei Francis Drake gegen die spanische Armada gekämpft. Ich weiß eine Menge über ihn. Er mag als hart gelten, aber er ist gerecht, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Sie haben ihn durch Ihr Handeln herausgefordert, denn es war nicht vereinbart, weitere Menschen an Bord zu nehmen, Sir. Er hat daraus nur die notwendige Konsequenz gezogen."
„Sie sind mir ja ein feiner Erster Offizier!" höhnte Granville. „Fällt seinem Kapitän bei der ersten Kleinigkeit in den Rücken." Er kniff die Augen zusammen und sah Harris scharf an. „Aber nehmen Sie sich in
acht vor mir, mein Lieber. Ich habe das Gefühl, als würden wir auf dieser Reise nicht viel Freude miteinander haben."
„Ich wurde auch nicht auf dieses Schiff kommandiert, um mich zu freuen", sagte der Erste kühl. „Ich tue hier nur meine Pflicht und bin für die Navigation verantwortlich - und für das, was außerdem in meinen Zuständigkeitsbereich fällt."
„Viel wird das nicht sein, dafür werde ich schon sorgen. Und bei dem ersten kleinen Fehler, der Ihnen unterläuft, stehen Sie im Logbuch. Wenn das später bei der Admiralität vorliegt, werden Sie Ihr Leben lang als Offizier fahren - oder vielleicht als Decksmann."
„Auch das wird mich von meiner Meinung nicht abbringen, Sir, und keinesfalls meine Ansichten ändern. Ich bin eher davon überzeugt, daß man Ihr Verhalten rügen wird, denn auch Sir Hasard führt ein Logbuch über den Verband."
Harris sah, daß Granville hart schluckte. Sein Gesicht verfärbte sich für einige Augenblicke, und es hatte den Anschein, als wolle er jetzt losbrüllen. Soll er, dachte Harris verächtlich. Der Mann, der sich hier so aufführte, als sei ihm alles Unrecht dieser Welt widerfahren, hatte genug Dreck am Stecken.
Er hatte noch vor Beginn der langen Reise eine Ladung Proviant verschoben und sich auf Kosten anderer bereichert, indem er die Pilger betrog. Und das war nur der Beginn einer Reihe von Verfehlungen.
Auch einem Mädchen hatte er sich bereits in schamloser Weise genähert und war dafür von ihren Brüdern fast umgebracht worden. Außerdem hatte er die Preise für die Überfahrt selbst festgesetzt und bei manchen in uner
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trägliche Höhen geschraubt. Harris brauchte nur an die Familie Mercer zu denken, denen Granville so schändlich zugesetzt hatte.
Killigrew hatte auch diese Angelegenheit bereinigen müssen, und er verstand durchaus, warum der Seewolf leicht gereizt wirkte und bei Unregelmäßigkeiten sofort hart durchgriff.
„Sie armes Würstchen", sagte Granville kalt und verletzend. „Was Sie sich einbilden! Den Killigrew sind wir los, vielleicht unterwegs schon, spätestens aber dann, wenn wir drüben sind."
„Wie darf ich das verstehen, Sir?" „Wie Sie wollen, ganz wie Sie wol
len. Und jetzt setzen Sie den neuen Kurs fest und stellen Sie keine dämlichen Fragen."
„Der Kurs liegt längst fest, Sir, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Wir liegen die Reede von Ramsgate an und halten uns anschließend immer in Sichtweite der englischen Küste, bis wir den Kanal verlassen haben. So war es angeordnet."
Granville knirschte vor Wut hörbar mit den Zähnen. Er blaffte den Rudergänger hart an, obwohl der sich keines Fehlers bewußt war. Aber an irgendeinem mußte er seine Wut auslassen, denn der Erste war so kalt wie Gletschereis. Er konnte ihm auch nicht widersprechen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, denn der Kerl hatte Recht, was den Kurs betraf.
Robert Granville nahm sich vor, es diesem „Frechling" zu zeigen. Auf der langen Fahrt würde sich Gelegenheit genug ergeben, um den Burschen kleinzukriegen.
,,Soll ich mich in Ramsgate um die zusätzliche Proviantaufnahme kürn
mern, Sir?" fragte der Erste nach einer Weile.
Granville fuhr aus finsteren Gedanken hoch.
„Nein, das besorgt der Koch, Mister Bascott. Er hat mein volles Vertrauen und erledigt das zu meiner Zufriedenheit. Ich kenne Sie noch zu wenig, um Sie mit einer derart verantwortungsvollen Aufgabe zu betrauen."
Das war ein Schlag ins Gesicht, eine einzige Beleidigung. Aber auch die steckte Harris mit kühler Gelassenheit weg.
„Wie Sie wünschen", sagte er kalt. „Der Koch ist in der Tat eine äußerst vertrauenserweckende Person." Das klang ziemlich ironisch.
„Zweifeln Sie etwa daran?" fragte Granville drohend.
„Ich persönlich zweifle sehr daran, aber das ist meine eigene, persönliche Meinung."
„Die mich einen Dreck interessiert!" schrie Granville.
Etwas später war er mit dem Rudergänger allein auf dem Achterdeck. Harris war für eine Viertelstunde nach unten in seine Kammer gegangen.
„Tut mir leid, wenn ich dich vorhin angebrüllt habe, Frank", sagte der Kapitän zum Rudergänger. Der schrak heftig zusammen, denn eine Entschuldigung hatte er vom Kapitän noch nie gehört.
„Es war nicht so gemeint. Ich habe mich nur über diesen vorlauten Idioten von Harris geärgert."
„Aye, aye, Sir", sagte der untersetzte Mann höflich.
Granville griff in die Tasche und brachte eine große Goldmünze zum Vorschein, die er dem Rudergänger unter die Nase hielt.
„Weißt du, was das ist?"
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Die Augen des Mannes leuchteten begehrlich. Er schluckte aufgeregt.
„Eine spanische Dublone, Sir", sagte er andächtig.
„Ganz recht, mein lieber Frank, eine Dublone. Und hier ist noch eine. Hast du schon einmal zwei Dublonen gehabt?"
„Noch nicht mal eine, Sir", stammelte der Mann.
„Du kannst sie dir alle beide verdienen, Frank. Du bist ein tüchtiger und aufmerksamer Rudergänger, das werde ich bei der Rückkehr lobend erwähnen, und dann kannst du bald als Erster Offizier aufrücken. Paß mal auf, was ich dir jetzt sage: Wenn diese verdammte Schebecke wieder so dicht vor uns herumkrebst, dann wirst du versuchen, sie blitzschnell zu rammen. Das muß aber so aussehen, als sei es deiner Dummheit zuzuschreiben, verstehst du? Du hast einfach einen Fehler begangen. Fehler begeht jeder Mensch mal, das ist nicht so schlimm. Wenn du dem Kahn ordentlich eine verpaßt hast, sind wir diesen Seewolf los und beide Dublonen gehören dir. Ich werde dich dann natürlich auch an meinen Geschäften beteiligen, und du wirst eine Menge Geld erhalten. Das muß aber unter uns bleiben, verstanden?"
Für den einfältigen Kerl am Ruder war das der Höhepunkt seines Lebens. Er wurde zum Verschwörer des Kapitäns, der ihn ernst genug nahm, eine solche Sache auszuführen.
Er nickte begeistert und gierig und dachte an den Reichtum, der ihm versprochen wurde. Klar, daß man dafür etwas tun mußte. Von allein fiel einem nichts in den Schoß.
„Aye, aye, Sir", sagte er hastig. „Das werde ich tun, Sir. Ich tu das wirklich gern für Sie, Sir."
„Du wirst dann von mir natürlich
einen gewaltigen Anschiß kriegen, aber du weißt ja, wie das gemeint ist, nicht wahr? Du wirst dich dann entschuldigen und alle Schuld auf dich nehmen. Niemand wird dich zur Rechenschaft ziehen. Wenn die Gelegenheit günstig ist, gebe ich dir ein Zeichen. Ich werde dann niesen, und du rammst den Kahn. Wenn er beschädigt ist, setzen wir die Reise ohne die Bastarde fort."
Der Rudergänger war begeistert, seinem Kapitän gefällig sein zu können. Natürlich waren da noch die schönen Talerchen, die so verheißungsvoll blinkten und so schwer waren.
„Laß dir nichts anmerken und grinse nicht so dämlich", zischte Granville ihm zu, als Harris wieder erschien.
Die Gelegenheit dazu ergab sich früher, als Granville gehofft hatte. Das war der Zeitpunkt, als sie die Reede von Ramsgate anliefen, um dort vor Anker zu gehen.
Die Schebecke kurvte zwischen den Galeonen herum. Die Kerle waren sorglos und segelten dicht an der „Discoverer" vorbei mit Kurs auf die weiter vorn segelnde „Pilgrim".
Von den Arwenacks rechnete auch keiner mit einem derart ausgefallenen Manöver.
Frank hielt den Kolderstock umklammert und starrte auf das tieferliegende Schiff. Dort schickten sie sich gerade an, die Segel an den langen Rahen abzufieren und vor Anker zu gehen.
Die Gelegenheit war äußerst günstig, denn die „Discoverer" hatte noch genügend Fahrt drauf.
Mitten in Franks Überlegungen hinein nieste der Kapitän laut.
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6.
Der Mann am Kolderstock legte mit aller Kraft Hartruder. Dazu grinste er versteckt und dümmlich. Der Bug der Galeone schnitt mittschiffs auf die Schebecke zu.
Ben Brighton wollte gerade den Befehl zum Ankern geben, als er den Bug riesengroß vor der Schebecke auftauchen sah. Er drehte genau auf sie zu und rückte bedrohlich näher.
„Ist der Kerl verrückt geworden?" sagte er fassungslos.
Stenmark reagierte bereits, aber er hatte das Handicap, daß die Schebecke kaum noch Fahrt lief, während die Galeone aus fast vollem Preß in den Wind zu drehen versuchte.
„Verdammt!" fluchte Sten, angesichts des immer riesiger werdenden Schiffes. Er legte ebenfalls Hartruder, doch eine schwere Kollision der beiden Schiffe schien unvermeidlich.
Smoky, der Profos und Gary Andrews erkannten die Gefahr ebenfalls und griffen wieselflink zu den Bootshaken. Die Schebecke schien träge im Wasser zu hängen und rührte sich anscheinend nicht.
Die Haken knallten in die Bordwand der ,,Discoverer''. Kräftige Fäuste drückten mit aller Kraft zu und milderten so den Anprall ein wenig. Trotzdem gab es einen gewaltigen Schlag. Die Schebecke erzitterte von vorn bis achtern in allen Verbänden. Dem Kutscher sauste in der Kombüse ein halbvoller Kessel vom Herd, der polternd auf die Dielen krachte.
Heiße Suppe spritzte durch die Kombüse. Mac Pellew sah zwei Sekunden später aus wie ein Ferkel und brüllte dementsprechend lautstark herum.
Ein zweiter Ruck folgte. Den Arwenacks war es im allerletzten Augen
blick gelungen, den Anprall zu lindern. Aber noch einmal wurde die Schebecke durchgeschüttelt. Dann glitt die Galeone an ihr vorbei.
„Ihr Rübenschweine solltet besser Waschzuber segeln!" schrie der Profos zum Achterdeck hinüber und schüttelte die Faust. „Zu dämlich, um den Kolderstock zu bedienen, diese Pißheringe!"
Granville blickte vom Achterdeck hinunter und sah in Hasards Gesicht, das nichts Gutes verhieß.
„Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Granville?" brüllte der Seewolf. „Sie gehen mir langsam auf den Geist mit ihren idiotischen Segelmanövern!"
„Tut mir leid, Sir!" rief Granville zurück, obwohl in seinem Gesicht nichts darauf hindeutete, daß es ihm wirklich leid tat. „Aber es ist ja nicht viel passiert."
Hasard wollte gerade ein paar freundliche Worte sagen, doch da hörte er Granville bereits toben und fluchen.
„Du dämlicher Hund!" schrie er den Rudergänger an. „Du solltest Backbord Ruder legen und nicht umgekehrt, du verdammter Tölpel. Los, ein anderer Mann ans Ruder! Und tritt mir nicht wieder unter die Augen, du Dummbart!"
Der Rudergänger mußte sich eine Menge anhören und schluckte alles in demütiger und halbgeduckter Haltung.
„Es tut mir leid, Sir!" rief er weinerlich. „Es wird nicht wieder passieren, das verspreche ich! Ich bin ausgerutscht, Sir!"
„Ein merkwürdiger Kerl", murmelte Hasard. „Da steht er herum in Demutshaltung und grinst wie ein Idiot. Normalerweise müßte ihm das blöde Grinsen vergangen sein."
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Sehr nachdenklich sah er zu dem Mann, der jetzt den Kolderstock verließ und von einem anderen abgelöst wurde. Der Kerl grinste immer noch dümmlich und mit einer gewissen Schadenfreude.
„So dämlich kann gar keiner sein", sagte der Profos. „Luvt das Rübenschwein bei vollem Preß an und mangelt uns fast unter. Wie kann man da Backbord und Steuerbord verwechseln, wenn man die Klüsen auf hat?"
„Ja, das frage ich mich auch", sagte Hasard überlegend. „Dem wird doch nicht einer was geflüstert haben?"
„Wie meinst du das, Sir?" Carberrys Stimme klang tonlos.
„Stell dir mal vor, dieser Idiot hätte uns jetzt mittschiffs durchgesägt oder so gerammt, daß wir die Reise nicht mehr hätten fortsetzen können. Glaubst du auch, daß sich jemand darüber ganz besonders gefreut hätte, Ed? Wir hätten dann wochenlang unseren Kahn reparieren können, und der Verband wäre allein weitergesegelt."
„Du meinst - die haben das mit Absicht . . . Da bleibt mir glatt die Spucke weg, Sir."
„Quod erat demonstrandum, Sir", sagte der Kutscher. „Was zu beweisen war, wie der Lateiner sagt."
„Ja, das dürfte schwerfallen, wirklich. Ich will keinem was unterstellen, aber der Gedanke drängt sich mir geradezu auf, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß sich ein Rudergänger derart unqualifiziert am Ruder verhält."
„Wenn wir ihm das beweisen könnten", sagte der Profos grimmig, „dann würde ich diesem Rübenschwein die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch ziehen und an die Fock zum Trocknen hängen."
Sie hatten jedenfalls noch einmal Glück gehabt. Die meisten dachten ähnlich wie Hasard, nur die Beweise fehlten. Es war doch recht seltsam, daß ausgerechnet die „Discoverer" aus dem Ruder gelaufen war, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Schebecke fast hilflos daneben befand.
Nachdem Granville die Segel weggenommen und den Anker gesetzt hatte, beugte er sich über die Heckbalustrade seines Schiffes und sah auf die Arwenacks hinunter. Sein Gesicht war in heuchlerischem Bedauern verzogen, und er hob hilflos die Hände.
„Es tut mir wirklich leid, Sir", sagte er. „Fast wäre ein Unglück passiert. Ich bemerkte es leider zu spät, doch zum Glück ist ja . . ."
„Nichts passiert", ergänzte Hasard. „Die Feststellung haben Sie schon vorhin getroffen."
An Deck standen Pilger, die sich neugierig über das Schanzkleid lehnten. Sie waren von dem harten Ruck aufgescheucht worden und an Deck geeilt. Es gab jedoch nichts mehr zu sehen.
„Ich werde den Mann natürlich bestrafen", sagte Granville. „Er muß auf der Ruderwache gedöst haben . . ."
Hasard gab keine Antwort. Er sah Granville nur hart in die Augen, bis der Kapitän unsicher wurde und den Blickkontakt mied. Hasard glaubte, die Gedanken hinter der flachen Stirn des Mannes lesen zu können. Der grinste sich eins, er sah es deutlich an seinen Augen.
„Ja - ähem, hm, dann werde ich mich wohl um den Proviant kümmern", sagte Granville. „Die Liste lege ich Ihnen selbstverständlich vor, Sir, damit Sie alles überprüfen kön
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nen. Es soll ja auch alles seine Richtigkeit haben."
„Sollte es", sagte Hasard. „Leider trifft das nur selten zu. Wir bleiben über Nacht hier auf Reede und segeln morgen in aller Frühe vor Sonnenaufgang weiter. Ach ja, noch etwas! Lernen Sie die vereinbarten Flaggensignale bitte auswendig, damit es künftig keine Unstimmigkeiten gibt."
„Selbstverständlich, Sir", sagte Granville, und wieder war deutlich der spöttische Unterton in seiner Stimme herauszuhören.
Hasard wandte sich ab. Er konnte diesen Kerl nicht mehr sehen, er ging ihm auf die Nerven, dieser despotische Heuchler.
„Pilgrim" und „Explorer" waren inzwischen ebenfalls vor Anker gegangen. Sie fierten die Jollen ab, um nach Ramsgate zu segeln und den Proviant an Bord zu nehmen, wie vereinbart war. Diesen Aufenthalt hatten sie ebenfalls Robert Granville zu verdanken. Er wäre nicht erforderlich gewesen.
Hasard sah den Booten nach und wunderte sich, daß der Erste Offizier von der „Discoverer" nicht an Bord der Jolle war. Der tückisch und verschlagen wirkende Koch hatte die Aufgabe übernommen. Neben ihm in der Jolle hockte der Schlägertyp mit der Zahnlücke, der Bootsmann Bruce Watts. Beide palaverten eifrig miteinander.
„Ich werde das bei der Rückkehr kontrollieren", sagte Hasard, „obwohl das überflüssig ist, denn Granville wird sich bei der Proviantaufnahme nicht die geringste Blöße geben."
Er nickte den Männern zu und ging in seine Kammer. In einer halben Stunde wollte er wieder an Deck sein, Während er nach achtern ging, begeg
nete ihm Alec Morris. Er tat so, als sähe er den Seewolf nicht und blickte zum Land hinüber. Hasard schenkte ihm ebenfalls keinen Blick.
Der Kerl hatte sich wieder herausgeputzt. Er trug das blütenweiße Hemd mit den Rüschen und eine himmelblaue Jacke, die bis zu den Knien reichte, darunter weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Die Krönung seiner Erscheinung war der silberbelegte Zierdegen an seiner Seite. Damit wollte er offenbar Eindruck schinden, obwohl die Arwenacks solche Dinger immer als Piekser oder Zahnstocher bezeichneten.
Alec Morris wählte das Achterdeck, wo Ben Brighton, Don Juan de Alcazar und Dan O'Flynn standen.
„Na, noch mal Glück gehabt, was?" sagte er und hob die Schultern, um etwas breiter zu wirken. „So dicht segelt man auch nicht vor einer Galeone her, wenn sie den Kurs ändert. Das sollte der Rudergänger eigentlich wissen. Sir Granville hat das Unglück im letzten Augenblick verhindert, nehme ich an."
„Sir?" fragte Dan O'Flynn. „Seit wann ist der denn zum Ritter geschlagen worden? Zudem würde er sich dann Sir Robert nennen, und nicht Sir Granville. Oder ist Ihnen das nicht bekannt?"
Der aufgeblasene Dandy lief rötlich an und räusperte sich.
„Im übrigen", sagte Dan kühl, „haben Sie wohl was in den falschen Hals gekriegt, mein Guter, oder Sie haben ganz einfach Schlick auf den Augen. Sie sollten vorher überlegen, bevor Sie sich so unqualifiziert äußern. Ist das klar?" fragte er dann etwas schärfer als beabsichtigt.
„Brüllen Sie mich nicht so an", empörte sich der Gockel. „Ich bin gewohnt, daß man mir mit Respekt ge
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genübertritt, und den erbitte ich mir auch selbstverständlich von Ihnen."
Die drei Männer auf dem Achterdeck lachten, als sich Morris so aufplusterte. Ihr Lachen deutete an, daß sie das Kerlchen nicht ganz ernst nahmen.
Damit hatten sie allerdings seinen Nerv getroffen, wie sich gleich herausstellte.
„Ich verbitte mir das höhnische Gelächter!" kreischte Morris voller Wut. „Ihr Dümmlinge seid unfähig ein Schiff zu steuern, aber dann über andere lachen, nur weil die sich mal versprechen."
Dan O'Flynn kriegte schmale Augen. Ben Brighton wurde ernst, und auch Don Juan lächelte jetzt nicht mehr.
„Gehen wir zur anderen Seite hinüber", sagte Dan leise, fast flüsternd. „Kann sein, daß mir sonst noch was ausrutscht."
„Ha, wegtreten, was?" höhnte Morris, der ein wenig angetrunken zu sein schien. „So benimmt sich der Pöbel. Offenbar ist Ihnen die Anwesenheit eines Gentlemans eine wenig vertraute Situation."
Dan O'Flynn konnte nichts dafür. Seine Hand zuckte hoch, in seinen Augen glomm ein Funke auf, und dann knallte es auch schon.
Dan O'Flynn hatte eine harte und schnelle Hand. Aber zum Glück für den überheblichen Laffen hatte er sie nicht zur Faust geballt, sonst wäre die Abenteuerreise des Alec Morris vorzeitig beendet gewesen. So knallte ihm nur die flache Hand ins Gesicht, aber das genügte völlig.
Der Dandy zischte ab, quer über das Achterdeck, als hätte er eine Ladung Schießpulver im Achtersteven. Er rannte wie ein Sprinter über die Planken, denn die Wucht trieb ihn
immer noch weiter. Er konnte nicht mehr stoppen. Auch vor dem Niedergang war seine schnelle Fahrt noch ungebremst, und so trudelte er auf die erste Stufe, überschlug sich dort und landete auf den Planken, fast greifbar für den Profos Edwin Carberry, dessen riesige Stiefel noch seinen dummen Kopf berührten.
Der Profos blickte etwas erstaunt auf das temperamentvolle Jüngelchen, das sich jetzt ächzend und stöhnend aufrappelte. Daß der Narbenmann unmittelbar hinter ihm stand, bemerkte Morris nicht.
Jetzt ging ihm der Gaul durch. Einmal war seine Ehre zutiefst verletzt, zum anderen brannte seine linke Wange wie Feuer. Er spürte, daß sie anschwoll und rasch dicker wurde.
In einem rasenden Wutanfall zerrte er an seinem Zierdegen, bis er ihn endlich aus der Scheide hatte. Dann hob er ihn drohend hoch.
„Ich verlange Genugtuung!" kreischte er und wedelte mit dem Ding aufgeregt in der Luft herum.
Für die Arwenacks war das wieder mal ein ergötzlicher Anblick. Da stand ein etwas demoliertes Kampfhähnchen mit knallrotem Kopf und aufquellender Wange und brüllte nach Genugtuung. Sein Käsemesser ging auf und nieder, aber er traute sich nicht aufs Achterdeck. Er drohte lieber aus sicherer Entfernung.
Dan O'Flynn grinste nur verächtlich und winkte ab. Und der Profos hinter ihm schüttelte grinsend den Kopf.
„Stellen Sie sich, Sie Feigling!" schrie Morris. „Und ziehen Sie Ihren Degen, wenn Sie Mut haben!"
„Mut schon, aber keinen Degen", sagte Dan grinsend. „Und nun hauen Sie ab, sonst lacht man Sie noch mehr aus."
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Die Worte versetzten Morris weiter in Rage. Er war tatsächlich etwas angetrunken und daher wesentlich empfindlicher für alles, was gesagt wurde. Mit einem Wutschrei wollte er vorstürzen.
Der Profos sah kopfschüttelnd auf das zappelnde Bündel, das hier den Helden spielen wollte. Er hatte die Beleidigungen dieses Bürschchens mitgekriegt. Auch Hasard, der jetzt an Deck erschien, mußte das meiste noch gehört haben.
Carberry langte mit seiner gewaltigen Pranke zu. Die riesige Faust umklammerte Morris' Handgelenk und drückte ein bißchen. Wenn der Profos „ein bißchen" drückte, konnte er Wasser aus Steinen quetschen. Hier war es nur ein schmales Handgelenk.
Morris schrie gequält auf. Der Piekser entglitt seinen Fingern, fiel auf das Deck und blieb in den Planken stecken.
„Wir wollen hier doch keinen Ärger, was, wie?" fragte der Profos freundlich. „Mit Käsemessern wird nur in der Kombüse rumgefuchtelt, Großlord. Und nun sei ein lieber Junge und verpiß dich, sonst werde ich böse."
Hasard trat auf die beiden Männer zu und musterte Morris scharf.
„Die Kerle haben mich beleidigt!" kreischte Morris. „Ich verlange Genugtuung! Sie haben meine Ehre verletzt!"
„Tut mir leid, Sir", sagte Dan, „mir ist einfach die Hand ausgerutscht. Ich konnte nicht mehr mitanhören, wie sich dieser Kerl aufführte. Er hält sich anscheinend für den Nabel der Welt."
„Dabei ist er bloß der Arsch der Erde", sagte der Profos, der auch noch seinen Senf dazugeben mußte.
„Ich habe fast alles mitgekriegt",
sagte Hasard kalt. „Es ist eine Schande, wie sich dieser sogenannte Gentleman benimmt. Sie sind hier als Gast an Bord, vergessen Sie das nicht", fuhr er den Mann hart an, „und als solcher haben Sie sich auch dementsprechend zu benehmen. Das gilt für die anderen ehrenwerten Gents genauso."
Hasard streifte dabei Sir William und Frank Davenport mit einem eisigen Blick. Die beiden standen etwas verschüchtert herum und wußten nicht, was sie sagen sollten.
Die Lage entspannte sich erst, als Sir Williams vorsichtig sagte: „Das muß wohl ein Versehen gewesen sein. Der gute Alec hat ein bißchen zuviel getrunken. Er wird dann meist etwas problematisch. Wir nehmen ihn mit unter Deck, Sir, wenn es recht ist."
„Ich hab' überhaupt nichts getrunken", maulte Morris. „Ich will..."
„Nehmen Sie ihn mit, und sorgen Sie dafür, daß er erst dann wieder an Deck erscheint, wenn er nüchtern ist", sagte Hasard angewidert. „Seit Sie hier an Bord sind, hat es nur Ärger gegeben. Wenn das nicht aufhört, sehe ich mich gezwungen, Ihnen die weitere Passage auf diesem Schiff zu verweigern."
Das saß. Davenport nickte kläglich, Sir Williams ebenfalls. Nur Morris wollte noch einmal das Maul aufreißen, aber da trat der Profos dicht an ihn heran und sah ihn übelgelaunt an.
Als Morris das finstere Gesicht des Narbenmannes sah, schwand ihm der letzte Mut. Er grinste verzerrt und ließ sich von den beiden anderen widerstandslos nach achtern führen.
„Tut mir leid", sagte Dan O'Flynn noch einmal. „Aber das Bürschchen hat mich regelrecht provoziert."
„Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich hätte diesem Flegel auch eine ge
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langt, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Niemand wird dir das verübeln, außer er selbst. Ich habe fast alles gehört. Hoffentlich war das dem Rüpel eine Lehre."
„Wenn der über den ganzen Atlantik hinweg so klugscheißt, kriegen wir noch mehr Ärger mit dem Würstchen", meinte der Profos.
„Ich werde das rechtzeitig abstellen, auch wenn man mich deswegen für ruppig hält", versprach der Seewolf.
Später, als fast unmerklich die Dämmerung einfiel, kehrten die Boote mit Proviant und zusätzlichen Trinkwasserfässern zurück.
Der Erste Offizier der „Explorer" unter Amos Toolan steuerte die Schebecke an, übergab die Kontrolliste und zeigte auf den verstauten Proviant. Hasard konnte sich von der Richtigkeit überzeugen. Der fromme Mensch hatte sich in diesem Fall nicht lumpen lassen und sogar etwas mehr eingekauft, als erforderlich war. Der unverhoffte Geldsegen hatte ihn etwas großzügiger werden lassen.
James Drinkwaters Zweiter Offizier von der „Pilgrim" meldete sich ebenfalls zur Kontrolle an. Der Mann war penibel und hatte alles sehr sorgfältig aufgelistet. Liste und Ladung stimmten überein.
Nur der Koch der „Discoverer" sorgte wieder mal für eine Ausnahme. Unbekümmert pullten er und seine Kerle auf die Galeone zu.
Ein scharfer Pfiff von Ben Brighton und eine entsprechende Handbewegung holten ihn heran. Die Kerle pullten auf die Schebecke zu.
„Ist was?" fragte Bascott verschlagen. „Wir haben alles, was aufgelistet wurde." Seine Augen von der Farbe schmutzigen Bernsteins waren hinterhältig auf Ben gerichtet.
„Warum legen Sie die Liste nicht vor?" fragte Ben. „So war es besprochen worden."
„Wir ha'm ja alles", motzte der Kerl. „Ich dachte, Sie pullen herüber und sehen nach."
„Sollen wir deshalb erst ein Boot aussetzen?" fragte Ben scharf. „Das wäre wohl weitaus umständlicher, als das Heranpullen mit Ihrer Jolle. Legen Sie an, ich werde Liste und Bestand kontrollieren."
Vier Kerle pullten das Boot, die alle nicht gerade vertrauenerweckend aussahen. Verärgert schienen sie auch noch zu sein, oder empfanden die Kontrolle als Schikane.
Ben Brighton bemühte sich in die Jolle und sah alles gewissenhaft nach.
„Die sechs Fässer sind nicht aufgeführt", sagte er. „Was enthalten sie?"
„Wir müssen ja nicht alles aufführen", sagte der Koch frech. „Schließlich ist der Kapitän ein erwachsener Mann. Die Fässer sind für ihn persönlich bestimmt, wenn es recht ist. Das andere ist für die Pilger."
„Was enthalten die Fässer, wenn die Frage gestattet ist?"
Der Koch grinste wieder verschlagen. Zwei der anderen Kerle rieben sich die Hände und grinsten ebenfalls. Der vierte schien von allen Fässern schon probiert zu haben. Seine Fahne wehte bis zum Land hin.
„Schottischer Whisky, Branntwein, Rotwein", zählte der Koch hämisch auf. „Alles für den Kapitän. Braucht er dafür eine Sondergenehmigung, Mister, oder dürfen wir das an Bord bringen?"
Ben schluckte seinen Ärger hinunter. Der Koch hockte auf der Ducht und grinste ihn höhnisch an.
„Trunkenbolde können soviel saufen, wie sie wollen", erklärte Ben.
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„Das ist nicht meine Angelegenheit. Sie können zurückpullen."
„Ah, vielen Dank, Mister, vielen Dank. Sie sind wirklich sehr großzügig." Ein schmieriges Grinsen begleitete seine Worte, als Ben wieder aufenterte.
Die Kerle pullten los, zur „Discoverer" hinüber. Sie grinsten immer noch bis an die Ohren.
„Der Koch ist ein echtes Rübenschwein", erklärte der Profos, „aber ein schmieriges und hinterhältiges Rübenschwein. Wenn der Fraß so schmeckt, wie der Koch aussieht, darin tun mir die Pilger jetzt schon leid. Das ist einer von der Sorte, die die besten Stücke für sich behalten."
„Das scheint mir auch so", sagte der Seewolf. „Vielleicht verhökert er den Proviant auch unter der Hand. Das traue ich ihm zu. Er erweckt genau diesen Eindruck."
Sie sahen zu, wie die Boote entladen wurden. Etwas später wurden sie aufgehievt und an Deck gezurrt.
Die Dunkelheit brach jetzt herein. Am Horizont standen ein paar kleine Wolken, die das Meer im Süden pechschwarz färbten. Das Wasser war kabbelig, und der Wind wehte beständig aus Nordost.
Ben Brighton teilte die Wachen ein und hielt noch einmal Ausschau nach der Karavelle. Zu seiner Verwunderung war sie nicht mehr zu sehen. Die Dunkelheit hatte sie geschluckt. Sie befand sich irgendwo unsichtbar voraus. Er glaubte nicht, daß sie in dieser Nacht noch weitersegeln würde. Vermutlich lag sie ebenfalls irgendwo vor Anker und wartete auf den nächsten Morgen.
Nach und nach kehrte auf den Schiffen Ruhe ein.
7.
Auf der „Discoverer" brannte nur eine kleine Laterne, die spärlich das Deck erhellte. Ein traniger Posten hockte hinter dem Schanzkleid und stierte vor sich hin. Unten, im Bauch des Schiffes, war es ebenfalls ruhig. Fast alle Pilger schliefen.
In der Kapitänskammer brannte noch Licht. Granville hatte eine Flasche Schottischen vor sich stehen und genehmigte sich einen. Er soff aus Wut und Ärger, denn vor knapp einer Stunde hatte er eine harte Auseinandersetzung mit dem Ersten Offizier Harris gehabt.
Der wollte partout nicht einsehen, daß er, Granville, es rigoros ablehnte, kleine Kinder an Bord zu bevorzugen. Es handelte sich um einen kleinen Jungen, der schwach und fast unterernährt war. Ein Wort hatte das andere gegeben, und jetzt war der Krach da. Sehr harte Worte waren gefallen.
Dieser Erste paßte Granville überhaupt nicht in das Konzept, denn der Kerl nahm sich die Frechheit heraus, seinem Kapitän auf die Finger zu sehen. Er hielt sich auch nicht mit harter Kritik zurück.
Granville setzte den Krug ab, aus dem er getrunken hatte, wischte sich über die Lippen und blickte jenes verschlagene Subjekt an, das auf der „Discoverer" als Koch eingesetzt war. Den Koch hatte er ganz offiziell rufen lassen, um über die Vorräte zu sprechen. Sie taten aber alles andere als das. Ihr Gespräch drehte sich um andere Dinge.
„Dieser Frank ist ein Esel", sagte Granville. „Verpaßt den günstigen Augenblick, um uns die Kerle vom Hals zu schaffen. Beinahe hätte es geklappt, und wir wären die Kerle losgewesen."
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„Die haben aber nichts gemerkt, Sir", wandte der Koch ein, der über alles eingeweiht war. Er, der Bootsmann, der Decksälteste und der Kapitän kannten sich schon länger und steckten bei allen Angelegenheiten unter einer Decke.
„Anscheinend nicht, aber die Gelegenheit ist verpaßt. Dieser Seewolf ist jedoch ein scharfer Hund, ein Bluthund, der uns ständig im Nacken sitzt, und den wir nicht mehr loswerden."
„Haben Sie einen Plan, Sir?" „Nein, vorerst nicht. Wir können
nichts unternehmen, ohne aufzufallen. Ich muß eine günstige Gelegenheit abwarten, aber ich weiß nicht, wann sich die bietet. Es bleibt also mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Hier, trink noch einen, Kelvin."
„Danke, Sir." Der Koch gluckerte einen weg und sah seinen Kapitän erwartungsvoll an.
„Ja, das war Pech mit der Ramming. Ich sah die verdammte Schebecke mitsamt ihren Kerlen schon absaufen. Aber diese Bastarde waren leider zu schnell und reagierten sofort."
Granville richtete sich auf und lauschte. Als der Koch etwas sagen wollte, legte er den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
„Ich hoffe ja, daß die Reise reibungslos vonstatten geht", sagte er dann und stand lautlos auf. Mit zwei schnellen Schritten war er am Schott und riß es auf.
„Sieh an, Mister Harris", sagte er überrascht. „Ich dachte, Sie liegen in der Koje. Aber für Sie ist es wohl interessanter, an anderen Kammern zu horchen. Was suchen Sie hier?" fragte er mit schneidender Stimme.
Harris hatte sich erstaunlich
schnell in der Gewalt. Er hatte ein paar Worte mitgekriegt und konnte sich den Rest mühelos zusammenreimen. Er hatte jedoch nicht gelauscht, wie Granville ihm das unterstellte. Er war nur zufällig Zeuge des ungeheuerlichen Gespräches geworden.
„Ich war noch einmal an Deck", sagte er förmlich, „um die Wachen zu kontrollieren."
„Dazu hat Sie niemand beauftragt!" schrie Granville mit hochrotem Kopf. „Dafür ist der Decksälteste zuständig. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Sie für die Navigation zuständig sind, und nicht für andere Dinge, die Sie nichts angehen. Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, als hätten Sie mir nachspioniert."
„Das ist eine infame Unterstellung. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, ist Ihre Angst vorm Nachspionieren völlig unbegründet und lachhaft. Ich halte es für meine Pflicht, auch nachts das Schiff zu kontrollieren. Der Mann, der Wache gehen soll, döste vor sich hin und war unaufmerksam."
„Quatsch, hier passiert sowieso nichts. Glauben Sie, jemand klaut das Schiff nachts von der Reede, Sie Narr? Wir liegen sicher vor Anker und alles ist in bester Ordnung."
„Dann erübrigt es sich auch, Wachen aufzustellen", meinte Harris. „Das Ganze ist dann nur eine Farce."
Durch den Türspalt sah er aus den Augenwinkeln den Koch am Tisch hocken, der eine Muck vor sich stehen hatte. Der tückische Kerl hörte dem Streit mit gespitzten Ohren und einem schiefen Grinsen zu.
„Das müssen Sie schon mir überlassen!" brüllte Granville. „Mischen Sie sich nicht in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen! Wenn Sie noch ein
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mal vor dem Schott zu meiner Kammer herumschleichen oder davor stehenbleiben, dann schieße ich durch die Tür. Ich nehme dann an, daß jemand die Bordkasse stehlen will."
„Mit der er dann nach London zurückschwimmt", sagte der Erste frostig. „Gute Nacht, Sir. Wünsche wohl zu ruhen."
„Scheren Sie sich zum Teufel, Sie Klugscheißer!"
Der Erste gab keine Antwort. Hochaufgerichtet ging er in seine Kammer, wo er Zeit zum Überlegen hatte. Und er dachte sehr lange über Granville und den Koch nach.
Granville knallte das Schott zu und ließ sich wütend am Tisch nieder. Sein erster Griff galt dem Schottischen.
„Da haben wir uns auch was eingehandelt", sagte der Koch. „Der Kerl würde besser auf die Schebecke passen. Der hat seine Augen überall und kreuzt auch bei mir in der Kombüse auf, obwohl er da gar nichts zu suchen hat."
„Der Kerl geht mir schon seit London auf den Geist", versicherte Granville ärgerlich. „Glaubst du, er hat unser Gespräch mitgehört?"
„Davon bin ich fest überzeugt, Sir. Darf ich noch einen?" Als Granville ungeduldig nickte, goß er sich ein. „Sicher hat er einiges mitgekriegt, ganz sicher. Bei der nächstbesten Gelegenheit wird er das dem Killigrew stecken, Sir, ganz heimlich, versteht sich. Ich kann diesen Schleicher auch nicht ausstehen, der sieht uns zu sehr auf die Finger. Und leider hat er als Erster ja mitzureden." Der Koch seufzte ein bißchen und goß sich wieder nach, diesmal ohne zu fragen.
Granville lehnte sich zurück und blickte Bascott scharf an.
»Mitzureden hat er schon", sagte er
im Flüsterton. „Aber das Kommando habe ich, und er hat sich unterzuordnen. Aber ich weiß, was du jetzt meinst, Kelvin. Der Bastard wird mich bei der Admiralität anschwärzen, nicht wahr?"
„Genau das meinte ich, Sir", sagte der Koch mit einem verschlagenen Grinsen. „Er wird das dem Killigrew zuflüstern, und dann gibt es gleich zwei Zeugen. Dabei habe ich mir vorgestellt, daß man auf diesem Törn viel Geld verdienen kann, ganz besonders dann, wenn die Lebensmittel etwas knapper werden. Und Ihr Geschäft ist ja nun auch geplatzt, Sir, was ich aufrichtig bedaure."
Die beiden hoben ihre Humpen und sahen sich über dern Rand hinweg lauernd an.
„Na, du hast doch sicher einen Vorschlag, Kelvin, oder irre ich mich in der Beziehung?"
Daß sein zusätzliches Geschäft geplatzt war, ärgerte Granville ganz besonders. Und daß ihm künftig jemand scharf auf die Finger sehen würde, trieb ihn fast zur Weißglut.
„Sir, ich bin nur ein einfacher Koch, das wissen Sie. Vorschläge erwarte ich von Ihnen. Ich bin nur das ausführende Organ, und wie Sie wissen, haben wir in Bruce und Gordon tatkräftige Helfer, die ganz auf Ihrer Seite stehen."
„Hm, das weiß ich. Ich bin in der Beziehung auch nicht kleinlich. Hast du schon mal eine Perle besessen, Kelvin?"
„Nein, noch nie, Sir. Sie sind selten und teuer."
„Aber du hättest sicher gern eine?" „O ja, Sir, sehr gern." Die gelbli
chen Augen des Kochs funkelten begierig, als Granville aufstand und aus dem Schapp etwas holte.
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„So eine, Kelvin? Sie ist gut und gerne ihre zehn Dublonen Wert."
Bascott starrte auf die große mattschimmernde Perle, die in der Hand des Kapitäns lag und hin und her gerollt wurde. Sie schimmerte so matt wie Seide und strahlte einen eigentümlichen Glanz aus.
„Wenn der Erste nicht mehr an Bord ist, gehört die Perle dir", sagte Granville bedächtig. „Aber bis er abmustert, wird ja leider eine ganze Weile vergehen, oder?"
Das tückische Grinsen des Kochs verstärkte sich. Er holte tief Luft und griff gierig nach dem Schottischen. Dabei funkelten seine Augen in einem eigentümlichen Licht.
Er sieht wie ein Hund aus, der gleich heimtückisch zuschnappt, dachte Granville. Er kannte den Koch schließlich lange genug.
„Vielleicht hat er einen Unfall, Sir." Der Koch flüsterte jetzt so leise, daß Granville ihn gerade noch verstand.
„Bei einem Unfall wird Killigrew hellhörig. Das kann heikel werden."
„Natürlich keinen Unfall, der sich untersuchen läßt, Sir. Die Nächte sind rabenschwarz, und die See ist ruppig. So mancher brave Mann ist da schon über Bord gegangen und nie wieder aufgetaucht. Er kann ja Ärger mit einem der Siedler gekriegt haben, oder er war leichtsinnig und wurde über Deck gewaschen."
Granvilles Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
„Da darf es aber keine Zuschauer geben."
„Dafür werden wir schon sorgen, Sir."
„Nicht wir, sondern du", sagte Granville hart. „Ich will nicht, daß noch mehr davon erfahren, auch Gordon und Bruce nicht. Es ist besser, wenn das einer allein erledigt, ohne
Viel Aufhebens. Der Kerl schleicht doch jede Nacht an Deck herum, und du bist derjenige, der immer am längsten auf ist, um die Kombüse auszuklaren. Wir haben aber den Nachteil, daß wir vor der Schebecke segeln. Wenn der über Bord kantet und um Hilfe brüllt, fischen die Kerle ihn möglicherweise auf, und dann kriegen wir noch mehr Ärger.''
„Er wird nicht brüllen", versicherte Bascott hart. „Wer kräftig eins auf die Mütze kriegt, der schreit nicht mehr."
„Aber kein Messer", warnte Granville. „Das sind alles Dinge, die sich unter ungünstigen Umständen beweisen lassen."
„Kein Messer, Sir. Es gibt genügend andere Möglichkeiten."
Granville zeigte ihm noch einmal die Perle, ehe er sie wieder in einem Kästchen verschloß und ins Schapp legte.
„Nach erfolgter Abmusterung gehört sie dir, Kelvin."
„Ich habe sie schon so gut wie in der Tasche", flüsterte der Koch.
Sie tranken noch einen und grinsten sich zu. Mit jedem Schluck würde ein Stück des Ersten Offiziers sterben, sagte Bascott grinsend, als er schon etwas angetrunken war.
Sie besprachen noch ein paar nähere Einzelheiten. Dann erhob sich der Koch und verließ die Kapitänskammer. Vor dem Schott schwankte er ein wenig, und als er an der Kammer des Ersten Offiziers vorbeiging, rülpste er laut und vernehmlich. Dabei grinste er über das ganze abgefeimt wirkende Gesicht.
Hinter ihm schloß sich lautlos das Schott.
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In der Frühe des anderen Morgens segelte der Verband weiter. Sie hatten noch ein paar Meilen auf südlichem Kurs vor sich, der bis in die Nähe von Dover führte. Von da ab würde der Verband bei anhaltendem Wind auf südsüdwestlichem Kurs mit achterlichem Wind fast platt vorm Laken laufen. Das bedeutete schnelle Fahrt.
Der Abstand zur Küste betrug fast zwei Meilen.
Die See war noch etwas ruppiger geworden, und der Wind fuhr mitunter hart in die Segel.
Für die meisten Pilger war das ungewohnt. Es gab einige, die Angst hatten, weil sie mit der neuen Situation noch nicht vertraut waren.
Auf und ab ging es, mit Backbordhalsen über Steuerbordbug liegend. Der Bug der „Explorer" tauchte tiefer ein, als der der beiden anderen Galeonen. Er senkte sich tief ins Wasser, erhob sich dann schwerfällig und ließ Gischt aufschäumen. Die ersten Spritzer leckten an Deck und wuschen die Planken.
Die meisten Aussiedler hatten sich bei Amos Toolan zum Morgengebet an Deck versammelt. Etliche von ihnen waren mit den Gedanken mehr bei der ruppigen See als beim Gebet. Immer wieder blickten sie schlukkend in das schäumende und gurgelnde Wasser, das an den Bordwänden vorbeizischte und sich achteraus zu einem blasenwerfenden Kielwasser formte.
Für die Ängstlichen unter ihnen war das „schwere See". Sie fragten sich beklommen, ob die Galeone das wohl aushalten würde, und dann warfen sie einen Blick zur dunstigen Küste hinüber, die für sie so weit entfernt war wie der Mond.
Nach dem Morgengebet gab es
Frühstück. Noch war alles reichhaltig und gut - frische Ware von den Londoner Märkten. Am Essen gab es nichts auszusetzen.
Auch bei den Arwenacks wurde gefrühstückt.
Hasard beobachtete seine drei „Schäfchen", wovon zumindest eins ein Wolf im Schafspelz war, durch das Spektiv. Alles ging reibungslos vor sich. Die Galeonen segelten wie große Schwäne in Dreierformation. Die Kapitäne hatten den Ehrgeiz entwickelt, schnell zu sein, und so jagten ihre Galeonen fast unter vollem Preß dahin.
Von nun an würde es keine geplanten Unterbrechungen der Reise mehr geben. Es sollte Tag und Nacht durchgesegelt werden, sofern nicht irgendwelche Schwierigkeiten auftraten.
James Drinkwater war den beiden anderen Galeonen ein paar Kabellängen voraus. Ihm folgte die „Discoverer", der schräg versetzt im Kielwasser die „Explorer" folgte.
Nach einer Weile verzogen sich die Pilger wieder unter Deck. Den meisten war es zu kühl. Die See war ein ungewohntes Element für sie, daher wähnten sie sich unter Deck in geborgener Sicherheit.
Gegen Mittag zeigte Dan O'Flynn zum Land hinüber. Seine scharfen Äugen hatten es wieder mal zuerst entdeckt.
„Das ist doch unsere Eskorte", sagte er, „die da dicht unter Land vor Anker liegt. Die Burschen sind gestern noch etliche Meilen weitergesegelt."
„Das ist sie", sagte Hasard. „Sie haben geankert und abgewartet. Wenn wir vorbei sind, werden sie sich wieder anhängen und uns folgen. Meine Theorie scheint zu stimmen, daß sie
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keinen fähigen Navigator an Bord haben. Wenn sie uns später aus den Augen verlieren sollten, werden sie dumm dastehen."
„Oder nach Alec Morris navigatorischen Künsten weitersegeln", meinte Ben lachend. „Sie legen den Bug in Richtung Virginia aus, visieren genau an und segeln drauflos. Früher oder später sind sie dann genau am Zielort. Wahrscheinlich aber etwas später."
Durch den Kieker war zu erkennen, daß auf der Karavelle aufgeklart wurde. Ein paar Kerle an Deck waren emsig beschäftigt. Trotzdem ließen sie sich viel Zeit.
Eine Stunde später, sie hatten inzwischen etwa fünf Meilen hinter sich gebracht, tauchte die Karavelle auf. Die Kerle hatten es auch jetzt nicht sonderlich eilig und waren darauf bedacht, den Abstand noch etwas zu vergrößern. Sie trödelten so lange herum, bis sie schließlich an der Kimm standen. Von da ab folgten sie zügig dem Verband.
Hasard kümmerte sich nicht mehr um die Geheimniskrämer. Er würde erst später ein waches Auge auf sie haben, wenn sie den Atlantik erreicht hatten und die Azoren nördlich passierten. Zu dem Zeitpunkt würde sich an Bord der Galeonen auch einiges geändert haben. Dann war es mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Zeit vorbei, das wußte er aus Erfahrung, denn dann sprang die rauhe Wirklichkeit sie an.
Am anderen Tag lief der Verband bei stark dünender See mit achterlichem Wind auf Kurs Südsüdwest. Die Karavelle der Abenteuer und Hasardeure klebte als Fühlungshalter weit achteraus. Diesmal segelte Amos Toolan an der Spitze, gefolgt von der „Pilgrim"." Den Abschluß bildete die „Discoverer".
Der Koch Kelvin Bascott hatte noch nichts erreicht. Die Gelegenheit, den Ersten unauffällig verschwinden zu lassen, hatte sich nicht ergeben. Aber in dieser Nacht lag er auf der Lauer und wartete geduldig.
Es war eine rabenschwarze Nacht. Der Wind heulte und jaulte in der Takelage. Die Pardunen standen steif und sangen wie überspannte Gitarrensaiten. Schaumkronen umtanzten das Schiff. Der Himmel war bewölkt, der Halbmond versteckte sich hinter schnell dahinjagenden Wolken.
Es war kurz vor Mitternacht. Die heulenden Sturmgeräusche hatten auch den letzten Pilger unter Deck getrieben. Sie lagen in ihren Kojen, und die ganz Ängstlichen zogen sich die Decken über die Köpfe, wenn die Wellen gegen den Rumpf donnerten, die Galeone stöhnte und ächzte und Gischt über die Decks peitschte.
Für die Deckhands gab es nichts zu tun. Segelmanöver waren nicht erforderlich. Fallen und Schoten waren durchgeholt und an den Nagelbänken belegt. Es herrschte ideales Segelwetter bei langrollender Dünung.
In der Kombüse brannte eine trübe Funzel. Bascott hantierte dort herum oder tat so, als sei er noch beschäftigt. Die Laterne schwang hin und her und verzerrte seinen Schatten zu grotesken Linien. Mal sah dieser Schatten wie ein gnomenhafter verunstalteter Zwerg aus, dann wieder veränderte er sich ins Riesenhafte.
Bascott dachte an die Perle, die mehr wert war als zehn Dublonen. Eigentlich war sie so gut wie unbezahlbar, denn mit der Lösung des Problems Harris taten sich weitere Geldquellen auf, die noch sehr ergiebig sprudeln würden.
Der Koch peilte nach achtern und erkannte schattenhaft die Gestalt des
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Ersten, der seinen mitternächtlichen Rundgang unternahm. Er löschte das Licht, ließ das Schott offen und schlich an Deck. Die Gestalt des Ersten war immer noch im Widerschein der Hecklaterne zu erkennen.
Das Kombüsenschott schwang hin und her. Bei jeder Bewegung der Galeone gab es einen leichten Schlag, den auch der Erste nicht überhörte.
Ohne ein Wort zu sagen, verließ er das Achterdeck.
„Der übliche Kontrollgang, was?" höhnte Granville, der dreckig grinste. „Nachsehen, ob noch alle Masten stehen und keiner die Segel geklaut hat, wie?"
„Der Koch hat das Kombüsenschott nicht geschlossen", sagte Harris knapp. „Oder es ist wieder aufgesprungen."
Granville gab keine Antwort. Er schob sich vor den Rudergänger Frank und spähte über das Deck. Er war sicher, daß Bascott dort irgendwo in der Finsternis lauerte. Aber er war nicht zu sehen.
Das Grinsen in Granvilles Gesicht verstärkte sich noch mehr. Er kreuzte die Arme über der Brust und lauschte mit angehaltenem Atem einem ungewohnten Geräusch.
Wenn jetzt ein Mann über Bord ging, würde es keiner hören, selbst dann nicht, wenn er in unmittelbarer Nähe stand. Die Geräusche waren zu laut und zu vielfältig. Da waren das Knarren der Blöcke, das Ächzen der Planken und die anrollende See, die immer wieder den Rumpf erschütterte. Jedesmal klatschte es, wenn ein Brecher über das Vorschiff donnerte.
Harris' Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Aber den Mann, der auf ihn lauerte, sah er nicht. Der stand geduckt hinter der Nagelbank des Großmastes, wo das Wasserfaß
verzurrt war, und hielt eine Spillspake in der Hand.
Der Erste warf einen Blick in die Kombüse, wo das Schott von einer Seite zur anderen pendelte. Dort war es finster. Er sah nicht einmal die Stufen des Niederganges. Er drückte das Schott zu und murmelte etwas von Leichtsinn und Nachlässigkeit. Dann ging er zur anderen Seite des Schiffes hinüber, um seinen Kontrollgang zur Back fortzusetzen.
Bascott sah ihn jetzt trotz der Finsternis deutlicher. Die Silhouette des Ersten hob sich als milchiger Umriß phantomhaft vom schwachen Widerschein der Hecklaterne ab.
Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihm. Die Spillspake sauste nieder. Es gab ein dumpfes Geräusch.
Harris hörte ein leises Ächzen und fuhr rein instinktiv herum. Er sah niemanden, doch während er den Kopf einzog, hörte er es auch schon knirschen und spürte einen brennenden stechenden Schmerz seitlich am Hals und am Schulterblatt. Der Schmerz war so gewaltig, daß sein Denken für lange Augenblicke aussetzte und er zu keiner Bewegung fähig war. Nach dem stechenden Schmerz war sein Körper wie gelähmt, und er knickte in den Knien ein.
Von da an ging alles sehr schnell. Bascott fing den zusammenbre
chenden Mann blitzschnell auf, hievte ihn zum Schanzkleid, wuchtete ihn hoch und warf ihn über Bord.
Der Körper versank mit einem leisen Aufklatschen in den Wellen. Eine mitlaufende Dünung hob ihn noch einmal hoch und riß ihn dann mit sich.
Kelvin Bascott sah ihm grinsend nach. Er konnte jedoch nichts mehr erkennen. Der verhaßte Kerl wurde
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von der Dunkelheit und den Schaumkronen verschluckt.
Ungerührt ging der Koch nach vorn und suchte im Mannschaftslogis seine Koje auf. Er dachte an die samtig schimmernde Perle, die sich ab morgen in seinem Besitz befinden würde.
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Der Schmerz lähmte Harris immer noch, aber als er in das eisige Wasser stürzte, kam er augenblicklich zu sich. Ihm war, als sei inzwischen eine Ewigkeit vergangen. Dann wurde er sich über seine Lage im klaren und stellte entsetzt fest, daß er in einem gewaltigen Sog aus Wasser trieb, das über ihm zusammenschlug und ihm die Luft nahm. Ein riesiger Schatten glitt blitzschnell an ihm vorüber wie ein riesiges Ungeheuer. Dieses Ungeheuer drängte ihn machtvoll zur Seite, stieß ihn von sich und jagte ihn in einen blasenwerfenden Strudel, in dem er hilflos hin und her gedreht wurde.
Lähmendes Entsetzen breitete sich in ihm aus. Das Wasser war so eiskalt, daß es seine Glieder erstarren ließ. Er blickte hustend und keuchend hoch und sah einen milchigen Quirl, versetzt mit Wasserblasen, der sich schnell von ihm entfernte. Wie benommen blickte er dem Schiff nach und versuchte verzweifelt sich zu erinnern, was geschehen war.
Jemand hatte ihn über Bord gestoßen, das glaubte er jetzt ganz sicher zu wissen, und dieser Jemand hatte mit einem harten Gegenstand zugeschlagen, Aber wer?
Harris schluckte Wasser, bis ihm speiübel wurde. Er konnte seine Arme kaum bewegen und hatte Mühe
beim Schwimmen. Dann versuchte er sich an den rasch kleiner werdenden Lichtern zu orientieren, die wie verlassen auf den Wellen tanzten. Steuerbord querab von den Lichtern befand sich die englische Küste. Bis dahin waren es mindestens zwei Meilen. Bei der Eiseskälte des Wassers würden seine Glieder erlahmen, bis er die Küste erreicht hatte. Er würde jämmerlich ertrinken.
Als er die Ausweglosigkeit seiner Lage erkannte, begann er mit heiserer Stimme um Hilfe zu rufen. Er wußte, daß es zwecklos war, aber er rief trotzdem so lange, bis ihm schwarz vor den Augen wurde.
Alles drehte sich um ihn, er hörte Stimmen und verstand sie nicht.
Als er endlich die Augen aufschlug, zitterte er am ganzen Körper und sah in Gesichter, die ihm fremd und doch gleichzeitig vertraut waren.
Ein schmächtiger Mann mit ernstem Gesicht setzte ihm eine Muck heißer Brühe an die Lippen und zwang ihn zum Trinken.
„Nun, Mister Harris, fühlen Sie sich besser?" fragte eine Stimme, die Philip Hasard Killigrew gehörte.
„Ja", sagte Harris mühsam. „Wo bin ich?"
„An Bord der Schebecke", sagte Hasard ruhig. „Wir haben Sie halbtot aus dem Bach gezogen. Einer meiner Leute hat Ihre Hilferufe gehört. Unternehmen Sie öfter nächtliche Schwimmtouren ?"
Harris richtete sich mühsam auf. Sie hatten ihn ausgezogen und ihm neue Klamotten verpaßt. Seine Finger waren fast blau von der Kälte.
„Ich bin über Bord gegangen", murmelte er.
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„Gegangen worden, vermutlich", sagte Hasard. „Bei dem bißchen Seegang fällt ein erfahrener Offizier doch nicht über Bord. Man hat Sie also abkanten lassen, weil Sie für gewisse Leute an Bord ein wenig unbequem sind. Ist es so?"
„Ja, Sir. Jemand hat mich niedergeschlagen, aber ich habe keine Ahnung, wer das war. Ich unternahm einen Kontrollgang, und dann war ich ganz plötzlich draußen."
„Draußen ist gut", sagte der Seewolf mit einem harten Lächeln. „Das war ein einwandfreier Mordversuch, Mister Harris, den wir aber leider nicht beweisen können. Ich bin sicher, daß Granville dahintersteckt. Er hat uns auch zu rammen versucht."
„Ich weiß, ich hörte zufällig davon, kriegte aber nichts Genaues mit."
„Bin gespannt, wann man vorgibt, Ihr Verschwinden zu bemerken", sagte Hasard. „Sicher erst dann, wenn man ganz sicher annimmt, daß Sie ertrunken sind. Granville wird sich natürlich herausreden, und wir werden so tun, als glaubten wir das, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er wird jedenfalls so vorsichtig sein, Sie nicht wieder über Bord gehen zu lassen."
„Ich danke Ihnen, Sir", flüsterte Harris. „Granville ist ein Halunke, und ein paar andere Kerle sind auch nicht besser."
„Das ist uns bereits bekannt. Wenn Sie aber wieder an Bord sind, wird er sehr vorsichtig sein und Sie wie ein rohes Ei behandeln, denn er wird ahnen, daß wir etwas wissen. Oder wollen Sie nicht mehr an Bord zurück?"
„Doch, Sir, schon aus dem Grund, um Granville besser auf die Finger sehen zu können. Ich habe dann ein besseres Überlegenheitsgefühl."
„Diesen Bastard werden wir ab jetzt genau im Auge behalten", versprach Hasard. „Ich bin gespannt, wie er reagiert. Vermutlich wird er eiskalt bis in die Knochen bleiben und sehr erstaunt tun."
Nach einer knappen Stunde war Harris wieder hochgepäppelt und hatte seinen Schreck überwunden. Er dachte mit Schaudern daran, daß er jetzt ohne die Hilfe der Arwenacks hilflos in der See treiben würde.
Als die Sonne als fahler Schimmer im Osten aufging, schor die „Discoverer" aus dem Verband aus und luvte an. Inzwischen waren fast sieben Stunden vergangen.
Granville preite die Schebecke an, die sich der Galeone näherte.
„Mein Erster Offizier ist verschwunden!" rief Granville besorgt. „Ich habe es erst jetzt bemerkt, Sir. Er muß über Bord gegangen sein. Um Mitternacht unternahm er seinen Kontrollgang, und ich begab mich gleich darauf unter Deck, weil der Zweite mich ablöste. Ich nahm an, daß Mister Harris dann ebenfalls seine Kammer aufsuchte."
„Und Sie haben das ganze Schiff durchsucht?" fragte Hasard.
Der Kerl hatte sich gut in der Gewalt, aus seiner Stimme klang echte Besorgnis heraus.
„Alles", sagte Granville. „Er ist nicht mehr an Bord. Wir müssen sofort umkehren und eine Suchaktion einleiten, Sir. Vermutlich ist er jedoch längst ertrunken."
Die Arwenacks grinsten auf eine etwas hinterhältige Art, die Granville verunsicherte. Er hob hilflos die Schultern und heuchelte Mitleid. „Der arme Kerl", sagte er mit tiefem
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Bedauern. „Dabei war er ein so fähiger Mann."
Das Schott der Kombüse öffnete sich, und Harris trat an Deck. Granville zuckte bei seinem Anblick heftig zusammen und wurde blaß.
„Da haben Sie aber Glück gehabt", sagte Hasard sarkastisch. „Wir haben im Schein Ihrer Hecklaterne gesehen, daß etwas über Bord fiel und konnten ihn gerade noch rechtzeitig auffischen. Ich nehme doch an, daß Sie jetzt sehr erleichtert sind, Mister Granville?"
Der Kerl blieb tatsächlich eiskalt. Nach der ersten höllischen Überraschung hatte er sich blitzschnell wieder in der Gewalt.
„Ein Wunder ist geschehen!" rief er pathetisch aus. „Mister Harris, ich bin ja so froh, daß Ihnen nichts passiert ist. Wie konnte das nur geschehen?"
Der Erste Offizier grinste hart. Er sah Granville in die Augen und stellte fest, daß sich der Kapitän nur mühsam in der Gewalt hatte.
„Die Wege des Herrn sind unerforschlich", sagte er. „Wie das passieren konnte, ist mir selbst rätselhaft, genau wie Ihnen auch, Sir."
„Dabei wähnte ich Sie längst in Ihrer Kammer", sagte Granville. Er sah die Arwenacks grinsen und fühlte sich höchst unbehaglich. Auch der Seewolf lächelte auf eine unheimliche, wissende Art, die sein Unbehagen noch steigerte.
Hasard sah sich die Gesichter der Kerle genau an. Ihm fiel auf, daß Bascott mit offenem Maul zu dem Ersten starrte, als sähe er einen Geist vor sich. Der Kerl stierte sich fast die Augen aus.
Hasard ahnte etwas, aber auch das ließ sich nicht beweisen, obwohl er
aus der Visage des Kerls genau die richtigen Schlüsse zog. Der verschlagene und tückische Halunke hatte hier ganz sicher seine Hände mit im Spiel gehabt.
„Nun haben Sie Mister Harris zum Glück ja wieder", sagte Hasard ironisch. „Ich hoffe doch, Sie werden in Zukunft immer rechtzeitig kontrollieren, ob alle Leute an Bord sind. In der Beziehung kann man nie vorsichtig genug sein. Sie wissen ja jetzt, daß selbst bei kaum bewegter See ein erfahrener Mann über Bord fallen kann - wie das heute nacht passiert ist."
„Jaja", Sir. Wann - wann haben Sie Mister Harris denn aufgefischt?"
„Kurz nach Mitternacht natürlich, nachdem er vermutlich ausrutschte und über Bord fiel. Er ist doch ausgerutscht, oder?"
„So muß es wohl gewesen sein", murmelte Granville erstickt und räusperte sich die Kehle frei. Er fühlte sich noch unbehaglicher, als er die spöttischen eisblauen Augen des Seewolfs auf sich gerichtet sah.
Er wurde das mulmige Gefühl nicht los, daß sie ihn alle durchschaut hatten, aber so taten, als wüßten sie von nichts. Und auch Harris' hartes Grinsen gefiel ihm überhaupt nicht. Von dem Mann würde er in Zukunft besser die Finger lassen.
„Ein eiskalter Bastard", sagte Hasard leise. „Ein Kerl, der bedenkenlos über Leichen geht, wenn er dabei einen Vorteil sieht."
Sie brachten Harris hinüber, und Granville scheute sich nicht, ihn mit falscher Herzlichkeit zu umarmen, als er vor ihm stand und Dankbarkeit heuchelte.
Als sich die Schebecke von der Galeone löste, traf Granville nochmals ein Blick aus diesen eisigen Augen
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des Seewolfs, und der signalisierte trag, und den nehmen wir sehr geihm allerhöchste Gefahr. nau."
Hart schluckend wandte er sich ab. Seine Stimme klang freundlich, „Bringen Sie Ihr Schiff wieder auf doch Granville verstand den Sinn der
Kurs", sagte Hasard. „Wir bleiben Worte, die eine Warnung bedeuteten. immer hinter Ihnen. Sie können sich Etwas später lag der Verband wiedarauf verlassen, daß wir gut aufpas der auf Kurs und segelte seinem unsen. Schließlich ist das unser Auf- gewissen Schicksal entgegen...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 623
Panik auf der „Discoverer" von Sean Beaufort
In der qualvollen Enge unter Deck, mitten im Gestank, ohne frische Luft und im ständigen Hagel losgerissener Gepäckstücke, hockten und kauerten die Auswanderer der „Discoverer" und hofften, daß am Morgen alles besser sein würde. Aber jedes einzelne Geräusch wurde lauter und durchdringender. Alles nahm eine bedrohliche Bedeutung an. Der kreischende Orkan dort draußen, von dem nur ein winziges Lüftchen durch die verschalkten Luken unter Deck drang und sich mit dem ekelerregenden Gestank vermischte, würde die Segel und Taue zerfetzen und die Rahen und Masten zersplittern. Die Wellen, die mit dem Dröhnen von Kanonen gegen die Bordwand donnerten, würde bald die Planken in Kleinholz und Splitter verwandeln. Längst hatte die Todesangst die Auswanderer gepackt...
ex libris KAPTAIN STELZBEIN
März 1983