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Aufbruch in die Neue Welt

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Fred McMason

Aufbruch in die Neue Welt

Mai 1598. Als die drei Pilgerschiffe aufbrachen, um den Atlantik zu überqueren,

herrschte auf den Galeonen noch fröhliche Stimmung. Sie wollten in die Neue Welt, jenen vielversprechenden Kontinent, auf dem

Sir Walter Raleigh bereits die Kolonie Virginia gegründet hatte. Es waren ein paar hundert Leute, die mit Kind und Kegel ihre Heimat England für

immer zu verlassen gedachten. „Drüben'' sollte alles besser sein, schöner, herrlicher, sorgloser, ein Land

in dem Milch und Honig flossen, in dem jeder ein riesiges Stück Land erhielt, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können.

Aber auf diesen drei Auswandererschiffen, das stand schon jetzt fest, würden bald Tränen fließen, Tränen des Kummers, der Sorge und der Verzweiflung,

Tränen des Heimwehs und der Angst. Und da war noch etwas: Eine Karavelle folgte dem Konvoi, besetzt mit waghalsigen Abenteurern...

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Die Hauptpersonen des Romans: Robert Granville - der Kapitän der Auswanderer-Galeone „Discoverer" entpuppt

sich schon bei Beginn der Reise als korrupter Hundesohn. Harris - sein Erster Offizier vertritt eigene Ansichten und fliegt daher in einer

dunklen Nacht über Bord. Kelvin Bascott - der feiste Glatzkopf ist Koch auf der „Discoverer" und bar jeder

Skrupel, wenn er einen Mordauftrag erhält. Alec Morris - das adelige Bürschchen fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und will

sich duellieren. Philip Hasard Killigrew - der Auftrag der Königin, Auswanderer in die Neue Welt

zu bringen, schmeckt ihm gar nicht und steht von Anfang an unter einem un­günstigen Stern.

1.

Philip Hasard Killigrew stand fast unbeweglich auf dem Achterdeck der Schebecke und sah den drei Galeonen nach, die mit dem ablaufenden Ebb­strom themseabwärts segelten. Der kleine Konvoi bewegte sich noch sehr langsam.

Dieser Maimorgen versetzte fast al­les in fröhliche Stimmung. Die Bäu­me an den Themseufern zeigten ihr erstes prächtiges Grün. Die Sonne war vor einer halben Stunde aufge­gangen, und der Himmel glänzte in ei­nem kühlen Blau.

Alles in allem war es ein herrlicher Morgen, wie er prachtvoller kaum sein konnte, ein Stimmungsbild, trotz der morgendlichen Frische.

Hasard hatte das Kommando über diesen Konvoi, der in die Neue Welt segeln sollte, um Siedler und Aus­wanderer hinüberzubringen. Die Kö­nigin selbst hatte ihn darum gebe­ten.

Der Seewolf lauschte wie gebannt einer hellen Stimme, die glockenhell und rein durch den glasklaren Mor­gen klang. Es war eine Frau, die da sang, aber er konnte sie unter der

Vielzahl der Menschen nicht entdek­ken.

Er wußte nur, daß der Gesang von der „Explorer" kam, einer Galeone unter Kapitän Amos Toolan, einem dicklichen frömmelnden Gemüts­menschen, den Edwin Carberry als freundliches puritanisches Rü­benschwein bezeichnet hatte, als er ihn das erste Mal sah.

Freundliches puritanisches Rü­benschwein, dachte Hasard belustigt. Carberry hatte die drei Kapitäne ge­nau richtig eingeschätzt, und zwar auf den ersten Blick. Sie waren auch recht unterschiedlich.

James Drinkwater von der „Pil­grim" war ein beherrschter, hochge­wachsener und gradlinig denkender Mann.

Robert Granville von der „Discove­rer" hingegen war ein undurchsichti­ger Kerl, herrschsüchtig, hemmungs­los und wahrscheinlich ein korrupter Hundesohn, wenn Hasard ihn richtig taxiert hatte.

Aber das mußte erst die Zukunft er­geben. Er traute Granville jedenfalls nicht über den Weg. Zudem hatte es schon den ersten Ärger gegeben.

„Sie singen das Auswandererlied

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der Iren", sagte Ben Brighton. „Es ist eine etwas schwermütige Melodie, aber ein fröhlicher Text. Ich kenne dieses Lied, hab's schon oft gehört. Aber es klang nie so rein wie von die­ser Frauenstimme."

Hasard nickte ausdruckslos. „Stimmt. Sie singt wunderbar." „Zieh in die Welt, die Welt ist groß

und wunderbar", sang die Frau, „zieh in die Welt und suche dort dein Glück. Ein froher Mut begleiten soll dich immerdar, dann bringt die Sehn­sucht dich zur Heimat auch zurück."

Auf der „Explorer" wurde laut ge­klatscht, nachdem das Lied beendet war.

„Hört sich wirklich gut an", sagte Hasard mit einem leisen Seufzen. „Aber was wissen diese armen Leute schon von der großen Welt? Sie sind nie über London hinausgelangt. Sie sehen nur das gelobte Land vor sich und haben keine Ahnung, was ihnen mit der Überfahrt in ihrer qualvollen Enge noch bevorsteht."

„Du scheinst heute ganz besonders pessimistisch zu sein, Sir", sagte Don Juan de Alcazar, der sich ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielt. „Das ist doch sonst nicht deine Art."

„Mir gefällt der Auftrag nicht, aber ich konnte ihn schlecht ablehnen", er­widerte Hasard. „Pessimismus mag auch dabei im Spiel sein. Ich sehe mehr als dreihundert Menschen, zu­sammengepfercht wie Vieh auf drei kleinen Galeonen. Männer, Frauen, Kinder, Heranwachsende. Alle sind voller Optimismus, sie freuen sich auf das neue Fleckchen Erde, wo sie hoffen, in Ruhe und Beschaulichkeit leben zu können. Jetzt sieht alles noch rosig aus, erscheint abenteuer­lich und neu. Wie aber wird es in etwa drei Wochen aussehen? Oder nur in vierzehn Tagen? Ich soll diese Schäf­

chen zusammenhalten und darauf achten, daß sie die Neue Welt gesund und munter erreichen. Das ist wahr­haftig keine leichte Aufgabe."

„Das ist richtig. Noch sind wir auf der Themse", gab Don Juan zu. „Im Channel sieht es schon wieder ganz anders aus, und wenn wir in den At­lantik segeln, geht es erst richtig los."

„Und der Atlantik ist nur der An­fang. Wenn er seine Krallen zeigt, sieht es für die Leute schlecht aus."

Dan O'Flynn unterbrach ihr Ge­spräch und zeigte mit dem Daumen über die Schulter achteraus.

„Wollte eure Unterhaltung nicht stören, aber wir haben offenbar noch ein weiteres Schiff dazugekriegt. Uns folgt seit dem Ablegen beharrlich eine kleine Karavelle."

Der Seewolf drehte sich nicht ein­mal um.

„Das ist mir nicht entgangen. Sie ist eben ausgelaufen wie wir auch, zufäl­lig zur selben Zeit. Sie haben den Ebbstrom genutzt, die günstigste Zeit, um themseabwärts zu segeln. So haben wir es auch getan."

„Irgend etwas ist merkwürdig an dem Schiff", beharrte Dan. „Die Kerle darauf sehen recht abenteuer­lich aus, gar nicht so wie Seeleute im allgemeinen. Außerdem beobachten sie uns dauernd durch den Kieker."

„Sollen sie", sagte der Seewolf ach­selzuckend. „Möglicherweise sind es Angehörige der Pilger, die Freunde und Bekannte ein Stück auf der Themse begleiten. Um Piraten dürfte es sich wohl kaum handeln, denn die haben nicht viel zu erwarten von den armen Leuten."

Old O'Flynn starrte etwas finster und mit zusammengekniffenen Au­gen zu den drei voraussegelnden Ga­leonen, deren Decks von vorn bis ach­tern mit Menschen überfüllt waren.

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Sie standen zusammengedrängt da und blickten abschiednehmend auf ihre Heimat, die sie vermutlich nie wiedersehen würden.

„Diese Reise steht unter keinem gu­ten Stern", sagte Donegal mehr wie zu sich selbst. „Das soll keine Unkerei sein, aber ich fühle es überdeutlich. Wir werden noch eine Menge Ärger kriegen."

„Hör auf", sagte Hasard scharf. „Kaum beginnt eine Reise, da tritt der alte Geisterseher auf den Plan und sieht schwarz. Ich will das nicht mehr hören, verdammt noch mal!"

„Man hört's an deiner Stimme, daß deine Laune nicht gerade die beste ist", entgegnete Old O'Flynn. „Du wirkst schon vor Antritt der Reise ge­reizt und nervös, wenn ich das bemer­ken darf."

„Wir haben auch keine leichte Auf­gabe vor uns", sagte der Seewolf mit einem Grollen in der Stimme. „Und dann mußt du zu allem Überfluß noch düster daherreden."

„Das war nicht dahergeredet, das liegt in der Luft. Ich bin ganz beson­ders empfänglich dafür."

Hasard winkte verärgert ab. Er ver­fluchte sich selbst, daß er heute einen so ausgesprochen lausigen Tag hatte. Er konnte nicht einmal genau sagen, woran das lag, es gab eben solche Tage, da lief einem unerklärlicher­weise eine Laus über die Leber. Viel­leicht lag es daran, daß ihm die ganze Sache nicht gefiel.

Er hätte sich wohler gefühlt, wie ein Wolf in ein Rudel spanischer Ga­leonen einzubrechen und Beute zu reißen, als hier auf puritanische Pil­ger aufzupassen, die mit den aller­größten Erwartungen einem ungewis­sen Schicksal entgegenfuhren. Es war trotz des schönen Wetters und der all­

gemein guten Laune eben etwas be­drückend.

„Schon gut, Donegal", sagte er und versuchte seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben. „Es war nicht so gemeint. Meine Stim­mung wird sich im Laufe des Tages schon bessern, hoffe ich."

Seine Stimmung besserte sich je­doch nicht, denn in diesem Augen­blick erschien einer der drei adligen Narren auf dem Achterdeck, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Schnösel, den Hasard nicht ausstehen konn­te.

Drei dieser erlauchten Gentlemen hatten sie an Bord. Sie waren auf den besonderen Wunsch der Königin an Bord der Schebecke untergebracht worden, und es hatte gleich zu An­fang mit ihnen Ärger gegeben. Die Gents waren sich natürlich zu fein, um auf den „verwanzten" Pilger schif­fen zu fahren. Man konnte ihnen auch nicht zumuten, sich mitten unter dem Pöbel und dem gemeinen Decksvolk zu bewegen.

So hatten sie an Bord Quartier ge­funden, und ihr Benehmen war nicht gerade das, was man mit gentlemen­like zu bezeichnen pflegte. Die ersten Zusammenstöße mit den Arwenacks hatte es bereits gegeben.

Der Schnösel hieß Alec Morris. Er trug blaue Kniehosen, weiße Strümpfe und eine himmelblaue, bis zur Hüfte reichende Jacke, unter der ein Rüschenhemd hervorlugte. An den Füßen hatte er dunkle Schuhe mit silbernen Schnallen. Sein Gesicht war etwas rundlich, die Augen von ei­nem wässerigen Blau. Sein Gehabe wirkte geziert und überheblich.

Da er auf den Morgengruß verzich­tete, nahm Hasard ihn vorerst nicht zur Kenntnis und sah durch ihn hin­durch. Offenbar erwartete dieser

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Affe einen Bückling von der gesam­ten Mannschaft.

Vielleicht hatte er mal gehört, daß Sir Francis Drake mit auf dem Rük­ken verschränkten Armen auf dem Achterdeck seines Schiffes hin und her zu gehen pflegte. Anscheinend hielt er das für eine sehr wirkungs­volle oder beeindruckende Pose, denn genau die gleiche Haltung nahm er jetzt ebenfalls ein. Mit etwas ver­kniffenem Mund marschierte er wie ein Admiral von einer Seite zur ande­ren. Wer ihn auf den ersten Blick so sah, mußte ihn zweifelsohne für den Kapitän der Schebecke halten.

Old O'Flynn sah ihm mißtrauisch zu und verfolgte argwöhnisch jede seiner Bewegungen. Don Juan run­zelte unwillig die Stirn, während Ben Brighton und Dan etwas spöttisch grinsten.

Sie alle taten jedoch vorerst so, als sei er nicht vorhanden.

Von den beiden anderen Gimpeln war nichts zu sehen. Frank Daven­port, ein hochverschuldeter Kerl aus adligen Kreisen, ruhte anscheinend noch. Auch Sir William Godfrey, ein älterer Mensch, ebenfalls aus Adels­kreisen mit einer rötlichen Säufer­nase und leicht aufgedunsenem Ge­sicht, war noch nicht an Deck. Kein Wunder, sie hatten gestern abend noch kräftig einen gezecht.

Der schmächtige Geck marschierte auf und ab und blieb dann plötzlich vor Hasard stehen.

„Die Reise hat also begonnen", stellte er inhaltsschwer fest. „Nun bleibt natürlich die Frage offen, wie sie ausgeht. Wir befinden uns auf der Themse."

Das war eine sehr logische und sehr scharfsinnige Feststellung, wie der Seewolf vor sich selbst zugeben mußte. Die Reise hatte begonnen,

und sie befanden sich auf der Themse. Sehr klug war das.

Hasard gab keine Antwort. Er drehte sich nur einmal kurz um und warf einen Blick über die Schulter zu­rück. Die Karavelle folgte ihnen im­mer noch etwa schräg versetzt im Kielwasser.

„Ich bemerkte soeben, daß die Reise begonnen hat", sagte der Dandy etwas schärfer. „Und es bleibt noch die Frage offen, wie sich der Verlauf dieser Reise gestalten mag."

„Die Frage bleibt immer offen", sagte Hasard kühl, nachdem er sich jetzt doch zu einer Antwort entschlos­sen hatte. „Und daß die Reise begon­nen hat und wir uns auf der Themse befinden, beruht auf der simplen Tat­sache, daß wir die Leinen gelöst und die Segel gesetzt haben. Da uns kein anderer Fluß im Augenblick zur Ver­fügung steht, befinden wir uns logi­scherweise auf der Themse. Es ist stark zu vermuten, daß die anderen das ebenfalls bemerkt haben."

Morris sah das unverhüllte Grinsen in den Gesichtern der Männer auf dem Achterdeck und lief rot an. Er ärgerte sich über die Antwort. Er hatte auf seine Feststellung freudige Zustimmung erwartet, doch statt des­sen ließ man ihn kühl abfahren.

Er nahm seine Wanderung wieder auf und musterte die Männer mit ro­tem Kopf. Aber die gaben seine Blicke nur kühl zurück oder sahen ihn gar nicht an.

„Wie lange wird die Überfahrt dauern?" fragte er nach einer Weile.

„Auch diese Frage wird vorerst noch offen bleiben", erwiderte der Seewolf. „Der Atlantik ist unbere­chenbar. Hinzu kommen einige an­dere Faktoren, die ebenfalls unbere­chenbar sind."

„Alles ist berechenbar", sagte Alec

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Morris herablassend und mit über­heblich klingender Stimme. „Alles, sage ich, auch der Atlantik. Es gibt da gewisse Gesetze, nach denen sich al­les berechnen läßt."

„Dann sollten Sie es doch eigentlich genau wissen, wenn Sie die gewissen Gesetze kennen", sagte Hasard. „Das Prinzip ist sehr einfach. Sie nehmen die Strecke, die wir vor uns haben und ziehen davon die Strecke ab, die wir jeweils zurückgelegt haben. Nach den gewissen Gesetzen gibt es dann ein logisches und klares Ergebnis."

Der Dandy winkte geziert ab. „Das ist das Grundgesetz der Navi­

gation", erklärte er. „Ich habe mit ei­nem Astronomen gesprochen. Es ist alles sehr einfach. Sie richten den Bug des Schiffes nach Karte und Kompaß aus, visieren gewisserma­ßen das Ziel an und segeln los. Selbst­verständlich erreichen wir dann je­den Punkt, den wir wollen. Ich ver­stehe gar nicht, daß man soviel Auf­hebens um die lächerliche Navigation macht."

Hasard ließ sich nicht anmerken, daß er sich über die Einfalt dieses lä­cherlichen Kerls ärgerte. Die anderen hörten inzwischen gespannt zu, war­um Navigation so einfach war. Bisher hatte das noch keiner von ihnen ge­wußt. Aber dieses unausgegorene Bürschchen schien ja eine Menge da­von zu verstehen - wenigstens nahm er selbst das an.

Was er dann alles von der Naviga­tion zu berichten wußte, war so haar­sträubend, daß sie ihr Grinsen nur mühsam verbargen. Zudem brachte er das in klugscheißerischer und überheblicher Manier vor.

„Sie haben es ja zu erstaunlichen Kenntnissen gebracht", höhnte Ha­sard. „Haben Sie studiert?"

„Ein Mann von meiner Intelligenz

hat kein Studium nötig", erklärte Morris von oben herab. „Zu was soll ich studieren, wenn die Gelehrten mir nicht einmal das Wasser reichen kön­nen! Das wäre doch sinnlos. Ich handle nur nach den Gesetzen der Lo­gik, weiter nichts. Aber die muß man natürlich erst verstehen."

„Da sprechen Sie mir aus der Seele. Ihre anfänglichen Äußerungen wa­ren schon absolut logisch."

„Das ist nun mal meine Art. Äh ­da wäre noch etwas: Wie sieht es auf der Reise mit Piraten aus? Ich meine, man hört doch so allerlei."

„Möchten Sie gern welche kennen­lernen, Mister Morris?"

„Ich bin ein wagemutiger Mensch, ein Mann, der das Abenteuer gera­dezu sucht und natürlich auch immer findet."

„Weil Sie nach logischen Gesichts­punkten vorgehen", sagte Hasard mit ernstem Gesicht, worauf der Stiesel nachdrücklich nickte. „Ja, also die Pi­raten im nördlichen Atlantik, die le­gen so eine Art Winterschlaf ein und erwachen erst kurz vor Beginn des Sommers. Dann spinnen sie sich in langes Seemannsgarn ein und ver­bringen die kalten Monate im Ruhe­zustand. Möglicherweise sind schon ein paar erwacht. Aber das werden wir ganz sicher herausfinden."

„Ich werde diese Brut mit Stumpf und Stiel ausrotten", versprach der Jüngling.

Nach dieser heroischen Ankündi­gung verließ er erst einmal das Ach­terdeck, um nach den beiden anderen „Gentlemen" zu sehen.

2.

„Da haben wir uns aber was aufge­laden", sagte Hasard mit einem entsa­

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gungsvollen Blick auf die Themse. „Dieses Würstchen ist nicht nur über­heblich und eingebildet. Der Kerl hat auch noch eine große Klappe und ver­steht von der Welt absolut nichts. Wie stellt der sich wohl eine Überfahrt über den Atlantik vor?"

„Ganz einfach", sagte Dan O'Flynn feixend. „Er legt den Bug nach Karte und Kompaß aus und segelt los. Und wenn er von der Neuen Welt wieder zurück will, geht es umgekehrt. Wir sollten die Seekarten über Bord wer­fen und uns diesem hervorragenden Navigator anvertrauen."

„Das Bürschchen kann nicht mal durch eine Pißrinne segeln, ohne an­zuecken oder den richtigen Kurs zu finden", sagte Old O'Flynn grollend. „Mit dem kriegen wir noch Kummer, und mit den beiden anderen auch. Das sind die gleichen Bastarde wie der Kapitän der ,Discoverer', mit dem wir bereits Ärger hatten."

„Sieht ganz so aus", meinte der See­wolf nachdenklich. „Fast muß ich dir recht geben."

Aus der Kombüse zog ein lieblicher Duft herauf. Es roch nach kroß gebra­tenem Speck und Eiern. Genauso ver­führerisch war der Duft nach frisch gebackenem Brot. Sie hatten in Lon­don sehr viel eingekauft, um für die lange Reise gerüstet zu sein, denn ein Aufenthalt unterwegs war nicht vor­gesehen. Außerdem boten sich nur die Azoren an, und die lagen zu weit südlich. Es hätte eines langen und zeitraubenden Umwegs bedurft.

Hasards Blick fiel auf Mac Pellew, der mir grämlicher Miene über das Deck latschte. Richtig finster sah er heute aus.

Vor der Kombüse blieb er stehen und blaffte hinein: „Zwei Eier, gefäl­ligst bienenwachsweich, eins etwas härter. Dazu Salz und Pfeffer und

viel Butter aufs Brot. Die Hafersuppe mit Sirup gesüßt, das Brot nicht zu hart."

„Und die Affenärsche mit Kabel­garn aus Seide kalfatert, was, wie?" donnerte der Profos dazwischen. „Was soll der Stuß?" Er blieb vor Mac stehen und sah ihn drohend an.

Mac Pellew winkelte den Daumen ab und zeigte nach achtern, wo die „Gents" ihr Quartier hatten.

„Die Overlords wünschen zu früh­stücken", sagte er zornig. „Und mich behandeln sie wie den letzten Arsch. Bring mir das und bring mir jenes! Und nicht zu scharf und nicht zu weich! Bin ich vielleicht der Hofla­kai? Die können mich mal, diese Windmacher."

„Die Obergroßhochlords haben überhaupt nichts zu melden!" bol­lerte der Profos weiter. „Und Ex­trawünsche stehen hier nicht zur De­batte. Wann und was es zu essen gibt, das bestimmst du und der Kutscher, auch, ob die Eier hart oder weich sind. ist das klar?"

„Mir schon, aber denen nicht. Die nehmen an, ich würde sie von mor­gens bis abends bedienen."

Der Profos grinste tückisch. „Gar nichts wirst du. Wenn es et­

was zu essen gibt, dann erscheinen die Kerle gefälligst dort, wo auch die anderen essen. Und wenn ihnen das nicht paßt, dann..."

„Was dann?" „Dann holt sie der Teufel, und der

heißt Carberry. Ich hoffe, richtig ge­handelt zu haben, Sir", sagte er dann zu Hasard.

Der Seewolf nickte. Seine Mund­winkel zuckten ein wenig.

„Sehr richtig, Ed. Jeder hält sich an die üblichen Spielregeln und an die Schiffsordnung. Das gilt für aus­nahmslos alle. Wer auf Sonder­

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wünsche besteht, kann jetzt noch aus­steigen. Unterwegs dürfte das mit ei­nigen Schwierigkeiten verbunden sein."

„Du hast es gehört, Mac", sagte der Profos. „Extrawürste werden nicht gebraten. Wenn die ehrenwerten Gents wieder irgendwelche Wünsche haben, kannst du sie getrost an mich verweisen. Ich bin hier auch für Be­schwerden aller Art zuständig, weil ich ein so trostreiches Wesen habe."

Mac Pellew tat das, was er nur sel­ten einmal tat. Er grinste, und er grin­ste sogar ein bißchen hinterhältig. Aber weil er beim Grinsen immer wie ein Clown aussah, der in eine Zitrone beißt, fragte Carberry ihn auch gleich besorgt, ob er etwa Zahnschmerzen habe.

„Nein, nein", versicherte Mac ha­stig. „Ich mußte nur lachen. Soll ich den ehrenwerten Gents dann eine freundliche Einladung übermitteln?"

„Ja", sagte der Profos nickend. „Tu das, wenigstens beim ersten Mal, da­mit sie auch gleich die Spielregeln kennenlernen. Bis jetzt haben die Kerlchen noch rein gar nichts begrif­fen."

Mac wollte gerade nach achtern ge­hen, doch der Gang wurde ihm abge­nommen. Sir William Godfrey er­schien und steuerte auf Mac und den Profos los.

Godfrey war ein Mann unbestimm­baren Alters mit grauen Haaren und einer dicklichen roten Säufernase. In seinen Kreisen galt er als Spinner und Rappelkopf, der schon immer in die Neue Welt wollte. Unter dem Vor­wand, beim Aufbau der neuen Kolo­nie tatkräftig mitzuhelfen, war er los­gezogen, aber auch er hatte nichts an­deres im Kopf, als auf der anderen Seite des Atlantiks nach Gold zu su­chen, das er dort in großen Mengen zu

finden hoffte. Dann würde er einst als reicher Mann nach England zurück­kehren, genau wie Frank Davenport und Alec Morris, die alle das gleiche Ziel verfolgten.

Dicht vor den beiden blieb er schnaufend stehen und sah sie an.

„Ich bin ungehalten", erklärte er anstelle einer Begrüßung. „Und ich muß mich sehr wundern, um das gleich zu sagen. Wir geruhen um diese Zeit ausgiebig zu frühstücken, aber es ist niemand da, der uns be­dient, obwohl ich diesen Mann aus­drücklich darauf hingewiesen habe. Offensichtlich sind Sie hier der Schiffsmann, oder wie man das nennt. Stauchen Sie diesen Kerl tüch­tig zusammen, mein Lieber, damit er weiß, was er uns in Zukunft schuldig ist."

„Ich bin zwar nicht der Schiffs­mann", sagte Carberry freundlich, „sondern der Profos, was soviel wie Zuchtmeister bedeutet."

„Nun, nun", sagte Sir Williams gnä­dig, „dann habe ich mich ja an den richtigen Mann gewandt. Züchtigen Sie diesen Kerl also wegen seiner gro­ben Vernachlässigung. Peitschen Sie ihn aus, wie das üblich ist, damit er künftig weiß, welchen Respekt er uns zu erweisen hat."

Carberry blieb immer noch freund­lich. Er nahm den Kerl einfach nicht ernst.

„Bei uns wird niemand ausge­peitscht", erklärte er. „Und schon gar nicht aus dem läppischen Grund, den Sie eben angeführt haben. Und wie Sie zu frühstücken geruhen, interes­siert mich einen Dreck. Hier hält sich jeder an eine bestimmte Ordnung. Das gilt auch für Sie und Ihre ehren­werten Freunde. Wer sich aber nicht daran hält", sagte er drohend, „den werde ich mir dann in meiner Eigen­

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schaft als Zuchtmeister vorknöpfen. Sie werden also die unendliche Güte haben, mit Ihren Freunden dort zu speisen, wo es an Bord üblich ist. Da­für haben wir extra einen Raum, eine sogenannte Messe. Wann ist es so­weit?" wandte er sich fragend an Mac Pellew.

„In einer knappen halben Stunde." „Empörend!" rief Sir William aus.

„Das muß ich mir nicht gefallen las­sen. Wir genießen Vorzugsbehand­lung, denn wir entstammen adligen Kreisen. Es ist eine Zumutung für uns, mit dem gemeinen Schiffsvolk an einem Tisch sitzen zu müssen."

„Für uns ist das eine ebensolche Zu­mutung", sagte der Profos grob, „uns das Gewäsch und Gelaber einiger un­wissender Kerle anhören zu müssen, die von der Seefahrt keine Ahnung haben und sich einbilden, der Nabel der Welt zu sein."

Auf Sir Williams Stirn schwoll eine Zornesader. Er blickte den Profos fassungslos und entgeistert an.

„Ich werde mich an den Kapitän wenden!" keifte er.

„Das ist nicht erforderlich", er­klang Hasards kühle Stimme, der al­les mitangehört hatte. „Was mein Profos sagt, das gilt - auch für Sie. Wenn Sie mit meinen Leuten nicht an einem Tisch sitzen wollen, dann essen Sie anschließend in der Messe. Damit ist das dann ein für allemal klarge­stellt. Sie sind Gäste auf diesem Schiff, und als solche haben Sie sich zu verhalten. Ich war nicht scharf darauf, Sie mitzunehmen. Ich habe es nur aus Gefälligkeit getan."

„Ich werde mich an eine höhere In­stanz wenden!" rief Sir Williams er­bost.

„Der liebe Gott ist da oben", sagte der Profos trocken. „Aber Sie sollten

ihn nicht wegen solcher Lappalien be­lästigen."

Sir William platzte fast vor Wut. Er war eine solche „Behandlung" nicht gewohnt und hatte angenommen, sein bisheriges Leben in Saus und Braus auch hier an Bord ungehindert fortsetzen zu können - mit der erfor­derlichen Bedienung selbstverständ­lich. Diese Kerle dachten jedoch ganz anders darüber.

„Ich werde mich bei Hofe beschwe­ren", verkündete er laut.

„Tun Sie das", riet Hasard. „So­lange wir uns auf der Themse befin­den, können Sie jederzeit aussteigen. Sie können aber auch gern auf den Pilgerschiffen mitfahren, wo man Ih­rer Bequemlichkeit ganz sicher Rech­nung tragen wird."

Sir William Godfrey verschwand voller Empörung nach achtern.

„Dem hast du es aber gegeben", sagte Mac anerkennend. „Der ist ganz käsig im Gesicht geworden."

„Soll er", sagte Carberry verächt­lich. „Auf Kerle wie die sind wir nicht angewiesen. Ich kann solche Gockel auf den Tod nicht ausstehen, die auf Kosten anderer schmarotzen und sie dann noch geringschätzig betrachten. Die Kerle waren sich ja zu fein, auf den angeblich verlausten und ver­wanzten Pilgerschiffen zu fahren."

Der Kutscher, der alles mitgehört hatte, nickte nur zustimmend. Dabei lag ein feines undeutbares Lächeln, auf seinem Gesicht.

Auf den Pilgerschiffen hatte der Gesang mittlerweile aufgehört. Da­für wurde auf der „Explorer" jetzt laut gebetet. Kapitän Amos Toolan war der Initiator des Gebetes. Der frömmelnde Puritaner hielt die Leute bei jeder sich bietenden Gelegenheit dazu an. Im Anschluß an das Gebet hielt Toolan noch eine Ansprache,

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doch die Worte verstanden sie auf der Schebecke nicht. Der Wind zerfetzte sie zu einem undeutlichen Gemurmel.

Als es Frühstück gab, ließen die drei Gents sich nicht blicken. Der Kutscher rang sich lediglich zu einem müden Schulterzucken durch.

„Wer nicht will, der hat schon", murmelte er. „Der Hunger wird die Burschen schon in die Messe trei­ben."

Die Arwenacks hauten kräftig ein. Der Duft nach gebratenem Speck und Eiern durchzog noch immer das ganze Schiff.

Kurz vor dem Abräumen, die mei­sten hatten ausgiebig gegessen und waren fertig, erschienen die Gents wie auf ein geheimes Kommando. Sir William war offensichtlich ausge­sprochen schlechter Laune und ließ sich mit mürrischem Gesicht an der Back nieder. Alec Morris nahm ebenfalls Platz und tat so, als sei es eine Gnade, daß er in der Messe er­schienen war.

Der dritte Mann, Frank Davenport, sah noch reichlich verkatert aus. Er konnte es kaum erwarten, England hinter sich zu lassen. Offenbar waren ihm ein paar Gläubiger auf den Fer­sen, denn es war ein offenes Geheim­nis, daß er hochverschuldet war.

Bei Hofe, wo er herumschmarotzt hatte, war man heilfroh, daß Daven­port auf die Idee verfallen war, aus­zuwandern. Damit war man ihn auf elegante Art und Weise endlich losge­worden. Auch er hoffte sehnlichst, drüben viel Gold zu finden und war nur auf seine eigenen Vorteile be­dacht.

Die drei aßen schweigend und mit verbissenen Gesichtern. Als sie fertig waren, erhoben sie sich und gingen nach achtern. Den Kutscher und Mac Pellew würdigten sie dabei keines

Blickes, als die beiden die Back ab­räumten und die Messe aufklarten.

„Eingebildete Lackaffen", knurrte Mac. „So was wie die will in der Neuen Welt eine Kolonie aufbauen, ein Land kolonisieren und besiedeln, wo knochenharte Arbeit verlangt wird und jeder auf jeden angewiesen ist. Dabei haben die Gents so zarte Händchen wie die höfischen Schrei­berlinge. Von denen hat noch keiner gearbeitet."

„Das haben sie auch nicht", sagte der Kutscher. „Sie umgeben sich nur mit dem Anschein des Wohlwollens. Wenn wir die Neue Welt erreicht ha­ben, gehen die Gents ihre eigenen We­ge und werden sich den Teufel um die Siedler kümmern. Sie faseln nur von Gold, und daß dort drüben ungeahnte Schätze ruhen sollen."

„Woher wollen die das denn wis­sen?"

„Gerüchte, wie sie eben immer wie­der auftauchen und sich hartnäckig halten. Genaueres wissen sie natür­lich nicht. Vielleicht liegt gerade dar­in der Reiz für sie - Ferne, Aben­teuer, Reichwerden. Es sind eben Glücksritter oder meinetwegen Ha­sardeure."

„Was beweist, daß sie keine Ahnung von der Wirklichkeit haben. Aber drüben sind sie auf sich allein gestellt, und da wird ihnen ihre Über­heblichkeit schon vergehen."

„Du sagst es, Mac. Jeder muß erst ein gewisses Maß an Erfahrungen hinter sich bringen. Die haben es noch vor sich."

Als der Kutscher an Deck ging, sah er gerade noch, wie die Gents achtern in ihrer Kammer verschwanden. Sie schienen eingeschnappt zu sein.

Bis zum Mittag ließen sie sich auch nicht mehr blicken. Sie erschienen

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erst dann wieder, als die Arwenacks bereits gegessen hatten.

Es hatte ganz den Anschein, als würden sie nicht viel Freude mitein­ander haben.

Einen Tag später sollte sich das be­wahrheiten. Und das war erst der An­fang.

Zunächst einmal wunderte sich der Seewolf, daß die kleine Karavelle ih­nen immer noch beharrlich fast im Kielwasser folgte. Sie hockte ihnen sozusagen wie eine Laus im Pelz. Von einem abschiednehmenden Geleit konnte also keine Rede mehr sein. Blieb also nur noch die Möglichkeit, daß die Karavelle zufällig denselben Kurs hatte wie der Verband der Pil­gerschiffe.

Das war es aber nicht, was den See­wolf ärgerte. „Pilgrim" und „Explo­rer" segelten ganz normal. Sie hatten die Themse hinter sich gelassen und segelten auf östlichem Kurs mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend. Der Wind wehte frisch und kühl aus Nordost. Soweit war das ganz normal, denn auch die Sche­becke lag über Steuerbordbug wie auch die Karavelle achteraus.

Der Kapitän der „Discoverer" hin­gegen schien sein Handwerk nicht zu verstehen, so hatte es jedenfalls den Anschein. Er benahm sich jedenfalls wie ein Tölpel. Die „Discoverer" gierte immer stärker zum Land hin und drohte, auf Legerwall zu geraten. Bevor es kritisch wurde, brachte Ka­pitän Granville das Schiff wieder auf Kurs, verlor allerdings jedes Mal viel Zeit bei dem Manöver.

Hasard sah dieser Segelei anfangs spöttisch, dann verärgert zu, als die

„Discoverer" immer weiter achteraus blieb.

„Möchte wissen, wo dieser Hunde­sohn so erbärmlich segeln gelernt hat", sagte Hasard. „Wenn wir nach­her die Ostspitze runden und Kurs auf Ramsgate nehmen, sitzt der Kerl auf dem Trockenen. Spätestens in Dover kann er die Pilger dann aus­booten. Ist der wirklich so dämlich, oder stellt er sich nur so an?"

„Zumindest ist er ein korrupter Hundesohn", sagte Ben Brighton. „Diesen Granville kennen wir bisher von den anderen am besten. Aber er hat offenbar keine Ahnung vom Se­geln, darin muß ich dir recht geben, Sir."

Don Juan de Alcazar hatte einen Blick durch das Spektiv geworfen und setzte es jetzt wieder ab.

„Er steht auf dem Achterdeck beim Rudergänger", sagte er. „Einer von beiden scheint sein Handwerk jeden­falls nicht zu verstehen."

„Dann muß es der Kapitän sein", meinte Dan O'Flynn, „denn der gibt ja dem Rudergänger die Anweisun­gen. Man kann nicht lange zusehen, ohne daß es einen in den Fäusten juckt. Der Kerl hält den gesamten Konvoi auf."

Granville hatte seine Galeone wie­der auf Kurs gebracht und ließ ein paar Segelmanöver ausführen, die er sich hätte ersparen können. Es dauer­te jedoch nicht lange, dann drehte der Bug seiner Galeone wieder dem Land zu.

„Ja, pennt denn dieser Affenarsch am Kolderstock?" brüllte der Profos. „Die sind ja nicht mal in der Lage, einen Torfkahn zu segeln!" Er hatte die Arme in die Hüften gestemmt und blickte mit funkelnden Augen zu der Galeone hinüber, die buchstäblich durch die See torkelte.

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„Kopflastig ist sie nicht", sagte Ha­sard, „hecklastig ist sie ebenfalls nicht, und nach einem plötzlichen Wassereinbruch sieht es auch nicht aus. Alles scheint an Bord normal zu sein. Anscheinend kommt der Kerl mit dem bißchen Kabbelwasser nicht klar. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man einen unfähigen Kapitän über den Atlantik schickt und ihm die Verantwortung für mehr als hun­dert Leute aufhalst, wenn er keine Ahnung vom Segeln hat."

Die See war ein bißchen kabbeliger geworden, seit sie die Themse achter­aus gelassen hatten. Der Nordost und die leichte Strömung schufen unre­gelmäßig durcheinanderlaufende Seen und sorgten für kleine Spritzer, die an Deck leckten.

Dieses Kabbelwasser war jedoch nicht gefährlich, und ein erfahrener Seemann lachte höchstens verächt­lich darüber. Der Nordost blies auch nicht mit großer Heftigkeit. Es war eine Situation, die jeder Moses gemei­stert hätte.

Nur Robert Granville hatte als ein­ziger Schwierigkeiten mit Wind und Wasser. Er hatte das Schiff einfach nicht in der Gewalt.

„Wenn er noch lange so weiter­klüst", sagte Hasard grimmig, „dann statten wir dem Gentleman einen Be­such ab, mit dem guten Ratschlag, wieder umzukehren, bevor er die ihm anvertrauten Leute in Lebensgefahr bringt."

„Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß dieser Granville die au­genblickliche Situation ganz bewußt herbeiführt", ließ sich der Spanier vernehmen. „Ich habe jedenfalls den Eindruck."

Hasard drehte sich zur Seite und sah dem langjährigen Freund in die dunklen und ernstblickenden Augen.

„Warum sollte er? Dafür liegt doch nicht der geringste Grund vor."

„Bei einem Hundesohn wie dem weiß man das nie. Nenne es meinet­wegen Intuition oder wie auch im­mer. Ich kann es nicht erklären."

„Du wandelst doch nicht auf Done­gals Pfaden, wenn du jetzt Eingebun­gen hast?" fragte Hasard spöttisch.

„Ich glaube kaum. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, daß dieser Kapitän so, sagen wir mal, so ausgesprochen dämlich ist und nichts vom Segeln versteht. Das will mir nicht in den Kopf. Auf der Themse hat er die Galeone einwandfrei ge­führt."

„Da gab es auch keine Kabbelsee, und der Nordost war nur ein laues Lüftchen."

„Daran hat sich nicht viel geän­dert", bemerkte Don Juan. „Der Un­terschied ist nur geringfügig, beinahe lächerlich. Und ausgerechnet jetzt be­nimmt er sich wie ein Anfänger. Wie will er dann später den Kanal durch­segeln, wenn es aufbrist?"

„Vermutlich gelangt er mit seiner Segelei gar nicht so weit. Aber gut, angenommen, er verzögert die Reise wirklich. Was hätte er davon? Er muß doch einen Grund haben."

Don Juan blickte zur „Discoverer". Am Fockmast killten Fock- und Mars­segel, als Granville versuchte, wieder Höhe zu gewinnen und an den Wind ging.

Das seltsame Manöver wurde auch auf den anderen Schiffen mit offen­sichtlichem Spott und einem hinter­hältigen Grinsen quittiert. Ein paar Leute zeigten mit ausgestreckten Händen zu der Galeone, die so se­gelte, als reite sie einen mittelschwe­ren Sturm ab.

„Den Grund kenne ich noch nicht. Vielleicht sollten wir ihn mal fragen

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oder ihm fähigen Ersatz anbieten. Je­denfalls könnten wir ohne seine ei­genartigen Manöver schon ein paar Meilen weiter sein."

„Das stimmt allerdings." Es war, als habe Granville gero­

chen, daß ihm ein kleiner Besuch ab­gestattet werden sollte. Hasard hatte auch ernstlich vorgehabt, persönliche Zweifel an den Qualitäten des Kapi­täns anzumelden. Gerade als er dem derzeitigen Rudergänger Stenmark den Befehl zur Kursänderung geben wollte, klappte auf der „Discoverer" ganz plötzlich alles hervorragend. Sie hatte wieder Höhe gewonnen, lag auf Ostkurs wie die anderen und segelte mit Backbordhalsen über Steuer­bordbug. Sie wich seltsamerweise auch nicht mehr vom Kurs ab.

Hasard gelangte schließlich zu der Überzeugung, daß es wohl doch Schwierigkeiten unbekannter Art ge­geben hatte.

„Seltsam war das schon", meinte er, „aber jetzt hat sich der ehrenwerte Mister Granville wohl gefangen. Wir werden ihn trotzdem ganz besonders ausgiebig im Auge behalten."

Die Schebecke der Arwenacks se­gelte nur mit „halber Kraft". Sie war schneller, leichter und wendiger als die Galeonen, die sich weitaus schwerfälliger durch die See beweg­ten. Sie trieb ihre Schäfchen wie ein Hirtenhund vor sich her und orientierte sich an dem langsamsten Schiff des Verbandes. Zur Zeit war das zweifellos die „Discoverer". Wie sich die anderen auf See verhielten, mußten sie erst noch zeigen.

Wie festgeleimt klebte schräg ver­setzt im Kielwasser die Karavelle, ein ebenfalls schnelles und wendiges Schiff. Es wurde immer noch an ihr herumgerätselt, zumal die Kerle so taten, als gehörten sie dem Verband

an. In regelmäßigen Abständen schrickten sie ihre Schoten und schlichen mit langsamer Fahrt hin­terher, um als letzte im Konvoi zu bleiben.

„Spätestens morgen kaufen wir uns die Burschen", kündigte der Seewolf an. „Falls sie dann noch in unserem Kielwasser hängen. Dann werden wir erfahren, was es mit denen auf sich hat."

„Wahrscheinlich sind die ebenfalls für eine Überraschung gut", orakelte Dan O'Flynn. „Die Reise scheint je­denfalls ganz anders zu verlaufen, als es meinen Vorstellungen entspricht."

„Sieht ganz danach aus", murmelte Hasard. Er sagte den anderen nicht, daß er ebenfalls ein ungutes Gefühl hatte. Old O'Flynn hatte es ohnehin schon an seiner Laune bemerkt und ihn daraufhin angesprochen.

Die Überraschung erfolgte ein paar Stunden später ganz unerwartet, als sich der Konvoi Margate näherte. Hinter diesem östlichen Punkt von North Foreland sollte gerundet wer­den. Der Verband würde von dort ab bis in die Nähe von Dover Südkurs segeln und sich dann in südsüdwestli­cher Richtung an der englischen Kü­ste weiterbewegen. Man würde vor­erst noch dicht unter Land bleiben. Aber selbst dort schon würden die Siedler einen ersten Vorgeschmack von ruppiger See kriegen.

Die Entfernung zum Ufer betrug eine gute halbe Meile. „Pilgrim" und „Explorer" segelten fast auf gleicher Höhe. Etwas weiter hinter ihnen folgte die „Discoverer", dann die Schebecke, der sich wiederum wie ein Fühlungshalter die unbekannte Ka­ravelle anschloß.

Robert Granville schien offenbar der Teufel zu reiten. Hasard und seine Mannen sahen mit immer grö­

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ßer werdender Verwunderung, wie die „Discoverer" hart nach Steuer­bord steuerte, den Verband verließ und auf die im schwachen Dunst lie­gende Küste zuhielt. Schon ein paar Minuten später zeigte die Galeone ih­nen das Heck.

„Das ist ja ein dicker Hund", kom­mentierte der Seewolf verblüfft. „Was ist denn bloß in den Kerl gefah­ren? Ist der verrückt geworden? Jagt fast mit vollem Preß auf das Land zu und riskiert, nicht mehr klarzukom­men."

„Den müssen wahrhaftig alle guten Geister verlassen haben", meinte auch Ben kopfschüttelnd. „Man sollte diesem Kerl einen Warnschuß vor den Bug setzen, aber damit riskieren wir leider, daß unter den ahnungslo­sen Pilgern eine Panik ausbricht. Sol­len wir eins der vereinbarten Signale setzen?"

„Er wird sich den Teufel drum kümmern", erwiderte Hasard. „Laß aber trotzdem das Signal zum Auf­schließen setzen."

Die gebräuchlichsten Signale wa­ren vorher abgesprochen worden. Je­der der Kapitäne hatte sie vorher noch einmal schriftlich von Hasard erhalten, um Irrtümer oder Fehlern vorzubeugen. Die Verständigung zwi­schen den Schiffen hatte Bill über­nommen, der jetzt das entsprechende Signal vorheißte.

Aufschließen, am Verband bleiben, bedeutete es. Der von dem alten Se­gelmacher Will Thorn genähte Wim­pel war von roter Farbe mit zwei wei­ßen Streifen. Die rote Farbe besagte gleichzeitig, daß Gefahr bestand. In diesem Fall war es das Abdriften auf Legerwall beim derzeitigen Wind.

Hasard sah zähneknirschend zu, daß Granville das Signal überhaupt nicht beachtete. „Pilgrim" und „Ex­

plorer" schlossen daraufhin sofort dichter auf, obwohl für sie keine Ver­anlassung dazu bestand. Die Kerle kriegten schon jetzt alles in den fal­schen Hals.

Hasards Narbe von der rechten Stirn über die linke Braue zur linken Wange war ebenfalls als Signal auf­zufassen. Sie wurde rötlich - ein si­cheres Zeichen, daß bei ihm alles auf Sturm stand, und er sich nur noch mühsam beherrschte.

„Verflucht und zugenäht!" brüllte er. „Den Bastard knöpfe ich mir vor. Wenn der nachher nicht mehr in der Lage ist, sich freizusegeln, dann er­lebt er die Hölle auf Erden."

Er wollte Befehl geben, hinterher­zusegeln, aber dann folgten mögli­cherweise die beiden anderen Ga­leonen ebenfalls blindlings der Sche­becke, weil sie immer noch das Signal sahen.

„Diesen Kerlen muß man alles ein­bleuen", sagte er mit schwer unter­drückter Wut. „Die sind wie sture Büffel - und genauso dämlich."

Robert Granville war auch gleich für die nächste Überraschung gut.

Auf der „Discoverer" wurden die Segel aufgegeit. Es ging alles sehr schnell. Zwei Segel killten noch wild. Ihr Knattern drang wie das Feuer von Musketen herüber. Die restlichen Segel wurden nur provisorisch aufge­packt, nachlässig wie es schien.

Dann wurden beide Anker gesetzt, während die Galeone mit dem Heck zum Land trieb. Die Ankertrossen peitschten aus der See wie wilde, zü­gellose Schlangen und kamen steif. Wassertropfen wurden von den sin­genden Trossen nach oben geschleu­dert. Wenn die Anker jetzt nicht hiel­ten und Grund faßten, saß die Ga­leone in wenigen Minuten fest.

Drüben wurde Trosse gesteckt. Das

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Schiff begann zu schwoien und zerrte wie wild an den Trossen. Aber es trieb nicht weiter ab.

Während Hasard noch voll kochen­der Wut das unerklärliche Manöver beobachtete, hatte sich Dan O'Flynn mit dem Kieker bereits einen ersten Überblick verschafft. Er schüttelte fassungslos den Kopf und reichte den Kieker an Hasard weiter.

„Da tut sich was, Sir. Vielleicht soll­test du mal einen Blick riskieren. Zwei Boote haben von Land abgelegt. Sieht so aus, als erhielte die ,Discove­rer' eine Menge Besuch."

Hasard fuhr wie ein gereizter Tiger herum.

„Runter mit dem Signal, Bill!" rief er. „Die anderen Kerle segeln sonst noch auf das Land zu. Neues Signal setzen! Anluven, hart an den Wind, Warteposition einhalten und Kreuzschläge segeln. Hoffentlich ka­pieren das die dreimal verdammten Dummköpfe endlich."

Das neue Signal wurde verstanden und befolgt, bis auf Granville, der von dem Verband keine Notiz nahm und vor Anker liegenblieb.

Erst jetzt warf Hasard einen Blick durch das Spektiv.

Schräg vom Land her näherte sich ein mit Menschen fast überladenes Boot der „Discoverer". Ein zweites stand gerade im Begriff, abzulegen. Auch dieses Boot war mit Menschen überladen. An Bord erkannte Hasard Männer, ein paar Frauen und Kinder.

Er preßte hart die Lippen zusam­men, und er fragte sich erbost, wel­ches Spiel dieser Granville hier wohl trieb, denn von einer derartigen Ver­einbarung war ihm nichts bekannt.

Wie gebannt blickte er durch das Spektiv.

„Granville nimmt offenbar neue Siedler oder Pilger an Bord", ließ

sich Don Juan vernehmen. „Ob die anderen Kapitäne das ebenfalls wuß­ten oder darüber informiert sind?"

„Das werde ich erfahren. Aber zu­mindest hat jetzt die Raterei ein Ende. Jetzt wissen wir, aus welchem Grund er die Reise verzögert hat. Er wollte Zeit schinden, denn zwischen ihm und diesen Leuten fand offenbar eine Absprache statt. Zu einem be­stimmten Zeitpunkt wollte der ehren­werte Mister an diesem Ort sein. Deine Intuition war also genau rich­tig, Juan."

„Was gedenkst du zu tun, Sir? Willst du die Angelegenheit auf sich beruhen lassen?"

„Ich denke gar nicht daran. Ich bin sicher, daß dieser Kerl ein paar Ne­bengeschäfte tätigt und sich zusätz­lich eine Stange Geld verdient. Wir segeln zu ihm hinüber."

Bevor die Schebecke jedoch den Kurs änderte, geschah drüben ein Un­glück.

3.

Auf den überladenen Booten ging es sehr hektisch zu. Außerdem trie­ben die Männer von der „Discoverer" die Leute mit barschen Worten und harten Flüchen zur Eile an. Es konnte ihnen nicht schnell genug gehen.

Zwei Jakobsleitern waren ausge­bracht worden. Das erste Boot hielt genau auf sie zu. Oben standen Kerle mit finsteren Gesichtern an Deck, die ungeduldig winkten.

„Los, beeilt euch, verdammt noch mal, nicht so lahm! Hopp auf, packt die Tampen oder haltet euch fest!"

Kinder schrien, ein paar Frauen kreischten. Das überladene Boot be­gann wild zu schlingern. Mittlerweile war auch das andere heran, und jetzt

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wurde das Gedränge noch größer und wilder.

In der Hektik und Aufregung stie­ßen die beiden Boote an die Bord­wand der Galeone. Das erste Boot drehte sich hart zur Seite und knallte gegen das andere. Dort waren die ersten Pilger gerade beim Auf entern.

Ein entsetzlich lauter Schrei war zu hören. In ihrer Angst sprangen die Leute alle zur einen Seite hinüber.

Da kenterte das Boot, während das zweite noch einmal hart an die Bord­wand krachte.

Von einem Augenblick zum ande­ren war der Teufel los.

Zwei der Rudergasten gingen über Bord. Ein etwa zehnjähriger Junge versank schreiend in den Fluten. Ein hagerer Mann sprang ihm mit einem Schrei der Verzweiflung nach, er­reichte ihn jedoch nicht mehr.

Fast alle Pilger des einen Bootes landeten in dem kalten Wasser. Sie begannen um sich zu schlagen und laut um Hilfe zu brüllen.

Aus dem anderen Boot sprangen die Leute wie Affen an die Bord­wände, griffen nach Tauen oder ver­krallten sich in der Jakobsleiter. Wie­der landeten einige von ihnen im Wasser.

Ein paar Männer hielten sich krampfhaft an dem Boot fest und ver­suchten es aufzurichten. Das Boot kenterte nochmals, bis es kieloben im Wasser trieb.

Die Unglücksstelle vor der „Disco­verer" sah aus wie nach einem Schiffsuntergang. Überall trieben Leute, die angstvoll um Hilfe schrien.

„Dieser Wahnsinnige", knirschte Hasard. „Ich würde ihm am liebsten die Faust zwischen die Augen setzen. Haltet Tampen und Haken bereit, wir werden so schnell wie möglich helfen.

Einige dieser bedauernswerten Leute können nicht schwimmen."

Die Schebecke segelte unter vollem Preß auf die Unglücksstätte zu.

Dort war immer noch die Hölle los, denn jetzt erschienen immer mehr Auswanderer an Deck, die sich in qualvoller Enge zusammendrängten und die aufenternden Leute behin­derten.

Die Besatzung reagierte äußerst grob. Wer im Weg stand, wurde von harten Fäusten durchgeschüttelt oder erhielt einen Tritt.

Einigen war es gelungen, erschöpft und triefend das Deck zu erreichen. Dort standen sie wie verlorene Schafe herum und starrten ins Was­ser, wo die anderen schwammen.

Der hagere Mann schrie laut und gellend. Offenbar handelte es sich bei dem untergegangenen Jungen um sei­nen Sohn. Er tauchte wieder und ver­schwand für lange Augenblicke unter Wasser. Als er auftauchte, lag Entset­zen in seinem Blick. Den Jungen hatte er nicht gefunden.

Die anderen hatten genug mit sich selbst zu tun, um aus dem kalten Was­ser auf das sichere Schiff zu gelan­gen. Um den hageren Mann küm­merte sich niemand.

Die Schebecke war heran, die Segel wurden samt der Rahruten abgefiert. Langsam dümpelte sie auf die Men­schen zu.

Smoky, der die ganze Zeit den Mann beobachtet hatte, der pausen­los nach seinem Sohn tauchte, sprang mit einem Satz über Bord. Auch die Zwillinge Hasard und Philip hechte­ten in das kalte Wasser.

Ferris Tucker warf einer krei­schenden Frau einen Tampen zu, in den sie sich verkrallte. Mit einiger Mühe hievte er sie an Bord. Einen weiteren Mann bargen Batuti und

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Nils Larsen. Die Leute froren entsetz­lich, als sie an Deck standen, und klapperten mit den Zähnen.

Der Kutscher und Mac Pellew küm­merten sich augenblicklich um sie, versorgten sie mit heißer Brühe und gaben ihnen Decken. Dann brachten sie sie nach unten, damit sie die nas­sen Sachen wechseln konnten.

Das umgeschlagene Boot trieb da­von. Wind und Wellen jagten es auf den Strand zu.

Hasard kümmerte sich zunächst um die Leute, die ins Wasser gefallen waren. Die Sache mit Granville war jetzt nicht vorrangig. Zuerst mußten die Leute in Sicherheit sein.

Sieben Auswanderer hatten sie jetzt an Bord. Den anderen war es gelungen, an der Galeone aufzuen­tern.

Smoky und die Zwillinge tauchten unermüdlich weiter. Der hagere Mann war so erschöpft und unter­kühlt, daß er kaum noch die Arme hochbrachte.

Als er ganz langsam im Wasser ver­sank, legte Smoky seinen Arm dem Mann um den Hals und schwamm auf die Schebecke zu. Dort wurde er so­fort von kräftigen Fäusten nach oben gehievt und blieb reglos und wie tot auf den Planken liegen.

Im anderen Boot warteten vier Männer, die die Jolle vom Strand her zum Meer gepullt hatten. Sie konnten sich zum Ablegen nicht entschließen und sahen ratlos zu den beiden Schif­fen. Sie hatten mitgeholfen, einigen Leuten das Aufentern zu erleichtern, und sie hatten auch ein paar Männer aus dem Wasser gefischt.

„Was ist mit dem Jungen?" rief Ha­sard besorgt. Himmel, er wird doch nicht ertrunken sein, dachte er.

Seine Söhne schüttelten müde die Köpfe. Smoky warf ihm aus dem

Wasser nur einen entsagungsvollen Blick zu.

Der Hagere kam zu sich und blickte sich gehetzt um. Trotz seiner Schwache war er sofort wieder auf den Beinen.

„Mein Sohn!" schrie er. „Wo ist mein Sohn? Er ist ertrunken, er ist tot, ertrunken!"

Der Kutscher wollte ihn festhalten und beruhigen, doch der Hagere riß sich mit einem weiteren Schrei los, blickte mit irren Augen ins Wasser und sprang über Bord. Wieder tauchte er.

Jetzt hielt auch den Profos nichts mehr. Der Mann hatte keine Kraft mehr, er konnte nicht mehr schwim­men, sein Körper war fertig und völ­lig erschöpft. Das Wasser war eisig­kalt, als Carberry hineinsprang. Se­kundenlang hielt er die Luft an und schüttelte sich. Erst dann begann er sich an die Kälte zu gewöhnen.

Inzwischen waren auch die drei Gents an Deck erschienen. Hasard sah, daß sie Granville jovial zuwink­ten. Sonst kümmerten sie sich jedoch um nichts. Gleichgültig sahen sie dem Treiben im Wasser zu, ohne selbst eine Hand zu rühren.

Der Seewolf stieß ein verächtliches Knurren aus. Von den drei Kerlen hatte er auch nichts anderes erwartet als tatenloses Zusehen. Auf den Ba­stard Granville schienen sie jedoch große Stücke zu halten.

Nach einer Weile stand fest, daß der Junge ertrunken war. Die Zwil­linge und Smoky gaben sich zwar al­lergrößte Mühe, ihn zu finden, aber er war nicht mehr da. Auch seine Leiche tauchte nicht mehr auf.

Hasard schluckte hart. Sein Gesicht war kantig und verschlossen. Er warf einen Blick auf den Profos, der wie­der an jener Stelle tauchte, wo der

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Hagere versunken war. Als er schnau­fend nach oben kam, schüttelte er müde den Kopf.

Die Zwillinge enterten halbdurch­gefroren nach einer Weile mit ver­kniffenen Gesichtern auf. Beide schlotterten vor Kälte.

„Er muß auf den Grund gesunken sein", murmelte Philip mit blauen Lippen und klappernden Zähnen.

Hasard gab keine Antwort. Er würgte an dem Kloß, der ihm im Hals saß wie eine riesige Qualle.

„Zurück an Bord, Ed und Smoky", sagte Hasard heiser. „Es hat keinen Zweck. Ihr findet sie nicht mehr."

Auch von Bord aus wurde pausen­los das Wasser abgesucht. Vater und Sohn blieben jedoch unauffindbar. Beide hatten den Tod in der See ge­funden.

Die Arwenacks hatten verkniffene Gesichter, wenn sie zur „Discoverer" hinübersahen. Dort wurden jetzt die ersten Leute eilends unter Deck ge­bracht. Das Boot mit den vier Ruder­gasten bewegte sich ebenfalls auf die Küste zu, nachdem die Männer noch eine Weile gewartet hatten. Jetzt pull­ten sie ziemlich schnell dem Strand entgegen.

Smoky und der Profos wurden an Bord gehievt. Mac Pellew hielt ihnen auffordernd eine Buddel mit schar­fem Schnaps entgegen. Beide tranken einen langen Zug und reichten die Buddel weiter.

„So weit sind wir jetzt also schon", sagte Hasard erbittert. „Zwei Tote, nur weil ein verdammter Bastard et­was dazuverdienen will und auf ei­gene Faust handelt. Die Reise steht wahrhaftig unter keinem guten Stern."

„Ein betrüblicher Unfall", sagte Alec Morris und hüstelte geziert. „Na­

türlich kann man niemandem die Schuld geben, aber ..."

„Gehen Sie unter Deck, Sie Idiot", fauchte ihn Hasard an. „Verschwin­den Sie augenblicklich, und nehmen Sie Ihre Genossen mit. Ich kann Ihre dümmlichen Visagen vorerst nicht mehr ertragen."

„Aber Sir", sagte Morris lahm. Er blickte in ein Augenpaar, das

wie kaltes Gletschereis schimmerte, und deren Anblick ihn hart schlucken ließ. Er hatte das unangenehme Ge­fühl, als rinne Eiswasser durch seine Adern.

„Haben Sie mich nicht verstan­den?" brüllte der Seewolf mit einer Stimme, die alle an Deck zusam­menzucken ließ.

Die drei Kerle erfaßte panische Angst. Der überhebliche Dandy wurde blaß. Davenport zuckte heftig zusammen, und Sir Williams drehte sich bei den ersten Worten um und hastete nach achtern, als seien sämtli­che Höllenhunde hinter ihm her. In­nerhalb weniger Sekunden waren sie achtern verschwunden.

„Wir gehen bei der ,Discoverer' längsseits", sagte Hasard. Bei diesen Worten sah er wie ein reißender Wolf aus. „Es ist auch überflüssig zu fra­gen, ob es gestattet ist, an Bord kom­men zu dürfen."

Es waren nur noch dreißig oder vierzig Yards bis zur Galeone. Die Schebecke trieb langsam heran.

Was da mit einem federnden Satz an Bord sprang, war ein ungebändig­ter schwarzhaariger Teufel, dem die silbergrauen Schläfen noch mehr Ge­fährlichkeit verliehen. Sein Gang war kraftvoll. Er glich einem Höllenfür­sten, der sich mit kraftvollen Schrit­

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ten und einer unglaublichen Ge­schmeidigkeit seinen Weg durch die Menge bahnte. Ein paar Kerle der Be­satzung wischte er mit einer lässigen Handbewegung zur Seite.

Zwei weitere Schritte brachten ihn über den Niedergang auf das Achter­deck der Galeone.

Dort stand Kapitän Robert Gran­ville mit seinem Ersten Offizier Har­ris, dem Rudergänger und einem wei­teren ungeschlacht wirkenden Kerl, der offenbar der Profos dieses Schif­fes war.

Granville versuchte krampfhaft, sich den Anschein völliger Gelassen­heit und Ruhe zu geben, doch er wußte selbst, daß ihm das nicht ge­lang.

Er war wahrhaftig kein weicher Mann, aber beim Anblick des schwarzhaarigen Tigers in Menschen­gestalt begannen ihm die Knie zu zit­tern. Der Riese sah aus, als wolle er ihn im ersten Impuls totschlagen, und das mit der bloßen Faust.

Hasard kannte diesen Bastard längst, diesen dicklichen herrschsüch­tigen Kerl mit dem despotischen Ge­habe, den finsteren Augenbrauen, die dicht und buschig auf seiner Stirn wuchsen, und den riesigen Ohren, die wie große Löffel aussahen. In den Fischaugen erkannte er Angst, aber auch den Willen, sich trotz allem durchzusetzen.

Einen halben Schritt vor ihm blieb der Riese abrupt stehen. Granville war unwillkürlich zurückgewichen, denn es hatte ganz den Anschein, als wollte dieser Seewolf ihn unterman­geln.

„Sie sind ein Bastard", sagte Ha­sard eisig, „ein lausiger, abgefeimter und hinterhältiger Bastard, Gran­ville. Es gibt im gesamten Verband keinen größeren Halunken als Sie."

Granville steckte die Beleidigungen ein. Er spürte, daß dieser Mann ihn absichtlich provozierte, und er küm­merte sich den Teufel darum, daß seine Leute alles hörten. Vielleicht wartete er nur auf eine harte Erwide­rung, um eiskalt zuschlagen zu kön­nen. Darauf aber wollte es Granville nicht ankommen lassen.

„Ich habe nichts Ungesetzliches ge­tan", sagte er heiser. „Ich habe nur ein paar Leute an Bord genommen, wie das schon lange vorher vereinbart war. Für diese Leute trage ich allein die Verantwortung. Man kann mir nichts vorwerfen."

„Sie haben keinerlei Recht, weitere Leute an Bord zu nehmen!" fuhr ihn Hasard scharf an. „Schon gar nicht, ohne die anderen davon zu unterrich­ten. Sie kümmern sich den Teufel um den Verband und kochen in aller Heimlichkeit Ihre eigene Suppe. Sie verlassen den Verband, ohne die ele­mentarsten Regeln zu beachten und bringen durch Ihr Verhalten die ande­ren Schiffe in Gefahr. Und da behaup­ten Sie unverfroren, man kann Ihnen nichts vorwerfen? Ein Mann und ein Kind sind ertrunken, Mister Gran­ville, aber das tun Sie mit einem Schulterzucken ab, weil es Sie über­haupt nicht berührt."

„Es war nicht meine Schuld", keuchte Granville. Er trat schluckend noch einen halben Schritt zurück und vermied krampfhaft, in die harten eisblauen Augen zu blicken. „Ich konnte nichts dafür. Es geschah in der Hektik, weil ich mich wieder in den Verband eingliedern wollte, um keine Zeit zu verlieren. Die Boote haben sich gerammt..."

„Sie haben durch Ihre idiotischen Segelmanöver genügend Zeit heraus­geschunden, um alle anderen aufzu­halten, und Sie haben das ganz be­

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wußt auf eine hinterhältige Art und Weise getan. Ich sollte Sie wegen Un­fähigkeit absetzen, Mister. Das wäre die natürliche Konsequenz."

Der Dicke wurde blaß und schnappte nach Luft.

„Ich verbürge mich dafür, daß ich alle Leute heil ans Ziel bringen werde", stammelte er tonlos.

„Sie können für überhaupt nichts bürgen, weder für das eine noch für das andere. Sie haben verantwor­tungslos gehandelt, um sich zu berei­chern. Das ist der wahre Grund. Wie viele Leute haben Sie an Bord?"

„Etwa hundert", murmelte Gran­ville eingeschüchtert.

„Jetzt haben Sie noch zwei Dutzend mehr an Bord. Haben Sie für zusätzli­chen Proviant und Trinkwasser ge­sorgt? Oder wollen Sie den anderen Leuten die Rationen kürzen? Wie ha­ben Sie sich das gedacht?"

Granville war immer noch von der Furcht befangen, plötzlich diese ge­waltige harte Faust auf der Nase zu spüren. Dieser Killigrew sah mehr als furchterregend aus.

„Ja, Sir, das habe ich", sagte er schnell. „Ich habe mehr Proviant und mehr Trinkwasser an Bord genom­men."

Hasard glaubte ihm kein Wort. Die­ser schlitzohrige Halunke hatte ganz sicher nicht mehr an Bord genom­men, eher noch weniger.

„Sie werden von mir nicht erwar­ten, daß ich Ihnen auch nur ein Wort glaube", sagte Hasard scharf. „Nach allem, was Sie sich bisher geleistet haben, sind Sie für mich unglaubwür­dig, von Ihren anderen Charakterei­genschaften ganz zu schweigen. Sie werden jetzt Ihre beiden Jollen abfie­ren und die aufgenommenen Leute wieder an Land bringen, um sie dort auszubooten."

Granville sah aus, als habe er einen Schlag ins Gesicht erhalten.

„Das - das können Sie nicht verlan­gen, Sir", murmelte er. „Die Leute ha­ben ihre Passage bezahlt."

„Ich kann noch viel mehr verlan­gen, Mister, denn ich habe das Kom­mando über die Pilgerschiffe. Das dürfte Ihnen bekannt sein. Ich kann Sie auch mit der Galeone wieder nach London zurückschicken, wo Sie eini­ge weitere Unannehmlichkeiten er­warten dürften. Die Passage zahlen Sie den Leuten wieder zurück."

Hasard hatte mit einem wilden Auf­begehren gerechnet und damit, daß Granville jetzt Schwierigkeiten berei­ten würde. Das wilde Aufbegehren er­folgte jedoch von ganz anderer Seite.

Eine Frau in einem langen Kleid hatte zusammen mit drei anderen das Achterdeck betreten und warf sich vor ihm auf die Planken. Der Seewolf sah in ein verhärmtes, ausgezehrtes Gesicht, in dem Falten der Bitternis standen, obwohl die Frau noch nicht alt war.

Sie umklammerte seine Stiefel und blickte aus tränenumflorten Augen zu ihm hoch.

„Bitte, hoher Herr, schickt uns nicht wieder fort", flehte sie. „Wir ha­ben all unser Hab und Gut verkauft, alles, was wir hatten. Wir haben nichts mehr, kein Haus, kein Vieh. Unsere ganze Hoffnung ist die Neue Welt, wo wir uns eine Existenz auf­bauen wollen. Dafür haben wir unser letztes Geld gegeben. Sie dürfen uns nicht fortschicken, Herr, und uns da­mit der bitteren Not ausliefern."

Die anderen Frauen begannen ebenfalls zu flehen und zu klagen. Sie sahen ihre einzige Hoffnung durch ein paar harte Worte zerstört.

Dem Seewolf war der Auftritt pein­lich. Er sah weinende Gesichter und

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erkannte, daß auch die Männer hart schluckten und sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischten.

Ein paar von ihnen beteten laut zu Gott und waren völlig verzweifelt. Immer mehr ausgezehrte Gestalten umringten ihn und beschworen ihn flehentlich, sie doch mitzunehmen.

„Wir haben keine Bleibe mehr", sagte ein Mann mit Bart und langen Koteletten. „Wenn Sie uns zurück­schicken, Sir, dann müssen wir sogar im Freien mit unseren Kindern über­nachten. In unserem kleinen Häus­chen wohnen schon andere Leute."

Der Seewolf bemerkte, daß Gran­ville sich etwas zur Seite gedreht hatte, so daß er ihn nur im Profil sah. Es war ein unschönes Profil mit ge­krümmter Nase, etwas wulstigen Lip­pen und einer riesigen buschigen Au­genbraue und dem noch riesigeren Ohr. Die wulstigen Lippen grinsten niederträchtig. Der Kerl hatte wieder Oberwasser und schien davon über­zeugt zu sein, daß das Flehen der Frauen nicht auf taube Ohren stieß.

Hasard wollte und konnte nicht die Hoffnungen dieser Leute zerstören, ihnen ihre Träume nehmen, sie ein­fach wieder zurückschicken. Zwei von ihnen hatten es bereits mit dem Leben bezahlt.

Na warte, du Bastard, dachte er. Dir wird dein hinterhältiges Grinsen noch vergehen. Es wird dir noch leid tun, diese Leute an Bord genommen zu haben.

Er half der Frau auf, die ihn immer noch anflehte und unter Tränen die Hände rang. Und er nickte dem bärti­gen Mann beruhigend zu, dessen Ge­sicht ganz aus gespannter Aufmerk­samkeit bestand, als hinge sein Leben unmittelbar von den nächsten Wor­ten ab.

Im Prinzip war es auch so, denn ein

Wort des Seewolfs hätte genügt. Ha­sard hatte alle königlichen Vollmach­ten und das Kommando über den Pil­gerkonvoi. Er konnte Granville not­falls absetzen und die Galeone nach London zurückschicken.

Als er etwas Beruhigendes zu den Frauen sagen wollte, schob sich ein Kerl mit finsterem Gesicht in sein Blickfeld, ein Mann, der Hasard auf Anhieb umsympathisch war.

Der Kerl war stämmig und unter­setzt, dunkelblond und grauäugig. Ein besonderes Merkmal in dem bru­talen Gesicht war die plattgeschla­gene Nase. Darauf mußten schon etli­che harte Fäuste explodiert sein.

Der Kerl war ein Schlägertyp und erinnerte den Seewolf penetrant an einen Affen, so lange Arme hatte er. Damit konnte er sich mühelos im Ste­hen die Kniekehlen kratzen, ohne sich bücken zu müssen.

„Spielt hier nicht die Heulsusen!" fuhr er die Frauen an. „Ab mit euch auf das andere Deck!"

„Darf man fragen, welche Funktion Sie hier ausüben?" fragte Hasard. „Oder sind Sie dafür prädestiniert, sich in die Angelegenheiten Ihres Ka­pitäns zu mischen?"

„Ich - äh - ich bin Tibbs, Gordon Tibbs, Sir, der Decksälteste. Ich weiß nicht, ob ich präne . . . äh ..."

„Verschwinden Sie", sagte Hasard kalt, „und halten Sie sich aus dieser Angelegenheit heraus. Wird's bald?"

Der Kerl warf ihm einen tückischen Blick zu. Er sah Granville an und ge­wahrte das unmerkliche Nicken. Ver­ärgert drehte er sich um und pendelte mit seinen langen Affenarmen davon.

„Wir sind bereit, Sir", sagte Gran­ville. „Wenn Sie es sich noch anders überlegt haben, können wir unter Se­gel gehen, damit wir keine weitere Zeit verlieren. Ich hoffe doch instän­

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dig und flehe zu Gott, daß Sie diese bedauernswerten Kreaturen nicht wieder zurückschicken."

„Zu Gott flehen Sie, soso. Haben Sie auch zu Gott gefleht, als die bei­den Leute ertranken? Ich hatte nicht gerade den Eindruck. Aber wie dem auch sei, Mister Granville, was hier geschah, müssen Sie vor Gott und Ih­rem Gewissen abmachen. Ich hoffe, es bedrückt Sie sehr."

„Es tut mir furchtbar leid", heu­chelte der Dicke. Er brachte es fertig, einen gottergebenen Blick zum Him­mel zu schicken. Auf Hasard hatte das allerdings nicht die geringste Wirkung. Dieser Kerl war ein gewis­senloser und durchtriebener Ha­lunke, der eiskalt über Leichen ging.

„Ich werde diese Leute nicht zu­rückschicken", sagte Hasard.

„Ich wußte, daß Sie ein edler Mensch sind, Sir. Dann können wir die Reise also fortsetzen?"

„Noch nicht, es gibt da noch ein paar Punkte zu klären."

„Aber gewiß doch, Sir", sagte Gran­ville beflissen. „Ich bin Ihnen selbst­verständlich in jeder Beziehung be­hilflich."

„Das freut mich sehr, Mister Gran­ville. Punkt eins: Wieviel hat jeder dieser armen Leute an Sie für die Überfahrt bezahlt?"

„Oh, den üblichen Preis, Sir. Ein paar Pfund."

„Ich wünsche eine exakte Zahl." „Äh, so um die sechzig Pfund,

glaube ich." „Glauben heißt, nicht wissen. Wie­

viel also genau?" Hasards Stimme war etwas schärfer geworden, was Granville wieder blaß werden ließ.

„Genau achtzig Pfund", murmelte er leise.

„Das sind genau zwanzig Pfund zu­viel", stellte Hasard fest. „Bei jetzt

noch dreiundzwanzig Leuten sind das vierhundertsechzig Pfund. Eine sehr stolze Summe, Mister Granville. Sie werden die zuviel verlangte Passage freundlicherweise wieder zurückge­ben, und zwar sofort."

Granville brach der Schweiß aus. Feine Perlen erschienen auf seiner Stirn. Er sah sich gehetzt um und grinste verzerrt.

„Ich warte", sagte Hasard, „aber nicht mehr lange. Wir haben eine Menge Zeit aufzuholen - durch Ihr Verschulden."

„Ich - nun, ich dachte, ich werde die Leute dafür etwas besser verpfle­gen."

„Abgelehnt, Mister Granville. Alle Leute erhalten die gleiche Verpfle­gung. Es gibt keine Bevorzugung. Das würde nur den Neid der anderen erre­gen. Lassen Sie jetzt das Geld holen und jeweils zwanzig Pfund an jeden Neuankömmling verteilen. Nein, Sie werden es mir persönlich geben, wenn die Leute damit einverstanden sind. Ich werde es für sie solange in Verwahrung nehmen, bis es ge­braucht wird."

„Aber, Sir, in der Neuen Welt ist das Geld nichts wert. Niemand kann drüben etwas damit anfangen."

„Ich weiß. Holen Sie es trotzdem." Granville drehte sich um. Sein

Atem ging stoßweise, und er hatte böse glitzernde Augen.

„Holen Sie die geforderte Summe aus der Bordkasse, Mister Harris", befahl er seinem Ersten Offizier.

Um die Lippen des Ersten spielte ein undeutbares Lächeln. Offenbar, so fand Hasard, war ihm diese Rege­lung recht. Er hatte den Eindruck, daß sich Harris und Granville nicht gut verstanden, weil der eine ein Ha­lunke und der andere ein anständiger und ehrlicher Mann war.

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„Sofort, Sir", sagte Harris. Als er zurückkehrte, gab er Gran­

ville das Geld, der es mit verkniffe­nem Gesicht weitergab.

„Bis dahin hat jetzt alles seine Rich­tigkeit, Mister Granville. Bleibt also noch Punkt zwei."

„Was denn noch?" ächzte Granville mit zuckenden Lippen.

„Sie haben doch angeblich für gute Verpflegung gesorgt, und ich nehme nicht an, daß Sie mich belügen. Ich möchte gern Ihre Proviantliste sehen und sie dann mit dem tatsächlichen Bestand vergleichen. Zwei meiner Leute werden das kontrollieren. Als Zeuge kann Ihr Erster Offizier fun­gieren, oder Sie selbst. Ich darf also um die Liste bitten."

Dieser verdammte Satan, dachte Granville erregt. Der machte ihn fer­tig bis zum Geht-nicht-mehr, dieser schwarzhaarige unnachgiebige Ba­stard. Er wünschte ihn in die finster­ste Hölle. Dort sollte er schmoren und dem Teufel einen Pahlstek in den Schwanz knoten. Zuzutrauen war ihm das ohne weiteres.

Dieser Kerl war eisenhart, und er hatte die Befehlsgewalt über die drei Galeonen. Granville konnte sich dem nicht widersetzen, obwohl er anfangs mit dem Gedanken gespielt hatte.

Aber er brauchte sich nur die Kerle auf der Schebecke anzusehen. Die sa­hen wie reißende Wölfe aus und wa­ren es sicher auch. Er hatte schon viel von ihnen und dem schwarzhaarigen Bastard gehört. Die Kerle galten als absolut unbestechlich.

Zähneknirschend fügte er sich und ließ den Koch rufen.

Als Hasard den sah, mußte er selbst hart schlucken. Der sah genauso schlimm aus wie der Decksälteste. Er hatte ein verschlagenes tückisches Gesicht mit auffallend gelblichen Au­

gen, die wie schmutziger Bernstein wirkten. Der Kerl war glatzköpfig, dick und schmierig. Kelvin Bascott hieß das Monstrum, das sich seine fet­ten Finger an einer schmierigen Schürze, oder was immer das sein mochte, abwischte.

„Hol die Proviantliste, Bascott", knurrte Granville. „Der ehrenwerte Sir zweifelt an meihen Worten."

„Ein Zweifler also", sagte der Koch verschlagen. Er maß Hasard mit ei­nem aufdringlichen und frechen Blick. „Kann er haben."

Der Kerl watschelte beim Gehen wie eine lahme Ente. Hasard mu­sterte ihn mit einem eisigen Blick, der dem Dicken durch und durch ging. Hart schluckend wandte er sich ab.

Als er die Proviantliste brachte, nahm Hasard sie nur zögernd entge­gen, aus Angst, an dem Ding kleben­zubleiben.

„Das ist also Ihre Proviantliste", sagte er angewidert. „Sieht aus, als frühstücke Ihre Mannschaft darauf. Na ja."

Er winkte dem Kutscher und Mac, die ohnehin der Unterhaltung zuge­hört hatten, und gab dem Kutscher mit spitzen Fingern die schmierigen Lappen.

„Das ist die Proviantliste", sagte er erklärend, „falls du das für das Blub­berstück eines Wales halten solltest. Überprüft den genauen Bestand und teilt mir dann das Ergebnis mit. Mi­ster Harris wird euch begleiten, oder wollen Sie das lieber selbst tun?"

Granville wollte nicht. Er war ver­schnupft und verärgert.

Als die Männer verschwanden, sagte er mißmutig: „So viele Schwie­rigkeiten hat mir noch keiner bereitet Mister Killigrew. Das grenzt fast an Schikane."

„Es dient nur der Wahrheitsfin­

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dung, denn damit nehmen Sie es an­scheinend nicht so genau. Mit der Verantwortung scheint es bei Ihnen ebenfalls zu hapern. Wenn Sie das Schikane nennen, dann sollten Sie mal darüber nachdenken, warum bei den Kapitänen Toolan und Drinkwa­ter alles in Ordnung ist. Bisher gab es noch keinen Grund zu Beanstandun­gen."

„Toolan ist ein frommer Spinner", sagte Granville verächtlich. „Bei dem gibt's mehr zu beten als zu beißen. Und Drinkwater ist ein verdammter Angeber, der so tut, als könne er kein Wässerchen trüben. Aber ich bin wie­der mal der Sauhund."

„So ist es", sagte Hasard trocken. „Und deshalb werde ich jedem Sau­hund genau auf die Finger schauen."

Unter den Auswanderern hatten sich längst Erstaunen und Respekt vor dem riesenhaften schwarzhaari­gen Mann mit den Silberschläfen breit gemacht. Dieser Mann sah ganz so aus, als wahre er ihre Interessen und kümmere sich um sie. Die Leute murmelten leise durcheinander, wo­bei den Seewolf bewundernde Blicke trafen.

Hasard schaute sich um. Die beiden anderen Galeonen segelten in langen Kreuzschlägen vor der Küste und hielten sich genau an die vereinbar­ten Signale. Seltsamerweise hielt sich auch die rätselhafte Karavelle daran, als gehöre sie dem Verband an. Sie befand sich etwas weiter draußen und hatte in den Wind gedreht. Die Kerle, die sich auf ihr befanden, war­teten in aller Ruhe ab, was weiter ge­schah.

Hasard entschloß sich, dort einmal ernsthaft nachzufragen. Er war selbst gespannt, was es mit dem Schiff auf sich hatte.

Nach einer knappen halben Stunde

kehrten Mac, der Kutscher und Mi­ster Harris wieder zurück.

Hasard sah schon an den Gesich­tern, daß da etwas faul war.

4.

„Wie sieht es aus?" fragte er knapp. „Nichts stimmt überein", erwiderte

der Kutscher und wedelte mit dem speckigen Ding, das Granville und der Koch als Proviantliste bezeichnet hatten. „Hier sind wesentlich mehr Lebensmittel und Proviant aufge­führt, als tatsächlich an Bord sind. Es fehlen vierzehn riesige Käselaibe, et­liche Sack Mehl, Hartwürste, Speck­seiten, Graupen und Butter - minde­stens zwanzig Fässer Butter. Das ein­zige was stimmt, sind die Trinkwas­servorräte. Aber die hat's schließlich auch umsonst gegeben."

Granville fuhr erregt dazwischen. „Augenblick mal!" fauchte er.

„Was sich an Bord befindet, ist genau errechnet worden. Der Koch hat viel zuviel aufgeschrieben, weil er mit mehr Personen gerechnet hat. Stimmt's, Bascott?"

Der Dicke mit dem watschelnden Entengang, der sich im Hintergrund hielt, nickte bestätigend.

„Es stimmt, Sir, haargenau. Ich hatte mich um etliche Personen ver­rechnet."

Die beiden Halunken halten also zusammen, dachte Hasard. Ihm war nicht das kaum merkliche verschwö­rerische Grinsen entgangen sowie der Blick, den sie schnell gewechselt hat­ten.

„Wir haben eine gewisse Zeit ver­anschlagt für die Reise", sagte Ha­sard. „Zuzüglich ein Zehntel als Re­serve. Bist du sicher, daß es reicht, Kutscher?"

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„Es reicht nicht", erklärte der Kut­scher mit Bestimmtheit. „Für die zu­sätzlichen zwei Dutzend Leute schon gar nicht. Es dürfte mehr als knapp werden. Mister Harris wird das ebenfalls bestätigen können."

„Mister Harris wird gar nichts!" donnerte Granville. „Er ist für die Navigation zuständig, aber nicht für den Proviant. Das überlasse ich dem bewährten Bascott, der darin Erfah­rung hat."

Der „bewährte Bascott" grinste tük­kisch und verschlagen, wurde jedoch ernst, als der Erste sich räusperte.

„Die Listen decken sich tatsächlich nicht mit dem wahren Bestand", er­klärte er. „Ich nehme nur das zur Kenntnis, was ich gesehen und kon­trolliert habe."

Ein dicklicher Mann, der zu den Pil­gern gehörte, hob die Hand. Er war grauhaarig und hatte einen gestutz­ten Bart.

„Vielleicht ist in London schon ein Irrtum unterlaufen", sagte er. „Als die Fuhrwerke mit dem Proviant ein­trafen und ausgeladen wurden, kehrte eines von ihnen wieder vollbe­laden zurück, nahm aber einen ganz anderen Weg. Vielleicht hilft Ihnen das weiter, Sir."

Granville sah den Mann an, als wolle er ihn ermorden.

„Interessant", meinte Hasard. „Ist dieser Vorfall noch von anderen gese­hen worden?"

Ein paar Hände hoben sich scheu, Männer und Frauen nickten.

„Wohin ging denn diese Fuhre, Mi­ster Granville?" fragte Hasard.

„Das entzieht sich meiner Kennt­nis, davon weiß ich nichts."

„Sie haben ein Haus in Southwark, eine Frau und zwei Kinder", zählte Hasard auf. „Besteht nicht die Mög­lichkeit, daß die vollgepackte Fuhre

zu diesem Haus gefahren und dort ab­geladen wurde?"

„Wollen Sie mich etwa der Unter­schlagung bezichtigen?" rief Gran­ville empört. „Das muß ich mir nicht bieten lassen!"

„Doch, das müssen Sie sich bieten lassen. Ich will, daß hier alles korrekt zugeht und niemand sich auf Kosten anderer bereichert. Die Leute haben eine hohe Passage bezahlt und ein Recht auf gute und ausreichende Ver­pflegung. Und jetzt raus damit!" brüllte Hasard den zusammenzuk­kenden Kapitän an. „Wo ist der Pro­viant geblieben? Ich verlange eine klare Antwort, sonst holt Sie der Teu­fel!"

„Er - das Zeug - äh - wurde wohl irrtümlich nach Southwark ge­bracht", stammelte Granville müh­sam und wich erneut einen Schritt zu­rück, als er das harte gnadenlose Ge­sicht sah. „Kann sein, daß der Kut­scher oder der Händler etwas mißver­standen hat."

„Demnach würde die Proviantliste also stimmen, wenn alles vollzählig an Bord wäre", sagte der Kutscher. „Auf ein Pferdefuhrwerk paßt eine ganze Menge."

Dieser Granville ist ein Schwein, dachte Hasard, ein erbärmlicher, kor­rupter Drecksack, der die Ärmsten der Armen um ihr bißchen Geld be­trog, das sie ein ganzes Leben lang ge­spart und wofür sie gedarbt und gelit­ten hatten. Man müßte diesen Ba­stard öffentlich auspeitschen.

„Ich habe Ihnen schon einmal er­klärt, für was ich Sie halte", sagte der Seewolf angewidert. „Aber ich kann diese Leute nicht einfach nach Lon­don zurückschicken. Ich würde alle ihre Hoffnungen zerschlagen. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit. Sie, Mister Granville, werden jetzt

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noch einmal in Ihre Bordkasse grei­fen, und zwar mit vollen Händen. Das ist offenbar der einzige Punkt, an dem man Sie empfindlich treffen kann. Sie behalten fünf der Neuzu­gänge an Bord. Die anderen werden auf die beiden anderen Galeonen ver­teilt. Das sind achtzehn Leute. Acht­zehn mal sechzig Pfund ergibt eintau­sendachtzig Pfund. Diese Summe werden Sie mir übergeben. Ich ver­teile sie an die Kapitäne Toolan und Drinkwater. Hinzu kommen noch ein­mal einhundertsechzig Pfund, die un­ter die Pilger verteilt werden. Diese Summe haben Sie bereits für die Leute kassiert, die ertrunken sind. Ich werde Ihnen jeden lausigen Cop­per vorrechnen, verlassen Sie sich darauf. Wenn Sie diese geforderte Summe nicht an Bord haben, können Sie sich als abgesetzt betrachten. Ich werde dann jemand anderen mit der Führung des Schiffes beauftragen. Überlegen Sie sich das sehr genau."

Granville war fix und fertig. Seine wulstigen Lippen zitterten, sein Kör­per bebte, in seinen Augen glitzerten Wahnsinn und eine kaum noch be­herrschbare Wut.

„Sie Teufel!" kreischte er. „Sie sind ja verrückt! Sie ruinieren mich! Bei dieser Reise setze ich zu!"

„Ganz sicher nicht - im Gegenteil. Die anderen Kapitäne setzen auch nicht zu. Es bleibt eine schöne Stange Geld übrig. Bei den Pilgerfahrten ist mehr zu verdienen als bei der Kauf­fahrteischiffahrt. Sie werden also mit einer goldenen Nase zurückkehren ­falls überhaupt."

Granville ging diesmal selbst nach achtern, um das Geld zu holen. Er spielte wiederholt mit dem Gedan­ken, die Pistole zu ziehen und diesen Bastard einfach zu erschießen. Er be­herrschte sich nur sehr mühsam, als

er zurückkehrte und die Goldmünzen abzählte.

Hasard ließ die beiden Lederbeutel mit den Münzen an den Kutscher wei­tergeben und wandte sich an die Pil­ger, die ihn wie ein Wundertier an­starrten.

„Ich möchte", sagte er ruhig, „daß diejenigen von Ihnen, die vorhin als Zeugen fungiert haben, jetzt auf mein Schiff überwechseln. Fünf von Ihnen bleiben an Bord der ,Discoverer'. Der Rest wird auf die beiden anderen Schiffe verteilt. Bringen Sie Ihr Ge­päck mit."

Im Nu quirlte und brodelte alles durcheinander. Viele waren schon jetzt heilfroh, die Galeone verlassen zu können, denn sie hatten längst ge­merkt, was hier gespielt wurde, und daß der Kapitän ein niederträchtiger und korrupter Hundesohn war, der sie nur ausbeuten wollte. Etliche an­dere schreckten auch vor den absto­ßenden Visagen des Kochs, des Bootsmannes und des Decksältesten zurück. Diese Kerle legten nicht ge­rade das beste Benehmen an den Tag.

Innerhalb kurzer Zeit war der Wechsel vollzogen. Gepäck stapelte sich auf der Schebecke, und achtzehn Leute tummelten sich an Bord.

„Das wäre erledigt", sagte Hasard zu Granville. „Sie werden verstehen, daß ich gerade diese Leute abgezogen habe."

„Ich verstehe überhaupt nichts mehr!" tobte Granville.

„Ich zog sie ab, um sie nicht Ihrer Willkür auszusetzen, Mister, denn im­merhin haben diese Leute etwas gese­hen, das Ihnen absolut nicht paßt. Ich schütze sie also nur vor eventuellen Repressalien. Gleichzeitig habe ich damit Ihr unerlaubtes Nebengeschäft unterbunden."

„Haben Sie sonst noch Wünsche?"

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schrie Granville zornig. „Soll ich Ih­nen auch noch das restliche Geld aus­händigen? Oder soll ich vielleicht über Bord springen und ersaufen?"

„Letzteres überlasse ich Ihrer Ent­scheidung. Sie werden bei Ihrem zweifelhaften Abgang nicht viel Trauer hinterlassen."

„Am liebsten würde ich alles hin­schmeißen. Ich habe die Nase voll."

„Das bleibt ebenfalls Ihnen über­lassen. Es gibt genug fähige Männer, die in der Lage sind, die Galeone zu führen."

Hasard bemerkte immer wieder aus den Augenwinkeln, daß der Erste Offizier Harris ihn neugierig und re­spektvoll musterte. Immer wenn Granville einen Rüffel einstecken mußte, lächelte der schlanke Mann unmerklich.

„Wir werden jetzt die Reise fortset­zen", sagte Hasard, „und zwar bis nach Ramsgate. Dort geht der Ver­band für ein paar Stunden vor Anker, falls Sie das Signal wieder einmal ignorieren sollten."

„Davon ist mir nichts bekannt. Was sollen wir in Ramsgate?"

„Ach ja, richtig, das sollten Sie na­türlich wissen. Auf der Reede von Ramsgate fieren Sie Ihre beiden Boote ab", sagte Hasard kalt. „Dann pullen Sie an Land und ergänzen die Vorräte, bis die Proviantliste voll­ständig ist. Sie werden alles das be­sorgen, was noch fehlt, und ich werde mich selbst von diesem Ergebnis überzeugen. Im übrigen wünsche ich Ihnen eine gute Reise, Kapitän Gran­ville. Vermeiden Sie nach Möglich­keit, weitere Zusammenstöße zwi­schen uns beiden zu provozieren. Ich habe zwar Humor, aber der hält sich bei bestimmten Dingen sehr in Gren­zen."

„Woher soll ich das viele Geld neh­men?" schrie Granville gequält.

„Ziehen Sie es von der Fuhre Pro­viant ab, die irrtümlicherweise den falschen Weg genommen hat", riet der Seewolf. „Wir sehen uns dann auf der Reede von Ramsgate wieder."

Er ließ einen fluchenden und vor Wut berstenden Mann zurück, der ihn in die finstersten Höllenschlünde wünschte.

„Dieser Hurensohn", knirschte Granville in ohnmächtiger Wut. „Dem soll die Pest an den Hals fah­ren, ersaufen soll er mit seinen drei­mal verdammten Kerlen! Eines Ta­ges bringe ich ihn um."

Hasard hörte die leisen Verwün­schungen nicht, mit denen Granville ihn bedachte, denn sie waren nur ge­flüstert. Zu Granvilles Glück hörte er sie nicht, sonst wäre es ihm dreckig ergangen. Hasard hatte einen ausge­sprochenen Piek auf den Mann, denn er konnte korrupte Halsabschneider auf den Tod nicht ausstehen. Mit Ty­pen wie Granville verfuhr er daher hart, unnachgiebig und unbeugsam. Er würde ihn auch weiterhin genau im Auge behalten, denn es lag noch ein weiter Weg vor ihnen.

Die Leinen wurden gelöst. Auf der „Discoverer" hievten sie die Anker.

Sie hatten alle Mühe, wieder Höhe zu gewinnen, um nicht auf die nahe Küste gedrückt zu werden.

Die achtzehn Pilger standen an Deck herum und sahen zu der Ga­leone hinüber. Der ältere Mann mit dem gestutzten Bart war auch dabei.

„Dankt Gott, Leute, und dem ehren­werten Kapitän dieses Schiffes, daß wir nicht an Bord bleiben mußten. Dieser Mann ist ein Unmensch, und

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ich fürchte, daß an seinen Händen Blut klebt. Er wird keine Rücksicht auf unsere Brüder und Schwestern nehmen. Es wird eine lange Fahrt des Leidens und der Entbehrungen ge­ben."

Damit hast du recht, dachte Ha­sard. Der Leidensweg hat bereits sei­nen Anfang genommen. Nur haben es die meisten noch nicht bemerkt. Es fängt meist alles mit Kleinigkeiten an, und es geht unmerklich weiter.

„Jetzt hat der Hundesohn wirklich alle Hände voll zu tun, um Höhe zu kneifen", sagte Don Juan, der das Segelmanöver der „Discoverer" be­obachtete.

Der Wind wehte immer noch aus Nordost. Es hatte ein klein wenig aufgebrist. Die „Discoverer" ver­suchte mit Backbordhalsen in spit­zem Winkel zum Wind zu segeln, um dadurch Höhe zu gewinnen. Bei dem Rahsegler war das Manöver nicht einfach, denn immer wieder packte der Wind zu und drückte den Bug der Galeone zum Land hin. Durch die leichte Strömung wurde das Schiff dadurch zusätzlich immer weiter ver­setzt.

Für die Schebecke war das kein Problem. Sie konnte wesentlich hö­her am Wind segeln als die behäbig wirkende Galeone. Sie lief im spitzen Winkel ab und schloß zu den beiden anderen Schiffen auf, als Granville fluchend Höhe zu gewinnen suchte. Der Rudergänger war in diesem Au­genblick nicht zu beneiden.

Endlich hatte sie es geschafft. Es hatte fast eine halbe Stunde gedau­ert, bis sie aufschließen konnte.

„Wir segeln jetzt zur ,Pilgrim' hin­über", sagte Hasard, als der Konvoi endlich wieder auf Kurs lag. „Dort setzen wir neun Leute ab. Das könn­test du übernehmen, Ben. Laß die

Leute selbst entscheiden, wie sie sich auf den Schiffen verteilen wollen,"

„In Ordnung. Ich werde mit ihnen reden. Willst du das Geld auch gleich übergeben lassen?"

„Ja, natürlich. Alles soll seine Rich­tigkeit haben."

Auf den beiden Galeonen hatte man das Manöver genau beobachtet. Aber beide Kapitäne hatten keine Ahnung von Granvilles Extratouren. Sie wunderten sich nur, daß neue Pilger zustiegen. Und Drinkwater wunderte sich noch mehr, als die Schebecke jetzt Kurs auf sein Schiff nahm und offenbar längsseits gehen wollte. Auch Amos Toolan fand das sehr verwunderlich.

Inzwischen sprach Ben mit den Pilgern und gab jedem die zwanzig Pfund zurück, die sie an Granville zuviel bezahlt hatten. Vorerst konn­ten die Pilger damit nicht viel anfan­gen, aber es war Gold, das seinen Wert immer behielt. Früher oder spä­ter würden sie es brauchen können.

Ben und die Pilger wurden sich schnell einig. Ein paar ausgesprochen fromme Leute wollten zu Toolan überwechseln, als Ben ihnen den Ka­pitän kurz schilderte. Die restlichen neun sollten zu James Drinkwater an Bord gehen.

Die Schebecke lief von schräg ach­tern auf die „Pilgrim" zu und näherte sich ihr in rascher Fahrt. Der Ab­stand schmolz immer mehr zusam­men und bald lagen sie auf gleicher Höhe.

„Kurs beibehalten!" rief Hasard hinüber. „Wir gehen längsseits."

Drinkwater nickte dem Seewolf zu und stellte ein paar Männer ab, um die Leinen wahrnehmen zu lassen.

Die Schebecke legte elegant an. Es war ein sauberes und gekonntes Ma­növer. Zwischen beiden Schiffen

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spritzte Wasser auf. Ein paar Fender verhinderten den Anprall, der ohnehin kaum zu spüren war. Gleich darauf wurde vertäut. Die Schebecke erweckte den Eindruck eines schnel­len Kurierbootes, das eine eilige Nachricht zu überbringen hatte.

„Sind Sie bereit, neun zusätzliche Leute an Bord zu nehmen, Kapitän Drinkwater?" fragte der Seewolf. „Selbstverständlich zur ausgehandel­ten Passage von sechzig Pfund pro Person. Es hat Schwierigkeiten mit Kapitän Granville gegeben, wie Sie sicher bemerkt haben. Er hat zusätz­lich zwei Dutzend Leute an Bord neh­men wollen."

Drinkwater, ein schlanker, hochge­wachsener Mann mit dunklen Haaren und ehrlichem Gesicht, nickte zustim­mend. Seine grauen Augen blickten den Seewolf offen und ehrlich an.

„Das wundert mich keineswegs", sagte er ruhig. „Mir war allerdings davon nichts bekannt, und Amos weiß ebenfalls nichts davon. Wir wa­ren ehrlich überrascht. Natürlich nehme ich die Leute an Bord, Sir. Man kann sie ja schlecht zurückschik­ken. Ich muß aber eingestehen, daß es bei dem Proviant zu einem Engpaß kommen könnte. Besteht die Möglich­keit, irgendwo noch zusätzlichen Pro­viant aufzunehmen, Sir?"

Eine ehrliche und klare Antwort, dachte Hasard. Drinkwater war ein verantwortungsbewußter Mann, der nicht das Geld grinsend einstrich und sich dann den Teufel um die Leute scherte.

„Wir gehen auf der Reede vor Ramsgate vor Anker. Granville wird dort ebenfalls Proviant übernehmen, weil er unterversorgt ist."

„Ich nehme an, Sie haben ihm das nahegelegt, Sir", sagte Drinkwater mit einem leichten Hüsteln.

„So ist es. Leider ist er recht unein­sichtig. Haben Sie soviel Platz an Bord?"

„Aye, Sir. Vier Leute sind bei der Abfahrt in London nicht erschienen. Der Platz reicht aus. Die neuen Leute sollen mir willkommen sein. Sie kön­nen sofort überwechseln. Meine Män­ner werden sich um das Gepäck per­sönlich kümmern."

„Vielen Dank, Kapitän." Drinkwaters Männer gingen unver­

züglich an die Arbeit. Die Arwenacks halfen ebenfalls dabei. Innerhalb kurzer Zeit war das Gepäck der Pil­ger von Bord und wurde in einem der Räume der Galeone verstaut.

Drinkwater hatte nicht die gering­sten Schwierigkeiten bereitet, wie Hasard erleichtert feststellte. Er be­dauerte lebhaft, daß Granville nicht vom gleichen Schlag war.

„Das klappte ja reibungslos", sagte Dan O'Flynn. „Hoffentlich geht es bei Toolan auch so leicht."

Hasard grinste etwas grimmig vor sich hin.

„Toolan ist zwar ein frommer Mensch", erwiderte er, „aber er hat keine ausgesprochene Abneigung ge­gen Gold. Notfalls könnte ich ihn zwingen, die Leute aufzunehmen, aber mir ist lieber, wenn es ohne Dro­hungen klappt. Geld und gute Worte sind für Toolan Balsam, den man not­falls noch mit ein paar frommen Sprüchen würzen kann."

Die Leinen wurden gelöst. Hasard ließ die Schebecke ins Kielwasser der „Pilgrim" zurückgleiten und drehte in den Wind. Sie luvten so hart an, bis die Schebecke fast auf der Stelle stand. Erst als die „Pilgrim" zwei Ka­bellängen voraus war, ließ er Ruder legen und nahm Kurs auf die „Explo­rer".

Auf dem Achterdeck dieser Ga­

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leone, wo in London der Gesang er­klungen war, stand Kapitän Amos Toolan. Seine Patschhändchen hatte der Dicke in scheinbar liebenswerter Bescheidenheit und Demut über dem rundlichen Bauch gefaltet.

Der Blick aus seinen Augen verriet nichts, außer vielleicht einer kleinen mißtrauischen Wachsamkeit. Er mu­sterte die neun Pilger, die wie verlo­ren auf dem Deck standen, jedoch sehr gründlich.

Hasard wiederholte seinen Spruch, verschwieg jedoch absichtlich, daß Toolan für jeden Pilger sechzig Pfund erhalten sollte. Er wollte die Reaktion des frommen Mannes ab­warten, der auch einen Bordgeistli­chen auf seinem Schiff hatte.

„Der Herr hat uns ein Problem be­schert", tönte Toolan. „Er will uns prüfen. Neun zusätzliche Schafe an Bord meines Schiffes werden das Problem noch vergrößern. Wie soll ich sie versorgen, Sir?"

„Der Herr liebt alle seine Schäf­chen", sagte Hasard. „Und er hofft in seiner großen Güte auf verständige Herzen, die brüderlich alles teilen. Es sind ja nur neun bedauernswerte Leute."

„Ich sehe es, ich sehe es. Doch will der Herr, daß die anderen dann Not leiden?" fragte er listig. „Ich habe fast hundert Leute an Bord, Sir, und alle wollen verpflegt sein."

„Wir werden in Ramsgate vor An­ker gehen und zusätzlich noch etwas Proviant aufnehmen", sagte Hasard. „Mit den anderen Kapitänen ist das bereits abgesprochen. Wir haben auch schon überschlagen, was wir zu­sätzlich brauchen. Es ist nicht sehr viel."

„Es ist eine schwere Bürde, Sir", gab Toolan zu bedenken. Er dachte

wohl hauptsächlich daran, daß es eine Menge kosten würde.

„Nun, ich appelliere an Ihre Barm­herzigkeit, Kapitän. Heißt es nicht in der Bergpredigt: ,Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen'?"

„In der Tat, so steht es geschrie­ben", sagte Toolan seufzend. „Doch wo bringe ich die Leute unter? Mein Schiff ist fast überfüllt."

Der schlitzohrige Puritaner wollte nicht so recht anbeißen und wand sich unter fadenscheinigen Begrün­dungen.

„Dann werde ich es wohl nochmals bei Kapitän Drinkwater versuchen müssen", sagte der Seewolf bedau­ernd. „Er wird sicher über die fünf­hundertvierzig Pfund erfreut sein."

Die schläfrig-blinzelnden Äuglein wurden sofort hellwach. Der Adams­apfel in dem dicken Hals begann ner­vös nach oben zu wandern. Der Dicke hatte sich erstaunlich schnell wieder gefangen.

„Um der Barmherzigkeit willen", sagte er salbungsvoll. „Liebet eure Mitmenschen, so sagt der Herr. Mir fällt ein, daß ich im Unterdeck noch ein Plätzchen frei habe. Es wird zwar etwas eng zugehen, aber wir haben ja noch das Vieh an Bord, das sich um­ständehalber dezimieren wird. Das schafft zusätzlichen Platz. Gut, Sir, lasset die Schäflein zu mir kommen und wehret ihnen nicht."

„Sie erhalten beides, Schäflein und Scherflein", sagte Hasard, sein fast impertinentes Grinsen gewaltsam un­terdrückend.

Der Profos grinste ebenfalls. Ein wenig erinnerte ihn der Dicke an den schlitzohrigen Bastard Nathaniel Plymson aus der „Bloody Mary" in Plymouth. Er nahm zwei große Bal­

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Der folgende Brief stammt von einem lang­jährigen Freund der SW-Serie: T H , Straße ,1000 Berlin 33. Er schreibt: Sehr geehrte Redaktion! Seit meinem letz­ten Brief ist gut ein Jahr vergangen, darum möchte ich mich heute wieder zu Worte mel­den. Zuerst einmal möchte ich mich bei Ihrem Herrn Chefredakteur entschuldigen, dem ich damals einen wohl etwas heftigen Brief schrieb. Die Kopie dazu sandte ich damals an die Seewölfe-Redaktion. Leider schieße ich hier und da übers Ziel hinaus. Entschul­digen Sie also bitte! Mein damaliges Schreiben an die Redak­tion kam nicht zur Veröffentlichung, was ich ein wenig bedauert habe. Allerdings hof­fe ich, daß meine Anregungen nützlich wa­ren. Aber einen Punkt von damals möchte ich noch anschneiden. Mittlerweile sind die Seewölfe wieder in England, und die junge Freundin von Luke Morgan, Asha Sharam, tauchte nicht wieder auf. Sie wurde doch hoffentlich nicht vergessen? An und für sich sollte sie bereits in Lissabon sein. Vielleicht holen die Seewölfe sie ja auch auf dem Rück­weg in die Karibik ab. Nun komme ich auf das derzeitige Thema der Foren, die Zyklen: natürlich hatten sie gewisse Vorteile. Die Autoren hatten die Möglichkeit, den einen oder anderen Cha­rakter besser herauszustellen. Andererseits wurde die Handlung sehr in die Länge gezo­gen. Ich möchte nicht sagen, daß ich dafür bin, die Zyklen Wiederaufleben zu lassen, aber vielleicht könnte man doch hin und wieder den einen oder anderen bringen, nicht zu lange jedoch. Zehn bis fünfzehn Bände sollten ausreichend sein, ohne jene zu verärgern, die keine Zyklen mögen. Selbst­verständlich ist es nicht einfach, einen Mit­

telweg zu finden. Da ich selbst ein wenig schreibe, kann ich, glaube ich wenigstens, die Autoren verstehen. In letzter Zeit nahm die Serie deutlich an Fahrt auf ... Nun noch meine Suchmeldung, sie war auch im letzten Brief, der nicht veröffentlicht wurde. Sollte man mich mißverstanden ha­ben, als ich schrieb, daß ich bereit bin, den Neuwert zu zahlen? Selbstverständlich nicht mehr als DM 2,50 pro Band plus Porto. Ich suche die Bände Nr. 15 und 16. Mit freundlichen Grüßen - T H

Herzlichen Dank für Ihren Brief, lieber HerrH .Natürlich erhielten wir Ihre Kopie vom Schreiben an den damaligen Chefredakteur. Sie brauchen sich nicht zu sorgen, daß Sie übers Ziel hinausgeschos­sen wären. Der Brief war sachlich und be­gründet - für eine zweite Auflage der See­wölfe. Aber viele Briefe gingen zum Thema der Zweitauflage leider nicht ein, so daß die Verlagsleitung keineswegs ermuntert wur­de, dieses Problem erneut zu überdenken. Ihr Wunsch, Luke Morgan möge nun seine Asha Sharam wieder in die Arme nehmen, bleibt wohl auch unerfüllt, denn die See­wölfe klüsen zur Zeit ja bereits westwärts, um die Auswanderer in die Neue Welt zu bringen. So hängt wieder ein „rotes Fäd­chen" in der Luft und wartet darauf, zu En­de geknüpft zu werden - eine Tatsache, die damit zusammenhängt, daß die SW-Auto­ren ihre einzelnen, in sich abgeschlossenen Stories schreiben, allerdings nach einer Ge­nerallinie, die ihnen von Fred McMason vorgegeben wird. Das passiert eben, wenn wir auf die Zyklen verzichten...

Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren

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In der Seemannskiste der SW-Nr. 612 brachten wir die Zeichnung eines Segelschiffsmastes mit seinen Stengen und Rahen sowie anderer Einzelheiten. Auf den beiden vorigen Seiten stellen wir unseren Lesern als Ergänzung den Untermast eines Rahseglers mit seinen Details vor. In dieser und ähnlicher Form waren die Rahsegler um die Jahrhundertwende geriggt, wobei zu bemerken wäre, daß der Mars (A) meist rundum mit einer Segeltuchverklei­dung versehen war, die den Ausguck etwas abschirmen sollte. 1 Untermast, 2 Unterwanten, 3 Püttingswanten (über sie stieg man - wobei man umgreifen mußte - von außen auf den Mars), 4 Topp des Untermastes, 5 Marsstenge, 6 Stengewanten, 7 Stenge­pardunen (mit den Pardunen, die sich hinter den Wanten befin­den, werden die Stengen schräg achterlich nach der Seite ver­spannt; sie gehören wie die Wanten zum stehenden Gut eines Se­gelschiffs), 8 Brampardune, 9 Royalpardune, 10 Brampüttings­want, 11 Bramwanten, 12 Eselshaupt der Marsstenge, 13 Bram­stenge, 14 Royalstenge, 15 Flaggentopp, 16 Flaggenknopf. A Mars, 1 Marsrand, 2 Längssaling des Untermastes, 3 Dwars­saling des Untermastes, 4 Soldatengatts (von den Seeleuten spöt­tisch so genannt, weil die Seesoldaten es vorzogen, durch dieses Loch auf den Mars zu gelangen, statt außen herum, was freilich gefährlicher war - siehe 3 auf S. 34). B Eselshaupt des Unterma­stes (das brillenförmige Verbindungsstück von Untermast und Stenge). C Längssaling, 1 Bram-Längssaling, 2 Dwarssaling, 3 Ausleger.

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len auf die Schulter und trug sie zur „Explorer" hinüber.

„Gehet hin, die ihr mühselig und beladen seid", murmelte er dabei zu den Pilgern. „Er wird euch erquicken, Amos - äh - Amen, meine ich."

Amos Toolan sah mit biedermänni­scher Jovialität zu, wie die neun Schäfchen auf seine Galeone über­wechselten. Noch mehr allerdings schien er sich zu freuen, als die fünf­hundertvierzig Scherflein den Besit­zer wechselten. Wenn man bedachte, daß der Schiffszimmermann von Amos Toolan sechseinhalb Pfund Jahresheuer empfing, war das ein an­sehnlicher Batzen Geld, den der Dicke da einstrich.

Jetzt blickte er gottergeben zum Himmel und dankte dem Herrn, wo­bei allerdings offenblieb, wofür er ihm dankte. Hasard tippte da mehr auf die Scherflein. Die nahmen kaum Platz weg und fraßen ihm überdies nicht die Haare vom Kopf. Und Ärger kriegte er mit denen auch nicht.

Die Pilger wechselten über. Ihr Ge­päck, das ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten durfte, wurde in den Stauraum verfrachtet. Sie behiel­ten nur das Allernotwendigste zu ih­rem persönlichen Gebrauch bei sich.

„Das Problem haben wir gelöst", sagte Hasard. „Der liebe Amos ist wahrhaftig ein christlicher Mensch, unendlich in seiner großen Güte. Aber die Talerchen stehen ihm zu."

„Ohne die Talerchen wäre ihm das freie Plätzchen ganz sicher nicht ein­gefallen", erklärte Ben. „Erstaunlich, was ein paar glitzernde Talerchen so alles bewirken können."

„In der Tat." Hasard seufzte. „Der anständigste von allen scheint mir noch James Drinkwater zu sein. Er hat sofort zugesagt, ohne sich lange zu zieren."

„Dann haben wir ja fast alles erle­digt", meinte Dan, „bis auf einen letz­ten kleinen Punkt, den es noch zu klä­ren gibt."

Hasard runzelte die Stirn und sah Dan fragend an.

„Was gibt es denn noch?" „Die Karavelle, Sir", erinnerte Dan

O'Flynn. „Wollten wir den Herrschaf­ten nicht einmal auf den Zahn füh­len?"

„Richtig, das hatten wir vor. Un­sere Schäfchen sind auf Kurs und halten ihn hoffentlich auch. Da kön­nen wir uns einen kleinen Abstecher ruhig mal erlauben. Also, Kurs auf die Karavelle, Sten."

„Aye, aye, Sir." Stenmark legte Ru­der.

5.

Die Karavelle segelte ganz achtern am Verband und lag etwa eine halbe Meile zurück. Sie war ein gutes Schiff und offenbar auch hervorragend in Schuß, soweit sich das aus dieser Ent­fernung erkennen ließ.

„Mit welchem Recht wollen wir sie eigentlich kontrollieren?" fragte Ben Brighton gelassen. „Nur, weil sie wie zufällig unserem Kurs folgt?"

„Eine gute Frage. Aber ich bin nun einmal von Natur aus mißtrauisch und in diesem Fall auch neugierig. Gestern hat jemand gesagt, die Kerle sähen aus wie Schnapphähne. Da wir aber die Verantwortung für den ge­samten Verband haben, steht uns auch zu, sich einmal nach jenen ganz freundlich zu erkundigen, die uns so beharrlich folgen. Es könnte ja eine Absicht dahinterstecken. Wenn dir ständig jemand folgt, würdest du ganz sicher auch neugierig sein, was der von dir will."

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„Nun ja, dagegen ist nichts einzu­wenden", meinte Ben. „Aber sie wer­den dir die Antwort geben, daß sie se­geln können, wo sie wollen."

„Das sagtest du schon einmal. Fra­gen wir trotzdem mal nach."

Für die Kerle auf der Karavelle war jetzt unverkennbar, daß die schnelle Schebecke direkten Kurs auf sie nahm. Sie war mit dem Heck durch den Wind gegangen und lag jetzt mit Steuerbordhalsen direkt auf Gegenkurs. Das Manöver war blitz­schnell erfolgt. Für einen unwissen­den Zuschauer wirkte es fast, als sollte hier ein Passagiergefecht statt­finden.

Carberry hatte sich den Kieker aus­geliehen und peilte die Lage.

„Schnapphähne ist eigentlich nicht das richtige Wort", sagte er. „Die Kerle sehen eher etwas abenteuerlich aus. Bin mal gespannt, was die Büb­chen uns zu erzählen haben. Scheinen so eine Art Glücksritter zu sein."

Gerade als er das Spektiv an Dan zurückgab, änderte die Karavelle ein wenig den Kurs nach Steuerbord und hielt näher auf das Land zu. Sie schien das North Foreland runden zu wollen, oder aber sie wollte die Be­gegnung mit der Schebecke vermei­den.

Hasard ließ sich davon nicht beir­ren. Für die Schebecke war es nur ein Klacks, erneut zu halsen. Ein paar Minuten später lag sie bereits auf dem anderen Bug und deckte die Ka­ravelle ab. Dann segelten sie auf glei­cher Höhe dahin, nur ein paar Yards voneinander entfernt.

Wie viele Leute sich an Bord befan­den, ließ sich nicht feststellen. An Deck waren vier Mann zu sehen, der Rest hielt sich unten auf.

Hasard sah auf dem Achterdeck ei­nen Mann in mittleren Jahren mit ei­

nem dunklen Vollbart, der so tat, als habe er die neben ihm segelnde Schebecke nicht bemerkt. Ein jünge­rer Bursche stand am Ruder, der ebenfalls kein Interesse an dem ei­genartigen und hier so gut wie unbe­kannten Schiff zeigte.

Ein weiterer stand wie verloren auf dem mittleren Deck und blickte of­fenbar interessiert zum Land hin­über, während der vierte auf einer Taurolle hockte und die Planken zu zählen schien.

Sie ignorierten die Schebecke ganz bewußt, das stand für den Seewolf fest, denn sie gönnten ihr keinen Blick.

Das Schiff selbst war in Ordnung und zweifellos seetüchtig. Es schien frisch überholt worden zu sein.

Stenmark segelte so dicht heran, bis er das Weiße im Auge des Ruder­gängers erkennen konnte.

Ein weiterer Mann erschien an Deck. Er warf einen kurzen Blick auf die Schebecke und schlurfte dann be­häbig nach achtern. Es war ein wüst aussehender Bursche mit kurzen Haaren und Bartstoppeln in einer verlebt wirkenden Visage. Seine Au­gen blinzelten tückisch.

„Darf man fragen, wohin Sie se­geln?" fragte Hasard hinüber. „Sie scheinen den Fühlungshalter zu spie­len, aber ich bin sicher, daß Sie nicht zu meinem Verband gehören. Warum folgen Sie uns so hartnäckig?"

Der Stoppelbärtige blieb dicht vor dem Niedergang zum Achterdeck ste­hen und warf einen Blick herüber. Dann zuckte er mit den Schultern und sah den Bärtigen an.

„Meinen die uns?" fragte er. „Weiß nicht, was die von uns wol­

len", sagte der Bärtige so laut, daß sie es auf der Schebecke mühelos ver­standen. „Keine Ahnung. Sie fragen,

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wohin wir segeln. Aber wen geht das was an, nicht wahr?"

Die Kerle grinsten ein bißchen hin­terhältig. Der Kerl auf der Taurolle reckte sich und stand auf.

„Ja, wohin segeln wir denn?" fragte er höhnisch. „Immer dem Bug nach, was?"

„Ja, immer dem Bug nach", sagte der Bärtige und schien sich köstlich zu amüsieren. „Wenn wir dem Heck nachsegeln, müßten wir ja wieder zu­rück."

Das schien auch die anderen unge­mein zu erheitern, denn sie lachten laut und ungeniert.

Hasard blickte auf die Persennings. Darunter verbargen sich den Kontu­ren nach Drehbassen kleineren Kali­bers. Sie hatten insgesamt sechs Drehbassen an Bord und zwei kleine Stücke zusätzlich auf jeder Seite. Zweifellos handelte es sich um Drei­pfünderfalkons, die seewasserge­schützt ebenfalls unter Persennings verborgen waren.

„Genau die dämliche Antwort habe ich erwartet", sagte Ben. „Sie war vorauszusehen. Die lachen uns aus, die Rabauken."

„Vielleicht wäre es besser, Sie se­gelten dem Heck nach", sagte Hasard laut. „Es kann durchaus sein, daß Ih­nen gleich ein Stück vom Bug fehlen wird."

„Unser Bug ist stabil!" rief der wü­ste Kerl. „Der hält was aus!"

„Das dürfte sich ja feststellen las­sen", meinte Hasard und gab dem Waffen- und Stückmeister Al Conroy ein Zeichen mit der Hand.

AI Conroy hatte sofort begriffen. Sie verstanden sich auch ohne lange Worte und Erklärungen.

Zwei Stückpforten flogen hoch. Tucker, Shane, Matt Davies und Jack Finnegan rannten zwei Culverinen

aus. Die dunklen Schlünde der Kano­nen zeigten genau auf den Bug der Karavelle. Shane hielt wie durch Zauberei plötzlich eine glimmende Lunte in der Faust und schickte sich an, sie auf den Zündkanal zu pres­sen.

Hasard registrierte zufrieden, daß der Bärtige und der andere Kerl mit den Stoppeln im Gesicht schlagartig die Farbe wechselten, als sie sich übergangslos mit den beiden Rohren konfrontiert sahen. Damit hatte kei­ner von ihnen gerechnet.

„Hehe!" rief der Bärtige nervös. „Was soll das denn? Friedliche Han­delsfahrer angreifen, was? Wir haben euch nichts getan, und zu holen ist bei uns auch nichts. Ihr versteht wohl keinen Spaß?"

„Wir wollen nur eine ehrliche Ant­wort", sagte Hasard kühl. „Ich habe Sie nach dem Kurs gefragt und wollte Aufklärung darüber, warum Sie uns so hartnäckig folgen."

„Wir folgen euch überhaupt nicht!" rief der Bärtige empört. „Aber wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Wir se­geln nach Ramsgate und dann weiter über den Atlantik zu den - äh ­den..."

„Zu den Azoren", setzte der andere hinzu. „Aber leider gibt es nur diesen einen Weg. Wir hatten nicht die Ab­sicht, um Nordirland herumzusegeln, nur weil ihr zufällig vor uns seid."

Hasard wußte, daß sie ihn anlogen. Sie stellten es als einen reinen Zufall hin. Aber ihre ganzen Segelmanöver deuteten daraufhin, daß sie die Ab­sicht hatten, an dem Verband zu blei­ben. Sie hatten immer wieder in den Wind gedreht und abgewartet, bis der Verband sich neu formiert hatte. Sie würden diese Laus im Pelz also auch künftig weiter mit sich herumschlep­pen müssen.

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Der Stoppelbärtige wurde jetzt auch noch frech und grinste.

„Damit dürfte dann wohl alles klar sein, Gents!" höhnte er. „Im übrigen können wir hinsegeln, wo es uns paßt. Wir können sogar zum Mond segeln, wenn wir wollen. Oder habt ihr die See für euch allein gepachtet? Wir sind der Ansicht, daß sie allen ge­hört."

Ben Brighton grinste dünn. Er hatte, wie gesagt, keine andere Ant­wort von den Kerlen erwartet.

„Natürlich gehört die See allen", sagte Hasard verbindlich, ohne sich seinen Ärger anmerken zu lassen. „War ja auch nur eine Frage, Gents. Mehr wollte ich gar nicht wissen. Mast- und Schotbruch! Und besten Dank für die aufschlußreiche Ant­wort."

Die Gents sahen ihn etwas unbehag­lich an, als der schwarzhaarige Riese ihnen aus seinen durchdringend blik­kenden eisblauen Augen einen Blick zuwarf. Der Bärtige las darin eindeu­tig eine Warnung. Er wollte noch ein paar hohnvolle Worte hinzufügen, un­terließ es dann jedoch. Die Kerle auf der Schebecke sahen wie Eisenfresser aus, und es war wohl gesünder, sich nicht weiter mit ihnen anzulegen.

Er und seine anderen Rabauken wa­ren sichtlich erleichtert, als die Sche­becke wieder abdrehte und den drei Galeonen folgte.

„Teufel, Teufel auch", sagte der Vollbärtige, „das scheint ein ganz scharfer Hund zu sein. Bellt sich die Kehle heiser, nur weil wir ein bißchen in seinem Kielwasser quirlen. Kann ihm doch, bei allen Teufeln, egal sein, wohin wir segeln, und wenn wir zur Hölle fahren."

Der Kerl mit den tagealten Bart­stoppeln sah der Schebecke nach und kniff die Augen schmal.

„Vor dem sollten wir uns wirklich in acht nehmen", sagte er nachdenk­lich. „Dem paßt das ganz und gar nicht, daß wir uns achtern an seinen Verband hängen. Gibt man dem eine blöde Antwort, dann zeigt er gleich seine Kanonen. Wir werden wohl et­was mehr Abstand halten müssen, sonst rückt uns der Kerl ernsthaft aufs Fell."

Auch die anderen taten sehr em­pört, weil jemand gewagt hatte, sie nach dem Kurs zu fragen. Die See war weit und groß - und sie gehörte allen.

Aber sie brauchten den Verband, um an ihr Ziel zu gelangen.

„Was grinst du so impertinent?" fragte Hasard seinen Ersten, der Dau­men und Zeigefinger unter das Kinn gelegt hatte und halb achteraus blickte, so daß er die Karavelle ge­rade noch im Blickfeld hatte.

„Ich will mich nicht ständig wieder­holen", erwiderte Ben. „Aber war das eigentlich nötig? Die Kerle haben uns verspottet und sich eins gegrinst. Sie haben haargenau die gleiche Ant­wort, die auch du einem anderen gege­ben hättest, Sir. Ich mußte nur grin­sen, weil ich nichts anderes erwartet habe."

„Natürlich war das nötig", sagte Hasard. „Wir haben eine lange Reise vor uns, die erst dann richtig beginnt, wenn wir den Atlantik in Angriff neh­men. Da möchte ich gern wissen, mit wem man es zu tun hat. Die Kerle sa­hen mir keineswegs wie friedliche Handelsfahrer aus."

„Sie wollen zu den Azoren. Da ha­ben sie für eine Weile zwangsläufig denselben Kurs wie wir."

„Sagten sie. Und wer das glaubt, mag selig werden. Ich glaube es jeden­

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falls nicht. Das war gelogen, denn sie haben viel zu lange mit der Antwort gezögert."

„Weshalb folgen sie uns dann?" „Weil für sie die Navigation ver­

mutlich ein Buch mit sieben Siegeln ist. Sie haben keinen fähigen Mann an Bord."

„Das ist nur eine Vermutung." „Stimmt, aber sie wird sich als rich­

tig erweisen. Da sind ein paar Hitz­köpfe und Rabauken an Bord, die in die Neue Welt wollen. In London ha­ben sie was läuten hören und auf eine solche Gelegenheit geradezu gewar­tet. Das ist meine Theorie."

„Dann hätten sie mit einem Pilger­schiff mitreisen können", wandte Ben Brighton ein.

„Diese Art von Kerlen reist nicht auf Pilgerschiffen, denn da müssen sie sich unterordnen, was keinesfalls in ihrer Absicht liegt. Sie wollen frei und unabhängig sein."

„Was veranlaßt sie, in die Neue Welt zu segeln?"

„Gold", sagte Hasard trocken. „Nichts weiter als Gold. Da hat ihnen jemand einen Floh ins Ohr gesetzt. Sie wollen reich werden, genau wie unsere drei Spinner an Bord, die auch nur ständig vom Gold faseln und sich sofort verdrücken werden, wenn wir erst einmal drüben sind."

„Dann sollen sie doch in unserem Kielwasser selig werden. Die Kerle gehen uns nichts an."

„Da irrst du dich, alter Freund, und ich möchte meine Vermutung gern noch ein wenig weiter ausspinnen. Angenommen, wir werden unterwegs durch widrige Winde oder was auch immer aufgehalten. Kann auch eine längerdauernde Kalme sein. Weiter angenommen, die Kerle haben sich nicht mit genügend Trinkwasser und Proviant eingedeckt. Sie sind

buchstäblich am Verhungern oder Verdursten. Was werden sie dann wohl tun?"

Ben Brighton brauchte nicht lange zu überlegen.

„Aha, daher weht der Wind", sagte er bedächtig, wie es seiner Art ent­sprach. „Du meinst, sie werden sich dann das von anderen holen, was sie so dringend brauchen."

„Genau das meine ich, und deshalb wollte ich mir diese Kerle ein wenig näher ansehen. In derartigen Situa­tionen gibt es Mord und Totschlag. Da werden alle Skrupel über Bord ge­worfen, und jeder ist sich selbst der Nächste. Kerle, die sich in einer ex­tremen Situation befinden, werden sich nicht scheuen, die Pilgerschiffe zu überfallen. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. Es kann na­türlich auch alles ganz anders sein, aber dann habe ich mich eben geirrt."

Ben Brighton nickte langsam. Spä­ter sollte er noch einmal an Hasards Worte erinnert werden.

„Du hast recht, Sir. Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet, obwohl die Möglichkeit immerhin be­steht. Andererseits können wir den Kerlen nicht verbieten, auf unserem Kurs zu segeln."

„Das werden wir auch nicht. Aber wir werden ein waches Auge auf sie haben, denn sie drehen auf dem At­lantik sicher nicht in Richtung der Azoren ab. Lassen wir uns überra­schen."

Die Karavelle mit ihren undurch­sichtigen Kerlen segelte jetzt dicht unter Land und hatte die „Pilgrim" überholt. Auch an der „Discoverer" würde sie bald vorbei sein, um dann die Spitze zu runden. Noch lief der Verband auf Ostkurs, doch schon gleich würde sich das ändern. Dann wurde gerundet und auf Südkurs wei­

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tergesegelt. Die Rabauken auf der Karavelle schienen sich jetzt nicht mehr um den Verband zu kümmern und segelten ihm auf und davon, als hätten sie nichts mehr damit zu tun.

Hasard wußte es jedoch besser. Sie liefen Ramsgate an und würden sich dort auf die Lauer legen, denn sie hat­ten genau beobachtet, was sich auf den Schiffen getan hatte. Sich darauf etwas zu reimen, fiel selbst dem Dümmsten nicht schwer.

Amos Toolan mit der „Explorer" war der erste, der rundete und damit den neuen Kurs einschlug. Noch wäh­rend der Rundung zog die Karavelle an der Galeone vorbei und ver­schwand hinter dem vorspringenden Landstrich.

Alles klappte zu Hasards Zufrie­denheit. Die zweite und dritte Ga­leone rundeten und liefen jetzt mit fast achterlichem Wind auf Südkurs.

Auch die Weisung des Seewolfs, sich vorerst dicht unter Land zu hal­ten, wurde von allen eingehalten.

Bis nach Ramsgate war es jetzt nicht mehr weit.

„Bis wir dort sind und alles an Bord genommen haben", sagte Hasard, „ist es ohnehin dunkel. Ich werde den an­deren vorschlagen, diese Nacht auf der Reede zu verbringen. Die See wird ruppiger, und auch der Wind scheint aufzubrisen. Morgen früh sind dann alle ausgeruht, und wir können in den Kanal segeln."

„Das halte ich für eine gute Lö­sung", meinte Ben. „Nachdem wir ohnehin schon Zeit durch diesen Granville verloren haben, kommt es auf eine Nacht nicht mehr darauf an."

Robert Granville, von dem auf der Schebecke gerade die Rede war, be­fand sich in ausgesprochen schlech­ter Stimmung. Mit finster zusam­mengezogenen Augenbrauen wan­derte er auf dem Achterdeck ruhelos und verärgert von einer Seite zur an­deren. Einmal streifte sein Blick ver­ächtlich die Schebecke, die sich ihnen näherte, nachdem sie auf die Kara­velle losgesegelt war.

„Möchte wissen, was der alten Lissy eingefallen ist, uns einen Be­wacher mitzugeben, der sich wie ein Schießhund aufführt", sagte er wü­tend. „Den Seewolf gibt sie uns mit, diesen Korsaren, der seinen immen­sen Reichtum irgendwo in der Kari­bik verborgen hält und auf unermeß­lichen Schätzen hockt. Zum Dank hat er ihr eine alte marode Galeone mit ein paar Silberbarren mitgebracht, und darüber hat sie sich noch gefreut. Für den Kerl war das doch nur ein Almosen. Aber auf mir hackt er her­um, als hätte ich den Himmel nieder­stürzen lassen - wegen ein paar lum­piger Pfund. Nun sagen Sie doch auch mal was, Harris", fuhr er den Ersten Offizier an. „Sie sperren nur das Maul auf und horchen zu. Haben Sie etwa keine eigene Meinung?"

„Die habe ich schon, Sir", erwiderte der Erste etwas förmlich. „Nur unter­scheidet Sie sich ein wenig von der Ihren."

„Sie haben doch wohl die Tatsa­chen gesehen", polterte Granville. „Oder fiel Ihnen nicht auf, daß der Kerl mich beleidigt und gedemütigt hat?"

„Er vertritt eine andere Auffassung von Recht als Sie, Sir."

„Ach ja? Sie halten wohl noch zu diesem Bastard?"

„Ich weiß nur, daß über ihn und seine Männer eine Menge Lügen ver­

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breitet worden sind, Sir. Das bezieht sich zum einen auch auf die soge­nannten Schätze, auf denen er in der Karibik angeblich hockt. Bisher hat sich immer erwiesen, daß nichts da­von stimmt und alle Märchen auf die Intrigen gewisser Hofschranzen zu­rückgehen. Er hat verständlicher­weise viele Neider."

„Und was ist mit mir? Harte Worte, Beleidigungen, Schmähungen. Das muß ich mir als Kapitän sagen las­sen!" rief Granville erbost.

„Er hat korrekt gehandelt", sagte der Erste, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.

„Korrekt gehandelt, nennen Sie das?" brauste der Kapitän auf. „Sind Sie denn ganz von Gott und der Welt verlassen, Sie uneinsichtiger Kerl?"

Der Erste blieb kalt bis in die Kno­chen. Er war mit den Machenschaften seines Kapitäns nicht einverstanden und brachte das auch unverblümt zum Ausdruck. Bisher hatte er nur stillschweigend alles übergangen, um keinen Ärger zu provozieren.

„Ich bin mir durchaus bewußt, was ich sage. Das hat mit Gottverlassen­heit nichts zu tun. Dieser Mann, den man den Seewolf nennt, hat mit mei­nem Bruder bei Francis Drake gegen die spanische Armada gekämpft. Ich weiß eine Menge über ihn. Er mag als hart gelten, aber er ist gerecht, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Sie haben ihn durch Ihr Handeln heraus­gefordert, denn es war nicht verein­bart, weitere Menschen an Bord zu nehmen, Sir. Er hat daraus nur die notwendige Konsequenz gezogen."

„Sie sind mir ja ein feiner Erster Offizier!" höhnte Granville. „Fällt seinem Kapitän bei der ersten Klei­nigkeit in den Rücken." Er kniff die Augen zusammen und sah Harris scharf an. „Aber nehmen Sie sich in

acht vor mir, mein Lieber. Ich habe das Gefühl, als würden wir auf dieser Reise nicht viel Freude miteinander haben."

„Ich wurde auch nicht auf dieses Schiff kommandiert, um mich zu freuen", sagte der Erste kühl. „Ich tue hier nur meine Pflicht und bin für die Navigation verantwortlich - und für das, was außerdem in meinen Zustän­digkeitsbereich fällt."

„Viel wird das nicht sein, dafür werde ich schon sorgen. Und bei dem ersten kleinen Fehler, der Ihnen un­terläuft, stehen Sie im Logbuch. Wenn das später bei der Admiralität vorliegt, werden Sie Ihr Leben lang als Offizier fahren - oder vielleicht als Decksmann."

„Auch das wird mich von meiner Meinung nicht abbringen, Sir, und keinesfalls meine Ansichten ändern. Ich bin eher davon überzeugt, daß man Ihr Verhalten rügen wird, denn auch Sir Hasard führt ein Logbuch über den Verband."

Harris sah, daß Granville hart schluckte. Sein Gesicht verfärbte sich für einige Augenblicke, und es hatte den Anschein, als wolle er jetzt los­brüllen. Soll er, dachte Harris ver­ächtlich. Der Mann, der sich hier so aufführte, als sei ihm alles Unrecht dieser Welt widerfahren, hatte genug Dreck am Stecken.

Er hatte noch vor Beginn der lan­gen Reise eine Ladung Proviant ver­schoben und sich auf Kosten anderer bereichert, indem er die Pilger be­trog. Und das war nur der Beginn ei­ner Reihe von Verfehlungen.

Auch einem Mädchen hatte er sich bereits in schamloser Weise genähert und war dafür von ihren Brüdern fast umgebracht worden. Außerdem hatte er die Preise für die Überfahrt selbst festgesetzt und bei manchen in uner­

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trägliche Höhen geschraubt. Harris brauchte nur an die Familie Mercer zu denken, denen Granville so schändlich zugesetzt hatte.

Killigrew hatte auch diese Angele­genheit bereinigen müssen, und er verstand durchaus, warum der See­wolf leicht gereizt wirkte und bei Un­regelmäßigkeiten sofort hart durch­griff.

„Sie armes Würstchen", sagte Granville kalt und verletzend. „Was Sie sich einbilden! Den Killigrew sind wir los, vielleicht unterwegs schon, spätestens aber dann, wenn wir drüben sind."

„Wie darf ich das verstehen, Sir?" „Wie Sie wollen, ganz wie Sie wol­

len. Und jetzt setzen Sie den neuen Kurs fest und stellen Sie keine dämli­chen Fragen."

„Der Kurs liegt längst fest, Sir, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Wir liegen die Reede von Ramsgate an und halten uns anschließend immer in Sichtweite der englischen Küste, bis wir den Kanal verlassen haben. So war es angeordnet."

Granville knirschte vor Wut hörbar mit den Zähnen. Er blaffte den Ru­dergänger hart an, obwohl der sich keines Fehlers bewußt war. Aber an irgendeinem mußte er seine Wut aus­lassen, denn der Erste war so kalt wie Gletschereis. Er konnte ihm auch nicht widersprechen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, denn der Kerl hatte Recht, was den Kurs betraf.

Robert Granville nahm sich vor, es diesem „Frechling" zu zeigen. Auf der langen Fahrt würde sich Gelegen­heit genug ergeben, um den Burschen kleinzukriegen.

,,Soll ich mich in Ramsgate um die zusätzliche Proviantaufnahme kürn­

mern, Sir?" fragte der Erste nach ei­ner Weile.

Granville fuhr aus finsteren Gedan­ken hoch.

„Nein, das besorgt der Koch, Mister Bascott. Er hat mein volles Vertrauen und erledigt das zu meiner Zufrieden­heit. Ich kenne Sie noch zu wenig, um Sie mit einer derart verantwortungs­vollen Aufgabe zu betrauen."

Das war ein Schlag ins Gesicht, eine einzige Beleidigung. Aber auch die steckte Harris mit kühler Gelas­senheit weg.

„Wie Sie wünschen", sagte er kalt. „Der Koch ist in der Tat eine äußerst vertrauenserweckende Person." Das klang ziemlich ironisch.

„Zweifeln Sie etwa daran?" fragte Granville drohend.

„Ich persönlich zweifle sehr daran, aber das ist meine eigene, persönliche Meinung."

„Die mich einen Dreck interes­siert!" schrie Granville.

Etwas später war er mit dem Ru­dergänger allein auf dem Achter­deck. Harris war für eine Viertel­stunde nach unten in seine Kammer gegangen.

„Tut mir leid, wenn ich dich vorhin angebrüllt habe, Frank", sagte der Kapitän zum Rudergänger. Der schrak heftig zusammen, denn eine Entschuldigung hatte er vom Kapi­tän noch nie gehört.

„Es war nicht so gemeint. Ich habe mich nur über diesen vorlauten Idio­ten von Harris geärgert."

„Aye, aye, Sir", sagte der unter­setzte Mann höflich.

Granville griff in die Tasche und brachte eine große Goldmünze zum Vorschein, die er dem Rudergänger unter die Nase hielt.

„Weißt du, was das ist?"

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2009

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Die Augen des Mannes leuchteten begehrlich. Er schluckte aufgeregt.

„Eine spanische Dublone, Sir", sagte er andächtig.

„Ganz recht, mein lieber Frank, eine Dublone. Und hier ist noch eine. Hast du schon einmal zwei Dublonen gehabt?"

„Noch nicht mal eine, Sir", stam­melte der Mann.

„Du kannst sie dir alle beide verdie­nen, Frank. Du bist ein tüchtiger und aufmerksamer Rudergänger, das werde ich bei der Rückkehr lobend erwähnen, und dann kannst du bald als Erster Offizier aufrücken. Paß mal auf, was ich dir jetzt sage: Wenn diese verdammte Schebecke wieder so dicht vor uns herumkrebst, dann wirst du versuchen, sie blitzschnell zu rammen. Das muß aber so aussehen, als sei es deiner Dummheit zuzu­schreiben, verstehst du? Du hast ein­fach einen Fehler begangen. Fehler begeht jeder Mensch mal, das ist nicht so schlimm. Wenn du dem Kahn ordentlich eine verpaßt hast, sind wir diesen Seewolf los und beide Dublo­nen gehören dir. Ich werde dich dann natürlich auch an meinen Geschäften beteiligen, und du wirst eine Menge Geld erhalten. Das muß aber unter uns bleiben, verstanden?"

Für den einfältigen Kerl am Ruder war das der Höhepunkt seines Le­bens. Er wurde zum Verschwörer des Kapitäns, der ihn ernst genug nahm, eine solche Sache auszuführen.

Er nickte begeistert und gierig und dachte an den Reichtum, der ihm ver­sprochen wurde. Klar, daß man dafür etwas tun mußte. Von allein fiel ei­nem nichts in den Schoß.

„Aye, aye, Sir", sagte er hastig. „Das werde ich tun, Sir. Ich tu das wirklich gern für Sie, Sir."

„Du wirst dann von mir natürlich

einen gewaltigen Anschiß kriegen, aber du weißt ja, wie das gemeint ist, nicht wahr? Du wirst dich dann ent­schuldigen und alle Schuld auf dich nehmen. Niemand wird dich zur Re­chenschaft ziehen. Wenn die Gelegen­heit günstig ist, gebe ich dir ein Zei­chen. Ich werde dann niesen, und du rammst den Kahn. Wenn er beschä­digt ist, setzen wir die Reise ohne die Bastarde fort."

Der Rudergänger war begeistert, seinem Kapitän gefällig sein zu kön­nen. Natürlich waren da noch die schönen Talerchen, die so verhei­ßungsvoll blinkten und so schwer wa­ren.

„Laß dir nichts anmerken und grinse nicht so dämlich", zischte Granville ihm zu, als Harris wieder erschien.

Die Gelegenheit dazu ergab sich früher, als Granville gehofft hatte. Das war der Zeitpunkt, als sie die Reede von Ramsgate anliefen, um dort vor Anker zu gehen.

Die Schebecke kurvte zwischen den Galeonen herum. Die Kerle waren sorglos und segelten dicht an der „Discoverer" vorbei mit Kurs auf die weiter vorn segelnde „Pilgrim".

Von den Arwenacks rechnete auch keiner mit einem derart ausgefalle­nen Manöver.

Frank hielt den Kolderstock um­klammert und starrte auf das tiefer­liegende Schiff. Dort schickten sie sich gerade an, die Segel an den lan­gen Rahen abzufieren und vor Anker zu gehen.

Die Gelegenheit war äußerst gün­stig, denn die „Discoverer" hatte noch genügend Fahrt drauf.

Mitten in Franks Überlegungen hinein nieste der Kapitän laut.

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6.

Der Mann am Kolderstock legte mit aller Kraft Hartruder. Dazu grin­ste er versteckt und dümmlich. Der Bug der Galeone schnitt mittschiffs auf die Schebecke zu.

Ben Brighton wollte gerade den Be­fehl zum Ankern geben, als er den Bug riesengroß vor der Schebecke auftauchen sah. Er drehte genau auf sie zu und rückte bedrohlich näher.

„Ist der Kerl verrückt geworden?" sagte er fassungslos.

Stenmark reagierte bereits, aber er hatte das Handicap, daß die Sche­becke kaum noch Fahrt lief, während die Galeone aus fast vollem Preß in den Wind zu drehen versuchte.

„Verdammt!" fluchte Sten, ange­sichts des immer riesiger werdenden Schiffes. Er legte ebenfalls Hartru­der, doch eine schwere Kollision der beiden Schiffe schien unvermeidlich.

Smoky, der Profos und Gary An­drews erkannten die Gefahr ebenfalls und griffen wieselflink zu den Bootshaken. Die Schebecke schien träge im Wasser zu hängen und rührte sich anscheinend nicht.

Die Haken knallten in die Bord­wand der ,,Discoverer''. Kräftige Fäu­ste drückten mit aller Kraft zu und milderten so den Anprall ein wenig. Trotzdem gab es einen gewaltigen Schlag. Die Schebecke erzitterte von vorn bis achtern in allen Verbänden. Dem Kutscher sauste in der Kom­büse ein halbvoller Kessel vom Herd, der polternd auf die Dielen krachte.

Heiße Suppe spritzte durch die Kombüse. Mac Pellew sah zwei Se­kunden später aus wie ein Ferkel und brüllte dementsprechend lautstark herum.

Ein zweiter Ruck folgte. Den Arwe­nacks war es im allerletzten Augen­

blick gelungen, den Anprall zu lin­dern. Aber noch einmal wurde die Schebecke durchgeschüttelt. Dann glitt die Galeone an ihr vorbei.

„Ihr Rübenschweine solltet besser Waschzuber segeln!" schrie der Pro­fos zum Achterdeck hinüber und schüttelte die Faust. „Zu dämlich, um den Kolderstock zu bedienen, diese Pißheringe!"

Granville blickte vom Achterdeck hinunter und sah in Hasards Gesicht, das nichts Gutes verhieß.

„Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Granville?" brüllte der Seewolf. „Sie gehen mir langsam auf den Geist mit ihren idiotischen Segel­manövern!"

„Tut mir leid, Sir!" rief Granville zurück, obwohl in seinem Gesicht nichts darauf hindeutete, daß es ihm wirklich leid tat. „Aber es ist ja nicht viel passiert."

Hasard wollte gerade ein paar freundliche Worte sagen, doch da hörte er Granville bereits toben und fluchen.

„Du dämlicher Hund!" schrie er den Rudergänger an. „Du solltest Backbord Ruder legen und nicht um­gekehrt, du verdammter Tölpel. Los, ein anderer Mann ans Ruder! Und tritt mir nicht wieder unter die Au­gen, du Dummbart!"

Der Rudergänger mußte sich eine Menge anhören und schluckte alles in demütiger und halbgeduckter Hal­tung.

„Es tut mir leid, Sir!" rief er weiner­lich. „Es wird nicht wieder passieren, das verspreche ich! Ich bin ausge­rutscht, Sir!"

„Ein merkwürdiger Kerl", mur­melte Hasard. „Da steht er herum in Demutshaltung und grinst wie ein Idiot. Normalerweise müßte ihm das blöde Grinsen vergangen sein."

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Sehr nachdenklich sah er zu dem Mann, der jetzt den Kolderstock ver­ließ und von einem anderen abgelöst wurde. Der Kerl grinste immer noch dümmlich und mit einer gewissen Schadenfreude.

„So dämlich kann gar keiner sein", sagte der Profos. „Luvt das Rü­benschwein bei vollem Preß an und mangelt uns fast unter. Wie kann man da Backbord und Steuerbord ver­wechseln, wenn man die Klüsen auf hat?"

„Ja, das frage ich mich auch", sagte Hasard überlegend. „Dem wird doch nicht einer was geflüstert haben?"

„Wie meinst du das, Sir?" Carber­rys Stimme klang tonlos.

„Stell dir mal vor, dieser Idiot hätte uns jetzt mittschiffs durchgesägt oder so gerammt, daß wir die Reise nicht mehr hätten fortsetzen können. Glaubst du auch, daß sich jemand darüber ganz besonders gefreut hätte, Ed? Wir hätten dann wo­chenlang unseren Kahn reparieren können, und der Verband wäre allein weitergesegelt."

„Du meinst - die haben das mit Ab­sicht . . . Da bleibt mir glatt die Spucke weg, Sir."

„Quod erat demonstrandum, Sir", sagte der Kutscher. „Was zu beweisen war, wie der Lateiner sagt."

„Ja, das dürfte schwerfallen, wirk­lich. Ich will keinem was unterstellen, aber der Gedanke drängt sich mir ge­radezu auf, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß sich ein Rudergänger derart unqualifiziert am Ruder ver­hält."

„Wenn wir ihm das beweisen könn­ten", sagte der Profos grimmig, „dann würde ich diesem Rübenschwein die Haut in Streifen von seinem ver­dammten Affenarsch ziehen und an die Fock zum Trocknen hängen."

Sie hatten jedenfalls noch einmal Glück gehabt. Die meisten dachten ähnlich wie Hasard, nur die Beweise fehlten. Es war doch recht seltsam, daß ausgerechnet die „Discoverer" aus dem Ruder gelaufen war, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Schebecke fast hilflos daneben be­fand.

Nachdem Granville die Segel weg­genommen und den Anker gesetzt hatte, beugte er sich über die Heckba­lustrade seines Schiffes und sah auf die Arwenacks hinunter. Sein Ge­sicht war in heuchlerischem Bedau­ern verzogen, und er hob hilflos die Hände.

„Es tut mir wirklich leid, Sir", sagte er. „Fast wäre ein Unglück passiert. Ich bemerkte es leider zu spät, doch zum Glück ist ja . . ."

„Nichts passiert", ergänzte Hasard. „Die Feststellung haben Sie schon vorhin getroffen."

An Deck standen Pilger, die sich neugierig über das Schanzkleid lehn­ten. Sie waren von dem harten Ruck aufgescheucht worden und an Deck geeilt. Es gab jedoch nichts mehr zu sehen.

„Ich werde den Mann natürlich be­strafen", sagte Granville. „Er muß auf der Ruderwache gedöst ha­ben . . ."

Hasard gab keine Antwort. Er sah Granville nur hart in die Augen, bis der Kapitän unsicher wurde und den Blickkontakt mied. Hasard glaubte, die Gedanken hinter der flachen Stirn des Mannes lesen zu können. Der grinste sich eins, er sah es deut­lich an seinen Augen.

„Ja - ähem, hm, dann werde ich mich wohl um den Proviant küm­mern", sagte Granville. „Die Liste lege ich Ihnen selbstverständlich vor, Sir, damit Sie alles überprüfen kön­

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nen. Es soll ja auch alles seine Rich­tigkeit haben."

„Sollte es", sagte Hasard. „Leider trifft das nur selten zu. Wir bleiben über Nacht hier auf Reede und segeln morgen in aller Frühe vor Sonnenauf­gang weiter. Ach ja, noch etwas! Ler­nen Sie die vereinbarten Flaggensi­gnale bitte auswendig, damit es künf­tig keine Unstimmigkeiten gibt."

„Selbstverständlich, Sir", sagte Granville, und wieder war deutlich der spöttische Unterton in seiner Stimme herauszuhören.

Hasard wandte sich ab. Er konnte diesen Kerl nicht mehr sehen, er ging ihm auf die Nerven, dieser despo­tische Heuchler.

„Pilgrim" und „Explorer" waren inzwischen ebenfalls vor Anker ge­gangen. Sie fierten die Jollen ab, um nach Ramsgate zu segeln und den Proviant an Bord zu nehmen, wie ver­einbart war. Diesen Aufenthalt hat­ten sie ebenfalls Robert Granville zu verdanken. Er wäre nicht erforder­lich gewesen.

Hasard sah den Booten nach und wunderte sich, daß der Erste Offizier von der „Discoverer" nicht an Bord der Jolle war. Der tückisch und ver­schlagen wirkende Koch hatte die Aufgabe übernommen. Neben ihm in der Jolle hockte der Schlägertyp mit der Zahnlücke, der Bootsmann Bruce Watts. Beide palaverten eifrig mitein­ander.

„Ich werde das bei der Rückkehr kontrollieren", sagte Hasard, „ob­wohl das überflüssig ist, denn Gran­ville wird sich bei der Proviantauf­nahme nicht die geringste Blöße ge­ben."

Er nickte den Männern zu und ging in seine Kammer. In einer halben Stunde wollte er wieder an Deck sein, Während er nach achtern ging, begeg­

nete ihm Alec Morris. Er tat so, als sähe er den Seewolf nicht und blickte zum Land hinüber. Hasard schenkte ihm ebenfalls keinen Blick.

Der Kerl hatte sich wieder heraus­geputzt. Er trug das blütenweiße Hemd mit den Rüschen und eine him­melblaue Jacke, die bis zu den Knien reichte, darunter weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Die Krönung seiner Erscheinung war der silberbe­legte Zierdegen an seiner Seite. Da­mit wollte er offenbar Eindruck schinden, obwohl die Arwenacks solche Dinger immer als Piekser oder Zahnstocher bezeichneten.

Alec Morris wählte das Achter­deck, wo Ben Brighton, Don Juan de Alcazar und Dan O'Flynn standen.

„Na, noch mal Glück gehabt, was?" sagte er und hob die Schultern, um etwas breiter zu wirken. „So dicht se­gelt man auch nicht vor einer Ga­leone her, wenn sie den Kurs ändert. Das sollte der Rudergänger eigent­lich wissen. Sir Granville hat das Un­glück im letzten Augenblick verhin­dert, nehme ich an."

„Sir?" fragte Dan O'Flynn. „Seit wann ist der denn zum Ritter geschla­gen worden? Zudem würde er sich dann Sir Robert nennen, und nicht Sir Granville. Oder ist Ihnen das nicht bekannt?"

Der aufgeblasene Dandy lief röt­lich an und räusperte sich.

„Im übrigen", sagte Dan kühl, „ha­ben Sie wohl was in den falschen Hals gekriegt, mein Guter, oder Sie haben ganz einfach Schlick auf den Augen. Sie sollten vorher überlegen, bevor Sie sich so unqualifiziert äußern. Ist das klar?" fragte er dann etwas schär­fer als beabsichtigt.

„Brüllen Sie mich nicht so an", em­pörte sich der Gockel. „Ich bin ge­wohnt, daß man mir mit Respekt ge­

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genübertritt, und den erbitte ich mir auch selbstverständlich von Ihnen."

Die drei Männer auf dem Achter­deck lachten, als sich Morris so auf­plusterte. Ihr Lachen deutete an, daß sie das Kerlchen nicht ganz ernst nah­men.

Damit hatten sie allerdings seinen Nerv getroffen, wie sich gleich her­ausstellte.

„Ich verbitte mir das höhnische Ge­lächter!" kreischte Morris voller Wut. „Ihr Dümmlinge seid unfähig ein Schiff zu steuern, aber dann über andere lachen, nur weil die sich mal versprechen."

Dan O'Flynn kriegte schmale Au­gen. Ben Brighton wurde ernst, und auch Don Juan lächelte jetzt nicht mehr.

„Gehen wir zur anderen Seite hin­über", sagte Dan leise, fast flüsternd. „Kann sein, daß mir sonst noch was ausrutscht."

„Ha, wegtreten, was?" höhnte Mor­ris, der ein wenig angetrunken zu sein schien. „So benimmt sich der Pöbel. Offenbar ist Ihnen die Anwesenheit eines Gentlemans eine wenig ver­traute Situation."

Dan O'Flynn konnte nichts dafür. Seine Hand zuckte hoch, in seinen Augen glomm ein Funke auf, und dann knallte es auch schon.

Dan O'Flynn hatte eine harte und schnelle Hand. Aber zum Glück für den überheblichen Laffen hatte er sie nicht zur Faust geballt, sonst wäre die Abenteuerreise des Alec Morris vorzeitig beendet gewesen. So knallte ihm nur die flache Hand ins Gesicht, aber das genügte völlig.

Der Dandy zischte ab, quer über das Achterdeck, als hätte er eine La­dung Schießpulver im Achtersteven. Er rannte wie ein Sprinter über die Planken, denn die Wucht trieb ihn

immer noch weiter. Er konnte nicht mehr stoppen. Auch vor dem Nieder­gang war seine schnelle Fahrt noch ungebremst, und so trudelte er auf die erste Stufe, überschlug sich dort und landete auf den Planken, fast greifbar für den Profos Edwin Car­berry, dessen riesige Stiefel noch sei­nen dummen Kopf berührten.

Der Profos blickte etwas erstaunt auf das temperamentvolle Jüngel­chen, das sich jetzt ächzend und stöh­nend aufrappelte. Daß der Narben­mann unmittelbar hinter ihm stand, bemerkte Morris nicht.

Jetzt ging ihm der Gaul durch. Ein­mal war seine Ehre zutiefst verletzt, zum anderen brannte seine linke Wange wie Feuer. Er spürte, daß sie anschwoll und rasch dicker wurde.

In einem rasenden Wutanfall zerrte er an seinem Zierdegen, bis er ihn endlich aus der Scheide hatte. Dann hob er ihn drohend hoch.

„Ich verlange Genugtuung!" kreischte er und wedelte mit dem Ding aufgeregt in der Luft herum.

Für die Arwenacks war das wieder mal ein ergötzlicher Anblick. Da stand ein etwas demoliertes Kampf­hähnchen mit knallrotem Kopf und aufquellender Wange und brüllte nach Genugtuung. Sein Käsemesser ging auf und nieder, aber er traute sich nicht aufs Achterdeck. Er drohte lieber aus sicherer Entfernung.

Dan O'Flynn grinste nur verächt­lich und winkte ab. Und der Profos hinter ihm schüttelte grinsend den Kopf.

„Stellen Sie sich, Sie Feigling!" schrie Morris. „Und ziehen Sie Ihren Degen, wenn Sie Mut haben!"

„Mut schon, aber keinen Degen", sagte Dan grinsend. „Und nun hauen Sie ab, sonst lacht man Sie noch mehr aus."

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Die Worte versetzten Morris weiter in Rage. Er war tatsächlich etwas an­getrunken und daher wesentlich emp­findlicher für alles, was gesagt wurde. Mit einem Wutschrei wollte er vorstürzen.

Der Profos sah kopfschüttelnd auf das zappelnde Bündel, das hier den Helden spielen wollte. Er hatte die Beleidigungen dieses Bürschchens mitgekriegt. Auch Hasard, der jetzt an Deck erschien, mußte das meiste noch gehört haben.

Carberry langte mit seiner gewalti­gen Pranke zu. Die riesige Faust um­klammerte Morris' Handgelenk und drückte ein bißchen. Wenn der Pro­fos „ein bißchen" drückte, konnte er Wasser aus Steinen quetschen. Hier war es nur ein schmales Handgelenk.

Morris schrie gequält auf. Der Piek­ser entglitt seinen Fingern, fiel auf das Deck und blieb in den Planken stecken.

„Wir wollen hier doch keinen Är­ger, was, wie?" fragte der Profos freundlich. „Mit Käsemessern wird nur in der Kombüse rumgefuchtelt, Großlord. Und nun sei ein lieber Junge und verpiß dich, sonst werde ich böse."

Hasard trat auf die beiden Männer zu und musterte Morris scharf.

„Die Kerle haben mich beleidigt!" kreischte Morris. „Ich verlange Ge­nugtuung! Sie haben meine Ehre ver­letzt!"

„Tut mir leid, Sir", sagte Dan, „mir ist einfach die Hand ausgerutscht. Ich konnte nicht mehr mitanhören, wie sich dieser Kerl aufführte. Er hält sich anscheinend für den Nabel der Welt."

„Dabei ist er bloß der Arsch der Er­de", sagte der Profos, der auch noch seinen Senf dazugeben mußte.

„Ich habe fast alles mitgekriegt",

sagte Hasard kalt. „Es ist eine Schande, wie sich dieser sogenannte Gentleman benimmt. Sie sind hier als Gast an Bord, vergessen Sie das nicht", fuhr er den Mann hart an, „und als solcher haben Sie sich auch dementsprechend zu benehmen. Das gilt für die anderen ehrenwerten Gents genauso."

Hasard streifte dabei Sir William und Frank Davenport mit einem eisi­gen Blick. Die beiden standen etwas verschüchtert herum und wußten nicht, was sie sagen sollten.

Die Lage entspannte sich erst, als Sir Williams vorsichtig sagte: „Das muß wohl ein Versehen gewesen sein. Der gute Alec hat ein bißchen zuviel getrunken. Er wird dann meist etwas problematisch. Wir nehmen ihn mit unter Deck, Sir, wenn es recht ist."

„Ich hab' überhaupt nichts getrun­ken", maulte Morris. „Ich will..."

„Nehmen Sie ihn mit, und sorgen Sie dafür, daß er erst dann wieder an Deck erscheint, wenn er nüchtern ist", sagte Hasard angewidert. „Seit Sie hier an Bord sind, hat es nur Är­ger gegeben. Wenn das nicht aufhört, sehe ich mich gezwungen, Ihnen die weitere Passage auf diesem Schiff zu verweigern."

Das saß. Davenport nickte kläglich, Sir Williams ebenfalls. Nur Morris wollte noch einmal das Maul aufrei­ßen, aber da trat der Profos dicht an ihn heran und sah ihn übelgelaunt an.

Als Morris das finstere Gesicht des Narbenmannes sah, schwand ihm der letzte Mut. Er grinste verzerrt und ließ sich von den beiden anderen wi­derstandslos nach achtern führen.

„Tut mir leid", sagte Dan O'Flynn noch einmal. „Aber das Bürschchen hat mich regelrecht provoziert."

„Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich hätte diesem Flegel auch eine ge­

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langt, daß ihm Hören und Sehen ver­geht. Niemand wird dir das verübeln, außer er selbst. Ich habe fast alles ge­hört. Hoffentlich war das dem Rüpel eine Lehre."

„Wenn der über den ganzen Atlan­tik hinweg so klugscheißt, kriegen wir noch mehr Ärger mit dem Würst­chen", meinte der Profos.

„Ich werde das rechtzeitig abstel­len, auch wenn man mich deswegen für ruppig hält", versprach der See­wolf.

Später, als fast unmerklich die Dämmerung einfiel, kehrten die Boote mit Proviant und zusätzlichen Trinkwasserfässern zurück.

Der Erste Offizier der „Explorer" unter Amos Toolan steuerte die Sche­becke an, übergab die Kontrolliste und zeigte auf den verstauten Pro­viant. Hasard konnte sich von der Richtigkeit überzeugen. Der fromme Mensch hatte sich in diesem Fall nicht lumpen lassen und sogar etwas mehr eingekauft, als erforderlich war. Der unverhoffte Geldsegen hatte ihn et­was großzügiger werden lassen.

James Drinkwaters Zweiter Offi­zier von der „Pilgrim" meldete sich ebenfalls zur Kontrolle an. Der Mann war penibel und hatte alles sehr sorg­fältig aufgelistet. Liste und Ladung stimmten überein.

Nur der Koch der „Discoverer" sorgte wieder mal für eine Ausnahme. Unbekümmert pullten er und seine Kerle auf die Galeone zu.

Ein scharfer Pfiff von Ben Brighton und eine entsprechende Handbewe­gung holten ihn heran. Die Kerle pull­ten auf die Schebecke zu.

„Ist was?" fragte Bascott verschla­gen. „Wir haben alles, was aufgelistet wurde." Seine Augen von der Farbe schmutzigen Bernsteins waren hin­terhältig auf Ben gerichtet.

„Warum legen Sie die Liste nicht vor?" fragte Ben. „So war es bespro­chen worden."

„Wir ha'm ja alles", motzte der Kerl. „Ich dachte, Sie pullen herüber und sehen nach."

„Sollen wir deshalb erst ein Boot aussetzen?" fragte Ben scharf. „Das wäre wohl weitaus umständlicher, als das Heranpullen mit Ihrer Jolle. Le­gen Sie an, ich werde Liste und Be­stand kontrollieren."

Vier Kerle pullten das Boot, die alle nicht gerade vertrauenerweckend aussahen. Verärgert schienen sie auch noch zu sein, oder empfanden die Kontrolle als Schikane.

Ben Brighton bemühte sich in die Jolle und sah alles gewissenhaft nach.

„Die sechs Fässer sind nicht aufge­führt", sagte er. „Was enthalten sie?"

„Wir müssen ja nicht alles auffüh­ren", sagte der Koch frech. „Schließ­lich ist der Kapitän ein erwachsener Mann. Die Fässer sind für ihn persön­lich bestimmt, wenn es recht ist. Das andere ist für die Pilger."

„Was enthalten die Fässer, wenn die Frage gestattet ist?"

Der Koch grinste wieder verschla­gen. Zwei der anderen Kerle rieben sich die Hände und grinsten ebenfalls. Der vierte schien von allen Fässern schon probiert zu haben. Seine Fahne wehte bis zum Land hin.

„Schottischer Whisky, Branntwein, Rotwein", zählte der Koch hämisch auf. „Alles für den Kapitän. Braucht er dafür eine Sondergenehmigung, Mister, oder dürfen wir das an Bord bringen?"

Ben schluckte seinen Ärger hinun­ter. Der Koch hockte auf der Ducht und grinste ihn höhnisch an.

„Trunkenbolde können soviel sau­fen, wie sie wollen", erklärte Ben.

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„Das ist nicht meine Angelegenheit. Sie können zurückpullen."

„Ah, vielen Dank, Mister, vielen Dank. Sie sind wirklich sehr großzü­gig." Ein schmieriges Grinsen beglei­tete seine Worte, als Ben wieder auf­enterte.

Die Kerle pullten los, zur „Discove­rer" hinüber. Sie grinsten immer noch bis an die Ohren.

„Der Koch ist ein echtes Rüben­schwein", erklärte der Profos, „aber ein schmieriges und hinterhältiges Rübenschwein. Wenn der Fraß so schmeckt, wie der Koch aussieht, darin tun mir die Pilger jetzt schon leid. Das ist einer von der Sorte, die die besten Stücke für sich behal­ten."

„Das scheint mir auch so", sagte der Seewolf. „Vielleicht verhökert er den Proviant auch unter der Hand. Das traue ich ihm zu. Er erweckt ge­nau diesen Eindruck."

Sie sahen zu, wie die Boote entla­den wurden. Etwas später wurden sie aufgehievt und an Deck gezurrt.

Die Dunkelheit brach jetzt herein. Am Horizont standen ein paar kleine Wolken, die das Meer im Süden pechschwarz färbten. Das Wasser war kabbelig, und der Wind wehte be­ständig aus Nordost.

Ben Brighton teilte die Wachen ein und hielt noch einmal Ausschau nach der Karavelle. Zu seiner Verwunde­rung war sie nicht mehr zu sehen. Die Dunkelheit hatte sie geschluckt. Sie befand sich irgendwo unsichtbar vor­aus. Er glaubte nicht, daß sie in dieser Nacht noch weitersegeln würde. Ver­mutlich lag sie ebenfalls irgendwo vor Anker und wartete auf den näch­sten Morgen.

Nach und nach kehrte auf den Schiffen Ruhe ein.

7.

Auf der „Discoverer" brannte nur eine kleine Laterne, die spärlich das Deck erhellte. Ein traniger Posten hockte hinter dem Schanzkleid und stierte vor sich hin. Unten, im Bauch des Schiffes, war es ebenfalls ruhig. Fast alle Pilger schliefen.

In der Kapitänskammer brannte noch Licht. Granville hatte eine Fla­sche Schottischen vor sich stehen und genehmigte sich einen. Er soff aus Wut und Ärger, denn vor knapp einer Stunde hatte er eine harte Auseinan­dersetzung mit dem Ersten Offizier Harris gehabt.

Der wollte partout nicht einsehen, daß er, Granville, es rigoros ablehnte, kleine Kinder an Bord zu bevorzugen. Es handelte sich um einen kleinen Jungen, der schwach und fast unter­ernährt war. Ein Wort hatte das an­dere gegeben, und jetzt war der Krach da. Sehr harte Worte waren gefallen.

Dieser Erste paßte Granville über­haupt nicht in das Konzept, denn der Kerl nahm sich die Frechheit heraus, seinem Kapitän auf die Finger zu se­hen. Er hielt sich auch nicht mit har­ter Kritik zurück.

Granville setzte den Krug ab, aus dem er getrunken hatte, wischte sich über die Lippen und blickte jenes ver­schlagene Subjekt an, das auf der „Discoverer" als Koch eingesetzt war. Den Koch hatte er ganz offiziell rufen lassen, um über die Vorräte zu spre­chen. Sie taten aber alles andere als das. Ihr Gespräch drehte sich um an­dere Dinge.

„Dieser Frank ist ein Esel", sagte Granville. „Verpaßt den günstigen Augenblick, um uns die Kerle vom Hals zu schaffen. Beinahe hätte es ge­klappt, und wir wären die Kerle losge­wesen."

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„Die haben aber nichts gemerkt, Sir", wandte der Koch ein, der über alles eingeweiht war. Er, der Boots­mann, der Decksälteste und der Kapi­tän kannten sich schon länger und steckten bei allen Angelegenheiten unter einer Decke.

„Anscheinend nicht, aber die Gele­genheit ist verpaßt. Dieser Seewolf ist jedoch ein scharfer Hund, ein Blut­hund, der uns ständig im Nacken sitzt, und den wir nicht mehr loswer­den."

„Haben Sie einen Plan, Sir?" „Nein, vorerst nicht. Wir können

nichts unternehmen, ohne aufzufal­len. Ich muß eine günstige Gelegen­heit abwarten, aber ich weiß nicht, wann sich die bietet. Es bleibt also mehr oder weniger dem Zufall über­lassen. Hier, trink noch einen, Kel­vin."

„Danke, Sir." Der Koch gluckerte einen weg und sah seinen Kapitän er­wartungsvoll an.

„Ja, das war Pech mit der Ram­ming. Ich sah die verdammte Sche­becke mitsamt ihren Kerlen schon ab­saufen. Aber diese Bastarde waren leider zu schnell und reagierten so­fort."

Granville richtete sich auf und lauschte. Als der Koch etwas sagen wollte, legte er den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.

„Ich hoffe ja, daß die Reise rei­bungslos vonstatten geht", sagte er dann und stand lautlos auf. Mit zwei schnellen Schritten war er am Schott und riß es auf.

„Sieh an, Mister Harris", sagte er überrascht. „Ich dachte, Sie liegen in der Koje. Aber für Sie ist es wohl in­teressanter, an anderen Kammern zu horchen. Was suchen Sie hier?" fragte er mit schneidender Stimme.

Harris hatte sich erstaunlich

schnell in der Gewalt. Er hatte ein paar Worte mitgekriegt und konnte sich den Rest mühelos zusammenrei­men. Er hatte jedoch nicht gelauscht, wie Granville ihm das unterstellte. Er war nur zufällig Zeuge des unge­heuerlichen Gespräches geworden.

„Ich war noch einmal an Deck", sagte er förmlich, „um die Wachen zu kontrollieren."

„Dazu hat Sie niemand beauf­tragt!" schrie Granville mit hochro­tem Kopf. „Dafür ist der Decksälteste zuständig. Ich habe Ihnen schon ein­mal gesagt, daß Sie für die Navigati­on zuständig sind, und nicht für an­dere Dinge, die Sie nichts angehen. Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, als hätten Sie mir nachspio­niert."

„Das ist eine infame Unterstellung. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, ist Ihre Angst vorm Nachspionieren völlig unbegründet und lachhaft. Ich halte es für meine Pflicht, auch nachts das Schiff zu kontrollieren. Der Mann, der Wache gehen soll, dö­ste vor sich hin und war unaufmerk­sam."

„Quatsch, hier passiert sowieso nichts. Glauben Sie, jemand klaut das Schiff nachts von der Reede, Sie Narr? Wir liegen sicher vor Anker und alles ist in bester Ordnung."

„Dann erübrigt es sich auch, Wa­chen aufzustellen", meinte Harris. „Das Ganze ist dann nur eine Farce."

Durch den Türspalt sah er aus den Augenwinkeln den Koch am Tisch hocken, der eine Muck vor sich stehen hatte. Der tückische Kerl hörte dem Streit mit gespitzten Ohren und ei­nem schiefen Grinsen zu.

„Das müssen Sie schon mir überlas­sen!" brüllte Granville. „Mischen Sie sich nicht in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen! Wenn Sie noch ein­

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mal vor dem Schott zu meiner Kam­mer herumschleichen oder davor ste­henbleiben, dann schieße ich durch die Tür. Ich nehme dann an, daß je­mand die Bordkasse stehlen will."

„Mit der er dann nach London zu­rückschwimmt", sagte der Erste fro­stig. „Gute Nacht, Sir. Wünsche wohl zu ruhen."

„Scheren Sie sich zum Teufel, Sie Klugscheißer!"

Der Erste gab keine Antwort. Hochaufgerichtet ging er in seine Kammer, wo er Zeit zum Überlegen hatte. Und er dachte sehr lange über Granville und den Koch nach.

Granville knallte das Schott zu und ließ sich wütend am Tisch nieder. Sein erster Griff galt dem Schotti­schen.

„Da haben wir uns auch was einge­handelt", sagte der Koch. „Der Kerl würde besser auf die Schebecke pas­sen. Der hat seine Augen überall und kreuzt auch bei mir in der Kombüse auf, obwohl er da gar nichts zu su­chen hat."

„Der Kerl geht mir schon seit Lon­don auf den Geist", versicherte Gran­ville ärgerlich. „Glaubst du, er hat un­ser Gespräch mitgehört?"

„Davon bin ich fest überzeugt, Sir. Darf ich noch einen?" Als Granville ungeduldig nickte, goß er sich ein. „Sicher hat er einiges mitgekriegt, ganz sicher. Bei der nächstbesten Ge­legenheit wird er das dem Killigrew stecken, Sir, ganz heimlich, versteht sich. Ich kann diesen Schleicher auch nicht ausstehen, der sieht uns zu sehr auf die Finger. Und leider hat er als Erster ja mitzureden." Der Koch seufzte ein bißchen und goß sich wie­der nach, diesmal ohne zu fragen.

Granville lehnte sich zurück und blickte Bascott scharf an.

»Mitzureden hat er schon", sagte er

im Flüsterton. „Aber das Kommando habe ich, und er hat sich unterzuord­nen. Aber ich weiß, was du jetzt meinst, Kelvin. Der Bastard wird mich bei der Admiralität anschwär­zen, nicht wahr?"

„Genau das meinte ich, Sir", sagte der Koch mit einem verschlagenen Grinsen. „Er wird das dem Killigrew zuflüstern, und dann gibt es gleich zwei Zeugen. Dabei habe ich mir vor­gestellt, daß man auf diesem Törn viel Geld verdienen kann, ganz beson­ders dann, wenn die Lebensmittel et­was knapper werden. Und Ihr Ge­schäft ist ja nun auch geplatzt, Sir, was ich aufrichtig bedaure."

Die beiden hoben ihre Humpen und sahen sich über dern Rand hinweg lau­ernd an.

„Na, du hast doch sicher einen Vor­schlag, Kelvin, oder irre ich mich in der Beziehung?"

Daß sein zusätzliches Geschäft ge­platzt war, ärgerte Granville ganz be­sonders. Und daß ihm künftig je­mand scharf auf die Finger sehen würde, trieb ihn fast zur Weißglut.

„Sir, ich bin nur ein einfacher Koch, das wissen Sie. Vorschläge er­warte ich von Ihnen. Ich bin nur das ausführende Organ, und wie Sie wis­sen, haben wir in Bruce und Gordon tatkräftige Helfer, die ganz auf Ihrer Seite stehen."

„Hm, das weiß ich. Ich bin in der Beziehung auch nicht kleinlich. Hast du schon mal eine Perle besessen, Kelvin?"

„Nein, noch nie, Sir. Sie sind selten und teuer."

„Aber du hättest sicher gern eine?" „O ja, Sir, sehr gern." Die gelbli­

chen Augen des Kochs funkelten be­gierig, als Granville aufstand und aus dem Schapp etwas holte.

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„So eine, Kelvin? Sie ist gut und gerne ihre zehn Dublonen Wert."

Bascott starrte auf die große matt­schimmernde Perle, die in der Hand des Kapitäns lag und hin und her ge­rollt wurde. Sie schimmerte so matt wie Seide und strahlte einen eigen­tümlichen Glanz aus.

„Wenn der Erste nicht mehr an Bord ist, gehört die Perle dir", sagte Granville bedächtig. „Aber bis er ab­mustert, wird ja leider eine ganze Weile vergehen, oder?"

Das tückische Grinsen des Kochs verstärkte sich. Er holte tief Luft und griff gierig nach dem Schottischen. Dabei funkelten seine Augen in ei­nem eigentümlichen Licht.

Er sieht wie ein Hund aus, der gleich heimtückisch zuschnappt, dachte Granville. Er kannte den Koch schließlich lange genug.

„Vielleicht hat er einen Unfall, Sir." Der Koch flüsterte jetzt so leise, daß Granville ihn gerade noch verstand.

„Bei einem Unfall wird Killigrew hellhörig. Das kann heikel werden."

„Natürlich keinen Unfall, der sich untersuchen läßt, Sir. Die Nächte sind rabenschwarz, und die See ist ruppig. So mancher brave Mann ist da schon über Bord gegangen und nie wieder aufgetaucht. Er kann ja Ärger mit einem der Siedler gekriegt haben, oder er war leichtsinnig und wurde über Deck gewaschen."

Granvilles Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

„Da darf es aber keine Zuschauer geben."

„Dafür werden wir schon sorgen, Sir."

„Nicht wir, sondern du", sagte Granville hart. „Ich will nicht, daß noch mehr davon erfahren, auch Gor­don und Bruce nicht. Es ist besser, wenn das einer allein erledigt, ohne

Viel Aufhebens. Der Kerl schleicht doch jede Nacht an Deck herum, und du bist derjenige, der immer am läng­sten auf ist, um die Kombüse auszu­klaren. Wir haben aber den Nachteil, daß wir vor der Schebecke segeln. Wenn der über Bord kantet und um Hilfe brüllt, fischen die Kerle ihn möglicherweise auf, und dann krie­gen wir noch mehr Ärger.''

„Er wird nicht brüllen", versicherte Bascott hart. „Wer kräftig eins auf die Mütze kriegt, der schreit nicht mehr."

„Aber kein Messer", warnte Gran­ville. „Das sind alles Dinge, die sich unter ungünstigen Umständen bewei­sen lassen."

„Kein Messer, Sir. Es gibt genü­gend andere Möglichkeiten."

Granville zeigte ihm noch einmal die Perle, ehe er sie wieder in einem Kästchen verschloß und ins Schapp legte.

„Nach erfolgter Abmusterung ge­hört sie dir, Kelvin."

„Ich habe sie schon so gut wie in der Tasche", flüsterte der Koch.

Sie tranken noch einen und grin­sten sich zu. Mit jedem Schluck würde ein Stück des Ersten Offiziers sterben, sagte Bascott grinsend, als er schon etwas angetrunken war.

Sie besprachen noch ein paar nä­here Einzelheiten. Dann erhob sich der Koch und verließ die Kapitäns­kammer. Vor dem Schott schwankte er ein wenig, und als er an der Kam­mer des Ersten Offiziers vorbeiging, rülpste er laut und vernehmlich. Da­bei grinste er über das ganze abge­feimt wirkende Gesicht.

Hinter ihm schloß sich lautlos das Schott.

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In der Frühe des anderen Morgens segelte der Verband weiter. Sie hat­ten noch ein paar Meilen auf südli­chem Kurs vor sich, der bis in die Nähe von Dover führte. Von da ab würde der Verband bei anhaltendem Wind auf südsüdwestlichem Kurs mit achterlichem Wind fast platt vorm Laken laufen. Das bedeutete schnelle Fahrt.

Der Abstand zur Küste betrug fast zwei Meilen.

Die See war noch etwas ruppiger geworden, und der Wind fuhr mitun­ter hart in die Segel.

Für die meisten Pilger war das un­gewohnt. Es gab einige, die Angst hat­ten, weil sie mit der neuen Situation noch nicht vertraut waren.

Auf und ab ging es, mit Backbord­halsen über Steuerbordbug liegend. Der Bug der „Explorer" tauchte tie­fer ein, als der der beiden anderen Galeonen. Er senkte sich tief ins Was­ser, erhob sich dann schwerfällig und ließ Gischt aufschäumen. Die ersten Spritzer leckten an Deck und wu­schen die Planken.

Die meisten Aussiedler hatten sich bei Amos Toolan zum Morgengebet an Deck versammelt. Etliche von ih­nen waren mit den Gedanken mehr bei der ruppigen See als beim Gebet. Immer wieder blickten sie schluk­kend in das schäumende und gur­gelnde Wasser, das an den Bordwän­den vorbeizischte und sich achteraus zu einem blasenwerfenden Kielwas­ser formte.

Für die Ängstlichen unter ihnen war das „schwere See". Sie fragten sich beklommen, ob die Galeone das wohl aushalten würde, und dann war­fen sie einen Blick zur dunstigen Kü­ste hinüber, die für sie so weit ent­fernt war wie der Mond.

Nach dem Morgengebet gab es

Frühstück. Noch war alles reichhaltig und gut - frische Ware von den Lon­doner Märkten. Am Essen gab es nichts auszusetzen.

Auch bei den Arwenacks wurde gefrühstückt.

Hasard beobachtete seine drei „Schäfchen", wovon zumindest eins ein Wolf im Schafspelz war, durch das Spektiv. Alles ging reibungslos vor sich. Die Galeonen segelten wie große Schwäne in Dreierformation. Die Kapitäne hatten den Ehrgeiz ent­wickelt, schnell zu sein, und so jagten ihre Galeonen fast unter vollem Preß dahin.

Von nun an würde es keine ge­planten Unterbrechungen der Reise mehr geben. Es sollte Tag und Nacht durchgesegelt werden, sofern nicht ir­gendwelche Schwierigkeiten auftra­ten.

James Drinkwater war den beiden anderen Galeonen ein paar Kabellän­gen voraus. Ihm folgte die „Discove­rer", der schräg versetzt im Kielwas­ser die „Explorer" folgte.

Nach einer Weile verzogen sich die Pilger wieder unter Deck. Den mei­sten war es zu kühl. Die See war ein ungewohntes Element für sie, daher wähnten sie sich unter Deck in gebor­gener Sicherheit.

Gegen Mittag zeigte Dan O'Flynn zum Land hinüber. Seine scharfen Äugen hatten es wieder mal zuerst entdeckt.

„Das ist doch unsere Eskorte", sagte er, „die da dicht unter Land vor Anker liegt. Die Burschen sind ge­stern noch etliche Meilen weitergese­gelt."

„Das ist sie", sagte Hasard. „Sie ha­ben geankert und abgewartet. Wenn wir vorbei sind, werden sie sich wie­der anhängen und uns folgen. Meine Theorie scheint zu stimmen, daß sie

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keinen fähigen Navigator an Bord ha­ben. Wenn sie uns später aus den Au­gen verlieren sollten, werden sie dumm dastehen."

„Oder nach Alec Morris navigatori­schen Künsten weitersegeln", meinte Ben lachend. „Sie legen den Bug in Richtung Virginia aus, visieren genau an und segeln drauflos. Früher oder später sind sie dann genau am Zielort. Wahrscheinlich aber etwas später."

Durch den Kieker war zu erkennen, daß auf der Karavelle aufgeklart wurde. Ein paar Kerle an Deck waren emsig beschäftigt. Trotzdem ließen sie sich viel Zeit.

Eine Stunde später, sie hatten in­zwischen etwa fünf Meilen hinter sich gebracht, tauchte die Karavelle auf. Die Kerle hatten es auch jetzt nicht sonderlich eilig und waren darauf be­dacht, den Abstand noch etwas zu ver­größern. Sie trödelten so lange her­um, bis sie schließlich an der Kimm standen. Von da ab folgten sie zügig dem Verband.

Hasard kümmerte sich nicht mehr um die Geheimniskrämer. Er würde erst später ein waches Auge auf sie haben, wenn sie den Atlantik erreicht hatten und die Azoren nördlich pas­sierten. Zu dem Zeitpunkt würde sich an Bord der Galeonen auch einiges ge­ändert haben. Dann war es mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Zeit vor­bei, das wußte er aus Erfahrung, denn dann sprang die rauhe Wirklichkeit sie an.

Am anderen Tag lief der Verband bei stark dünender See mit achterli­chem Wind auf Kurs Südsüdwest. Die Karavelle der Abenteuer und Hasar­deure klebte als Fühlungshalter weit achteraus. Diesmal segelte Amos Too­lan an der Spitze, gefolgt von der „Pil­grim"." Den Abschluß bildete die „Discoverer".

Der Koch Kelvin Bascott hatte noch nichts erreicht. Die Gelegenheit, den Ersten unauffällig verschwinden zu lassen, hatte sich nicht ergeben. Aber in dieser Nacht lag er auf der Lauer und wartete geduldig.

Es war eine rabenschwarze Nacht. Der Wind heulte und jaulte in der Ta­kelage. Die Pardunen standen steif und sangen wie überspannte Gitar­rensaiten. Schaumkronen umtanzten das Schiff. Der Himmel war bewölkt, der Halbmond versteckte sich hinter schnell dahinjagenden Wolken.

Es war kurz vor Mitternacht. Die heulenden Sturmgeräusche hatten auch den letzten Pilger unter Deck ge­trieben. Sie lagen in ihren Kojen, und die ganz Ängstlichen zogen sich die Decken über die Köpfe, wenn die Wel­len gegen den Rumpf donnerten, die Galeone stöhnte und ächzte und Gischt über die Decks peitschte.

Für die Deckhands gab es nichts zu tun. Segelmanöver waren nicht erfor­derlich. Fallen und Schoten waren durchgeholt und an den Nagelbänken belegt. Es herrschte ideales Segelwet­ter bei langrollender Dünung.

In der Kombüse brannte eine trübe Funzel. Bascott hantierte dort herum oder tat so, als sei er noch beschäftigt. Die Laterne schwang hin und her und verzerrte seinen Schatten zu grotes­ken Linien. Mal sah dieser Schatten wie ein gnomenhafter verunstalteter Zwerg aus, dann wieder veränderte er sich ins Riesenhafte.

Bascott dachte an die Perle, die mehr wert war als zehn Dublonen. Ei­gentlich war sie so gut wie unbezahl­bar, denn mit der Lösung des Pro­blems Harris taten sich weitere Geld­quellen auf, die noch sehr ergiebig sprudeln würden.

Der Koch peilte nach achtern und erkannte schattenhaft die Gestalt des

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Ersten, der seinen mitternächtlichen Rundgang unternahm. Er löschte das Licht, ließ das Schott offen und schlich an Deck. Die Gestalt des Ersten war immer noch im Wider­schein der Hecklaterne zu erkennen.

Das Kombüsenschott schwang hin und her. Bei jeder Bewegung der Ga­leone gab es einen leichten Schlag, den auch der Erste nicht überhörte.

Ohne ein Wort zu sagen, verließ er das Achterdeck.

„Der übliche Kontrollgang, was?" höhnte Granville, der dreckig grinste. „Nachsehen, ob noch alle Masten ste­hen und keiner die Segel geklaut hat, wie?"

„Der Koch hat das Kombüsen­schott nicht geschlossen", sagte Har­ris knapp. „Oder es ist wieder aufge­sprungen."

Granville gab keine Antwort. Er schob sich vor den Rudergänger Frank und spähte über das Deck. Er war sicher, daß Bascott dort irgend­wo in der Finsternis lauerte. Aber er war nicht zu sehen.

Das Grinsen in Granvilles Gesicht verstärkte sich noch mehr. Er kreuzte die Arme über der Brust und lauschte mit angehaltenem Atem einem unge­wohnten Geräusch.

Wenn jetzt ein Mann über Bord ging, würde es keiner hören, selbst dann nicht, wenn er in unmittelbarer Nähe stand. Die Geräusche waren zu laut und zu vielfältig. Da waren das Knarren der Blöcke, das Ächzen der Planken und die anrollende See, die immer wieder den Rumpf erschüt­terte. Jedesmal klatschte es, wenn ein Brecher über das Vorschiff donnerte.

Harris' Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Aber den Mann, der auf ihn lauerte, sah er nicht. Der stand geduckt hinter der Nagelbank des Großmastes, wo das Wasserfaß

verzurrt war, und hielt eine Spill­spake in der Hand.

Der Erste warf einen Blick in die Kombüse, wo das Schott von einer Seite zur anderen pendelte. Dort war es finster. Er sah nicht einmal die Stu­fen des Niederganges. Er drückte das Schott zu und murmelte etwas von Leichtsinn und Nachlässigkeit. Dann ging er zur anderen Seite des Schiffes hinüber, um seinen Kontrollgang zur Back fortzusetzen.

Bascott sah ihn jetzt trotz der Fin­sternis deutlicher. Die Silhouette des Ersten hob sich als milchiger Umriß phantomhaft vom schwachen Wider­schein der Hecklaterne ab.

Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihm. Die Spillspake sauste nieder. Es gab ein dumpfes Geräusch.

Harris hörte ein leises Ächzen und fuhr rein instinktiv herum. Er sah niemanden, doch während er den Kopf einzog, hörte er es auch schon knirschen und spürte einen brennen­den stechenden Schmerz seitlich am Hals und am Schulterblatt. Der Schmerz war so gewaltig, daß sein Denken für lange Augenblicke aus­setzte und er zu keiner Bewegung fä­hig war. Nach dem stechenden Schmerz war sein Körper wie ge­lähmt, und er knickte in den Knien ein.

Von da an ging alles sehr schnell. Bascott fing den zusammenbre­

chenden Mann blitzschnell auf, hievte ihn zum Schanzkleid, wuch­tete ihn hoch und warf ihn über Bord.

Der Körper versank mit einem lei­sen Aufklatschen in den Wellen. Eine mitlaufende Dünung hob ihn noch einmal hoch und riß ihn dann mit sich.

Kelvin Bascott sah ihm grinsend nach. Er konnte jedoch nichts mehr erkennen. Der verhaßte Kerl wurde

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von der Dunkelheit und den Schaum­kronen verschluckt.

Ungerührt ging der Koch nach vorn und suchte im Mannschaftslogis seine Koje auf. Er dachte an die sam­tig schimmernde Perle, die sich ab morgen in seinem Besitz befinden würde.

8.

Der Schmerz lähmte Harris immer noch, aber als er in das eisige Wasser stürzte, kam er augenblicklich zu sich. Ihm war, als sei inzwischen eine Ewigkeit vergangen. Dann wurde er sich über seine Lage im klaren und stellte entsetzt fest, daß er in einem gewaltigen Sog aus Wasser trieb, das über ihm zusammenschlug und ihm die Luft nahm. Ein riesiger Schatten glitt blitzschnell an ihm vorüber wie ein riesiges Ungeheuer. Dieses Unge­heuer drängte ihn machtvoll zur Seite, stieß ihn von sich und jagte ihn in einen blasenwerfenden Strudel, in dem er hilflos hin und her gedreht wurde.

Lähmendes Entsetzen breitete sich in ihm aus. Das Wasser war so eis­kalt, daß es seine Glieder erstarren ließ. Er blickte hustend und keu­chend hoch und sah einen milchigen Quirl, versetzt mit Wasserblasen, der sich schnell von ihm entfernte. Wie benommen blickte er dem Schiff nach und versuchte verzweifelt sich zu erinnern, was geschehen war.

Jemand hatte ihn über Bord gesto­ßen, das glaubte er jetzt ganz sicher zu wissen, und dieser Jemand hatte mit einem harten Gegenstand zuge­schlagen, Aber wer?

Harris schluckte Wasser, bis ihm speiübel wurde. Er konnte seine Arme kaum bewegen und hatte Mühe

beim Schwimmen. Dann versuchte er sich an den rasch kleiner werdenden Lichtern zu orientieren, die wie ver­lassen auf den Wellen tanzten. Steu­erbord querab von den Lichtern be­fand sich die englische Küste. Bis da­hin waren es mindestens zwei Meilen. Bei der Eiseskälte des Wassers wür­den seine Glieder erlahmen, bis er die Küste erreicht hatte. Er würde jäm­merlich ertrinken.

Als er die Ausweglosigkeit seiner Lage erkannte, begann er mit heise­rer Stimme um Hilfe zu rufen. Er wußte, daß es zwecklos war, aber er rief trotzdem so lange, bis ihm schwarz vor den Augen wurde.

Alles drehte sich um ihn, er hörte Stimmen und verstand sie nicht.

Als er endlich die Augen aufschlug, zitterte er am ganzen Körper und sah in Gesichter, die ihm fremd und doch gleichzeitig vertraut waren.

Ein schmächtiger Mann mit ernstem Gesicht setzte ihm eine Muck heißer Brühe an die Lippen und zwang ihn zum Trinken.

„Nun, Mister Harris, fühlen Sie sich besser?" fragte eine Stimme, die Philip Hasard Killigrew gehörte.

„Ja", sagte Harris mühsam. „Wo bin ich?"

„An Bord der Schebecke", sagte Hasard ruhig. „Wir haben Sie halbtot aus dem Bach gezogen. Einer meiner Leute hat Ihre Hilferufe gehört. Un­ternehmen Sie öfter nächtliche Schwimmtouren ?"

Harris richtete sich mühsam auf. Sie hatten ihn ausgezogen und ihm neue Klamotten verpaßt. Seine Fin­ger waren fast blau von der Kälte.

„Ich bin über Bord gegangen", mur­melte er.

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„Gegangen worden, vermutlich", sagte Hasard. „Bei dem bißchen See­gang fällt ein erfahrener Offizier doch nicht über Bord. Man hat Sie also abkanten lassen, weil Sie für ge­wisse Leute an Bord ein wenig unbe­quem sind. Ist es so?"

„Ja, Sir. Jemand hat mich nieder­geschlagen, aber ich habe keine Ahnung, wer das war. Ich unternahm einen Kontrollgang, und dann war ich ganz plötzlich draußen."

„Draußen ist gut", sagte der See­wolf mit einem harten Lächeln. „Das war ein einwandfreier Mordversuch, Mister Harris, den wir aber leider nicht beweisen können. Ich bin si­cher, daß Granville dahintersteckt. Er hat uns auch zu rammen ver­sucht."

„Ich weiß, ich hörte zufällig davon, kriegte aber nichts Genaues mit."

„Bin gespannt, wann man vorgibt, Ihr Verschwinden zu bemerken", sagte Hasard. „Sicher erst dann, wenn man ganz sicher annimmt, daß Sie ertrunken sind. Granville wird sich natürlich herausreden, und wir werden so tun, als glaubten wir das, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er wird jedenfalls so vorsichtig sein, Sie nicht wieder über Bord gehen zu las­sen."

„Ich danke Ihnen, Sir", flüsterte Harris. „Granville ist ein Halunke, und ein paar andere Kerle sind auch nicht besser."

„Das ist uns bereits bekannt. Wenn Sie aber wieder an Bord sind, wird er sehr vorsichtig sein und Sie wie ein rohes Ei behandeln, denn er wird ah­nen, daß wir etwas wissen. Oder wol­len Sie nicht mehr an Bord zurück?"

„Doch, Sir, schon aus dem Grund, um Granville besser auf die Finger sehen zu können. Ich habe dann ein besseres Überlegenheitsgefühl."

„Diesen Bastard werden wir ab jetzt genau im Auge behalten", ver­sprach Hasard. „Ich bin gespannt, wie er reagiert. Vermutlich wird er eiskalt bis in die Knochen bleiben und sehr erstaunt tun."

Nach einer knappen Stunde war Harris wieder hochgepäppelt und hatte seinen Schreck überwunden. Er dachte mit Schaudern daran, daß er jetzt ohne die Hilfe der Arwenacks hilflos in der See treiben würde.

Als die Sonne als fahler Schimmer im Osten aufging, schor die „Discove­rer" aus dem Verband aus und luvte an. Inzwischen waren fast sieben Stunden vergangen.

Granville preite die Schebecke an, die sich der Galeone näherte.

„Mein Erster Offizier ist ver­schwunden!" rief Granville besorgt. „Ich habe es erst jetzt bemerkt, Sir. Er muß über Bord gegangen sein. Um Mitternacht unternahm er seinen Kontrollgang, und ich begab mich gleich darauf unter Deck, weil der Zweite mich ablöste. Ich nahm an, daß Mister Harris dann ebenfalls seine Kammer aufsuchte."

„Und Sie haben das ganze Schiff durchsucht?" fragte Hasard.

Der Kerl hatte sich gut in der Ge­walt, aus seiner Stimme klang echte Besorgnis heraus.

„Alles", sagte Granville. „Er ist nicht mehr an Bord. Wir müssen so­fort umkehren und eine Suchaktion einleiten, Sir. Vermutlich ist er je­doch längst ertrunken."

Die Arwenacks grinsten auf eine et­was hinterhältige Art, die Granville verunsicherte. Er hob hilflos die Schultern und heuchelte Mitleid. „Der arme Kerl", sagte er mit tiefem

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Bedauern. „Dabei war er ein so fähi­ger Mann."

Das Schott der Kombüse öffnete sich, und Harris trat an Deck. Gran­ville zuckte bei seinem Anblick heftig zusammen und wurde blaß.

„Da haben Sie aber Glück gehabt", sagte Hasard sarkastisch. „Wir haben im Schein Ihrer Hecklaterne gesehen, daß etwas über Bord fiel und konnten ihn gerade noch rechtzeitig auffi­schen. Ich nehme doch an, daß Sie jetzt sehr erleichtert sind, Mister Granville?"

Der Kerl blieb tatsächlich eiskalt. Nach der ersten höllischen Überra­schung hatte er sich blitzschnell wie­der in der Gewalt.

„Ein Wunder ist geschehen!" rief er pathetisch aus. „Mister Harris, ich bin ja so froh, daß Ihnen nichts pas­siert ist. Wie konnte das nur gesche­hen?"

Der Erste Offizier grinste hart. Er sah Granville in die Augen und stellte fest, daß sich der Kapitän nur müh­sam in der Gewalt hatte.

„Die Wege des Herrn sind uner­forschlich", sagte er. „Wie das passie­ren konnte, ist mir selbst rätselhaft, genau wie Ihnen auch, Sir."

„Dabei wähnte ich Sie längst in Ih­rer Kammer", sagte Granville. Er sah die Arwenacks grinsen und fühlte sich höchst unbehaglich. Auch der Seewolf lächelte auf eine unheimli­che, wissende Art, die sein Unbeha­gen noch steigerte.

Hasard sah sich die Gesichter der Kerle genau an. Ihm fiel auf, daß Bas­cott mit offenem Maul zu dem Ersten starrte, als sähe er einen Geist vor sich. Der Kerl stierte sich fast die Au­gen aus.

Hasard ahnte etwas, aber auch das ließ sich nicht beweisen, obwohl er

aus der Visage des Kerls genau die richtigen Schlüsse zog. Der verschla­gene und tückische Halunke hatte hier ganz sicher seine Hände mit im Spiel gehabt.

„Nun haben Sie Mister Harris zum Glück ja wieder", sagte Hasard iro­nisch. „Ich hoffe doch, Sie werden in Zukunft immer rechtzeitig kontrol­lieren, ob alle Leute an Bord sind. In der Beziehung kann man nie vorsich­tig genug sein. Sie wissen ja jetzt, daß selbst bei kaum bewegter See ein er­fahrener Mann über Bord fallen kann - wie das heute nacht passiert ist."

„Jaja", Sir. Wann - wann haben Sie Mister Harris denn aufgefischt?"

„Kurz nach Mitternacht natürlich, nachdem er vermutlich ausrutschte und über Bord fiel. Er ist doch ausge­rutscht, oder?"

„So muß es wohl gewesen sein", murmelte Granville erstickt und räusperte sich die Kehle frei. Er fühlte sich noch unbehaglicher, als er die spöttischen eisblauen Augen des Seewolfs auf sich gerichtet sah.

Er wurde das mulmige Gefühl nicht los, daß sie ihn alle durchschaut hat­ten, aber so taten, als wüßten sie von nichts. Und auch Harris' hartes Grin­sen gefiel ihm überhaupt nicht. Von dem Mann würde er in Zukunft bes­ser die Finger lassen.

„Ein eiskalter Bastard", sagte Ha­sard leise. „Ein Kerl, der bedenkenlos über Leichen geht, wenn er dabei ei­nen Vorteil sieht."

Sie brachten Harris hinüber, und Granville scheute sich nicht, ihn mit falscher Herzlichkeit zu umarmen, als er vor ihm stand und Dankbarkeit heuchelte.

Als sich die Schebecke von der Ga­leone löste, traf Granville nochmals ein Blick aus diesen eisigen Augen

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des Seewolfs, und der signalisierte trag, und den nehmen wir sehr ge­ihm allerhöchste Gefahr. nau."

Hart schluckend wandte er sich ab. Seine Stimme klang freundlich, „Bringen Sie Ihr Schiff wieder auf doch Granville verstand den Sinn der

Kurs", sagte Hasard. „Wir bleiben Worte, die eine Warnung bedeuteten. immer hinter Ihnen. Sie können sich Etwas später lag der Verband wie­darauf verlassen, daß wir gut aufpas­ der auf Kurs und segelte seinem un­sen. Schließlich ist das unser Auf- gewissen Schicksal entgegen...

Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 623

Panik auf der „Discoverer" von Sean Beaufort

In der qualvollen Enge unter Deck, mitten im Gestank, ohne frische Luft und im ständigen Hagel losgerissener Gepäckstücke, hockten und kauerten die Aus­wanderer der „Discoverer" und hofften, daß am Morgen alles besser sein würde. Aber jedes einzelne Geräusch wurde lauter und durchdringender. Alles nahm eine bedrohliche Bedeutung an. Der kreischende Orkan dort draußen, von dem nur ein winziges Lüftchen durch die verschalkten Luken unter Deck drang und sich mit dem ekelerregenden Gestank vermischte, würde die Segel und Taue zerfetzen und die Rahen und Masten zersplittern. Die Wellen, die mit dem Dröh­nen von Kanonen gegen die Bordwand donnerten, würde bald die Planken in Kleinholz und Splitter verwandeln. Längst hatte die Todesangst die Auswande­rer gepackt...

ex libris KAPTAIN STELZBEIN

März 1983

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