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Basti bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Whistler Bericht vom 30.01.2010 – 06.03.2010

Ausgabe Nr. 8 [02-2010] - Basti in Whistler

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Die Augen der ganzen Welt richten sich für gute zwei Wochen auf Bastis derzeitiges Wohndomizil. Die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver und Whistler haben begonnen. Basti packt seine Sachen und verbringt einen guten Monat im exklusiven Skiresort Whistler.

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Basti bei den Olympischen Winterspielen 2010

in

WhistlerBericht vom 30.01.2010 – 06.03.2010

Anfang Januar erhielt ich eine Bekanntgabe per Rundmail der CSC (Contemporary Security Canada), meinem Arbeitsgeber während der Olympischen Winterspiele, dass Sicherheitskräfte in Whistler gebraucht werden. Whistler liegt gut zwei Autostunden nördlich von Vancouver und ist bekannt für sein exzellentes Skigebiet. Dieses zählt weltweit zu den besten Skigebieten, was die Größe des Areals, die Beschaffenheit der Pisten sowie das Nachtleben betrifft. Ich gab mir eine Nacht Bedenkzeit, war mir am nächsten Morgen aber sicher, dass es eine gute Entscheidung gewesen sein wird, diese Chance wahrzunehmen.

Die Komplikationen, die bis zur entgültigen Bestätigung einhergingen, dass und wann ich nach Whistler gehen werde, beschrieb ich bereits im vorangegangenen Bericht. Letztenendes fügte sich aber ein Umstand dem anderen. Meine zwei Arbeitgeber fühlten sich nicht hintergangen, dass ich Vancouver so plötzlich verlasse und für die Winterspiele arbeite, mein Zimmer konnte auf den Tag genau untervermietet werden, sodass ich zum einen keine Miete in Vancouver zahlen muss sowie zum anderen im März wieder bei meinen vier ehemaligen Mitbewohnern einziehen kann, und ich wurde rechtzeitig vorher zu meiner ersten Schicht am 1. Februar in meine Unterbringung gefahren.

Die temporäre Unterbringung aller 1600 in Whistler stationierten Sicherheitskräfte ist, wenn man bedenkt, dass das gesamte Dorf lediglich für die Olympischen Winterspiele aus dem Boden gestampft wurde, recht luxuriös. Auf den ersten Blick mag es erschrecken, für die kommenden Wochen zusammengefercht in Containern hausen zu müssen. Aber genau dies schweißt uns Mitarbeiter auch widerum zusammen, da eine Art „Klassenreisengefühl“ entsteht.

Neben einem Internetcafe, welches zwar bislang eher für seine Langsamkeit sowie Totalausfälle berühmt geworden ist, gibt es Gemeinschaftsräume mit Billard, Tischfußball, Tischtennisplatten und Fernsehern. Letztere hängen auch in jedem Essenssaal an der Wand, sodass die tägliche Dosis Olympia bequem bei der Nahrungsaufnahme zu sich genommen werden kann. Letztere werde ich nach Abschluss der Spiele aber wieder meiden müssen, um der Dauerberieselung durch NHL (North American Hockey League), NFL (dieselbe Soße mit American Football) oder Chelsea-ManU-wen-interessiert-denn-das-Gekicke zu entgehen. Daneben gibt es kostenlose Benutzung von Waschmaschinen und Trocknern sowie angemessen geräumige Badezimmer mit Dusche, die zwar gemeinschaftlich genutzt werden, aber meist in einem hygienisch akzeptablen Zustand auffindbar sind. Der öffentliche Nahverkehr in Vancouver und in Whistler sind für uns Mitarbeiter die gesamte Zeit von Mitte Januar bis Ende März über kostenlos, zudem wurden viele Shuttlebusse eingerichtet, die einen zu unsere Arbeitsstellen bringen. Zweimal täglich fährt sogar ein Bus zwischen Vancouver und Whistler.

CSC Rainbow Village - unser Containerdorf

Im CSC Rainbow Village, der hübschen Bezeichnung unserer Unterbringung, werden mehrmals pro Woche diverse Abende veranstaltet, z.B. Video oder Karaoke. Wie letztere Veranstaltung allerdings mit dem strikten Alkoholverbot im gesamten Areal harmoniert, habe ich bislang nicht Erfahrung gebracht. Es gibt viele Vergünstigungen bei örtlichen Freizeitangeboten wie Skiverleihen oder Wellnessbädern, einen Tag pro Woche sogar kostenlose Yoga-Stunden. Morgen Abend gehe ich z.B. mit vielen meiner Mitarbeiter ins Buffalo Bills, einer Diskothek im Zentrum von Whistler, die von der CSC extra drei Abende in Folge exklusiv für uns angemietet wurde. An Unterhaltungsangeboten mangelt es uns hier demnach nicht.

Meinen ersten Mitbewohner im 4er-Zimmer habe ich bereits in Vancouver auf dem Weg zum Shuttlebus angesprochen: Paul (30) aus Leeds, England. Ein netter, sehr ruhiger Kollege, mit dem ich auch bereits einmal auf ein Pintchen in Whistler war. Wir hofften, dass unsere anderen beiden Betten frei blieben, da es schon zu zweit in dem Zimmer nicht gerade geräumig war. Unser dritter Zimmergenosse kam dann aber bereits ein paar Tage später. Dan, Anfang 40, aus Ottawa, dort für die Regierung arbeitend. Er war unlängst in Heiligenhafen an der Ostsee und arbeitete dort für die G8. Ist also einer der Bösen. Semikolon Bindestrich Klammer zu.

Beide schnarchen. Aber die Arbeitsschichten sind anstrengend genug, sodass es trotz erhöhtem Lärmaufkommen im Zimmer dennoch nur wenige Minuten dauert, ehe man in die tiefe Schlafphase eintaucht. Die Olympischen Spiele begannen und unser letztes Bett war zum Glück immer noch nicht belegt, sodass ab dem Zeitpunkt eine weitere Person eher unwahrscheinlich erschien. Nur wenige Stunden nachdem uns dieser Umstand auffiel und wir uns darüber freuten, erschien Joe, Ende 30. Nett, rund, behaarter Rücken und Nichtschnarcher (Update vom 26.2.: hier irrte ich) aus Ontario. Auch wenn es derzeit kaum enger vorstellbar ist, bin ich doch sehr zufrieden über die Auswahl. Ich kenne Berichte von Personen mit Mitbewohnern, die stinken, klauen oder sonstige Defizite in ihrer Sozialkompetenz vorzuweisen haben. Auch einen Mitbewohner aus dem Konglomerat unserer frankophonen 19-Jährigen stelle ich mir als unfreiwillige Herausforderung vor. Vor diesem Hintergrund hat es mich gut getroffen mit drei rücksichtsvollen, ehrlichen, angenehmen Zimmergenossen, die jenes ausschliesslich zum Schlafen verwenden.

4 Betten auf ca. 80 square feet - und so ein Quadratfuß ist nicht gerade groß.

Mit dem Blick aus unserem Fenster hingegen lässt es sich leben.

MO 01.02. Erster ArbeitstagEigentlich hätte es auch heißen können „Erste Arbeitsnacht“, denn meine erste Schicht bei den Olympischen Spielen begann um Mitternacht. Meine gesamte Arbeitszeit werde ich beim Whistler Remote Vehicle Security Screening (WRVSS) verbringen. Als ich zuerst davon erfuhr, dass ich weder mit Besuchern noch Athleten zu tun haben werde, habe ich mich geärgert. Mittlerweile sehe ich die Dinge aber anders, da es nach Erzählungen von Kollegen an anderen Einsatzorten wesentlich stressiger zugeht. Jetzt gerade z.B. scanne ich keine eintreffenden Paletten sondern verfasse diesen Bericht. Es ist zudem schön zu wissen, dass lediglich die besten X-Ray-Operator zu dieser Station geschickt wurden, da der Job in der ursprünglichen Planung als am anspruchsvollsten erachtet wurde.

Von Stress an unserem Einsatzort kann nicht im Entferntesten die Rede sein. Wir freuen uns beinahe über jeden zu scannenden Truck, der an unserem Ort erscheint und der Warterei ein wenig Abwechslung beschert. Unser Arbeitsalltag besteht zu etwa 7 von 8 Stunden aus Beschäftungen, um diese 7 Stunden zu überbrücken. Dies sind in der einfachsten Variante Kartenspiele wie Asshole, Skithead, Speed oder Big Two, gefolgt von 4 Gewinnt, Pictionary und Schach bis hin zu Zeitkillern wie Monopoly. Einige schauen Filme auf ihrer PSP (Playstation Portable), andere lesen Bücher. Sogar ich – was als Indiz für die Massen an zu füllender Leerlaufzeiten angeführt werden kann. Darüberhinaus gestalteten wir unsere Zeit mit gemeinsamen Schwalbenbau, welche von der 5m hohen

Warten auf den Shuttle-Bus zur Arbeit Meine Crew während der 25-minütigen Fahrt

Das sind sie: meine Olympischen Spiele!Die letzten Momente an der frischen Luft...

Leiter abgeworfen zum Teil erstaunliche Flugweiten erreichten. Mit Jim, einem meiner Supervisor, berechnete ich einst mittels Trigonometrie und Bindfaden Länge, Breite, und Höhe unseres Zeltes, in dem wir die ganze Zeit untergebracht sind.

Unser Jenga-Spiel aus ersten Tag wurde leider irgendwann entwendet. Ich stieß glücklicherweise im örtlichen Supermarkt auf eine Quelle und besorgte neben Rubik's Cube, dem 80er Jahre Würfel, und drei Jonglierbällen gleich neun Jenga-

Sets. Letztere dienen seitdem immer wieder für heitere Turmbau-Sessions. Sofern die entstehenden Bauwerke aufgrund ihrer Komplexität nicht bereits während ihrer Konstruktionsphase Ground Zero nacheifern, folgt die weitaus spannendere Spiel-Variante Jenga pro. Was dabei zwischenzeitlich entstand, ließ meine aus Schul- und Universitätszeiten gewonnenen

Kenntnisse aus Physik und Statik zwischenzeitlich arg erschüttern. Einige der besten Exemplare wurden mit anwesenden iPhones für die Nachwelt festgehalten.

Meine beste Erfindung bislang beruht ebenfalls auf den kleinen Holzblöcken:

Mit dem Sicherheitsbeauftragten unseres Arbeitsortes klärte ich ab, dass wir einen größeren Tisch bekommen. An jedem Ende des etwa 2,5m langen Tisches sitzt ein Spieler. Vor ihm liegen zwei schwere Holzblöcke, in deren Lücke ein Plastiklöffel gesteckt wird. Wer zuerst mittels des Löffelkatapults den gegnerischen Turm zu mindestens ¾ zerstört, gewinnt das Spiel.

FR 05.02. SkifahrenDas Skigebiet Whistler-Blackcomb ist gigantisch! Das Areal erstreckt sich über zwei Berge, Mount Whistler und Mount Blackcomb, welche zudem mit der Peak2Peak-Gondel miteinander ver-bunden sind. Für meine Fähigkeiten fast ein wenig zu umfangreich, da mich auch ein Skigebiet mit lauter grünen Pisten glücklich machen würde. Aber ich will mich über das etwas mehr keinesfalls beschweren. Nach dem von gruppen-internen Kurznachrichten und Anrufen, um auf irgendeiner Bergstation zusammenzufinden, durchtriebenen ersten Skitag vor meiner Ankunft in Whistler, nahm ich mir diesmal den Berg ganz alleine vor. Ein Zusammentreffen mit ein paar Freunden war zwar angedacht, hat sich dann aber als logistisch ungünstig erwiesen. Dies kam mir an diesem Tag jedoch gelegen, zumal die Gruppe weitaus langjährigere Skierfahrung mitbrachte und mir durch die nicht ganz optimalen Schneeverhältnisse meine Oberschenkelmuskulatur deutliche Signale der Beanspruchung gab.

DO 11.02. SnowboardDas erste Mal tut bekanntlich sehr weh. Mit diesem Vorwissen, dem entsprechendem Respekt und der zwischenzeitlich immer wieder auftretenden Infragestellung meines Vorhabens bewegte ich mich nun mit nur einem Untersatz gen Gipfel. Positiv auffallen tat sofort das angenehmere Gehen gegenüber das in Skischuhen sowie das weitaus geringer ausfallende Gedöns, was es zu schleppen gilt – eines statt der Teile vierer. Unsere Fähigkeiten richtig einschätzend suchten wir den Anfängerhügel auf, auf dem wir auch den ganzen Tag über blieben.

Meine erste Abfahrt verlief erstaunlich gut. So gut, dass ich mich gleich beim zweiten Mal weitaus wagemutiger anstellte. Sehr zum Leidwesen meines Hinterteils, denn dieser musste die Folgen meiner Selbstüberschätzung die anschließenden zwei Wochen ausbaden. Solch ein vereister Boden ohne Neuschnee hat es in sich, au-haua-ha. Der Muskelkater im Anschluss an den ersten Snowboard-Tag war wider Erwarten erträglich. Eine Woche später jedoch nach dem zweiten Tag konnte ich aufgrund Muskelkater im Hals meinen Kopf im Liegen für etwa drei Tage nicht ohne Schmerzen selbstständig anheben. Aber die Tage haben sich gelohnt. Nach meinen ersten zwei Stunden absolvierte ich meine erste Fahrt, bei der ich eine Idee bekam, in welche Richtung es mit der Koordination der Bewegungsabläufe in etwa wohl mal hingehen soll. Die Verfolgung und Perfektion dieser Idee war aber selbst am zweiten Tag, als wir beschlossen, den Anfängerhügel zu verlassen und die leichteste Abfahrt herunterzufahren, leider noch nicht annähernd auf ein genügendes Maß fortgeschritten, sodass dieses Unterfangen gegen Ende hin mehr zur Pein ausartete.

Snowboarden mit Donghyun

In windigen Höhen auf über 2000m..

Live bei den Olympischen Winterspielen 2010Bereits im Oktober haben sich die Leute gegenseitig verrückt gemacht, schnellstmöglich Tickets für die Spiele zu besorgen. All meine Tickets erwarb ich, als die Olympischen Spiele bereits im Gange waren. Gut, Abfahrt der Herren oder das Hockeyfinale waren nicht mehr zu haben. Aber das Geld hätte ich dafür eh nicht über gehabt. Was schade ist: das höchste Preis, der für ein Ticket für die Eishockey-Finalbegegnung zwischen Kanada und den USA auf dem Schwarzmarkt erzielt wurde, lag bei 75.000$. Hätt' ich doch nur...

DO 18.02. Snowboard Halfpipe Damen, Cypress Mountain / Vancouver

Die Eintrittskarte bot mir Stephanie an, welche die Karten von einer Arbeitskollegin bekommen hatte. Der stolze Preis von 174 $ (ca. 128 €) sollte mir dieses Ereignis wert sein. Ich sah es gute Möglichkeit, für einen Abend auch einmal den Hauptaustragungsort der Spiele zu Gesicht zu bekommen.

Das Wetter dafür hätte nicht besser sein können. Strahlend blauer Himmel und in der Sonne waren es sicher mehr als 20ºC, sodass wir uns die ersten paar Stunden auf unsere Tribüne im T-Shirt unseren ersten Sonnenbrand des Jahres holten. Die Qualifikation, das Halbfinale und das Finale dauerten von 12:30 bis 19:00 Uhr. Man hatte von überall auf der Tribüne aus eine sehr gute Sicht auf die Halfpipe, so auch von unseren Plätzen aus, welche sich ganz auf der linken Seite und recht weit unten befanden. Kamerafahrten verirrten sich daher den gesamten Tag nicht ein einziges Mal in unsere Ecke, sodass meine Panikmache per SMS nach Deutschland, mich gefälligst im Fernsehen zu suchen, leider vergebens war. Die meisten der Snowboarderinnen waren erstaunlich jung, sodass man sich bei einigen der auf Großleinwand gezeigten Hüpfer nicht entscheiden konnte, ob man sie lieber heiraten oder adoptieren wollte1. Trotz der Tatsache, dass man in meinem Fall keine der Athletinnen aufgrund nationaler Zugehörigkeit per Definition favorisieren konnte, war es doch ein unterhaltsamer und im Finale spannender Nachmittag, welcher mit der bis dato ersten Goldmedaille für Australien endete.

Olympiafieber in Vancouver

Von allen, die die Winterspiele über in Vancouver geblieben sind, habe ich mir schon von der außerordentlichen Stimmung jeden Tag in den Straßen berichten lassen. Die Stadt ist vollgepackt mit Touristen, Einheimischen, feiernden Jugendlichen, feiernden älteren Generationen. Es war für mich ein

1 Ich verbitte mir dumme Sprüche an dieser Stelle, Mädels. Ihr guckt bei der Fußball-WM auch auf die Knackärsche, sobald die Begeisterung für den eigentlichen Sport nachlässt.

v.l.n.r.: Quatchi, Basti, MigaDie Halbröhre am Zypressenberg.

komplett anderes Gefühl, an diesem Abend durch diese eigentlich vertraute, aber durch die Massen begeisterter Menschen vollkommen ungewohnt wirkende Stadt zu laufen. Stephanie, Sam und ich besichtigten das Olympische Feuer, schauten uns anschließend das allabendliche Feuerwerk an – eigentlich schaute es sich lediglich Stephanie an während Sam Hot Dogs und ich Bier besorgte –, und wir setzten uns mitsamt der Besorgungen an eines der Ufer Downtowns und unterhielten uns, bis uns Kälte und Müdigkeit auf den Heimweg schickten.

SO 21.02. Finale 2er Bob Herren, Whistler Sliding Center

Mit meiner Kollegin Rita (32, in Indonesien als Kind chinesischer Eltern aufgewachsen, 5,5 Jahre in Birmingham gelebt, dort Spanier kennengelernt, geheiratet und nun mit ihm seit 3,5 Jahren in Vancouver) besuchte ich die örtliche Rodelbahn. Wir standen die Quali-fikation über direkt an der Ziellinie und versuchten, uns mit den vorbeirauschenden Bobs zu fotografieren. Erneut bin ich von meiner Canon G10 und deren Sport-Modus beeindruckt, welches die 145km/h schnellen Geschosse zu Standbildern degradierte. An der Konstellation gegenüber dem Stand nach zwei Läufen am Vortag änderte sich am Ende leider nichts. Ich war dementsprechend ziemlich nieder-geschlagen, dass Deutschland eine Medaille verlor – Bronze ging an Russland. Immerhin konnte ich mich während des Interviews der beiden Goldmedaillisten im Anschluss an die Siegerehrung im Kamerabild der ARD suhlen. Mit Erfolg: meine Oma hat mich erkannt!

2 Sekunden vor Gold: die deutschen Jungs in ihrer letzten Kurve

„Goldmedaillisten vor ARD-Kamera“- dieses Bild ging in die Geschichte ein. Also, in meine hier.

Le feus Olympic

Das Nachtleben in WhistlerWhistler ist, wie ich anfangs erwähnt, nicht nur für seine exzellenten Skipisten bekannt. Gerade das lebhafte Treiben zu späterer Stunde erlangte guten Ruf über Kanadas Landesgrenzen hinaus. Die zum Großteil doch weniger betagten Kollegen meines Teams schienen fast kaum eine Gelegenheit auszunutzen, dies auch in vollem Umfang auszukosten. Da ich meine freien Tage vor allem für den Wintersport sowie die Erholung einplante, beteiligte ich mich nur an wenigen dieser Abende. In meiner dritten Arbeitswoche, inmitten der Olympischen Winterspiele, mietete unser Arbeitgeber für vier Tage hintereinander das Buffalo Bills. Als hätte es jemand vorher festgelegt und ausgesprochen blieb wirklich keiner meiner Kollegen auch nur ansatzweise nüchtern. Von mir existieren Videos, wie ich auf der Tanzfläche die Sau rauslasse / den Löwen mime / abgehe wie ein Hund.

Die Story des Abends sowie der nächsten Tage lieferte jedoch ein Kollege von mir. Dieser, zwar nicht viel angetrunkener als alle anderen, fiel dem Türsteher der Lokalität als zu betrunken ins Auge, woraufhin er auf ihn zukam und ihm erklärte, dass der Abend für ihn zuende sei und er ihm auf direkten Wege nach draußen zu folgen habe. Es kam für ihn total überraschend, da er sichtlich einfach nur ausgelassen tanzte und Spaß hatte und keinerlei Anzeichen von sich gab, eine potentielle Gefahr für die anderen Gäste zu sein. Wir redeten zu dritt auf den Türsteher ein, der sich dann auch erstmal überzeugen ließ, von ihm abzusehen. Keine 10 Minuten später erschien er jedoch erneut. Mein Kollege folgte ihm, kam dann allerdings auf die schlaue Idee, hinter ihm gehend auf einmal inmitten der tanzenden Leute auf der Tanzfläche einzutauchen und wieder bei uns zu erscheinen. Nur kurze Zeit später war der Türsteher wieder an Ort und Stelle und griff sich, dieses Mal ohne verbaler Überzeugungsversuche, den Ausreisser und beförderte ihn weniger sanft aus der Disko. Die ganze Situation, dass er als harmloser, ausgelassen feiernder Gast willkürlich ausgepickt und nun auf ziemlich grobe Weise hinausgeschmissen wurde, schien in meinem Kollegen eine Sicherung durchzubrennen. Als er vor der Tür des Clubs aus dem Griff des Rausschmeißers entlassen wurde, ballte er seine Faust und schlug dem Türsteher mit voller Wucht ins Gesicht. Was dann genau passierte, konnte er mir nur noch in Bruchstücken berichten. Es endete zumindest damit, dass er sich das Gesicht vor noch mehr Schlägen haltend „STOP! STOP!“ rief, bevor er kurze Zeit später von herbeieilenden Polizisten in Handschellen abgeführt wurde. Das Blut aus der Nase lief ihm auf Hemd und Jeans. Er erinnert sich, andauernd das Wort „RIDICULOUS!“ vor sich hergesagt zu haben. Über den für ihn immer noch völlig absurden Handlungsstrang, in den er geraten ist. Gegenüber den Polizisten verhielt er sich dann klugerweise sehr freundlich und kooperativ. Die Nacht verbrachte er dann zusammen mit anderen zwei drei jungen Herren für knapp 7 Stunden im „Drunk Tank“, der Ausnüchterungszelle.

Zwanzig Minuten vor Beginn seiner Arbeitsschicht wurde er entlassen. Der Bus zur Arbeit war längst abgefahren. Daher besorgte er sich ein Taxi, um noch rechtzeitig um 8:00 Uhr morgens auf der Arbeit zu erscheinen. Bei einer verpassten Schicht drohte man, seinen Bonus von 2,50$ pro Stunde (mehrere

MO, 22. Feb.: meine Kollegen und ich im Buffalo Bills

hundert Dollar über die gesamte Zeit) zu verlieren. Er erschien jedoch ohne Arbeitskleidung, ohne seinen Arbeitsausweis, wodurch er von den Polizisten auf unserer Arbeit gar nicht erst in das Areal gelassen wurde, und er hatte zudem eine vollkommen mit eigenem Blut verschmierte Jeans an. Zu seinem großen Glück waren zu dieser Zeit zwei unserer Supervisor vor Ort, die ihn gut kannten und ihn sehr mochten, sodass sie bei den Polizeibeamten ein gutes Wort für ihn einlegten. Wie er später erfuhr, hätte die Polizei ansonsten entschieden, dass er nicht mehr für die Security hätte arbeiten dürfen. Dies wären neben verlorerem Bonus auch zwei Wochen weniger Arbeit gewesen und hätte sich mit knapp 2000$ entfallenden Einnahmen zu Buche geschlagen. Somit blieb es bei für kanadische Verhältnisse recht glimpflichen 115$ für den Zellenaufenthalt, einer langen Taxifahrt (ca. 40$) und einer verpassten Arbeitsschicht (ca. 150$), also insgesamt ca. 300 CAD (225 EUR) Lehrgeld.

Am darauffolgenden Tag erschien er mit Pflaster auf der Nase auf der Arbeit. Es gab, insbesondere von Seiten der anderen männlichen Kollegen, ein riesen Hallo. „Ey buddy, nice job, eh? Har har!!“. Ich sah ihm an, wie unerwünscht ihm diese Art der Kommentierung des Vorfalls war. Ich unterhielt mich später etwas länger unter vier Augen mit ihm und er erzählte mir die gesamten Abläufe. Durch die Nacht in der Zelle, die er lediglich im T-Shirt verbracht hatte, seine Jacke und Pullover befanden sich noch in der Garderobe der Diskothek, hatte er sich nun eine dicke Erkältung eingefangen. Den Tag danach hatte er sich so elend wie lange nicht mehr gefühlt. Zum geringen Teil mit Sicherheit auch aufgrund eines Katers durch den Alkohol am Vorabend. Vielmehr zu schaffen machte es ihn jedoch, dass er dazu imstande war, seine Serie, noch niemals in seinem Leben eine andere Person geschlagen zu haben, an diesem Abend zu beenden. Er war nicht im Geringsten stolz auf sein Verhalten und war froh, als die Geschichte nach ein paar Tagen ihren Glanz als sensationelle Neuigkeit verloren hatte und er nicht mehr ständig darauf angesprochen wurde.

Weitere Geschichten aus dem Rainbow VillageNeben dieser hautnah miterlebten Geschichte aus unseren eigenen Reihen sorgten natürlich weitere Stories aus dem Rainbow Village für Aufsehen.

Da war zum Beispiel der Supervisor, der gleich in der ersten Arbeitswoche nachts mithilfe einer weiteren Security-Angestellten im Gang des Hauptgebäudes unserer Unterkunft (!) sich passiv der oralen Befriedigung hingegeben hat. Beide entlassen.

Oder ein anderes Paar, welches den TV-Gemeinschaftsraum für ein ideales Plätzchen koitaler Handlungen hielt. Die Aufsicht war anderer Meinung – au revoir...

Schliesslich war da noch der junge Herr, der als Krönung seines Partyabends beschloss, den nächsten Benutzer einer der Waschmaschinen am folgenden Morgen damit zu überraschen, dass dessen Wäsche mitsamt seiner Notdurft „gereinigt“ wurde. Er wäre einer sofortigen Suspendierung sicherlich entgangen, wäre ihm beim Kacken in die Trommel nicht auch noch sein Portemonai inklusive aller Ausweispapiere mithineingefallen.

Es wurden jedoch auch Personen entlassen, die einfach ihre Arbeit nicht korrekt ausgeführt haben. Unsere Arbeitsanweisung bei dem Durchleuchten einer Tasche lautete:

• falls nichts Verdächtiges zu sehen ist, Tasche an den Besitzer aushändigen

• falls etwas Verdächtiges zu sehen ist oder noch Unklarheiten bestehen, Besitzer um Erlaubnis bitten und die Tasche durchsuchen

• falls sich offensichtlich eine Waffe in der Tasche befindet, Tasche im Tunnel belassen und Polizisten heranholen

Ein Supervisor, der von einem X-Ray-Operator herangerufen wurde, da sich eine Pistole in einer

Tasche befand, nahm die Pistole einfach aus der Tasche und schmiss sie in die Abfalltonne, in der einbehaltene Trinkflaschen und andere nicht erlaubte Gegenstände eingesammelt werden. Bei der Pistole handelte es sich zwar lediglich um die eines Polizeibeamten in zivil, der zum Testen unserer Security seine Dienstwaffe hineinschmuggeln wollte, dennoch sorgte diese grob fahrlässige Fehlentscheidung für einen vorzeitigen Abgang des Supervisors.

Ich habe mir in der Kollegschaft einen guten Namen gemacht, als ich das Gruppenfoto, welches ich in die Wege geleitet habe, auf meine eigens dafür erstellte Webseite gepackt habe. Ähnlichkeiten mit der Homepage unseres Arbeitgebers sind rein zufällig. Hier meine Seite: http://csc.bastianschulz.com/

Abschließend möchte ich noch ein Zitat anfügen. Es stand auf einem Flipboard beim Mitarbeiter-CheckIn in einem der Zelte, in denen wir arbeiteten, geschrieben. Vor dem Hintergrund, wieviel wir wirklich zu tun hatten, rief es doch zumindest ein Schmunzeln hervor:

Obviously, there is little you can learn from doing nothing.Zig Ziglar

Nichts gelernt demnach. Dafür einiges erlebt.

In der nächsten Folge:Frühling in Vancouver