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1 Auslegung der Zahnrad-Mikrogeometrie – Schritt für Schritt Dr.-Ing. Ulrich Kissling, KISSsoft AG, Schweiz Zusammenfassung Die letzte Phase bei der Auslegung eines Zahnrads besteht in der Bestimmung der Flankenlinien- und Profilkorrekturen (der „Mikrogeometrie“). Hierzu muss zunächst die Zielsetzung festgelegt werden: soll primär in Hinblick auf Geräuschentwicklung, Lebensdauer, Fressen, Micropitting oder Wirkungsgrad optimiert werden? Sicher ist, dass nicht alles gleichzeitig erreicht werden kann und bestimmte Massnahmen die eine Eigenschaft verbessern, die andere hingegen verschlechtern. Da die Berechnungsmethode zum Nachweis der durch Mikrogeometrie erzielten Wirkungen, die Kontaktanalyse unter Last („Loaded Tooth Contact Analysis“, LTCA), aufwendig und die Interpretation der Resultate komplex ist, kann der Designingenieur leicht die Übersicht verlieren und damit die optimale Lösung verpassen. Bei der Konstruktion einer Verzahnung benötigen wir heute deutlich mehr Zeit für die Optimierung der Mikrogeometrie als für die Makrogeometrie. Umso erstaunlicher ist, dass in der Fachliteratur das Thema Mikrogeometrie sehr knapp behandelt wird. Bei Niemann [1] wird beispielsweise die Thematik Profilverschiebung über 5 Seiten besprochen, während den Flankenlinien- und Profilkorrekturen gerade einmal 3 Seiten gewidmet werden! Bei einer gezielten Auslegung der Mikrogeometrie muss schrittweise vorgegangen werden, zuerst sollte die Flankenlinien-, dann die Profilkorrektur spezifiziert werden. In dieser Arbeit wird beschrieben, wie eine Auslegung mit einem 3-Schritt-Verfahren zielgerichtet vorgenommen werden kann. Zur Bestimmung der optimalen Flankenlinienkorrektur gibt es generell nur ein Auslegungskriterium: das Erreichen einer möglichst konstanten Linienlast über der Zahnbreite und insbesondere das Vermeiden von Kantenträgern (höchste Last am Ende der Zahnbreite). Der Verlauf des Klaffens im Zahneingriff entsteht durch die elastische Verformung der Wellen, die durch die Betriebskräfte verursacht wird, sowie durch die Herstellabweichungen (Toleranzen). Die Auslegung der Flankenlinienkorrektur erfolgt bevorzugt in zwei Schritten. In Schritt 1 bestimmen wir die ideale Flankenlinienkorrektur bei mittlerer Toleranzlage ohne Berücksichtigung von Herstellabweichungen (Toleranzen). Ziel ist das Erreichen einer konstanten Lastverteilung über der Zahnbreite. Damit wird die höchstmögliche Lebensdauer erreicht. Da die Verformung der Wellen von der Belastung abhängt, muss festgelegt werden, für welches Drehmoment die Korrektur ausgelegt werden soll. Bei komplexen Lastkollektiven ist dies keine einfache Sache. Deshalb wird hier eine spezielle Technik verwendet, um unter Einbezug des Lastkollektivs die maximale Lebensdauer zu erreichen. Die Verwendung der sogenannten eindimensionalen Kontaktanalyse [2] (nach ISO 6336-1, Anhang E [3]) ist hierzu optimal geeignet. Ist die Flankenlinienkorrektur für die mittlere Toleranzlage in Schritt 1 ermittelt, werden in Schritt 2 die Fertigungstoleranzen durch eine zusätzliche Korrektur ausgeglichen. Toleranzen (Herstellabweichungen) bewirken eine zufällige Vergrösserung/Verkleinerung des Klaffens über der Zahnbreite. Um Kantenträger in allen möglichen Kombinationen von Abweichungen zu vermeiden, ist in den meisten Fällen eine zusätzliche, symmetrische Korrektur

Auslegung der Zahnrad-Mikrogeometrie Schritt für Schritt · 3 einfachen Regeln gemacht, ohne zu prüfen, ob die angewendete Regel für einen spezifischen Fall geeignet war. In den

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Auslegung der Zahnrad-Mikrogeometrie – Schritt für Schritt

Dr.-Ing. Ulrich Kissling, KISSsoft AG, Schweiz

Zusammenfassung

Die letzte Phase bei der Auslegung eines Zahnrads besteht in der Bestimmung der Flankenlinien- und Profilkorrekturen (der „Mikrogeometrie“). Hierzu muss zunächst die Zielsetzung festgelegt werden: soll primär in Hinblick auf Geräuschentwicklung, Lebensdauer, Fressen, Micropitting oder Wirkungsgrad optimiert werden? Sicher ist, dass nicht alles gleichzeitig erreicht werden kann und bestimmte Massnahmen die eine Eigenschaft verbessern, die andere hingegen verschlechtern. Da die Berechnungsmethode zum Nachweis der durch Mikrogeometrie erzielten Wirkungen, die Kontaktanalyse unter Last („Loaded Tooth Contact Analysis“, LTCA), aufwendig und die Interpretation der Resultate komplex ist, kann der Designingenieur leicht die Übersicht verlieren und damit die optimale Lösung verpassen.

Bei der Konstruktion einer Verzahnung benötigen wir heute deutlich mehr Zeit für die Optimierung der Mikrogeometrie als für die Makrogeometrie. Umso erstaunlicher ist, dass in der Fachliteratur das Thema Mikrogeometrie sehr knapp behandelt wird. Bei Niemann [1] wird beispielsweise die Thematik Profilverschiebung über 5 Seiten besprochen, während den Flankenlinien- und Profilkorrekturen gerade einmal 3 Seiten gewidmet werden!

Bei einer gezielten Auslegung der Mikrogeometrie muss schrittweise vorgegangen werden, zuerst sollte die Flankenlinien-, dann die Profilkorrektur spezifiziert werden. In dieser Arbeit wird beschrieben, wie eine Auslegung mit einem 3-Schritt-Verfahren zielgerichtet vorgenommen werden kann.

Zur Bestimmung der optimalen Flankenlinienkorrektur gibt es generell nur ein Auslegungskriterium: das Erreichen einer möglichst konstanten Linienlast über der Zahnbreite und insbesondere das Vermeiden von Kantenträgern (höchste Last am Ende der Zahnbreite). Der Verlauf des Klaffens im Zahneingriff entsteht durch die elastische Verformung der Wellen, die durch die Betriebskräfte verursacht wird, sowie durch die Herstellabweichungen (Toleranzen).

Die Auslegung der Flankenlinienkorrektur erfolgt bevorzugt in zwei Schritten. In Schritt 1 bestimmen wir die ideale Flankenlinienkorrektur bei mittlerer Toleranzlage ohne Berücksichtigung von Herstellabweichungen (Toleranzen). Ziel ist das Erreichen einer konstanten Lastverteilung über der Zahnbreite. Damit wird die höchstmögliche Lebensdauer erreicht. Da die Verformung der Wellen von der Belastung abhängt, muss festgelegt werden, für welches Drehmoment die Korrektur ausgelegt werden soll. Bei komplexen Lastkollektiven ist dies keine einfache Sache. Deshalb wird hier eine spezielle Technik verwendet, um unter Einbezug des Lastkollektivs die maximale Lebensdauer zu erreichen. Die Verwendung der sogenannten eindimensionalen Kontaktanalyse [2] (nach ISO 6336-1, Anhang E [3]) ist hierzu optimal geeignet.

Ist die Flankenlinienkorrektur für die mittlere Toleranzlage in Schritt 1 ermittelt, werden in Schritt 2 die Fertigungstoleranzen durch eine zusätzliche Korrektur ausgeglichen. Toleranzen (Herstellabweichungen) bewirken eine zufällige Vergrösserung/Verkleinerung des Klaffens über der Zahnbreite. Um Kantenträger in allen möglichen Kombinationen von Abweichungen zu vermeiden, ist in den meisten Fällen eine zusätzliche, symmetrische Korrektur

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(Flankenlinien-Breitenballigkeit oder -Endrücknahme) die einzig praktikable Lösung. Wie gross die Rücknahme (Cb-Wert) einer solchen Korrektur gewählt wird, ist von statistischen Erwägungen und der Erfahrung abhängig.

Wenn die Flankenlinienkorrektur definiert ist, folgt im dritten Schritt die Bestimmung der Profilkorrekturen. Nun ist das primär zu erreichende Ziel (Auslegungskriterium wie Geräuschemission, Lebensdauer etc.) sehr wichtig. Als Berechnungsmethode muss die Kontaktanalyse (LTCA) eingesetzt werden, was zeitaufwendig sein kann, wenn mehrere Varianten geprüft werden müssen. Speziell zu diesem Zweck wurde ein Programm-Modul entwickelt. Es erzeugt eine Liste von Varianten, rechnet alle durch und zeigt dann eine übersichtliche Darstellung der Resultate. Der Berechnungsablauf ist vollautomatisch, da es im Extremfall Stunden dauern kann, wenn hunderte Profilkorrektur-Kombinationen mit LTCA durchgerechnet werden. Eine typische Anwendung ist die Minimierung der Drehwegabweichung, indem Betrag und Länge der Kopfrücknahme von Ritzel und Rad unabhängig voneinander systematisch variiert werden.

Da eine Profilkorrektur wiederum einen gewissen Einfluss auf die Breitenlastverteilung hat, kann nebst Profilkorrektur auch die zuvor bestimmte Flankenlinienkorrektur mitvariiert werden. Die Resultate werden sowohl graphisch als in konfigurierbarer tabellarischer Form dargestellt. Für interessante einzelne Varianten stehen in einem Protokoll auch sämtliche Detailresultate aus der LTCA zur Verfügung.

Die beschriebene Mikrogeometrie-Optimierung kann für Stirn- oder Kegelradpaare eingesetzt werden. Bei Bedarf kann sie auch in Kombination mit einer Analyse der Gehäuseverformung aus einer FEM-Berechnung angewendet werden. Bei Planetenstufen erfolgt die Optimierung für sämtliche Eingriffe im System inklusive der Verformungen des Planetenträgers aus einer integrierten FEM-Berechnung. Die Methodik hat sich seit ihrer Einführung vor zwei Jahren als sehr erfolgreich erwiesen, beispielsweise in der Windkraft oder bei Schiffsantrieben – Anwendungen, in denen das Definieren der Korrekturen wegen der extremen Lastkollektive sehr anspruchsvoll ist.

1 Einleitung: Verwendung von Korrekturen

In dieser Arbeit wird beschrieben, wie man mithilfe eines 3-Schritt-Verfahrens auf einfache Weise die optimalen Profil- und Flankenlinienkorrekturen für ein bestimmtes Zahnradpaar ermittelt. Die Auslegung der Korrekturen ist der letzte Schritt bei der Konstruktion eines Zahnrads. Es ist daher sehr wichtig, zu bedenken, dass sich eine schlechte Makrogeometrie (Modul, Schrägungswinkel, Profilverschiebung etc.) mit keiner noch so guten Mikrogeometrie ausgleichen lässt. Die Wahl der bestmöglichen Makrogeometrie [4] ist von entscheidender Bedeutung, bevor mit der eigentlichen Auslegung von Korrekturen begonnen wird.

Flankenlinien- und Profilkorrekturen werden in der Industrie seit langem vorgenommen. Dennoch ist die Auslegung von Korrekturen nach wie vor keine leichte Aufgabe. In der Literatur finden sich erstaunlich wenige Informationen zu diesem Thema. Niemann [1] gibt nur wenige allgemeine Hinweise im Vergleich zur detaillierten Besprechung wesentlich weniger komplexer Problemstellungen wie beispielsweise der Auslegung der Profilverschiebung.

Ein Problem ist, dass sich die Auswirkungen von Korrekturen nur mithilfe einer LTCA [5] überprüfen lassen. Die LTCA ist ein komplexes, FEM-ähnliches Berechnungsverfahren, das viel Rechenzeit erfordert. Hinzu kommt, dass diese Art Software den meisten Getriebekonstrukteuren nicht zur Verfügung stand oder dass ihnen die Nutzung für ihre Zwecke zu kompliziert war. Aus diesem Grund wurden Korrekturen meist mit Hilfe von

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einfachen Regeln gemacht, ohne zu prüfen, ob die angewendete Regel für einen spezifischen Fall geeignet war.

In den letzten Jahren ist die Nutzung von LTCA-Software einfacher geworden. Für eine LTCA-Berechnung werden alle Raddaten inklusive der Geometrie- und Lastvorgaben der Wellen benötigt. Die Eingabe der erforderlichen Daten für ein eigenständiges Programm ist daher kompliziert und zeitaufwändig. In einer modernen Systemsoftware wie KISSsys [6], in der die gesamte Antriebskette mit Zahnrädern, Wellen und Lagern modelliert wird, stehen sämtliche Daten für eine LTCA zur Verfügung und die Berechnung wird ohne weitere Eingaben durchgeführt.

Die heutige Nachfrage am Markt nach leichteren, kostengünstigeren und stärkeren Getrieben sowie die Verfügbarkeit einfach zu nutzender LTCA-Software haben beträchtliche Änderungen in vielen Konstruktionsbüros mit sich gebracht. LTCA als Werkzeug für die Überprüfung und Verbesserung der Effizienz von Korrekturen findet immer grössere Verbreitung.

Leider ist die Interpretation von LTCA-Resultaten nicht einfach. Sämtliche an einem Zahnradpaar vorgenommene Korrekturen beeinflussen sich gegenseitig, daher ist es schwierig, zu entscheiden, welche Korrektur hinzuzufügen oder zu ändern ist. Da die Berechnungszeit für eine präzise LTCA nach wie vor im Bereich von 10–30 Sekunden liegt, kann sich der Konstruktionsprozess als sehr langwierig erweisen. In der Folge wird er möglicherweise abgebrochen, bevor die bestmögliche Lösung gefunden wurde.

Da er dieser Problematik in vielen Konstruktionsprojekten begegnete, entwickelte der Autor eine Strategie für die Ermittlung der optimalen Kombination von Korrekturen mit einem schnellen, praktikablen Verfahren.

2 Schritt 1: Auslegung der theoretischen Flankenlinienkorrekturen

Im ersten Schritt des Verfahrens zur Korrekturauslegung wird die theoretische Flankenlinie bestimmt. Im Gegensatz zu Profilkorrekturen, wo viele Ziele erreicht werden können, liegt das Augenmerk bei der Flankenlinienkorrektur immer auf einer möglichst gleichmässigen Lastverteilung über der Zahnbreite. Hier kann deshalb eine einfache, zielführende Technik eingesetzt werden.

Die Auslegung der Flankenlinienkorrektur in zwei Schritten hat sich als gute Strategie erwiesen. In Schritt 1 bestimmen wir die ideale Flankenlinienkorrektur bei mittlerer Toleranzlage ohne Berücksichtigung von Herstellabweichungen (Toleranzen). Ziel ist das Erreichen einer konstanten Lastverteilung über der gesamten Zahnbreite. Damit wird die höchstmögliche Lebensdauer erreicht. Da die Verformung der Wellen von der Belastung abhängt, muss festgelegt werden, für welches Drehmoment die Korrektur ausgelegt werden soll.

Bei einem komplexen Lastkollektiv ist dies keine einfache Sache. Deshalb wird eine spezielle Methode empfohlen, um unter Einbezug des Lastkollektivs die maximale Lebensdauer zu

erreichen. In Anhang E von ISO 6336-1 [3], „Analytische Bestimmung der Lastverteilung“ wird eine sehr nützliche Methode zum Erzielen eines realistischen Werts für die

Lastverteilung und den Breitenlastfaktor KH beschrieben, die deutlich schneller ist als die klassische LTCA. Bei dem Algorithmus handelt es sich im Wesentlichen um eine eindimensionale Kontaktanalyse, die gute Angaben zur Lastverteilung über der Zahnbreite liefert. Aus den Verformungen von Wellen und Lagern wird das Klaffen in der Eingriffsebene bestimmt. Mit der Zahneingriffssteifigkeit (z.B. nach ISO 3663-1 [3]) ergibt sich daraus die Lastverteilung. An Eingabedaten wird die Geometrie beider Wellen (mit Lagern und

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Belastungen) benötigt (wie bei der LTCA). Der Trend in der modernen Zahnradsoftware geht zu Systemprogrammen, die in der Lage sind, eine komplette Kraftübertragungskette zu berechnen. In diesen Anwendungen stehen alle erforderlichen Daten für eine Lastverteilungsanalyse zur Verfügung. Die Methode ist daher einfach anzuwenden und liefert präzise Angaben zur Linienlastverteilung über der Zahnbreite. Diese Informationen sind im Rahmen des Konstruktionsprozesses eines Zahnrads von Nutzen, wenn möglichst schnell ein nahezu perfekter Vorschlag für die beste Flankenlinienkorrektur gefunden werden muss. Selbst bei komplizierten Lastkollektiven ist es möglich, die beste Korrektur zu finden und somit die Lebensdauer insgesamt erheblich zu steigern [2, 7]. Aus diesem Grund eignet sich diese „eindimensionale Kontaktanalyse“ ideal für diesen Zweck.

Bei der Berechnung mit nomineller Belastung (kein Lastkollektiv) ist es einfach, eine Auslegungsfunktion bereitzustellen, die eine nahezu optimale Flankenlinienkorrektur vorschlägt, die sich aus Schrägungswinkelkorrektur und Breitenballigkeit zusammensetzt. Eine solche Auslegungsfunktionalität ist in KISSsoft [6] (Abb. 1) implementiert. Für Lastkollektive steht eine weitere Funktionalität zur Verfügung, welche die Korrekturen variiert, um die Variante zu finden, welche die höchste Gesamtlebensdauer erreicht. Diese Methode ist in früheren Veröffentlichungen [2] beschrieben.

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Lastverteilung vor der Auslegung

Lastverteilung nach der Auslegung

Abbildung 1: Vorschlag für eine optimale Flankenlinienkorrektur mit dem Ziel einer konstanten Lastverteilung für eine Einstufenbeanspruchung (Eingangsstufe eines

zweistufigen Industriegetriebes)

3 Schritt 2: Berücksichtigung von Fertigungstoleranzen der Flankenlinie

Ist die Flankenlinienkorrektur für die mittlere Toleranzlage in Schritt 1 ermittelt, müssen die Fertigungsabweichungen bzw. Fertigungstoleranzen berücksichtigt werden. Bei der Auslegung einer Korrektur werden normalerweise hauptsächlich zwei Toleranzen verwendet:

- Flankenlinien-Winkeltoleranz f H der Zahnräder (beispielsweise nach ISO 1328 [7])

- Achslagetoleranzen f,f (Parallelität der Wellen, ISO/TR 10064)

(fAchsschränkung; f:Achsneigung)

Fertigungsabweichungen werden durch eine zusätzliche Korrektur in Schritt 2 kompensiert. Abweichungen bewirken eine zufällige Vergrösserung oder Verkleinerung des Klaffens über der Zahnbreite. Um Kantenträger in allen möglichen Kombinationen von Fertigungstoleranzen zu vermeiden, ist in den meisten Fällen eine zusätzliche, symmetrische Korrektur (Flankenlinien-Breitenballigkeit oder -Endrücknahme) die einzig praktikable Lösung. Welche Grösse für die Rücknahme (Cb-Wert) einer solchen Korrektur gewählt wird, ist von statistischen Erwägungen und der Erfahrung abhängig.

Steht dieses Wissen nicht zur Verfügung, kann das folgende Verfahren angewendet werden: In ISO 6336-1, Anhang B, wird bei Zahnrädern mit einer Flankenlinienkorrektur zur Kompensierung einer Verformung eine Breitenballigkeit von

Cb = fH (1)

für beide Zahnräder vorgeschlagen. Wird für die Kompensierung der Verformungen bereits eine Breitenballigkeit verwendet (Schritt 1), muss der tatsächliche Wert der Breitenballigkeit um Cb entsprechend Gleichung 1 erhöht werden.

Bei Anwendung einer solchen zusätzlichen Korrektur ist die Lastverteilung über der Zahnbreite gemäss Schritt 1 natürlich nicht mehr gleichmässig. Aus diesem Grund kommt es zu einem Anstieg des Breitenlastfaktors KHDas Ziel besteht in der Vermeidung von Kantenträgern in

allen möglichen Kombinationen von Abweichungen. Das in ISO 6336-1, Anhang E,

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beschriebene Verfahren ist wiederum sehr hilfreich; hier wird empfohlen, Fertigungstoleranzen

zu berücksichtigen (fH für die Flankenlinien-Winkeltoleranz der Zahnräder fHT1+fHT2 und fma

für den Wellenversatz in der Wälzebene). KH muss fünfmal berechnet werden: Ohne Toleranz,

dann mit fH & +fma, +fH & -fma, -fH & +fma, -fH & -fma. Der höchste berechnete KH-Wert wird

in den Berechnungen der Tragfähigkeit verwendet. Bei allen fünf Kombinationen muss die Linienlastverteilung innerhalb des Wälzkreisdurchmessers berechnet und auf Kantenträger überprüft werden (Abb. 2).

Der Wellenversatz in der Wälzebene lässt sich aus den Achslagetoleranzen f,f berechnen:

fma = f * cos(wt) + f * sin(wt) (2)

In KISSsoft [6] ist diese Aufgabe bei Berechnung des Breitenlastfaktors nach Anhang E unter

Berücksichtigung von Fertigungstoleranzen implementiert. Die Toleranzen fH und fma können dann eingegeben und die Werte für die Breitenballigkeit Cb festgelegt werden (Abb. 3). Die Abbildung zeigt einen Vorschlag für die Grösstwerte oder für realistische Werte (97 Prozent Wahrscheinlichkeit). Normalerweise ist es sinnvoller, die statistisch gewichteten Werte zu verwenden.

Wird die Lastverteilung aller fünf +-fHfma-Varianten in derselben Grafik dargestellt, ist eine Überprüfung auf Kantenträger einfach. Wie in Abb. 2 zu sehen, ist die Lastverteilung im Fall der statistisch gewichteten Toleranzen perfekt. Selbst im unwahrscheinlichen Fall maximaler Toleranzen werden Kantenträger vermieden. Die Verwendung des Vorschlags in ISO (Gleichung 1) ist in diesem Fall eine gute Entscheidung.

Abbildung 2: Lastverteilung mit verschiedenen Werten für die Fertigungsabweichung.

Linke Seite: fH / fma= 31.2 / 0 m (statistisch bewertet); rechte Seite: fH / fma= 20 / 27.8

m (Maximalwerte)

Für Lastkollektive empfiehlt sich normalerweise die Verwendung des Lastkollektivelements mit dem höchsten Drehmoment mit anschliessender erneuter Überprüfung des Ergebnisses mit dem niedrigsten Drehmoment.

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Abbildung 3: Vorschläge für fH / fma und Werte für die Breitenballigkeit nach Gleichung 1

(Eingangsstufe eines zweistufigen Industriegetriebes)

4 Schritt 3: Profilkorrekturen

Wenn die Flankenlinienkorrektur definiert ist, folgt im dritten Schritt die Bestimmung der Profilkorrekturen. Wichtige Eigenschaften wie Geräuschentwicklung, Verluste, Micropitting, Fressen und Verschleiss lassen sich durch Profilkorrekturen verbessern. Aus diesem Grund müssen die Auslegungskriterien definiert werden. Anschliessend wird die entsprechende Strategie verfolgt.

Der Konstrukteur muss ausserdem festlegen, bei welchem Drehmomentwert (oder bei welchem Lastkollektivelement, falls ein Kollektiv verwendet wird) die Korrektur optimal sein sollte. Dies liegt nicht immer auf der Hand. Beim Fressen wäre es das Spitzendrehmoment, bei der Geräuschentwicklung ist es jedoch besser, die häufigste Fahrsituation zu verwenden. Bei einem Lkw-Getriebe besteht beispielsweise das Ziel darin, bei der Autobahnfahrt im fünften Gang mit 80 km/h die geringsten Geräuschentwicklungen zu erzielen. In diesem Fall wird das entsprechende Drehmoment in der Auslegung berücksichtigt. Als Berechnungsmethode muss die LTCA eingesetzt werden, was sehr zeitaufwendig sein kann, wenn mehrere Varianten geprüft werden müssen. Eigens zu diesem Zweck wurde ein spezielles Tool entwickelt. Es erzeugt eine Liste von Varianten, rechnet alle durch und zeigt dann eine Zusammenfassung der Resultate.

Da eine Profilkorrektur auch einen gewissen Einfluss auf die Breitenlastverteilung hat, kann nebst Profilkorrektur auch die zuvor bestimmte Flankenlinienkorrektur leicht mitvariiert werden. Die Resultate werden sowohl graphisch als auch in tabellarischer Form dargestellt. Für interessante einzelne Varianten stehen in einem Protokoll auch sämtliche Detailresultate aus der LTCA zur Verfügung.

Auslegung für geringe Geräuschentwicklung

Eine geräuscharme Konstruktion ist eines der wichtigsten Kriterien beim Auslegungsprozess. Um ein geräuscharmes Verhalten zu erzielen, muss die Drehwegabweichung („Peak-to-peak Transmission Error“, PPTE) so niedrig wie möglich sein, und ein Eintrittsstoss (wegen

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Durchbiegung befinden sich die Zähne zu früh im Eingriff) muss verhindert werden. In KISSsoft wird der Eintrittsstoss im Eingriffsdiagramm mit Darstellung der tatsächlichen Eingriffslinie (Abb. 4) visualisiert. Die Drehwegabweichung ist ein direktes Resultat der LTCA-Analyse. Leider bedeutet ein niedriger PPTE-Wert nicht automatisch eine Verringerung des Eintrittsstosses. Der Eintrittsstoss kann indirekt kontrolliert werden, wenn die LTCA auch die

tatsächliche Profilüberdeckung eff dokumentiert. Ist eff grösser als die theoretische

Profilüberdeckung , so ist die Eingriffslinie verlängert, und es kommt zum Eintrittsstoss. Aus

diesem Grund sollte bei der Beurteilung einer Variante mit niedrigem PPTE auch eff

kontrolliert werden.

Abbildung 4: Eingriff der Zahnradpaare und Eingriffslinie gemäss Berechnung durch LTCA mit

Darstellung des verlängerten Kontakts am Anfang und Ende des Eingriffs.

Zur Reduzierung der PPTE hat es sich bewährt, bei Geradstirnrädern eine lange Kopfrücknahme und bei Schrägstirnrädern eine Höhenballigkeit anzuwenden. Als erster Vorschlag für die Kopfrücknahme Ca kann die einfache Regel nach Niemann [1] verwendet werden. Der Vorschlag muss zunächst durch eine LTCA-Berechnung überprüft und anschliessend nach Abgleich der resultierenden PPTE und der Länge der effektiven Eingriffslinie leicht angepasst werden.

Verwendung eines Tools zur „Korrektur-Auslegung“, für optimale Lösungen

Die individuelle Optimierung von Profilkorrekturen ist äusserst zeitaufwändig und anspruchsvoll. Und es ist nicht leicht, die Resultate einer LTCA zu evaluieren. Das Vergleichen der Resultate unterschiedlicher LTCA-Berechnungen mit leicht veränderten Korrekturen ist noch schwieriger.

Vor dem Hintergrund dieser Problematik entwickelte KISSsoft ein Konzept für ein Werkzeug zur „Korrektur-Auslegung“ in Zusammenarbeit mit einem deutschen Getriebehersteller. Der Grundgedanke besteht darin, systematisch Eigenschaften einer unbegrenzten Anzahl an Korrekturen zu variieren. Auch die Möglichkeit der Kreuzvariation von Eigenschaften einzelner Korrekturen (beispielsweise Kopfrücknahme zu Länge einer Korrektur) muss zur Verfügung stehen (Abb. 5). Auf diese Weise wird eine bestimmte Anzahl an Varianten mit unterschiedlichen Korrekturen definiert. Anschliessend wird für jede Variante eine vollständige LTCA durchgeführt, und alle relevanten Daten werden gespeichert. Dies kann schon eine Weile dauern, wenn hunderte Varianten analysiert werden, zumindest aber läuft der Prozess vollautomatisch ab.

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Registerkarte Basis: Enthält sämtliche Korrekturen, die nicht variiert werden

Registerkarte Bedingungen: Definition der Korrekturen, die variiert werden

Abbildung 5: Eingaben für das Werkzeug zur „Korrektur-Auslegung“ in Schritt 3 (die Flankenlinienkorrekturen aus Schritt 2 sind unverändert, die Profilkorrekturen werden

verändert).

Abbildung 6: Zwei Grafiken mit Resultaten (PPTE und Wirkungsgrad) aus

25 Korrekturvarianten Rot: bei 100 Prozent Last; blau: bei 75 Prozent Last

(Eingangsstufe desselben Getriebes wie in Abb. 2, 3, 5)

Als grosse Herausforderung stellte sich die Suche nach einer Möglichkeit für die Darstellung der Resultate heraus. Die Daten werden in einer Tabelle dargestellt (mit der Möglichkeit des Exports nach Microsoft Excel). Bei so vielen Zahlen in einer Tabelle fällt es allerdings schwer, den Überblick zu behalten. Will man PPTE, Verluste und die Lebensdauer der Varianten in ein und derselben Grafik darstellen, benötigt man im Prinzip ein 5D- oder sogar 10D-Diagramm. Da dies ein unlösbares Problem darstellt, kommt die parallele Anzeige einer unbegrenzten Anzahl an Netzdiagrammen zum Einsatz (Abb. 6). Im dargestellten Beispiel lassen sich die

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PPTE im Vergleich zu keinen Profilkorrekturen (Variante - in Abb. 6) von 6,3 auf 1,3 m und

die Verluste von 1,1 auf 0,7 Prozent reduzierenDer resultierende Breitenlastfaktor KH war bei

allen Varianten identisch. Aus diesem Grund mussten die Flankenlinienkorrekturen nicht verändert werden.

Werden mehr Varianten mit einer feineren Auflösung der Parameter überprüft, eignet sich eine andere grafische Darstellung der Resultate besser (Abb. 7). Es ist erstaunlich, wie gross der Einfluss der Korrekturen auf einige Versagensarten wie Micropitting (die Sicherheit reicht von 3,1 bis 1,2), auf PPTE oder auf den Wirkungsgrad (die Verluste reichen von 0,62 % bis 1,12 %) ausfallen kann.

Registerkarte Bedingungen: Definition der Korrekturen, die variiert werden

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Abbildung 7: PPTE, maximale Hertz'sche Pressung, Wirkungsgrad, Micropitting-Sicherheit

und Zahnbruchsicherheit bei Variierung der Parameter Kopfrücknahme („Wert m“ und Länge („Faktor 1“) einer bogenförmigen Kopfrücknahme (225 Lösungen, alle bei 100% Last)

5 Berücksichtigung der Gehäuse- und/oder Planetenträgersteifigkeit

Die geschickte Kombination einer FEM-Anwendung (Getriebegehäuse) mit einer Software für die Zahnradauslegung ist heute der effizienteste Ansatz. In KISSsys ist es möglich, eine Steifigkeitsmatrix aus einer handelsüblichen FEM-Anwendung zu importieren. Die Auswirkung

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der Gehäuseverformung durch die Lagerkräfte wird damit auf Lager- und Wellenverformung übertragen und beeinflusst dadurch die Lastverteilung im Zahnradeingriff.

Die beschriebene Mikrogeometrie-Optimierung kann für Stirn- oder Kegelradpaare angewendet werden – bei Bedarf in Kombination mit der Gehäuseverformung. Bei Planetenstufen erfolgt die Optimierung für sämtliche Eingriffe im System inklusive der Verformungen des Planetenträgers aus einer integrierten FEM-Berechnung.

Abbildung 8: 2-stufiges Industriegetriebe; die Gehäusesteifigkeit ist in der Auslegung der Korrekturen enthalten. Mit zusätzlicher Kraft auf der Antriebswelle (orangefarbener Pfeil).

6 Beispiel: Anwendung des 3-Schritt-Verfahrens auf ein 2-stufiges Industriegetriebe

Bei einem typischen 2-stufigen Industriegetriebe mit parallelen Wellen (Abb. 8) werden die Korrekturen mit dem 3-Schritt-Verfahren bestimmt. Das Verfahren wird zweimal wiederholt, und zwar mit und ohne Berücksichtigung der Gehäusesteifigkeit, um zu sehen, wie gross der Gehäuseeinfluss ist. Um den Effekt der Gehäuseverformung zu verstärken, wird ein Gehäuse aus Aluminium mit relativ dünnen Wänden verwendet und die Antriebswelle einer hohen Radialkraft ausgesetzt.

Zunächst werden die Lastverteilungen auf die beiden Zahnradpaare ohne Korrekturen berechnet. Die Breitenlastfaktoren werden nach Anhang E in ISO 6336-1 unter Verwendung der Wellenverformungen aus der Wellenberechnung (Tabelle 1) bestimmt.

Das Gehäuse ist 1.400 mm lang, 400 mm breit und 750 mm hoch. Die Wandstärke beträgt moderate 20 mm. Die elastische Verschiebung in den Lagerstellen beträgt etwa 0,2 mm; da die Verschiebungen in den Lagern derselben Seite bei jeder Welle jedoch ähnlich sind (alle Lager ‚b1‘, bzw. ‚b2‘ in Abb. 10), ändert sich das Klaffen im Zahneingriff nur minimal. Wie in

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Tabelle 1 ersichtlich ist, ändert sich der unter Berücksichtigung der Wellenverformung und

Gehäuseverformung berechnete Breitenlastfaktor KH nur leicht im Vergleich zum selben Faktor ohne Berücksichtigung der Gehäuseverformung. Dies weist darauf hin, dass die Gehäusesteifigkeit einen geringen Einfluss hat.

Zahnradpaar KH

Ohne Gehäuseverformung

KH

Mit Gehäuseverformung

HSS (Stufe für hohe Drehzahl)

1,17 1,16

LSS (Stufe für niedrige Drehzahl)

1,30 1,32

Tabelle 1: Breitenlastfaktoren ohne Flankenlinienkorrekturen

Im KISSsys-Modell wird die Gehäusesteifigkeit mithilfe einer aus FEM-Software importierten Steifigkeitsmatrix berücksichtigt (Abb. 9). Die resultierenden Gehäuseverformungen an den Lagerpositionen sind in einer Resultate-Tabelle dargestellt (Abb. 10). Die Verformungen sind den Lagern (typischerweise dem Wälzlager-Aussenring) in der Wellenberechnung zugeordnet und in der Zahnrad-Kontaktanalyse berücksichtigt.

Abb. 9: Eine mit FEM erstellte Steifigkeitsmatrix ist in einem KISSsys-Modell enthalten. Die Gehäusesteifigkeit wird somit in der Analyse der Lastverteilung berücksichtigt.

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Abbildung 10: Lageraussenring-Verschiebungen in mm (x: horizontal; z: vertikal; y: axial; Wellen s1, s2 und s3 mit jeweils Lagerstelle s1 und s2)

Eine Dokumentation und Erörterung aller Schritte dieses Beispiels wäre an dieser Stelle zu umfangreich. Sämtliche Details zu diesem Beispiel stehen auf Anfrage zur Verfügung. Die wichtigsten gewonnenen Resultate in diesem Kontext sind zusammengefasst:

- Die vom Designingenieur für die Berechnung der optimalen Korrekturen für beide Stufen benötigte Zeit betrug 15 Minuten.

- Die optimalen Flankenlinienkorrekturen gemäss Definition in Schritt 1 verändern sich bei Berücksichtigung der Gehäusesteifigkeit nur geringfügig (der Wert der Schrägungswinkelkorrektur ändert nur um 10 %).

- Die zusätzlichen Korrekturen in Schritt 2 und die Profilkorrekturen in Schritt 3 sind sowohl mit als auch ohne Berücksichtigung der Gehäusesteifigkeit identisch.

- Die in Schritt 2 hinzugefügte Breitenballigkeit zum Ausgleich von Fertigungstoleranzen ist wesentlich (fünfmal) grösser als die Differenz zwischen den Korrekturen von Schritt 1 zum Ausgleich der Verformungen im Zahneingriff mit und ohne Berücksichtigung der Gehäusesteifigkeit. Aus diesem Grund ist der Einfluss der Gehäusesteifigkeit für praxisorientierte Lösungen häufig so klein, dass er vernachlässigt werden kann.

Die Schlussfolgerung, dass die Gehäusesteifigkeit in den meisten Getriebeanwendungen einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Lastverteilung beim Zahneingriff hat, mag überraschen, wenn wir bedenken, dass die Verschiebung des Gehäuses in den Lagerstellen recht gross ist (etwa 0,2 mm im beschriebenen Beispiel – bei hoher äusserer Belastung von Antriebswelle und Aluminiumgehäuse). Bei einem vernünftig konstruierten Gehäuse sind die Durchbiegungen in den Lagerstellen jedoch in der Regel symmetrisch, ausserdem ändert sich die Neigung aller Wellen ähnlich, sodass das Klaffen beim Zahneingriff und die Lastverteilung praktisch unverändert bleiben. Um zu prüfen, inwieweit diese Feststellung auch bei Kegelstirnrad-, Fahrzeug- oder Planetengetrieben zutrifft, wird zurzeit eine Studie mit mehreren realen Getrieben durchgeführt.

7 Fazit

Die Optimierung von Flankenlinien- und Profilkorrekturen in einer Getriebestufe ist keine leichte Aufgabe. Das 3-Schritt-Verfahren hat sich dabei seit seiner Einführung vor zwei Jahren als äusserst erfolgreich erwiesen. Die Auslegung der Korrekturen für ein industrielles Getriebe zeigt, dass die Gehäuseverformungen bei einem Getriebe mit parallel zueinander angeordneten Wellen auch unter Berücksichtigung von aussen einwirkenden, grossen Kräften einen vernachlässigbaren Einfluss auf die resultierende Lastverteilung im Zahneingriff haben.

Page 15: Auslegung der Zahnrad-Mikrogeometrie Schritt für Schritt · 3 einfachen Regeln gemacht, ohne zu prüfen, ob die angewendete Regel für einen spezifischen Fall geeignet war. In den

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Dieses Verfahren kann auch in Anwendungsbereichen wie Windrädern, Schiffsantrieben oder Helikoptern genutzt werden, bei welchen die Definition der Korrekturen aufgrund des extremen Lastkollektivs und wegen starken Gehäuseverformungen eine Herausforderung darstellt.

8 Referenzen

[1] Niemann, „Maschinenelemente“, Band II, Springer Verlag, 1985.

[2] Kissling, U.; Application and Improvement of Face Load Factor Determination based on AGMA 927, AGMA Fall Technical Meeting 2013.

[3] ISO 6336, Teil 1, „Calculation of load capacity of spur and helical gears“, ISO Genf, 2006.

[4] Bae, I; Kissling, U.; An Advanced Design Concept of Incorporating Transmission Error Calculation into a Gear Pair Optimization Procedure; Internationale VDI-Konferenz, München, 2010.

[5] Mahr, B.; Kontaktanalyse; Antriebstechnik 12/2011, 2011.

[6] KISSsoft/KISSsys; Calculation software for machine design, http://www.KISSsoft.AG.

[7] ISO 1328-1, Cylindrical gears – ISO system of flank tolerance classification, Genf, 2013.