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Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung „Lärm macht krank, kostet Geld, verändert die betroffenen Menschen und das Leben in den Städten“

Auswirkungen von Verkehrslärm 1...Abbildung 2: Spektraldarstellung von einem Ton, Klang und Geräusch 7 Lärm ist objektiv nicht messbar, er ist das Ergebnis einer subjektiven Empfindung

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Auswirkungen von Verkehrslärm

auf die Siedlungsentwicklung

„Lärm macht krank, kostet Geld,

verändert die betroffenen Menschen

und das Leben in den Städten“

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Studienarbeit im Vertiefungsstudium Stadtentwicklungsplanung, FB 06, Universität Kassel

Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung

Bearbeiterin: Dipl.-Ing. Michaela Hellwig

Betreuer: Prof. Dipl.-Ing. Christian Kopetzki

Externer Betreuer: Dipl.-Ing. Guido Spohr, VCD Landesverband Hessen e.V.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 3

1.1 Inhalt und Ziel der Arbeit 3

1.2 Was ist Lärm? 5

1.2.1 Der Begriff Lärm und seine rechtlichen Grundlagen 7

1.3 Gliederung der Verkehrslärmtypen 12

1.3.1 Straßenverkehrslärm 12 1.3.2 Schienenverkehrslärm 12

1.4 Auswirkung von Lärm auf den Menschen und die Siedlungsentwicklung 13

1.4.1 Physische Lärmauswirkungen 14 1.4.2 Psychische Lärmauswirkungen 16 1.4.3 Soziale und ökonomische Lärmauswirkungen 17

2 Zwischenfazit 19

3 Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel 20

3.1 Übersicht über stark belastete Einfallstraßen in Kassel 21

3.2 Steckbriefe einiger „Lärmstandorte“ in Kassel 22

3.3 Allgemeine Problematiken verkehrslärmbelasteter Wohngebiete in Kassel 25

3.3.1 Fallbeispiel Ihringshäuser Straße: 29

3.4 Fazit der Lärmproblematik in Kassel 31

4 Maßnahmen zur Verkehrslärmbekämpfung 33

5 Fazit 40

6 Anhang 42

6.1 Experteninterviews 42

7 Literaturverzeichnis 54

8 Internetquellen 56

9 Interviewpartner 57

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Einleitung

3

1 Einleitung

1.1 Inhalt und Ziel der Arbeit

Einleitung und Inhalt der Arbeit

Das Thema Lärmschutz nimmt in Bezug auf die Stadtentwicklung eine immer größere Rolle ein. Der Schwerpunkt dieser Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf die Lärmbelastung durch Straßenverkehr und nur ansatzweise auf die Belastung, die von Schienentrassen aus-geht. Lärmbelastungen durch andere Lärmquellen, wie z.B. Flug- oder Gewerbelärm, werden in dieser Arbeit nicht behandelt. Durch die kontinuierliche Wandlung der Gesellschaft, seit Ende der 50’er Jahre des letz-ten Jahrhunderts, tritt das Thema Lärm immer mehr in den Vordergrund, da durch die ansteigende Wohlstandsgesellschaft immer weniger Wege zu Fuß zurückgelegt wurden. Die Städte wurden im Laufe der Jahre durch das veränderte Mobilitätsverhalten dem zunehmenden motorisierten Individualverkehr angepasst und durch größere Straßen und Stellplatzflächen erweitert. Nicht nur die zunehmende Belastung durch Abgase wurde immer mehr zum Problem, auch die Attraktivität der Städte litt zunehmend unter dem erhöhtem Verkehrsaufkommen. Immer mehr Menschen zogen aus den Städten in die Stadtrandgebiete, was eine starke Zersiedelung der Landschaft zur Folge hatte. Diesem Trend sollte durch ein neues städtebauliches Leitbild, „die Stadt der kurzen We-ge“, entgegengewirkt werden. Wohnen, arbeiten und Freizeit sollten in möglichst naher Nachbarschaft stattfinden, um unnötig lange Wege zu vermeiden. Unterstützt wurde diese Idee durch den Ausbau des ÖPNV. Ziel war es durch diese Maßnahmen große Verkehrsaufkommen und starke Umweltbelastungen zu vermeiden. Das Problem der Lärmbelästigung durch den vermehrten Straßenverkehr wurde erst nach und nach zum Thema, denn vor allem durch Verkehrslärm wird die Wohn- und Lebensqualität der Bürger stark beeinträchtigt. Besonders betroffen durch Verkehrslärm sind Bewohner zentrumsnaher Stadtbezirke sowie Wohnsiedlungen, die von Hauptver-kehrsstraßen, Schienentrassen oder Einflugschneisen eingegrenzt sind. Die Konsequen-zen dieser Lärmbelästigung sind oftmals die nur eingeschränkte Nutzung von Balkonen und Terrassen, dieser Umstand kann aber auch zur Folge haben, dass die Bewohner die Fenster immer geschlossen halten müssen, um sich vor Lärm zu schützen. In einigen Stadtgebieten sind mittlerweile strukturelle Leerstände festzustellen, die direkt auf die Lärmbelastung und die daraus resultierenden Einschränkungen zurückzuführen sind (Beispielweise in Essen an der B 1). In Deutschland gibt es ca. 44 Millionen PKW1, wodurch der Straßenverkehrslärm allge-genwärtig ist und mittlerweile der Spitzenreiter in der Belästigungsskala2 darstellt. Ca. 65%3 der Bundesbürger fühlen sich durch ihn belästigt oder gestört. Dabei trifft in diesem Zusammenhang das Verursacherprinzip zu: „Betroffene sind oft auch die Täter“, denn im Grunde tragen viele zu dem Lärm selbst bei unter dem sie leiden.

1 Vgl. BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – BUND VERKEHR: Online im Internet: http://vorort.bund.net/verkehr/themen/themen_5/themen_9.htm (08.06.2004)

2 Vgl. NEYEN, SUSANNE: S.46: (Dez. 2002) 3 ebenda. S.46: (Dez. 2002)

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Einleitung

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Anteil der durch Lärm belastete Personen Tageszeit

41% der Erwachsenen Am Tag

25% der Erwachsenen In der Nacht

17% der Erwachsenen Tag und Nacht

Tabelle 1: Durch Lärm belastete Personen in Deutschland4

Im Kampf gegen den störenden Lärm fehlt es bisher jedoch an handlungsorientierten Gesetzen mit eindeutigen Grenzwerten, die die Behörden zum Eingreifen der erforderli-chen Maßnahmen zwingen würden. Es gibt ausschließlich Regelungen zum Lärmschutz beim Neubau oder Ausbau von Straßen, jedoch keine für bereits bestehende Trassen.

Ziel der Arbeit:

Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, in wie weit Verkehrslärm Einfluss auf die Entwick-lung einer Siedlung nehmen kann und was für Konsequenzen stetige Lärmbelastungen in einer Siedlung mit sich bringen. Dazu ist es notwendig in einem ersten Schritt die Definition „Lärm“ genauer zu erläutern und die unterschiedlichen Verkehrslärmquellen aufzuzeigen. Weiterhin sollen die Gefah-ren und die Auswirkungen von einer stetigen Lärmbelastung dargestellt werden und die dadurch resultierenden notwendigen Veränderungen in einer Siedlung. Im zweiten Schritt soll am Standort Kassel die Problematik der Lärmbelastung durch Ver-kehrslärm und die daraus resultierenden Auswirkungen und Entwicklungen an verschie-denen Fallbeispielen aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang sollen die Lärmsa-nierungsstrategien der Stadt Kassel durch Interviews herausgearbeitet und demonstriert werden. Dabei spielt natürlich nicht ausschließlich das Problem „Lärmbelästigung“ eine große Rolle. Vielmehr geht es darum Lösungsvorschläge zu entwickeln, die den Gesamtcha-rakter der betroffenen Wohnstandorte aufwerten und die oftmals durch Lärm entstan-denen „Lärm - Ghettos“ wieder für eine breite Bevölkerungsschicht attraktiv machen. Zur Untermauerung der notwendigen Maßnahmen, beziehungsweise der bisher ange-wandten Strategien zur Lärmminderung sollen Experteninterviews mit Experten der kommunalen Verwaltung und Bürgerinitiativen betroffener Trassen zur Lärmbekämpfung durchgeführt werden.

4 THORAND, NADINE: S.4: (2004)

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Einleitung

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1.2 Was ist Lärm?

Die Definition von Lärm

„Lärm, ein unangenehm empfundenes Geräusch, dessen Intensität psychologisch als Lautheit, physikalisch als Lautstärke bezeichnet wird und gesundheitsschädlich sein kann.“5

Info-Fenster 1: Die Definition von Lärm

Die Definition von Lärm kommt aus der Physik und wird dort auch mit den Begriffen Schall und Akustik genauer definiert. Durch die Zustandsänderung der Luft, bezogen auf ihre Dichte entsteht Schall. Durch diese Dichteänderungen der Luft entstehen Schallwellen mit einer bestimmten Fre-quenz (gemessen in Hertz, He) die mit dem menschlichen Ohr gehört bzw. mit Messge-räten nachgewiesen werden können. Das menschliche Gehör kann Frequenzen im Bereich von ca.16 bis 20.000 Hz wahrnehmen. Je höher die Frequenz ist, desto höher wird der Ton empfunden.

- Unter 16 Hz: Infraschall - Über 20.000 Hz: Ultraschall

Abbildung 1: Wahrnehmungsbereich des menschlichen Ohrs (UBA 1988)6

Verschiedenartige Schwingungen der Schallwellen erzeugen unterschiedliche akusti-sche Wahrnehmungen:

• Gleichmäßige Schwingungen werden als Ton bezeichnet. • Mehrere Töne ergeben einen Klang. • Unregelmäßige Schwingungen werden als Geräusch bezeichnet. • Als störend empfundene Geräusche werden als Lärm wahrgenommen.

5 BROCKHAUS: (10.06.2004) 6 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.24: (1995)

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Einleitung

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Abbildung 2: Spektraldarstellung von einem Ton, Klang und Geräusch7

Lärm ist objektiv nicht messbar, er ist das Ergebnis einer subjektiven Empfindung von Schallereignissen jedes einzelnen. Laut der DIN 1320 ist Lärm „Hörschall“, der die Stille oder eine gewollte Schallaufnahme stört und zu Belästigungen oder zu Gesundheitsschädigungen führt. So werden die physikalisch neutralen Begriffe Schall und Akustik durch persönliche Emp-findungen zu einem negativen Begriff, der aktiv auf des tägliche Leben Einfluss nimmt. Schall wird in Dezibel dB gemessen, somit ist Dezibel die physikalische Dimension des Schalls und stellt die Schallstärke im dekadischen Logarithmus dar.

Die Begriffe Dezibel und Schall laut Brockhaus

Dezibel Zeichen dB, dekadisch Logarithmus, Schalldruckpegel (Bezugsschalldruck Hör-schwelle) und ist bei Normschall von 1000 Hz zahlenmäßig gleich der Lautstärke in Phon8

Schall, Physik: mit räuml. und zeitl. Änderungen der Dichte bzw. des Druckes verbunde-ne Störung eines materiellen Mediums, die sich wellenförmig ausbreitet (S.-Wellen), wo-bei alle davon erfassten Teilchen um ihre Ruhelage schwingen (S.-Schwingungen). Bei S.-Wellen in Flüssigkeiten und Gasen schwingen die Teilchen des Mediums in Ausbrei-tungsrichtung (longitudinale Wellen), in festen Körpern auch senkrecht zu ihr (transversa-le Wellen). Die Aufnahmefähigkeit des menschl. Ohrs ist begrenzt; nur S.-Wellen von 16 bis 20000 Hz (Hörbereich) rufen eine Gehörempfindung hervor; der S. wird bei harmon. Schwingungen als Ton oder Klang, bei unharmon. Schwingungen und Schwingungs-gemischen als Geräusch, Knall oder dergleichen empfunden. Bei Frequenzen < 16 Hz spricht man von Infra-S., > 20 kHz von Ultra-S. und über etwa 1 GHz von Hyper-S. Die Lehre vom S. ist die Akustik9

Info-Fenster 2: Die Begriffe Dezibel und Schall laut Brockhaus

7 INNENMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG (Hg.): S.15 (1991) 8 BROCKHAUS:Online im Internet: http://www.brockhaus.de (10.06.2004) 9 BROCKHAUS:Online im Internet: http://www.brockhaus.de (10.06.2004)

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Einleitung

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Abbildung 3: Wahrnehmung von Lautstärken (KRELL 1990)10

1.2.1 Der Begriff Lärm und seine rechtlichen Grundlagen

Lärm ist allgemein betrachtet die häufigste Ursache von Belästigung und Beeinträchti-gung des alltäglichen Lebens11. Hervorgerufen wird Lärm durch verschiedenartige sich teilweise überlagernde Lärmquellen. Für den Bereich des Verkehrslärms sind dies der Straßen-, Schienen- und Flugverkehr.

Nach den EU-Richtlinien der letzten 20 Jahre müssen lärmmindernde Maßnahmen direkt an der Lärmquelle vorgenommen werden. Aus diesem Grund sind viele Autos in den letzten Jahren sehr viel leiser geworden. Da aber der Verkehr gleichermaßen stark zu-genommen hat, ist die Belastung durch Verkehrslärm trotzdem gestiegen. Im Grünbuch der Europäischen Kommission „Künftige Lärmschutzpolitik“ ist verankert, dass der Lärmbekämpfung in Zukunft ein höherer politischer Stellenwert eingeräumt werden soll.

Das Grünbuch schlägt folgende Maßnahmen vor: (es sind nur die Maßnahmen aufgeführt, die für diese Arbeit relevant sind)

- Bessere Erfassung der Lärmbelastung, besserer Informationsaustausch - Verringerung des Straßenverkehrslärms (Rollgeräusche, Straßenbelag, technische

Überwachung der Fahrzeuge, steuerliche Instrumente) - Bekämpfung des Schienenverkehrslärms (Emissionsgrenzwerte und Emissionszielwer-

te, variable Streckennutzungsgebühren)12

10 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.25: (1995) 11 HABERMEHL, KLAUS: S.14: (1995) 12 MAGISTRAT DER STADT WIEN: S.13: (2000)

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Einleitung

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Als allgemeinen Grenzwert wurden 65 dB(A) am Tag veranschlagt, die in Verbindung mit den allgemeinen Zielwerten des fünften Umweltaktionsprogramms festgelegt wur-den. Bis zum Jahr 2000 sollten folgende Werte erreicht werden:

- Durchschnittliche Belastung nicht über 65/55 dB(A) (Tag/Nacht), - Ein Pegel von 85 dB(A) am Tag sollte zu keinem Zeitpunkt überschritten werden,

gleichzeitig sollte der Anteil der Bevölkerung, der durchschnittlichen Lärmpegeln zwischen 55 und 65 dB(A) tagsüber ausgesetzt ist, nicht steigen,

- Die Lärmbelastung in ruhigeren Gebieten sollte nicht über 55/45 dB(A) (Tag/Nacht) ansteigen.13

Die Grenzen der zumutbaren Belastungen sind in der Verkehrslärmschutzverordnung vom 12. Juni 1990 festgelegt. Darin festgeschrieben sind drei Grade von Lärmschäden:

1. Belästigung durch Lärm mit einer Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens

2. Gesundheitsgefährdung durch Lärm, unter Umständen einhergehend mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit.

3. Gesundheitsschädigung mit objektiv nachweisbaren Gesundheitsstörungen.14

Das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ist seit 1974 das zentrale Handwerkszeug im Kampf gegen den Lärm, denn es verfolgt den Zweck, „... Menschen, Tiere und Pflan-zen ... vor schädlichen Umwelteinwirkungen... zu schützen und dem Entstehen schädli-cher Umwelteinwirkungen vorzubeugen.“15

Ein besonders wichtiges Kapitel des BImSchG nimmt in diesem Zusammenhang das Thema „Schallschutz im Städtebau“ ein. In der 16. BImSchV (Bundes-Immissions-Schutzverordnung) sind gebietsbezogene Pegel-höchstwerte bei Trassenneubauten oder größeren Umbaumaßnahmen, für Tag und Nacht festgelegt, bei deren Überschreitung Lärmminderungsmaßnahmen erforderlich werden. Da es sich hier um keine gesetzlich geregelten Grenzwerte handelt, sind die Pegelhöchstwerte reine Empfehlungswerte. Wenn eine erhöhte Lärmbelästigung je-doch durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf bereits bestehenden Straßen festge-stellt wird, besteht kein Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen nach der Verkehrs-Immissionsschutzverordnung. Weiterhin sind in der Straßenverkehrsordnung Regelungen zum Schutz vor Verkehrslärm verankert. So können an bereits bestehenden Straßen Schutzmaßnahmen wie Ge-schwindigkeitsbegrenzungen, Fahrbahnverengungen, Nachtfahrverbote für LKW oder passiver Schallschutz durch Schallschutzfenster angeordnet werden. In manchen Fällen kann es sogar zu Entschädigungen oder Ausgleichszahlungen aufgrund von Wertmin-derungen des Grundstücks kommen. Um der Belästigung durch Lärm aktiv entgegenzuwirken, sind die Leitziele der Planung klar dargestellt:

- Vermeidung absehbarer Lärmbelastung

- Verminderung der vorhandenen Lärmbelastung

13 MAGISTRAT DER STADT WIEN: S.13: (2000) 14 HABERMEHL, KLAUS: S.15: (1995) 15 DR. BAUMÜLLER, JÜRGEN / DIPL.MET. HOFFMANN, ULRICH / DR. REUTER, ULRICH: S.20: (1991)

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Diese Ziele sollen gleichermaßen mit den der Planung zur Verfügung stehenden Instru-menten verfolgt werden:

1. in der Bauleitplanung: Flächenzuordnung durch den Flächennut-zungsplan und den Bebauungsplan

2. bei Neuplanungen: Verkehrs- und Gewerbeplanungen 3. Umgestaltung betroffener Gebiete: Lärmminderungsplan nach § 47a BImSchG

4. Verkehrsentwicklungsplanung Verkehrsentwicklungspläne oder General-verkehrspläne

Mit Inkrafttreten des § 47a „Lärmminderungspläne“ des BImSchG wurde den Gemein-den 1990 ein Instrument zur Erfassung, Bewertung und Bekämpfung von Lärm in Sied-lungsgebieten zur Verfügung gestellt. Dieser § 47a stellt die Grundlage für eine erfolg-reiche Lärmminderungsplanung dar. Hiermit sind die Kommunen dazu verpflichtet, in Gebieten in denen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche verursacht wer-den oder zu erwarten sind, die Belastung und die Auswirkungen auf die Umwelt festzu-stellen und für diese Lärmminderungspläne aufzustellen. In ihnen sollen die Quellen der Lärmbelastung aufgezeigt werden und Maßnahmen zur Lärmminderung sowie der Vor-beugung und Verhinderung des weiteren Anstieges getroffen werden. Durch ihn wer-den sämtliche planende Institutionen an eine Lärmschutzverordnung gebunden, wo-durch schädlichen Umwelteinwirkungen vor allem in Wohngebieten entgegenwirkt wer-den soll. Wichtige Bestandteile einer Lärmminderungsplanung ist die Aufstellung so genannter Schallimmissions- und Konfliktpläne sowie Maßnahmenpläne. Mit deren Hilfe soll für den Verkehrsbereich aufgezeigt werden:

- Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (Kfz/ 24h/ Tag/ Nacht) - Die Fahrzeugzusammenstellung (Anteil von PKW/ LKW/ Fahrrad) - Verkehrsart (MIV/ ÖPNV/ Durchgangsverkehr) - Geschwindigkeit (erlaubte / gemessene) - Straße (Belag und Steigung) - Bebauung (Höhe, Bauweise, Bewuchs und alle Hindernisse die Einfluss auf die

Schallausbreitung haben)

Des Weiteren muss der Schienenverkehr (falls vorhanden) in die Auflistung miteinbezo-gen werden:

- Anzahl der Züge - Zugart (ICE/ IC/ RE etc.) - Länge der Züge - Geschwindigkeit - Art und Beschaffenheit der Schienen16 Wesenszug des § 47 a BImSchG ist die Notwendigkeit einer intensiven Verzahnung mit der kommunalen Bauleitplanung und der Verkehrsentwicklungsplanung (VEP). Die Ver-kehrsentwicklungsplanung stellt das zentrale Verkehrsplanungsinstrument auf kommu-naler Ebene dar. In ihm werden alle verkehrspolitischen Zielsetzungen und zukünftige Maßnahmen in der betreffenden Kommune aufgeführt. Somit ist der Verkehrsentwick-lungsplan die Grundlage aller folgenden Infrastrukturmaßnahmen. Wird dieser Plan auf der Grundlage von Rechts- und Verwaltungsvorschriften von einer Kommune oder Be-hörde, wie z.B. der Verkehrsverwaltung oder einer Landesbehörde aufgestellt, so unter-liegt er der SUP-Pflichtigkeit (Strategische Umweltprüfung). Grundsätzlich sind bei allen

16 Vgl. DR. BAUMÜLLER, JÜRGEN / DIPL.MET. HOFFMANN, ULRICH / DR. REUTER, ULRICH: S.32: (1991)

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Einleitung

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nachfolgenden Planungen der Verkehrsinfrastruktur strategische Umweltprüfungen zu empfehlen, um einer erhöhten Verkehrslärmbelastung vorzubeugen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der VEP und der Lärmminderungsplan nur nach Einzelfallprüfungen SUP-pflichtig sind, sie aber die Grundlage für eine Verbesserung der Verkehrslärmsituation darstellen. Das Baugesetzbuch (BauGB) und die Baunutzungsverordnung (BauNVO) stellen die zentralen Grundlagen für die Umsetzung der Maßnahmen des Lärmminderungsplanes und des Verkehrsentwicklungsplanes dar, da Lärmschutzmaßnahmen in der Regel ge-nehmigungspflichtige Anlagen im bauordnungsrechtlichen Sinne darstellen.

Abbildung 4: Rechtliche Grundlagen für Erstellung und Umsetzung eines Lärmminderungsplanes17

Seit Juli 2002 gibt es die EU-Umgebungslärmrichtlinie, die vom Europäischen Parlament und des Rates ins Leben gerufen wurde, um den stetig ansteigenden Umgebungslärm in den Städten bekämpfen zu können. Im Juli 2004 ist die EU-Umgebungsrichtlinie in na-tionales Recht umzusetzen gewesen. Der Gesetzesentwurf befindet sich jedoch immer noch in der Abstimmung. „Die Richtlinie setzt Fristen für die Erstellung von Lärmkarten und darauf aufbauend Lärmminderungsplänen zur Bekämpfung der wesentlichen Lärmquellen.“18 Mit dieser Richtlinie sind die Städte zwar ab sofort gezwungen gegen den steigenden Lärm anzugehen, allerdings betrifft dies nur stark belastete Ballungs-räume über 100.000 Einwohner und Hauptverkehrswege. Für alle anderen Städte und Gemeinden gilt weiterhin der §47 des BImSchG, mit dem Unterschied das es keine Fris-ten für die Erstellung von Lärmminderungsplänen gibt. Das Ziel dieser Richtlinie ist vor allem die Verringerung von Lärm in stark belasteten Ge-bieten und die Erhaltung der Ruhe in bisher ruhigen Gebieten. Ein wichtiges Ziel dieser Richtlinie ist es die Betroffenen an Trassen zu entlasten und den Verursacher in die Pflicht

17 FLÖRKE, ARNO (DIPL-ING.) / HOLTMANN, KARSTEN (DIPL-ING.) / HOLZAPFEL, THOMAS (CAND.ING.): S.5: (1994) 18 VCD: S.:16, (2003)

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Einleitung

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zu nehmen. Aus diesem Grund müssen jetzt, im Gegensatz zu der alten Regelung, die Baulastträger selbst (Kommunen, Straßenverkehrsbehörden, DB und Flughafenbetrei-ber) die zukünftige Lärmminderungsplanung bei neuen Verkehrsinfrastrukturmaßnah-men durchführen. Trotzdem fehlen Festlegungen über Immissionsgrenzwerte und anzu-wendende Instrumente im Kampf gegen den Lärm. Ein weiteres Problem stellen die unterschiedlichen Verfahren und Anwendungen in Europa dar sowie die unterschiedli-chen Zuständigkeitsbereiche innerhalb von Deutschland. Jede Lärmquelle soll laut der Eu- Umgebungsrichtlinie separat behandelt und ausgewertet werden, dabei wird aber die Überlagerung der verschiedenen Lärmquellen nicht beachtet, die jedoch innerhalb einer Stadt das häufigste Problem darstellt. Um mit dieser Richtlinie langfristig eine erhebliche Verbesserung zu erreichen, sind eini-ge Verschärfungen der bisher aufgestellten Richtlinien notwendig. Es müssen bspw. laut Aussagen des VCD schärfere Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge und Fahrwege festgelegt werden, da ansonsten keine verbindliche Zielbestimmung für eine Lärmreduktion festgelegt werden kann. Weiterhin ist es wichtig Begriffe genauer zu definieren, um auch in Grenzfällen die Qualitäten betroffener Gebiete zu erhalten und zu verbessern. Für die Zukunft ist es notwendig, dass auf der Länder-, Bundes- und EU- Ebene Instru-mente geschaffen werden, die ein einheitliches Vorgehen im Kampf gegen den zu-nehmenden Lärm ermöglichen.

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1.3 Gliederung der Verkehrslärmtypen

1.3.1 Straßenverkehrslärm

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands und der Einführung des EG- Binnenmarktes (1992) ist eine deutliche Zunahme des MIV zu verzeichnen. Vor allem Bewohner städti-scher Gebiete sind dadurch zunehmend hohen Belastungen durch Lärm und Luft-schadstoffen ausgesetzt. Ein besonderer Faktor der Lärmproduktion ist die starke Zu-nahme der Fahrleistungen und das Fahrverhalten allgemein. Straßenverkehrslärm entsteht vor allem durch die Antriebsgeräusche des Motors sowie Gaswechselvorgänge und die Geräusche der Auspuffanlage. Aber auch die Rollge-räusche der Reifen und der Fahrbahnbelag sind ein wichtiges Kriterium in der Lärment-wicklung des Straßenverkehrs. Je höher die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ist und je unebener und rauer die Fahrbahnbeschaffenheit ist, desto lauter sind auch die Rollge-räusche der Reifen. Ein großes Problem in Bezug auf die städtische Lärmminderungsplanung ist das flä-chendeckende Auftreten des Straßenverkehrs. Dabei nimmt die Störung die von LKW, Mopeds und Motorrädern ausgeht eine besondere Rolle ein. Der Lärm von Straßenverkehr lässt sich allerdings nicht ausschließlich auf gewisse Emissi-onswerte reduzieren, ebenso spielt die Anzahl der Fahrzeuge im alltäglichen Straßen-verkehr sowie die Fahrleistung und das Verhalten der Fahrer in Bezug auf Geschwindig-keit und Motordrehzahl eine wichtige Rolle.

1.3.2 Schienenverkehrslärm

Die Bahn ist das Transportmittel der Zukunft, da von ihr im Vergleich zu Kraftfahrzeugen oder Flugzeugen geringere Schadstoffmengen ausgehen. Aus diesem Grund werden die Transportmöglichkeiten auf der Schiene seit einigen Jahren zunehmend gefördert. Durch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist bis 2015 eine Verdopplung der Gütertransporte mit der Bahn zu erwarten.19 Bei dieser Strategie wurde nur ein Problem nicht ausreichend berücksichtigt: Der ent-stehende Schienenverkehrslärm. Mögliche Ursachen sind das Kurvenquietschen sowie die Rollgeräusche bspw. bei Dammtrassen. Die meisten Gütertransporte verkehren nachts, wenn die Anwohner in Siedlungsgebie-ten entlang des Schienenverlaufes schlafen möchten. Rund 1/5 der deutschen Bevölke-rung wohnt entlang solcher Bahntrassen, an denen der durchschnittliche Mittelungspe-gel bis zu 79 dB (A) beträgt. Um eine nicht gesundheitsschädigende Wirkung zu haben, sollte der Schallpegel in der Nacht 55 dB (A) nicht überschreiten. Durch die vorwiegend nächtlichen Transporte ist der Schallpegel in der Nacht bisweilen höher als am Tag. Trotz dieser Tatsachen wird Schienenlärm von der Bevölkerung nicht so störend emp-funden wie Straßenverkehrslärm. Laut einer Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) fühlen sich 77% der Befragten durch Schienenlärm gar nicht gestört, während sich nur 35% vom Straßenverkehr nicht gestört fühlen. Aus diesem Grund gibt es bei Lärmmessungen im Bereich von Bahntrassen einen Schienenbonus. Das bedeutet, dass 5 dB (A) von der wirklichen Messung subtrahiert werden und somit die Schallpegeltole-ranz wesentlich höher ist. Diese Regelung ist allerdings aufgrund der gesundheitlichen Risiken und Auswirkungen fragwürdig und erneuerungsbedürftig. Allgemein lässt sich zu der Problematik der nächtlichen Ruhestörung durch Verkehrslärm sagen, egal ob Schienen- oder Straßenverkehrslärm, die nächtlichen Störungen werden

19 BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – BUND VERKEHR: Online im Internet: http://vorort.bund.net/verkehr/themen/themen_5/themen_8.htm (08.6.2004)

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Einleitung

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meist durch Einzelereignisse geprägt und weniger durch eine dauerhafte Beschallung. Aus diesem Grund gelten für die nächtlichen Grenzwerte teilweise auch Ausnahmere-gelungen (Schienenbonus).

1.4 Auswirkung von Lärm auf den Menschen und die Siedlungsentwicklung

Lärm ist ein subjektiver Bergriff, denn neben den messbaren Werten spielt die persönli-che Einstellung zur Lärmquelle eine erhebliche Rolle. Selbst erzeugter Lärm stört immer weniger als der von anderen. Laute Musik stört manchen weniger als das Geräusch einer Bohrmaschine. „Lärm wirkt auf Körper und Geist und kostet Geld“.20 Dauerhafte Lärmeinwirkungen können den Menschen schädigen und ihn in seinen all-täglichen Tätigkeiten behindern. Lärm kann zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchti-gungen führen, das Wohlbefinden stören und sogar das Verhalten in bestimmten Situa-tionen beeinflussen. Anhaltender Lärm hat folglich physische, psychische und sogar soziale Auswirkungen, abhängig von der Art, Intensität und Dauer der Geräuscheinwir-kung.21 Zu diesem Thema wurden eine Reihe von Untersuchungen verschiedener Institu-tionen durchgeführt, die alle ergaben, dass Lärm negative Auswirkungen auf die Ge-sundheit des Menschen hat. Diese Erkenntnisse sind allerdings nicht verallgemeinerbar und werden durch die Wörter „kann“ und „könnte“ relativ offen gelassen. Die Ausnah-me bei der Lärmerkrankung stellen Hörschäden dar die auf Arbeitslärm zurückzuführen sind, da es ansonsten nicht oder nur sehr schwer nachgewiesen werden kann, dass eine Erkrankung ausschließlich auf Lärm zurückzuführen ist. Aus diesem Grund wird seit Jahren von den Lärmwirkungsforschern erwartet, dass kon-krete Grenz-, Richt-, Orientierungs- oder Schutzwerte definiert werden, um stark von Lärm betroffene Bürger besser schützen zu können. Das Problem liegt hier im Detail, denn selbst wenn Lärmwirkungen festgestellt werden, handelt es sich nicht um eine „Alles-oder-Nichts-Reaktion“, sondern um eine Risikowahrscheinlichkeit, die bei jedem Menschen je nach Lärmempfinden und eigener Gesundheit anders aussieht. 22 So ist zu erwarten, dass lärmempfindliche Menschen sensibler auf Geräusche reagieren und diese auch negativer wahrnehmen, als weniger lärmempfindliche Menschen. So kommt es immer auf die Ursache und Wirkung der störenden Lärmquelle an. Des Weite-ren kommt es darauf an, ob die Kausalwirkung einer bestimmten Lärmart auf eine Per-son zutrifft, oder ob diese indirekt auf den Betroffenen einwirkt. Dies wäre z.B. der Fall, wenn eine Person nur dann auf eine bestimmte Lärmquelle reagiert, wenn zuvor eine andere Lärmwirkung stattfand. Bei Personen die sich durch Verkehrslärm gestört fühlen und keine Aussichten auf erfolg-reiche Gegenmaßnahmen haben, können gesundheitliche Probleme auftreten sowie in ihrer Wohn- und Lebensqualität beeinträchtigt werden. Die Folge dieser einge-schränkten Lebensmöglichkeit ist oftmals der Wegzug aus der lärmbelasteten Wohnge-gend in Stadtrandgebiete, in denen es ruhiger ist.

20 BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – BUND VERKEHR: Online im Internet: http://vorort.bund.net/verkehr/themen/themen_5/themen_14.htm

(08.06.2004) 21 Vgl.: MAGISTRAT DER STADT WIEN: S.9: (2000) 22 Stadt München: www.kjr-muenchen-stadt.de/publikationen/pdf/k3_2003/k3_04_03_schwerpunkt.pdf S.13: (01.07.2004)

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Einleitung

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Derartige Entwicklungen treten jedoch oftmals erst dann ein, wenn jegliche Versuche seitens der Betroffenen, sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren bzw. eingelei-tete Gegenmaßnahmen nicht zu der gewünschten Lebenszufriedenheit führen ge-scheitert sind. „Die akustische Belastung ändert betroffene Menschen, und diese Ände-rung wäre ohne die akustische Belastung nicht zustande gekommen.“23 Von Verkehr und damit zusammenhängend vom Verkehrslärm stark betroffene Immobi-lien können nur mit geringeren Mieten an den Kunden gebracht werden, da die Attrak-tivität der Lage geringer ist. In Verbindung hiermit kommt es mittelfristig oftmals zu Wertminderungen der Gebäude.

Abbildung 5: Allgemeines Modell der Lärmwirkungen24

Das Problem in der Lärmwirkungsforschung besteht hauptsächlich darin, dass nicht al-les, was Gegenstand dieser Forschung ist auch messbar ist, oder stichhaltige Kausalbe-ziehungen aufweisen kann. Es kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass durch Verkehrslärm belästigte Anwohner aus diesem Grund aus einer Wohnsiedlung wegziehen, da ein solcher Entschluss von mehreren Faktoren bestimmt wird. Des Weite-ren können Geräusche je nach Tages- bzw. Nachtzeit oder Jahreszeit bedingt unter-schiedlich störend aufgefasst werden. So werden wir im Sommer, wenn man ruhig draußen sitzen möchte von Straßenlärm stärker beeinträchtigt als im Winter. Ebenso werden nächtliche Ruhestörungen aktiver wahrgenommen als am Tag.

1.4.1 Physische Lärmauswirkungen

Die Folgen stetiger Lärmeinwirkung auf den Körper können immense gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Da das Ohr keinen Schutzmechanismus, wie beispielsweise das Auge hat, ist es gewollten und ungewollten Lärmquellen schutzlos ausgesetzt. Star-ke Lärmeinwirkungen können deshalb temporäre oder permanente Hörstörungen zur Folge haben. Ist man nur kurze Zeit starkem Lärm ausgesetzt, kann man diese Gehörbe-einträchtigung bereits merken. Wer kennt nicht das Rauschen und Piepen in den Ohren nach einem Disco- oder Konzertbesuch! Nach einer Erholungsphase regeneriert sich das Gehör jedoch relativ schnell wieder und es bleibt meist keine Beeinträchtigung zu-

23 RAINER GUSKI: S.2: (2003) 24 RAINER GUSKI:S.2: (2003)

Geräusch

Negative Bewertung Störung Körperliche Reaktionen

Belästigung Interne Gegenmaß-nahmen Externe Gegenmaß-nahmen Krankheitsge-fahr

Wohnzufrie-denheit Lebenszufrie-denheit Fortzug Soziale Segregation Immobilien-wertverlust

Individuelle Lärm-Empfindlichkeit, Gesundheitszustand, soziale Bewertung der Lärm-Quelle, Erwartungen, Vertrau-en in Lärmverantwortliche, etc.

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Einleitung

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rück. Die Einwirkung von Dauerlärm ohne diese lärmfreien Phasen kann jedoch zu einer irreversiblen Schädigung des Gehörorgans führen, die sog. Lärmschwerhörigkeit. Man kann jedoch nicht verallgemeinern welche Intensität, oder nach welchem Zeit-raum eine solche irreversible Schädigung eintritt, da jeder Mensch anders auf Lärm re-agiert und die Resistenz gegenüber Lärm bei jedem Menschen anders ist. Der Urinstinkt des Menschen ist so ausgerichtet, dass Lärm den Körper in einen Alarmzu-stand versetzt, was sich durch Stressreaktionen wie Ärger oder Überforderung äußern kann, die in anderen Belastungssituationen ebenfalls auftreten. Laut dem Umweltpsychologen Rainer Guski kann bei Männern zwischen 45 und 60 Jah-ren von einem 10% höheren Herzinfarktrisiko infolge von Lärm-Stress ausgegangen wer-den. Natürlich ist Lärm nicht ausschließlich für derartige Erkrankungen der Auslöser, Faktoren wie Alter, Gewicht, Berufsstatus, Lebensgewohnheiten, erbliche Vorbelastungen sowie das persönliche, subjektive Empfinden von Lärm und anderen Stressfaktoren spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Wie bei fast allen gesundheitlichen Risi-ken ist die Überlagerung verschiedener Faktoren ausschlaggebend. Es ist jedoch erwie-sen, dass durch Lärm und der dadurch bedingten vermehrten Ausschüttung der Stress-hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol normale Schwankungsbereiche über-schritten werden, die den Körper auf Dauer schädigen. Epidemiologische Untersuchungen der Stadt München haben ergeben, dass starker Straßenverkehrslärm, bei einem Mittelungspegel von über 65 dB(A) am Tag das Erkran-kungsrisiko erhöhen kann.25 Diese Untersuchung wird gleichfalls von einer Studie des UBA (Umweltbundesamtes) bestätigt, die ergab, dass bei Lärmbelastungen über 65-70 dB tagsüber das Herzinfarktrisiko um ca. 20% steigt. Besonders störend und gefährdend wirkt sich Lärm in der Nacht aus, da Lärmeinwirkun-gen Schlafstörungen verursachen. Der Einschlafprozess wird verzögert, die Schlaftiefe wird verringert und schlimmstenfalls wird man zwischendurch geweckt. Diese Lärmaus-wirkungen verändern den Schlafrhythmus und haben somit auch Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden am Tag. Nächtliche Lärmbelastungen von über 45 dB(A)26 führen bereits zur Veränderung der Schlafstadien und können langfristig zu Reizbarkeit, Depressionen und Erschöpfungszuständen führen. Laut einer Studie mit 1700 Menschen des UBA in Berlin sind Menschen, die bei einem mittleren Schallpegel von 55 dB(A) schlafen, einem doppelt so hohem Risiko ausgesetzt, wegen Bluthochdruck in ärztlicher Behandlung zu sein, wie diejenigen bei denen der Pegel unter 50 dB(A) liegt. Aus verschiedenen Studien des Robert Koch-Institutes und des Umweltbundesamtes geht hervor, dass die physische Erholung des Körpers hauptsächlich während des Tief-schlafes stattfindet und die psychische Erholung während des Traumschlafes. In Kombi-nation gesehen, bestimmen diese beiden Faktoren die Schlafqualität. Dauerhafte Schlafstörungen stellen daher ein erhöhtes Gesundheitsrisiko dar, weil der Körper nicht genug Zeit hat sich von den Strapazen eines Tages zu regenerieren.

25 STADT MÜNCHEN: www.kjr-muenchen-stadt.de/publikationen/pdf/k3_2003/k3_04_03_schwerpunkt.pdf S.14: (01.07.2004) 26 UBA: www.umweltbundesamt.de/verkehr/laerm/strassverkehr/geraeusch/grenzw.htm (29.06.2004)

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Einleitung

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„Die durch Verkehrslärm hervorgerufenen Schlafstörungen lassen sich anhand ihrer zeit-lichen Abfolge in Primär- und Sekundärreaktionen unterteilen.“

Primärreaktionen:

- Kurzfristige Änderung im EEG, - Verflachung der momentanen Schlaftiefe bis hin zu Auf-

wachreaktionen, - Veränderung der Schlafstadienverteilung, - Zunahme der Zeiten hoher Muskelanspannung - Verkürzung der Gesamtschlafzeit

vegetative Reaktionen:

- Änderung der Atemfrequenz, - Änderung der Hormonausschüttung und - Änderung der peripheren Durchblutung wirken sich auf

Dauer negativ aus.

Tabelle 2: Reaktionen durch Schlafstörungen

„Zu den Sekundärreaktionen, die eine reversible Beeinträchtigung des Allgemeinzu-standes mit sich ziehen gehören“:

Sekundärreaktionen - Beeinträchtigung der physischen Verfassung, - Beeinträchtigung der psychischen Verfassung, - Beeinträchtigung des Schlaferlebens, - Beeinträchtigung des Wohlbefindens, - Beeinträchtigung der Leistung, - Beeinträchtigung der Konzentration.“27

Tabelle 3: Sekundärreaktionen durch Schlafstörungen

Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass sich häufige Störungen in der Nacht negativ auf das gesunde psychische und physische Wohlbefinden eines Menschen auswirken, da der zyklische Ablauf des Schlafes stark beeinträchtigt wird. Einen weiteren wichtigen nicht akustischen Einflussfaktor stellt sowohl das Alter der be-lasteten Person bzw. der Zeitpunkt der Ruhestörung dar. Laut der Studie des UBA hat Verkehrslärm auf Kinder eine wesentlich geringere Auswirkung als auf ältere Menschen. Die Lärmempfindlichkeit nimmt demnach mit dem Alter immer mehr zu. Ebenso sind ängstliche oder lärmempfindliche Personen gefährdeter als weniger empfindliche Per-sonen. Ein Dauerschallpegel von 30 – 40 dB(A)28 in der Nacht, garantiert selbst lärmempfindli-chen Menschen eine ungestörte Nachtruhe.

1.4.2 Psychische Lärmauswirkungen

Lärm stellt einen komplexen Wahrnehmungsvorgang dar, der durch das Ohr aufge-nommen und durch das Gehirn analysiert wird. Wichtig in Zusammenhang mit der Ana-lyse ist die Bedeutung des Schalls für die betroffene Person. Durch das Gehirn werden die Bedeutung und der Bedrohungscharakter des als Lärm empfundenen Geräusches identifiziert, so können Zusammenhänge mit früheren Erlebnissen hergestellt werden. „Bedrohliche Lärmereignisse erfordern Aufmerksamkeit und Hinwendung“.29 Ein wichti-

27 ISING, HARTMUT / MASCHKE, CHRISTIAN: S:26 28 ebenda 29 MAGISTRAT DER STADT WIEN: S.9 (2000)

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ger Einflussfaktor der Lärmwirkung ist auch hier wieder die psychische Konstitution, die Persönlichkeit und situationsbedingte Faktoren. Wie zu Beginn schon beschrieben, handelt es sich bei Lärm um eine erlebte Störung und Belästigung, die das Wohlbefinden, die Gedächtnisleistung sowie die Konzentration und Aufmerksamkeit beeinträchtigt und die Kommunikation behindern kann. Besonders bei Verkehrslärm gibt es neben dem Lärmfaktor weitere negative Assoziatio-nen, wodurch die Belastung durch Lärm zusätzlich verstärkt wird. Starker Verkehrslärm wird immer im Zusammenhang mit Gefahr, Unfällen, Abgasen, Hektik und einer ver-schmutzten Umgebung betrachtet. Diese Assoziationen tragen ebenfalls zu vermehrten Stressreaktionen bei, die sich wiederum negativ auf das persönliche Wohlbefinden auswirken. Diese negativen Auswirkungen können sogar soweit gehen, dass sich das Verhalten betroffener Personen verändert, man spricht am Telefon lauter, wechselt vielleicht so-gar den Raum, oder bricht Gespräche frühzeitiger ab, da die Konzentration nachlässt und eine frühere Erschöpfung eintritt. Auch in diesem Zusammenhang ist immer die Dosis-Wirkungs-Beziehung zu sehen, da man nicht davon ausgehen kann, dass kurzfristige Lärmbelästigung zu derart lebens-verändernden Verhaltensmustern führt.

1.4.3 Soziale und ökonomische Lärmauswirkungen

Lärm ist nicht nur ein gesundheitliches Risiko, Lärm kostet auch Geld und greift in das räumliche Umfeld betroffener Personen ein! Von Lärm betroffene Menschen müssen ihr Verhalten in vielen Lebenssituationen ver-ändern, da Lärm so stark in das Leben Betroffener eingreift, dass es zu einer Verschlech-terung ihrer Lebensqualität führt. Viele Menschen können aufgrund von starkem Ver-kehrslärm ihre Freiraummöglichkeiten wie Balkone oder Innenhöfe nicht mehr nutzen und zum Teil bei geöffneten Fenstern keine normale Kommunikation betreiben. Durch dieses Vermeidungsverhalten kommt es besonders bei älteren Menschen nicht selten zu Vereinsamungen, da sie ihre Wohnungen kaum verlassen. Durch Lärm entstehen sowohl subjektive als auch objektive Kosten und Einschränkun-gen, die Vermieter, Mieter und die Städte belasten. Beispiele:

Schallschutzfenster schützen vor eindringendem Lärm in die Wohnungen, aber viele Menschen fühlen sich nicht wohl, wenn sie bei geschlossenen Fenstern schlafen müs-sen. Hier kann durch ein angemessenes Belüftungssystem zwar ein angenehmeres Klima erkauft werden, trotzdem wird die Lebensqualität in hohem Maße beeinträchtigt. Be-troffene Personen müssen zu Ohrenstöpseln greifen oder im schlimmsten Fall sogar zu Medikamenten. Bei lang anhaltender Verkehrslärmbelästigung, ohne Aussicht auf eine Verbesserung der Situation, werden diejenigen, die es sich finanziell leisten können in ein ruhigeres Wohnumfeld ziehen, was langfristig zu einer Minderung des sozialen Status innerhalb des Wohngebietes führen kann. Durch diesen Trend wird der Lärm ungleich auf die so-zialen Schichten verteilt und Einkommensschwache werden am meisten belastet. Rai-ner Guski spricht hier bereits von Lärm-Ghettos und gibt dafür die Beispiele der Städte Essen an der B1 sowie Berlin. Ökonomische Auswirkungen zeigen sich in Bezug auf sinkende Mietzinse und Woh-nungspreise, denn durch Verkehrslärm belastete Wohnungen können oftmals trotz guter Lage nur durch geringe Mieten überhaupt vermietet werden. Zum Teil werden in diesen

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Einleitung

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Wohnungen Sozialwohnungen untergebracht und es kommt nicht selten zu so genann-ten „Lärmghettos“. Diese Wohnungen werden häufig auch von den Wohnungseigen-tümern sträflich vernachlässigt, da die Kosten für eine Instandsetzung oder Modernisie-rung zu hoch wären. Aus diesem Grund stellen sie für Einkommensstärkere weder von der Lage noch der Ausstattung, geschweige denn der Optik ein attraktives Wohnobjekt dar. Durch die allmähliche Veralterung und ausbleibende Instandsetzungsmaßnahmen kommt es zu Wertminderungen der Immobilie und des Grundstückes. Weitere anfallende Kosten durch Lärmbelästigung betreffen sogar die Arbeitgeber lärmbelasteter Personen, die auf den ersten Blick allerdings nicht sofort zu erkennen sind. Leidet ein Mitarbeiter z.B. durch nächtlichen Straßenverkehrslärm unter akuten Schlafstörungen kann davon ausgegangen werden, dass seine Leistungsfähigkeit am nächsten Tag beeinträchtigt ist. Dadurch kann es zu Fehlern kommen, die später von ihm oder durch einen anderen Mitarbeiter korrigiert werden müssen, was zusätzliche Kosten für den Betrieb darstellt. Wird eine betriebliche Besprechung oder ein wichtiger Geschäftstermin durch Verkehrs-lärm gestört, hat das zur Folge, dass beteiligte Personen lauter sprechen müssen bzw. mit erhöhter Konzentration zuhören müssen. Dadurch kann eine frühere Erschöpfung und Leistungsfähigkeit eintreten, die zu einem verfrühten Abbruch der Konversation führen kann und wiederum Kosten verursacht. Durch dauerhafte Lärmeinwirkungen kann wie unter dem Punkt „Physische Lärmauswir-kungen“ bereits beschrieben eine Schwerhörigkeit entstehen, die heutzutage die zweithäufigste Berufskrankheit darstellt. Jährlich fallen Rentenzahlungen von ca. 85 Mio. Euro aufgrund von Schwerhörigkeit an.30 Diese Kosten stehen zwar nicht im direkten Zusammenhag mit der Lärmbelastung, tra-gen aber trotzdem zur Erhöhung von Kosten und damit zu ökonomischen Lärmauswir-kungen bei. Durch die Vielzahl der Einflussfaktoren von Lärm, ist es kaum möglich die Kosten zur Lärmvermeidung und die der Lärmschädigung zu erfassen.

30 BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – BUND VERKEHR: Online im Internet: http://vorort.bund.net/verkehr/themen/themen_5/themen_14.htm (08.06.2004)

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Zwischenfazit

19

2 Zwischenfazit

Verkehrslärm stellt eine enorme Belastung für die heutige Gesellschaft dar. Dieses Prob-lem wird aber nicht zuletzt durch die Bevölkerung selbst verschlimmert, da es mittlerwei-le kaum noch Haushalte gibt, in denen nicht mindestens ein bis zwei Autos vorhanden sind. Weiterhin beeinträchtigt der stark ansteigende Schwerlastverkehr zunehmend die Städte und Gemeinden. Verkehrslärm wirkt sich erwiesener Maßen negativ auf die Ge-sundheit, die Psyche aber auch auf die wirtschaftliche Situation der Immobilienbesitzer und Städte aus. Es gibt keine feste Größe, an der man den Belästigungsgrad von Verkehrslärm ausma-chen könnte. Es gibt lediglich Anhaltspunkte und Richtwerte, die das Lärmwirkungsrisiko eingrenzen. Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass Verkehrslärm bei einer geringen dB Zahl nicht störend wirken kann, denn bei Lärm spielt die Dauer und Intensi-tät aber vor allem auch die persönliche Einstellung eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund ist es laut H. Ising vom Umweltbundesamt in Berlin notwendig, den Zusammen-hang zwischen Lärmstörung und Schallpegel in Untersuchungen mit einzubeziehen, wenn es um technische und administrative Maßnahmen der Lärmbekämpfung geht.31 Ein weiteres Problem beschreibt der Psychologe Schick (1991) in einem Bericht zu Lärm-forschung: „Man kann auch am Wert von Aussagen über Störung durch Lärm zweifeln. Das Instrument eignet sich nicht dafür, die echte Betroffenheit zu erfassen. Es erweist sich als anfällig gegenüber bestimmten Erwartungs- und Wunschvorstellungen, man kann seine Antwort unter taktischen Erwägungen abgeben.“ (Schick 1991)32 Es ist einfach sich als Opfer des Lärms zu sehen und die Rolle des Lärmerzeugers in den Hintergrund zu stellen, geht weiter aus diesem Bericht hervor. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass technische Maßnahmen in Bezug auf die Lärmminderungsplanung dauerhaft nicht ausreichen werden, sondern dass jeder Bürger aktiv an einer Lärmminderung mitwirken muss.

31 vgl.: MAGISTRAT DER STADT WIEN: S.10 (2000) 32 ebenda

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

20

3 Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Bei-spiel von Kassel

Die Stadt Kassel verfügt über ca. 195.000 Einwohner und ist von einem hohen Pendler-aufkommen sowie einem erheblichen Transitverkehr gekennzeichnet. Sie ist wichtigster Arbeitsstandort für die Region (ca. 120.000 Arbeitsplätze). Diese Grundvoraussetzungen führen dazu, dass Kassel insbesondere an den Ein- und Ausfallstraßen von einer erhebli-chen Verkehrs(-lärm)menge betroffen ist. Beispiele sind hierfür die B 251 Wolfhager Stra-ße sowie die Ihringshäuser Straße B3 mit Fahrzeugmengen zwischen 30.000 und 35.000 Fahrzeugen am Tag. Kassel wurde exemplarisch ausgewählt, da die Stadt noch keine Strategie zur aktiven Verkehrslärmbekämpfung und –vorsorge entwickelt hat. Verkehrslärmbelästigung gehört leider noch nicht zu den anerkannten Umweltproble-men der heutigen Zeit in Kassel, was ich bei der Analyse und den geführten Interviews schnell gemerkt habe. Da es in Kassel zur Zeit noch kein Programm zur Lärmminderung gibt, kann ich in dieser Arbeit keinerlei detaillierte Aussagen über genaue Lärmpegel bzw. Wegzugsraten der bearbeiteten Wohngebiete an lärmbelasteten Straßen treffen. Trotzdem konnte ich einige Problemstandorte sowie zum Teil Auswirkungen von Ver-kehrslärm im Stadtgebiet Kassel herausarbeiten und mit Hilfe der Interviewpartner einen Maßnahmenkatalog erstellen, der der Lärmproblematik langfristig entgegenwirken kann. Für die weitere Untersuchung des Themas „Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Sied-lungsentwicklung“ wurden daher Interviews durchgeführt, die die Problematik „Ver-kehrslärm„ aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Um die geführten Interviews auswerten zu können werden im folgenden Kapitel tabellarisch Steckbriefe der belaste-ten Straßen aufgeführt, die jeweils nach den Kriterien Lage, Charakter sowie den dort auftretenden Problematiken untersucht und im Anschluss ausgewertet werden. Da es in Kassel noch nicht eindeutig geregelt ist, ob die Stadt mit dem Umland gemein-sam als Ballungsraum ausgewiesen wird oder nicht, kann noch keine definitive Aussage dazu getroffen werden, ab wann die Regelung der EU- Umgebungsrichtlinie für Kassel rechtskräftig wird. Wird Kassel mit dem Umland als Ballungsraum ausgewiesen, ist die Stadt verpflichtet bis zum Jahr 2007 Lärmkarten als Grundlage für rechtswirksame Lärmminderungspläne zu erstellen, wenn nicht greift die Regelung erst 2013 für das Stadtgebiet. Sicher ist aber das die Stadt Kassel, wie alle anderen Baulastträger auch, bis zum Jahr 2007 trassenbezogene Pläne erstellen muss, um betroffene Anwohner vor steigendem Straßenverkehrslärm zu schützen. (Siehe Kap. 1.2.1) Hierzu gehören unter anderem die Ihringshäuser Straße, Ysenburgstraße, Holländische Straße sowie alle Stra-ßen die mehr als drei oder sogar sechs Millionen Fahrzeuge aufweisen.

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

21

3.1 Übersicht über stark belastete Einfallstraßen in Kassel

Übersicht über stark belastete Einfallstraßen in Kassel

Markierung derEinfallstraßen

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

22

3.2 Steckbriefe einiger „Lärmstandorte“ in Kassel

Straße Frankfurter Straße

Ihringshäuser Straße

Wolfhager Straße

Holländische Stra-ße

Leipziger Straße

Wilhelmshöher Allee

Ludwig-Mond-Straße

Lage im Stadtgebiet erschließt die Stadt Kassel von Süden bis zu Stadtmitte

erschließt die Stadt Kassel von der Stadtmitte in Rich-tung Nord-Osten

erschließt die Stadt Kassel von der Stadtmitte in Rich-tung Nord-Westen

erschließt die Stadt Kassel von der Stadtmitte in Rich-tung Norden

erschließt die Stadt Kassel von der Stadtmitte in Rich-tung Osten

verbindet die Stadt Kassel mit den westlichen Stadtteilen

Durchfahrtsstraße von der Stadtmitte bis Willhelmshöhe

Funktion/ Charakter Bundesstraße B3 Autobahnzubrin-ger von/zur A49; Einfallstraße für Pendler, Durch-fahrts- u. Verbin-dungsstraße

Bundesstraße B3 Einfallstraße für Pendler, Durch-fahrts- u. Verbin-dungsstraße; Wohnstraße ohne festen Mieter-bestand

Bundesstraße B251 Einfallstraße für Pendler, Durch-fahrts- u. Verbin-dungsstraße

BundesstraßeB7 Einfallstraße für Pendler, Durch-fahrts- u. Verbin-dungsstraße

BundesstraßeB7; Autobahnzubrin-ger zur A7; Einfallstraße für Pendler, Durch-fahrts- u. Verbin-dungsstraße

erschließt den Stadtteil Wehlhei-den von der Frank-furter Straße (B3) aus

Durchfahrts- und Verbindungsstraße von Wehlheiden und zur Willhelm-höher Allee

Entwicklung Die meisten Einfallstraßen nach Kassel führen durch die alten Ortskerne der Stadtteile von Kassel. Dadurch war schon immer eine gute Erreich-barkeit vom Umland in die Innenstadt gewährleistet. In den Bereichen zwischen Stadtmitte und den einzelnen Ortskernen haben sich nach und nach öffentliche Einrichtungen wie z.B. Kasernen, Bereitschaftspolizei oder Großfirmen wie Thyssen-Henschel angesiedelt. Die Wohngebäude entstanden erst später für die Familien der Arbeiter oder stationierten Soldaten. Das Problem der zunehmenden Lärmentwicklung durch den Straßenverkehr ist durch den zunehmenden Durchfahrts- und Pendlerverkehr im Laufe der letzten 10-15 Jahre erst kritisch geworden.

Belästigungsgrad Generell lässt sich sagen, dass die Belästigung durch Verkehrslärm in allen aufgeführten Straßen sehr hoch ist. Es gibt jedoch keine Beweise da-für, dass Mieter allein aus Lärmgründen aus diesen Wohngebieten wegziehen. Laut der Interviewpartner kommt es nur in Überlagerung mit zu-sätzlichen Störfaktoren wie Wohnungsausstattung, Lage und Wohnumfeld zu Vermietungsschwierigkeiten. Lärm allein ist laut einiger Interview-partner kein Grund für Leerstand oder Vermietungsprobleme.

Bisher getroffene Maßnahmen zur Lärmminderung

K.A. K.A. K.A. K.A. K.A. K.A. K.A.

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

23

Straße Frankfurter Straße

Ihringshäuser Straße

Wolfhager Straße

Holländische Stra-ße

Leipziger Straße

Wilhelmshöher Allee

Ludwig-Mond-Straße

Notwendige Maß-nahmen laut Inter-viewpartner

Generell ging aus den Interviews hervor, dass zu einer Verminderung der Lärmstörung durch Verkehrslärm ausschließlich weniger Straßenverkehr beitragen würde. Ansonsten können kleinere Maßnahmen das Lärmproblem etwas eindämmen, wie z.B.: - Passiver Lärmschutz (Schallschutzfenster, Schallschutzwände, Abstandsflächen, Begrünung) - Verkehrsberuhigung (Zone „30“, lärmärmere Reifen) - Geschwindigkeitsbegrenzung - Verkehrsregulierungsampel (Pförtnerampel) - Einebnung und Begrünung der Straßenbahnschienen - Stärkung des ÖPNV (in diesem Zusammenhang: Park- & Benzinpreise erhöhen, City-Maut, keine Park & Ride Angebote) - man muss die modernen Techniken besser nutzen, um leisere und umweltfreundlichere Autos zu bauen. - City- Logistik - bessere Förderung belasteter Standorte - Steigerung der Attraktivität belasteter Standorte (moderner Standard der Wohnungen, Wohnumfeldverbesserung) Langfristig können diese Maßnahmen zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Lärm ist nach der Aussage von Herrn Jochum (siehe auch Kapitel 1, Experteninterviews) mit technischen Maßnahmen zu beherrschen, so lange es sich um Neubauten handelt. Bestehende Wohnge-bäude, die zum Teil unter Denkmalschutz stehen, vor Lärm zu schützen ist das Problem.

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

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Straße Frankfurter Straße

Ihringshäuser Straße

Wolfhager Straße

Holländische Stra-ße

Leipziger Straße

Wilhelmshöher Allee

Ludwig-Mond-Straße

Anmerkungen der Interviewpartner (Vgl.: Kapitel 1 Experteninterviews)

- Wohnungen der Wohnstadt in der Rembrand und Franz-Hals-Straße (beide von der Frankfurter Straße ausgehend). Da sich diese Wohnungen in der zweiten Rei-he zur stark be-fahrenen Frank-furter Straße be-finden, werden sie durch Ver-kehrslärm nicht beeinträchtigt und stellen eine attraktive Wohn-gegend dar.

- fast alle Gebäu-de stehen unter Denkmalschutz

- hohe Fluktuati-onsrate, beson-ders bei jungen Familien

- viel Leerstand - Gebäudeverfall - Wohngebiete

sind durch die Ihringshäuser Str. zerschnitten

- negative Be-wohnerent-wicklung durch Lärm.

- An diesen Wohn-standorten ist ei-ne hohe Fluktua-tionsrate und ein vermehrter Leer-stand der Woh-nungen zu ver-zeichnen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es meist mehrere Kriterien für Wohnungs-leerstände gibt.

K.A.

Die Neubauten entlang der stark befahrenen Leip-ziger Straße wer-den durch Lärm nicht beeinträch-tigt, da sie durch ihre „Passivhaus - Bauweise“ gut isoliert und ge-dämmt wurden.

- Die Wohnungs-bestände sind stark durch Lärm beein-trächtigt. Die gute Lage überwiegt aber an diesen Standorten. Die Standortvorteile sind für die Mieter hier wichtiger.

Viele alt eingeses-sene Bewohner wollen nicht aus Wehlheiden weg-ziehen, aus diesem Grund suchen lärmbelastete Bewohner zuerst in der direkten Nach-barschaft nach neuen Woh-nungen und zie-hen erst aus dem gewohnten Um-feld fort, wenn sie keine verbesserten Wohnmöglichkei-ten finden.

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

25

3.3 Allgemeine Problematiken verkehrslärmbelasteter Wohngebiete in Kassel

Der Wohnungsmarkt in Kassel befindet sich zur Zeit in einer entspannten Situation und kann als eindeutiger Nachfragemarkt bezeichnet werden. Miet- und Kaufpreise sind in den letzten Jahren stagniert bzw. rückläufig. Die Gründe für diese rückläufige Tendenz können weitgreifend sein, aber durch die Experteninterviews konnte sich klar herauskristallisieren, dass die Lage von Wohnungen an Hauptverkehrsstraßen ein wesentlicher Anlass dafür ist. Auch die zukünftige Entwick-lung des Kasseler Wohnungsmarktes wird in den Experteninterviews weiterhin als negativ beurteilt, da die Entwicklung und Attraktivität einiger Wohnsiedlungen in Kassel auch durch Verkehrslärm insbesondere für Familien mit Kindern immer weiter sinkt. Zu dem Thema Abwanderungsproblematiken ins Umland wurde eine Studie des Zweck-verband Raum Kassel (ZRK) durchgeführt. Inhalt dieser Studie sind unter anderem die Abwanderungsmotive der städtischen Bevölkerung ins Umland der Stadt Kassel. Die Ergebnisse dieser Studie decken sich mit den Aussagen zur steigenden Lärmprob-lematik meiner Interviewpartner. Aus dieser Studie ergab sich, dass der Hauptgrund aus Kassel ins Umland zu ziehen mit 85,1%33 aller Befragten die Folgen der Lärmbelastung in der Stadt sind. Der zweit und dritt wichtigste Grund für eine Abwanderung ins Umland sind mit 85,0% eine sicherere Umgebung und mit 82,0% eine bessere Luftqualität.34 Diese drei wichtigsten Gründe sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Auswirkungen der zunehmenden Immissionen durch Straßenverkehr mit den vielen Vermietungs- und Leer-standsproblemen in der Stadt Kassel zusammenhängen. Die drei Gründe Lärmbelastung, Sicherheitsempfinden und Luftqualität sind die Belas-tungen, die durch den stetig zunehmenden Straßenverkehr immer mehr zum Problem werden. Besonders junge Familien ziehen vermehrt ins Stadtumland, da sie mehr Raum, Ruhe und Grün in ihrem Wohnumfeld haben wollen. Mittlerweile beziehen sich diese Abwanderungsproblematiken nicht mehr nur auf den zweiten Ring, das direkte Stadt-umland, insbesondere die junge Generation zieht es noch weiter in den ländlichen Raum. In der Stadt Kassel und Umgebung leben ca. 317.000 Einwohner von denen ca. 2/3 in der Stadt und 1/3 im Umland leben. Um diese Gewichtung so halten zu können, müssten laut Herrn Krieger vom ZRK bis zu 1000 Personen pro Jahr in die Stadt ziehen. Um die Gründe der zunehmenden Abwanderungszahlen durch die Straßenverkehrsim-missionen zu verdeutlichen, werden im folgenden die Veränderung der Lebenssituation durch einen Umzug aufgeführt, die im Rahmen der Studie des Zweckverbandes Raum Kassel ermittelt wurden.

33 Vgl.: ZRK: S.:52, (2003) 34 ebenda

Page 27: Auswirkungen von Verkehrslärm 1...Abbildung 2: Spektraldarstellung von einem Ton, Klang und Geräusch 7 Lärm ist objektiv nicht messbar, er ist das Ergebnis einer subjektiven Empfindung

Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

26

40,8%

63,2%

15,4%

26,8%

19,4%

45,3%

26,2%

12,7%

30,7%

0,0%

10,0%

20,0%

30,0%

40,0%

50,0%

60,0%

70,0%

Gesamt

706 Haushalte

Stadt > Umland

299 Haushalte

Umland > Stadt

267 Haushalte

besser gleich schlechter

Abbildung 6: Veränderung der Lebenssituation durch den Umzug: Lärmbelastung35

33,9%

51,8%

15,4%

43,6%

38,1%

45,3%

15,0%

3,0%

30,7%

0,0%

10,0%

20,0%

30,0%

40,0%

50,0%

60,0%

Gesamt

706 Haushalte

Stadt > Umland

299 Haushalte

Umland > Stadt

267 Haushalte

besser gleich schlechter

Abbildung 7: Veränderung der Lebenssituation durch den Umzug: Sicherheitsempfinden36

36,5%

63,2%

10,1%

35,1%

27,8%

34,1%

19,1%

2,3%

44,9%

0,0%

10,0%

20,0%

30,0%

40,0%

50,0%

60,0%

70,0%

Gesamt

706 Haushalte

Stadt > Umland

299 Haushalte

Umland > Stadt

267 Haushalte

besser gleich schlechter

Abbildung 8: Veränderung der Lebenssituation durch den Umzug: Luftqualität37

35 ZRK: S.:57, (2003) 36 ebenda

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Die Problematik „Verkehrslärm und Siedlungsentwicklung“ – am Beispiel von Kassel

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An diesen Diagrammen kann man die Wichtigkeit der Abwanderungsgründe ins Um-land, die durch Straßenverkehrsimmissionen verursacht werden, deutlich erkennen. Zu-sammenfassend lässt sich sagen, dass die allgemeinen Lebensbedingungen durch den Umzug ins Umland erheblich verbessert wurden. Diese Umfrageergebnisse stimmen mit den Aussagen einiger Interviewpartner nicht ü-berein, nach deren Ansicht „Lärm auch Stadt ist und mitgetragen werden muss“. (Siehe Interview mit Erich Lipp, GWH und Herr Schumacher, Wohnstadt Kap. 1)

Die Abwanderungsgründe aufgrund von Verkehrslärm können trotz aller Problematik nicht pauschalisiert werden, geht aus den Experteninterviews hervor, da Menschen die erst kurze Zeit in einer Siedlung leben einen anderen Bezug zu diesem Wohnstandort haben, als alt eingesessene Bürger. „Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass Lärm nur dann akzeptiert wird, wenn die Stadtstruktur mit dem Lärm gewachsen ist und alle anderen Faktoren die Lebenssi-tuation vor Ort positiv beeinflussen“, sagt Herr Dirk Schumacher, der Geschäftsführer der Wohnstadt. Bei Neubebauungen werden die Wohnungen an lärmbelasteten Straßen nur sehr schwer vermietet, alt eingesessene Bewohner hingegen werden nicht nur auf-grund von Lärm den Wohnstandort verlassen. (Siehe Interview mit Herr Schumacher, Wohnstadt Kap. 1)

Aus der abgegeben Vermutung der Interviewpartner über die Entwicklungsperspektive des Wohnungsmarktes für die Stadt Kassel, geht wie bereits erwähnt hervor, dass die Aussichten auf einen eher negativen Trend hindeuten. Es ist also davon auszugehen, dass weiterhin ein steigender Wohnungsleerstand zu verzeichnen sein wird. Ziel sollte es sein, langfristig die Wohnsiedlungen in der Stadt für ein breites Bewohner-publikum aufzuwerten und die Lage der oft leerstehenden, lärmbelasteten Wohn-standorte für andere Nutzungen vorzusehen, die weniger lärmempfindlich sind. Das Wohnen kann in der zweiten Reihe stattfinden, da in Kassel genügend freie Wohnungen vorhanden sind, sagt Herr Krieger vom ZRK in seinem Interview. So wird auch Stadtteilen in denen die Infrastruktur in den letzten Jahren erheblich nachgelassen hat wieder neu-es Leben eingehaucht und die durch Verkehrslärm belasteten Anwohner können wie-der ruhiger schlafen. Es muss wieder die Möglichkeit geben das Leben auf der Straße stattfinden zu lassen. Die Menschen müssen am Leben im Quartier teilhaben können, nur so kann eine Auf-wertung eines vernachlässigten und durch Verkehrslärm gestörten Quartiers erfolgen. In früheren Zeiten gingen die Menschen auf die Straße, um sich zu treffen und an der Stra-ße zu flanieren. Es fand ein starker Nachbarschaftsaustausch statt, heute kennen sich die Nachbarn oft nicht einmal mehr. Die Problematik der Verwertbarkeit von Wohnräumen können laut den Experteninter-views und dem „kommunalen Wohnraumversorgungskonzept Kassel“ nicht ausschließ-lich auf Lärmbelastungen zurückgeführt werden. Problematische und schwer vermittel-bare Wohnstandorte ergeben sich aus mehreren Faktoren:

- Das Wohnumfeld - Belastung durch Lärm, Abgase und andere Umwelteinwirkungen - schwierige soziale Zusammensetzung - Zustand und Ausstattung der Wohnungen.38 39

37 ZRK: S.:57, (2003) 38 Vgl.: STADT KASSEL: S.:43, (2002) 39 Vgl.: EXPERTENINTERVIEWS: Kapitel 1

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Diese Aussage geht auch aus dem Experteninterview mit der Wohnungsbaugesell-schaft GWG hervor, die zwar über Wohnungsbestände an lärmbelasteten Straßen ver-fügt, aber nicht unbedingt aus Lärmgründen Vermietungsschwierigkeiten hat. Es kommt nur in Überlagerung mit anderen Faktoren zu Vermietungsschwierigkeiten. (Vgl.: Expertenin-terview Kapitel 1, GWG, 28.07.2004) Zu den besonders betroffenen Wohnsiedlungen gehören der Wohnbestand der:

- Ihringshäuser Straße, der Ysenburgstraße und des Wesertor-Quartiers - Rothenbergsiedlung und das Umfeld der Wolfhager Straße - Kurt-Schumacher-Straße - Holländischen Straße mit Schwerpunkt der Siedlung an der Östmannstraße - Leipziger Straße - Frankfurter Straße und Brückenhofsiedlung.40 41

In diesen Wohngebieten ist das Leerstandsproblem ein großes Thema, da die oben ge-nannten Faktoren zusammenkommen und sich dadurch zu einem unattraktiven Le-bensraum entwickelt haben. Hier trifft das Problem der „Kettenreaktion“ zu, die oftmals durch Lärmbelastung ausge-löst wird:

hohe Fluktuation → Leerstand → günstigere Mieten → teurere Instandhaltungskosten → keine Renovierung möglich → Gebäude verkommen → Mieter bleiben aus.

Selbst wenn sich ein Investor findet, der über die finanziellen Mittel verfügt lärmbelastete und evtl. vernachlässigte Wohnungen zu renovieren, mit dem Ziel ein bestimmtes Klien-tel anzusprechen, ist dieser sehr mutig! Denn oft sind nebeneinander stehende Häuser nicht in Besitz eines Eigentümers. Es müssen Absprachen in Bezug auf die Fassaden-restaurierung und die Eingangsbereiche getroffen werden. Nicht selten kommt es vor, dass nur einer der Eigentümer investiert und der Nachbar nicht, so dass kaum eine äu-ßerliche Verbesserung der Wohnqualität stattfindet. Ein wichtiges Ziel muss es sein, dass Mieter, Eigentümer und öffentliche Hand zusam-menspielen, um eine Aufwertung der Wohnqualität zu erreichen. Der Wohnungsverkauf in lärmbelasteten Gegenden ist fast unmöglich, da Ruhe bei einem Wohnungskauf eine sehr große Rolle spielt. Es gibt laut Herrn Erich Lipp, dem Leiter technischer Dienste der GWH, drei übergeord-nete Kriterien beim Kauf einer Wohnung: „ Lage, Lage, Lage!“.42 Allgemein lässt sich also sagen, dass Straßenverkehrslärm nur dann ein negativ Faktor ist und zum Auszug der Mieter führt, wenn er erstrangig ist. In Zusammenhang mit der de-mographischen Entwicklung der letzten Jahre, die sinkende Tendenzen in Kassel zeigt, können besonders in lärmbelasteten Siedlungen vermehrte Leerstände aufgezeigt wer-den. Aufgrund des großen Wohnungsangebotes können belastete Standorte gemie-den werden, was zu vermehrten Leerständen in diesen Wohnsiedlungen führt. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang stellt das neue Mietangebot im Umland dar, wodurch weitere Wege in Kauf genommen werden, um ruhig und im Grünen zu wohnen. Andere Wohnstandorte, die ebenfalls stark durch Verkehrslärm belastet sind, sind von der Leerstandsproblematik nicht in gleichem Maße betroffen. Durch eine attraktive La-ge und ein angenehmes Wohnumfeld ist die Nachfrage an Standorten wie beispiels-weise dem Vorderen Westen gleichbleibend hoch, obwohl sich die Straßencharaktere

40 Vgl.: STADT KASSEL: S.:44, (2002) 41 Vgl.: EXPERTENINTERVIEWS: Kapitel 1 42 Vgl.: EXPERTENINTERVIEWS Kapitel 1, GWH

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auch in diesem Stadtteil in den letzten Jahren negativ entwickelt haben. Die Friedrich-Ebert-Straße ist eine der am stärksten belasteten Straßen im Stadtteil Vorderer Westen, aber durch viele Straßencafés, Eisdielen und Sitzmöglichkeiten weist diese Straße einen besonderen Charakter auf, der den Lärm in den Hintergrund rückt. Dennoch hat sich der Charakter vieler Straßen in Kassel durch den ansteigenden Stra-ßenverkehr der letzten zehn Jahren stark verändert. Beispiele veränderter Straßencharaktere durch Verkehrslärm:

- Goethestraße: Die Goethestraße im Stadtteil Wehlheiden gehörte zu den ruhigeren Straßen in Kas-sel. Eingefasst durch Gründerzeithäuser, auf der ein reges Öffentlichkeitsleben statt-fand und wo Kinder auf der Straße spielen konnten. Heute ist diese Straße eine stark befahrene Durchfahrtsstraße, die den Charakter ei-nes großen Parkplatzes hat. „Das Spielen auf der Straße ist mittlerweile für Kinder le-bensgefährlich“.

- Berlepschstraße: Eine ähnliche Problematik gibt es in der Berlepschstraße, die laut StVO als Spielstra-ße ausgewiesen ist. Ebenso wie die Goethestraße ist die Berlepschstraße durch par-kende Autos und Durchfahrtsverkehr nicht mehr als Spielstraße für Kinder geeignet.

- Herkulesstraße: In der Herkulesstraße kommen zu den bereits genannten Problemen momentan noch Bauarbeiten am Diakonissenkrankenhaus zu, die zu mehr Lärm im Wohnviertel beitragen.

- Brüderstraße 12: Durch starkes Verkehrsaufkommen kommt es hier zu enormen Vermietungsschwie-rigkeiten. (Ehemaliger Sitz des Mietervereins Kassel). Der Umzug fand auch aufgrund der starken Belastung durch Verkehrslärm statt. Außerdem wurde das Bewohnerklientel des Hauses mit sinkenden Mieten zuneh-mend schlechter.43

3.3.1 Fallbeispiel Ihringshäuser Straße:

Am Beispiel der Ihringshäuser Straße kann man die Veränderungen, die durch den zu-nehmenden Straßenverkehr und den dadurch resultierenden Verkehrslärm verursacht wurden, deutlich erkennen. Die Informationen hierzu gehen aus den geführten Inter-views mit dem Vorsitzenden Herr Anthofer und einer der Mitglieder Frau Schmidt hervor. (Vgl. Kapitel 1, Experteninterviews) Historischer Hintergrund:

Die meisten Häuser wurden zwischen 1927 – 1928 entlang der Ihringshäuser Straße ge-baut, weil die Straße durch ihre Anordnung als Allee eine besondere Attraktivität dar-stellte. Die gesamte Straße war auf beiden Seiten von Bäumen und Arkaden eingefasst. Diese wurden jedoch im Krieg zerstört und nur zum Teil wieder aufgebaut. Im Zuge der Straßenverbreiterung wurden die neu aufgebauten Teilstücke der Arkaden wieder ab-gerissen. Heute existiert nur noch ein kleines Fragment dieser ehemals bedeutenden Arkadenbebauung entlang der Ihringshäuser Straße an der Eisenschmiede. Um diese und andere Teilstücke dieser einst so attraktiven Allee zu erhalten stehen Teilstücke der

43 Vgl.: EXPERTENINTERVIEWS: Kapitel 1, Mieterverein, (25.08.2004)

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Ihringshäuser Straße in Höhe der Eisenschmiede unter Denkmalschutz. Diese Tatsache wird den heutigen Bewohnern der stark befahrenen Einfallstraße zum Verhängnis, denn durch den Denkmalschutz sind passive Lärmschutzmaßnahmen an den Gebäuden nicht möglich.

Bewohnerentwicklung und Wandel der Sozialstruktur:

Die Bewohnerschaft hat sich laut Herrn Anthofer, dem Vorsitzenden des Bürgervereins der Ihringshäuser Straße, in den letzten zehn Jahren stark verändert. Zum größten Teil lebten hier alt eingesessene Bürger mit ihren Familien. Durch die natürliche demogra-phische Entwicklung sind viele der älteren Bewohner mittlerweile verstorben und die jüngeren Familien ziehen aufgrund der problematischen Situation in der Ihringshäuser Straße aus dem Quartier weg. Heute ist aus der ehemaligen kleinen Siedlung, durch die starke Lärmbelastung und die zum Teil heruntergekommenen Häuser, eine unpersönli-che Durchfahrtsstraße mit Wohnhäusern und einer hohen Mieterfluktuation geworden. Die Wohnungen werden meist an junge Leute ohne Kinder oder Studenten vermietet, da die Mieten billig sind. Außerdem wohnen heute viele Russlanddeutsche in diesem Wohngebiet, die sich durch den Lärm anscheinend auch nicht gestört fühlen, da sie nicht bereit sind sich im Bürgerverein zu engagieren, bemängelt Frau Schmitt vom Bür-gerverein in ihrem Interview. Junge Familien wohnen nur vorübergehend dort, bis sie etwas größeres in den Stadtrandgebieten gefunden haben, da die Ihringshäuser Straße kein attraktiver Ort mehr ist, um Kinder groß zu ziehen. „Im Gegenteil“, betont Herr Anthofer: „die Wohnqualität in dieser Straße lädt zum flüchten ein.“

Die Problematiken des Quartiers Ihringshäuser Straße:

Die Probleme die es heute in dem Wohnquartier der Ihringshäuser Straße gibt, sind laut Herr Anthofer unter anderem auf die Siedlungspolitik und die zunehmende Mobilität der Anwohner zurückzuführen. Wenn man davon ausgeht das eine Familie im Durchschnitt 1,5 Autos besitzt und man sich dann in diesem Zusammenhang das Quartier der Ihrings-häuser Straße betrachtet, liegt die Problematik klar auf der „Straße“. Das Quartier der Ihringshäuser Straße ist auf beiden Seiten durch viele enge Straßen gekennzeichnet, die dem zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen sind. Da in diesen Straßen das Parken nur eingeschränkt geregelt ist und es auch keine zeitlichen Begren-zungen oder Parkscheinautomaten gibt, herrscht dort oft das Chaos, berichtet Herr Anthofer. Weiter erzählt er, dass Politiker auf diese Problematik und auf Lärmbeschwer-den hin mit Wegzugempfehlungen reagieren und die Problematik offensichtlich nicht ernst nehmen. Er glaubt, das grundlegende Problem und die geringe Anerkennung der Probleme in der Ihringshäuser Straße liegen daran, dass das Quartier allgemein als grün und schön angesehen wird, weshalb es im Raum Kassel in einem sehr guten Licht steht. Die Ihrings-häuser Straße wird dabei einfach übersprungen und nicht mit dem Quartier gemeinsam betrachtet. Dabei wird allerdings übersehen, dass das Gebiet durch die Ihringshäuser Straße zerschnitten wird, wodurch sich zwei soziale Schichten rechts und links der Straße gebildet haben, die nicht zusammen kommen können und auch nicht mehr wollen. Besonders bei den Kindern gibt es starke Differenzen. Hinzu kommt das die Ampelschal-tung der Ihringshäuser Straße ausschließlich nach dem Autoverkehr ausgerichtet ist, da es für die Stadt wichtig ist das der Verkehr fließt und sich keine Staus bilden. Die Fuß-gänger werden in diesem Quartier zweitrangig behandelt, was im Laufe der Jahre zur Zerteilung des Quartiers durch die Ihringshäuser Straße führte.

Die Infrastruktur hat sich im Laufe der Jahre immer mehr zurückentwickelt, heute gibt es keinerlei Einkaufsmöglichkeiten mehr entlang der Ihringshäuser Straße. Was wiederum zur Folge hat, dass die Bewohner zum Einkaufen fahren müssen und mehr Verkehr verur-sachen.

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Durch das starke Verkehrsaufkommen und die kaum überwindbare Ihringshäuser Straße gehen viele der älteren Menschen an dieser Trasse kaum noch aus dem Haus, was auf Dauer zu drastischen sozialen Auswirkungen führen kann. Viele ältere Menschen verein-samen durch den eingeschränkten Kontakt nach Außen. Alte Menschen müssen am Leben im Quartier teilhaben können. In früheren Zeiten gin-gen die Menschen auf die Straße, um sich zu treffen und an der Straße zu flanieren, erzählt Herr Anthofer. Es fand ein starker Nachbarschaftsaustausch statt, heute kennen sich die Nachbarn oft nicht einmal mehr. Die Ansiedlung von Einkaufsmöglichkeiten könnte zu einer Verbesserung der Wohnsituation und zur Belebung des Quartiers beitra-gen.

3.4 Fazit der Lärmproblematik in Kassel

Die Betrachtung der Problematik verkehrslärmbelasteter Wohnquartiere in Kassel und dem konkreten Fallbeispiel der Ihringshäuser Straße haben gezeigt, dass die Abwande-rungen in die Stadtumlandregionen zu einem großen Teil mit der Lärmbelastung in der Stadt und deren direkten Auswirkungen auf das Wohnquartier zu tun haben. Diese Ver-mutung konnte sowohl durch die Interviewpartner, als auch durch die Studie des ZRK untermauert werden. Um das Leben in der Stadt und besonders an stark befahrenen Einfallstraßen erträgli-cher zu machen, ist es notwendig Maßnahmen zu ergreifen die zum einem dem Prob-lem der Lärmbelastung entgegenwirken und zum anderen die Attraktivität des Quar-tiers für eine breite Bevölkerungsschicht wieder herstellen. In der kommunalen Verkehrslärmbekämpfung geht es also nicht nur um die Bekämp-fung einzelner Lärmursachen, sondern vielmehr um die Erstellung eines Gesamtkonzep-tes das sowohl zur Lärmminderung als auch zur qualitativen Aufwertung eines Standor-tes beiträgt. Wie aus den Experteninterviews hervor geht ist die Lage des Quartiers so-wie die Ausstattung und Qualität der Wohnung entscheidend. Wenn diese Kriterien stimmen kann über anfallenden Lärm hinweggesehen werden, was natürlich die Ge-fahren die von Verkehrslärm ausgehen nicht verringert, sondern nur in den Hintergrund stellt. Allerdings ist Verkehrslärm häufig die Ursache für vernachlässigte und herunterge-kommene Wohnstandorte in denen nur noch sozialschwächere Schichten leben, weil die Mieten günstig sind. Durch zu günstige Mieten sind die Eigentümer oft nicht in der Lage die finanziellen Mittel für Modernisierungsmaßnahmen aufzubringen. Aus diesem Grund müsste die Hilfe durch Fördermittel, eventuell im Rahmen der sozialen Stadt, Ur-ban oder anderen Förderprogrammen, gesichert werden. Aus diesem Zusammenhang heraus entsteht wie bereits beschrieben das Abwande-rungsproblem der Städte. Wer es sich leisten kann, zieht ins Stadtumland und genießt die ländliche Ruhe, sorgt aber gleichzeitig wieder für ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf den Einfallstraßen bei der Fahrt zur Arbeit oder dem wöchentlichen Großeinkauf. Durch die starke Lärmbelastung und die zum Teil heruntergekommenen Gebäude gibt es eine hohe Fluktuationsrate. Diesem Kreislauf muss durch geeignete Wohnumfeldver-besserungskonzepte entgegengewirkt werden. Die Wohnungsstandards müssen an moderne Ansprüche angepasst werden und die Wohnumfeldsituation muss durch ein attraktives Angebot an Funktionalität, Freiflächen, ÖPNV-Nähe sowie die Ansiedlung von Einkaufmöglichkeiten so verbessert werden, dass ein belebtes Quartier entsteht, in dem ein breit gefächertes Publikum zu Hause ist. So kann einer Segregation zum Lärm-getto entgegengewirkt werden. Herr Anthofer sagte in seinem Interview, dass ein weiteres Problem der Attraktivitätsstei-gerung verkehrslärmbelasteter Stadtbezirke in den eingeschränkten Möglichkeiten der

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Planer und Architekten liegt, durch den häufig vorhandenen Denkmalschutz der betrof-fenen Gebäude. Die Denkmalschutzvorschriften müssten zeitgemäß geändert werden, da man in den Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu eingeschränkt ist. „Die Denkmalschutzrichtlinien müssen geändert werden, bevor jemand einen Stein auf den Kopf bekommt“, sagt er weiter in Bezug auf einige baufällige Gebäude in der Ihrings-häuser Straße.44 Weitere Maßnahmen und Möglichkeiten die zu einer Verbesserung lärmbelasteter Wohnquartiere beitragen werden im folgenden Kapitel ausführlich dargestellt.

44 Vgl.: ANTHOFER: Experteninterviews Kapitel 5 (10.08.2004)

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4 Maßnahmen zur Verkehrslärmbekämpfung

Die Tatsache das der Verkehr in den letzten 15 Jahren rapide angestiegen ist stößt jetzt auf Konfliktsituationen, die eine Stadt, ihre Politiker, ihre Planer und ihre Einwohner zu einem Umdenken zwingen muss, um weiterhin ein angenehmes Miteinander zu ermög-lichen ohne das die Menschen, die Entwicklung einer Stadt oder gar die Wirtschaft ei-ner Stadt darunter leidet. Dabei kann auf planerischer, ordnungsrechtlicher und bauli-cher Ebene einiges geleistet werden, was zu einer Verbesserung der Situation führt. Gleichzeitig ist aber jeder einzelne Bürger einer Stadt mitverantwortlich für die Minde-rung von Verkehrslärm. Bei der Minderung von Verkehrslärm gibt es verschiedene Möglichkeiten die Anwohner vor dem störenden Straßenverkehrslärm zu schützen. Zum einen durch aktive Lärm-schutzmaßnahmen direkt an der Lärmquelle, also an den Straßen oder durch passive Lärmschutzmaßnahmen, also durch nachträgliche Schutzmaßnahmen an den Gebäu-den.

Aktive Lärmschutzmaßnahmen:

Wichtige planerische- und ordnungsrechtliche Ansatzpunkte zur Einschränkung des Straßenverkehrslärms bietet die Straßenverkehrsordnung:45

- Verkehrsverbote, evtl. nur für bestimmte Fahrzeugtypen - Zeitliche Verkehrsbeschränkungen, - Räumlich eingegrenzte Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Straßenabschnitten

bzw. für Stadtgebiete.46

Diese Maßnahmen sollen aktiv zu Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in geschlossenen Ortschaften oder Stadtbezirken beitragen. Ziel dabei ist es gleichmäßige und vor allem geringe Geschwindigkeiten zu erreichen. Vermieden werden muss vermehrtes Anfah-ren an Ampeln und Kreuzungsbereichen, da Anfahrgeräusche ein erhöhtes Lärmpoten-tial darstellen.

• Eine besonders wichtige Maßnahme in der kommunalen Verkehrslärmbekämpfung spielt der Einsatz von lärmmindernden Fahrbahnbelägen. Straßen mit frei fließendem Verkehr sind von Rollgeräuschen der Reifen am meisten betroffen. Die Autoindustrie hat sich zwar in den letzten Jahren vermehrt um geräuschärmere Reifen bemüht, al-lerdings kommt diese auch nicht gegen den allgemeinen Trend zu Breitreifen an, die enorm zu Lärmbelastungen beitragen. Fahrbahnbeläge sind je nach erlaubter Ge-schwindigkeit einzusetzen. Bei verkehrsberuhigenden Maßnahmen wird häufig ein Pflasterbelag verwendet, da die Geschwindigkeiten ohnehin unter 20 km/h liegen. Bei höheren Geschwindigkeiten führen diese allerdings zu erhöhten Lärmimmissio-nen. Dabei kommt es jetzt auch wieder auf das Fahrverhalten der Autofahrer an, ob die Verkehrsberuhigung wirklich eine ist, oder ob der Verkehrslärm sogar noch er-höht wird! Um in gepflasterten Straßen zu hohe Lärmimmissionen zu vermeiden muss der Pflasterbelag durch Asphalt ausgetauscht werden. Der Einsatz von offenporigen, porösen „Flüsterasphaltdecken“ hat eine enorm lärmmindernde Wirkung, sie führen bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h zu einer Pegelreduzierung von 3dB (A). Der Nachteil dieses Materials besteht allerdings in seiner geringen Haltbarkeit.47

45 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.:105, (1995) 46 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.:105, (1995) 47 DR. BAUMÜLLER, JÜRGEN / DIPL.MET. HOFFMANN, ULRICH / DR. REUTER, ULRICH: S.126 (1991)

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• In diesem Zusammenhang steht auch die Nutzung moderner Techniken beim Auto-bau, denn mit Maßnahmen gegen den ansteigenden Verkehrslärm müsste bei der Autoindustrie begonnen werden. „Leisere Reifen, kleinere Motoren, weniger PS, Nut-zung neuer Technologien, die Technik ist doch mittlerweile so weit, dass man „leise“ und umweltfreundliche Autos bauen kann, kritisiert Herr Jochum (vgl. Kap.1).“48 An diesem Punkt kommt dann wieder das Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer ins Spiel, denn viele „Autoverrückte“ wollen auf einen „tollen“ Klang des Motors und viele PS nicht verzichten, die Kinder im Schlafzimmer an der Hauptverkehrsstraße kennen sie ja nicht!

Passive Lärmschutzmaßnahmen:

• Die Abschirmung von stark belasteten Straßen durch Lärmschutzfenster, -wände, -wälle, -begrünungen oder Abstandsflächen wird immer häufiger genutzt, um die Anwohner vor störendem Lärm durch den Straßenverkehr zu Schützen. Doch nicht selten erreicht man mit diesen Methoden auch negative Auswirkungen für die An-wohner.

Fallbeispiel: Kassel –Oberzwehren

Durch die Errichtung eines Lärmschutzwalls in Kassel – Oberzwehren wurde eine gesam-te Wohnsiedlung vom alten Ortskern abgetrennt, wodurch ein direkter Zugang zum Ort „Oberzwehren“ verhindert wird. Die Bewohner sind zwar jetzt vor dem Verkehrslärm der Frankfurter Straße geschützt, aber die Wohnqualität hat seit dieser Maßnahme erheb-lich nachgelassen, wodurch die Attraktivität des Gebietes stark zurückgegangen ist und auch einiger Leerstand verzeichnet werden kann.

• Die so genannten passiven Lärmschutzmaßnahmen bringen oft nur auf den ersten Blick eine Verbesserung der persönlichen Lage. Durch Schallschutzfenster beispiels-weise wird der Verkehrslärm in den Wohnungen zwar so gut wie unhörbar, diese Maßnahme bringt allerdings nur bei geschlossenen Fenstern eine Verbesserung der Situation. Andererseits sind die Bewohner in ihrer Lebensweise erneut eingeschränkt, sie können sich nur bei geschlossenen Fenstern dieser Ruhe erfreuen und die Balko-ne und Terrassen bleiben auch weiterhin ungenutzt.

• Ebenso ist es notwendig zwischen Altbauten und Neubauten zu unterscheiden, da die Lärmeinwirkungen und Schutzmöglichkeiten völlig konträr sind. Für Neubauten stellt Lärm kein Problem dar, da es mittlerweile genügend technische Möglichkeiten gibt die Bewohner durch Passivhaus - Bauweisen und neuartige Isolierungen vor Verkehrslärm und Abgasen zu schützen, wie Herr Jochum in seinem Interview erklärt. (siehe Passivhäuser der Unterneustadt).

Problematisch ist allerdings den Altbestand vor diesen „neueren Umweltproblemen“ zu schützen, denn diese Gebäude sind den Anforderungen der heutigen Zeit noch nicht gewachsen. So werden bspw. durch den Denkmalschutz Grenzen gesetzt, die es nicht zulassen die Gebäude den heutigen Anforderungen an eine Stadt anzu-passen.Beispiele zu dieser Problematik gibt es in der Ihringshäuser Straße, denn viele der Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Diese Tatsache erschwert es passive Lärmschutzmaßnahmen durchzuführen, die für den Schutz vor der stark belasteten Straße notwendig wären. „Durch den Denkmalschutz sind den Leuten die Hände gebunden“, sagt Herr Anthofer in seinem Interview. Weiter sagt er: „Der Denkmal-schutz müsste zeitgemäß geändert werden, da man in den Maßnahmen zur Verbes-serung der Situation zu eingeschränkt ist. Die Denkmalschutzrichtlinien müssen ge-ändert werden, bevor jemand einen Stein auf den Kopf bekommt.“

48 Vgl.: JOCHUM: Experteninterviews Kapitel 5 (10.08.2004)

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Planerische und städtebauliche Maßnahmen:

Durch Stadtplanungsmaßnahmen ist die Möglichkeit gegeben eine Stadt flächende-ckend unter verschiedenen planungsrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Dies geschieht bekanntermaßen vor allem durch Flächennutzungs- und Bebauungspläne, in denen die unterschiedlichen Nutzungen und Flächenplanungen festgelegt sind. Da-durch ist es vielerorts bereits gelungen Lärmkonflikte zu reduzieren bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen, indem Nutzungsverlagerungen, Abstandsfestsetzungen, Gebäu-destellungen sowie Schallschutzvorrichtungen angeordnet wurden.

Ebenso sollte es durch stadtplanerische Anordnungen möglich sein, flächendeckende Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung festlegen zu können, denn nur im ganzen gese-hen kann eine langfristige Verbesserung eintreten.

In der kommunalen Verkehrslärmbekämpfung ist es vor allem notwendig nicht nur ein-zelne Lärmursachen zu bekämpfen, sondern vielmehr ein Gesamtkonzept zu entwi-ckeln, welches an verschiedenen Lärmquellen „dreht“. Denn erst durch die Überlage-rung mehrerer Schallschutzmaßnahmen können langfristige Lärmpegelminderungen realisiert werden.

Einige Ansatzpunkte die zur Lärmminderung beitragen können liegen schon in der Be-trachtung vorhandener Probleme:

- die Art und Anzahl der Fahrzeuge, Fahrweise der Fahrer - Fahrbahnbeläge - verkehrsrechtliche Maßnahmen - Verkehrsberuhigungsmaßnahmen - Planung und Trassierung von Verkehrswegen - Abschirmung von Verkehrswegen.49

Die positive Umsetzung einer dieser Maßnahmen hinsichtlich der Lärmminderung ist in der Regel nicht ausreichend, da die Summierung den Belästigungsgrad bestimmt. Ein weiteres Problem in Bezug auf die Maßnahmen der Lärmminderung ist der begrenz-te Befugnis- und Handlungsspielraum der Stadt- und Verkehrsplaner, da viele Vorschrif-ten durch die StVO sowie die Straßenverkehrszulassungsordnung geregelt werden.

• In diesen Bereich fallen beispielsweise die Punkte der verkehrsrechtlichen- und ver-kehrsberuhigenden Maßnahmen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen lassen sich auf lokaler Ebene zeitlich beschränkte Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen für den allgemeinen Verkehr und für besonders störende Fahrzeuge erwirken.

Sie dürfen allerdings nur so angewandt werden, dass die Beschränkungen des Ver-kehrs nicht unnötig hoch sind. In Verbindung mit gezielten Geschwindigkeitsbegren-zungen können auf diese Weise in der Nacht Lärmpegel erheblich verringert wer-den. Bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h auf 30 km/h wird die Laut-stärke um 3 dB(A) reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lärmbelas-tung führen würde, da die Lautstärke bei einer Lärmpegelsenkung um 3 dB(A) nur noch als halb so stark empfunden wird, begründet Frau Schmidt vom Bürgerverein Ihringshäuser Straße in ihrem Interview.50

• Zeitweilige Fahrverbote machen allerdings nur Sinn, wenn ebenfalls offizielle Umlei-tungen für diese Zeiträume rechtlich geregelt sind. Ansonsten verlagert sich der Ver-kehr eventuell auf bisher ruhige Straßen, die dann vermehrt für Schleichverkehr ge-

49 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.:105, (1995) 50 Vgl.: SCHMIDT, BRITT: Experteninterviews Kapitel 5 (29.07.2004)

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nutzt werden. Der Verkehrslärm würde in diesen Gebieten zu noch weitaus mehr Lärmstörungen führen, da das subjektive Lärmempfinden der Anwohner empfindli-cher ist als von den Anwohnern an einer Hauptverkehrsstraße.

• Durch die Einführung von „grünen Wellen“ wird einem stetigen Anfahren und Brem-sen entgegengewirkt, wodurch die Lärmbelastungen ebenfalls verringert werden können. Möglich wäre es auch an Ortseingängen sogenannte „Pförtnerampeln“ zu errichten, die den Verkehr vor den einzelnen Einfallstraßen bzw. belasteten Wohn-straßen abfängt und ihn nur stoßweise, aber fließend die belasteten Straßen entlang führt. Diese Möglichkeit ist allerdings nicht in allen Fällen sinnvoll, da es so auch zu einer Verlagerung des Lärmproblems führen kann.

• Eine immer häufiger durchgeführte Maßnahme ist der Bau von Umgehungsstraßen, auf denen der Verkehr gebündelt werden soll. Dadurch sollen kleine Straßen, die immer mehr durch Schleichverkehre belastet werden wieder entlastet werden. Be-reits stark belastete Straßen und auch deren Anwohner können das dadurch erhöh-te Verkehrsaufkommen eher kompensieren als kleinere Straßen und deren Anwoh-ner.

Die Problematik der möglichen Lärmminderungsmaßnahmen:

Momentan kann jede Gemeinde ihre eigene Lärmschutzpolitik betreiben, wodurch es in der Umsetzung zu kuriosen Fallbeispielen kommt. Fallbeispiele in Kassel und Umgebung:

Fallbeispiel: Kiefernweg / Vellmar - Harleshausen An dieser Wohn- und Durchfahrtsstraße ist zu beobachten, dass Lärmschutz je nach Gemeinde einen anderen Stellenwert hat. Während im Ortsteil Harleshausen der Stra-ßenverkehrslärm durch einen Lärmschutzwall und Begrünung aktiv vor Lärmeinwirkun-gen abgeschirmt wird, um ruhiges Wohnen zu ermöglichen, ist im Ortsteil Vellmar eine direkte Straßenrandbebauung vorzufinden. Lärmschutzmaßnahmen wurden hier nur durch eine nachträgliche Verkehrsberuhigung getroffen. (Vgl.: Experteninterviews, Kapitel 1 Herr Schumacher, Wohnstadt)

Fallbeispiel: Baunatal / Baunsberg an der A44 Zur Autobahn A44 hin wurde eine Lärmschutzwand errichtet, um die Bewohner am Baunsberg vor dem Autobahnverkehrslärm zu schützen. In diesem Fall führte der Lärm-schutz auf der Seite Baunsberg zu Lärmauswirkungen im gegenüberliegenden Nords-hausen, da der Lärm durch die Baunataler Lärmschutzwand reflektiert wurde. Der Ortsbeirat Herr Zeitler hat sich für Lärmschutzmaßnahmen in Nordshausen einge-setzt. Dort wurde dann ebenfalls ein Lärmschutzwall mit Begrünung errichtet, um die Lärmeinwirkungen einzudämmen. (Vgl.: Experteninterviews, Kapitel 5 Herr Schumacher, Wohnstadt)

Mögliche Maßnahmen gegen die Lärmbelastung durch Schienenverkehr

Ein weiteres Feld der Verkehrslärmbelastung ist die Belastung durch Schienenverkehr. Obwohl die Lärmschutzmaßnahmen mit den Ansätzen des Straßenverkehrs fast iden-tisch sind, gibt es doch einige nennenswerte Unterschiede, die besonders den Rad-/Schienenbereich betreffen.

Aktive Lärmschutzmaßnahmen:

Die Schienenoberkanten sind durch den stetigen Streckenbetrieb besonders von Ab-nutzungserscheinungen betroffen, so dass Schwingungen und Geräusche der Züge und

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Straßenbahnen im Laufe der Zeit stark zunehmen. Durch regelmäßige Kontrollen mit elektronischen Schienenmessungen kann diesen Verschleißerscheinungen vorgebeugt werden. Seit 1993 gibt es bei der „Deutsche Bahn AG“ einen Schallmesszug, der im Rahmen der Wartung und Instandsetzung die Schienenoberkanten glättet.51 Natürlich ist bei Schienenlärm der Gleisober und –unterbau von besonderer Wichtigkeit, denn er kann durch beispielsweise Unterschottermatten aus Kunststoff eine Weiterlei-tung des Schalls eindämmen. 52

- In städtischen Bereichen kann eine Einebnung und Gleisbettbegrünung mit Moos und Gras die Straßenbahntrassen optisch schöner aussehen lassen und gleichzeitig den Schienenlärm dämpfen, berichtet Frau Schmidt vom Bürgerverein Ihringshäuser Straße. Diese Maßnahme gehört zu den Forderungen, die seitens des Bürgervereins zur Lärmminderung an die Stadt Kassel gestellt werden. Aus Kostengründen ist die Umsetzung dieser Maßnahme zur Zeit nicht möglich, da das Gleisbett noch aus Holz ist und zuerst ausgetauscht werden müsste. (Sanierung erst in 15-20 Jahren möglich)

Abbildung 9: Aufbau eines Schienenlärmmindernden Gleisbettes von Straßenbahnen53

Lärmminderung bei Schienenverkehr kann vor allem durch die Erneuerung von techni-schen Standards erfolgen. Neue Bremssysteme wie Scheiben- oder Verbundbremsen sind deutlich leiser als die älteren Modelle, z.B. die Graugussklotzbremsen. Diese verur-sachen Unebenheiten auf den Schienen und erhöhen dadurch das Lärmaufkommen. Dabei können Schallpegelunterschiede bis zu ca. 15 dB (A) entstehen. (Die Steigerung von 10 dB (A) wird als Verdopplung der Lautstärke empfunden). Des weiteren können Schienengeräusche durch die Vermeidung von engen Kurven im Streckenverlauf um einen Schallpegel bis zu 8 dB(A) verringert werden. Passive Lärmschutzmaßnahmen bei Schienenlärm:

Bei Lärmbelästigungen durch Schienenlärm wird ebenso wie bei Straßenverkehrslärm der passive Schallschutz wie Lärmschutzfenster, -wände, -wälle, -begrünungen oder Abstandsflächen immer häufiger genutzt. Diese Maßnahmen lassen sich genau wie bei Verkehrslärm vor allem bei Neu- und Ausbaustrecken anwenden, da man über mehr Platz verfügt und somit Abstandsflächen besser einhalten und Lärmschutzwälle –und Wände so aufstellen kann, dass die bestehende Bebauung nicht negativ beeinflusst werden kann. Lärmschutzwälle an eine bestehende Schienentrasse in ein bestehendes städtisches Wohngebiet zu integrieren ist meist nicht möglich. Planerische und städtebauliche Maßnahmen: Beispiel Güterverkehrszentren Kassel/Waldau

51 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.:119, (1995) 52 HABERMEHL, KLAUS (Hg.): S.:119, (1995) 53 Vgl.: ANTHOFER: Experteninterviews Kapitel 5 (10.08.2004)

Begrünung Gleise Grober Schotter Feiner Schotter

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Maßnahmen zur Verkehrslärmbekämpfung

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Durch den Bau von Güterverkehrszentren außerhalb der Städte in den Industriegebie-ten wie am Bsp. Kassel / Waldau wird der Fernverkehr und somit auch die Autobahnen entlastet. Andererseits sind diese Güterverkehrszentren durch besonders hohe Schall-immissionen belastet. Dabei treten neben den Fahrgeräuschen zusätzlich Halte-, An-fahr- und Rangiergeräusche auf, die die Anwohner der Umlandgemeinden stören. Um die Bewohner in Kassel / Waldau vor dem Lärm der Güterbahn zu schützen, wurde ein Lärmschutzwall errichtet, getreu dem Motto „Lärm den man nicht sieht, hört man auch weniger.“.54 Wichtig ist es außerdem die Ampelschaltung so zu regeln, dass die Bahn möglichst oh-ne zu halten bis zur Umschlaganlage durchfahren kann, um unnötige Brems- und An-fahrvorgänge zu vermeiden. Durch die Verlagerung von Speditionen aus der Stadt in Industrieparks werden die städ-tischen Straßen ebenfalls durch den Fernverkehr entlastet. Maßnahme Förderung des Umweltverbundes

Trotz einiger Widersprüchlichkeit gehört die Stärkung des ÖPNV langfristig zu den effek-tiven Maßnahmen um den Straßenverkehr zu entlasten, denn trotz der Lärmbelastung, die von Straßenbahntrassen ausgeht, wird die Anzahl der Mitfahrer auf wenige Straßen-bahnen kompensiert, was keinen Vergleich zu den Massen an privaten Pkws darstellt.

Der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club) setzt sich für einen stadtverträglichen Verkehr ein, in welchem den Verkehrsmitteln des sogenannten Umweltverbundes, also dem Zu-Fuß-Gehen, dem Fahrrad, sowie Bus und Bahn, eine große Bedeutung zu-kommt. Aus diesem Grund wendet sich der ADFC gegen Maßnahmen im Straßennetz, die zu noch mehr Autoverkehr führen und den Bedürfnissen des Fuß- und Radverkehrs entge-genstehen. Die Forderungen liegen statt dessen u.a. im weiteren Ausbau des öffentli-chen Nahverkehrs, Tempo 30 innerorts und die Überwachung bestehender Geschwin-digkeitsbeschränkungen durch wirksame Kontrollen.

Beispiel Kassel, Ihringshäuser Straße:

Wichtig für eine Entlastung der Ihringshäuser Straße ist die Verlängerung der Straßen-bahn nach Ihringshausen bzw. bis zur Hasenhecke sowie dem neu entstehenden Wohngebiet am Wolfsanger. Diese Maßnahme würde ca. 300 Autos weniger Belastung für die Anwohner bedeuten. „Die Straßenbahntrasse dorthin sollte fertig sein, bevor der Siedlungsbau in Wolfsanger beginnt und bevor jede Familie einen Zweitwagen be-sitzt.“55

Die Ursache von Verkehrslärm liegt eigentlich bei jedem einzelnen Bürger selbst, denn fast jeder hat heute ein Auto und ist zu bequem den ÖPNV zu nutzen, obwohl das An-gebot mittlerweile sehr gut ist.

Die Einführung der Regiotram soll in Zukunft für die Bewohner der Stadtumlandgemein-den ein attraktives Angebot darstellen, ohne PKW auf schnellst möglichem Weg die Innenstadt zu erreichen. Dadurch werden die Einfallstraßen und die innerstädtischen Bereiche sowie die Anwohner von Verkehrslärm entlastet. Doch auch zu diesem Thema gibt es durchaus geteilte Meinungen, denn jede gute Idee birgt auch seine negativen Seiten, die mehr oder weniger belastende Auswirkungen haben können. Ein Beispiel dafür gab Herr Brinkmeyer in seinem Interview.

54 Vgl.: KRIEGER: Experteninterviews Kapitel 5 (02.08.2004) 55 Vgl.: ANTHOFER: Experteninterviews Kapitel 5 (10.08.2004)

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Maßnahmen zur Verkehrslärmbekämpfung

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„Durch die Einführung der Regiotram entsteht nicht nur mehr Lärm in den Städten, son-dern auch das Einkaufsverhalten der Bürger wird sich verändern. Die Menschen sind schneller aus den Ländlicheren Bereichen in Kassel und erledigen ihre Einkäufe dort. Dadurch könnte der Markt im Umland auf Dauer geschwächt werden.“56

Es gibt rechtlich und städtebaulich gesehen eine Menge Möglichkeiten gegen Ver-kehrslärm vorzugehen, jedoch sind alle rechtlichen und baulichen Möglichkeiten be-grenzt. Das städtebauliche Leitbild „Ruheschutz in der Stadtentwicklung“ kann nur durch eine Überlagerung dieser Maßnahmen verfolgt werden. Einzelne Maßnahmen können nur vereinzelt oder punktuell und dann auch nur in einem sehr geringen Maße etwas bewirken. Jede Möglichkeit der Lärmminderung zieht in irgend einer Art und Weise auch glei-chermaßen negative Auswirkungen und Einschränkungen mit sich, die das Verhalten der belasteten Bewohner verändert.

Eine der wichtigsten und wirksamsten Methoden der Verkehrslärmbekämpfung ist dem-nach „ein Appell an das Bewusstsein der Autofahrer“! Es müssen Aufklärungsmaßnah-men über die Auswirkungen von Verkehrslärm getroffen werden, die eine Verhaltens-änderung der Fahrer erreichen. Mögliche Maßnahmen, um an die Fahrer zu appellieren sind die Einsetzung von Lärmdiplays, wie sie in der Schweiz genutzt werden oder Plakat-kampagnen an stark belasteten Trassen oder entlang von Straßen an ruhigen Wohn-standorten. Verkehrsberuhigung fängt nämlich nicht in der Planung und in Gesetzes-verordnungen an, sondern im Kopf. Jeder muss sich darüber bewusst werden, dass langfristig einwirkender Lärm krank macht und immense Auswirkungen auf die Men-schen und die Entwicklung unserer Städte nach sich zieht.

56 Vgl.: BRINKMEYER Experteninterviews Kapitel 5 (25.08.2004)

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Fazit

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5 Fazit

Das wichtigste Ziel der zukünftigen Stadtplanung wird es sein, die Belastung der Bevölke-rung durch Lärm systematisch abzubauen sowie den Anstieg von Lärmbelastungen zu verhindern.

Mit diesem Ziel vor Augen und der Annahme dies durch planungstechnische Maßnah-men erreichen zu können habe ich mit dieser Arbeit begonnen. Es hat sich jedoch wäh-rend der Analyse und spätestens nach den geführten Experteninterviews gezeigt, dass Lärm wohl eines der verbreitetsten Umweltprobleme der heutigen Zeit ist, dem man durch planungsrechtliche und technische Maßnahmen nur in geringem Maße bei-kommen kann, das Problem an sich kann damit jedoch nicht bekämpft werden. Lärm und besonders Straßenverkehrslärm ist ein Teil jeder Stadt, der auch in gewissem Maße dazu gehört, aber eben nur in einem gewissen Maße! Im Laufe der letzten 15-20 Jahre hat die Belastung durch Straßenverkehrslärm derart zugenommen, dass die Aus-wirkungen und Ausmaße nicht mehr zu übersehen sind.

„Lärm macht krank, kostet Geld und verändert die betroffenen Menschen und das Le-ben in den Städten“

Die Analyse wie auch die Untersuchung einiger Lärmstandorte in Kassel in Verbindung mit den Experteninterviews haben gezeigt, dass das Problem der Lärmbelastung immer mehr in den Vordergrund rückt und an zentraler Bedeutung gewinnt. Trotz dieser Tatsa-che gibt es bundesweit kein einheitliches Gesetz, welches die Städte und Kommunen dazu zwingt, aktiv gegen die Lärmbelastung durch Verkehrslärm vorzugehen.

In Kassel hat der Schutz der Ruhe jedoch noch keinen hohen Stellenwert. So ist auch aus den Experteninterviews immer wieder herauszuhören, dass Lärm zur Stadt gehöre. Weitere Beiträge vom Bürgerverein zeigen, dass kritische Anfragen zur Lärmproblematik von der Politik oder Verwaltung gleich mit der Anregung zum Wegzug verbunden wer-den. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen haben die Stadt nicht dazu veranlasst, Ruhe-schutz als Ziele zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität zu sehen.

Auch während der Recherche zu dieser Arbeit konnte ich deutlich merken, dass das Thema Lärmminderungsplanung in Kassel noch keinen hohen Stellenwert hat. Das Ziel Lärmsanierungsstrategien der Stadt Kassel herauszuarbeiten und diese auf die konkreten Problemstandorte in Kassel anzuwenden scheiterten schon mit der Aufga-benstellung. Nach einer Telefonodyssee durch das Kasseler Rathaus und vieler Verwei-se, und Vermutungen darüber wer für dieses Thema zuständig sein könnte, bin ich durch Zufall im Vermessungsamt an die Telefonnummer des Bürgervereins der Ihrings-häuser Straße gekommen. Außer Herr Jochum vom Planungsamt der Stadt Kassel, zuständig für das Projekt Unter-neustadt und Bauleitplanung, konnte mir keiner über die Lärmproblematik und Lärmsa-nierungsstrategien der Stadt Kassel Auskunft geben und mir bei der Lösungsfindung be-hilflich sein. Er sagte in seinem Interview deutlich: „In der Stadt Kassel gibt es zur Zeit noch kein Programm zur Lärmminderung. Es existiert lediglich ein Generalverkehrsplan“. Wie aus dieser Arbeit hervor geht gibt es in Kassel jedoch genügend Bedarf an Lärmsa-nierungsstrategien, die zu einem ruhigeren, gesünderen und angenehmeren Leben in der Stadt Kassel führen könnten. Leider ist es auch immer ein finanzielles Problem, denn eine Lärmpegelermittlung, die die Grundlage für weitere Sanierungsstrategien darstellt, ist für eine ganze Stadt zu teuer und kann deshalb nicht durchgeführt werden, sagt Herr Jochum weiter in seinem Interview.

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Fazit

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Mittlerweile gibt es genügend Untersuchungen und Gutachten, die speziell auf das Problem der Lärmbelastung durch Straßenverkehrslärm ausgerichtet sind und einheitlich ergeben haben, dass stetiger Straßenverkehrslärm langfristig gesundheitliche Schäden verursacht. Besonders Kinder sind von Ruhestörungen durch Lärm stark belastet, was sich laut dem „Berufsverband der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie“ durch Schwerhörigkeit, Schlafstörungen, Lernschwächen, Kommunikationsstörungen, Sprach-entwicklungsschwierigkeiten sowie einem verminderten Selbstwertgefühl bemerkbar machen kann. Trotz dieser folgeträchtigen Tatsachen, wie aus dem Analysebericht zu entnehmen, die nicht nur Kinder sondern auch jeden Erwachsenen betreffen, ist die Gefahr die durch Lärm ausgeht nicht allgemein anerkannt. Für fast alle Arten von Lärm gibt es rechtliche Regelungen, in denen festgeschrieben ist in welchen Zeiträumen gearbeitet werden darf und welche Maschinen eingesetzt wer-den dürfen. Rücksichtnahme besonders in Mietshäusern ist ein unabdingbares muss, um die Nachbarn nicht zu stören. Der Lebensmittelmarkt um die Ecke, darf seine Warenlie-ferung erst ab 06:00 Uhr morgens bekommen, um Anwohner nicht zu stören. Die Öff-nungszeiten von Biergärten in warmen Sommernächten ist auf 22:00 Uhr be-schränkt...etc. Es gibt für alles Regelungen und trotzdem ist man Lärm schutzlos ausge-liefert, denn für den Straßenverkehr gibt es weder eine zeitliche Begrenzung noch Ge-schwindigkeitsbegrenzungen während der Nachtruhe. Ganz im Gegenteil: Straßen werden immer weiter ausgebaut, auch innerörtliche Straßen sind durch angrenzende Umgehungsstraßen immer stärker belastet. Flughäfen werden weiter ausgebaut und öfter angeflogen. Die Belästigung durch Straßenverkehr in der Stadt steigt durch den immer stärker werdenden MIV kontinuierlich an. Besonders die Menschen, die an Einfall-straßen wohnen, werden von steigendem Pendelverkehr nahezu überfallen und sind dem Autoverkehr fast rund um die Uhr schutzlos ausgeliefert. In den Morgenstunden und am späten Nachmittag sind die Belastungen von Lärm und Abgasen besonders gravierend und auch gefährdend. Ist diese Phase durch den zusätzlichen Berufsverkehr überstanden, beginnt der Einkaufs- und Freizeitverkehr, der durch die langen Ladenöff-nungszeiten bis in den späten Abend andauert. Durch die heutzutage stark verzerrten Arbeitszeiten und die räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit wurde der Straßenverkehr so verteilt, dass es besonders auf den Einfallstraßen zu immer mehr Ver-kehr und einer dadurch resultierenden stetigen Lärmbelastung kommt. Je länger also die Ladenöffnungszeiten sind und je mehr Freizeit wir in die Stadt bzw. ins Umland verla-gern, desto länger hält die tägliche Belastung besonders auf den Einfallstraßen an. Das zusätzliche Problem zum Durchgangsverkehr ist die starke Belastung durch Schwerlast-verkehr, Motorräder und Straßenbahnen, die in Verbindung mit Ampeln und Straßen-bahnhaltestellen eine echte Zumutung für die Anwohner darstellen. Unterhaltungen, Fernsehen oder Musik hören ist bei geöffneten Fenstern oder sogar auf dem Balkon bei-nahe unmöglich von relaxen oder durchschlafen in der Nacht mal ganz abgesehen. Das Problem Lärmbelastung durch Straßenverkehrslärm ist also nicht mehr zu „überhö-ren“ und mit einer Vielzahl von Geschädigten und Betroffenen auch nicht mehr zu un-terschätzen. Langfristig wird sich aber an dem Problem der Lärmbelastung durch Stra-ßenverkehr nichts verändern, weder durch passiven Lärmschutz noch durch kleinere Maßnahmen wie geräuschärmeren Asphalt, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder an-dere verzweifelte Versuche, dem immer größer werdenden Umweltproblem „Lärm“ entgegenzuwirken. Das eigentliche Problem liegt bei jedem selbst. Wenn sich die Ein-stellung und das Bewusstsein jedes einzelnen Bewohners einer Stadt zum Thema Ver-kehrslärm nicht verändert und die Möglichkeit neuer Techniken von der Autoindustrie nicht genutzt werden, wird sich das Problem Lärm durch Straßenverkehr nicht verbes-sern. Denn Verkehrslärm lässt sich am Besten durch weniger Verkehr verringern.

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6.1 Experteninterviews

In diesem Kapitel werden die Protokolle der Experteninterviews aufgeführt, die zum Thema Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung geführt wurden. Protokoll 1: Gespräch mit Herrn Eckhard Jochum vom Planungsamt der Stadt Kassel Zuständig für: Projekt Unterneustadt Bauleitplanung am 10.08.2004. Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Ausgangssituation:

In der Stadt Kassel gibt es zur Zeit noch kein Programm zur Lärmminderung. Es existiert lediglich ein General-verkehrsplan, auf dem die Fahrzeugfrequenz innerhalb von 24 Stunden aufgeführt wurde. Eine Lärmpegelermittlung für eine ganze Stadt ist zu teuer und kann deshalb nicht durchgeführt werden. Maßnahmen:

• Es müssen neue Methoden und Techniken zur Lärmmessung entwickelt werden, die günstiger sind • Mit Maßnahmen gegen Lärm müsste bei der Autoindustrie angefangen werden.

- leisere Reifen - kleinere Motoren - weniger PS

Die Technik ist doch mittlerweile so weit, dass man „leise“ und umweltfreundlichere Autos bauen kann. Beispiele in Kassel:

Unterneustadt: Die Neubauten entlang der stark befahrenen Leipziger Straße werden durch Lärm nicht beeinträchtigt, da sie durch ihre „Passivhaus- Bauweise“ gut isoliert und gedämmt wurden. Allgemeines:

„Lärm ist mit technischen Maßnahmen zu beherrschen“ Es gibt Gutachten in Kassel von einem Teilstück der Schönfelder Straße und der Leipziger Straße jeweils in Bereichen, die neu bebaut wurden. In diesen Bereichen waren laut dem Lärmgutachten keine Maßnahmen nötig. Für Neubauten stellt Lärm kein Problem dar, Bestände vor Lärm zu schützen ist das Problem.

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Protokoll 2: Gespräch mit Frau Britt Schmidt vom Bürgerverein Ihringshäuser Straße am 29.07.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Allgemeines:

Die Wohnungen entlang der Ihringshäuser Straße befinden sich oft in privat Eigentum. Durch die starke Lärm-belastung des Straßenverkehrs und des Schienenverkehrs, sowie dem Zustand vieler Gebäude lassen sich die Wohnungen nur schwer vermieten, was Mietminderungen zur Folge hat und oft ein Klientel anzieht, welches man nicht unbedingt möchte. Für die meisten Eigentümer lohnt es sich nicht in die Häuser und Wohnungen zu investieren, da sie schwer zu vermieten sind und die Mieten so gering ausfallen, dass der Verdienst in keinem Verhältnis zu den Ausgaben steht. Historischer Hintergrund:

- Teile der Ihringshäuser Straße (Höhe Eisenschmiede) stehen unter Denkmalschutz. - Die meisten Häuser wurden zwischen 1927 – 1928 entlang der Ihringshäuser Straße gebaut, weil die Straße

durch ihre Anordnung als Allee eine besondere Attraktivität darstellte. Die gesamte Straße war auf beiden Seiten von Bäumen und Arkaden eingefasst. Diese wurden jedoch im Krieg zerstört und nur zum Teil wie-der aufgebaut. Im Zuge der Straßenverbreiterung wurden die neu aufgebauten Teilstücke der Arkaden wieder abgerissen. Heute existiert nur noch ein kleines Fragment dieser ehemals bedeutenden Arkaden-bebauung entlang der Ihringshäuser Straße an der Eisenschmiede.

- Im Laufe der Jahre hat sich die Bevölkerungsstruktur an der Ihringshäuser Straße stark verändert. Heute wohnen viele Russlanddeutsche in diesem Wohngebiet, die sich durch den Lärm anscheinend auch nicht gestört fühlen, da sie nicht bereit sind sich im Bürgerverein zu engagieren.

Auswirkungen des Verkehrs- und Schienenlärms:

- Durch den stetig einwirkenden Verkehrs- und Schienenlärm kommt es vermehrt zu Wohnungsumstrukturierungen. Zimmer werden getauscht, damit die Schlafzimmer nach hinten gehen und nicht direkt an der Straße liegen.

- Durch ausbleibende Investitionen sind die Ausstattungen und die Standards vieler Wohnungen veraltet und in einem schlechten Zustand, wodurch Mieter die es sich leisten können in ruhigere Wohngegenden ziehen.

- Alt eingesessene Bewohner sind durch private und familiäre Bindungen fest mit dem Stadtteil verbunden und wollen nicht umziehen, sind aber durch unerträgliche Lärmbelastungen indirekt dazu gezwungen. Aus diesem Grund finden immer mehr Umzüge innerhalb des Stadtteils statt.

- Wertminderung der Gebäude und Grundstücke durch ausbleibende Investitionen Maßnahmen:

- Verkehrsberuhigende Maßnahmen wurden noch keine getroffen. - Die Obermasten wurden zur optischen Verbesserung vom Bürgerverein begrünt. - Teilweise wurden die Häuser der Genossenschaften neu renoviert, die Genossenschaften sind aber auch

die einzigen die etwas machen. - Oberhalb der Eisenschmiede befinden sich auf der rechten Seite rosa Häuser einer Erbengemeinschaft,

die nichts in den Bestand investiert. Diese Häuser sind dem Verfall freigegeben und durch hohen Leer-stand gezeichnet.

Geforderte Maßnahmen seitens des Bürgervereins:

- Pförtnerampel am Ortseingang, so dass der Verkehrslärm und Stau außerhalb des Ortes bleiben. - Straßenbahnverlängerung, um den ÖPNV besser nutzen zu können - Tempo „30“, da eine Verminderung des Tempos von „50 km/h“ auf „30 km/h“ die Lautstärke um 3dB(A)

reduziert. Bei einer Lärmpegelsenkung um 3 dB(A) wird die Lautstärke nur noch als halb so stark empfun-den.

- Auf Bundesebene ist es möglich einen generellen Grenzwert für die Lautstärke von Reifen zu erwirken, so dass generell lärmärmere Reifen produziert werden.

- Eine Begrünung des Gleisbettes würde die Schienentrasse optisch schöner aussehen lassen und gleichzei-tig den Schienenlärm etwas dämpfen. Diese Maßnahme ist zur Zeit aus Kostengründen nicht möglich, da das Gleisbett noch aus Holz ist und zuerst ausgetauscht werden müsste. (Sanierung erst in 15-20 Jahren möglich)

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Protokoll 3: Gespräch mit Herrn Anthofer, dem Vorsitzenden des Bürgervereins Ihringshäuser Straße am 10.08.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Allgemeines:

- „Ihringshäuser Straße ist die B3, eine Einfallstraße von der man regelrecht überfallen wird“ - Ca. 10.000 EW in der Ihringshäuser Straße - Wohnstraße ohne festen Mieterbestand - Teilweise stehen die Wohnungen länger als ein Jahr leer. - Es gibt keine finanziellen Mittel für Lärmschutzmaßnahmen - Das Problem „Lärm“ in der Ihringshäuser Straße wird Todgeschwiegen. - Früher ging die B3 an der Fulda (die Fuldatalstraße) in Richtung entlang. Seit der Verlagerung in die Ih-

ringshäuser Straße ist die Straße besonders von Durchgangsverkehr belastet. Historischer Hintergrund:

- Fast alle Gebäude in der Ihringshäuser Straße stehen unter Denkmalschutz. Dadurch ist es schwer Lärm-schutzmaßnahmen durchzuführen.

- „Durch den Denkmalschutz sind den Leuten die Hände gebunden“ Bewohnerentwicklung:

Die Bewohnerschaft hat sich in den letzten zehn Jahren insbesondere entlang der Ihringshäuser Straße im Stadtteil stark verändert. Zum größten Teil lebten hier alt eingesessene Bürger mit ihrer Familie. Durch die natürliche demographische Entwicklung sind viele der älteren Bürger mittlerweile verstorben und die jüngeren Familien ziehen aufgrund der problematischen Situation entlang der Ihringshäuser Straße aus dem Quartier weg. Heute wohnen meist nur junge Leute ohne Kinder oder Studenten in den Wohnungen entlang der Ihringshäu-ser Straße, da die Mieten billig sind. Junge Familien wohnen nur vorübergehend dort, bis sie etwas größeres in den Stadtrandgebieten gefunden habe. Es ist kein attraktiver Ort um Kinder groß zu ziehen. Auswirkungen des Verkehrs- und Schienenlärms:

Die Wohnqualität in dieser Straße lädt zum flüchten ein und wird von vielen besonders von jungen Familien nur für den Übergang genutzt. Durch die starke Lärmbelastung und die zum Teil heruntergekommenen Gebäude gibt es eine hohe Fluktua-tionsrate. Hohe Fluktuation → Leerstand → günstigere Mieten → teurere Arbeitskosten → keine Renovierung möglich → Gebäude verkommen → Mieter bleiben aus. Die Mietunterschiede von der Ihringshäuser Straße sind im Vergleich zu den Wohnungen, die nur eine Straße weiter im Inneren des Quartiers liegt immens. Getroffene Maßnahmen der Stadt:

- Für den Ortskern Ihringshausen wurde das Verkehrsproblem mit der neuen Umgehungsstraße gelöst. Die Ihringshäuser Straße ist durch diese Umgehungsstraße noch stärker frequentiert als vorher, da eine attrakti-vere und schnellere Verbindung geschaffen wurde. Der Nachtverkehr konnte aber durch diese Maßnah-me verringert werden.

- Die Straßenbahnhaltestellen entlang der Ihringshäuser Straße wurden verbreitert. - Eine Fußgängerampel an der Kaulbachstraße wurde errichtet.

Es konnten jedoch keine Maßnahmen getroffen werden, die zur Verbesserung der Situation in der Ihringshäu-ser Straße beitragen konnten. Geforderte Maßnahmen seitens des Bürgervereins:

- Stärkung des ÖPNV. - Verbesserung der Haltestellenhäuser (vorhandene sind schlecht geplant, nicht für Menschen geplant, die

Bevölkerung muss in solche Planungen aktiv durch Versammlungen und runde Tische einbezogen wer-den)

- Einebnung und Begrünung der Straßenbahnschienen (feiner Schotter, grober Schotter, Gleise, Begrünung) - Masten aufstellen, an denen Ketterpflanzen wachsen können. - Durch Begrünung wird die gesamte Straße wieder attraktiver. - Verkehrsregulierungsampel (Pförtnerampel)

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Mögliche Maßnahmen die zu einer Verbesserung beitragen:

- Ansiedlung von Einkaufsmöglichkeiten, Industrie und Kleingewerbe zur besseren Durchmischung und zur Belebung des Quartiers

- Denkmalschutz müsste zeitgemäß geändert werden, da man in den Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu eingeschränkt ist. „ Die Denkmalschutzrichtlinien müssen geändert werden, bevor jemand ei-nen Stein auf den Kopf bekommt.“

- „Die Ruine an der Weser Spitze (ehemaliger Reitstall) hatte schon viele Eigentümer, aber keiner konnte etwas mit der Baufälligen Ruine anfangen, da diese unter Denkmalschutz steht. Sie müsste bis auf die Grundmauern abgerissen werden.“

- Mehr Mitspracherecht für die Bürger. - Wieder Einführung der Baumschutzsatzung. - Der Verkehr muss besser verteilt werden. Früher ging die B3 an der Fulda (die Fuldatalstraße) in Richtung

entlang. Seit der Verlagerung in die Ihringshäuser Straße ist die Straße besonders von Durchgangsverkehr belastet.

- Wichtig für eine Entlastung der Ihringshäuser Straße ist die Verlängerung der Straßenbahn nach Ihringshau-sen bzw. bis zur Hasenhecke sowie dem neu entstehenden Wohngebiet am Wolfsanger. Diese Maßnah-me würde ca. 300 Autos weniger Belastung für die Anwohner bedeuten. „Die Straßenbahntrasse dorthin sollte fertig sein, bevor der Siedlungsbau in Wolfsanger beginnt und bevor jede Familie einen Zweitwagen besitzt.“

- Die Begrünung der Gleisanlage ist wichtig zur optischen Gestaltung der Straße, was gleichzeitig zur Auf-wertung des Quartiers führen würde.

Durchgeführte Maßnahmen des Bürgervereins:

Der Bürgerverein der Ihringshäuser Straße hat sich einige Maßnahmen einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erregen und damit die Verbreiterung des Gehwegs erreicht.

Folgende Maßnahmen wurden durchgeführt:

- Pyjamaparty - Frühstück an der Straßenbahnhaltestelle - Meckerecke.

Problematisch wie bei jedem Verein ist die fehlende Bereitschaft der Mitglieder aktiv mitzuwirken. Der Bürger-verein hat zwar viele Mitglieder, aber nur ca. sechs Aktive. Problematik des Quartiers allgemein:

Die Siedlungspolitik und die zunehmende Mobilität der Anwohner sind ein Teil des Problems:

- viele enge Straßen, die dem zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht gewachsen sind sowie - zu viele Autos.

Politiker reagieren auf Lärmbeschwerden in der Ihringshäuser Straße mit Wegzugempfehlungen! Die Ampelschaltung der Ihringshäuser Straße ist ausschließlich nach dem Autoverkehr ausgerichtet, da es für die Stadt wichtig ist das der Verkehr fließt. Die Fußgänger sind zweitrangig, was im Laufe der Jahre zur Zertei-lung des Quartiers durch die Ihringshäuser Straße führte. Das Quartier gilt allgemein als grün und schön, deshalb steht es im Raum Kassel in einem sehr guten Licht. Die Ihringshäuser Straße wird dabei einfach übersprungen und zählt nicht zum Gebiet dazu. Es gibt keinerlei Einkaufsmöglichkeiten entlang der Ihringshäuser Straße → Bewohner müssen zum Einkaufen fahren → mehr Verkehr → weniger soziale Kontakte innerhalb des Quartiers. Durch den Bau von Einkaufszentren auf der grünen Wiese kommt es zur Verlagerung des Einkaufsverkehrs. Alte Menschen müssen am Leben im Quartier teilhaben können. In früheren Zeiten gingen die Menschen auf die Straße, um sich zu treffen und an der Straße zu flanieren. Es fand ein starker Nachbarschaftsaustausch statt. Heute kennen sich die Nachbarn oft nicht einmal mehr. Durch das starke Verkehrsaufkommen und die kaum überwindbare Ihringshäuser Straße gehen viele der älteren Menschen kaum noch aus dem Haus, was auf Dauer zu drastischen sozialen Auswirkungen führen kann. Viele ältere Menschen vereinsamen durch den eingeschränkten Kontakt nach Außen. Durch die Ansiedlung von Einkaufsmöglichkeiten könnte zu einer Ver-besserung der Wohnsituation und zur Belebung des Quartiers beitragen. Das Gebiet wird durch die Ihringshäuser Straße zerschnitten, wodurch sich zwei soziale Schichten rechts und links der Straße gebildet haben, die nicht zusammen kommen können und auch nicht mehr wollen. Besonders bei den Kindern gibt es starke Differenzen.

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Protokoll 4: Gespräch mit Herrn Rainer Brinkmeier, dem Geschäftsführer vom Mieterverein Kassel am 25.08.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Durch Verkehrslärm betroffene Straßen in Kassel: Durch den ansteigenden Verkehr der letzten zehn Jahre hat sich der Charakter vieler Straßen in Kassel stark verändert:

- Goethestraße: Die Goethestraße im Stadtteil Wehlheiden gehörte zu den ruhigeren Straßen in Kassel. Eingefasst durch Gründerzeithäuser, auf der ein reges Öffentlichkeitsleben stattfand und wo Kinder auf der Straße spielen konnten. Heute ist diese Straße eine stark befahrene Durchfahrtsstraße, die den Charakter eines großen Parkplatzes hat. „Das Spielen auf der Straße ist mittlerweile für Kinder lebensgefährlich“.

- Berlepschstraße: Eine ähnliche Problematik gibt es in der Berleschpstraße, die laut StVO als Spielstraße ausgewiesen ist. E-benso wie die Goethestraße ist die Berlepschstraße durch parkende Autos und Durchfahrtsverkehr nicht als Spielstraße für Kinder geeignet.

- Herkulesstraße: In der Herkulesstraße kommt zu den bereits genannten Problemen momentan noch Bauarbeiten am Dia-konissenkrankenhaus dazu, die zu mehr Lärm im Wohnviertel beitragen.

- Brüderstraße 12: Durch starkes Verkehrsaufkommen kommt es hier zu enormen Vermietungsschwierigkeiten. (Ehemaliger Sitz des Mietervereins Kassel). Der Umzug fand auch aufgrund der starken Belastung durch Verkehrslärm statt. Außerdem wurde das Bewohnerklientel des Hauses mit sinkenden Mieten zunehmend schlechter.

Auswirkungen des Verkehrs- und Schienenlärms:

- Mietminderungen: Wenn sich die Nutzung einer Straße durch Neuplanungen ändert, sind Mietminderungen grundsätzlich möglich. Mietminderungen müssen auch dann vorgenommen werden, wenn der Vermieter nicht für die entstehende Lärmquelle verantwortlich ist.

Mögliche Maßnahmen die zu einer Verbesserung beitragen:

- Verkehrsberuhigung durch Tempo 30 - Parkpreise in der Stadt erhöhen - Benzinpreise erhöhen - Park & Ride- Verkehr muss unterbunden werden, da die Menschen ja so auch bis an den Innenstadtrand

mit dem Autofahren. - City-Maut Das alles sind verzweifelte Maßnahmen gegen den zunehmenden Verkehr in der Stadt. Das eigentliche Prob-lem liegt allerdings an dem zu hohen Stellenwert des Autos in der heutigen Gesellschaft. Um diesem Problem aktiv entgegen zu wirken muss sich die Grundeinstellung jedes einzelnen zum Thema Autos in der Stadt än-dern. Ansonsten ist es kaum möglich eine Lösung für dieses Problem zu finden.

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Allgemeine Problematiken:

Ein zukunftsnahes Lärmproblem stellt die geplante Regio-Tram dar, die innerhalb des städtischen Wohngebie-tes für mehr Verkehrslärm sorgen wird. Hauseigentümer sind durch starke Mietverluste nicht in der Lage anfallende Sanierungs- und Renovierungs-maßnahmen durchführen zu lassen und lassen ihre Häuser verfallen, bis sie abrissbereit sind. Um diesen Ma-chenschaften entgegenzuwirken, kann die Stadt Kassel Zwangsgelder verhängen, die die Besitzer zu Sanie-rungsmaßnahmen zwingen. Diese Maßnahmen sind beispielsweise in der Friedrich-Ebert-Straße und der Hol-ländischen Straße schon vollzogen worden. Bis heute konnten diese Wohnungen mit neuem Standard wieder vermietet werden.

Persönliche Einschätzung:

- Den Mietern ist das Wohnumfeld und die Lage sowie die Ausstattung der Wohnung wichtig, wenn das alles stimmt wird über Verkehrslärm hinweg gesehen.

- „Alle beschweren sich über Verkehrslärm, aber jeder fährt Auto“. - Durch die Einführung der Regio-Tram entsteht nicht nur mehr Lärm in den Städten, sondern auch das

Einkaufsverhalten der Bürger wird sich verändern. Die Menschen sind schneller aus den ländlicheren Be-reichen in Kassel und erledigen ihre Einkäufe dort. Dadurch kann der Markt im Umland auf Dauer ge-schwächt werden.

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Protokoll 5: Gespräch mit Herrn Henrik Krieger, dem Abteilungsleiter Gesamtentwicklung vom Zweckverband Raum Kassel am 02.08.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Ausgangssituation der lärmbetroffenen Gebiete:

Die meisten Einfallstraßen nach Kassel führen durch die alten Ortskerne. Da die Verkehrsanbindung und die Erreichbarkeit dadurch schon immer sehr gut war, haben sich in den Bereichen dazwischen meist öffentliche Einrichtungen angesiedelt (z.B. Kasernen) und erst später Wohngebäude. Allgemeine Problematiken:

- Leerstand - Fehlende Investoren - Wertminderung - Selbst wenn sich ein Investor findet, der über die finanziellen Mittel verfügt lärmbelastete und evtl. ver-

nachlässigte Wohnungen zu renovieren, mit dem Ziel ein bestimmtes Klientel anzusprechen, ist dieser sehr mutig! Denn oft sind nebeneinander stehende Häuser nicht in Besitz eines Eigentümers. Es müssen Abspra-chen in Bezug auf die Fassadenrestaurierung und die Eingangsbereiche getroffen werden. Nicht selten kommt es vor, dass nur einer der Eigentümer investiert und der Nachbar nicht, so dass kaum eine äußerli-che Verbesserung der Wohnqualität stattfindet.

- Ein wichtiges Ziel muss es sein, dass Mieter, Eigentümer und öffentliche Hand zusammenspielen, um eine Aufwertung der Wohnqualität zu erreichen.

- Schrumpfung der Städte durch Stadtumlandabwanderungen ist allgemein ein wichtiges Thema, dem entgegengewirkt werden muss. Es lässt sich jedoch nicht sagen, dass diese Abwanderungen ausschließ-lich auf Lärm zurückzuführen sind. Die Gründe dafür liegen außerdem: - An zu hohen Mieten in der Stadt - Besonders junge Familien wandern in Stadtumlandgebiete ab, da sie mehr Raum und Grün haben

wollen. Die Ansprüche in ländlicheren Gegenden sind anders als in der Stadt. - Eigenheimzulage: Da die Eigenheimzulage nur für Neubauten zutrifft, ist es natürlich auch aufgrund

der Grundstückspreise für viele Bürger attraktiver in ländlicheren Gebieten zu bauen. Wenn ge-brauchte und neue Immobilien gleich behandelt würden, wären auch Häuser in der Stadt attrakti-ver.

- Die Abwanderungsproblematik könnte durch bessere Angebote in der Stadt gedämpft werden. - Mittlerweile beziehen sich die Abwanderungsproblematiken nicht nur auf den zweiten Ring, viele insbe-

sondere Familien ziehen noch weiter in den ländlichen Raum. Diesem Trend kann nur entgegengewirkt werden, wenn die ländlichen Gemeinden keine neuen Flächen als Baugebiete ausweisen, sonder mehr Angebote im Bestand schaffen.

- Generell ist der Bevölkerungsrückgang und die daraus resultierende Überalterung der Bevölkerung zu sehen, sowie die allgemeine schlechte wirtschaftliche Situation auf dem Arbeitsmarkt.

- In Kassel und Umgebung leben ca. 317.000 Einwohner von denen ca. 2/3 in der Stadt und 1/3 im Umland leben. Um diese Gewichtung so halten zu können, müsse bis zu 1000 Personen pro Jahr in die Stadt ziehen.

Konfliktstandorte in Kassel:

Wehlheiden:

Viele alt eingesessene Bewohner wollen nicht aus Wehlheiden weg ziehen, aus diesem Grund suchen lärmbe-lastete Bewohner zuerst in der direkten Nachbarschaft nach neuen Wohnungen und ziehen erst aus dem gewohnten Umfeld fort, wenn sie keine verbesserten Wohnmöglichkeiten finden. Soziale- und ökonomische Stadtentwicklung:

Kassel ist verkehrlich gut gelegen, da Berufspendler die Möglichkeit haben in Städte wie Frankfurt oder Han-nover mit dem Zug zu pendeln, ohne umziehen zu müssen, was sowohl ökonomische, als auch soziale Vorteile hat. Die Mietpreise in Kassel sind wesentlich geringer als in Frankfurt oder Hannover und man muss das ge-wohnte Wohnumfeld, Freund und Familie nicht verlassen.

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Ursache und Wirkung von Verkehrslärm:

Die Ursache von Verkehrslärm liegt eigentlich bei jedem einzelnen Bürger selbst, denn fast jeder hat heute ein Auto und ist zu bequem den ÖPNV zu nutzen, obwohl das Angebot mittlerweile sehr gut ist. Die Mobilität der Menschen hat sich verändert. Durch die Zunahme des Freizeitverkehrs der letzten Jahre sowie der längeren Öffnungszeiten der Geschäfte und flexibleren Arbeitszeiten hat eine Verzerrung des Ver-kehrs stattgefunden. Dadurch konnten zwar die Stoßzeiten besonders innerhalb der Städte verringert werden, aber diese Mobilitätsveränderung hat zur Folge, dass dauerhaft gleichviel Verkehr durch die Straßen rollt. Maßnahmen:

- Umgehungsstraßen - Umnutzung der Lärmbelasteten Wohnungen in Geschäfte, Büros und Dienstleistungsunternehmen, die

nicht so lärmempfindlich sind. - Das Ziel Wohnraum nicht an Hauptverkehrsstraßen anbieten zu müssen ist möglich, da genügend Wohn-

raum vorhanden ist, um Wohnnutzungen ab der „zweiten Reihe“ anbieten zu können. - Reduzierung von Verkehr durch eine Pförtnerampel vor den Ortschaften - Tempo „30“, ist eine Lärmmindernde Maßnahme, aber an Hauptverkehrs- und Einfallstraßen unrealistisch. - Ausweitung des ÖPNV - Passiver Lärmschutz - Attraktivität stärken - Durch die Abwanderungen und den allgemeinen Bevölkerungsrückgang ist es wichtig die Innenentwick-

lung der Stadt durch Nachverdichtungen zu stärken, da die Infrastruktur ausgelastet bleiben muss (Schu-len, Kindergärten...).

- Durch den Bau des Güterverkehrszentrum in Waldau wird der Fernverkehr entlastet und somit auch die

Autobahnen. Um die Bewohner in Waldau vor dem Lärm der Güterbahn zu schützen, wurde ein Lärm-schutzwall errichtet. „Lärm den man nicht sieht, hört man auch weniger.“ Außerdem muss die Ampel-schaltung so geregelt werden, dass die Bahn möglichst ohne zu halten bis zur Umschlaganlage durchfah-ren kann.

- Durch die Verlagerung von Speditionen aus der Stadt in Industrieparks werden die städtischen Straßen ebenfalls durch den Fernverkehr entlastet.

- Eine neue Autobahnauffahrt entlastet Bergshausen und Lohfelden.

- Offizielle Regelungen durch die StVO: - In der StVO müsste für Gefahr- und Schwerlastverkehr genau definiert werden, welche Straßen befahren

werden dürfen und welche nicht. Durch eine Verkehrslenkung mit einem Durchfahrverbot für LKW gewis-ser Straße, können Schleichwege vermieden werden.

Allgemeine Aussagen:

- Der Autoverkehr in Kassel ist zu bewältigen - ÖPNV: durch den Kauf einer Fahrkarte werden nur 50% der Kosten gedeckt, der Rest wird durch den

ÖPNV gefördert. - City-Logistik: (Lieferverkehr Richtung Innenstadt)

Innerstädtischer Verkehr:

PKW + Geschäftsverkehr: ca.:90% LKW-Verkehr: ca.: 10% Von diesen 10% ist der Hauptanteil Baustellenverkehr der Stadt selber, der unvermeidbar ist. Der Lieferverkehr beträgt nur einen ganz geringen Anteil.

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Protokoll 5: Gespräch mit Herrn Dirk Schumacher, dem Geschäftsführer der Wohnstadt am 28.07.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Die Wohnstadt verfügt nur vereinzelt über Wohnungsbestände an Hauptverkehrsstraßen, die meisten Woh-nungen befinden sich in zweiter Baureihe. Nur in Überlagerungen mit anderen Problemen kommt es zu Ver-mietungsschwierigkeiten.

Wohnungsbestände:

- Frankfurter Straße Die Wohnstadt verfügt über Wohnungsbestände in der Rembrand und Franz-Hals-Straße (beide von der Frankfurter Straße ausgehend) Da sich diese Wohnungen in der zweiten Reihe zur stark befahrenen Frankfurter Straße befinden, werden sie durch Verkehrslärm nicht beeinträchtigt und stellen eine attraktive Wohngegend dar. (ruhige Oase)

- Willhelmshöher Allee

Die Wohnstadt verfügt über Wohnungsbestände um das Rote Kreuz Krankenhaus in der Hupfeldstraße, Wittrockstraße und Willhelmshöher Allee und am Kirchweg. Diese Bestände sind besonders an der Willhelmshöher Allee stark durch Lärm beeinträchtigt. Die gute La-ge überwiegt an diesen Standorten. Die Standortvorteile sind für die Mieter wichtiger.

- Entenanger / Pferdemarkt

In diesen Siedlungsbereichen trifft eine Störung durch Verkehrslärm nur in Teilbereichen zu. - Wolfhager Straße (gegenüber von Thyssen)

An diesen Wohnstandorten ist eine hohe Fluktuationsrate und ein vermehrter Leerstand der Wohnungen zu verzeichnen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es meist mehrere Kriterien für Wohnungsleerstände gibt.

Allgemeine Problematiken:

Es wird immer problematisch Wohnungen zu vermieten, sobald mehrere Kriterien aufeinander treffen:

- Umfeld - Ausstattung - Lärm. Generell lässt sich sagen, dass Wohnungen die sich in der zweiten Reihe befinden oder von Grünflächen umgeben sind wesentlich leichter zu vermieten sind, trotz evtl. Lärmbelastung. Bei der Wohnungsvermietung spielen eine Vielzahl von Faktoren eine wichtige Rolle, dabei steht die Wohn-qualität noch vor dem Lärmfaktor. Der Wohnungsverkauf in Lärmbelasteten Gegenden ist fast unmöglich, da Ruhe bei einem Wohnungskauf eine sehr große Rolle spielt. Es gibt drei übergeordnete Kriterien beim Kauf einer Wohnung: „ Lage, Lage, Lage!“ Allgemein lässt sich sagen, dass Straßenverkehrslärm nur dann ein negativ Faktor ist und zum Wegzug der Mieter führt, wenn er erstrangig ist. In Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung in den letzten Jahren, die sinkende Tendenzen in Kassel zeigt können besonders in lärmbelasteten Siedlungen vermehrte Leerstände aufgezeigt werden. Aufgrund des großen Wohnungsangebotes können belastete Standorte gemieden werden, was zu vermehrten Leerständen in diesen Wohnsiedlungen führt. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang stellt das neue Mietangebot im Umland dar, wodurch weitere Wege in Kauf genommen werden, um ruhig und im Grünen zu wohnen. (Studie vom Zweckverband Raum Kassel: „Warum ziehen Leute aus der Stadt ins Umland?“) Wertminderung: Es ist wahrscheinlich, dass sich die Wohnungspreise polarisieren, so dass man ruhige Wohnungen teurer ver-mieten kann als lärmbelastete. Der Wiederverkaufswert von lärmbelasteten Wohnungen wird geringer.

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Schrumpfung: Die Schrumpfung der Städte allgemein stellt ein großes Problem dar. Dieser Trend ist jedoch nicht ausschließ-lich auf Lärm zurückzuführen. „Es zeigt, wo die Zukunft liegt.“ Diesem Trend entgegenzuwirken ist die Zukunfts-aufgabe der Städte. Langfristig gesehen wird Rückbau eine Rolle spielen. In größeren Orten lassen sich Wohnungen generell leichter vermieten als in kleineren Orten. Konfliktstandorte in Kassel:

- Kiefernweg / Harleshausen – Vellmar An dieser Straße ist zu beobachten, dass Lärmschutz je nach Gemeinde einen anderen Stellenwert hat. Während im Ortsteil Harleshausen der Straßenverkehrslärm durch einen Lärmschutzwall und Begrünung abgeschirmt wird, um ruhiges Wohnen zu ermöglichen, ist im Ortsteil Vellmar eine direkte Straßenrandbe-bauung vorzufinden. Lärmschutzmaßnahmen wurden hier nur durch Verkehrsberuhigung getroffen.

- Baunatal / Baunsberg an der A44

Zur Autobahn hin wurde eine Lärmschutzwand errichtet, um die Bewohner vor dem Autobahnverkehrs-lärm zu schützen. In diesem Fall führte der Lärmschutz auf der Seite Baunsberg zu Lärmauswirkungen im gegenüberliegenden Nordshausen, da der Lärm durch die Baunataler Lärmschutzwand reflektiert wurde. Der Ortsbeirat Herr Zeitler hat sich für Lärmschutzmaßnahmen in Nordshausen eingesetzt. Dort wurde ein Lärmschutzwall mit Begrünung errichtet, um die Lärmeinwirkungen einzudämmen.

- Unterneustadt

Eine Verkehrsruhige Lage befindet sich ausschließlich auf der Südseite im rückwärtigen Bereich, der Wohn-siedlung. Die neu entstehende Straßenrandbebauung direkt entlang der Leipziger Straße stellen eine „bewohnte Lärmschutzwand dar“. Diese Wohnungen werden mit dem ersten Förderweg finanziert und fast aus-schließlich an bedürftige Menschen vermietet.

Allgemeines:

- Lärmgettos in Kassel nicht vorhanden - Lärm wird nur dann akzeptiert, wenn die Stadtstruktur mit dem Lärm gewachsen ist, bei Neubebauung

werden die Wohnungen nur sehr schwer vermietet. Alt eingesessene Bewohner werden nicht nur auf-grund von Lärm den Wohnstandort verlassen.

Siedlungen in Lärmbetroffenen Gebieten, die trotzdem nicht beeinträchtigt sind:

- Druseltalstraße: Abstandsflächen, Grünstreifen, Bebauung direkt dahinter, attraktive Wohngegend

Maßnahmen:

Innerhalb von Wohnquartieren: Verkehrsberuhigung Entlang von Hauptverkehrsstraßen: Geschwindigkeitsbegrenzungen Allgemein: Schallschutzfenster, Schallschutzwälle, Begrünung, Abstandsflächen Anmerkung: die Stadt braucht solche Einfall- und Hauptverkehrsstraßen. Lärm ist

eine Randerscheinung der Stadt und muss von allen mit getragen werden.

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Protokoll 6: Gespräch mit Herrn Erich Lipp, dem Leiter technischer Dienste der GWH am 04.08.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung Die GWH verfügt nur vereinzelt über Wohnungsbestände an Hauptverkehrsstraßen, die meisten Wohnungen befinden sich in zweiter Baureihe. Nur in Überlagerungen mit anderen Problemen kommt es zu Vermietungs-schwierigkeiten. Wohnungsbestände:

- Kassel - Eichwald In diesem Wohngebiet wurden passive Schallschutzmaßnahmen getroffen.

- Waldau - Helleböhn

Dieses Gebiet ist zum Teil durch die Straßenbahn durch Lärm belastet, hat aber ein gut ausgebautes Infra-struktursystem. Aus diesem Grund müssen die Konsequenzen und somit auch der Lärm getragen werden.

- Brückenhof

Leerstände nicht aufgrund von Lärmbelastung Allgemeine Problematiken:

- Wohnräume in der Stadt zu teuer � Konsequenz: Bewohner ziehen ins Umland. - Die Häuser einer Siedlung sind nur Hausweise in Besitz der Gesellschaft, oft nicht nebeneinander. Dadurch

kommt es zu Konflikten der Hauseigentümer, da jeder andere Vorstellungen der Gebäudesanierung hat. - An Standorten, an denen für die GWH kein Entwicklungspotential vorhanden ist, wird auch nicht investiert.

Diese Wohnungen sind für ein Wirtschaftsunternehmen nicht rentabel. Oft werden diese Häuser günstig an Privatpersonen verkauft, die aber ebenfalls keine Investitionen in die Immobilie stecken und diese verfallen lassen.

Konfliktstandorte in Kassel:

- Kassel – Oberzwehren: Durch Lärmschutzwälle wurden Gebäude vom Ortskern abgetrennt, wodurch die Attraktivität des Gebie-tes stark zurückgegangen ist.

- Eisenschmiede:

Bestände an der Eisenschmiede wurden verkauft. (aber nicht aus Lärmgründen) Maßnahmen:

- Attraktivere Wohnräume in der Stadt anbieten. - Belastete Standorte müssen besser gefördert werden. - Isolierverglaste Fenster bieten auch schon Lärmschutz. Allgemeine Aussagen:

- Das wichtigste für eine gute Vermietungsgarantie: Lage, Lage, Lage. - Wenn es wirtschaftlich nicht funktioniert, dann wird verkauft. - Lärm ist auch Stadt und muss mitgetragen werden.

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Protokoll 7: Telefongespräch mit der GWG am 28.07.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung - Die GWG verfügt zwar über Wohnbestand an Lärmbelasteten Straßen, hat aber keine Wohnungsleerstän-

de wegen Lärm. Wohnungsbestände:

- Rothenberg: viel Leerstand, aber nicht aufgrund von Lärm. - Forstfeld - Kurt-Schumacher-Straße - Brüderkirche Nur in Überlagerungen mit anderen Problemen kommt es zu Vermietungsschwierigkeiten.

Protokoll 8: Telefongespräch mit der Wohnungsbaugenossenschaft 1946 am 28.07.2004 Thema: Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Siedlungsentwicklung - Die Wohnungsbaugenossenschaft verfügt nur über 250 Wohnungen, die sich eher in leiseren Wohnge-

genden befinden - Auszüge von Mietern nicht unbedingt wegen Lärm Maßnahmen um Auszüge zu verhindern:

- Die Wohnungen müssen gut erhalten werden, um attraktiv zu bleiben.

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Literaturverzeichnis

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Internetquellen

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8 Internetquellen

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Interviewpartner

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9 Interviewpartner

PLANUNGSAMT DER STADT KASSEL: Jochum, Eckhard. Zuständig für: Projekt Unterneustadt Bauleitplanung (10.08.2004)

BÜRGERVEREIN IHRINGSHÄUSER STRAßE: Schmidt, Britt. (29.07.2004)

BÜRGERVEREIN IHRINGSHÄUSER STRAßE: Herr Anthofer. Vorsitzender des Bürgervereins Ihringshäuser Straße. (10.08.2004)

MIETERVEREIN KASSEL: Brinkmeier, Rainer. Geschäftsführer: (25.08.2004)

ZWECKVERBAND RAUM KASSEL:. Krieger Henrik. Abteilungsleiter Gesamtentwicklung (02.08.2004)

WOHNSTADT: Dipl. Architekt Schumacher, Dirk. Geschäftsführer (28.07.2004)

GWH: Lipp Erich. Leiter technische Dienste (04.08.2004)

GWG: (28.07.2004)

WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFT 1946: (28.07.2004)