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208 MedR 2006, Heft 4 Buchbesprechungen insoweit schon nach allgemeinen Regeln die objektive Be- weislast 34 . Allein diese Lösung wird einerseits der postmor- talen Schweigepflicht gerecht und befreit andererseits den Arzt aus einer schwierigen Pflichtenkollision 35 . 6. Geheimnisschutz und Sektion Abschließend sei noch kurz auf die Problematik der Sek- tion, insbesondere die der Versicherungssektion eingegan- gen. Wären im entschiedenen Fall die gewünschten Er- kenntnisse durch eine Versicherungsobduktion zu erzielen gewesen, wären vermutlich alle Erörterungen zur Schwei- gepflicht entfallen, obwohl die Problematik grundsätzlich nicht anders ist. Die Verknüpfung beider Themen fehlt in Literatur 36 und Rechtsprechung bisher weitgehend, was ins- besondere für die Versicherungsobduktion von der Interes- senlage her nur schwer verständlich ist. Denn auch postmor- tale Feststellungen des Arztes, etwa des Pathologen oder des Arztes, der die Leichenschau durchführt, unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht 37 . Der Wortlaut von §203 Abs. 1 StGB erfaßt problemlos den Fall der Obduktion, §203 Abs. 4 StGB läßt sich je- denfalls so interpretieren. Problematisch ist hingegen, daß die Sektion in ihren mittlerweile weithin in Landesgesetzen normierten Voraussetzungen von allen anderen vergleichba- ren Lösungen abweicht. Nicht nur bei der Organspende (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG), sondern etwa auch bei der Bestattung 38 kommt es vorrangig auf den Willen des Betroffenen an. Für die innere Leichenschau hingegen fehlt eine derartige Feststellung. Gemäß § 15 SächsBestG ist die Obduktion zu- lässig, wenn sie von einem Richter, Staatsanwalt oder ei- ner nach dem BSeuchG zuständigen Behörde angeordnet wird (1), wenn sie ,,zur Durchsetzung berechtigter Interes- sen der Hinterbliebenen, insbesondere zur Feststellung versi- cherungsrechtlicher Leistungsansprüche, erforderlich ist“ (2), zur Abklärung eines möglichen Behandlungsfehlers (3) oder zur Überprüfung der Diagnose (4) 39 . Diese gesetzliche Vor- gabe genügt, um einen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre als befugt erscheinen zu lassen. Darin offenbart sich meiner Meinung nach ein nur schwer erträglicher Wertungswiderspruch im Verhältnis zum post- mortalen Geheimnisschutz. Der Vorschlag von Brigitte Tag, auf die Klinische Sektion die Regeln der Totenspende ent- sprechend anzuwenden 40 oder ein derartiges Gesetz zu erlas- sen, läßt sich, ohne Abstriche zu machen, auf die Versiche- rungssektion übertragen. Das bedeutet, daß die Einwilligung des Betroffenen als wesentliche Voraussetzung anzusehen ist. Die absolute Fremdnützigkeit der Versicherungsobduktion hat zur Folge, daß ein zu Lebzeiten geäußerter Wille des Verstorbenen bindend ist 41 . Fehlt es daran, hat die Prüfung im weiteren so zu erfolgen, wie oben für die Schweige- pflicht dargestellt. 7. Schlußbetrachtung Der knappe Problemaufriß hat gezeigt, daß Gesetzgebung, Rechtsprechung und Teile der Literatur dem postmortalen Geheimnisschutz und damit dem postmortalen Persönlich- keitsrecht nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Mit utilitaristischen Begründungen wird versucht, das Ge- heimhaltungsinteresse der Verstorbenen zu vernachlässigen. Das wird dem Umstand nicht gerecht, daß auch das post- mortale Persönlichkeitsrecht seine Verankerung in der Men- schenwürde findet, worauf nicht zuletzt Laufs immer wie- der hingewiesen hat 42 . Und bei allen Auseinandersetzungen über Inhalt und Grenzen der Menschenwürde besteht doch darüber Einigkeit, daß der Mensch nicht zum bloßen Ob- jekt gemacht werden darf. Diese Gefahr zeigt sich in den hier erörterten Fallgestaltungen indessen massiv. In diesem Sinne möchte ich das oben zitierte Schlußwort Spickhoffs 43 in sein Gegenteil verkehren. Warum sollen die Hinterblie- benen von der Verletzung des postmortalen Persönlichkeits- rechts des Verstorbenen profitieren? 34) So auch Bender (Fn. 2), S. 463. 35) In diesem Sinne auch Lippert, in: Ratzel/Lippert (Fn. 9), § 9 Rdnr. 19: ,,Nach dem Tod des Patienten obliegt es letztlich dem Arzt zu entscheiden, ob er offenbaren will und kann oder nicht“. 36) Vgl. dazu nur Brugger/Kühn, Sektion der menschlichen Leiche, 1979, die das Stichwort ,,Schweigepflicht“ nicht aufweisen. Das gilt auch für den neuesten, sehr gründlichen Beitrag zu diesem Thema von Tag, Gedanken zur Zulässigkeit von Sektionen, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), Humaniora: Medizin - Recht - Geschichte. Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag, 2005, S. 1079–1105, die allerdings das Thema ,,Versicherungsob- duktion“ ausspart. 37) So auch Lippert, in: Ratzel/Lippert (Fn. 9), § 9, Rdnr. 19. 38) Im folgenden seien die Nachweise auf das Sächsische Gesetz über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen v. 8. 7. 1994 be- schränkt. §18 Abs. 3 S. 1 SächsBestG lautet: ,,Für Ort, Art und Durchführung der Bestattung ist der Wille des Verstorbenen maß- gebend ... “ 39) Vgl. dazu Tag (Fn. 36), S. 1094, dortige Fn. 91, für zwei weitere Landesgesetze. 40) Tag (Fn. 36), S. 1104. 41) So auch Tag (Fn. 36), S. 1096, für die anatomische Sektion. 42) Laufs (Fn. 4), Rdnr. 424. 43) Vgl. oben, Fn. 28. BUCHBESPRECHUNGEN DOI: 10.1007/s00350-006-1659-x Autonomie, Menschenwürde und Lebensschutz in der Geriatrie und Psychiatrie = Ethik in der Praxis/Practical Ethics, Bd. 23 Von Ulrich Eibach. LIT-Verlag, Münster 2005, 95 S., kart., 19,90. Das gehaltvolle Bändchen vereinigt in überarbeiteter Gestalt – bereits veröffentlichte Aufsätze, von denen derjenige zur künstlichen Ernäh- rung in dieser Zeitschrift erschien (MedR 2002, 123–131). Der Autor, Theologe und Klinikseelsorger, wirbt für eine ,,Ethik der Fürsorge“ in christlichem Geist zum Wohl unheilbar kranker und pflegebedürftiger Menschen, künstlich zu Ernährender, Suizidenten und Suchtmittelab- hängiger. Für die wachsende Zahl alter Hilfs- und Pflegebedürftiger, deren Autonomie oft eingeschränkt ist, liegt der Schutz vor einer problematischen Verfügungsmacht der Medizin hauptsächlich in einer am Wohlergehen orientierten Zuwendung. Eine ,,Ethik der Fürsorge“ münde keineswegs in einen Paternalismus, sondern beruhe auf Kom- munikation mit dem kranken Menschen und Anteilnahme an seinem schweren Lebensgeschick. ,,Die Achtung seiner Würde geht nicht in der Achtung seiner autonomen Fähigkeiten auf und unter. Die Ach- tung der autonomen Fähigkeiten ist aber dennoch ein unverzichtbarer Teil der Achtung der Menschenwürde und einer menschenwürdigen Behandlung“. Der nachdenkliche Jurist kann aus der so einfühlsamen wie tiefgrün- digen Schrift lernen, daß die Maximen der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung allein die Not des Menschen nicht bannen können, daß die Schwächsten der Gesellschaft vielmehr Barmherzigkeit und Fürsorge brauchen und daß dieses Grundbedürfnis auch Konsequen- zen für das Recht haben soll. Die Würde des Menschen gebietet die Achtung des freien Willensentschlusses wie die humane Nothilfe. Dabei können die Geltung der Willensautonomie und das Gebot des Lebens- schutzes in ein Spannungsverhältnis geraten, wie die widerspruchsvolle Suizidproblematik zeigt. Vor dem Hintergrund seines Menschenbildes lehnt der Autor auf eindrückliche Weise ein Recht auf Selbsttötung ab. Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Adolf Laufs, Heidelberg

Autonomie, Menschenwürde und Lebensschutz in der Geriatrie und Psychiatrie = Ethik in der Praxis/Practical Ethics

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Page 1: Autonomie, Menschenwürde und Lebensschutz in der Geriatrie und Psychiatrie = Ethik in der Praxis/Practical Ethics

208 MedR 2006, Heft 4 Buchbesprechungen

insoweit schon nach allgemeinen Regeln die objektive Be-weislast34. Allein diese Lösung wird einerseits der postmor-talen Schweigepflicht gerecht und befreit andererseits denArzt aus einer schwierigen Pflichtenkollision35.

6. Geheimnisschutz und Sektion

Abschließend sei noch kurz auf die Problematik der Sek-tion, insbesondere die der Versicherungssektion eingegan-gen. Wären im entschiedenen Fall die gewünschten Er-kenntnisse durch eine Versicherungsobduktion zu erzielengewesen, wären vermutlich alle Erörterungen zur Schwei-gepflicht entfallen, obwohl die Problematik grundsätzlichnicht anders ist. Die Verknüpfung beider Themen fehlt inLiteratur36 und Rechtsprechung bisher weitgehend, was ins-besondere für die Versicherungsobduktion von der Interes-senlage her nur schwer verständlich ist. Denn auch postmor-tale Feststellungen des Arztes, etwa des Pathologen oder desArztes, der die Leichenschau durchführt, unterliegen derärztlichen Schweigepflicht37.

Der Wortlaut von § 203 Abs. 1 StGB erfaßt problemlosden Fall der Obduktion, § 203 Abs. 4 StGB läßt sich je-denfalls so interpretieren. Problematisch ist hingegen, daßdie Sektion in ihren mittlerweile weithin in Landesgesetzennormierten Voraussetzungen von allen anderen vergleichba-ren Lösungen abweicht. Nicht nur bei der Organspende (§ 3Abs. 1 Nr. 1 TPG), sondern etwa auch bei der Bestattung38

kommt es vorrangig auf den Willen des Betroffenen an.Für die innere Leichenschau hingegen fehlt eine derartigeFeststellung. Gemäß § 15 SächsBestG ist die Obduktion zu-lässig, wenn sie von einem Richter, Staatsanwalt oder ei-ner nach dem BSeuchG zuständigen Behörde angeordnetwird (1), wenn sie ,,zur Durchsetzung berechtigter Interes-sen der Hinterbliebenen, insbesondere zur Feststellung versi-cherungsrechtlicher Leistungsansprüche, erforderlich ist“ (2),zur Abklärung eines möglichen Behandlungsfehlers (3) oderzur Überprüfung der Diagnose (4)39. Diese gesetzliche Vor-gabe genügt, um einen Eingriff in die Persönlichkeitssphäreals befugt erscheinen zu lassen.

Darin offenbart sich meiner Meinung nach ein nur schwererträglicher Wertungswiderspruch im Verhältnis zum post-mortalen Geheimnisschutz. Der Vorschlag von Brigitte Tag,auf die Klinische Sektion die Regeln der Totenspende ent-sprechend anzuwenden40 oder ein derartiges Gesetz zu erlas-sen, läßt sich, ohne Abstriche zu machen, auf die Versiche-rungssektion übertragen. Das bedeutet, daß die Einwilligungdes Betroffenen als wesentliche Voraussetzung anzusehen ist.Die absolute Fremdnützigkeit der Versicherungsobduktion

hat zur Folge, daß ein zu Lebzeiten geäußerter Wille desVerstorbenen bindend ist41. Fehlt es daran, hat die Prüfungim weiteren so zu erfolgen, wie oben für die Schweige-pflicht dargestellt.

7. Schlußbetrachtung

Der knappe Problemaufriß hat gezeigt, daß Gesetzgebung,Rechtsprechung und Teile der Literatur dem postmortalenGeheimnisschutz und damit dem postmortalen Persönlich-keitsrecht nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.Mit utilitaristischen Begründungen wird versucht, das Ge-heimhaltungsinteresse der Verstorbenen zu vernachlässigen.Das wird dem Umstand nicht gerecht, daß auch das post-mortale Persönlichkeitsrecht seine Verankerung in der Men-schenwürde findet, worauf nicht zuletzt Laufs immer wie-der hingewiesen hat42. Und bei allen Auseinandersetzungenüber Inhalt und Grenzen der Menschenwürde besteht dochdarüber Einigkeit, daß der Mensch nicht zum bloßen Ob-jekt gemacht werden darf. Diese Gefahr zeigt sich in denhier erörterten Fallgestaltungen indessen massiv. In diesemSinne möchte ich das oben zitierte Schlußwort Spickhoffs43

in sein Gegenteil verkehren. Warum sollen die Hinterblie-benen von der Verletzung des postmortalen Persönlichkeits-rechts des Verstorbenen profitieren?

34) So auch Bender (Fn. 2), S. 463.35) In diesem Sinne auch Lippert, in: Ratzel/Lippert (Fn. 9), § 9 Rdnr.

19: ,,Nach dem Tod des Patienten obliegt es letztlich dem Arzt zuentscheiden, ob er offenbaren will und kann oder nicht“.

36) Vgl. dazu nur Brugger/Kühn, Sektion der menschlichen Leiche,1979, die das Stichwort ,,Schweigepflicht“ nicht aufweisen. Dasgilt auch für den neuesten, sehr gründlichen Beitrag zu diesemThema von Tag, Gedanken zur Zulässigkeit von Sektionen, in:Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier (Hrsg.), Humaniora: Medizin -Recht - Geschichte. Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag,2005, S. 1079–1105, die allerdings das Thema ,,Versicherungsob-duktion“ ausspart.

37) So auch Lippert, in: Ratzel/Lippert (Fn. 9), § 9, Rdnr. 19.38) Im folgenden seien die Nachweise auf das Sächsische Gesetz über

das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen v. 8. 7. 1994 be-schränkt. § 18 Abs. 3 S. 1 SächsBestG lautet: ,,Für Ort, Art undDurchführung der Bestattung ist der Wille des Verstorbenen maß-gebend ... “

39) Vgl. dazu Tag (Fn. 36), S. 1094, dortige Fn. 91, für zwei weitereLandesgesetze.

40) Tag (Fn. 36), S. 1104.41) So auch Tag (Fn. 36), S. 1096, für die anatomische Sektion.42) Laufs (Fn. 4), Rdnr. 424.43) Vgl. oben, Fn. 28.

B UC HB ES PREC HU N G EN

DOI: 10.1007/s00350-006-1659-x

Autonomie, Menschenwürde und Lebensschutz in der Geriatrieund Psychiatrie = Ethik in der Praxis/Practical Ethics, Bd. 23Von Ulrich Eibach. LIT-Verlag, Münster 2005, 95 S., kart., € 19,90.

Das gehaltvolle Bändchen vereinigt in überarbeiteter Gestalt – bereitsveröffentlichte Aufsätze, von denen derjenige zur künstlichen Ernäh-rung in dieser Zeitschrift erschien (MedR 2002, 123–131). Der Autor,Theologe und Klinikseelsorger, wirbt für eine ,,Ethik der Fürsorge“ inchristlichem Geist zum Wohl unheilbar kranker und pflegebedürftigerMenschen, künstlich zu Ernährender, Suizidenten und Suchtmittelab-hängiger. Für die wachsende Zahl alter Hilfs- und Pflegebedürftiger,deren Autonomie oft eingeschränkt ist, liegt der Schutz vor einerproblematischen Verfügungsmacht der Medizin hauptsächlich in eineram Wohlergehen orientierten Zuwendung. Eine ,,Ethik der Fürsorge“münde keineswegs in einen Paternalismus, sondern beruhe auf Kom-munikation mit dem kranken Menschen und Anteilnahme an seinem

schweren Lebensgeschick. ,,Die Achtung seiner Würde geht nicht inder Achtung seiner autonomen Fähigkeiten auf und unter. Die Ach-tung der autonomen Fähigkeiten ist aber dennoch ein unverzichtbarerTeil der Achtung der Menschenwürde und einer menschenwürdigenBehandlung“.

Der nachdenkliche Jurist kann aus der so einfühlsamen wie tiefgrün-digen Schrift lernen, daß die Maximen der Selbstverwirklichung undSelbstbestimmung allein die Not des Menschen nicht bannen können,daß die Schwächsten der Gesellschaft vielmehr Barmherzigkeit undFürsorge brauchen und daß dieses Grundbedürfnis auch Konsequen-zen für das Recht haben soll. Die Würde des Menschen gebietet dieAchtung des freien Willensentschlusses wie die humane Nothilfe. Dabeikönnen die Geltung der Willensautonomie und das Gebot des Lebens-schutzes in ein Spannungsverhältnis geraten, wie die widerspruchsvolleSuizidproblematik zeigt. Vor dem Hintergrund seines Menschenbildeslehnt der Autor auf eindrückliche Weise ein Recht auf Selbsttötung ab.

Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Adolf Laufs, Heidelberg