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Avalist PEACE-JOY-EGG CAKE STUDENTISCHE ZEITUNG AM HISTORISCHEN SEMINAR AUSGABE 46 JANUAR 2015 EINBLICKE WIE ICH AUF DIE DUNKLE SEITE DER MACHT WECHSELTE UNI-WAHLEN JEDE STIMME ZÄHLT! SPORT IN KÜRZE BREMER ILLUSIONEN

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Studentische Zeitung am Historischen Seminar

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Avalist

peace-Joy-eGG cake

stuDentIsche zeItunG am hIstorIschen semInarausGabe 46 Januar 2015

eInblIckeWIE ICH AUF DIE DUNKLE SEITE DER MACHT WECHSELTE

unI-wahlenJEDE STIMME ZÄHLT!

sport In kürzeBREMER ILLUSIONEN

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InhaltsverzeIchnIs

EinblickE

AusblickE

Wie ich auf die dunkle Seite der Macht WechSelte

PhaMPlet gegen daS MythiSche OStdeutSch

feStivalguide lite

SchrOtt, Steine, katzen und ein hauch vOn eWigkeit

" nicht WiSSen iSt nicht SchliMM,nicht WiSSen WOllen, dagegen Sehr."

klettern auf Sardinien

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erWiderungen

uniWahl

erläuterungen

ePic battleS Of hiStOry MOvieS

und WaS WirSt du SPäter SO?

zurück in die vergangenheit

drahtSeilakt

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WissEnschAftlichEs

sport in kürzE

Marc blOch

Wer geWinnt den SuPer bOWl?

die gleichzeitigkeit deS ungleichzeitigen

breMer illuSiOnen

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Das Wintersemester neigt sich dem Ende entgegen. Und,

wie viele Veranstaltung habt ihr schon wieder aus eurem Stunden-plan geschmissen? Nein ehrlich, das ist ein normaler Prozess, der sich jedes Semester aufs neue wie-derholt. Ich spreche da aus Erfah-rung. Kein Wunder, wenn man sich bereits im September mit Weihnachten auseinandersetzen muss. Stress pur, besonders für Menschen wie mich, die oft über-haupt nicht wissen, was sie zu Weihnachten verschenken sollen.Aber das ist ja zum Glück alles vorbei. Anfang Januar heißt es Endspurt an der Uni: Klausur-vorbereitung! Wer noch nichts gelernt hat, der sollte jetzt spätestens damit anfangen! Oder bist du etwa schon ein „perfekter Historiker“? Wenn du unseren ultimativen Studententest noch nicht gemacht hast, empfehlen wir dir wärmstens, nochmal in unserer vorangegange-nen Ausgabe vorbeizuschauen und den ultima-tiven Test zur Selbsteinschätzung zu machen.Was erwartet dich sonst noch in dieser Aus-gabe: Antworten auf Fragen, die die Welt bewegen! Was macht man eigentlich mit einem Hoch-schulabschluss in Geschichte? Oder welchen

„History-Movie“ sollte ich schauen um mich weiterzubilden? Und wer gewinnt in diesem Jahr den Super Bowl? Steigt Werder Bremen ab? Und wie cool ist es eigentlich, auf Sardi-nien klettern zu gehen? Und was soll eigentlich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sein?Wer mit alledem nichts anfangen kann, der findet zumindest Antworten darauf, warum er unbedingt am 13.01.2015 sein Kreuz beim Stu-dierendenrat Geschichte und der Kritischen Liste setzen sollte.

Peace, joy, eggcake

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In der Tat war mein Weg bis zum Histori-schen Seminar der Leibniz-Universität Han-

nover recht lang. Wie man meinem Pamphlet gegen das mythische „Ostdeutsch“ entnehmen kann, komme ich aus Cottbus, also dem ziem-lich östlichsten Osten. Für meinen Bachelor verschlug es mich jedoch nicht gleich in die grünste Stadt Deutschlands, sondern erst mal zum Zwerg unter den Bundesländern, in das Saarland. Dort wollte ich eigentlich Kunst-geschichte studieren, wurde dann aber von Freunden umgestimmt, „HoK“ zu machen. „HoK“, das bedeutet nicht „Hysterisch orien-talische Korruptionswissenschaften“ (wie ich gerne sage), sondern „Historisch orientierte Kulturwissenschaften“. Also begann ich im Wintersemester 09/10 dort mein Bachelorstu-dium. HoK, das bedeutete im Klartext: Von allem ein bisschen. Es gibt vier Kernbereiche, ein Nebenfach und einen Optionalbereich. Das bedeutet, ich habe Veranstaltungen in sechs verschiedenen Fächern gehört: Vor- und Früh-geschichte, Neuere und Neueste Geschichte, Kunstgeschichte, Praktische Philosophie, Deutsche Literaturwissenschaften und Kul-

tur- und Mediengeschichte. Es bedeutete auch, Kommilitonen, die mit mir begonnen hatten, zu studieren, nie wieder zu sehen, weil eben jeder seine eigene Fächerkombination wählte. Wir „HoKler“ waren halt immer so mit dabei.

Von nix ʼne Ahnung und trotz-dem immer schön mitdiskutieren, das war wohl das Bild, das viele Dozenten von meinesgleichen

hatten. Für mich war es eine Bereicherung, ein ständiges Über-den-Tellerrand-Schauen. Allerdings bildete sich auch schnell eine Art interdisziplinäre multiple Persönlichkeit her-aus, denn für jedes Fach mussten die entspre-chenden Forschungsmethoden angeeignet und entsprechend an den Mann gebracht werden. So entstanden für mich in meinem Bachelor-studium immer wieder neue Blickwinkel auf gleiche historische Ereignisse, ergaben sich völlig neue Kriterien und Fragestellungen. Das ist für mich, was die Kulturwissenschaft leistet: Einen interdisziplinären Blick auf Forschungs-felder richten, der verschiedene Methoden mit-einander verknüpft und so einen ganz neuen Erkenntnisgewinn ermöglicht. Dennoch bildet sich natürlich ein persönli-cher Interessenschwerpunkt heraus (der vom Studium auch so vorgesehen war). Bei mir war das die Geschichte – in dieser Disziplin schrieb ich dann auch meine Bachelorarbeit (verbun-den mit germanistischen Ansätzen, wie es sich für einen echten HoKler gehört). Ich hatte die Wahl: meinen Master in HoK machen und wei-ter in Saarbrücken bleiben oder eine neue Uni kennenlernen. Wer schon mal in Saarbrücken war, kann sich denken, warum ich heute hier bin. Aber es war gar nicht so einfach, sich ent-sprechend zu bewerben. Mir war klar, dass

Wie ich auf die dunkle Seite der Macht WechSelte

einblicke

DEr lAngE stEinigE WEg EinEs kulturWissEnschAfts-bAchElors zum gEschichtE-fAchmAstEr

Jenny triebel

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ich in die Richtung Geschichte/Anthropolo-gie/Kulturwissenschaften wollte. Aber wer in sechs verschiedenen Bereichen Credit-Points erwirbt, hat in einem einzelnen Bereich dann eben auch nicht so viele. Um sich für ein Mas-terstudium zu bewerben, war aber genau das Voraussetzung: eine bestimmte Anzahl von CP im entsprechenden Fach. Die Folge? Tage-, nein, wochenlanges Wälzen von Prüfungs- und Zulassungsordnungen der verschiedensten Unis. Viele Standorte fielen bei mir schlicht-weg deshalb unter den Tisch, weil ich nicht genug CP in Geschichte vorweisen konnte. Sowas sagt man dir natürlich nicht, wenn du HoKler-Erstie bist, weshalb ich recht panisch reagierte. Letztendlich blieben dann aber doch genug Unis übrig, an denen ich mich für einen Fachmaster in Geschichte bewarb (schon allein, um wirklich mal was in dem Bereich zu lernen). Die Leibniz-Universität Hannover war eine von ihnen und sie gewann dann auch mein persönliches Uni-Casting (aber wer will auch schon in Kassel wohnen?). Für mich perfekt geeignet waren die zahlrei-chen ErSie-Veranstaltungen, wie die berüch-tigte Campus-Rallye, die Beratungsgespräche oder die ErSie-Fahrt. Denn obwohl ich im Prin-zip ja kein ErSie war, kannte ich mich weder auf dem Campus noch in der Organisation aus. Ich wusste, ich hatte nur 4 Semester Zeit, um meine Kommilitonen, das Seminar, die Dozenten und die Uni kennenzulernen. Also nahm ich alles mit, was der Veranstaltungskalender so hergab. Das war lustig! Aus Saarbrücken kannte ich so einen studentischen Zusammenhalt ja nicht, denn wie gesagt studieren keine zwei HoKler exakt dasselbe. Dementsprechend gab es auch seltener gemeinsame Veranstaltungen. Hier in Hannover war alles anders. Von den

Historikern wurde ich gleich herzlich auf-genommen (auch was Neues für einen eher geduldeten HoKler), was diese damit bezahl-ten, dass ich sie mit zahllosen Fragen nervte. Aber dennoch merkte ich: Okay, einiges läuft hier doch ähnlich. Man findet sich wesent-lich schneller an einer neuen Uni zurecht, wenn man das ganze Prinzip „Uni“ schon kennt. Total verwirrend dagegen die Vergabe der Credit-Points! Dass ich selbst dafür ver-antwortlich bin, wie viele CP ich wofür in welcher Veranstaltung erhalte, daran musste ich mich erstmal gewöhnen, denn das war in Saarbrücken alles fest vorgeschrieben. Ich sehne mich gelegentlich zurück zu den Tagen, in denen ich nicht mal wusste, wie viele CP ich in welcher Veranstaltung eigentlich mache. Ich wusste nur: Okay, in diesem Modul belege ich zwei Seminare und in jedem halte ich ein Referat und schreibe eine Hausarbeit. Schluss, fertig, aus. Hier in Hannover habe ich dage-gen immer einen Plan dabei, auf dem ich dann nachschaue, wie viele CP ich wo noch brauche. Anstrengend! Auch nicht ganz einfach ist es, gegen das beständige Gefühl anzukämpfen, von nix ʼne Ahnung zu haben (das kenne ich ja schon aus dem Bachelor). Denn ich bin zwar Geschichts-Master-Studentin, habe aber zum Beispiel keinen Schimmer von Antike, weil das eben keiner meiner Schwerpunkte war. Oder vom Ersten Weltkrieg. Oder vom Mittelalter. Oder von Südamerika und Afrika. Lediglich rund ein Viertel meines Bachelors bestand aus Geschichte, davon 90 Prozent Französische Revolution und Langes 19. Jahrhundert. Statt-dessen habe ich gelernt, mich schnell und effektiv in ein Thema einzuarbeiten. Hier im Master wollte ich dann wenigstens einige

einblicke

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Bildungslücken schließen, aber letztendlich bleibe ich dabei: Ich hab eigentlich von nix ʼne Ahnung und hoffe immer nur, dass keiner der Dozenten das bemerkt. Dennoch würde ich jedem Bachelor-Studen-ten empfehlen, den Master an einer anderen Universität zu machen (wenn ein Master denn überhaupt angestrebt wird). Man lernt neue Leute kennen, kann sein Wissen in einem bestimmten Bereich vertiefen und distanziert sich ein bisschen mehr von den universitä-ren Strukturen. Will sagen: Man kann einfach wesentlich mehr Erfahrungen sammeln. Jedes Institut an jeder Uni setzt seine eigenen inter-nen Schwerpunkte. Man ist nicht gezwungen, diesen zu folgen, sondern sucht sich einfach eine Uni, die zu den eigenen Interessen passt, die sich während des Bachelors herausgebildet haben. Und auch meinen Bachelor in HoK möchte ich nicht missen. Denn je mehr man sich spe-zialisiert, desto mehr läuft man Gefahr, einen gewissen Tunnelblick zu trainieren. Durch HoK habe ich gelernt, dass es dir nicht viel bringt, Experte für hochadeliges Heiratsver-halten im Spätmittelalter zu sein, wenn du daraus keine weiterführenden Erkenntnisse ziehen kannst. Geschichte besteht nicht nur aus Ereignissen, Strukturen oder Personen. Sie spiegelt sich in den kulturellen Erzeugnissen dieser Personen, in ihrer Literatur, Kunst und Philosophie wieder. Deshalb glaube ich, dass zeitgemäße Geschichte nicht ohne interdiszip-linäre Zugänge geschrieben werden kann. Und diese wahnsinnig tiefschürfende Erkenntnis hätte ich ohne meinen Wechsel von HoK zu Geschichte nicht so ohne weiteres gehabt.

Amen.

einblicke

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Wir haben jetzt ja Winter. Sagt zumindest der Kalender. Der Blick aus dem Fenster

lässt allerdings oft die Vermutung aufkommen, wir hätten Herbst. Da sehnt man sich schon wieder richtig nach dem Sommer. Und der bedeutet auch wieder Festivalzeit. Von April bis September findet quer durch die ganze Republik eigentlich immer irgendwo irgendwas statt. Von Klassik bis Death Metal, vom kleinen Dorf Open Air mit einer Hand-voll Leuten bis zum Massenspektakel mit über 100.000 Zuschauern ist für jeden etwas dabei. Genauso variabel ist auch die Preisspanne. Zahllose „Umsonst und Draußen“ bieten Fes-tivalgenuß bei freiem Eintritt (fürs Camping werden da oft zwar auch ein paar Euro fäl-lig, aber auch das in einem Bereich, der voll-

kommen okay ist) und sind daher auch zum ersten Reinschnuppern bestens geeignet. Für freien Eintritt bekommt man zwar keine gro-ßen Topacts präsentiert, aber einiges kennt man immer. Sonst kann man auch einfach mit Freunden ein oder zwei Bier trinken und sich überraschen lassen. Ein Phänomen, das nach einer Hochphase in den 90igern grade wieder aufpoppt, ist das Ein-Tages-Festival. Die sind natürlich bestens für Camping-Muffel geeignet und bieten über den Tag verteilt einige Bands und Künstler aus einem Genre. Die Breite der verschiedenen Musikstile ist deutlich kleiner, aber für einen Preis zwischen 20 und 40 Euro kriegt man schon ordentlich was geboten. Die meisten Festivals hingegen gehen über

feStivalguide lite

einblicke

Jan WaitzMann

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drei Tage und bieten auf zwei oder mehr Büh-nen die volle Breite über ein oder mehr Genres (Namen wie Rock am Ring in Verbindung mit Cro verwirren nicht nur mich), inklusive dem vollen Zeltplatzfeeling. Und vom Camping gibt es nach jedem Festival oft genau so viele lus-tige, spannende und skurrile Geschichten wie von den Auftritten. Festival bedeutet für viele eine Zeit des unkontrollierten Wahnsinns, wo man unter mehr oder weniger Gleichgesinn-ten mal für ein paar Tage richtig die Sau raus-lassen und den normalen Alltag vollkommen hinter sich lassen kann. Unproblematisch ist der Mythos Festivalcamping allerdings nicht. Ich selbst war jahrelang ein treuer Wacken-Fahrer und habe im letzten Jahr so oft den Satz „Man fährt doch nicht wegen der Musik zum Wacken“ gehört, dass mir das schon reichlich zu denken gegeben hat. Klar kommt es in einer größeren Gruppe schon mal vor, dass jemand dabei ist, der von selbst nicht gefahren wäre. Wenn aber inzwischen ganze Gruppen nur zum Feiern auf dem Campingplatz anreisen, macht mir das schon Sorgen. Die nehmen dann nämlich den Leuten die Karten weg, denen alleine die Bandauswahl schon die Tränen in die Augen treibt. Um beim Wacken als Beispiel zu bleiben, führt dieser Trend zum Ausverkauf des Festivals innerhalb weniger Stunden, weil jeder mal da gewesen sein möchte. Von stei-genden Preisen und der kitschigen Kommer-zialisierung des Festivals möchte ich hier gar nicht erst anfangen. Mir selbst wären 180 Euro, nur um mich auf dem Campingplatz zu besau-fen, auch einfach zu viel Geld.  An dieser Stelle allerdings nur aufs Wacken zu schimpfen, ist sicherlich zu kurz gegriffen. Ähnliche Geschichten und Probleme gibt es eigentlich bei jedem großen Festival und lassen

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die Frage aufkommen, an wen da grade eigent-lich beim Buchen des Künstlers gedacht wurde (siehe Cro bei Rock am Ring). Für den Veran-stalter, für den jeder Besucher ein Kunde ist, ist der ganze Spaß auch nicht immer einfach und ich will mich hier jetzt auch nicht in die Ecke der ewig nörgelnden Traditionalisten stellen, die einem bei solchen Gelegenheiten gerne erzählen, wie geil das Festival doch 1995 war oder sowas. Die gibt´s, wie überall, nämlich auch hier und sie erzählen auch das Gleiche wie überall anders. Eben das übliche „früher war alles besser und da konnte ich mit dem Sänger meiner Lieblingsband auch noch in der Kloschlange stehen“. Dass die damals aller-dings grade erst seit zwei Jahren existierte, als Gewinner eines Newcomer-Wettbewerbs, die als erste Band mittags auf die Bühne musste und eigentlich selber auch als Besucher da war, bleibt unerwähnt. Eigentlich soll dieser Artikel aber Lust auf Festivals machen und hier gar nicht so ein negatives Bild zeichnen. Ich war, wie gesagt, jahrelang Wacken-Fahrer und hatte immer viel Spaß. Die riesen Bandbreite der verschiedenen Festivals in Deutschland lässt eigentlich keine Wünsche offen und so wird das Wacken 2015 zwar ohne mich stattfinden, aber ich werde auch dieses Jahr meinen „Sommerurlaub“ auf Äckern und Feldern verbringen, um mit Freun-den und Gleichgesinnten einfach mal den All-tag hinter mir zu lassen. Und das dieses Jahr gleich drei Mal: auf dem Rockharz Open Air in Ballenstedt, beim Taubertal Open Air in Rothenburg ob der Tauber und beim 20jähri-gen Jubiläum von In Extremo auf der Loreley. Vielleicht sieht man sich ja da auf ein Bierchen oder zwei. ;)

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Bei der studentischen Vollversammlung am 12.11.14 musste ich, (eine optimistische,

weltoffene Geschichtsstudentin) miterleben, wie extrem linksorientierte (jedenfalls zwang sich dieser Eindruck auf) und im höchsten Maße unreflektierte, verbohrte Studenten diese VV diktierten! Als Geschichtsstudent wird uns gesagt, dass wir à la Leopold von Ranke – quasi dem Begründer des Historizismus – die Wahrheit suchen sollen, unsere Aufgabe besteht darin, dieser möglichst nahe zu kommen, was bei mehreren Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden an Unmöglichkeit grenzt. Finden wir einen Überrest, bspw. einen Brief, nähern wir uns diesem (vereinfacht ausgedrückt) mit einigen „W“-Fragen:  Wer hat ihn geschrieben? Mit welcher Intention? Was steht dahinter? Wann wurde geschrieben und unter welchen Umständen? Wenden wir alleine diese kleinen Fragen auf den heiß diskutierten Antrag an, welcher be inhaltete, dass sogenannte „Burschis“ und Verbindungen sich nicht mehr auf der Home-page der Leibniz Uni präsentieren dürfen. Außerdem sollte ihnen kein Raum mehr in der Uni selbst gewährt werden. Wer sagte dies? Irgendjemand namens P., der, wenn ich es richtig verstanden habe, bei den Jusos ist. Mit welcher Intention? Wie erwähnt: das Ver-schwinden der Studentenverbindungen von der Homepage. Was steht dahinter? ...Offen gesagt nicht viel. Seine Argumente waren: „Wegen Rassismus, Faschismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Ausländerfeindlichkeit“. Trotz genauer Nachfragen, bspw. welche Verbindungen er genau meine und was er für

konkrete Beispiele für eben genannte Beschul-digungen hätte, blieb er genau diese Antworten schuldig.Wann wurde er geschrieben und unter welchen Umständen? Blieb unklar aufgrund jeglicher Verweigerung gestellter Fragen. Wie kann es sein, dass mich diese VV an den peinlichen Auftritt von Markus Lanz (einem Speichellecker großer Parteien ohne eigene Meinung) gegenüber Sarah Wagenknecht (einer Frau mit rhetorischem Talent und stich-haltigen Argumenten) erinnert? Alles schien so vorprogrammiert und niemand bzw. alle, die gegen Verbindungen waren, konnten dies kaum bzw. sehr schlecht begründen. Frei übersetzen ließen sich alle Argumente so: „Weil das ist so!“ „Nein, ich kenne keinen, der in einer Verbin-dung ist, aber so jemanden will ich auch nicht kennenlernen!“ Was für ein Kaugummikopf voller Hass und Vorurteile tut bitte eine solch unreflektierte, beleglose Meinung kund? Wir sollen hier, an der Uni doch vor allem unseren Charakter bilden und nicht nur als individua-litätslose Arbeitskraft und Ja-Sager aus dem Studium hervorgehen! Meiner Meinung nach sollten die Verbindun-gen, darunter fallen z.B. Landsmannschaften, Burschenschaften und Chorps, differenziert – ein Wort, welches bei der VV keine Bedeutung zu haben schien – betrachtet werden. Es mag Faschisten darin geben, doch davon habe ich bis jetzt niemanden getroffen, die Menschen (Männer und Frauen), die ich bis jetzt kennen lernen durfte, waren zumeist sehr nett und dis-kriminierten mich keineswegs aufgrund mei-nes Geschlechts. Ausländerfeindlichkeit? Wie soll dieses Argument ernst genommen werden, wenn alleine bei den Anwesenden der VV ein gutes Dutzend mit offensichtlichem Migrati-

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„nicht WiSSen iSt nicht WiSSen Wollen,

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nicht SchliMM, dagegen Sehr.“

onshintergrund farbige Schärpen trägt?  Eine Wortmeldung beinhaltete sogenannte Frauenfeindlichkeit, „den Brauch des Biermäd-chens“.  Ob er Realität sei oder nicht, sei dahin gestellt, aber das ist auch nicht wichtig. Denn die Äußerung war folgende: „Da wird ein Mäd-chen bezahlt, dafür, dass sie etwa einem Dut-zend ‚Burschis‘ einen Abend lang Bier serviert. Wenn das so ein hübsches junges Mädchen tut, ist es kein Wunder, wenn es zu Übergrif-fen kommt!“ ....hmmm jaaaaa, ist da auch eine Kellnerin gemeint? Diese Äußerung war das frauendiskriminierendste der ganzen Debatte. Sollte ein Mädchen, eine Frau, nicht selbst ent-scheiden dürfen, was sie tut, ein Risiko, falls vorhanden, selber abwägen dürfen, im Falle eines Falles selber reagieren können oder sind diese Fähigkeit etwa nur Männern zu eigen? In Bars, Nachtclubs, wer serviert dort die Drinks? Ist das servieren (alkoholhaltiger) Getränke den „Burschen“ vorbehalten oder gehört dies zu unserer gesellschaftlichen Nor-malität? Was ist überhaupt mit Damenverbindungen, wo Männer keine Mitglieder werden dürfen? Sind diese auch sexistisch? Diese wurden nicht einmal angesprochen. Übermäßiger Alkohol-konsum wurde den Verbindungsmitgliedern vorgeworfen, ist der nicht allen Studenten als Klischee zu eigen? Und was zur Hölle geht das irgendwen etwas an? Sind wir schon in einem Überwachungsstaat, wo jedes getrunkene Bier gezählt wird? Als ich gegen diesen Antrag stimmte und es wagte, etwas zu erwidern auf die Äußerung eines Kommilitonen, der meinte, er fühle sich durch die Anwesenheit der Schärpen diskri-miniert, nämlich, dass ich mich durch ein paar

Farben nicht bedroht fühle und als Frau für sol-che lächerlichen Anmerkungen zu viel Selbst-wertgefühl habe, erntete ich in meinem Umfeld Kopfschütteln und fassungslose Blicke (Applaus nur von Menschen mit Schärpe). Direkt hinter mir bekam ich ein „Echt jetzt??“ zu gezischt, als ich meine Hand zur Abstimmung hob. JA! Echt jetzt! Ich habe keine Argumente gehört, die mich vom Gegenteil überzeugen konnten, weil es keine gibt und jeder das Recht auf eine freie Meinung hat. Noch nie musste ich mich dafür rechtfertigen, dass ich keiner Verbindung angehöre, warum müssen sich einige rechtfertigen, dass sie in einer Verbin-dung sind? Extremismus in jede Richtung ist verkehrt, dieser hat immer furchtbar ausschlie-ßende Folgen für einige Minderheiten und beruhen auf unbedachten Vorurteilen.

 „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, daß Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen. Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“

 Das sagte Voltaire schon 1706. Hätte er wohl einen großen Unterschied entdecken können, zwischen den Rechtsextremen, welche Juden die Brunnenvergiftung vorwarfen und den heutigen Linksextremen, welche allen studen-tischen Verbindungen Faschismus, Ausländer-feindlichkeit und mehr vorwerfen?  Genau dies stelle ich zur offenen Diskussion.

– chinEsischEs sprichWort –

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erWiderungen Mit ihrem Kommentar zum Argumentations-

verhalten während der letzten studentischen Vollversammlung gegenüber Burschenschaf-ten liefert die Autorin ein Plädoyer für Tole-ranz und gegen Extremismus, ohne es jedoch zu verpassen, im selben Zuge Kommilitonen als „extrem linksorientierte [...] und im höchs-ten Maße unreflektierte, verbohrte Studenten [sic!]“, als „Linksextreme“ zu bezeichnen – eine anschauliche Verdeutlichung des Toleranzbe-griffes bei Slavoj Žižek: ihr könnt tun und las-sen, was ihr wollt, solange ihr uns damit nicht in die Quere kommt, also bleibt weg. Dass sich die Autorin in diesem Zusammenhang auch noch auf den Historizismus (den Irrglauben, an eine historische Notwendigkeit von Geset-zen des geschichtlichen Ablaufs, also deter-ministischen Prophetismus) beruft, ist umso bezeichnender: In diesem Sinne sollte sie sich ihr eingangs zitiertes Sprichwort selbst einmal zu Gemüte führen und wäre mit Karl Poppers kritischem Rationalismus sicherlich gut bera-ten. Und letztlich: Zu glauben, im schmutzigen Geschäft Politik ginge es um Wahrheitsfin-dung, ist wohl weniger „weltoffen“ als welt-fremd – natürlich geht es um die Etablierung hegemonial umkämpfter Vorstellungen vom guten Leben! Zu schließen, dass sie keine stichhaltigen Argumente für den Ausschluss der Verbin-dungen von der Auflistung von studentischen Gruppen auf der Uni-Homepage und der damit zusammenhängenden Möglichkeit von Raumbuchug usw. an der Universität gehört habe, „weil es keine gibt“, weil Rassismus, Faschismus, Frauenfeindlichkeit, Homopho-bie, Ausländerfeindlichkeit für sie „nicht viel“ bedeutet. Um einmal so naiv zu argumentieren,

einblicke

Jan heineMann

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wie die Autorin: die Linken, „die ich bis jetzt kennenlernen durfte, waren zumeist sehr nett“. Extremisten habe ich bei der Vollversammlung keine Gesehen, die hätten sich auf eine demo-kratische Abstimmung gar nicht erst einge-lassen. Kritisierbar ist sicherlich der Versuch, die Diskussion relativ schnell zu beenden und wenig auf das Problem Verbindungen einzuge-hen – das liegt meines Erachtens jedoch daran, dass das „linke Lager“ hinreichend mit Studien über Verbindungen und der Problematik ver-traut ist und von einer prinzipiellen, morali-schen Warte aus argumentiert: dadurch ent-steht ein gewisses Unverständnis gegenüber weniger informierten, weniger aufgeklärten Positionen, die überhaupt nicht fähig sind, ihre alltäglichen Denkmuster zu hinterfragen und bestimmte Phänomene zu problematisieren. Die Vollversammlung hat gezeigt, dass eine Kritik an Verbindungen neu gedacht werden muss, das ein Schwerpunkt dieser neuen Kritik stärker auf dem praktizierten Elitis-mus und im zweiten Schritt erst auf diskriminierende und ausschließende Elemente von Gruppendynamiken liegen sollte. In diesem Sinne sage ich wiederum mit Žižek: „Das wichtigste ist, die richtigen Fragen zu stellen, nicht Ant-worten zu geben.“ Liebe Auto-rin, bitte sei keine individua-litätslose Ja-Sagerin, sondern informiere dich und hinter-frage das Alltägliche.

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Vom 13.-15. Januar 2015 finden wieder Wah-len an der Universität statt. Gewählt werden wie jedes Jahr die  studentischen Vertre-ter  für die akademischen und studentischen Gremien  (also den Senat, die Fakultätsräte, den Studentischen Rat, die Fachschaftsräte) und wie jedes zweite Jahr die  Vertreter der anderen Statusgruppen  (also Professoren, Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiter in Technik und Verwaltung) für die akademi-schen Gremien. Außerdem gibt es im Rahmen der Uni-Wahlen eine empfehlende Urabstim-mung über das Semesterticket. Jeder Studierende hat dabei je Gremium eine Stimme. Das Wahllokal für die Philosophi-sche Fakultät findet ihr im Raum C 005, EG der Schloßwender Straße 1. Achtet darauf, dass die Stimmzettelausgabe und Wahlurnen für die akademischen und studentischen Gre-mien jeweils getrennt stehen: Nehmt also an beiden Wahlen teil! Leider lag die studentische Wahlbeteiligung in den letzten Jahren immer unter 15% – für den Senat sogar nur bei 9%! Um die Wahl-beteiligung zu steigern, bieten wir seit Jah-ren ein  Wahltaxi  an, das heißt wir weisen erstens in der Uni-Wahl-Woche so viele Stu-dierende wie möglich auf die Wahlen hin und erläutern die Wichtigkeit selbiger und zwei-tens bieten wir zu Stoßzeiten (Viertel vor 12 und vor 14 Uhr bis jeweils Viertel nach) eine "Führung bis zum Wahlbüro" an. Um den Anreiz dieses Mal zu steigern, bekommt jede/r WählerIn einen kostenfreien  Glüh-wein von uns spendiert – egal wen er/sie wählt!

Jede StiMMe zählt!

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Der stuDIerenDenrat beI Den stuDentI-schen GremIenwahlenZu den studentischen Gremienwahlen tre-ten Mitglieder des Rates und der Fachgruppe gemeinsam als  Liste "Studierendenrat Geschichte" an – uns findet ihr also unter die-ser Überschrift bei den Wahlen zum Studenti-schen Rat (Liste 11) sowie zum Fachschafts-rat  (Liste 6) der Philosophischen Fakultät. Natürlich haben wir  inhaltliche Ziele, die wir mithilfe eures Mandates umzusetzen bemüht sein werden! Dazu gehören:  Weni-ger Leistungszwang! Barrierefreiheit! Die Universität zurück! Viertelparität! Einen Scanroboter! Mehr politische Bildung! Das allgemeinpolitische Mandat!

Der stuDIerenDenrat beI Den akaDemI-schen GremIenwahlenZu den  akademischen Gremienwahlen  treten Mitglieder des Rates und der Fach-gruppe als  Teil der  Kritischen Liste  an – uns findet ihr also unter dieser Überschrift bei den Wahlen zum  Senat  (Liste 1) und zum  Fakultätsrat  (Liste 2) der Philosophi-schen Fakultät. Die  Kritische Liste  ist ein Bündnis aus Juso HSG, Campus Grün, FR Berufspädagogik,  FR Sonderpädago-gik, Studierendenrat Geschichte, FR Poli-tik, Basisdemokratische Fachschaft Sozi-alwissenschaften,  FR Philosophie,  Die PARTEI  HSG,  FR Germanistik,  Vegane Hochschulgruppe und Unabhängigen.

warum krItIsche lIste wählen?Die Kritische Liste arbeitet seit Jahren erfolg-reich und effektiv in den akademischen Gre-mien und hat u.a. im Senat die studieren-denfreundliche Muster-Prüfungsordnung durchgesetzt. Da die Mitglieder der Kritischen Liste, sowohl Mandatsträger aus Senat und Fakultätsrat wie auch Vertreter der Unter-stützergruppen, regelmäßig tagen, um aktu-elle Themen zu besprechen, Sitzungen vor-zubereiten und basisorientierte, gemeinsame Positionen zu finden, kann die Kritische Liste einerseits an der Umsetzung der  program-matischen Ziele arbeiten und gleichzeitig auf aktuelle Entwicklungen und die Sorgen und Interessen der Studierendenschaft reagieren. Auch in den studentischen Gremien koope-rieren die Unterstützergruppen auf Basis des gemeinsamen Programms, auch wenn sie als getrennte Listen zu den Wahlen für StuRa und FSR antreten. Kritische Liste wählen, heißt also Universität solidarisch, nachhaltig, transparent gestalten!

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barrIerefreIheIt!Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen. Dieser Satz diente in den letzten Jahren immer wie-der als Slogan für Kampagnen, Aktionen oder Zeitungsartikel. Sicherlich stimmt es, dass ein Umdenken gewisse Barrieren abbauen kann. Aber ich sage: Barrieren entstehen erst in den Köpfen. Das geforderte Umdenken fordert keine baulichen Maßnahmen, es fordert lediglich Menschlichkeit und die Akzeptanz eines jeden Menschen, egal ob diese Person nun körper-lich behindert ist oder an einer chronischen Erkrankung leidet. Es ist schockierend, dass der Slogan etwas doch so Selbstverständliches einfordern muss. Sicherlich führt die Rückkehr zum „Normal-zustand" auch zu einem bewussten Denken der Menschen. Dann würden die Verantwortlichen der Universität, der Stadt und der Regierungs-organe auch sinnvoll planen. Ein paar konkrete Beispiele: Da werden im Historischen Seminar die Sanitäranlagen saniert und die Verantwortli-chen schaffen es nicht, auf jeder Etage barrie-refreie Toiletten einrichten zu lassen.

Weiterhin sind in unserem Gebäude die Fahr-stühle eine Reise ins Ungewisse. Niemand kann sagen, wie lange eine Fahrt dauert. Es ist ratsam, zumindest Getränke mitzunehmen, falls ein Fahrstuhl mal wieder stecken bleibt. Viele Gebäude der Universität können von RollstuhlfahrerInnen nur über Umwege (weit ab der Öffentlichkeit) betreten werden. Dies kann doch kein Normalzustand in unserer Gesellschaft sein. In dem Bewusstsein, dass kaum Gelder zur Verfügung stehen, fordern wir, dass bei jeder Sanierung die Barrierefreiheit Einzug erhält und dass weiterhin alle Gebäude und Räum-lichkeiten des universitären Lebens (Hörsäle, Seminarräume, Büros, Bibliotheken usw.) bau-lich angepasst werden.

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mehr polItIsche bIlDunG!Politische Bildung ist für uns existenzieller Bestandteil einer demokratischen Gesell-schaft und unweigerlich mit der Universität verzahnt. Nach der Schule ist die Universität der Ort, an dem politische Bildung umgesetzt werden soll und muss – hier lernen wir das Denken! Politische Mündigkeit und also politische Bildung braucht es innerhalb der Studieren-denschaft aus dem gleichen Grunde, warum sie in einer demokratischen Gesellschaft nötig ist: Ohne politische Bildung keine politische Mündigkeit, ohne politische Mündigkeit, keine politische Partizipation, ohne politi-sche Partizipation keine Hochschulpolitik, keine selbstverwaltete Studierendenschaft und keine selbstverwaltete Universität!  Die Organe der Studierendenschaft, insbesondere an der studentischen Basis, darben häufig an Nachwuchsproblemen und mangelnder Parti-zipation – um diesen Problemen zu begegnen und langfristig nachhaltige Hochschulpolitik betreiben zu können, muss politische Bildung innerhalb der Studierendenschaft unweigerlich forciert werden!

DIe unIversItät zurück!Historisch hatte die Universität den Anspruch, ein Ort des kritischen Denkens zu sein – heute ist sie zu Hochschulen gleichgeschaltet. Eigen-ständiges und gemeinsames Forschen und Lernen sind nur zwei Punkte, die eine Uni-versität von einer Schule unterscheiden. Die Universität wird immer mehr zu einer ökono-misch gesteuerten Ausbildungsfabrik. Das ver-schulte System sieht vor, dass man zu der Ver-anstaltungen geht, um seine Creditpoints zu bekommen, um so schnell wie möglich einen Abschluss vorweisen zu können. Wir wollen ein selbstbestimmtes Studium, in dem Dozie-rende und Studierende sich auf Augenhöhe begegnen, lernen und forschen – nach eigenen Interessen projektorientiert und kritisch. Des-halb fordern wir die Universität zurück!

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22 avaliSt — einblicke

wenIGer leIstunGszwanG!Durch Bologna kam es zu einem Wandel weg von einem größtenteils selbstbestimmten Studium hin zu einem verschulten Bachelor/Master-System. Wichtig hierbei: die Studie-renden sollen ihr Studium möglichst schnell beenden. Also stopfen sie sich nun ihre Stun-denpläne so voll wie möglich, ungeachtet des Seminarinhaltes, Hauptsache es passt zeitlich gut rein. Ziel ist es hierbei, eventuell sogar 1-2 Semester früher fertig zu sein als der Rest. Das kommt den Fakultäten, sogar den Institu-ten ja auch zu Gute, denn Studierende, die in Regelstudienzeit durchkommen, bringen Geld ein. Zudem bevorzugt der Arbeitsmarkt genau diese Studierenden, die eben nicht ihre Zeit damit verschwenden ihren Interessen nachzu-gehen, sondern ihr Studium problemlos ohne

Schlenker nach links und rechts durchziehen. Die Strafe für die, die sich diesem System nicht anpassen: Langzeitstudiengebühren. Doch was bleibt nach so einem schnellen Durchlauf hängen? Wahrscheinlich nicht viel, außer, dass man ein wahrer Meister im stump-fen Abarbeiten der Prüfungsordnung ist. Alles, was das Studium eventuell verlängern könnte, wird zügig umgangen. Man muss eben schnell durchkommen und gute Noten haben. Nur das zählt in einer Leistungsgesellschaft.  Leistungszwang und Regelstudienzeit, das Bachelor/Master-System, machen Studierende zu Produkten, die auf den Markt geworfen werden, anstatt zu eigenständig denkenden und reflektierten Menschen.  Wir als Studierendenrat Geschichte leh-nen Leistungszwang ab und sind für eine Entschleunigung des Studiums. Studierende sollten im Studium die Möglichkeiten haben, ihre Interessen zu verfolgen und neue Dinge auszuprobieren, sich zu engagieren ohne eine tickende Uhr im Nacken sitzen zu haben.

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vIertelparItät!In ihren Koalitionsvereinbarungen hat die Lan-desregierung sich dafür ausgesprochen, die demokratische Mitgestaltung der Universität durch die Studierenden zu stärken, Studierende sollen gar „als gleichberechtigte Mitglieder Studium und Lehre an den Hochschulen mitge-stalten“ – doch bis heute ist nichts geschehen.Bisher haben die Professoren in allen entschei-denden akademischen Gremien die Mehrzahl aller Sitze: In unserem Institutsvorstand vier gegen je einen Vertreter der Wissenschaftli-chen Mitarbeiter, der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung und der Studierenden – in den Fakultätsräten und dem Senat sieben gegen je zwei Stimmen der anderen Statusgruppen. Das bedeutet, dass den benachteiligten Gruppen eine demokratische Mitgestaltung kaum mög-lich ist. Das muss sich ändern! Auch die stu-dentische Vollversammlung vom 12. November letzten Jahres hat die Umsetzung der Viertelpa-rität in den akademischen Gremien mit großer Mehrheit gefordert. Wir wollen uns im Studentischen Rat und im Fachschaftsrat dafür einsetzen, dass dieses Ziel weiter verfolgt und schließlich umgesetzt wird, damit eine wirklich demokratische Mitbestim-mung langfristig möglich ist.

Das allGemeInpolItIsche manDat!Seit Mitte der 60er Jahre ist es den Studie-rendenschaften und ihren Gremien juristisch verboten, sich zu allgemeinpolitischen Fragen zu äußern – die Studierendenschaften sollen zwar die Interessen der Studierenden vertre-ten, dies aber ausschließlich in Bezug auf die Hochschule. Wir sind der Meinung, dass die Universität mehr ist als reine Ausbildungsfabrik und sich die Studierendenschaft zu mehr äußern kön-nen sollte als zu Fragen von Forschung und Lehre. Wir verstehen die Universität als Ort kritischen Denkens, als Ort der demokrati-schen Meinungs- und Persönlichkeitsbildung und der Entwicklung und Diskussion gesell-schaftspolitischer Ideen. Als solche sollte die Universität als gesellschaftspolitischer Akteur und auch die Studierendenschaft als Teilkör-perschaft der Universität in gesellschaftliche Diskurse intervenieren und die Vorstellung eines friedlichen, demokratischen Miteinan-ders mitgestalten. Darum fordern wir das allgemeinpolitische Mandat!

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Inhalt  Der Film ist im Grunde sowas wie ein Dracula Origins. Von Sultan Mehmed II und seiner Armee bedroht, sieht der trans-sylvanische Fürst Vlad – einst selbst Krieger des alten Sultans – sich gezwungen, dunkle Mächte um Hilfe zu bitten. Er erhält die Kraft von 100 Männern und Macht über die Krea-turen der Nacht, dafür bezahlt er allerdings mit unstillbarem Durst nach Blut. Der Rest ist Geschichte.

hIstorIcal correctness  Obwohl Dra-cula Untold überhaupt nicht den Eindruck macht, transportiert er doch einige Annahmen, die inzwischen durchaus zum Forschungskon-sens gehören. Vlad III war in jungen Jahren, zusammen mit seinem älteren Bruder, Geisel des osmanischen Reiches – und wahrscheinlich wurde er ausgepeitscht (wie im Film). Auch das namensgebende Pfählen war gängige Praxis im Spätmittelalter. Dass er jedoch gezwungen war, seine Familie vor den Türken zu beschützen (und diese Familie an sich), ist eher Erfindung der Drehbuchautoren. Ähnlich verhält es sich mit der Schilderung der Kampfhandlungen, was natürlich auch dem mythologischen Twist geschuldet ist. Tatsächlich unterstand dem Woiwoden ein 20 000 bis 30 000 Mann star-kes Heer, mit dem er sich gegen die Türken behaupten konnte. Im Film schafft er es dage-gen allein durch seine dunklen Kräfte.

coolness  Der berühmteste Vampir als markanter Actionheld und Retter der Unschul-digen? Hell yeah, darauf haben wir doch alle gewartet! Einziger Wermutstropfen: Vlad wirkt in Dracula Untold fast schon ein wenig zu freundlich, ist ein wenig zu sehr Familien-mensch. Klar, er liebt seine Frau und seinen Sohn und würde alles für sie tun, aber er ist verdammt noch mal auch der verdammte Fürst der Finsternis! Herrscher über die Kinder der Nacht! So richtig böse wollte Gary Shore sei-nen Protagonisten dann aber doch nicht zei-gen, obwohl er hier und da eine kleine Mini-Pfählung durchführen darf. Schade eigentlich, denn das good guy gone bad-Motiv passt hervorragend zur Geschichte. Bleibt also nur zu hoffen, dass uns Vlad alias Dracula in den geplanten Fortsetzungen mehr von seiner dunklen Seite zeigen darf!

Innere werte  Aus Dracula Untold ist ein Action-Epos geworden, wie wir es heute kennen und mögen. Aufwendige Schlachten-szenen, solides CGI und Luke Evans´ kantig-markante Darstellung machen aus dem Film eine runde Sache. Erfrischend kurz kommt er daher, der neue Dracula, mit gerade mal 90 Minuten Laufzeit. Fast hätte man sich die ein oder andere Szene mehr gewünscht, besonders in Bezug auf Vlads Kampf gegen seine dunklen Begierden.

epic BattleS of hiStory MovieS

einblicke

Jenny triebel

DrAculA untolD

DrAculA untolD Vs. brAm stokEr´s DrAculA

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fazIt  Dracula Untold scheint auf den ers-ten Blick episch erzählte Superhelden-Kost, erweist dem walachischen Fürsten jedoch einen großen Dienst, da er sich in seiner Dar-stellung eher der zeitgenössischen Rezeption annähert: Ja, Vlad III war ein grausamer Mann, aber er wurde auch als gerechter und starker Herrscher verehrt. Seine Dämonisierung, die 1897 mit Bram Stokers Roman „Dracula“ ihren Höhepunkt fand, hatte oftmals politische oder wirtschaftliche Gründe, die das Bild des Woi-woden gehörig verzerrten. Bei Dracula Untold handelt es sich zwar immer noch um die Neuauflage des Vampirmythos – aber immer-hin eine, die uns ihren Hauptcharakter zur Abwechslung mal richtig sympathisch macht.

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brAm stokEr´s DrAculA

Inhalt  Nachdem der walachische Fürst Dracula die Türken vernichtend geschlagen hat, wird aus Rache seine Geliebte Elisabe-tha getötet. Von Gott enttäuscht, verflucht er den Herrn und wird zum legendären Vampir. 400 Jahre später meint er dann in der Verlob-ten seine Maklers, Wilhelmina Murray, die Inkarnation seiner Geliebten zu erkennen. Er reist ihr also nach London nach, eine Spur aus Schrecken und Blut hinter sich herziehend...

hIstorIcal correctness  Wie der Titel schon erahnen lässt, handelt es sich bei Fran-cis Ford Coppolas Film um eine Adaption des 1897 erschienenen Romans von Bram Stoker. Da der selbst kaum ernstzunehmende histori-sche Bezüge aufweist, kann man auch im Film nicht mit historischen Fakten rechnen. Statt-dessen orientiert sich Coppola erstaunlich eng an der Romanvorlage, inklusive Tagebuchein-trägen und Logbuch-Material, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt. Frei erfunden ist dagegen nur Draculas romantisches Inter-esse an Mina Murray, wahrscheinlich, um ein größeres Publikum für den Film zu begeistern und der Figur des Dracula zumindest eine sym-pathische Seite hinzuzufügen.

coolness  Von Coolness kann bei Dracula nicht immer direkt die Rede sein, eher von einer Art verstörender, irrealen Stimmung, die auf Montage und Dialoge zurückzuführen ist. Wirklich cool ist nur Gary Oldman als Dracula, der entweder als alter Mann mit eigensinnigem Schatten oder als junger Dandy zu überzeugen weiß. Der Film ist zwar, aufgrund der Nähe zur Romanvorlage, Kult, aber auch irgendwie merkwürdig. Da liegen junge Frauen bar-busig in ihren Betten herum, umzingelt von

Männern, die sich natürlich lediglich um ihre Gesundheit sorgen – während Dracula selbst hier und da als Werwolf oder riesige widerli-che Fledermaus auftaucht.

Innere werte  Hinzu kommen derart hölzerne Dialoge, dass sich dem heutigen Zuschauer (der Film ist von 1992) die Nacken-haare aufstellen. Gerettet wird der Film ledig-lich von der üppig-barocken Ausstattung und den beiden Hauptdarstellern Gary Oldman und Winona Ryder. Davon abgesehen ist Coppolas Montage und Erzählrhythmus einfach zu holp-rig, um ein rundes Seh-Vergnügen zu ermög-lichen. Wohlwollend könnte man auch sagen, Bram Stoker´s Dracula überzeugt durch eine selten gesehene Schrulligkeit, die aus heuti-gen Werken längst herausrationalisiert wurde. Allerdings muss man diese Schrulligkeit schon mögen.

fazIt  Wer zu faul ist, um einen Klassiker wie „Dracula“ zu lesen, kann sich den Film sehr gut als Zusammenfassung ansehen, sollte dabei aber im Hinterkopf behalten, dass romantische Liebe in der Romanvorlage eher keine Rolle spielt. Davon abgesehen ist Bram Stoker´s Dracula irgendwie ein eigenartiger Film, der mit der realen historischen Per-sönlichkeit Vlad III in etwa so viel zu tun hat wie Wackelpudding mit einer gesunden Mahlzeit.

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Irgendwie bringt man es ja kaum übers Herz, weil es sich bei Bram Stoker´s Dracula um einen waschechten Klassiker handelt, aber: Diesen Sieg trägt Gary Shore mit Dracula Untold nach Hause. Sein Dracula ist einfach cooler, wenn auch sicherlich weniger zeitlos. Seine Neuinterpretation hebt sich allerdings auch derart von der ursprünglichen Romanfi-gur ab, dass ein Vergleich fast schon unmög-lich wird. Letztlich kann dieser Battle also nur zwischen den beiden Filmen entschieden wer-den, nicht jedoch zwischen der ursprünglichen Romanfigur und dem historischen Vlad III.

bAttlE-ErgEbnis

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und WaS WirSt du Später So?

„Ah cool, du studierst Geschichte! Mich interessiert das ja auch total! Aber ich

mache das eher so als Hobby. Du gehst dann ins Lehramt oder?“ Wer kennt diese Freunde nicht? Die ganzen Maschbauer, Mechatroniker, Informatiker und Chemiker, die einen vor die Frage der Fragen stellen.  Geht man tatsächlich mit Geschichte und einem x-beliebigen zweit- und vielleicht sogar Drittfach ins Lehramt, ist die Antwort relativ einfach. Allerdings tut das nicht jeder. Wenn man also zu der kleinen Gruppe der sogenannten „Fachmaster“ gehört, die mit Geschichte tatsächlich keine Kinder quälen wollen, wird es nun interessant. Was sagt man da? Was will man überhaupt? Ist Taxifahrer

eine lohnende Alternative? Immerhin scheint dieser Berufszweig durch die diversen Neue-rungen wie die App „Uber“ grade in einer Krise zu stecken. Taxifahrer scheidet also zumindest für denjenigen aus, der eh keine große Freude am Fahren hat. Gerne genannt sind neben Taxifahrer auch Berufe wie Archivar, Museo-loge oder Bibliothekar. Interessante Berufe, deren Nennung an Position zwei bis vier tat-sächlich ihre Berechtigung haben. Manch einer liebäugelt auch mit dem Beruf des Historikers/Dozenten an einer universitären Einrichtung. Zumindest als Plan A ist letztgenannter Berufs-zweig auf Grund fehlender Stellen ein sehr gewagtes Unterfangen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Genauso verhält es sich im Übrigen mit dem Berufsfeld des Journalisten.

einblicke

alexander WeiSS

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Zumindest ist es das, was man momentan hört.Aber sind das tatsächlich alle Perspektiven, die man als Bachelor/Masterabsolvent der Geschichtswissenschaft hat? Nein! Oder zumindest: Nein, wenn man sich wäh-rend des Studiums breit aufstellt und auch mal den Blick nach links und rechts wagt. Tatsächlich lauern auch in der freien Wirt-schaft Berufsfelder für Geisteswissenschaft-ler, man muss sie nur sehen (wollen). Am Anfang einer jeden Berufssuche muss man sich natürlich zuerst einmal seiner eigenen Stärken besinnen, sofern man welche hat. Was haben Geschichtswissenschaftler für Stärken? Wenn man sich nicht durchschummelt durchs Studium, erlernt man das erfassen komplexer Zusammenhänge und deren Wiedergabe in Textform, kurz: Schreiben und lesen. Im Laufe des Studiums lernen Geschichtsstudenten den Umgang mit Texten und der spitzen Feder. Wenn man dazu noch einigermaßen kom-munikativ ist, wäre eines der naheliegends-ten Berufsfelder in der freien Wirtschaft der Bereich der Presse- und Öffentlichtkeitsarbeit. Jedes größere Unternehmen besitzt Pressere-ferenten, welche tatsächlich vorwiegend aus dem Bereich der Geisteswissenschaften rekru-tiert werden. Empfehlenswert sind hier neben Praktika direkt im Berufsfeld oder verwandten Feldern (Redaktion einer Zeitung, etc.) sicher-lich noch das Erlernen von spezifischen Softs-kills wie Rhetorik, Gesprächsführung oder der Umgang mit neuen Medien. All diese über das Fach Geschichte hinausgehenden Fertigkeiten lassen sich übrigens in Seminaren am Zentrum für Schlüsselkompetenzen (ZfSK) erlernen.  Dieser Bereich ist aber längst nicht der ein-zige, wo Geisteswissenschaftler Fuß fassen. Hast du eine Affinität zu Design oder kannst beson-

ders gut strategisch denken und bist immer „up to date“? Vielleicht wäre dann ja Marketing etwas für dich. Natürlich muss man hier bereits gewisse kaufmännische Grundkenntnisse besit-zen. Das ist aber nichts, was für Geisteswissen-schaftler unmöglich zu erlernen ist. Worauf es ankommt ist die eigene Vermark-tung beim Anschreiben. Hier sollte für den Personaler klar deutlich werden, warum ihr trotz Geschichtsstudium für den Job infrage kommt. Sei es eine besondere Affinität zu Design (ersichtlich aus diversen Kenntnissen im Bereich Mediengestaltung etc.), einschlä-gige Praktika, Nebenjobs oder Softskills. Könnt ihr dem Personaler anhand eures Lebenslaufs erklären, warum ihr und nicht wer anders, steigt die Chance, nicht direkt aussortiert zu werden. Auffallen tut ihr so oder so. Nutzt es! Beides nichts für euch? Seid ihr eher ein Orga-nisationstalent? Schonmal was von Project-Management oder Programm-Management gehört? Solltet ihr aber! Solche Leute werden in der Wirtschaft immer gesucht! Die Stellen-ausschreibungen sind oft sehr abschreckend, denn gesucht sind „eierlegende-Wollmilch-säue“. Ihr müsst dabei eigentlich nur genau das machen, was in der Berufsbezeichnung steckt: Projekte managen. Klingt leider einfa-cher, als es ist, denn eigentlich ist so gut wie alles ein Projekt. Es gibt daher keine allge-meingültige Beschreibung des Berufsfeldes, die ich euch hier zur Hand geben könnte. Ihr arbeitet entweder allein oder oftmals in Teams an diversen Projekten, die entweder intern für das Unternehmen nützlich sind oder extern als Dienstleistung verkauft werden. Das kann als Beispiel die Etablierung einer neuen Daten-bank im Unternehmen sein oder aber auch die Planung eines Unternehmensumzugs, einer

einblicke

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Neuausrichtung des Unternehmens oder oder oder. Diese Liste könnte theoretisch unendlich weitergeführt werden.  Wichtig ist oftmals nicht das abgeschlos-sene BWL Studium, sondern das abgeschlos-sene Studium an sich. Auch hier gilt: wenn das, was ihr neben eurem Studium bereits in dem Bereich gemacht habt, seien es Praktika, Nebenjobs oder Zertifikate, passt, hebt euch das oftmals schon erhelblich von euren Mitbe-werbern ab. Auch hier zählt: die größte Hürde ist das Anschreiben.  Ist immernoch nichts für euch dabei? Viel-leicht solltet ihr doch über einen Job als Archi-var nachdenken. Scherz beiseite: wollt ihr Unternehmen beraten? Tatsächlich landet ein kleiner Teil der Geistes- und Kulturwissenschaftler irgend-wie in der Unternehmensberatung. Das der Anteil nicht größer ist, liegt nicht am Mangel der Stellen, sonder wohl daran, dass kaum jemand vermuten würde, dass man auch mit Geschichtsstudium Karriere in der Unterneh-mensberatung machen kann. Auf das Risiko, dass ich mich wiederhole, aber auch und grade hier zählt die eigene Vermarktung. Der Head-hunter MUSS merken, warum grade ihr Unter-nehmensberater werden wollt! Dabei hilft euch gewiss ein absolut sicheres und selbstbewuss-tes Auftreten (auch bei völliger Ahnungslosig-keit). Das kann man im übrigen auch im Stu-dium lernen. Es wird sicher bei dem ein oder anderen die Zeit kommen, wo man ein Refe-rat zu einem Thema halten muss, was einem

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so überhaupt nicht zusagt. Dementsprechend schlecht vorbereitet fühlt man sich am Ende. Grade diese Referate sind die perfekte Probe für sein Auftreten! Wer jetzt immernoch nichts gefunden hat, das ihm irgendwie zusagt, der sollte vielleicht tatsächlich überlegen, was er später machen möchte und ob Geschichte das Richtige für ihn/sie ist.

– der Autor arbeitet seit zwei Jahren als Hilfs-kraft im Zentrum für Schlüsselkompetenzen (ZfSK) des Career Service der Leibniz Univer-sität Hannover und koordiniert dort das Veran-staltungsmanagement. Im Sommer 2014 nahm er am Zusatzprogramm „mit Leibniz zu Bahl-sen – Studierende in die Wirtschaft“ teil und ist seit Oktober externer Mentee bei der Deutschen Messe AG.  

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Zurück in die vergangenheit

Auch wenn 2015 das Jahr ist, in dem uns vielleicht ein gewisser Marty Mc Fly

besuchen wird, will ich es als einer der weni-gen „Dinosaurier“, die hier am Historischen Seminar noch rumkrauchen, nach gut zehn Jahren wagen, einen kleinen Blick in die Ver-gangenheit zu werfen. Es soll allerdings nicht Ausdruck einer verklärten Nostalgie, sondern lediglich ein „Schwank aus der Jugend“ sein. Kehren wir also zurück in das Jahr 2005: Damals, das wissen vielleicht einige der ganz jungen KommilitonInnen nicht mehr, gab es hier „zwei Systeme“. Den alten Magis-ter und das Lehramt auf Staatsexamen (beide ohne Punkte und deshalb nahezu das gleiche Bewertungssystem nur mit Scheinen) und den neuen Bachelor of Arts. Die große Mehrheit der Dozierenden war damals das „alte System“ gewohnt, in denen es keine Punkte zu erha-schen gab. Man besuchte einfach die Seminare oder Vorlesungen, die man brauchte. Man sammelte zwar auch Scheine, aber hatte zu einem großen Teil viel mehr Eigenverantwor-tung was die Leistungsnachweise anging, als das heute im Bachelorstudiengang der Fall ist. Das konnte mitunter auch dazu führen, dass man durchaus 14 oder mehr Semester an der Universität verbrachte, ohne wirklich einem akademischen Abschluss näher zu kommen. Als ganz frischer Bachelorstudent betrat ich also im Wintersemester 2005/2006 das Histori-

sche Seminar und besuchte die Einführungs-veranstaltungen im Café, wo uns die älteren Semester einen Stundenplan zusammenzu-stellen versuchten. Die damalige PO erschien wesentlich komplizierter als heute und so gab es bspw. keine reinen Einführungsveranstal-tungen im Sinne eines einheitlichen Grundla-genmoduls oder ähnliches, in dem die Studie-renden die Grundwerkzeuge des Historikers erlenen konnten. Es gab zwar ein sogenann-tes Basismodul, aber dieses beinhaltete eben kein einheitliches Konzept, was wie vermittelt werden sollte. Wer die dortigen Veranstaltun-gen besuchte wurde in die Geschichtswissen-schaft je nach thematischem Schwerpunkt des Dozenten eingeführt.  Außerdem saß man in den meisten Veran-staltungen als ein häufig belächelter Exot, denn man wusste mitunter noch nicht viel von der Materie und die Magister-Kommili-tonInnen betrachteten sich doch als eine Art „alte Elite“, die ja durch die Bolognareform auf lange Sicht vom Campus verschwinden sollte und häufig der Ansicht war, dass die Bachelor-Leute sowieso nur einen universitären Haupt-schulabschluss absolvieren würden.  Einige der DozentInnen wollten sich mitun-ter gar nicht mit dem „neuen System“ beschäf-tigen und wussten nicht recht, wie sie die Leis-tungen der BA-Studenten bewerten sollten (wer braucht wie viele Punkte? Und was muss

Jan-geOrg „ShOrSh“ ankeWitz

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man dafür tun?). Zum Teil konnte niemand diese Fragen wirklich beantworten, da auch die TutorInnen zur damaligen Zeit noch alle Magister oder Lehramtsstudenten waren, die sich erst in die neue PO einlesen und diese ver-stehen mussten. Aber auch die Tatsache, dass es in Politik oder dem jeweiligen Nebenfach ganz anders lief und die Punkte hier wieder anders vergeben wurden, verwirrte durchaus so manchen.  Das Café wurde damals wie heute von Stu-dierenden betrieben. Es war aber — so zumin-dest mein persönlicher Eindruck — deutlich frequentierter als heute. Außerdem durfte dort zu bestimmten Zeiten noch geraucht werden! Heute kaum vorstellbar.  Was damals allerdings bereits genauso war wie heute, ist die Tatsache, dass fast alle Semi-nare und zum Teil auch die Vorlesungen hoff-nungslos überfüllt waren. In dem damaligen althistorischen Proseminar (Einführungssemi-nar zum Modul Alte Geschichte) „Caesar und Kleopatra“, saßen einige KommilitonInnen das ganze Semester über auf dem Boden!  Auch die Anwesenheitspflicht und die damit verbundenen Anwesenheitslisten, die es ja offi-ziell heute nicht mehr geben sollte(!), führten z.B. in der Vorlesung „Antike Welt“ regelmä-ßig dazu, dass rund 50 Studierende die A.-Karte gezogen hatten und sich während der Vorlesungszeit nicht hatten eintragen könnten,

weil der Hörsaal so voll war, dass der Ordner es nicht über die Mitte hinaus geschafft hatte. Und das obwohl sich ja die Magister- und Lehr-amtsleute nicht mal eintragen mussten! Einmal war irgendein Kommilitone in der allerletzten Reihe eingeschlafen und hatte den Ordner schlichtweg nicht weitergegeben, bis sich unter dem Auditorium nervöse Blicke breit machten, wo denn der Ordner geblieben sei (btw: es war nur noch 20 Minuten Vorlesung!). Nur durch mein beherztes Eingreifen in Form einer laut-starken Unterbrechung der Vorlesung mit den Worten „Frau Wagner-Hasel, wo ist denn der Ordner?“, brachte die Pappe wieder ins Rollen und man trug sich weiter ein. Als Erstsemester war man damals noch ein bisschen zu brav, um gegen diese Unsitte der Anwesenheitslisten zu protestieren.  Die SeniorenstudentInnen, die es damals auch schon gab, waren vielleicht sogar noch zahlreicher vertreten als heute und nerv-ten anteilig damals schon. Wobei es auch da natürlich die ein oder andere Ausnahme gab, wie bspw. Herr Seeberger, der offensichtlich sämtliche Werke von Plutarch auswendig gelernt hatte und mit dem Satz „Plutarch sagt/Plutarch hat dazu geschrieben...“ die Referate oder Beiträge der jüngeren KommilitonInnen im Antike- Seminar regelmäßig kommentierte. Als ich 2009, nach einer fast dreijährigen Stu-diumspause, wieder zum Historischen Seminar zurückkehrte, waren die meisten Veranstaltun-gen zwar immer noch hoffnungslos überfüllt, aber die Organisation des Bachelorstudien-gangs hatte sich grundlegend gewandelt. Es

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gab nun bereits ein einheitliches Grundlagen-modul, das für alle Erstsemester einheitliche Lerninhalte vermittelte. Die Magisterstuden-tInnen waren nun die Ausnahme und ver-schwanden nach 2012 auch gänzlich vom Cam-pus. Auch der Tabakgenuss war seit geraumer Zeit nur noch vor dem Gebäude gestattet. Heute, im Jahr 2015, bin ich, wenn ich mich nicht irre, mit dem Kommilitonen Schütte der Letzte aus dieser „Pionierzeit“ des Bachelor/Mastersystems (oder hat noch jemand eine Matrikelnummer die mit 23 beginnt?). Die meisten unserer damaligen KommilitonIn-nen haben mittlerweile zwei universitäre Abschlüsse und arbeiten anteilig bereits an dem dritten, während wir uns auf der Zielge-raden des Masters befinden.  Man könnte diese Tatsache durchaus kri-tisch betrachten und fragen, was man denn all die Jahre gemacht hat, denn die Regelstu-dienzeiten habe ich sowohl im B.A. als auch im Fachmaster überschritten. Aber die Zeit hat mir auch gezeigt, dass es eben nicht nur dar-auf ankommt, das Studium möglichst schnell durchzupeitschen, Punkte zu ergattern und „Bulimielernen“ durchzuführen, sondern mit-unter auch für sich etwas aus dem Studium mitzunehmen und geistig zu reifen. Dazu gehört, sich beispielsweise mit Themen, die einen interessieren, eingehender zu beschäf-tigen, Netzwerke zu bilden, sich mit Kommil-tonInnen auszutauschen und sich und andere immer wieder kritisch zu reflektieren.

 Es gibt zum Glück auch noch einige andere Kommilitonen, die sich ebenfalls nicht von Regelstudienzeiten (sofern auch finanziell möglich) abschrecken lassen. Das zeigt, dass es auch nach dem Abschied aus dem alten Magis-ter/Staatsexamensystem durchaus möglich sein kann, trotz einer Verschulung des Studi-ums seine individuellen Freiräume zu schaffen (sofern es denn das KVV hergibt).  Es gehört aber auch dazu, die Studentenzeit als solche zu genießen! Dieser „Schonraum“ kommt im Leben nie wieder. Liebe Kommilito-nInnen von heute, denkt also auch mal an die Freizeit, an Parties und genießt das Studenten-leben, arbeiten könnt ihr noch früh und lange genug!

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drahtSeilakt

einblicke

Er schließt die Augen bevor er das erste ermattete Bein auf die einheitlich

gespannte Eisenschnur setzt. Er spürt durch seine dünne, weiße Strumpfhose die Kälte des Eisenseils, die die Kälte des Publikums wie eine einzige Metapher widerspiegelt. Alle lachen, stopfen Popcorn in ihre vollen Mün-der um den Hunger ihrer fetten Bäuche und ihrer Unterhaltungssucht zu stillen. Gierige Geieraugen scheinen ihn wie Eisenschrauben zu durchbohren.

 Wieso tanzen, wenn man fliegen kann?

Tausendmal hat er diese Nummer schon getanzt. Tausendmal Applaus empfangen. Tausendmal lagen tausende Gratulationen der Popcorn-fressenden-Geier in seinen Ohren. Im Takt der Musik bewegt er sich zierlich wie eine Weizenähre im Wind. Er tanzt, sie applaudieren. Er schwitzt, sie fressen. Er über-legt zu springen, sie geben Standing Ovations. Das Paradoxe scheint die Pauschalisierung des Lebens zu sein. Wieso tanzen, wenn man

fliegen kann? Während er kurz anhält, schaut er auf mich und meine große Popcornschach-tel. Ich lächle. Er atmet ein. Er springt. Siche-rung? Das wäre zu einfach. Er klatscht auf den Boden. Eine Blutlache umgibt seinen Kopf. Ein Unfall. Ja, ein Unfall. Er ist abgerutscht und gestürzt. Keinen trifft Schuld. Warum denn auch? Er hatte alles: Ruhm, Ehre, Anerken-nung. Wieso tanzen, wenn man fliegen kann? Der Rhythmus der Tanzmusik trifft den Takt der Zeit und fordert ohne Gnade das Weiter-machen. Die Befriedigung der Erwartungen gilt als Ansporn für den Drahtseilakt. Leistung wird zum Postulat und applaudierend lachen mit vollgestopften Popcornmündern zu den Randbedingungen der Forderung.

 ≈ Wieso tanzen, wenn man fliegen kann?

dOMinick PaScal dOckter

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„oStdeutSch“

auSblicke

paMphlet gEgEn daS MythiSche

Liebe West-Leser, liebe Ignoranten und andere dumm-dämliche Beschränkte! Lasst

diesen Text, dieses Pamphlet, eine brennende Fackel in der Dunkelheit eurer Engstirnigkeit sein. Einen kleinen Schimmer der Erkenntnis im miefigen Dickicht eurer Vorurteile. Eine Erweiterung eures Horizontes. Lest ihn demü-tig und seid dankbar für das, was da kommt. Denn ich schreibe es nun nieder: Es. Gibt. Kein. Ostdeutsch. (Ich widerstehe nur aus ästheti-schen Gründen dem Drang, hier zehntausend Ausrufezeichen anzufügen.) Ich komme aus einer Stadt im Osten Deutsch-lands, von Einheimischen liebevoll „Cotte“, von anderen schnöde „Cottbus“ genannt. Cottbus ist seit circa zehn Jahren keine Großstadt mehr (da weniger als 100 000 Einwohner) und liegt ungefähr eine halbe Autostunde von Polen entfernt. Weiter im Osten geht es also kaum noch. Das entscheidende Merkmal an Cotte ist jedoch nicht der Pückler-Park mit eigenen Pyramiden oder die bedauernswerte Glatzen-Dichte, sondern seine Lage: Es liegt in Bran-denburg. Ein nicht ganz zu vernachlässigendes Detail. Vielleicht verliert ihr jetzt schon das Interesse und wollt weiterblättern, aber lasst euch etwas gesagt sein: In Brandenburg säch-selt man nicht. Man spricht nicht mal einen echten Dialekt, sondern nähert sich eher dem Berlinern an, was laut Sprachwissenschaften einem Regiolekt entspricht. Warum die ganze Aufregung? Wozu meckere ich hier so prämenstrual rum? Ganz einfach: Weil ich es leid bin. Wahlweise werde ich gelobt, weil man ja gar nicht höre, dass ich aus dem Osten komme. Da frage ich dann immer liebenswürdig nach, woran man das auch

hören soll. Als Antwort erhalte ich mit regel-mäßiger Zuverlässigkeit eine eher schlechte Imitation des sächsischen Dialekts. Oder ich werde mit leuchtenden Augen gefragt, ob ich nicht mal was auf Ostdeutsch sagen könne. Erwartet wird wieder besagter sächsischer Dialekt. Heilige Maria, Mutter Gottes, noch mal, ich kann Sächsisch nicht mal nachmachen! Ich kann inzwischen (dank zahlloser Huber-Buam-Videos auf YouTube) besser Bayerisch sprechen als Sächsisch oder Thüringisch. Oder Erzgebirgisch. Oder was ihr Holzköppe sonst so unter „Ostdeutsch“ versteht. Doch will ich Gnade vor Recht walten lassen. Es stimmt ja: Viele Menschen, die aus der ehemaligen DDR stammen, klingen irgendwie niedlich, wenn sie den Mund aufmachen. Aber eben nur Sachsen, Thüringer (sorry, Konstanze!) und Ureinwohner des Erzgebirges. So, wie eben auch nicht alle Westler Platt oder Bayerisch sprechen. Einen einheitlichen Dialekt für die ganze DDR gibt es eben nicht. Wenn also noch-mal einer von euch vorschlägt, den Titelsong der Gummibärenbande „auf Ostdeutsch“ zu hören, hau ich demjenigen eine rein. Jedem, der schlecht sächselnd fragt „Du kömmst also ausm Östen?“, dem hau ich eine rein. Ebenso wie Personen, die sich wundern, warum man meine Herkunft nicht hört, wenn ich rede. Und überhaupt jedem, der den Begriff „Ostdeutsch“ jemals wieder zu verwenden wagt. Weeßte Bescheid, Schätzeken!

Jenny triebel

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Nach mehrmaligem vergeblichem Anlauf konnte im letzten Jahr die langersehnte Griechenland-Exkursion realisiert werden. Vom 29.09. bis 08.10.2014 bereisten 15 Studierende mit Frau Wagner-Hasel und Frau Kirsch Hellas und seine antiken Stätten. Ein Reisebericht:

28./29.09. Um 23:31 Uhr plus obligatorische Verspätung brachen wir von Hannover auf, über Berlin nach Schönefeld. Die unermessli-chen Wartezeiten zwischen den Zuganbindun-gen und dem Einchecken bekämpften wir, trotz zunehmender Müdigkeit, mit Kreuzworträtseln der FAZ (die bekanntlich nicht ohne sind!), leichter oder schwerer Lektüre. Nach der ange-nehmen Anreise im ICE erschien das Flugzeug uns wie die berühmte Sardinenbüchse. Viele von uns nutzten die „Ruhe“ des monotonen Rauschens der Turbinen, um in die Welt der Träume zu entweichen. Schließlich schlinger-ten wir kurz nach sechs Uhr auf die athenische Landebahn. Die Koffer geschnappt, mit Frisch-wasser versorgt und den Bus gesucht. Ein Rei-sebus für mindestens das Dreifache unserer Gruppenstärke. Die dreistündige Fahrt nach Delphi präsentierte eine abstruses Bild: altku-banisch anmutende Fassadenreihen, Schrott-haufen, Bauruinen und jede Menge Beton und unzählige Mautstationen – das ist Attika. In der Böotischen Ebene wechselte das Landschafts-bild zu sandig-felsigem Boden mit Pinien- und Olivenbaumbewuchs, grau-olive Berge links und rechts. Durch die Phokis gelangten wir an den Fuß des Parnassmassives, bezogen unsere Hotelzimmer und besichtigten umgehend das delphische Apollonheiligtum, das, noch heute bekannt für sein Orakel, u.a. für die griechi-sche Kolonisation so bedeutend war.

30.09. Nach dem gemeinsamen Frühstück besichtigten wir das Museum von Delphi und fuhren um elf Uhr weiter entlang der Küste des Korinthischen Golfes, den wir bei Rion/Antirion überquerten, bis Olympia, wo wir wiederum unsere Zimmer bezogen, den Hund Pausanias kennenlernten und die antike Stätte besichtigten: die Hera- & Zeustempel sowie das Stadion am Fuße des Chronoshügels. Den Abend verbrachten wir nach einem erfrischen-den Bad im Pool zum Teil in griechischen Tavernen. Im Gegensatz zum kargen, steinigen Delphi war die Region um Olympia, also die Westküste der Peloponnes, sehr viel feuchter, waldiger, grüner.01.10. Besuch des Museums von Olympia, dann Weiterfahrt mit Zwischenstopps in Bas-sai, dort Besichtigung des Tempels des Apol-lon Epikurios, der zum Schutze gegen Verwit-terung gänzlich unter einem Zelt steckt, und der Agora der Planstadt Megalopolis, die leider geschlossen war, nach Tripolis. Eine Großstadt, deren Panorama einen Hauch Sozialismus ver-sprühte – hier gab es sogar Fußgängerzonen und Bars, die Stadt wurde auf eigene Faust erkundet. Wie überall auf unserer Reise begeg-neten uns abseits der Touristenstraßen Schrott und Müllberge, Katzen und Hunde.02.10. Bei strahlendem Sonnenschein durch-querten wir die orangenbaumbestandene Argolis bis Mykene. Mykene, ein ganz beson-deres Erlebnis, der angebliche Herrschersitz des Agamemnon aus den homerischen Epen, ein Symbol für Macht, Erhabenheit, Kontrolle und immenses Alter. Von Mykene aus hatten wir einen guten Blick bis hinüber an die andere Seite der Argolis nach Argos selbst. Anschlie-ßend besichtigten wir die „Burg“ von Tiryns,

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Schrott, Steine, katZen und ein hauch von E W i g k E i t

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ebenfalls aus mykenischer Zeit, näher an der Küste gelegen, mit ihrer beeindruckenden kyk-lopischen Mauer. Zu unserem großen Glück erhielten wir eine Exklusivführung von Prof. Maran aus Heidelberg, der kurz zuvor im nörd-lichen Siedlungsbereich für das griechische Festland einmalige Funde entdeckt hatte. Den freien Nachmittag verbrachten wir mit aus-giebigem Baden in Tolo.03.10. Nochmals kehrten wir zurück in die Argolis und besuchten das argolische Hera-ion gegenüber von Argos. Hier konn-ten wir, wie schon in Mykene und Tiryns, die räumli-chen Dimensionen und Relationen, die Funktion von Heiligtümern für die Beherrschung des Raumes (reli-giöser Gegenpol zu Argos) erfahren. Im Gegensatz zu Mykene, konnten wir hier – wir waren die einzigen Besucher – die Stille des Augenblicks genie-ßen und uns auf einen „Hauch der Ewigkeit“ einlassen. Leider stand Argos selbst nicht auf unserem Reiseplan. Stattdessen fuhren wir weiter nach Epidauros, besichtigten das Hei-ligtum und das berühmte Theater.04.10. Auf der Weiterfahrt nach Athen mach-ten wir Zwischenstopp in Korinth und am Isthmos. Aufgrund des neuen Busfahrers, der

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weder Ortskenntnisse hatte, noch Karten, Navigationsgeräte lesen, geschweige denn Englisch sprechen konnte und beratungsre-sistent war, hatten wir leider keine Chance mehr, den Akrokorinth zu besteigen – auch das Poseidonheiligtum in Isthmia konnten wir nicht sehen, stattdessen standen wir auf der Brü-cke über den Isthmos-kanal, aber „It’s okay!?“. Zudem fuhren wir nun mit einem winzigen Bus, in dem unsere Koffer im Mittelgang gestapelt waren. In Eleusis, dem Heiligtum der berüch-tigten Mysterien, schien uns die Sonne wieder. Und schließlich kamen wir wiederum in dem abstoßenden, überfüllte und heruntergekom-menen Athen an – die Skyline von La Paz lässt grüßen. Freunde der Großstadt stürzten sich sogleich ins Nachtleben.05.10. Heute besichtigten wir zuerst Keramei-kos und die Agora von Athen, das „Zentrum der antiken Demokratie“. Einige erkundeten in kleinen Gruppen die Umgebung, stiegen auf die Pnyx und den Areshügel. Gemeinsam besichtigten wir die Akropolis von Athen, das Symbol für Griechenland schlechthin.06.10. Aus dem grauen Athen fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein auf die Insel der Piraten und Pistazien – Aegina.07.10. Abschließend besuchten wir das Archäologische Nationalmuseum mit der Erkenntnis: Die Briten haben alles geklaut (wer Originale sehen möchte, sollte lieber gleich ins Britische Nationalmuseum nach London fahren)!

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fazIt Besonders gewinnbringend war die Vergegenwärtigung der räumlich-topographi-schen Gegebenheiten, die man in der Ausei-nandersetzung mit der Antike zwar immer mitdenkt, deren tatsächliche Ausprägungen aber natürlich nur direkt vor Ort begriffen werden können. Um den Erkenntnisgewinn zu optimieren, hätte man wohl an den einzelnen Orten längere Zeit verbringen und tiefer in die Materie eindringen müssen – für eine Exkur-sion, deren Ziel es war, einige der wichtigsten Heiligtümer der griechischen Antike zu besu-chen, ist unsere Rundtour aber gut gelungen. Und wenigstens eines ist ganz klar geworden: Wir wollen wiederkommen und mehr sehen, Geschichte vor Ort begreifen lernen!

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Stellt euch vor, ihr plant euren jährlichen Urlaub. Sommer hat mal wieder nicht

geklappt, weil diese und jene Hausarbeit anstand und euer Herzblatt musste ja auch wieder dieses Praktikum machen. Jetzt sitzt ihr, kurz vor dem Ende der Semesterferien, hier im wunderschönen, aber zunehmend grauen und kalten Hannover und sehnt euch nach Sonne, Abenteuer, Strand, Meer, Ber-gen, Sport, Entspannung und überhaupt allem zugleich. Allerdings habt ihr immer noch nicht im Lotto gewonnen und bekommt auch nicht von Mami und Papi Geld in den Arsch gebla-sen. Tja, was tun?

Genau das Gleiche dachten mein Partner und ich. Und dann – die Lösung: Klettern auf Sardi-nien! Denn dafür spricht eigentlich alles:

1. Klettern!2. Geiles Wetter um die 30 Grad3. Ströme von rot gerösteten Briten sind

bereits im Sommer dort gewesen4. Türkisfarbenes Wasser5. verschiedenste Strände, von weißem

Zuckersand bis bizarren Felsformationen6. Alpines Feeling dank Bergen bis knapp

2000 Meter7. Billig-Airlines fliegen hin!8. Dichtes Netz aus Zeltplätzen und Hostels9. Gut abgesicherte Kletterspots10. Überhaupt: Klettern direkt am Meer!

Gesagt, getan. Für jeden Kletter-Junkie ist die Aussicht, nur zwischen Fels und Strand wäh-len zu müssen (und selbst das nicht immer, da beides direkt nebeneinander liegt) einfach unwiderstehlich. Wir packten also den größ-ten Rucksack, den wir finden konnten, mit Seil, Sicherungsmaterial, Gurten, Schuhen und Zelt voll, nahmen das Crashpad in die Hand und machten uns auf den Weg nach Cagliari, Sar-diniens pittoresker Hauptstadt. Dort zu näch-tigen, ist in etwa genauso teuer wie in jeder größeren deutschen Stadt, deshalb zogen wir gleich zum nächstgelegenen Zeltplatz weiter. Dennoch ist die Stadt durchaus mehr als einen Besuch wert! Besonders die Altstadt bietet kleine Gässchen nebst verträumten Pizzerien, ein zackiges Nachtleben und wunderschöne Aussichtspunkte, da Cagliari direkt auf einer Anhöhe liegt (nichts für Couchpotatoes!). Außerdem findet man in den größeren Buchlä-den Kletterführer für die beliebtesten Gebiete und hilfreiches Kartenmaterial.Erster Halt: Villasimius. Im Internet werden hier kleinere Boulderspots direkt am Strand

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beschrieben, tatsächlich sind damit aber nur wenige Felsformationen direkt hinter dem Zeltplatz gemeint. Ist aber gar nicht schlimm, denn in Villasimius kann man genial schnor-cheln! Eine Beschäft igung ideal für faule, nicht sonderlich gute und sensationsgeile Schwim-mer (wie mich), dieses Schnorcheln. Da man die ganze Zeit frei atmet, kann man sich ent-spannt an der Küste entlang treiben lassen und die vielen verschiedenen Fische beobach-ten (ich habe teilweise Aale und einen Seeigel gesehen), die zwischen den Felsen und Grä-sern unter Wasser dahingleiten, während dir die Sonne den nordeuropäisch weißen Nacken verbrutzelt. Herrlich! Wer aber wirklich Klett ern will, sollte unbedingt in Cala Gonone (Ostküste) vorbei schauen. Schon allein die Busfahrt vom Süden dorthin ist ein aufregender Trip in Sardiniens Bergland (nichts für schwache Nerven, wenn sich die modernen Reisebusse irrwitzig kleine und enge Serpentinen hochschrauben – hier der nackte Fels, dort der mehrere hundert

Meter tiefe Abgrund... ). Vor Ort gibt es einen gut besuchten Zeltplatz, kleine Cafés, Kioske, Supermärkte und Restaurants – also alles, was der Camper so braucht. Was ihr nicht braucht, ist ein Auto, denn sechs Klett ergebiete sind vom Ort aus locker zu Fuß zu erreichen. Zu den nächstgelegenen brauchten wir etwa eine Stunde (knackiger Zustieg allerdings), zu den etwas weiter entfernten in Cala Fuili etwa 1,5 Stunden. Cala Gonone bietet ausgezeichnet abgesicherte Routen in jedem Schwierigkeits-grad, inklusive grandiosen Blick hinunter ins Tal und zum Meer – Cala Fuili dagegen lässt das Klett erherz mit Grott en, Höhlen und Rou-ten direkt über dem Meer höher schlagen. Dafür sollte man hier schon ein wenig Erfah-rung mitbringen. Wie auch immer ihr euch entscheidet, dort zu klett ern macht einfach nur einen Riesen Gaudi. Es ist nicht zu heiß (ab Mitt e bis Ende September), ordentlich braun wird man aber trotzdem. Die Routen sind auch für Anfänger geeignet und bieten wie gesagt einen wunder-

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schönen Blick aufs Meer, egal, ob man direkt darüber klettert oder weiter oben in den Ber-gen ist. Überall trifft man auf nette Gleichge-sinnte aus allen Ecken der Welt (vornehmlich jedoch, machen wir uns nichts vor, aus der Schweiz – ein Phänomen, das sich mir nicht ganz erschlossen hat), dazu gibt’s leckeres itali-enisches Essen. Und wenn man mal keine Lust hat, Felsen hochzukraxeln, geht man eben run-ter an den Strand und lässt die Seele baumeln – besser geht’s nicht!

 Warum jetzt aber eigentlich im Urlaub anstrengen? Warum Klettern, wenn man auch faul am Strand liegen kann? Warum jede Menge Material mitschleppen? Ganz ein-fach, weil Klettern ein geiler Scheiß ist! Und gerade im Urlaub hat man endlich mal wieder die Möglichkeit, sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren – also genau das zu tun, was das Klettern essenziell auszeichnet. Wer klet-tert, vergisst die Welt um sich herum, achtet nur auf den eigenen Körper und die nächste Bewegung. Hat man die Route dann geschafft und ist oben angekommen, wird man von einem unglaublichen Stolz – und auf Sardinien eben auch mit einem unglaublichen Ausblick – belohnt. Gleichzeitig lernt man seinen Partner, seine Partnerin, Freunde oder Familie von ganz neuen Seiten kennen, wenn man von ihnen begleitet und gesichert wird. Denn Klettern ist immer beides: Sichern und gesichert werden. Verantwortung übernehmen und abgeben. Ver-trauen und Vertrauen schenken. Gerade, wenn dich die Angst packt, weil du doch mal wieder runtergeschaut hast und dich unsicher fühlst, dann kommen diese ganz besonderen und intimen Momente, in denen du dich selbst zu überwinden, dir aber auch selbst zu vertrauen lernst. Klettern ist aber keine reine Individualsport-art. Vielmehr bringt es die Menschen zusam-men: Man schaut sich zusammen Routen an und diskutiert die verschiedenen schwierigen

Stellen. Wie kann ich diesen Zug lösen? Wie haben andere ihn gelöst? Jeder findet seinen eigenen Weg, aber oft hilft schon ein kleiner, freundlicher Hinweis von nebenan, um aus einer unüberwindbaren Felswand einen Out-door-Spielplatz zu machen. Und irgendwie ist das ja auch Klettern: mit Bewegungen spielen, mit Köpfchen Probleme lösen und einfach Spaß haben.

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Marc Bloch

Marc Bloch, am 6. Juli 1886 in Lyon gebo-ren und am 16. Juni 1944 in der Nähe von

Lyon erschossen. Er war Historiker, Soldat und Widerstandskämpfer.

Seine Kindheit verbringt er in Paris und besucht dort das Elitegymnasium Lycée-Louis-le-Grand. Nach seinem Abschluss entscheidet sich Bloch 1904 für ein Studium der Geschichte und der Geographie an der Ecole Normale Supérieure, an der sein Vater Professor für römische Geschichte ist. Als er das Studium 1908 beendet, geht er für ein Jahr nach Leipzig und Berlin, kehrt jedoch für ein Stipendium der Fondation Thiers nach Frankreich zurück. Zu dieser Zeit, von 1909 bis 1912, veröffentlicht er seine ersten Artikel. Danach zieht er nach Montpellier, um als Lehrer für Geschichte und Geographie zu arbeiten. Diese Arbeit soll nur zwei Jahre dauern. Anfang des Ersten Weltkrieges 1914 wird er in die französische Armee berufen und kämpft dort zuerst als Frontsoldat. Vier Jahre später steigt er schon zum Hauptmann auf und wird mehrfach für seine Dienste im Krieg ausgezeichnet. Nach seiner Rückkehr heira-tet Bloch 1919 Simonne Vidal und folgt dem Ruf als Lehrbeauftragter für mittelalterliche Geschichte an die Universität Straßburg. Dort vollendet er seine Thése (Habilitationsschrift) „Rois et Serfs“ über Leibeigene im Hohen Mit-

telalter und wird 1921 von der Universität zum außerordentlichen, sowie 1927 zum ordentli-chen Professor ernannt. Während seiner Beschäftigung in Straßburg veröffentlicht Bloch 1924 seine erste Monogra-phie „Les Rois Thaumaturges“ (Die wundertä-tigen Könige), in dem er sich mit dem Glauben an die heilende Kraft der Könige als Problem der politischen Theologie befasst. Kurze Zeit später geht sein Interesse jedoch in eine andere Richtung. Er fängt an, sich mit der Geschichte der Sozialstrukturen in Europa zu beschäftigen und wird zu einem Befürworter der Forderung Henri Pirenne’s, „die nationalistischen, teil-weise auch rassistischen Geschichtsdarstellun-gen der Vorkriegs- und Kriegsjahre mit Hilfe eines neuen Komparatismus zu überwinden.“1929 gründet er schließlich mit dem Neu-zeithistoriker Lucien Febvre, die Zeitschrift „Annales d´histoire économique et social“ deren Forschungsschwerpunkt im 20. Jahr-hundert liegt. Das Besondere ist, dass nicht nur Historiker die Gelegenheit haben, ihre Artikel in den Annalen zu veröffentlichen, sondern ebenso Politologen und Sozialwissenschaftler. Die Zeitschrift soll einen „Mittelweg zwischen zeitloser akademischer Gelehrsamkeit und aktueller Publikumsorientierung“ darstellen.  Marc Bloch hat sich in dieser Zeit von einem Mediävisten zu einem Wirtschaftshistoriker entwickelt, was auch der Ruf der Universität

Einer meiner ersten Aufsätze an der Uni für das Seminar „Schreiben“ bei Dr. Mark Feuerle, in dem es um die Verbesserung des Ausdrucks, sowie um das Erlernen wissenschaftlichen Schreibens ging. Dazu sollte jeder Seminarteilnehmer etwas über einen Historiker, angefangen bei Thukydides bis hin zu den führenden Historikern der Neuzeit, schreiben. (WiSe 2012/13)

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Sorbonne in Paris für einen Lehrstuhl in Wirt-schaftsgeschichte unterstreicht, dem er 1936 folgt. Dort bleibt er, bis er sich 1939, ungeach-tet seiner Stellung, erneut zum Kriegsdienst meldet. Trotzdem veröffentlicht er das Werk „La société féodale“ (Die Feudalgesellschaft) zwischen 1939 und 1940. Als Bloch aus dem Krieg zurückkehrt, wird Frankreich von den Deutschen besetzt. Auf-grund seiner jüdischen Herkunft muss er daraufhin seinen Lehrstuhl an der Sorbonne aufgeben und Paris verlassen. Ein Auswan-derungsversuch in die Vereinigten Staaten scheitert, da es ihm nicht möglich ist, seine Frau und seine sechs Kinder sowie seine Eltern mitzunehmen. Hinzu kommt eine schwere Auseinandersetzung mit Febvre über die wei-tere Veröffentlichung der „Annales“ während der deutschen Besatzung. Diese Zeit setzt ihm schwer zu, ab 1941 darf er jedoch für ein Jahr an der Universität in Montpellier wieder leh-ren. Dort beginnt er sich aktiv im Widerstand gegen die deutsche Besatzung zu engagieren. Sein Sohn, Etienne Bloch, geht davon aus, dass er dort eine hohe Stellung genoss, jedoch sei die „Résistance“ nicht weit genug erforscht, dass sich dies mit Genauigkeit sagen ließe. Andere Quellen bestätigen Blochs Position in der „Résistance“ und bezeichnen ihn sogar als einen der „Führer des Widerstandes“. Nach-dem er einige Zeit mit seiner Familie in sei-nem Landhaus in Guéret verbringt, zieht es ihn 1943 nach Lyon, wo er das letzte Jahr vor seinem Tod ausschließlich dem Widerstand widmet. Am 8. März 1944 wird er schließlich von der Gestapo verhaftet und am 16. Juni 1944 mit anderen Gefangen auf einem Feld außer-halb von Lyon erschossen. Er stirbt unter dem Decknamen Maurice Blanchard.

 Nach seinem Tod werden noch zwei Werke Blochs veröffentlicht. Das eine ist die „Apo-logie pour l‘histoire ou métier d’historien“ (Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers), in dem er eine Art modernisierte Einführung in die Geschichtswissenschaf-ten gibt. In seinem anderen Werk „L’étrange défaite“ (Die seltsame Niederlage) übt er schwere Kritik an seiner Generation, wie auch an sich selbst: „Wir trauten uns nicht, unsere Stimmen in der Öffentlichkeit zu erheben. [...] Mögen die Nachgeboren uns das Blut verzei-hen, das an unseren Händen klebt!“

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die gleichZeitigkeit deS ungleichZeitigennEuErlichE proVokAtionEn zu gEfährlichEm DEnkEn ii

Mit zugespitzten Thesen und provokanten Denkmustern zielen die Neu-erlichen Provokationen darauf, aus dem Alltäglichen zu reißen, dazu zu verleiten, das Normale zu hinterfragen und damit Raum für ein konst-ruktives Verständnis radikaler Kontingenz und ein Bewusstsein von der Gestaltbarkeit alltäglicher, scheinbar stabiler Realitäten zu schaffen.

ernst bloch: person unD werk  Bereits in seiner Promotion 1908 näherte sich Ernst Bloch (08.07.1885 – 04.08.1977) dem utopischen Den-ken und der Idee des „Noch-Nicht-Gewordenen“. Er studierte bei Georg Simmel und Georg Lukács. 1917 entwickelte er in „Geist der Utopie“ den Begriff der „konkreten Utopie“, wandte sich dem Sozialismus zu und befasste sich mit dem „Ende der Geschichte“, das die Hegel/Marx‘sche Dialektik projizierte. Zu seinen Freunden zählten Berthold Brecht, Theo-dor W. Adorno und Walter Benjamin, aber auch Rudi Dutschke. Als Stalinist befürwortete er die stalinistischen Säuberungen, wandte sich jedoch nach dem ungarischen Volksaufstand vom Stalinismus ab und arbeitete an einer „Fortentwicklung des Marxismus nach Marx“. Im Zentrum seines Werkes steht der über sich hinausdenkende Mensch, dessen Bewusstsein nicht nur Produkt des Seins ist, sondern „Überschuss“ in Form sozialer, ökonomischer und religiöser Utopien. Der Mensch ist noch nicht bei sich, er kann sich selbst nicht im Innen, nur im Außen, im Anderen subjektivieren und objektivieren – er fühlt Mangel: ihn umgeben seine unrealisierten Möglichkeiten, die ihn „auf den Weg bringen“, das „Noch-Nicht-Haben“ in ein Haben, das „Noch-Nicht-Sein“ in ein Sein, das „Noch-Nicht-Bewusste“ in ein Bewusstes zu transformieren. Der Mensch befindet sich zwischen einem „Nicht-Mehr-“ und einem „Noch-Nicht-Sein“. In „Das Prinzip Hoffnung“ erklärt Bloch die Gerichtetheit der Geschichte auf dieses „Noch-Nicht-Sein“, „der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und

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überholende Mensch“ ist in seinem marxistisch-materialistischen Ver-ständnis der Motor der gesellschaftlichen Veränderung zugunsten des Fortschritts.

utopIe als realIstIsche möGlIchkeIt  „Überholen nun, das setzt nicht nur Unzufriedene voraus, denen der Lauf, gar Stand der Dinge nicht Genüge tut. Und es setzt nicht nur ein Wünschen und Erwarten voraus, samt der Fähigkeit, Träume nach vorwärts zu haben. Das ist freilich nötig, um Dinge nicht in dem Sinn zu nehmen, wie sie sind, indem man sich vor ihnen schlechthin ergibt, statt gegebenenfalls vor ihnen zu erbrechen. Weiter jedoch ist nötig, daß das Überholen nicht abstrakt bleibt, nur putschhaft vorsprechend oder aber auch ein Glück vormachend, von dem überhaupt nicht gewußt wird, wie man hinge-langt. So etwas ist erst Schwärmen und überholt nur scheinbar, obwohl sein Vorwärts besonders heftig aussieht: es überholt aber nicht, sondern überschlägt. Damit dies vermieden, muß man allerdings auch mitma-chen, freilich nicht die Dinge, wie sie sind, wohl aber wie sie gehen, real möglich gehen könnten, wie ihre Tendenz ist.“ „Nicht nur nachts, auch im Wachen wird geträumt.“ Für Bloch ist der „Tagtraum“ der Ort der Utopie. Utopien können dann anhand von Tat-sachen korrigiert werden, „doch nie durch die bloße Macht des Seienden widerlegt.“ Gleichzeitig aber muss die Utopie konkret, das heißt realis-tisch sein, denn sie ist „von ihrer Zeit nuanciert und das gerade deshalb, weil sie ihr immerhin negativ verbunden“ ist. Die Utopien, die „zu früh kommen“, sind daher rein abstrakt, sie bilden „eine neue bessere Welt oft allzu unvermittelt aus ihrem Herz und Kopf oder wie Engels sagt: ‚Sie waren beschränkt für die Grundzüge ihres Neubaus auf den Appell an die Vernunft, weil sie noch nicht an die gleichzeitige Geschichte appel-lieren konnten.‘“

GleIchzeItIGkeIt Des unGleIchzeItIGen  In „Erbschaft die-ser Zeit“ (1934) entwickelt Bloch den Begriff der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, um den Nationalsozialismus in Deutschland, wel-ches er für das „klassische Land der Ungleichzeitigkeit“ hält, durch ungleichzeitige Widersprüche innerhalb des Kapitalismus zu erklären, die zum gleichzeitigen Widerspruch zwischen Kapitaleigentümer und Lohnarbeiter „schief“ hinzukämen. Die benachteiligten Schichten sind nicht nur rückständig („unechte Ungleichzeitigkeit“), sondern in ihren anachronistischen Produktionsweisen („echte Ungleichzeitigkeit“)

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verflochten mit dem Kapital. Die soziopolitische Analyse darf also nicht nur den gleichzeitigen Widerspruch untersuchen, sie muss vielmehr auch die unausgefochtenen Kämpfe und Utopien beachten (Blut-und-Boden-Romantik trifft auf futuristisch-technische Modernisierung), denn „nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, daß sie heute zu sehen sind. Damit leben sie noch nicht mit den anderen zugleich.“ In der „Tübinger Einleitung in die Philosophie“, gehalten 1960/61, wen-det er den Begriff gegen die Kulturkreis-Theorie und deren geographisch abgrenzende Raumordnung („Geographismus“, Geo-Politik). Stattdessen geht er davon aus, dass alle Kulturen denselben dialektischen Gesetzen in ihrer Entwicklung unterworfen und auf dasselbe Ziel, ein „konkret-utopisches Humanum“ in einem „Reich der Freiheit“, gerichtet seien: „Der Fortschrittsbegriff duldet keine ‚Kulturkreise‘, worin die Zeit reak-tionär auf den Raum genagelt ist, aber es braucht statt der Einlinigkeit ein breites, elastisches, völlig dynamisches Multiversum“.

rezeptIon: von luhmann bIs koselleck  In der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann nehmen Zeit bzw. Temporalisierung und Gleichzeitigkeit ebenfalls eine zentrale Stellung ein: Systeme tem-poralisieren zugunsten von Komplexitätsreduktion. Nach Luhmann geschieht alles gleichzeitig (unhintergehbare Gleichzeitigkeit des Welt-geschehens), das Ungleichzeitige liegt in der Vergangenheit und der Zukunft. Systeme ordnen, also de-simultaneisieren Geschehen, um es operabel zu machen, denn Gleichzeitigkeit bedeutet Unbeeinflussbar-keit. Erwartungen entstehen für Luhmann „rückwärts in die Zukunft“, die Zeit selbst ist die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Nach der Temporalisierung wird es nötig, die Eigenzeiten der Systeme durch Kommunikation zu synchronisieren (Synchronizität der Gleichzeitigkeit ist nicht Synchronisation). Synchronisation ist Herstellung passender Anschlüsse zwischen ungleichzeitigen Ereignisreihen. Die Gleichzeitig-keit des Ungleichzeitigen ist damit eine Paradoxie, die der Beobachtung von Zeit zugrunde liegt. Reinhart Koselleck, der den Begriff der Gleichzeitigkeit des Ungleich-zeitigen in die Geschichtswissenschaft eingeführt hat, geht von unter-

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schiedlichen Zeitstreckungen (mit prognostischem Charakter) aus: unterschiedlich weit in die Vergangenheit reichende Erfahrungsschich-ten und die Simultanität unterschiedlich weit in die Zukunft weisende Erwartungshorizonte in einer Gegenwart. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist dann, wie bei Bloch, der zentrale Modus des histo-rischen Wandels, nämlich durch Überlagerung dieser Zeitstränge. Die Untersuchung dieser Ungleichzeitigkeiten macht dann den historischen Wandel erfahr- und verstehbar.

aktualItät, chancen unD Gefahren für DIe GeschIchtswIs-senschaft  Mit der digitalen Globalisierung im Rahmen der sozi-alen Beschleunigung (Hartmut Rosa) ist die Gleichzeitigkeit des Welt-geschehens als Weltgleichzeitigkeit empirisch erfahrbar geworden. Das Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen existiert heute einerseits in der „Multiplizität sozialer Zeiten“, anderseits in der räum-lichen Überlagerung, der Überschneidung oder empfundenen Überfrem-dung, der Penetration von Grenzen, die Systeme zur Ausblendung des Ungleichzeitigen, also zur Stabilisierung und inneren Synchronisation errichtet haben und anhand derer sich Subjekte und Kollektive antago-nistisch bestimmen. Aber nicht nur für die Soziologie, auch für die Politik- und Geschichts-wissenschaft kann das Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeiti-gen eine methodische Analysekategorie sein; bei der Untersuchung von historischen und kulturellen Räumen, von gesellschaftlichen Konflikten und historischem Wandel. Paart man dieses Konzept mit postfunda-mentalistischen Grundannahmen, um der Gefahr von Determinismus, Historizismus und Universalismus zu entgehen, und macht damit die Annahme radikaler Kontingenz zu einem zentralen Faktor, kann die Konstruiertheit und Funktion von Ungleichzeitigkeiten analysiert, ver-standen und enttarnt werden. Machtpolitische und gesellschaftliche Mechanismen von Aus- und Abgrenzung beispielsweise können so dezidiert dekonstruiert werden.

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SuperWer geWinnt den Super BoWl?

American Football ist voll angesagt, auch in Deutschland. Nicht erst seit Frank „Buschi“ Buschmann mit seinen grandiosen Ausrufen: „das geht hier nicht um die Wurst. Das geht hier um den ganzen Grill!“ begeistert er seit nunmehr vier Jahren die deutschen Zuschauer im Super Bowl, dem Mega Event des Sports. Dieses Super Bowl Fieber ist nun endgültig auch in Deutschland angekommen. Die Favoriten um den Titel dürften auch dieses Jahr wieder aus dem Kreis der üblichen Ver-dächtigen stammen.

new enGlanD patrIotsDie New England Patriots um ihren altern-den Star-Quaterback Tom Brady spielten eine klasse Saison. Es dürfte wohl Bradys letzte Chance sein, noch einmal nach der Trophäe zu greifen. Vor dieser Saison hatte man dem nunmehr 37-Jährigen Partner von Gisele Bünd-chen so eine Leistung nicht mehr zugetraut. Nicht umsonst drafteten die Patriots vor der Saison mit Jimmy Garoppolo einen 23-jährin-gen Quarterback als mittelfristigen Ersatz für ihre Position hinter dem Center. Für Brady und die Patriots heißt es diese Saison also „Now-or-Never“. In absehbarer Zukunft dürfte es für die Patriots schwer werden, wieder so weit zu kommen. Wahrscheinlichkeit für den Gewinn: 55%

seattle seahawksEinen richtigen Lauf haben indes die Vorjah-ressieger aus Seattle. Nachdem Russell Wilson

in seiner ersten richtigen Profisaison gleich mal allen gezeigt hat, wo der Hammer hängt, sind die Seattle Seahawks aus dem Kreis der Favoriten nicht mehr wegzudenken. Anders als bei den Siegern der letzten Jahre, fand bei den Seahawks kein umfassender Umbruch nach dem Gewinn statt. Der Kern des Teams blieb zusammen und wurde punktuell sogar noch verstärkt. Wahrscheinlichkeit für den Gewinn: 66%

Green bay packersDer große Konkurrent um die Krone der NFC dürften – falls Aaron Rodgers linke Wade mitspielt – die Green Bay Packers sein. Nach einem durchwachsenen Start in die Saison folg-ten sieben Siege in Folge. Überragender Offen-sivspieler dabei: Quarterback Aaron Rodgers. Mit seinem Passspiel dürfte er diese Saison heißester Anwärter auf den Titel „Most Valua-ble Player“(MVP) der Regular Season werden. Doch nicht nur die Offence der Packers hat was zu bieten. Auch in der Defense hat sich das Team um Trainer Mike McCarthy stabili-siert. Der Shift von Superstar Clay Matthews vom Inside Linebacker zum Defensive End war ein wahrer Geniestreich des Trainers, der mehrere Teams völlig überfordert auf dem Feld zurückließ.  Dennoch, die Hoffnungen auf einen erneu-ten Super Bowl Gewinn stehen und fallen mit der Genesung ihres Superstars am Ball. Bereits im letzten Hauptrundenspiel der Saison gegen die Detroit Lions musste der Quarterback aus

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Chico (Californien) mehrfach vom Feld, um sich seine ledierte Wade behandeln zu lassen. Bleibt er gesund, ist es Green Bay auf alle Fälle zuzutrauen, den Cup zu holen.Wahrscheinlichkeit für den Gewinn: 50%

Denver broncosUnd dann ist da ja noch der Altmeister Payton Manning mit seinen Denver Broncos. Zwar schied er aus bisher unerfindlichen Gründen beim letzten Super Bowl kläglich gegen Russell Wilsons Seahawks aus, an einem guten Tag ist dem Bällewerfer aus New Orleans jedoch alles zuzutrauen. Ausrutscher wie der letzte Super-Bowl verboten!Wahrscheinlichkeit für den Gewinn: 29%

Den Rest der Playoffkandidaten könnte man unter dem Stichwort „fly under the radar“ zusammenfassen. Ob nun die Dallas Cowboys oder Pittsburg Steelers nochmal die Kurve krie-gen und zu dem Kreis der „großen vier“ auf-steigen, hängt jeweils von der Tagesform der einzelnen Quarterbacks ab. Besonders Tony Romo – von Beruf Bällewerfer bei den Dallas Cowboys – hat in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, das er es eben nicht draufhat, wenn es, wie Buschi sagt, um den Grill geht. Es ist daher fraglich, ob die Teams aus Dallas, Pittsburgh, Carolina oder Arizona wirklich das Zeug zum Super Bowl-Champion haben.Wahrscheinlichkeit für den Gewinn: 5%

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BreMer illuSionen

Der Bremer Absturz der letzten Jahre war hart. Von den Höhen der Champions League und europäischen Pokalfinalen hinunter in den Abstiegskampf, von einem One-Touch Fußball, dem in ganz Europa nur der Arsenal Londons glich hin zu knallhartem Kampf- und Rumpel-fußball, von Micoud und Özil zu Bargfrede und Makiadi. 1999 ging es schon einmal nach einem Absturz wieder aufwärts, die langen Jahre zwischen Rehhagel und Schaaf waren sogar noch schlimmer als dieses Interregnum. Selbst Magath war kurzfristig Trainer in Bremen, gegen seine damalige Bilanz sieht Fulham aus wie eine seiner Glanzleistungen. Dann war-fen die genervten Geldgeber endlich Lemke raus und setzen eine fähige Führung ein. Die machte mit Schaaf ein Hausgewächs zum Trai-ner. Dieser rettete Bremen vor dem Abstieg und holte nebenbei den DFB Pokal.

Es besteht unter Bremer Fans aktuell eine förmliche Euphorie der Parallelisierung, die auch von den Medien befeuert wird. Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, aber spielt das eine Rolle, wenn alle daran glauben, dass sie genau das tut?  Der wichtigste Geldgeber, Infront, warf Lemke raus, nachdem dieser sich wieder an der Spitze des Vereins intrigiert hatte, nur um den Wagen erneut gegen den Baum zu setzen (Mein persönliches Dankeschön an dieser Stelle geht an Günther Netzer, auch auf Geschäftsebene immer noch ein Meister des plötzlichen Vor-stoßes aus der Tiefe des Raumes). Check.Neue fähige Führung?Check.Neuer Trainer, Hausgewächs und Glatze?Check.Dass wir damit natürlich vor dem Abstieg gerettet sind, ist in Bremen schon fast eine Selbstverständlichkeit. Wir setzen schließlich wieder auf die Jugend, spielen wieder frisch nach vorne, wir sind wieder die Guten. „Der Pokal geht dieses Jahr nur über uns.“ Nein, das Zitat ist nicht ironisch gemeint und der treue SVW Fan, der es sprach, war weniger ange-trunken, als man meinen könnte. Es ist schwer für einen Bremen Fan, sich diesem Sog zu ent-ziehen und die Lage nüchtern zu betrachten. Doch die Mannschaft zählt immer noch zu den schwächsten der Liga, die jungen Spieler zeigen sich inkonstant und Skripnik hat noch nicht auf Profiebene nachweisen können, dass er das Zeug zum Bundesligatrainer hat. Noch dazu die Ausgeglichenheit der Liga in dieser Saison. Nicht ein einziges Team ist dabei, bei dem man sich des Abstieges sicher sein könnte. Ein Abstiegskampf, der bis zum letzten Spiel-tag unglaublich eng bleiben wird.

SPOrt in kürze

Malte höfS

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Die Bremer Euphorie in dieser Situation ist purer Wahnsinn, Verleugnung der Realität und sinnloses Klammern an sinnlose Symbole. Freuen kann man sich, wenn der Abstieg ver-mieden wird und selbst dann ist die Perspek-tive auf Jahre düster! Wer an der Glatze Viktor Skripniks den Nichtabstieg erkennt und sich schon wieder nach Europa träumt, hat – frei nach Schaaf – ʼnen nassen Helm auf! Nur mit-tel- und langfristig wird sich zeigen, ob dieser radikale Schnitt im Verein tatsächlich eine hilf-reiche Wirkung haben wird.

Nachdem wir das geklärt haben, DFB Pokal-finale dieses Jahr wird Bayern gegen Bremen. Bin mir aber noch nicht ganz sicher, dass Wer-der den Titel holt.

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iMpreSSuMAusgabe 46 – Januar 2015c/o AStA der Leibniz Universität HannoverWelfengarten 2C – 30167 [email protected]

rEDAktionAlexander Weiss, Jan Heinemann, Jenny Triebel, Jessica Prenzyna, Malte Höfs

spEciAl supportDer Studierendenrat Geschichte (in Schriftart: Franken-Tohu)

Für die Inhalte der Artikel und die darin enthaltenen Meinungen sind allein die jeweiligen Verfasser verantwortlich.

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