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Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 01|2013 Streitfragen! BENCHMARKING VS. KARTELL- VERFAHREN Die NRW-Minister Garrelt Duin und Johannes Remmel im Interview, Dr. Peter Asmuth kommentiert S.28 S.34 S.06 PUNKT FÜR PUNKT ZU NEUEN REGELN Prof. Dr. Manuel Frondel und Dr. Götz Brühl plädieren für ein verbessertes Strommarkt-Design EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE Dr. Andreas Breuer, RWE, und Harald Noske, Stadtwerke Hannover, über Potenzial und Grenzen smarter Verteilnetze INNOVATIONEN AUF DEM VORMARSCH S.18

BDEW-Magazin "Streitfragen!" - 01/2013

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"Streitfragen! - Die Energie- und Wasserwirtschaft im Dialog" - Die Unternehmen der Energiewirtschaft müssen in den kommenden Jahren gewaltige Investitionen leisten: in den Ausbau der Erneuerbaren, in die Netzstruktur und Speichermöglichkeiten. Zudem werden wir zukünftig einen konventionellen Kraftwerkspark brauchen, der die starken Schwankungen aufgrund der fluktuierenden Erzeugung aus Erneuerbaren ausgleichen kann. Ohne kluge Ideen und innovative Technologien allerdings wird es uns nicht gelingen, die anspruchsvollen energie- und klimapolitischen Ziele zu erreichen - zumindest nicht, ohne Wirtschaft und Verbraucher übermäßig zu belasten.

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Die energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 01|2013

Streitfragen!

bencHMarking vs. kartell-verfaHren

Die NRW-Minister Garrelt Duin und Johannes Remmel im Interview, Dr. Peter Asmuth kommentiert

s.28 s.34s.06Punkt für Punkt zu neuen regeln

Prof. Dr. Manuel Frondel und Dr. Götz Brühl plädieren für ein verbessertes Strommarkt-Design

eine frage Der PersPektive

Dr. Andreas Breuer, RWE, und Harald Noske, Stadtwerke Hannover, über Potenzial und Grenzen smarter Verteilnetze

innovationen auf DeM vorMarscH

s.18

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mit welcher Einstellung wollen wir eigentlich den Herausforderungen der Energiewen­de gegenübertreten? Manche ziehen sich das ökologische Hemd an, ihnen geht es beim Umbau der Energieversorgung um den Umbau unserer industriellen Lebensweise. Andere reden vor allem über Geld – von dem je nach Sichtweise zu viel oder zu wenig für die Erneuerbaren ausgegeben wird. Ich sage: Lassen Sie uns viel mehr über Inno­vationen reden. Für eine effiziente Umsetzung der Energiewende sind wir vor allem auf die Fortschritte der Wissenschaft und Forschung angewiesen. Unsere Perspektive sollte die Energiewende in Verbindung mit einem der leistungsstärksten Innovations­standorte der Welt sein.

liebe leserin, lieber leser,

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Die Energiewende ist echte Pionierarbeit. Kein Land der Welt hat sich solche Ziele ge­setzt. Wir können uns, was den systemischen Umbau betrifft, nirgendwo etwas ab­schauen. Als „First Mover“ werden wir – auch technologisch – Fehler machen, die an­dere Volkswirtschaften dann als „Smart Follower“ vermeiden können. Andererseits werden wir möglicherweise die erste hochindustrialisierte Volkswirtschaft sein, die größtenteils von fossilen Energieträgern unabhängig ist. Was für eine Perspektive.

Das ist aber kein Selbstläufer. Das zeigt die dramatische Unterdeckung des Energie­ und Klimafonds, aus dem doch wichtige Forschungsprojekte finanziert werden sollen. Ein anderes Beispiel sind fehlende Anreize zu Investitionen in „smarte“ und innovative Verteilnetze. Ich rate dringend dazu, die Rahmenbedingungen für Innova­tionen zu verbessern. Dabei sollten wir grundsätzlich technologieoffen bleiben und der Versuchung widerstehen, einzelne Technologien mit jeweils spezifischen Instru­menten zu fördern, ohne dies miteinander zu vernetzen. Wir brauchen einen Fahrplan für die Technologie­Implementation. Wie das aussehen kann, wird im vorliegenden Magazin am Beispiel der „Roadmap Smart Grids“ skizziert.

Der BDEW ist Partner in dem vom Bundesforschungsministerium initiierten „For­schungsforum Energiewende“. Ich persönlich arbeite dort für den BDEW im Leitungs­kreis mit. Das Thema Innovationen rückt an die Spitze der Agenda. Dort gehört es hin, und wir werden es mit Nachdruck vorantreiben.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre unseres Schwerpunktes „Innovationen“ und den anderen Beiträgen dieses Heftes viel Vergnügen – und viele interessante Einsichten.

Ihre Hildegard Müller

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s.28 eine frage Der PersPektive

Hoffnungsträger Smart Grid: Netz ist nicht gleich Netz – auf dem Land sind andere Herausforderungen zu meistern als in der Großstadt. Dr. Andreas Breuer, RWE, und Harald Noske, Stadtwerke Hannover, diskutieren das Potenzial und die Grenzen smarter Verteilnetze

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iMPressuM

HerausgeberBDEW Bundesverband derEnergie- und Wasserwirtschaft e. V.Reinhardtstraße 3210117 [email protected]

RedaktionMathias Bucksteeg und Sven Kulka

Redaktionsschluss:März 2013

Konzept und RealisierungKuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf Szameit; Ricarda Eberhardt (BDEW). Kreation/Bildwelt Meltem Walter (BDEW)

Druck und VerarbeitungDruck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

BildnachweisRoland Horn: S. 12 – 17, 24 – 30; Hojabr Riahi: S. 35 – 36; Werner Schuering: S. 06, 09; Thies Schwarz: Titel, S. 19 – 22; BMBF: S. 05

innovation iM energiesektor

s.04 Mit forscHung Die energieWenDe gestaltenProf. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung

s.06 Punkt für Punkt zu neuen regeln Prof. Dr. Manuel Frondel, RWI, und Dr. Götz Brühl, Stadtwerke Rosenheim, plädieren für ein verbessertes Strommarkt-Design

s.12 »Wir WerDen Mal zu viel, Mal zu Wenig stroM Haben.«Prof. Dr. Wolfgang Mauch und Prof. Dr. Albert Moser diskutieren die künftige Rolle von Energiespeichern

s.18 innovationen auf DeM vorMarscHVier Versuchsanlagen demonstrieren, wie der Ausstoß von Kohlendioxid reduziert werden kann

fokus infrastruktur

s.24 »einer Muss Die verantWortung für Das netz tragen.« Dr. Erik Landeck, Vattenfall, beschreibt die anstehenden Schritte auf dem Weg zum Smart Grid

s.28 eine frage Der PersPektiveDr. Andreas Breuer, RWE, und Harald Noske, Stadtwerke Hannover, über das Potenzial und die Grenzen smarter Verteilnetze

PersPektive euroPa

s.32 »Wir Wollen büro kratie abbauen unD scHneller entscHeiDen.«Robert-Jan Smits, EU-Kommission, plädiert für sichere, saubere und effizi ente Energie

WasserWirtscHaft

s.34 bencHMarking vs. kartellverfaHren Die NRW-Minister Garrelt Duin und Johannes Remmel im Interview, Dr. Peter Asmuth kommentiert

s.12»Wir WerDen Mal zu viel, Mal zu Wenig stroM Haben.«

Prof. Dr. Wolfgang Mauch und Prof. Dr. Albert Moser diskutieren die künftige Rolle von Energiespeichern

s.24»einer Muss Die verantWor-tung für Das netz tragen.«

Dr. Erik Landeck, Vattenfall, beschreibt die anstehenden Schritte auf dem Weg zum Smart Grid

Mit forscHung Die energieWenDe gestalten

Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, ist überzeugt, dass Forschung und Innovation einen essentiellen Beitrag zur Energie-wende leisten

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Mit forscHung Die energieWenDe gestalten

Das „Forschungsforum Energiewende“ bringt die wichtigsten Köpfe und die besten Ideen an einen Tisch

Die Energiewende ist nach der Wiedervereinigung die größte po­litische und gesellschaftliche Herausforderung Deutschlands. Es wäre illusorisch zu glauben, diese Herausforderung auf nur einen Faktor reduzieren zu können, sie etwa als eine bloße Management­aufgabe zu begreifen, die allein mit guter Organisation zu hand­haben wäre. Die Energiewende ist ein höchst komplexer Lang­zeitprozess, der nur mit klugen Strukturen und Ideen und unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure erfolgreich gestaltet werden kann.

Diese Komplexität kann nur mit starker Forschung, In­novation und Wissenschaft bewältigt werden. Ohne Forschung können drängende Fragen nicht beantwortet werden. Wie können Energiespeicher weiterentwickelt werden? Welche Technologien können Strom aus Windkraft und Sonne billiger machen? Wie kann die Stromerzeugung aus Kohle und Gas effizienter gemacht werden?

Nur mit neuen Ideen werden wir die Antwort auf die offe­nen Fragen der Energiewende finden. Die Energieforschung ist ein wichtiger Motor, der die Energiewende treibt. Sie wird Politik, Ge­sellschaft und Wirtschaft Lösungen für die nicht unerheblichen Herausforderungen bei der Umsetzung zur Verfügung stellen.

Das mit 3,5 Milliarden Euro ausgestattete Energieforschungspro­gramm der Bundesregierung hat bereits viele technologische Ent­wicklungen angestoßen: Es geht um Energiespeicher und Netze, neue Materialien, Energieeffizienz und Innovationssprünge bei den erneuerbaren Energien.

Das vorhandene Know­how in der Energieforschung in unserem Land ist breit gefächert. Wissenschaft und Forschung arbeiten auf Hochtouren, um das Gelingen der Energiewende zu unterstützen. In Deutschland forschen zurzeit 180 Hochschulen und 120 Zen tren oder Institute außeruniversitärer Forschungsein­richtungen an Energiethemen.

Längst geht es hierbei nicht mehr nur um neue technologi­sche Ideen und innovative Lösungen. Im gesamten Energiesystem müssen wir zahlreiche Teilaspekte in Einklang bringen: techni­sche Machbarkeit, wirtschaftliche Umsetzung, ökologische Aus­wirkungen, gesellschaftliche Akzeptanz und energiepolitische Bedingungen.

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Hierzu bedarf es des ständigen Transfers von Wissen, Erfahrungen und Erwartungen. Dieser Transfer darf nicht auf einer Einbahnstra­ße von der Forschung über die Wirtschaft hin zu den Bürgerinnen und Bürgern erfolgen. Es bedarf vielmehr des wechselseitigen Aus­tauschs zwischen Forschung, Wirtschaft, den Bürgerinnen und Bürgern und schließlich auch der Politik. Bereits in der Grundla­genforschung gilt es zu wissen, welche Bedarfe in der Wirtschaft bestehen und wie die Gesellschaft „tickt“. Bereits in dieser frühen Phase der Forschung müssen Wissenschaftler auch eine Anwen­dungsperspektive einnehmen und erkennen können, was die Men­schen bewegt, was sie denken und was sie erwarten. Mit Blick auf das Zeitfenster, das wir für die Energiewende haben, können wir es uns nicht erlauben, Forschung ohne Wirklichkeitsbetrachtung zu betreiben. Anwendungsperspektiven und Wirtschaftlichkeitsüber­legungen müssen von Anfang an mitschwingen.

Um diese Wechselwirkung zu ermöglichen, ist ein inten­siver Dialog in alle Richtungen notwendig – ein Dialog vor allem mit der Wirtschaft, die Forschungsergebnisse anwendet.

Ein solcher Dialog bedeutet weder Steuerung der Wissen­schaft noch Steuerung der Wirtschaft. Er dient dem gegenseiti­gen Verstehen, ohne die jeweilige Verantwortung für das eigene Handeln aufzuheben. Jeder Akteur soll seine Umsetzungsbeiträ­ge aufzeigen und diese mit den Erfordernissen der Energiewende rückkoppeln.

Von dieser Erkenntnis geleitet, verfolgt das Bundesministe­rium für Bildung und Forschung eine neue Innovationsstrategie in der Energieforschung, die auf dem Dreiklang „Transdisziplina­rität – Transfer – Transformation“ aufbaut.

Transdisziplinarität bedeutet, dass Praxispartner aus dem Ener­giebereich bereits frühzeitig an der Definition und Durchfüh­rung von Projekten beteiligt werden.

Beim Transfer geht es im Gegensatz zum klassischen Techno­logietransfer nicht darum, Forschungsergebnisse mit hohem finanziellem und zeitlichem Aufwand nachträglich auf konkre­te Anwendungen anzupassen. Durch frühzeitige Integration möglicher Anwendungen in den Innovationsprozess soll hinge­gen von Anfang an Zeit und Geld gespart werden.

Mit Transformation meinen wir, dass der wirtschaftlich und in­frastrukturell notwendige Umbau des Energiesystems im Sinne der Energiewende durch den Katalysator „Forschung“ zügig vo­rangetrieben wird. Damit diese Transformation die notwendige Akzeptanz findet, brauchen wir die frühzeitige Beteiligung und Einbindung gesellschaftlicher Gruppen schon bei der Erstel­lung der Forschungsprogramme.

Um diese Strategie umzusetzen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung das „Forschungsforum Energiewende“ initiiert. Im „Forschungsforum Energiewende“ bringen wir die Kräfte aller Beteiligten zusammen, um die drängenden Fragen der Energiewende koordiniert anzugehen. Beteiligt wird hierbei neben den für die Energiepolitik zuständigen Bundesressorts, den Ländern, der Bürgergesellschaft und der Forschung nicht zuletzt die Wirtschaft. Ich freue mich sehr, dass der BDEW mit seiner Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung, Hildegard Müller, im „Forschungsforum Energiewende“ mitwirken und mitgestalten wird.

Das „Forschungsforum Energiewende“ soll transdiszipli­när und interdisziplinär eine nationale Strategische Forschungs­agenda für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre entwerfen. Diese Agenda wird im Energiebereich die kurz­, mittel­ und langfris­tigen Forschungsprioritäten aufzeigen und ein stärker konzer­tiertes Handeln auf allen Ebenen ermöglichen. Hierbei dienen insbesondere die Ergebnisse des Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ der deutschen Wissenschaftsakademien als Grundla­ge. Zu Umsetzungsfragen im Wissenschaftssystem haben die außeruniversitären Forschungsorganisationen und Vertreter der Hochschulen einen „Koordinierungskreis Forschung“ gegründet.

Die Energiewende ist machbar und bezahlbar. Die For­schung wird dazu einen essentiellen Beitrag leisten.

Prof. Dr. JoHanna Wankaist Bundesministerin für Bildung und Forschung.

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Das Erneuerbare­Energien­Gesetz ist ein Erfolgsmodell. Ein Wissenschaftler und ein Praktiker diskutieren über die richtigen Innovationen beim Umbau der Energieversor­gung, das Marktdesign der Zukunft und die Aussichten für ein Energiesystem ohne Subventionen.

Prof. Dr. Manuel fronDelleitet den Kompetenzbereich „Umwelt und Ressourcen“ des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschafts-forschung, Essen. Unter seiner Leitung entstand die 2012 veröffentlichte Studie „Marktwirtschaftliche Energie-wende: Ein Wettbewerbsrahmen für die Stromversor-gung mit alternativen Technologien“.

Punkt für Punkt zu neuen regeln

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Herr Prof. Frondel, Herr Dr. Brühl, das deutsche Erneuerba-re-Energien-Gesetz, kurz EEG, dient vielen Ländern als Vor-bild. Dennoch steht das Modell der Einspeisevergütung in der Kritik. Warum?

Prof. Dr. Manuel fronDel Das EEG ist das Gegenteil von kosteneffizient. Die Förderung der erneuerbaren Energien nach dem EEG produziert Ineffizienzen in Bezug auf den Mix der einge­setzten Technologien, die Standortwahl und die Größe der Anla­gen. Das frappierendste Beispiel ist sicherlich die Förderung der Photovoltaik: Solaranlagen verschlingen heute 50 Prozent des Aufkommens aus der EEG­Umlage, produzieren aber gerade 20 Prozent des auf diesem Wege geförderten Stroms.

Dr. götz brüHl Das EEG verfolgt mittlerweile so viele Ziele, dass eine gewisse Beliebigkeit entstanden ist. Wir brauchen viel­mehr ein klares Ziel. Aus meiner Sicht sollten wir anstreben, CO2 einzusparen und uns von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Dazu sollten wir einen Fördermechanismus installieren, der für jede eingesparte Tonne Kohlendioxid einen bestimmten Betrag vorsieht. So könnten wir sehr viel CO2 einsparen mit sehr viel weniger Mitteln. Wir müssen weg von der Technologieförde­rung und hin zur Förderung der Verbreitung der erneuerbaren Energien.

fronDel Ich muss widersprechen – die Bundesregierung hat klare Ziele: 35 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis 2020 und 50 Prozent bis 2030.

Welche Alternative zum EEG schlagen Sie vor? Welches Marktdesign wäre besser geeignet, um den Ausbau der er-neuerbaren Energien zu vertretbaren Kosten zu stützen?

fronDel Ich würde das EEG durch ein Quotenmodell erset­zen. Darunter verstehe ich eine marktbasierte Mengensteuerung in Form von Quoten für den sogenannten grünen Strom. Die Stromversorger würden verpflichtet, einen bestimmten Anteil ih­res an die Endverbraucher gelieferten Stroms aus erneuerbaren Energien selbst zu decken und fehlende Mengen durch den Kauf von Grünstromzertifikaten auszugleichen.

Wo läge der Vorteil?

fronDel Ein solches Modell wäre wesentlich kosteneffizien­ter als das EEG. Denn die Produzenten von grünem Strom bekä­men einen Anreiz, in die kostengünstigsten Technologien zu in­vestieren und optimale Standorte zu wählen. Außerdem würden sie sich an der Nachfrage orientieren. Wenn die Sonne scheint, der Wind weht und die Nachfrage gering ist, haben wir heute oft zu viel grünen Strom im Netz, der dann teuer ins Ausland entsorgt werden muss. Das Quotenmodell wird in vielen Ländern angewen­det und hat auch in Deutschland viele Befürworter. Dazu gehören die Monopolkommission und der Sachverständigenrat zur Begut­achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Herr Dr. Brühl, wie sollte Ihrer Meinung nach ein künftiges Fördermodell aussehen?

brüHl Wir müssen wie gesagt die Menge steuern und die Ver­breitung der erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt stellen. Die Frage muss also lauten: Wenn wir ein bestimmtes Ausbauvo­lumen wollen – wer bietet an, den Ausbau durchzuführen, und wie viel Förderung verlangt er? Wenn wir diese Abfrage ein­ oder zweimal im Jahr starten würden, könnten wir sehr genau die nöti­ge Höhe der Förderung ermitteln.

Dagegen könnte man einwenden, dass dann nur noch die bil-ligsten grünen Erzeugungstechnologien zum Zuge kämen. Die Erprobung von neuen, anfangs teuren Lösungen würde sich nicht mehr lohnen.

brüHl Für die Forschungs­ und Technologieförderung haben wir genügend andere Möglichkeiten. Man könnte aber das Aus­bauvolumen auch technologiespezifisch ausschreiben. Für eine bestimmte Zeit wäre das sogar sinnvoll, wenn die Fördersätze für Photovoltaik und Wind vorerst noch unterschiedlich hoch sind. Diese detaillierte Steuerung sollten wir sukzessive zurückfahren – und nach einer gewissen Zeit ganz darauf verzichten. Das setzt allerdings voraus, dass wir die vorrangige Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien abschaffen. Aus meiner Sicht ist sie ohnehin nicht notwendig, da die Grenzkosten der erneuerbaren Energien nahe null liegen.

Dr. götz brüHlist Geschäftsführer der Stadtwerke Rosenheim und Vize-Präsident der GEODE für Deutsch-land. Die GEODE ist der europäische Verband der unabhängigen Strom- und Gasverteiler-unternehmen und zählt mehr als 500 Mitglieder.

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Technologiespezifische Förderung, also die gezielte Unter-stützung beispielsweise der Photovoltaik, ist heftig um-stritten. Wenn Sie die verschiedenen grünen Energiequellen betrachten – haben Sie einen Favoriten?

fronDel Im Interesse der Verbraucher würde ich die kosten­günstigste Technologie bevorzugen, also vor allem die Wind­stromerzeugung an geeigneten Standorten an Land. Grundsätz­lich bin ich aber nicht für technologiespezifische Förderquoten. Wir sollten stattdessen eine Gesamtquote erfüllen. Mit an Land produziertem Windstrom könnten wir das erwähnte 35­Prozent­Ziel relativ einfach erreichen. 2020 dürften andere Technologien so kostengünstig geworden sein, dass der Markt eine Erweiterung der Palette grüner Erzeugungstechnologien auslöst.

Herr Brühl, welche Technologie bevorzugen Sie?

brüHl Ich glaube, man muss das immer anhand der lokalen Gegebenheiten entscheiden. Für die Stadtwerke Rosenheim ist Biomasse ein wichtiger Energieträger, und zwar in Form von Holz. Holz steht nicht im Wettbewerb mit Lebens­ und Futtermitteln, es ist transport­ und lagerfähig. Für ein Stadtwerk an der Nordsee­küste wird die Rechnung anders aussehen. Auch bei der Strom­ und Wärmeproduktion mit erneuerbaren Energien gilt: Jeder soll das machen, was er am besten kann.

Wie sinnvoll ist es eigentlich, eine nur für Deutschland gülti-ge Strommarkt-Ordnung zu entwickeln? Oder andersherum: Wie viel Europa brauchen wir für eine sichere, preiswerte und umweltfreundliche Versorgung?

brüHl Einiges funktioniert in Europa schon gut, etwa die Spotmärkte. Noch nicht geklärt ist beispielsweise die Frage, wie weit wir uns in Europa aufeinander verlassen können. Im Februar vergangenen Jahres hatten wir die Situation, dass Frankreich gro­ße Mengen Strom brauchte, die die restlichen europäischen Län­der bereitstellen mussten. Wenn wir über ein europäisches Sys­tem nachdenken, bringt uns das zur Frage, wer eigentlich welche Kraftwerke installieren muss. Das sollten wir regeln, sonst wird das Land mit dem größten Sicherheitsbedürfnis die nötigen Kapa­zitäten aufbauen – und bezahlen. Das wäre wohl im Wesentlichen Deutschland.

fronDel Wir brauchen in vielen Aspekten eine Europäisie­rung. Eine Idealvorstellung wäre ein gemeinsamer Fördermecha­nismus für erneuerbare Energien, etwa ein EU­weites Quotenmo­dell. Wenn wir den Solarstrom nicht mehr in so großem Ausmaß in Deutschland produzieren, sondern im wesentlich sonnigeren Südeuropa, wäre dem Verbraucher schon sehr geholfen.

Wir diskutieren im Zusammenhang mit dem Energiemarkt eigentlich nur noch, wie die Förderung aussehen soll. Die grundsätzliche Notwendigkeit von Subventionen scheint unumstritten zu sein. Müssen Steuerzahler und Stromkun-den sich damit abfinden – oder können wir irgendwann im Energiesektor auf Subventionen verzichten?

fronDel Die Erfahrung zeigt: Die Energiemärkte sind noch nie ohne Subventionen ausgekommen. Sie werden das wohl auch weiterhin nicht schaffen. Was wir allerdings vermeiden sollten, sind so frappierende Subventionstatbestände, wie wir sie uns in der Vergangenheit geleistet haben und aktuell noch leisten. Ich denke hier an die Abermilliarden für die deutsche Steinkohleför­derung und natürlich an die Beträge, die wir für die deutsche So­larstromerzeugung ausgeben. Nach RWI­Berechnungen belaufen sich die Zahlungsverpflichtungen für alle nach dem EEG geförder­ten Anlagen, die in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2012 instal­liert wurden, auf 108 Milliarden Euro. Diese Verpflichtung ist erst zu 20 Prozent abgetragen.

brüHl Ich bin da sehr viel optimistischer. Ich bin fest über­zeugt, dass ein gutes Energieversorgungssystem subventionsfrei und wirklich marktbasiert arbeitet. Wenn wir die Umweltproble­matik lösen wollen, können wir den CO2­Preis als Steuerungsin­strument nehmen. Das ließe sich relativ einfach einrichten und sollte funktionieren wie beim Benzinpreis: Weil der in Europa auf­grund der Besteuerung immer relativ hoch war, haben wir hier vergleichsweise sparsame Autos. Das zeigt, dass eine Steuer wir­ken kann. Entsprechende Mechanismen stehen auch im Energie­bereich zur Verfügung, um das gewünschte System zu schaffen – und zwar ohne Subventionen.

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» ein energie- systeM oHne subventionen ist MöglicH.«

» DiE EnErgiEmärk-tE WErDEn WEitEr-hin nicht ohnE suBvEntionEn auskommEn.«

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Prof. Dr. Wolfgang MaucHist Geschäftsführer der Forschungsstelle für Energie-wirtschaft e.V., München. Die Einrichtung versteht sich als unabhängige Institution, die sich auf wissen-schaftlicher Grundlage mit energietechnischen und energiewirtschaftlichen Fragen befasst.

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» Wir WerDen Mal zu viel, Mal zu Wenig stroM Haben.«

Mit wachsendem Anteil fluktuierender Energieträger wie Windenergie und Photovoltaik brauchen wir ein deutlich flexibleres Stromversorgungssystem. Moderne Technologien können überschüssige Energie speichern und bei Bedarf wieder abrufen, um Schwankungen von Wind und Sonne aus­zugleichen. Zwei Wissenschaftler diskutieren die künftige Rolle von Speichern und das Für und Wider der verschiedenen Technologien.

Herr Prof. Mauch, Herr Prof. Moser, welche Bedeutung haben Energiespeicher für die Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung in Deutsch-land?

Prof. Dr. albert Moser Speicher sind nur eines von mehreren Instrumenten, um Flexibilität bereitzustellen und die sichere Stromversorgung zu erhalten. Es gibt Alternativen wie flexible Kraftwerke oder auch das fallweise Abregeln von Photo­voltaik­ und Windkraftanlagen.

Prof. Dr. Wolfgang MaucH Die Rolle der Speicher hängt in der Tat sehr stark davon ab, was wir insgesamt machen. Wir könnten die Netze ausbauen, damit wir eben nicht lokal spei­chern müssen. Und wir sollten uns mit unseren östlichen Nach­barn einigen, denn die könnten uns überschüssigen Strom abneh­men. Heute sind die Grenzkuppelstellen zu gering bemessen, um sämtlichen überschüssigen Strom abzugeben. Das führt bei uns zu einem starken Verfall des Börsenpreises für Strom, wenn Wind und Sonne gleichzeitig da sind.

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» Wir solltEn uns auf PoWEr to gas unD BattEriEn konzEntriErEn.«

Selbst wenn Speicher nur ein Baustein des künftigen Ener-giesystems sein können – gebaut werden müssen sie trotz-dem. Wie viel Kapazität sollte Deutschland installieren und wie schnell muss das gehen?

Moser Unsere im Auftrag des VDE erstellte Untersuchung „Energiespeicher für die Energiewende“ zeigt auf, dass in den nächsten zehn Jahren der Einsatz von flexibel zu betreibenden Kraftwerken günstiger wäre als der Bau von Speichern. In diesem Zeitraum benötigen wir eher keine neuen Speicher – immer vor­ausgesetzt, wir verfügen über die nötigen Kraftwerke. Die dürfen also nicht eins nach dem anderen wegen fehlender Wirtschaft­lichkeit abgeschaltet werden.

Und nach 2023?

Moser Langfristig, bis 2050, ist nach unseren Berechnungen eine Verdreifachung der Kapazität von Kurzzeitspeichern von sie­ben auf 21 Gigawatt sinnvoll. Für Langzeitspeicher ergibt sich eine Größenordnung von rund 18 Gigawatt. Hier wird voraussichtlich Power to Gas die tragende Rolle spielen, mit Wasserstoff und Me­than als Speichermedien. Insgesamt kämen wir so auf etwa 40 Gi­gawatt.

MaucH Wenn wir weiter auf eine deutsche Insellösung setzen, werden in 40 Jahren 40 Gigawatt Stromspeicherkapazität in Deutschland wahrscheinlich nicht ausreichen. Dann brauchen wir eher das Zehnfache der sieben Gigawatt, die es momentan an Kurzzeitspeicherkapazität in Deutschland gibt. Aber ein solcher Ausbau wäre keine sinnvolle Lösung. Wir brauchen die Abstim­mung mit den Nachbarn und den Netzausbau.

Sie unterscheiden Kurz- und Langzeitspeicher. Welche Tech-nologie sollten wir für welchen Zweck einsetzen?

Moser Es gibt leider keinen optimalen Speicher. Entweder hat die Technologie einen guten Wirkungsgrad, ist aber mit dem Nachteil geringer Speichermengen verknüpft. Oder die Technolo­gie hat ein sehr hohes Speichervolumen bei einem recht schlech­ten Wirkungsgrad. Pump­ und Druckluftspeicher sowie Batterien sind vergleichsweise effizient, aufgrund der geringen Speicher­volumina kommen sie aber eher als Kurzzeitspeicher in Frage. Zu den Langzeitspeichern rechne ich Power to Gas.

MaucH Vergessen wir nicht Power to Heat, also die Wärme­erzeugung zum Beispiel aus Windstrom. Wenn ich mit Strom Gas produziere, verliere ich 50 Prozent der Energie. Wärme dagegen kann ich mit 100 Prozent Wirkungsgrad erzeugen und in ein Wär­menetz einspeisen. In Phasen, in denen Photovoltaik und Wind­kraft Strom im Überfluss liefern, kann ich den Strom in Wärme verwandeln und dafür mit Gas betriebene Kraft­Wärme­Kopp­lungs­Anlagen herunterfahren. Das reduziert nicht nur das Über­angebot an Strom. Es verringert auch den Gasverbrauch und führt indirekt zu einer Speicherung. In meinen Augen wird Power to Heat für uns wichtiger werden als Power to Gas.

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Prof. Dr. albert Moserleitet das Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft (IAEW) an der RWTH Aachen. Das IAEW hat unter anderem die 2012 veröf-fentlichte VDE-Studie „Energiespeicher für die Energiewende“ wissenschaftlich begleitet.

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Pump- und Druckluftspeicher sind technisch nur an be-stimmten Standorten machbar. Gibt es in Deutschland genü-gend Platz für solche Anlagen?

MaucH Es gibt sicher noch eine Reihe von Standorten für Pumpspeicher­Kraftwerke. Aber bisher stößt jedes Projekt sofort auf Widerstand von Naturschützern und Anwohnern. Auch für neue Druckluftspeicher gibt es geeignete Standorte, gerade in Norddeutschland. Hier müssten Salzkavernen ausgespült werden – und das geht nur in der Nähe der Küste, denn über die Flüsse kön­nen Sie die Salzfrachten nicht umweltverträglich abtransportie­ren. Das funktioniert bei Batteriespeichern leichter: Die kommen irgendwo in eine Halle oder in einen Keller. Oder in ein Elektro­fahrzeug: Unsere Autos stehen 90 Prozent der Zeit und können währenddessen als Speicher dienen.

Bisher ist von den genannten Technologien nur das Pump-speicherkraftwerk im großen Maßstab erprobt und bewährt. Können Sie anhand dieses Beispiels abschätzen, was der Aus-bau von Speichern kosten würde?

Moser Eine typische Größenordnung für Pumpspeicherkraft­werke sind 1 000 Euro pro Kilowatt. Das ist vergleichbar mit den Kosten für ein heutiges konventionelles Kraftwerk. Eine ähnliche Rechnung gilt ganz grob gesagt auch für Batterien. Wobei Blei­Säure­Batterien billiger zu haben sind, während moderne High­tech­Batterien deutlich teurer sein dürften.

MaucH Ein Druckluftspeicher, der auch Wärme speichert, also ein sogenannter adiabatischer Speicher, hat zwar mit 70 Pro­zent einen ähnlichen Wirkungsgrad wie ein Wasserkraftwerk, wird aber deutlich teurer sein. Und schon die Pumpspeicherkraft­werke rechnen sich heute kaum noch.

Sie sprechen die Wirtschaftlichkeit an. Wo liegt das Problem?

MaucH Pumpspeicher wurden gebaut, um die übrigen Kraft­werke auch in der Nacht noch mit relativ hohem Wirkungsgrad fahren zu können und Strom zu produzieren für die Zeiten, in de­nen man zu wenig Kraftwerkskapazitäten hat. Etwa in den Mit­tagsstunden – da waren die Preise relativ hoch und da haben die Pumpspeicher ihr Geld verdienen können. Diese Mittagshochs werden inzwischen aber von der Photovoltaik abgedämpft. Also muss man sich fürs Entladen der Speicher andere Zeitpunkte su­chen, etwa die Spitzenzeiten morgens und abends, wenn die Son­ne nicht scheint.

Moser Wir haben für mehrere Pumpspeicherkraftwerks­Pro­jekte Berechnungen durchgeführt und festgestellt: Wirtschaftlich stehen die auf der Kippe. Klar ist, dass diese Anlagen ihr Geld nicht mehr vorrangig mit Laden und Entladen und dem Ausnut­zen von Strompreis­Differenzen verdienen. Zunehmend wird die Bereitstellung von Regelreserve der entscheidende Erlösanteil. Und je mehr erneuerbare Energien wir haben, desto wichtiger werden solche Flexibilitätsleistungen. Langfristig könnte sich das Schema für den Betrieb von Speichern umkehren. Man würde sie dann tagsüber mit der billigen Energie aus Windkraft und Photo­voltaik laden und den Strom nachts wieder einspeisen.

Wenn die Wirtschaftlichkeit heute nicht gesichert ist – wer soll dann die Anlagen finanzieren und betreiben?

Moser Der Betrieb von Pumpspeichern wäre wohl am ehesten etwas für die Energiewirtschaft – dort werden ja aktuell die meis­ten Projekte geplant. Bei den Druckluftspeichern käme auch die Gaswirtschaft in Frage. Große Batterieanlagen könnte ebenfalls die Energiewirtschaft errichten. Kleine Chargen kann vermutlich auch der einzelne Bürger betreiben, sozusagen zu Hause im Keller.

MaucH Bei den Privathaushalten gibt es schon Initiativen in Richtung Selbstversorgung. Die installieren sich eine Photovolta­ik­Anlage aufs Dach und stellen einen Speicher in den Keller. Da­mit decken sie ihren Bedarf so weit wie möglich selbst und kom­men weg von der EEG­Vergütung und den Netzentgelten. Bei Strompreisen von 24 oder in Zukunft vielleicht 30 Cent wird das attraktiv – wo genau die Schwelle liegt, berechnen wir gerade. Da­rin sehe ich aber auch eine Gefahr: Wenn die Anlagen billiger wer­den und der Strompreis weiter steigt, wird jeder, der die Möglich­keit hat, so etwas einbauen. Zur Sicherheit kauft er noch ein Notstromaggregat – und dann kann er sich komplett vom Netz trennen. Das kommt vor allem für die ländliche Bevölkerung in

» bei Den PrivatHausHal-ten gibt es scHon ini-tiativen in ricHtung selbstversorgung.«

» PumPsPEichErkraftWErkE stEhEn Wirtschaftlich auf DEr kiPPE.«

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Frage. Damit bekämen wir eine ganz neue Situation: Die Städter und die Unternehmen würden plötzlich fast allein die EEG­Umla­ge und die Netzentgelte bezahlen. Denn für sie kommt Selbstver­sorgung nicht in Frage, weil ihnen die Flächen für Photovoltaik­anlagen und der Platz für Speicher fehlen.

Wie können Forschung und Entwicklung dazu beitragen, bessere und wirtschaftlichere Speichersysteme zu schaffen?

Moser Ich würde die Anstrengungen auf Power to Gas und Batterien konzentrieren. Bei Batterien liegt möglicherweise der Fortschritt eher in der Produktionstechnologie, sodass man eine relativ weit ausgereifte Technik preiswerter produzieren kann. Al­

lerdings bin ich nicht sicher, dass Deutschland wie bei der Photo­voltaik auch bei den Batterien die Lernkurve für die gesamte Welt bezahlen muss.

MaucH Wenn wir den Systemwechsel weiter vorantreiben, dann haben wir mal zu viel, mal zu wenig Strom. Wir sollten jetzt erforschen, wie wir beispielsweise Kraftwerke, Verdichterstatio­nen und Elektrolyseanlagen sozusagen dem Wind und der Sonne hinterherfahren können – im dynamischen Betrieb, aber aus Kos­tengründen trotzdem mit optimalen Wirkungsgraden. Wenn ein Gasturbinenkraftwerk in Zukunft nicht mehr 5 000 Stunden im Jahr läuft, sondern nur noch 500 oder 1 000 Stunden, müssen wir lernen, es trotzdem kostengünstig zu betreiben.

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innovationen auf DeM vorMarscH

Wissenschaftler und Ingenieure kennen ver­schiedene Wege, um den Ausstoß von Koh­lendioxid zu senken. Sie „verfüttern“ das Klima­gas an Algen, nutzen es zur Produktion von synthetischem Erdgas und erproben, wie sich fossiler Brennstoff noch besser ausnutzen lässt. Vier Projekte illustrieren die Anstrengun­gen für Forschung und Entwicklung.

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Die Brennstoffzelle galt lange als teure Spitzentechnik, die am ehes­ten für militärische Zwecke und für die Raumfahrt in Frage kam. Jetzt setzt die Technologie in Heizungskellern zum Sprung in den Massenmarkt an: Der größte deutsche Praxistest „Callux“ soll die Alltagstauglichkeit beweisen. An diesem vom Bund geförderten Projekt beteiligen sich bundesweit unter anderem Energieversorger wie die Mannheimer MVV Energie.

Das Brennstoffzellen­Heizgerät wandelt Erdgas zuerst in ein wasserstoffreiches Prozessgas um. Daraus entstehen in einem elektrochemischen Vorgang hocheffizient und sehr leise Strom und Wärme. Im Normalbetrieb deckt die Anlage den Wärmebe­darf des Hauses komplett und erzeugt bis zu 60 Prozent des be­nötigten Stroms. Heißes Wasser und Heizwärme speichert das System. An besonders kalten Tagen springt ein Zusatzbrenner an.

Anderen Heiztechniken sind Brennstoffzellen vor allem in Bezug auf Treibhausgas­Emissionen überlegen. Gerade im größten Ziel­markt, den unsanierten Ein­ und Zweifamilienhäusern, lassen sich so spürbare Vorteile für den Umwelt­ und Klimaschutz erzie­len. Die Markteinführung ist ab 2015 zu erwarten. Für Handwerker starten rechtzeitig Schulungsprogramme. Da viele Fachbetriebe bereits Erfahrungen mit Mini­Blockheizkraftwerken und anderen Strom erzeugenden Heizungen auf Motorenbasis gesammelt ha­ben, müssen die Installateure kein grundlegend neues Know­how aufbauen.

HigHtecH für Den Heizungskeller BrEnnstoffzEllE

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„Power to Gas“ könnte eines Tages einen wesentlichen Beitrag leis­ten, um überschüssigen Strom aus Solar­ und Windkraftanlagen zu speichern. Sind innovative Elektrolyseure und die heute ver­fügbaren Katalysatoren für diesen Einsatz geeignet? Kann das CO2 aus Braunkohlenkraftwerken zur Erzeugung von Erdgas genutzt werden? Antworten auf diese Fragen erforscht RWE Power mit ei­ner Versuchsanlage im Innovationszentrum Kohle im nordrhein­westfälischen Niederaußem.

Die gesamte Power­to­Gas­Anlage besteht aus einem Elek­trolyseur und einem Katalysator­Teststand. Beide Teilanlagen sind in einem handelsüblichen Container installiert. Der Elektrolyseur nutzt überschüssigen Strom, um Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen. Aus dem Wasserstoff ent­steht dann durch Reaktion mit CO2 Methan, der Hauptbestand­

teil von Erdgas. Dieser Prozess erfordert spezielle Katalysatoren, die sich im Dauerbetrieb bewähren müssen. Das Kohlendioxid stammt aus dem Rauchgas des benachbarten Braunkohlenkraft­werks.

Aufgrund der Zunahme der regenerativen Stromerzeugung wird es immer wichtiger, überschüssige Elektrizität für sonnen­lose und windarme Phasen zu speichern. Synthetisches Erdgas ist dabei eine interessante Option: Es lässt sich in das bestehende Erdgasnetz einspeisen und ist dort bei Bedarf sofort verfügbar.

Alternativ kann die Versuchsanlage aus Wasserstoff und Kohlendioxid auch Methanol erzeugen. Methanol ist ein wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie.

auf DeM Weg zuM grossversucH PoWEr to gas

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Eine dauerhaft gesicherte Strom­ und Wärmeversorgung auf der Basis von Windenergie ist möglich – diesen Nachweis soll das Wasserstoff­Hybridkraftwerk, an dem u. a. Vattenfall beteiligt ist, im praktischen Betrieb erbringen. Erstmals werden dafür Wind, Wasserstoff und Biogas im Verbund genutzt.

Den Strom erzeugen drei Windräder. Bei hohem Wind­aufkommen und gleichzeitig geringer Stromnachfrage wird die Energie genutzt, um per Elektrolyse aus Wasser Wasserstoff zu gewinnen. Das entlastet das Stromnetz. Besteht hingegen bei Windstille großer Strombedarf, produziert ein Blockheizkraft­werk mit Unterstützung von Biogas aus dem „Windwasserstoff“ Strom und Wärme. So können Prognose­Ungenauigkeiten besser ausgeglichen werden.

Die Anlage im brandenburgischen Prenzlau kann rund um die Uhr Strom ins Netz einspeisen – Windkraft wird grundlastfähig. Damit bewältigt das Hybridkraftwerk eine der zentralen Herausforderun­gen bei der Integration der erneuerbaren Energien in die deutschen und europäischen Systeme.

Der Wasserstoff aus der Anlage wird nicht nur im Blockheiz­kraftwerk verfeuert. Ein Teil der Produktion geht an Berliner Was­serstofftankstellen. In den Tanks von Pkw und Bussen ermöglicht das chemische Element eine vollkommen CO2­freie Mobilität.

Die Investitionssumme für das Hybridkraftwerk beläuft sich auf rund 10 Millionen Euro. Das Land Brandenburg und das Bundes­verkehrsministerium fördern das Pionierprojekt.

WinDstroM runD uM Die uHr hyBriD-kraftWErk

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Chlorella sorokiniana hat einen Riesenappetit auf Kohlendioxid: Die Mikroalge vertilgt und bindet doppelt so viel Klimagas, wie sie selbst wiegt. Um Erfahrungen mit dieser Form von CO2­Umwand­lung („Carbon Capture and Conversion“) zu sammeln, hat die Mainova AG gemeinsam mit der Justus­Liebig­Universität Gießen auf dem Dach eines Frankfurter Steinkohlenkraftwerks eine Ver­suchsanlage installiert.

Das halboffene System funktioniert ähnlich wie ein Ge­wächshaus. Die Algen schwimmen in einer stickstoff­ und phos­phorhaltigen Nährlösung. Der Dünger, das eingeleitete Rauchgas aus dem Kraftwerk und das Sonnenlicht regen die Wasserpflanzen zu rasantem Wachstum an. Dabei binden die mit bloßem Auge kaum sichtbaren Gewächse bis zu 95 Prozent des im Rauchgas enthaltenen Kohlendioxids.

Die wissenschaftliche Unterstützung kommt von der Gießener Universität. Beispielsweise halfen die Forscher bei der Auswahl der richtigen Algenart. Chlorella sorokiniana nutzte das Gas aus dem Frankfurter Kraftwerkskessel am besten aus und machte das Rennen.

Geerntet wird die Biomasse durch ein innovatives Flotati­onsprinzip; hierbei wird die Algenmasse durch Luftblasen an die Wasseroberfläche getragen und kann abgeschöpft werden. Das Material ist vielseitig verwendbar: Biogas ließe sich daraus ebenso herstellen wie Biokohle zur Mitverfeuerung. Zudem können hoch­wertige Fette für die Futtermittel­ und Kosmetikindustrie gewon­nen werden.

Das Pilotprojekt soll langfristig untersuchen, inwieweit Algenzuchten zur Reduktion des CO2­Ausstoßes konventioneller Kraftwerke beitragen können. Ein Manko heutiger Verfahren ist allerdings der verhältnismäßig hohe Flächenbedarf.

co2 als PflanzennaHrung algEnzucht

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innovative erDgas-tecHnologien nEuE gErätE noch EnErgiEsParEnDEr

Erdgas Ein zuverlässiger

Energieträger

Power to GasErdgas als Speicher

für Erneuerbare

Bio-ErdgasUmweltschonende

erneuerbare Energie

Erdgas als KraftstoffUmweltschonende Mobilität

mit Bio­Erdgas im Tank

Mikro-KWK-HeizgerätGleichzeitig Strom und

Wärme erzeugen

Brennstoffzellen-Heizgerät Strom und Wärme in Zukunft elektrochemisch produzieren

Gas-Brennwertgerät mit Solarnutzung

Sonnenenergie erwärmt das Wasser, unterstützt die Heizung

GaswärmepumpeNutzung von Umweltwärme

Eine große Bandbreite von modernen und effizienten Erdgastechnologien trägt schon heute erheblich zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wärme- und Mobilitätsmarkt bei.

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» einer Muss Die verant-Wortung für Das netz tragen.«

Dr. erik lanDeckist Geschäftsführer der Vattenfall Europe Distribution Berlin GmbH und der Vattenfall Stromnetz Hamburg GmbH. In beiden Gesellschaften verantwortet er das Ressort Strategie. Im BDEW engagiert er sich als Sprecher des Gremiums „Smart Grid“.

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Herr Dr. Landeck, die BDEW-Roadmap wirbt für intelligente-re Verteilnetze. Grob gesagt betrifft das die Netze, die in den Städten und auf dem Land den Strom zum Endverbraucher bringen. Wieso besteht hier Handlungsbedarf?

Dr. erik lanDeck Wir können bei der Steuerung der Netze nicht mehr mit denselben Mechanismen arbeiten wie früher. Ers­tens haben wir viel mehr Erzeugungsanlagen als in der Vergan­genheit. Zweitens besteht eine viel höhere Durchdringung mit Photovoltaik­ und anderen Anlagen, die unregelmäßig einspei­sen. Insgesamt gesehen wachsen die erneuerbaren Energien deut­lich schneller, als die Branche die Netze ausbauen kann. Diese Rah­menbedingungen sorgen dafür, dass sich das Betriebsregime ändern muss.

Gilt das überall in Deutschland?

lanDeck Wir müssen zwischen den verschiedenen Netzen dif­ferenzieren. Netzbetreiber, die auf dem Land mehr regenerative Einspeisung bewältigen müssen, stehen vor ganz anderen Proble­men und Herausforderungen als Betreiber der Netze in großen Städten. Dort spielt die Einspeisung aus erneuerbaren Energien eine geringere Rolle, die Situation ist stärker durch die bisherigen Kunden und zum Beispiel viele Minikraftwerke und deren Einfluss auf die zukünftigen Verbrauchsstrukturen geprägt.

Sie sprachen eben von Mechanismen, die sich ändern müssen. Wo gibt es heute Defizite?

lanDeck Welche Steuerungsmechanismen man anwenden kann, hängt ab von der Kommunikations­Infrastruktur, den vor­handenen Informationen und von den Eingriffsmöglichkeiten. Das ist wie beim Autofahren: Sie brauchen eine Windschutzscheibe und einen Tachometer, damit Sie die Richtung und die Geschwin­digkeit erkennen können. Dann brauchen Sie Apparaturen zum Lenken, Gasgeben und Bremsen. In den Übertragungsnetzen gibt es solche Systeme schon seit längerer Zeit, in den unteren Spannungs­ebenen der Verteilnetze waren sie bisher nicht erforderlich. Aber jetzt sind wir auch dort aktiver.

Sind die nötigen Instrumente denn überhaupt schon verfüg-bar und praxistauglich?

lanDeck Der BDEW und der Zentralverband der Elektrotech­nik­ und Elektronikindustrie haben vor einem Jahr eine Liste von verfügbaren energiewirtschaftlichen und elektrotechnischen Komponenten zusammengestellt. Dabei hat sich herausgestellt: Es gibt bereits eine ganze Menge Dinge, die wir heute schon einbauen können, zum Beispiel regelbare Ortsnetzstationen für mehr Flexi­bilität in der Spannungshaltung. Aber es gibt auch zahlreiche Komponenten, die erst noch entwickelt werden müssen. Gleich­wohl greift diese Überlegung zu kurz. Denn ein Smart Grid

Der BDEW hat im Februar 2013 die Roadmap „Realistische Schritte zur Umsetzung von Smart Grids in Deutschland“ vorgestellt. Dieser Fahrplan identifiziert drei Marktpha­sen und schlägt zehn konkrete Schritte vor. Der erste Ab­schnitt, die Pionier­ und Auf­bauphase, soll bereits Ende kommenden Jahres beendet werden. Der Vattenfall­Mana­ger Dr. Erik Landeck, Sprecher des BDEW­Gremiums „Smart Grid“, erklärt Hintergründe und Herausforderungen.

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entsteht nicht dadurch, dass wir ein paar Geräte und Anlagen aus tauschen. Mindestens ebenso wichtig ist eine den neuen Rah­menbedingungen angepasste Marktordnung.

Was stört Sie an der jetzigen Praxis?

lanDeck Beispielsweise belohnt das heutige System Flexibili­tät nicht. Der Betreiber einer regenerativen Erzeugungsanlage be­kommt für seinen Strom immer dasselbe, egal wann er einspeist. Im Smart Grid benötigen wir aber gerade Flexibilität und sollten sie deshalb honorieren. Und das bedeutet mehr, als nur Börsenpreise für den eingespeisten Strom einzuführen. Nehmen Sie die Aufga­ben des Verteilungsnetzbetreibers in einer entflochtenen Energie­wirtschaft: Das Steuern von Erzeugung und Verbrauch sowie der Einkauf von Flexibilität sind in seiner Rollenbeschreibung heute nicht enthalten. Das aktuelle regulatorische Modell in Deutschland erfasst diese Bereiche kaum – für ein Smart Grid müssten wir in die­sen Sektoren Änderungen am Marktmodell einführen und als ers­ten Schritt ganz praktische Versuche und Pilotprojekte motivieren.

Die BDEW-Roadmap setzt ja bei den rechtlichen und regula-torischen Rahmenbedingungen an …

lanDeck Der erste der zehn empfohlenen Schritte soll Regeln schaffen, die das Zusammenwirken von Markt und Netz abhängig vom Systemzustand regeln. Das sogenannte Ampelkonzept defi­niert die Systemzustände „grün“, „gelb“ und „rot“. In der grünen Phase ist alles in Ordnung, hier kann der Markt für die Optimierung des Systems sorgen. Gerät das Netz aber in den roten Bereich, muss der Netzbetreiber eingreifen, um die Versorgungssicherheit zu er­halten. In der gelben Phase müssen Markt und Netzbetreiber zu­sammen agieren, um wieder in den grünen Bereich zu kommen.

Wie könnte das aussehen?

lanDeck Wir haben in Hamburg einen Versuch durchgeführt, um die gelbe Phase besser zu verstehen. In einem Netzbezirk mit relativ vielen kleinen Blockheizkraftwerken haben wir mit den Be­treibern vereinbart, dass ihre Anlagen zum Zeitpunkt der Höchst­belastung des Netzes – etwa zwischen 16 und 20 Uhr – Strom ein­speisen sollen. Wir haben dabei drei Dinge gelernt: Erstens war es möglich, diese zeitliche Verlagerung der Einspeisung zu schaffen. Zweitens konnten wir die Netzlast deutlich reduzieren. Und drit­tens: Es scheint sich wirtschaftlich kaum zu rechnen. Denn dem Mehraufwand für die Flexibilisierung der Einspeisung standen nur sehr geringe Einsparungen bei den erforderlichen Netz­Investitio­nen gegenüber.

In der Theorie soll aber gerade dieser Mechanismus, also das Einkaufen von Flexibilität durch den Netzbetreiber, den teu-ren Ausbau der Netze zumindest begrenzen. Kann man aus

Ihren Hamburger Erfahrungen den Schluss ziehen, dass ein Smart Grid wirtschaftlich gar keine Alternative zu neuen Lei-tungen ist?

lanDeck Zum jetzigen Zeitpunkt ist es sehr schwierig zu sa­gen, wie viel die Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch wert ist und wie viel konventionellen Netzausbau sie verzögern oder sogar vermeiden kann. Dieses Verhältnis müsste erst genau bewer­tet werden. Ohnehin glaube ich nicht, dass ein intelligenteres Netz insgesamt billiger wird. Richtiger wäre wohl: Es wird weniger teuer. Der Umbau der Energiewirtschaft wird zwangsläufig zu Mehraus­gaben führen. Smart­Grid­Technologien werden helfen, diesen Kostenanstieg zu begrenzen!

Wenn es so viele Unsicherheiten und offene Fragen gibt – wa-rum investieren die Netzbetreiber dann nicht mehr in For-schung und Entwicklung, um neue Antworten zu finden?

lanDeck Ich kenne viele Netzbetreiber, die hier sehr aktiv sind. Beispiel Smart Meter, welche verpflichtend bei bestimmten Kun­dengruppen einzubauen sind. An der Entwicklung der ersten Gerä­te haben sich etliche Unternehmen beteiligt. Mehr Zurückhaltung besteht allerdings bei Forschungs­ und Entwicklungsaktivitäten, bei denen die Rechtslage – insbesondere bezogen auf die Verant­wortlichkeiten für eine spätere Einführung – noch unklar ist. Denn im Moment können die Unternehmen ihren Forschungs­ und Ent­wicklungsaufwand nicht wie Netzbetreiber in anderen europäi­schen Ländern in die Netzentgelte kalkulieren. Diese Kosten werden bei der Festsetzung der Entgelte durch den Regulierer nicht ausrei­chend berücksichtigt. Meines Erachtens sollten wir uns hier zu­künftig an unseren europäischen Nachbarn orientieren, welche beispielsweise Forschung und Entwicklung im Rahmen von Fonds­modellen anreizen. Damit ließen sich unter anderem mehr Pilot­projekte durchführen, in denen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Aufgaben im Smart Grid dem Netzbetreiber zu übertragen sind und was dem Markt überlassen werden sollte.

Wie lautet Ihre Prognose für die künftige Rollenverteilung im intelligenten Verteilnetz?

lanDeck Ich glaube, dass es jemanden geben muss, der die Verantwortung für das System hat. Das sollten die Netzbetreiber sein, die in ihrer Rolle diskriminierungsfrei als Dienstleister und „enabler“ für Smart Grid agieren. Wettbewerblich orientierte Marktteilnehmer können diese Verantwortung kaum übernehmen. Es wird zwischen den Übertragungs­ und Verteilungsnetzbetrei­bern engere Absprachen geben und dabei werden die Verteilungs­netzbetreiber weitere Verantwortung erhalten. Wettbewerblich ori­entierte Marktteilnehmer werden mit „smarten Produkten“ in der Phase der „grünen Ampel“ aktiv sein. Und Flexibilität muss ange­reizt werden.

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Herr Dr. Breuer, RWE untersucht in mehreren Modellprojek-ten, wie das Stromnetz der Zukunft aussehen und gesteuert werden könnte. Welche Erkenntnisse haben Sie bisher ge-wonnen?

Dr. anDreas breuer Ich kann das am Beispiel unseres Pro­jekts Smart Country im rheinland­pfälzischen Kreis Bitburg­Prüm erläutern. Das Areal ist rund 170 Quadratkilometer groß. Unsere Versuche zeigen: Wir brauchen keine flächendeckende Verände­rung, wir müssen nicht jede Ortsnetzstation austauschen und über­all Sensoren installieren. Als Netzbetreiber haben wir analysiert, welche Probleme für die Infrastruktur bei der Integration insbeson­dere von Photovoltaik und Windkraft auf der Mittel­ und Nieder­spannungsebene entstehen, und an den neuralgischen Punkten angesetzt. Denn auf der einen Seite müssen wir die Spannungsqua­lität sicherstellen, auf der anderen Seite für eine optimale Netzaus­lastung sorgen.

Ist die nötige Technik schon verfügbar?

breuer Technologisch ist das Ganze keine Quantenphysik. Bei­spielsweise haben wir einen Speicher für das auf einem Bauernhof erzeugte Biogas mit einem Blockheizkraftwerk gekoppelt: Wenn zu wenig Leistung aus Photovoltaik oder Windkraft im Netz ist, pro­duziert die Anlage Strom und Wärme. Liefern die erneuerbaren Energien genügend Strom, wird das Kraftwerk heruntergefahren und das Biogas gespeichert. Wir nutzen also existente Technologie, verwenden sie im Verteilnetz und übertragen anschließend die ge­sammelten Erfahrungen in unsere konzernweiten Planungs­ und Betriebsgrundsätze.

Herr Noske, was können die Stadtwerke Hannover daraus für ihren Netzbetrieb lernen?

HaralD noske In einem städtischen, eng vermaschten Netz mit ganz anderen Gebäude­ und Kundenstrukturen haben wir bei weitem nicht so viel dezentrale Erzeugung. Dementsprechend stellt sich die Frage nach einem Smart Grid völlig anders, nämlich in einer

eine frage Der PersPektiveLeistungsfähige Verteilnetze sind eine Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende – darüber besteht weitge­hend Einigkeit. Große Hoffungen ruhen auf einer intelligen­teren Steuerung der regionalen und lokalen Stromnetze. Sind die Erwartungen an solche „Smart Grids“ realistisch? Ein Konzernvertreter und ein Stadtwerke­Manager über erste Erfahrungen und offene Fragen.

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Dr. anDreas breuerleitet den Bereich Neue Technologien/Projekte bei der RWE Deutschland AG. RWE beteiligt sich federführend an verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten im Energiesektor.

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HaralD noskeist technischer Direktor und Vorstandsmitglied der Stadtwerke Hannover AG. Das Unternehmen zählt zu den großen kommunalen Akteuren auf dem deutschen Energiemarkt.

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um mindestens eine Größenordnung geringeren Dimension. Na­türlich müssen auch wir für ein ausgeglichenes und möglichst im­mer und überall konstantes Spannungsniveau sorgen. Dazu brau­chen wir in erster Linie den flexiblen Ortsnetz­Transformator. Ergänzt durch ein wenig mehr Mess­ und Automatisierungs­Tech­nik sind wir dann im Grunde schon am Ziel. Und die Netzstützung durch verbrauchsnah positionierte und flexibel betreibbare Heiz­kraftwerke, die alle vom Netzbetreiber benötigten Systemdienst­leistungen bereitstellen, haben wir bereits.

Heißt das, städtische Netze benötigen gar nicht so dringend mehr eingebaute Intelligenz?

noske Ich meine, dass wir in der Vergangenheit bewusst sehr robuste Systeme gebaut haben. Wenn wir jetzt über smarte Systeme der Zukunft reden, dann klingt das für mich erst mal nach einer sehr sensibel und feinteilig auszusteuernden Welt. Da frage ich mich, ob wir nicht lieber weiter auf Robustheit setzen sollten. Da­mit sorgt man im Zweifel eher für Versorgungssicherheit im Sinne einer verlässlichen Funktion der Netze als mit aktiver Feinsteue­rung.

Ein Grundgedanke des Smart Grid ist die Steuerung des Ver-brauchs, das sogenannte Demand Side Management. Wie viel kann dieses Instrument zur Sicherheit des Netzbetriebs bei-tragen?

breuer Das untersuchen wir gerade auf europäischer Ebene. Das Projekt heißt Demand Response in Industrial Production, kurz DRIP. Verlässliche Ergebnisse haben wir noch nicht, aber wir erwar­ten wesentlich größere Effekte als in den privaten Haushalten.

noske Ich halte das Aktivieren von Potenzialen für Demand Side Management vor allem in der Industrie für eine lohnende Auf­gabe. Man darf aber auch dieses Instrument nicht überschätzen. Übrigens hatten wir das schon einmal: Anfang der Neunzigerjahre war der Einkauf von Spitzenlast für uns sehr teuer, deshalb haben wir Abschaltpotenziale bei Kunden akquiriert. Bei Bedarf hat unse­re Netzleitstelle dann beispielsweise Antriebe von Lüftungsanlagen und Klimageräte in diesen Betrieben gezielt vorübergehend vom Netz genommen. Nach der Liberalisierung konnten wir den Kun­den dafür nichts mehr bezahlen, weil Leistung keinen Preis mehr hatte; deshalb wurde das eingestellt. Aber die neue Abschaltverord­nung besagt ja, dass Betriebe Geld erhalten können für das Unter­brechen ihrer Prozesse. Das könnte funktionieren.

Herr Dr. Breuer, Sie haben gerade angedeutet, dass in den Pri-vathaushalten durch Demand Side Management nur geringe Effekte zu erzielen sind. Wie kommen Sie darauf?

breuer Im Rahmen des Modellprojekts „E­DeMa“ hat RWE in Mülheim an der Ruhr intelligente Stromzähler mit bidirektionaler Kommunikation in Betrieb genommen. Unter anderem wollten wir herausfinden, welche Flexibilitäten es im Haushaltsbereich über­haupt gibt und wo Lasten sich verschieben lassen. Eine Erkenntnis war, dass es im Regelfall drei oder vier Prozent theoretisches Ver­

schiebepotenzial gibt. Die andere lautet: Die eingesetzte Technolo­gie – etwa für die Ansteuerung von Geräten und für das Erfassen von Daten – hat sich bewährt. Wir werden sie jetzt für Versuche im Gewerbe­ und Industriesektor einsetzen.

noske Wenn man überlegt, dass die Haushalte nur 30 Prozent des deutschen Strombedarfs aufnehmen, dann ergibt sich aus Ihren Zahlen aufs Ganze gesehen vielleicht ein theoretisches Potenzial von einem Prozent. Ein Prozent von der Netzlast wären etwa 700 Megawatt, und dafür müssten wir Millionen von Haushalten mit den sogenannten Smart Metern ausrüsten und die Stromkunden dauerhaft und verlässlich zur Lastverschiebung anhalten. Aus mei­ner Sicht könnten wir dasselbe Maß an Flexibilität wesentlich billi­ger und gesichert bereitstellen, indem wir schlicht ein paar Spit­zenlast­Gasturbinen mit dieser Leistung bauen.

Stichwort Smart Meter: Welche Perspektive sehen Sie für in-telligente Zähler in Privathaushalten?

breuer Aus der Sicht des Netzbetreibers brauchen wir keine flächendeckende Installation von Smart Metern, um unser Smart Grid aufzubauen. Wo aber Smart Meter vor Ort bereits in Betrieb sind, werden wir sie nach Möglichkeit nutzen, um Verbrauchsinfor­mationen für die Steuerung des Netzes zu erhalten. In Mülheim an der Ruhr waren die Teilnahme am Projekt und der Einbau des Smart Meter übrigens freiwillig. Natürlich hätten wir eine andere Lage, wenn die Nutzung dieser Geräte gesetzlich vorgeschrieben würde.

noske Meiner Einschätzung nach werden wir uns gemeinsam mit der Bundesnetzagentur darauf besinnen, dass das Geschäft der Netzbetreiber am Hausanschluss endet. Heute haben wir noch die Verantwortung für den Zähler, aber das ändert sich gerade: Mess­dienstleistungen und der Messstellenbetrieb sind liberalisiert, der Netzbetreiber hat nicht mehr unmittelbar damit zu tun. Die Haus­installation inklusive Smart Meter wird dann eher ein Betätigungs­feld für den intelligenten Vertrieb sein.

Der Netzbetrieb ist reguliert, das bedeutet, Sie können den Aufwand für Pilotprojekte und neue Technik nicht ohne Wei-teres über den Preis weitergeben. Was erwarten Sie von der Politik?

noske Wir brauchen ein innovationsförderndes Regulierungs­regime …

breuer … das wir heute aber noch nicht haben. Wenn ich neue Technologien einbauen möchte, brauche ich die Rahmenbedingun­gen, die mir eine Refinanzierung sicherstellen. Wir benötigen stär­kere Anreize für Forschung und Entwicklung. Da gibt es noch viele Ansatzpunkte, denn wir müssen beispielsweise Marktmechanis­men beschreiben, Geschäftsmodelle und Regelwerke entwickeln. Die Großunternehmen können sich das punktuell leisten, aber es fehlt das koordinierte Vorgehen.

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Mit dem neuen Forschungs- und Innovationsrahmenpro-gramm „Horizont 2020“ versucht die Europäische Kommis-sion, die europäische Forschungsförderung massiv aufzu-stocken und die Förderung stärker strategisch auszurichten. Was sind die Erfahrungen aus dem bisherigen Forschungs-rahmenprogramm, was soll sich ändern?

robert-Jan sMits „Horizont 2020“ wird durchgreifende Re­formen bei der Förderung auf europäischer Ebene mit sich brin­gen, Bürokratie abbauen und Wachstum und Beschäftigung för­dern. Wenngleich „Horizont 2020“ auch weiterhin auf hervorragende Forschung in Europa setzt, so legen wir nun einen größeren Schwerpunkt auf Innovation und wirtschaftliche Aus­wirkung. Konkret bedeutet dies, dass wir mehr marktnahe Aktivi­täten fördern werden. Hierzu zählen auch Pilotmaßnahmen und Demons tratoren. Dies wird die Grundlagenforschung auf Welt­klasse­Niveau, die wir beispielsweise durch den Europäischen Forschungsrat fördern, ergänzen.

Unternehmen, unter ihnen auch deutsche Unternehmen, haben frühere Förderprogramme zu Recht als zu bürokratisch kri­tisiert. Unser Vorschlag für „Horizont 2020“ führt zu einer wirkli­chen Vereinfachung. Wir wollen Bürokratie generell abbauen und die Wartezeiten für Förderentscheidungen verkürzen. Darüber hinaus wollen wir mehr tun, um sowohl im privaten als auch im

öffentlichen Sektor Innovationen zu fördern. Wir wollen, dass die öffentliche Auftragsvergabe in Europa dafür genutzt wird, um In­novationen zu ermutigen und zu honorieren.

In welchen Bereichen werden Sie korrigieren und wie? Wie viel Geld wird im Bereich Energiewende aufgewendet?

sMits Wir wollen uns stärker für Europas führende Rolle im Industriesektor einsetzen, insbesondere bei denjenigen Technolo­gien, die für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von ent­scheidender Bedeutung sind. Hierbei verfolgen wir auch einen herausforderungsorientierten Ansatz, denn wir sind zu der Auf­fassung gelangt, dass einige unserer gesellschaftlichen Ziele eine sektorenübergreifende Forschung und Maßnahmen sowohl auf der Seite der Nachfrage als auch des Angebots notwendig machen.

Eine der Herausforderungen, die wir für „Horizont 2020“ herausgearbeitet haben, ist das Streben nach ‚sicherer, saube­rer und effizienter Energie‘. Dies bedeutet natürlich erneuerbare Technologien, aber auch die effizientere Nutzung konventioneller Energiequellen und Maßnahmen zur Reduzierung des Verbrauchs, wie beispielsweise ökologische Gebäude. Wir haben außerdem mehr Forschung zur effizienten Ressourcennutzung vorgeschla­gen. Hierzu zählt auch die Bewirtschaftung von Süßwasser. Die Diskussionen über den endgültigen EU­Haushalt sind noch nicht

Ab 2014 soll das Programm „Horizont 2020“ alle forschungs­ und innovationsrelevanten Förderprogramme der Europäi­schen Kommission zusammenführen. Es soll Bürokratie ab­bauen und für Wachstum und Beschäftigung sorgen. Das große Ziel, so Robert­Jan Smits, Generaldirektor bei der Euro­päischen Kommission: sichere, saubere und effizi ente Energie.

» Wir Wollen büro kratie abbauen unD scHneller entscHeiDen.«

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abgeschlossen, man kann jedoch davon ausgehen, dass es im EU­Haushalt für die nächsten sieben Jahre 25 Prozent mehr Geld für Forschung und Innovation geben wird.

Sie erhoffen sich für „Horizont 2020“ ein Budget in Höhe von ca. 80 Milliarden Euro. Wie groß ist die Chance, dass Sie das Geld auch bekommen werden? Wie steht es um die Budget-verhandlungen? Was hält manche Finanzminister davon ab, Ihnen Geld zu geben? Wie verhält es sich mit Deutschland?

sMits Es ist als ermutigendes Zeichen zu werten, dass die politi­schen Führer der EU in ihrem Haushaltsvorschlag vom Februar den Beitrag, den „Horizont 2020“ zu mehr Wachstum und Beschäfti­gung leisten kann, hervorgehoben haben. Ich weiß, dass dies in Ber­lin ebenfalls zur Kenntnis genommen wird. Auf der Sitzung des EU­Rates im Februar wurde kein Betrag für „Horizont 2020“ angegeben. Wir müssen zunächst einmal das Ende der Verhandlungen zwi­schen dem Europäischen Parlament und dem Rat abwarten. Erst dann werden wir einen konkreten Betrag haben. Die wirtschaftliche Situation ist nicht einfach, aber ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können, Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu verlie­ren, und eine Verstärkung der Forschung und Innovation ist hierfür unerlässlich.

Energiekommissar Oettinger hat für das Frühjahr 2013 die Vorlage eines Strategiepapiers zum Thema Energietechnolo-gien und Innovation angekündigt und zur Vorbereitung vor kurzem eine öffentliche Konsultation durchgeführt. Auch der BDEW hat sich daran beteiligt. Wie ist die Arbeit der Ge-neraldirektion Energie einzuordnen?

sMits Wenn wir die EU­Ziele für das Jahr 2020 im Bereich Klima(schutz) und Energie erreichen wollen, besteht die dringen­de Notwendigkeit, hochleistungsfähige, kostengünstige und mit wenig CO2­Ausstoß verbundene Energietechnologien auf den Markt zu bringen. Sämtliche Kommissionsdienststellen ziehen hier an einem Strang.

Im Energiebereich gilt ein Durchbruch bei Speichertechno-logien als wesentlicher Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft, sei es mit Blick auf die Integration von immer mehr fluktuierender Stromerzeugung sowie mit Blick auf Elek-tromobilität. Wie können aus Ihrer Sicht in diesem Bereich Fortschritte erzielt werden? Welche Rolle spielen neue Spei-chertechnologien wie Power to Gas?

sMits Es ist klar, dass die Energiespeicherung, sei es nun mit Hilfe von Batterien oder Großtechnologien wie Power to Gas, un­erlässlich ist, um Energie zu verwalten, die zunehmend aus fluk­tuierenden erneuerbaren Quellen stammt. Die Speichertechnolo­gien müssen jedoch in Bezug auf Effizienz, Kosten und Umweltverträglichkeit deutlich verbessert werden. Wir unter­stützen bereits Forschung in diesen Bereichen und auch im Rah­men von „Horizont 2020“ wird dies auf unserer Tagesordnung stehen. Die Frage der Speichertechnologien bildet jedoch nur ei­nen Teil des größeren Bildes „Energiesystem“. Wir müssen das wirtschaftliche Argument für Speichersysteme entwickeln und gesetzliche oder verwaltungsrechtliche Hindernisse für ihre Ver­

wertung angehen. Darüber hinaus muss das Handeln auf europäi­scher Ebene nationale Anstrengungen ergänzen und Beiträge auf Gebieten leisten, die von nationalen Programmen nicht abgedeckt werden können. Hierzu zählen große Forschungs­ und Demons­trationsprojekte, die Lösungen so weit testen und bestätigen, dass diese vom Markt aufgegriffen werden können.

In der Forschung sind Frauen immer noch unterrepräsen-tiert. Was ist Ihr Plan?

sMits „Horizont 2020“ umfasst eine Regelung zur effektiven Förderung der Geschlechtergleichstellung und zur ausdrückli­chen Einbeziehung der Gleichstellungsdimension in Forschung und Innovation. So etwas gab es in einem europäischen For­schungsprogramm bisher noch nie. Wir arbeiten auch gezielt da­ran, dass Mädchen und junge Frauen Forschung, Innovation und Wissenschaft als Karrieremöglichkeit ins Auge fassen. Die Euro­päische Kommission kann jedoch nicht isoliert arbeiten und Frau­enförderung allein ist nicht ausreichend. Wir wollen einen Kul­turwandel und eine Modernisierung der Forschungseinrichtungen erreichen und fordern die Mitgliedsstaaten auf, die Hindernisse, auf die Frauen bei ihrem beruflichen Vorankommen in der For­schung treffen, abzubauen.

Es scheint in Europa eine kritische Einstellung zu neuen Technologien zu geben. Dies scheint beispielsweise auch Car-bon Capture and Storage (CCS) oder Fracking zur Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten zu betref-fen. Was bedeutet dies für die Entwicklung von Innovationen in Europa? Fällt Europa hinter den Rest der Welt zurück? Was kann die Europäische Kommission unternehmen?

sMits Die Europäer sind sehr aufgeschlossen, was neue koh­lenstoffemissionsarme Technologien im Bereich erneuerbare Energien anbelangt. In anderen Teilen der Welt wird auf diesem Gebiet ebenfalls stark investiert. Wir sind jedoch bei diesen Tech­nologien immer noch weltweit führend und wir werden alles da­ransetzen, dass dies so bleibt. Wie Sie festgestellt haben, gibt es innerhalb der Mitgliedsstaaten unterschiedliche Einstellungen zu anderen Technologien, wie beispielsweise die Ausbeutung von unkonventionellen Gaslagerstätten. CCS ist sicher nicht das All­heilmittel, aber diese Technologie kann sicher die Umweltfolgen von fossilen Brennstoffen in der Zeit abmildern, die wir brauchen, um den Übergang in eine kohlenstoffemissionsarme Zukunft zu schaffen. Europa ist im Bereich CCS­Technologie weltweit füh­rend. Forschung kann zeigen, dass eine sichere und langfristige unterirdische Speicherung von CO2 möglich ist, und sie kann ef­fektive Wege entwickeln, um die Risiken zu reduzieren. Die EU­Förderung muss sich mehr denn je zuvor auf Maßnahmen mit maximaler Wirkung und maximalem Mehrwert konzentrieren.

robert-Jan sMitsist Generaldirektor für Forschung und Innovation bei der Europäischen Kommission.

PersPektive euroPa strEitfragEn 01|2013 33

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Herr Remmel, das Wasserbenchmarking-Projekt Nordrhein-Westfalen geht nunmehr in die fünfte Runde. Zeit, Bilanz zu ziehen: Was hat das Wasserbenchmarking den Unternehmen und der Allgemeinheit gebracht, welche Erfahrungswerte und Veränderungen haben sich aus dem Wasserbenchmar-king ergeben?

JoHannes reMMel Das von der nordrhein­westfälischen Landesregierung initiierte und jetzt in der fünften Runde wieder mit abzusehender hoher Beteiligung durchgeführte Benchmar­king bietet den Wasserversorgungsunternehmen in NRW bei ih­rer weitgehend eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung einen wertvollen Maßstab zur objektiven Einschätzung der Unter­nehmensleistung sowie Hilfen zum Erkennen von Verbesserungs­potenzialen und bei der Definition von Optimierungsmaßnah­men. Ein Unternehmen, das die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse umsetzt, profitiert davon zunächst einmal unmit­telbar selbst. Darüber hinaus ist es für ein solches Unternehmen dann auch einfacher, in einer eventuellen kartellrechtlichen Preis­untersuchung seine Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund des geforderten Wasserpreises darzulegen.

Das Wasserbenchmarking dient aber auch dazu, die Allgemein­heit und die Kunden an der Umsetzung dieser Optimierungen zu beteiligen.

Welche Potenziale und Perspektiven sehen Sie für die Weiter-entwicklung des Wasserbenchmarkings?

reMMel Es sind mehrere Dinge, die bei der Optimierung des Benchmarkings in NRW im Vordergrund stehen.

Da ist zunächst die Beteiligung am Prozess. Die Beteili­gung in NRW ist bezogen auf die abgegebene Wassermenge der öffentlichen Wasserversorgung mit mehr als 85 Prozent ganz her­vorragend. Allerdings wird diese Menge von lediglich 104 Unter­nehmen abgegeben und damit von rund einem Viertel der öffent­lich­rechtlichen und privatrechtlichen Unternehmen.

Eine Steigerung der Teilnehmeranzahl, besonders im Be­reich kleinerer, in der Regel kommunaler Unternehmen, wäre wün­schenswert und auch für diese Unternehmen hilfreich und wertvoll.

Als Zweites ist da die Einbeziehung der Umwelt­ und Res­sourcenkosten. Die Diskussion ist nicht zuletzt durch die Um­setzung der EU­Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wieder aufge­kommen. Die Forderung der WRRL nach einer grundsätzlichen Kostendeckung der Wasserpreise beinhaltet nicht zuletzt auch die Umwelt­ und Ressourcenkosten. Die Einbeziehung dieser Kos­ten in den Kostendeckungsbegriff steht auch in unmittelbarem

NRW­Wirtschaftsminister Garrelt Duin und sein Kabinetts­kollege Johannes Remmel aus dem Umweltressort skizzieren ihre Vorstellungen und laden die Branche zur Mitwirkung ein.

bencHMarking vs. kartellverfaHren

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Zusammenhang mit der Diskussion um die Wasserpreisbildung. Es kann und darf nicht sein, dass derartige Kosten in der Wasser­preisbildung nicht berücksichtigt werden dürfen.

Und nicht zuletzt ist die Vergleichbarkeit der unterschiedli­chen Benchmarks in den Bundesländern von Bedeutung. Ein ein­heitliches oder zumindest an einheitlichen Kriterien ausgerichtetes Benchmarking, dessen Kriterien nicht an Ländergrenzen Halt ma­chen, wäre eine lohnenswerte Aufgabe für die Zukunft.

Macht es für die nordrhein-westfälischen Wasserversor- gungsunternehmen überhaupt noch Sinn, an dem Benchmar-king der Landesregierung teilzunehmen, nachdem jetzt eine kartellrechtliche Prüfung des Wasserpreises in einem nord-rhein-westfälischen Wasserversorgungsunternehmen durch das Bundeskartellamt stattfindet?

garrelt Duin Benchmarking und kartellrechtliche Wasser­preisüberprüfung sind zwei grundsätzlich verschiedene Instru­mente mit unterschiedlichen Grundlagen und Wirkungen. Wäh­rend das Benchmarking ein freiwilliger brancheninterner und anonymisierter Leistungsvergleich ist, sind kartellrechtliche Preis prüfungen Instrumente zum Vollzug geltenden Rechts. Bei­des kann daher nicht in einem Entweder­oder­Verhältnis gesehen

werden. Dementsprechend hat die Landesregierung anlässlich der Präsentationen der nordrhein­westfälischen Benchmarking­Ab­schlussberichte in den letzten Jahren immer wieder darauf hinge­wiesen, dass auch die Teilnahme an dem Benchmarking ein Unter­nehmen nicht zwangsläufig vor einer kartellrechtlichen Preisprüfung bewahren kann, wenn ein Verdacht missbräuchli­cher Preisbildung vorliegt.

Benchmarking ist in der Branche anerkannt als Instrument zur Schaffung von Transparenz und zur Identifikation von individuellen Optimierungspotenzialen. Kann die regelmä-ßige Teilnahme am Benchmarking Wasserversorgung NRW die Rechtfertigung angemessener Wasserpreise im kartell-rechtlichen Sinn entscheidend unterstützen?

Duin Soweit ein Wasserversorgungsunternehmen in den Ver­dacht überhöhter Preise gerät, können die strukturierten Daten, die im Rahmen des Benchmarkings erhoben wurden, im Rahmen kartellrechtlicher Prüfungen hilfreich sein. Das haben wir in den Benchmark­Berichten auch immer betont. Tatsächlich sind die in­dividuellen Benchmarkberichte in Beschwerdefällen eine gute Ba­sis für die Energiekartellbehörde, die Preisbeschwerde zu prüfen – mit Zahlen, Daten und Fakten, die unabhängig erhoben wurden. In einem konkreten Fall etwa konnte ein Unternehmen in NRW seine Wasserpreiserhöhung mit einem Investitionsbedarf begrün­den, der sich im Benchmarking gezeigt hatte, und damit den kar­tellrechtlichen Anfangsverdacht einer missbräuchlichen Preis­gestaltung erfolgreich ausräumen.

Im Übrigen unterliegen die Ergebnisse dem Verschwie­genheitsschutz, der von der das Benchmarking durchführenden Rechtsanwaltskanzlei sichergestellt wird. Die Daten aus dem Benchmarking werden von der Energiekartellbehörde nur beim Unternehmen selbst erhoben.

Das Bundeskartellamt hat im Rahmen seines derzeit in NRW durchgeführten Verfahrens von den Unternehmen unter an-derem auch die Individualberichte aus dem Benchmarking-Projekt abgefragt. Ist das zulässig und werden dadurch nicht Teilnehmer aus dem Projekt schlechter gestellt als Unterneh-men, die nicht teilnehmen?

Duin Das Argument einer Schlechterstellung zieht deshalb nicht, weil die Kartellbehörden ohnehin alle Möglichkeiten ha­ben, sich die erforderlichen Informationen vorlegen zu lassen oder zu beschaffen. Die Weiterleitung der Individualberichte aus

garrelt Duinist Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Vor seinem Wechsel nach Düsseldorf war er wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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dem Benchmarking erweitert also nicht die Informationspflich­ten der Unternehmen, sondern kann im Gegenteil sogar den Infor­mationsaustausch erleichtern. Daher handelt es sich aus meiner Sicht für die Unternehmen sogar eher um ein effizienteres Vorge­hen, da die notwendigen Daten nicht noch einmal extra erhoben werden müssen.

Dasselbe gilt auch für diejenigen Unternehmen, die ledig­lich zur Auskunfterteilung im Rahmen eines gegen ein anderes Unternehmen gerichteten Verfahrens aufgefordert werden. Sie können mit ihrem individuellen Benchmarkbericht der Aus­kunftspflicht Genüge tun, ohne weiteren Aufwand zu betreiben.

Das Verfahren, das derzeit in NRW für Diskussionen sorgt, ist von der Energiekartellbehörde an das Bundeskartellamt abgegeben worden. Gehen Sie davon aus, dass das ein Einzel-fall bleibt, oder besteht die Absicht, diese Art des Vorgehens künftig zu wiederholen?

Duin Die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger gegen Wasserpreise sind von der Energiekartellbehörde immer in eige­ner Zuständigkeit geprüft worden.

Die Abgabe von kartellrechtlichen Verfahren an das Bundes­kartellamt ist grundsätzlich kein ungewöhnliches Vorgehen, son­dern wird durchaus häufiger praktiziert – auch in anderen Bun­desländern bei Wasserpreisprüfungen. Da das Bundeskartellamt

sich bereits eine Datengrundlage geschaffen und Erfahrung in Wasserpreisprüfungen hat, gab es fachlich keine Bedenken gegen die Abgabe.

Mit anderen Worten: Die Wasserversorger in NRW müssen sich auf weitere Abgaben der Energiekartellbehörde auf das Bundeskartellamt einstellen?

Duin Die Landeskartellbehörde kann weder wissen noch ge­zielt darauf Einfluss nehmen, ob das Bundeskartellamt weitere Anfragen zur Abgabe von Verfahren stellen wird oder nicht. Wir haben allerdings gelernt, dass es den nordrhein­westfälischen Wasserversorgern lieber gewesen wäre, wenn die Landeskartellbe­hörde sie geprüft hätte. Diese Botschaft haben wir aufgenommen und verstanden.

Die Anforderungen an das Trinkwasser sind in der maßgeb-lichen Trinkwasserverordnung größtenteils nur als Mindest-anforderungen formuliert. Neben der Pflicht zur Einhaltung dieser Grenzwerte haben die Unternehmen zusätzlich das Minimierungsgebot zu beachten. Danach müssen sie im Interesse der gesundheitlichen Vorsorge zusätzliche An-strengungen unternehmen, die Grenzwerte weiter zu unter-schreiten, um sie dauerhaft einhalten zu können. Wie kann sichergestellt werden, dass die dadurch den Wasserversor-gungsunternehmen entstehenden Kosten im Rahmen einer kartellrechtlichen Preisprüfung nicht als missbräuchlich be-wertet werden?

reMMel Die Landesregierung ist in hohem Maße daran inte­ressiert, dass die Investitionen der Wasserwirtschaft in den vor­sorgenden Gesundheitsschutz zur Erhaltung einer Wasserversor­gung auf dem schon erreichten hohen Niveau auch künftig fortgesetzt und weiterentwickelt werden. So werden beispielswei­se derzeit als Vorsorgemaßnahme erhebliche Mittel in den Stand der Technik der Wasserversorgung an der Ruhr investiert. Dies sind von allen Beteiligten vereinbarte gute, sinnvolle und gewollte Maßnahmen.

Die Einhaltung der Trinkwasserverordnung durch die Was­serversorgungsunternehmen unterliegt der Überwachung durch die Gesundheitsämter. Diese sind vor Ort auch zuständig, um für die Einhaltung des Minimierungsgebotes zu sorgen. Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der Grundsätze der Einheitlich­keit der Landesverwaltung ist es grundsätzlich nicht vorstellbar, dass die von einer staatlich zuständigen Stelle im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Ermessensausübung geforderten oder befürwor­

JoHannes reMMelsitzt seit 1995 für die Grünen im nordrhein-west-fälischen Landtag. 2010 trat er als Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in die Landesregierung ein.

36 strEitfragEn 01|2013 WasserWirtscHaft

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teten Aufwendungen von einer anderen Stelle prinzipiell in Frage gestellt werden. Die Landesregierung will diese Investitionen in die Vorsorge und Sicherheit beim Trinkwasser ausdrücklich.

Die nordrhein-westfälische Wasserwirtschaft investiert ne-ben der Gesundheitsvorsorge auch erhebliche Mittel in den generationenübergreifenden nachhaltigen Schutz der natür-lichen Trinkwasserressourcen und den Umweltschutz. Dazu gehören neben verursacherbezogenen Maßnahmen wie der aktiven Vermeidung und Verhinderung von Umwelt- und Ressourcenschäden, etwa bei den Anstrengungen zur Redu-zierung von Schadstoffeinträgen, auch Maßnahmen zur Ver-besserung der allgemeinen Umweltbedingungen, wie zum Beispiel flächendeckender Gewässerschutz über die Koope-ration der Wasserwirtschaft mit der Landwirtschaft, Grund-wasseranreicherungen und Aufwendungen für Monitoring und Forschung. Weiter sind auch dazuzurechnen Investitio-nen in eine langfristige Versorgungssicherheit durch Vorhal-tung von Anlagenkapazitäten und präventive Wartung des Verteilungsnetzes. Jede einzelne dieser Investitionsentschei-dungen setzt voraus, dass sichergestellt ist, dass die dadurch verursachten Kosten auch in einem kartellrechtlichen Ver-fahren anerkannt werden.

reMMel Die nordrhein­westfälische Landesregierung begrüßt die erheblichen Anstrengungen der Wasserwirtschaft für den Umwelt­ und Gesundheitsschutz. Dies hat besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass in NRW ein weit über dem Bundes­durchschnitt liegender Prozentsatz des Trinkwassers aus Oberflä­chenwasser und nicht aus Grundwasser gewonnen wird. Die Lan­desregierung hat daher ein hohes Interesse daran, dass es den Wasserversorgungsunternehmen weiterhin möglich ist, diese Aktivitäten auch künftig unvermindert fortzusetzen.

Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser hat sich von der technischen Seite mit der Thematik der Einbeziehung notwen­diger Investitionen in die öffentliche Wasserversorgung befasst und dabei in einem Papier, das von der Umweltministerkonferenz verabschiedet wurde, klargestellt, dass es keine Diskussion darum geben darf, notwendige Investitionen – auch wenn sie dem vor­beugenden Schutz und der präventiven Wartung und Erhaltung dienen – bei der Wasserpreiskalkulation gebührend zu berück­sichtigen.

Die von der Wasserwirtschaft angebotene konzeptionelle Wei­terentwicklung des bestehenden Kennzahlenvergleichs könn­te helfen, diese vorsorgenden Leistungen der Wasserversorger im Benchmarking darzustellen und deren Besonderheiten auch im Rahmen einer kartellrechtlichen Aufsicht Rechnung zu tra­gen. Daher begrüßen wir den Ansatz des UBA­Berichts­Entwurfs „Ökologische und hygienische Kennzahlen im Benchmarking der Wasserversorgung – Empfehlungen aus Sicht des Gewässer­ und Gesundheitsschutzes“ als eine Erweiterung des bislang auf die Ef­fizienz und Transparenz der Wasserversorgung gerichteten Fokus des Benchmarkings um einen aus unserer Sicht wichtigen Aspekt. Die nordrhein­westfälische Landesregierung wird sich daher gerne an der Entwicklung der zur Verfolgung dieser gemeinsamen Ziele erforderlichen Maßnahmen beteiligen. Weitere Voraussetzung ist, dass dem Benchmarking im Rahmen eines Kartellverfahrens eine Nachweisfunktion zugedacht wird. Über ein entsprechend erweitertes Benchmarking mit Einbeziehung von ökologischen Kennzahlen könnten dann auch diese qualitativen Leistungen der Unternehmen messbar gemacht und nachgewiesen werden.

Ein wesentlicher Einwand der Wasserbranche gegen die bis-lang nach dem Vergleichsmarktprinzip durchgeführten Kar-tellpreisverfahren ist die weitestgehende Nichtberücksichti-gung der Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekte. Auch der Bundesgerichtshof hat dieses Vorgehen als zulässig bestä-tigt. Gibt es eine Möglichkeit, diese Qualitäts- und Sicher-heitsaufwendungen der Unternehmen so in ein Verfahren zu integrieren, dass es bei einer kartellrechtlichen Missbrauchs-kontrolle entlastend berücksichtigt werden kann?

Duin Die Landesregierung hat ein großes Interesse daran, dass die verschiedenen Leistungen der Wasserversorgungsunterneh­men zum vorsorgenden Gewässer­ und Gesundheitsschutz, die diese zu einem erheblichen Teil in eigenverantwortlicher Wahr­nehmung ihrer Aufgaben ohne konkrete Rechtspflicht umsetzen, auch künftig erbracht werden. Dies wäre gefährdet, wenn die Un­ternehmen befürchten müssten, dass die verpflichtenden Quali­tätsanforderungen im Rahmen einer kartellrechtlichen Miss­brauchsprüfung nicht entlastend berücksichtigt und daher die entsprechenden Kosten dafür nicht anerkannt würden. Bei der Nachrüstung der Wasserwerke an der Ruhr haben wir uns ja auch schon entsprechend geäußert.

reMMel Die Landesregierung zieht hier an einem Strang. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass not­wendige Investitionen – und zwar auch solche zur Vorbeugung – in Frage gestellt werden.

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Mit dem BGH-Urteil in Sachen Calw steht der Kartellbehör-de für eine kartellrechtliche Missbrauchsprüfung neben dem bislang praktizierten Vergleichsmarktprinzip auch das Instrument der Kostenprüfung zur Verfügung. Entsprechen-des sieht der geplante § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB (neu) vor. Sieht die nordrhein-westfälische Kartellbehörde das Verfahren der Kostenprüfung als besser geeignet als das Vergleichsmarkt-prinzip, um die Aufwendungen der Wasserversorgungsun-ternehmen für vorsorgende Maßnahmen des Gewässer- und Umweltschutzes sowie der Gesundheitsvorsorge zu berück-sichtigen?

Duin Beide Verfahren – das Vergleichsmarktprinzip wie die Kostenprüfung – haben ihre kartellrechtliche Berechtigung. Die Kartellbehörde wird in jedem Preisprüfungsverfahren zu ent­scheiden haben, welches sie anwendet. Das Vergleichsmarktprin­zip ist bei Wasserpreisprüfungen an seine Grenzen gestoßen. Das haben die Kartellbehörden erkannt. Allerdings gibt es auch Unter­nehmen, die auf einer Vergleichsmarktprüfung bestehen.

Die Kosten der Wasserversorgung für verpflichtende Maß­nahmen des vorsorgenden Gesundheits­, Umwelt­ und Ressour­censchutzes können natürlich über eine Kostenprüfung besser abgebildet werden.

In der kartellrechtlichen Rechtsprechung sowie im geplan-ten § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB (neu) ist vorgesehen, dass jedenfalls diejenigen Kosten der Wasserversorger anzuerkennen sind, die bei einer rationellen Betriebsführung anfallen. Kann die-ser Nachweis über eine Kalkulation entsprechend dem im April 2012 von BDEW und VKU vorgestellten Leitfaden zur Wasserpreiskalkulation geführt werden, der eine betriebs-wirtschaftlich fundierte Grundlage für die Ermittlung der Gesamtkosten darstellt?

Duin Der Leitfaden zur Wasserpreiskalkulation gibt den Un­ternehmen Empfehlungen, wie sich Kosten herleiten, ermitteln und darstellen lassen, die für die eigene Kalkulation der Wasser­preise relevant sind. Damit behandelt der Leitfaden zugleich we­sentliche Elemente der Darstellung der Kosten, wie sie auch in ei­nem kartellrechtlichen Verfahren zu erbringen sind. Gleichzeitig trägt er dazu bei, die Kosten eines Wasserversorgers transparent und nachvollziehbar darstellen zu können, auch bei einer kartell­rechtlichen Wasserpreisprüfung. Gemeinsam mit dem Bench­marking können notwendige Nachweise gegenüber den Kartell­behörden erbracht werden.

Sinnvoll ist, das Benchmarking um Elemente zu ergänzen, auf deren Basis Unternehmen auf behördliche Anfragen und Prüfungen im Rahmen der Preisaufsicht zielgerichtet antworten können. Die Landesregierung begrüßt deshalb den Leitfaden zur Wasserpreiskalkulation und wünscht zur Fortentwicklung beider Instrumente einen konstruktiven und ergebnisoffenen Dialog.

Ist vor diesem Hintergrund des bisherigen Gesprächs fol-gende These aus Sicht der Kartellbehörde perspektivisch vorstellbar: „Wenn ein Unternehmen eine nachvollziehbare Kalkulation der Wasserpreise entsprechend dem Leitfaden vorlegt und durch Benchmarkingergebnisse belegt, dass es aktiv an einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess arbeitet, kann dann vermutet werden, dass die geforderten Wasserpreise nicht missbräuchlich sind“? Duin Natürlich kann es keine formalisierte pauschale Aner­

kennung von Wasserpreisen durch eine Behörde geben. Es ist aber denkbar, dass künftig über eine Kostenkalkulati­

on nach dem weiterzuentwickelnden Leitfaden und eine erfolgrei­che Teilnahme an dem weiterentwickelten Benchmarking zusam­men die Höhe des jeweiligen Wasserpreises mit rechtfertigender Wirkung nachgewiesen werden kann.

Klarstellungen, wie bestimmte Fallgestaltungen durch die Kartellbehörden behandelt werden und welche Nachweise als Rechtfertigung für vermutete überhöhte Kosten geeignet sind, können auch die Wirksamkeit und Transparenz der Preisaufsicht erhöhen. Die Preisprüfungen können dann effizient und zügig durchgeführt werden, indem die synergetischen Effekte genutzt werden. Hierfür ist allerdings noch ein intensiver Dialog zwischen allen Beteiligten darüber erforderlich, welche Voraussetzungen dafür noch zu erfüllen sind und wie das konkret ausgestaltet wer­den könnte.

Welche konkreten Schritte stehen aus Ihrer Sicht aktuell an, um den nordrhein-westfälischen Weg weiter konstruktiv zu beschreiten?

reMMel Aus Sicht der Landesregierung sollte zunächst ein­mal jede emotionale Schärfe aus der Diskussion genommen wer­den. Sie behindert möglicherweise den erforderlichen sachorien­tierten Dialog, der ausdrücklich von allen Seiten gewünscht wird. Dazu gehört auch, dass die Unternehmen in NRW jetzt nicht aus Verunsicherung oder Trotz heraus dem Benchmarkingprojekt NRW fernbleiben. Dies könnte Zweifel am ernsthaften Bemühen um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess entstehen las­sen. Dann sollte man sich zusammensetzen und besprechen, wel­che Optimierungen oder zusätzlichen Instrumente notwendig sind. So hat sich schon jetzt die Notwendigkeit einer engen Ver­zahnung von Benchmarking und Kostenkalkulation gezeigt. Die Weiterentwicklung der Verfahren und ihres Zusammenwirkens sollte daher gefördert und unterstützt werden.

Hierzu bietet die Landesregierung eine aktive Mitwirkung an dem von der BDEW­Landesgruppe NRW vorgeschlagenen „Runden Tisch“ an.

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Die Wasserversorgungsunternehmen in Nordrhein­Westfalen sind bislang weit­gehend von den Folgen der bundesweiten Diskussion über Wasserpreise und deren Kontrolle verschont worden, die vor allem durch Gerichtsurteile, Aktivitäten einzel­ner Kartellbehörden sowie Forderungen nach Regulierung der Branche geprägt wird. Denn in NRW nehmen viele Was­serversorger regelmäßig an dem von den Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Inneres durchgeführten Benchmarking teil. Mehr als 85 Prozent der abgegebenen Wassermenge werden dadurch erfasst.

Eine Preisuntersuchung des Bun­deskartellamts gegen ein Unternehmen in NRW hat jedoch bei vielen Wasserversor­gern die Frage aufgeworfen, ob eine wei­tere Teilnahme an diesem Benchmarking

keine schützende Wirkung vor solchen Verfahren hat und daher noch sinnvoll ist. Sorge bereitet den Unternehmen ins­besondere die Unsicherheit, ob die er­heblichen Kosten der von ihnen bislang freiwillig erbrachten Leistungen zum ge­nerationenübergreifenden vorsorgenden Gewässer­ und Gesundheitsschutz im Rah­men von Kartellverfahren nach dem Ver­gleichsmarktprinzip wegen der damit ver­bundenen Beweislastumkehr vollständig anerkannt werden. Sie sehen in der vom Bundesgerichtshof nunmehr als Alternati­ve anerkannten Kostenprüfung einen bes­seren Weg. So könnten im Rahmen dieser Prüfung, ob die Wasserentgelte die Kosten

Die NRW­Wasserwirtschaft diskutiert, in welchem Umfang sie künftig noch vorsorgenden Gewässer­ und Gesundheits­schutz betreiben kann. Dr. Peter Asmuth von den Aachener Stadtwerken wünscht sich Klarheit.

Dr. Peter asMutHist seit 2007 Technik-Vorstand der Stadtwerke Aachen AG. Davor war er bei verschiedenen Stadtwerken als Geschäftsführer oder Vorstand tätig. Er ist Vorsitzender der BDEW-Landes-gruppe NRW.

unsicHerHeit bereitet unterneHMen sorge

in unangemessener Weise überschreiten, eine erfolgreiche Teilnahme am Bench­marking sowie ein Wasserpreis, der sich an dem von der Branche vorgelegten Kalku­lationsleitfaden orientiert, einen kartell­rechtlich zu prüfenden Missbrauchsver­dacht ausräumen.

Angesichts der bereits eingetretenen Verunsicherung benötigt die nordrhein­westfälische Wasserwirtschaft konkrete Aussagen und Rahmenbedingungen dazu, wie auch künftig sowohl ihre Investitionen in den vorsorgenden Gewässer­ und Gesund­heitsschutz als auch die mit dem Benchmar­king verbundenen Verbesserungspotenziale für die Unternehmen im Interesse ihrer Kun­den weiter möglich bleiben.

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