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Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
Grundlagen, Erfahrungen, Perspektiven
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet die Redaktion teilweise auf eine Genderschreibweise. Die Verwendung der weiblichen oder der männlichen Form bezieht das jeweils andere Geschlecht sowie die Transgender-Form mit ein.
Es scheint, als stünden in der »Begleiteten Elternschaft« die Grundrechte von Eltern mit Beeinträchtigungen den Grundrechten ihrer Kinder gegenüber. Zumindest befinden sie sich in einem verwickelten Verhältnis: Während die einen laut Grundgesetz, Artikel 3 Abs. III Rechte und Pflichten der Elternschaft besitzen, gilt für die anderen das Recht auf freie Entfaltung und eine unversehrte Entwicklung, so verankert im Grundgesetz, Artikel 2 Abs. I, II.
Doch können Eltern, die kognitiv beeinträchtigt sind, ihre Kinder gut erziehen? Und können Kinder bei Eltern mit Lern- und häufig auch anderen Schwierigkeiten wirklich sicher und gedeihlich aufwachsen? Diese Fragen markieren die zwei Pole eines Balanceakts, dem sich die in der Begleiteten Elternschaft Tätigen tagtäglich stellen müssen. Erschwert wird ihre Arbeit dadurch, dass die Hilfen, die diese Familie benötigen, aus unterschiedlichen Hilfesystemen stammen.
Dieses Themenheft fasst grundlegende Aspekte und Erfahrungen aus vielen Jahren Praxis zusammen und formuliert Ausblicke, wie man die Kombinationshilfe »Begleitete Elternschaft«, einem relativ jungen Feld innerhalb der Sozialen Arbeit, ausgestalten und weiterentwickeln kann – und muss.
Silke Ihden-Rothkirch
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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0. Vorworte 4 › Personenzentrierung,Sozialraumorientierung,TeilhabeplanungundHilfen(wie) auseinerHandDr. Gabriele Schlimper 4 › ElternmitBehinderungen–nochimmernichtselbstverständlichundgleichberechtigt Ulrike Pohl, Anna Zagidullin 4 › IneigenerSacheRedaktionsteam 5
1. Begleitete Elternschaft – Herkunft... Markus Kurrle, Annette Vlasak 6 › AnfängeundGrundlagen 6 › DatenzurGeschichte 7 › Begriffe,BedeutungundAbgrenzung 8
2. Was ist eigentlich Begleitete Elternschaft? Bettina Blankmann 10 › Flexible»verzahnte«HilfenfürElternundKinder 10
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke Eckart Nebel 13 › BegleiteteElternschaftalsNetzwerkarbeit 13 › BeteiligteInstitutionen,PersonengruppenundSchnittstelleninderBegleitetenElternschaft 17 ›WerdendeElternmitLernschwierigkeiten 18
4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen Anette Gaffron, Melanie Weiland 19 › LebensweltmitRisiken 19 › ElternbleibenEltern–auchbeiTrennungvomKind 20 › ElternundKindermitBeeinträchtigungen 25
5. Anforderungen an die Fachkräfte Antje Wilhelm 27 › KompetentundfitinzweiFachbereichen 27 6. Forschungsbeiträge und Studien Annegret Simon-Sack 31 ›BegleiteteElternschaft–ForschungausEngagement 31
7. ...und Zukunft Markus Kurrle, Annegret Simon-Sack 33 › BegleiteteElternschaftimZeitalterderInklusion 33 › DienächstenSchritte 35
8. Materialien und Links 36 Autorenverzeichnis 38
Impressum 39
Inhalt
Inhalt
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Personenzentrierung, Sozialraumorientierung, Teilhabeplanung und Hilfen (wie) auseinerHand
SehrgeehrteDamenundHerren,liebeLeserinnenundLeser,
imArbeitskreis»BegleiteteElternschaft«desParitätischenLandesverbandesBerline.V.habensichvor ungefähr drei Jahren insbesondere diejenigenMitgliedsorganisationen zusammengeschlossen,dieinihrertäglichenArbeitMütterundVätermitgeistigerBeeinträchtigungundderenKinderunter-stützen.ZielderArbeit ist,dassauchMenschenmitBeeinträchtigungenselbstbestimmteinenAll-tagalsFamilie,alsMütterundVäterlebenkönnenundihreKinderuntergutenBedingungenheran-wachsen.ZurGeschichtedesArbeitskreisesunddesThemenheftes:Zunächstist2016–unterdemDachderReferateJugendhilfeundMenschenmitBehinderungen–einEmpfehlungspapier»BegleiteteEltern-schaft«entstanden,dasZielgruppenundFinanzierungsmodellebeschreibtsowieersteEmpfehlun-genzurUmsetzunggibt.Mit demnun vorliegendenThemenheft steigt der engagierteArbeitskreistiefer indas ThemaeinundbeleuchtetHistorie,Praxis,gesellschaftlicheRahmenbedingungenundkünftigeHerausforderun-gen:Personenzentrierung,Sozialraumorientierung,TeilhabeplanungundHilfen(wie)auseinerHandsindhierdieStichworte.DamithatderArbeitskreis»BegleiteteElternschaft«schonjetzteinenwich-tigenBeitraggeleistetzudenFachdiskussionen imRahmenderUmsetzungdesBundesteilhabege-setzes und zur Reform des Achten Sozialgesetzbuches. Dafür danke ich denMitstreiterinnen undMitstreiterndesArbeitskreises»BegleiteteElternschaft«ganzherzlichundwünschedemThemen-heftweiteVerbreitungundinteressanteDiskussionenzumWohlederKinderundElternmitBeein-trächtigung.LassenSiesicheinfachbeimLesendesThemenheftsinspirieren!
IhreDr.GabrieleSchlimper,GeschäftsführerindesParitätischenLandesverbandesBerline.V.
ElternmitBehinderungen–nochimmernichtselbstverständlichundgleichberechtigt
SehrgeehrteLeserinnenundLeser,
1977 erschien ein Buch mit dem Titel »Sollen, können, dürfen Behinderte heiraten?«. In diesemBuch,das»soallgemeinverständlichgeschrieben ist,dassesauchBehindertenempfohlenwerdenkann«,gingesumFragenwie»WenninEhenBehinderterkeineKindergeborenwerden,wasdann?«oder»DieHeiratBehinderterausderSichtderMoraltheorie«.Vielesistindiesen41Jahrenpassiert.DiewohlwichtigstegesetzlicheundgesellschaftlicheVerände-rungwardieRatifizierungderUN-KonventionüberdieRechtevonMenschenmitBehinderungenimJahre2009durchDeutschland,dieaufderAllgemeinenErklärungderMenschenrechtefußt.InderUN-KonventionheißtesinArtikel23(1):»DieVertragsstaatentreffenwirksameundgeeigneteMaß-nahmen…umzugewährleisten,dassa)dasRechtallerMenschenmitBehinderungenimheiratsfä-higenAlter,aufderGrundlagedesfreienundvollenEinverständnissesderkünftigenEhegatteneine
0. Vorworte
0. Vorworte
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
50. Vorworte
EhezuschließenundeineFamiliezugründen,anerkanntwird.«Doch erhalten Eltern mit Behinderungen schon dadurch mehr gesellschaftliche Anerkennung alsfrüher?Auch41JahrenachErscheinendesobengenanntenBuchessindElternmitBehinderungennoch immernicht selbstverständlichundgleichberechtigt,auchwennsich schonvielesgetanhat.JüngstesBeispiel isteinArtikel1mitdemTitel»Mama?DarfeineFraumiteinemGendefekteinenSohnbekommen?«.DieseReportageerhieltdenzweitenPreisbeim»ReportagepreisfürjungeJour-nalisten«,derEnde2017mitUnterstützungderHeinrich-Böll-Stiftungvergebenwurde.DievorliegendeParitätischeBroschüre»BegleiteteElternschaft«gibteinenÜberblicküberrechtlicheRahmenbedingungendieserUnterstützungsformundzeigtanvielengutenBeispielen,wieBegleite-teElternschaftinderPraxisfunktionierenkann.Wirsinddavonüberzeugt,dasssieindenbevorste-hendenFachdiskussionenzurUmsetzungdesBundesteilhabegesetzesundderSGB-VIII-ReformeinguterAusgangspunktseinwird.
AnnaZagidullinFachreferentinJugendhilfe,Familie,FrauenundMädchen
UlrikePohlFachreferentinMenschenmitBehinderungen
IneigenerSache
ErsteinEmpfehlungspapierundnuneinThemenheft:Wir,dasRedaktionsteam,möchtenunsherz-lichbeimParitätischenBerlinfürdieseaufmerksameBegleitungunseresAnliegensbedanken.JedeArtderÖffentlichkeitsarbeittutgut,denndieverzahntenHilfenderBegleitetenElternschaftlassensichnurmiteinersolidenInformationsgrundlagenachvollziehen.NatürlichsinddieTrägerinderArtihrerLeistungserbringungunterschiedlich.DashabenwirindenFachgesprächen zum »Empfehlungspapier« und inzwischen imArbeitskreis Begleitete ElternschaftalsBereicherungerlebt.UndnatürlichistjederFalleinzigartig.DieKomplexitätderKonstellationenjedochbirgtdieeigentlicheHerausforderungfürLeistungsträger, -erbringerund-empfänger:ZweiodermehrElternteile,meistmehrereKinder,Nachbarn,Ärzte,Kita,Schule,zweiGesetzbücher,meh-rereÄmterundvielesmehr lassenkeineeinfachenAntwortenzu.Dochgeradedieeinfachen,ver-ständlichen,nachvollziehbarenWegeundLösungenbrauchendieElternmitLernschwierigkeiten.MitdemThemenheftmöchtenwir Ihnendahereindurchviele JahreErfahrung fundiertesWissenwieauchdieEinladungzuklaren,einfachenLösungswegennahebringen.
DasRedaktionsteam
1 Matthias Bolsinger: Mama? In: Spiegel online, 25.11.2017 www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/vererbte-behinderung-darf-eine-frau-mit-gendefekt-einen-sohn-bekommen-a-1173763.html
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Anfänge und Grundlagen
Die Geschichte dieses Themenfelds ist kurz: Es war in den 1990er Jahren, als die Universität Bre-men erstmals in Deutschland zum Thema »Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung« forschte.
Manversuchtezunächst,einenzahlenmäßigenÜberblickzuerhalten:DasältesteKindgeistigbehin-derterEltern,dasdieBremerUntersuchungen1nennen,wurde1934geboren.SeitdieserZeit–alsoauchwährenddesNationalsozialismus–sinddemnachElternschaftenvonMenschenmitgeistigerBehinderungnachgewiesen.DieDatenerfassungergabzudem,dass imbetrachtetenZeitraumfast40%derKinderbeimindestenseinemElternteillebtenundimmerhin25,3%beibeidenleiblichenEltern.InderfolgendenBeschreibungeinzelnerFamilienzeigtensichunterschiedlicheLebenswege.InmanchenSchilderungenvonFamiliengeschichtenistzuerkennen,dassdieElterninihrerEltern-schaft begleitet und unterstütztwurden, von derHerkunftsfamilie oder auch von professionellenUnterstützenden.Daherkannmandavonausgehen,dasses»BegleiteteElternschaft«schonlängergibt als diesen Begriff, dermaßgeblich von den Bremer Forscherinnen umUschi Pixa-Kettner ge-prägtwurde.
ZuerstwarenesvereinzelteAnbietervonsozialenDienstenfürMenschenmitBehinderungen–vorallem imnorddeutschenRaum–,dieeineprofessionelleUnterstützung leistetenundvonHilfesu-chendenausderganzenBundesrepublikangefragtwurden.ImJahr2002gründetensechsTrägerdieArbeitsgemeinschaftBegleiteteElternschaftinBremen.Diesetrugdazubei,dasssichimSprachge-brauchzunehmendderBegriffderBegleitetenElternschaftdurchsetzte.InderRegionBrandenburg-Berlingründetesichbereits imJahr2000eineAG,zunächstals»Fach-kreis Familienprojekte«; seit 2007 »Landesarbeitsgemeinschaft Begleitete Elternschaft Branden-
1. Begleitete Elternschaft – Herkunft...
1. Begleitete Elternschaft – Herkunft...von Markus Kurrle, Annette Vlasak
1 Ursula Pixa-Kettner, Stefanie Bargfrede und Ingrid Blanken: »Dann waren sie sauer auf mich, dass ich das Kind haben wollte ...«. Eine Untersuchung zur Lebenssituation geistig behinderter Menschen mit Kindern in der BRD. Hg. Der Bundesminister für Gesundheit. Nomos Verlag, Baden-Baden 1996
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
71. Begleitete Elternschaft – Herkunft...
burg-Berlin«, später zusätzlich der »Verein Begleitete Elternschaft Brandenburg-Berlin e.V.«, derFachtageundFortbildungenorganisiert.
EinegrößerepolitischeBedeutungbekamdasThema,nachdemdieUN-BehindertenrechtskonventionimArtikel 23 ausdrücklich festhielt, dassMenschenmit Behinderung selbst und frei darüber ent-scheidendürfen,obundwievieleKindersiebekommenmöchtenunddieVertragsstaatensichdazuverpflichteten,diedafürnötigenHilfenbereitzustellen2.
Daten zur Geschichte
Die folgende Zeittafel nennt einzelne bedeutende Entwicklungsschritte, die den Umgang mit Men-schen mit Behinderung in Berlin und Brandenburg – vor dem Hintergrund der gesamtdeutschen Entwicklung – geprägt haben und bedeutsam für die heutige Auseinandersetzung mit der Eltern-schaft von Menschen mit Lernschwierigkeiten waren.
› 1850ersteAnstaltenfürMenschenmitBehinderung,zumTeilbisheutebestehend (Beispielsiehewww.diakonie-stetten.de/ueber-uns/geschichte.html)› 1870ersteHilfsschulen› 1890Begriff»Rassenhygiene«alsVerbindungvonDarwinismusundkünstlicherAuslese› 1904Gründung»GesellschaftzurRassenhygiene«› 1933»GesetzzurVerhütungerbkrankenNachwuchses«› 1939Euthanasiebefehl(»Gnadentod«,»AktionT4«u.a.)– Ermordungvon»Geisteskranken«ausdenAnstalteninGaskammernundKliniken› 1950VerwahrungundPflegeweiterhinimVordergrund› 1958Gründungder»LebenshilfefürdasgeistigbehinderteKind«› 1962BundessozialhilfegesetzBSHGeinschließlichEingliederungshilfe› 1974»Schwerbeschädigtengesetz«wird»Schwerbehindertengesetz«› 1980NormalisierungsprinzipundIntegrationsgedanke› 1994GrundgesetzArtikel3:GleichstellungvonMenschenmitundohneBehinderung› 1996erstebundesweiteStudiezurElternschaftvonMenschenmiteinergeistigenBehinderung (UniversitätBremen)› 2002GründungderBundesarbeitsgemeinschaftBegleiteteElternschaft› 2008ausdem»ArbeitskreisFamilienprojekte«wirddie»Landes-Arbeits-Gemeinschaft BegleiteteElternschaftBrandenburg-Berlin«› 2008UN-BehindertenrechtskonventiontrittinKraft,2009RatifizierunginDeutschland› 2012Leitfaden»BegleiteteElternschaft«imBezirkLichtenberg› 2015Empfehlungspapier»BegleiteteElternschaft«(1.Auflage)› 2016Gründung»ArbeitskreisBegleiteteElternschaft«imParitätischenBerlin
2 Mit der Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) im Jahr 2009 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland zu »wirksame(n) und geeignete(n) Maßnahmen […] zur Beseitigung der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in allen Fragen, die Ehe, Familie, Elternschaft und Partnerschaft betreffen.« (Art. 23, Abs. 1) »Die Vertragsstaaten unterstützen Menschen mit Behinderungen in angemessener Weise bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung.« (Art. 23, Abs. 2) »In keinem Fall darf das Kind aufgrund einer Behinderung entweder des Kindes oder eines oder beider Elternteile von den Eltern getrennt werden.« (Art. 23, Abs. 4)
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Begriffe, Bedeutung und Abgrenzung
Gemäß Grundgesetz Artikel 3 Abs. 33 ist die Zugehörigkeit von Eltern zum Personenkreis von Men-schen mit Behinderung nach SGB IX § 2 Abs. 14 kein hinreichender Grund, die Fähigkeit, Eltern zu sein, in Frage zu stellen. Elternschaft an sich ist somit nicht unterscheidbar.
DiefolgendeBegriffsdifferenzierungistinersterLiniedenZwängeneinersteuerbarenAbrechnungs-systematik und in zweiter denunterschiedlichen fachlichenHerangehensweisen geschuldet. Spre-chenwir vonBegleiteterElternschaft,meinenwir immerElternschaft vonMenschenmitgeistigerBehinderung.WirfolgendamitdenEmpfehlungendesDeutschenVereins,zitiertausderVersioninLeichterSprache5:
»Begleitete Elternschaftsagtmandann,wennElternmitgeistigerBeeinträchtigungUnterstützungbrauchen.SiebekommenUnterstützung,damitsiewissen,wasihreKinderbrauchen.SosollenihreKinderbeiihnenlebenkönnen.DenKindernsollesannichtsfehlen.«
»Eltern-Assistenz sagtmandann,wenndieElternalles selbstplanenundentscheidenkönnen.EssindzumBeispielElternmiteinerKörper-Beeinträchtigung.SiebrauchennurwenigUnterstützung.DieseFamilienbekommenAssistenz.DieseLeistungenzahltdieEingliederungs-Hilfe.«Sowie:
»AuchEltern mit seelischer BeeinträchtigungbekommenUnterstützung.Aberdafürgibteskeinbe-stimmtesWort.IhreLeistungenregeltdasSozial-Gesetz-Buch5,kurz:SGBV.AbersiekönnenauchLeistungenvomSGBXIIundSGBVIIIbekommen.«
1. Begleitete Elternschaft – Herkunft...
3 www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html, abgerufen am 6.6.20174 www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__2.html, abgerufen am 6.6.20175 »Eine Empfehlung vom Deutschen Verein – So soll gute Unterstützung sein: für Eltern mit Beeinträchtigung und ihre Kinder – Erklärungen in Leichter Sprache«, DV 32/13, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V., Berlin 2014. S. 6
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
91. Begleitete Elternschaft – Herkunft...
UmMissverständnissezuvermeiden:BegleiteteElternschaftistkeinLeistungstyp.VielmehrhandeltessichumeinenRahmen,denTrägerzurVerfügungstellen,wennMenschenmitLernschwierigkei-tenElternwerdenodersind.DieserRahmenbestehtinderRegelauszweimiteinanderverzahntenLeistungen:zumeinendieLeistungderFamilienhilfenachSGBVIII§31–hieristdasKindfallbestim-mend,zumanderendieLeistungderEingliederungshilfenachSGBXII§53f.füreinenErwachsenenaufgrundseinerZugehörigkeitzumPersonenkreisvonMenschenmitBehinderungen.EsgibtkeineZwangsläufigkeit,dassdieErbringungeinerLeistungdieanderenachsichzieht.
DieErfahrungzeigt,dassverschiedeneAusgestaltungendiesesRahmensdemUnterstützungsbedarfentsprechenkönnen:› Eingliederungshilfefür(jeweils)einElternteil› SozialpädagogischeFamilienhilfe› Erziehungsbeistandschaftfür(jeweils)einKind› SozialpädagogischeFamilienhilfe+Erziehungsbeistandschaftfür(jeweils)einKind› Eingliederungshilfefür(jeweils)einElternteil+SozialpädagogischeFamilienhilfe
WeitereKombinationen–auchmitanderenLeistungserbringern–könnenebensodemBedarfent-sprechen.ZumBeispiel:Eltern(teil) ineinerbetreutenWohngemeinschaft+KinderineinerGruppenach§34SGBVIIIoderEltern(teil)+KindineinerMutter/Vater-Kind-Einrichtungnach§19SGBVIII,inderdieLernschwierigkeitenderElternbesondereBeachtungfinden.WirdalsoimRahmeneinerHilfe fürElternund ihreFamilienderBegriff»BegleiteteElternschaft«benutzt, sindsichdieFach-leutebewusst,dassangesichtsderLernschwierigkeitenderElterneinesorgsameAbstimmungderverschiedenenHilfenundeinesehrtransparenteVorgehensweisenotwendigsind.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Flexible »verzahnte« Hilfen für Eltern und Kinder
Begleitete Elternschaft ist eine flexible und bedarfsgerechte Unterstützung für Eltern mit geistiger Beeinträchtigung beziehungsweise Lernschwierigkeiten1 und deren Kinder, bei der Jugendhilfe in Form von Hilfen zur Erziehung (HzE) nach SGB VIII und Eingliederungshilfe als Betreutes Einzelwoh-nen (BEW) nach SGB XII2 »verzahnt« geleistet werden.
Vielfältig, differenziert – und am besten aus einer Hand!
DieFinanzierungsmodellevonBegleiteterElternschaftsindebensovielfältigwiederUnterstützungs-bedarfvonElternmitLernschwierigkeitenundderenKindern.BegleiteteElternschaftkannambulantoderstationärbeziehungsweiseineinerKombinationausbeidemerfolgen.ErfahrungsgemäßgelingtdieKombinationdieserHilfeartenambestenalsHilfeauseinerHand,dasheißtdurcheinen Träger.SokönneneineffizienterfachlicherAustauschfürdiebeteiligtenFachkräfteunddiepersonelleKon-tinuität fürdiebegleitetenFamilienambestengewährleistetwerden.Dabeihat sich zumeisteinepersonelleTrennungderLeistungserbringungbewährt.SiehilftsowohlElternalsauchFachkräften,dieunterschiedlichenAufträgederHilfenzudifferenzieren.
DieUnterstützungimRahmenderEingliederungshilfeisteineAssistenzleistungfürdieEltern–ohneexplizitenAuftragnachSGBVIII§8a.DemgegenüberunterstütztdieHilfezurErziehung(HzE)Elternin ihrer Erziehungskompetenz und hat dasWohl der Kinder imBlick – zwei unterschiedliche Leis-tungsbereichemitunterschiedlichenHilfeplänen.
»Am Anfang war das voll kompliziert für mich, ich hab das gar nicht so gecheckt – was was ist und wer kommt. Das war zu viel für mich. Aber jetzt weiß ich: Ich hab einen BEW-Betreuer und zwei Familienhelferinnen.« (Rückmeldung einer Mutter zu Beginn einer ambulant Begleiteten Elternschaft)
2. Was ist eigentlich Begleitete Elternschaft?
SGB VIII
Hilfen zur Erziehung
§§19, 30, 31,
34, 35a
SGB XII
BetreutesEinzelwohnen
(BEW) §§
53, 54
1 Aus Respekt vor den Forderungen der Selbstvertretungsbewegung People First (www.people1.de) wird in diesem Text nicht von »geistig behin- derten« Menschen gesprochen, sondern von Menschen mit Lernschwierigkeiten, die nach §§ 53, 54 SGB XII Anspruch auf Eingliederungshilfe haben. 2 Mit der Einführung des Bundesteilhabegesetzes wird die Eingliederungshilfe ab dem 01.01.2020 in das SGB IX §§ 90-150 überführt. Die Beschreibung des derzeitigen Leistungstyps Betreutes Einzelwohnen wird bis dahin überarbeitet. Hierfür werden derzeit neue Strukturen und Beschreibungen für das Land Berlin vorbereitet.
2. Was ist eigentlich Begleitete Elternschaft?von Bettina Blankmann
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
112. Was ist eigentlich Begleitete Elternschaft?
DieAusprägungenderHilfeninderPlanungundUmsetzungsindzwarunterschiedlich, jedochgibtes immeraucheineSchnittmenge.DerZustandderWohnungoderdie finanzielleVersorgungderFamiliekönnenThemensein,diesowohlinderEingliederungshilfealsauchinderHilfezurErziehungeineRollespielen.DieAusgestaltungderHilfenrichtetsichnachdenindividuellenBedarfenunddenRessourcenderElternundihrerKinder.Die jeweilsrelevantenThemenfeldersinddemzufolgesehrunterschiedlich.
NebenderHilfe imAlltag,zumBeispielbeibehördlichenAngelegenheiten,beimUmgangmitGeldoderbeimAufbauunddemErhalteinerHaushaltsstruktur, istdiepsychosozialeBegleitungderEl-ternhäufigbesonderswichtig.Vorrangigisthierbei,dieMütterundVäterinihrerElternrollezube-gleitenundzustärken.Siesollendiejenigenseinundbleiben,dieEntscheidungenfürsichundihreKindertreffen.AberauchdieUnterstützungbeidereigenenGesundheitssorge,beiderKlärungbe-ruflicherThemenoderimUmgangmitdereigenenBeeinträchtigungkönnenInhaltederBegleitungsein. EinweitererSchwerpunkt liegthäufig inderUnterstützungderFamilienbeiderErziehung,Pflegeund Versorgung der Kinder.Was ist ein kindgerechter Tagesablauf?Was brauchtmein Kind?WiekannichmeinKindfördernundwasentsprichtdemAlterdesKindes?
Alltagsnah, leicht verständlich, langfristig
UmElternundKinderinihrerSelbstwirksamkeitzustärken,isteinealltagsnahe,kleinschrittigeundan ihrerLebensweltorientierteBegleitungerforderlich:gemeinsameinkaufen, zusammenkochen,aufdenSpielplatzgehen,Ausflügemachen.DieseunmittelbareundpraktischeBegleitungermög-licht,gemeinsamSchlüsselsituationenzuerleben.Elternkönnendurchdieses»LernenamModell«Erfahrungenmachen.Sogelingtes,Elternzuermutigen,neueHandlungsmusterzuentwickelnundeinzuüben.IndemmandenElterndasErlebenvonSelbstwirksamkeitermöglicht,kannihreEigenini-tiativeambestengefördertwerden.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
12 2. Was ist eigentlich Begleitete Elternschaft?
ElternmitLernschwierigkeitenmachenhäufigdieErfahrung,dasssienichtverstehen,wasvonihnenerwartetwird.SiebenötigeneineleichtverständlicheSpracheundKommunikation.TeilweiseistbeiGesprächenimJugendamt,inderSchuleoderbeimArzteinÜbersetzenundErläuternvonInhaltendurchdieFachkräfteerforderlich,damitElternselbstaktivwerdenundsichbeteiligenkönnen.AbhängigvondenindividuellenLernschwierigkeitenderElternwirdindergemeinsamenArbeitoftdeutlich,dassdieFähigkeitzurErfassungvonkomplexenSachverhaltenbegrenztseinkann.ImmerwiederbegegnenunsEltern,denenesschwerfällt,daseigeneHandelnzureflektieren.AuchdieFä-higkeit,sichinandere,vorallemauchkindlicheWelteneinzufühlen,istzumTeilbegrenzt.NebenderSprachesinddannoftauchZeichenundBilderzurVeranschaulichunghilfreich.BroschürenundIn-fomaterialieninLeichterSprachehelfendenEltern,dieInhalte,Themen–undauchansiegestellteAnforderungen–zuverstehenundentsprechendzuhandeln.Einigen Eltern gelingt es nur bedingt, Gelerntes in veränderten Konstellationen anzuwenden. DieÜbertragungvoneinerSituation indienächste fällt ihnenmitunter schwer.VordemHintergrund,sich immerwiederveränderndenUmgebungenwieKitaundSchuleunddamitauchwechselnden,neuenAnforderungenstellenzumüssen,sindvieleElternaufeinständigesWeiterlernenundsomitwiederkehrende,längerfristigeUnterstützungangewiesen.UmlangfristigeNetzwerkefürElternmitLernschwierigkeitenundihreKinderzuknüpfen,isteszu-demnotwendig, den persönlichen und sozialen Lebensraumder Kinder zu erweitern. Dafür kannimmerwiederauchkompensatorischeUnterstützungerforderlichsein.
Belastungen berücksichtigen, Bindungen stärken
InderArbeitmitElternmitLernschwierigkeitentreffenwir immerwiederaufEltern,derenLebenvon biographischen Belastungsfaktoren geprägt ist. Häufig verfügen sie nicht über einen qualifi-ziertenSchulabschluss.EinigehabenMisshandlung,VernachlässigungundMissbraucherlebt.VieleEltern sind im Heim groß geworden oder habenmehrfach wechselnde Hauptbezugspersonen er-fahren.DieFachkräftemüssensichdaraufeinstellen,dassdieElternteilweisekeineeigenesichereBindungserfahrung haben. Solche biographischenHintergründe verlangen in der ZusammenarbeiteinehoheSensibilität.DasAufbaueneinerVertrauensbeziehungalsBasisfüreinegelingendeBeglei-tungerfordertvielGeduldundEinfühlungsvermögenaufSeitenderFachkräfte.ElternmitLernschwierigkeitenundderenKinderbenötigeneineUnterstützung,diesowohldemBe-darfalsauchdenRessourcenderFamilienkonsequententspricht.Esistwichtig,dieHilfeninBezugaufdenzeitlichenUmfang,dieIntensitätunddieinhaltlichenSchwerpunktestetsflexibelanzupas-sen.Nur sogelingtes,dassdieFamiliensichaktiveinbringenunddieBegleitungalswirksamundhilfreicherlebenkönnen.
AlszusammenfassendeInformationkönnenSiedasFaltblatt»BegleiteteElternschaft–EinEmpfeh-lungspapierdesAKBegleiteteElternschaftimParitätischenWohlfahrtsverbandLandesverbandBer-lin«(sieheSeite36–MaterialienundLinks)nutzen.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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BegleiteteElternschaftalsNetzwerkarbeit
BegleiteteElternschaft ist immereineArbeit imNetzwerk.Die»verzahntenHilfen«ausEingliede-rungs-undFamilienhilfesetzeneineengeAbstimmungvoraus,damitsieihreWirksamkeitentfaltenkönnen.Esgiltaberauch,dieFamilienselbstalseinschonvorhandenesNetzwerkzubegreifenundihrevielfacheVerflochtenheit in lebensweltlichenwieauchprofessionellenBezügenalsRessourcezunutzen.ImfolgendenTextwerdenanhandeinesFallbeispielsausderBegleitetenElternschaftver-schiedeneAspektevonKooperationundArbeitimNetzwerkbeleuchtet.
Fallbeispiel: Nach dem Suizidversuch von Frau S. , einer alleinerziehenden Mutter, kommt ihre Familie in die Begleitete Elternschaft. Von Seiten des Jugendamts heißt es, es gäbe Belastungen und Schwierigkeiten in der Familie; Krankenhaus, Kita und Kinderarzt seien über die Situation informiert.
AufgrundderverschiedenenHilfebedarfedereinzelnenFamilienmitgliederfindenwirrundumdieFamilien oft ein großesNetzwerk an Fachleuten vor, in demallerdings die einzelnen sozialen undmedizinischen Institutionen und Einzelpersonen in vielen Fällen eher nebeneinander her agieren.DieFachkräftederBegleitetenElternschaftsindmeistdiejenigen,die»amallernächstendran«sind.Deshalb istderenNetzwerkarbeiteinederzentralenAufgabenamBeginnderHilfen.HiergehtesumKontaktanbahnung,AbstimmungundKooperationderFachkräfteuntereinander–immerunterdenMaßgabenderTransparenzundEinbeziehungderEltern.EinekomplexeSichtaufdieFamilieninihrenvielfältigenBezügen,aufihreKompetenzenundPotenziale,aberauchaufihresichüberla-gerndenProblemlagenkannhelfen,dieeinzelnentherapeutischenBemühungen,dieInterventionenderPädagogenunddienotwendigenmedizinischenVerordnungenundBehandlungenaufeinanderabzustimmen.
Bei einem der ersten Termine beginnt Frau S., mir von den Konflikten mit ihrem Sohn zu erzäh-len. Sie trägt ihre Schilderungen sehr vehement vor, ich habe wenig Gelegenheit für Nachfra-gen. Sie wiederholt mehrmals: »Es glaubt mir ja keiner, wie schlimm das ist, keiner glaubt mir das!« Ich erkläre ihr, dass ich noch nicht ganz begriffen habe, was da zwischen ihr und ihrem Sohn vor sich gehe, dass ich diesen Satz jedoch in jedem Fall ernst nehme und mich bemühe, ihre offensichtliche Not zu verstehen und ihr, wenn möglich, bei der Lösung des Problems zur Seite zu stehen. In den folgenden Wochen stellt sich heraus, dass sich zwischen der alleinerzie-henden Mutter und ihrem Sohn ein Verhältnis entwickelt hat, in dem der Sohn, der immer mehr merkt, dass er seiner Mutter in vielen Belangen kognitiv überlegen ist, »die Macht ergriffen« hat, seine Interessen fast nach Belieben durchsetzt, die Mutter wiederum seinen körperlichen Aggressionen und verbalen Abwertungen hilflos gegenübersteht. Aus meiner Sicht habe ich es nicht mit einer individuellen Verhaltensproblematik des Kindes zu tun, sondern mit einem Ge-schehen innerhalb des Familiensystems, in dem sich die Rollen zwischen Mutter und Sohn ver-wischt beziehungsweise umgekehrt haben.
AlssozialesWesenexistiertjederMensch immer inBezugaufandereMenschen.MenschlichesLe-benisteinGeflechtaussozialenBezügenzuanderenMenschen:JederMenschlebtineinemNetz-werk,istTeileinessozialenBezugssystems.DiestrifftumsomehraufFamilienzu.JedeFamilieisteinNetzwerkundhatvielfältigeBezügezurUmwelt.Vor jederprofessionellenNetzwerkarbeit istalso
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerkevon Eckart Nebel
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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immerschoneinNetzwerkvorhanden.WieinmeinemFallbeispieldeutlichwird,machtdiesePers-pektiveeinengroßenUnterschied:DieVerhaltensweisendereinzelnenPersonenlassensichnurimKontextdesjeweiligensozialenNetzesverstehen,undjedeInterventionwirktnurimunddurchdasNetzwerk.
Aus dieser Perspektive geht es im Fall von Familie S. weniger darum, dem Sohn mit pädagogi-schen Interventionen deutlich zu machen, dass sein Verhalten der Mutter gegenüber unange-messen ist, sondern eher, der Mutter zu helfen, ihre Elternrolle wieder einzunehmen. Da der Jun-ge in dieser Zeit gerade eingeschult wird und die Mutter mich in die Kontakte zu Lehrerin und Horterzieherin einbezieht, bekomme ich schnell einen Überblick über die aktuelle Lebenswelt des Kindes. In Gesprächen mit der Mutter mache ich deutlich, dass ich ihre Offenheit und ihren Mut schätze, mit dem sie mir die teilweise dramatischen Geschehnisse in der Familie offenlegt und auf diese Weise schon einen ersten Schritt aus ihrer Hilflosigkeit heraus unternimmt.
ElternmitLernschwierigkeitenhabeninihrereigenenBiographiehäufigZurückweisung,Bevormun-dungundStigmatisierungerlebt.ManchmalsindsieinihremdirektensozialenUmfeldisoliert.Fach-kräftesolltensichdaherklarmachen,dassesvielleichtalsbeschämenderlebtwerdenkann,wennFamilien Unterstützung in Form von Eingliederungshilfe in ihrer alltäglichen Lebensführung oderFamilienhilfebeiderErziehung ihrerKindererhalten.DieseSchamkannzueinerweiterenSchwä-chungdesEingebundenseinsunddersozialenBezugnahmeführen–iminternenFamiliennetzwerkwieauchimUmfeld.EntsprechendsetztdieArbeitinderBegleitetenElternschafteinegrundsätzlichwertschätzendeHaltungderFachkräfteundvielAchtsamkeit imUmgangmitdenFamilienund ih-remUmfeldvoraus.UmdasNetzwerkderFamiliensowohl imprivat-lebensweltlichenalsauch imfachlichenZusammenhangnachhaltigzustärken,sindTransparenzundWertschätzungunabdingbar.
Nach einem halben Jahr entschließt sich Frau S. auch die Lehrerin und bald darauf auch die Horterzieherin von den Geschehnissen zu informieren. In einem Gespräch zu viert vereinbaren wir, dass ab jetzt Lehrerin, Horterzieherin, Familienhelfer und auch ihre Bezugsbetreuerin aus
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
153. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
der Eingliederungshilfe in der Begleiteten Elternschaft sich gegenseitig über jeden Vorfall, von dem sie Kenntnis bekommen, informieren und dem Jungen gegenüber bei nächster Gelegenheit ansprechen werden.
Die»verzahntenHilfen«inderBegleitetenElternschaftsetzeneinVorgehenvoraus,dasaufvielfälti-ge,teilswidersprüchlicheBedarfereagiertundverschiedeneHilfeangebotemiteinanderverbindet.InengerKooperationundAbstimmungzwischenbeidenHilfeformen–EingliederungshilfeundFami-lienhilfe–kannBegleiteteElternschafteinenRahmenfürnachhaltigeVeränderungsprozessebereit-stellen.
Frau S. erhält die Aufgabe, nichts mehr »hinzunehmen«, sondern sich jederzeit an eine der Fachkräfte zu wenden. Für die Mutter ist es eine vollkommen neue Erfahrung, dass wir ihr zu-trauen, selbst einschätzen zu können, was für ihren Sohn das Beste ist. Allmählich beginnt sie, der klaren und eindeutigen Unterstützung von Seiten der Fachkräfte zu vertrauen. Dies gibt ihr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Stolz berichtet sie, ihr Sohn habe zu ihr gesagt: »Mama, so kenne ich dich ja gar nicht!«, als sie in einer Auseinandersetzung für ihn und seine Fußballkameraden Partei ergriffen hat.
Zu einem Netz gehören Fäden, Knoten und auch Zwischenräume. Im Gegensatz zu einem Gitterzeichnet sich ein Netz durch eine gewisse Anpassungsfähigkeit und Biegsamkeit aus. Ein sozialesNetzwirdgeformtdurchdie Individuenund ihreBeziehungenzueinander.DieseBeziehungen for-menwiederumdieIndividuen.FlexibilitätentstehtdurchdieSpielräume,diesichdurchEntwicklungund Veränderungen von Beziehungen und Bezugnahmen ergeben.Wenn Zwischenräume zu großwerdenoderdie Fäden–Beziehungen– zu schwach, könnenauch sozialeNetze reißenoder sichalsnichtmehrtragfähigfürdieEntwicklungderEinzelnenerweisen.ImFallbeispielbrauchteeseinzweitesNetzwerkausFachkräften,mitdessenUnterstützungesmöglichwurde,diedysfunktionalenRollenmusterumzuwandelnundsodasfamiliäreNetzwerkzustärken.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
16
Im Lauf der nächsten Jahre verläuft der Prozess der zunehmenden Selbstermächtigung der Mut-ter und der Entspannung des Sohnes parallel, aber selbstverständlich keineswegs geradlinig und kontinuierlich. Letztlich wird aber ganz allmählich aus dem hilflosen Despoten ein fröhli-ches, unbeschwertes Schulkind, das durch seine ausgesprochen sozialen Verhaltensweisen ge-genüber seinen Mitschülern auffällt. In dieser kurzen Schilderung sei noch eine kleine Wendung erwähnt, die ein Schlaglicht auf die Dynamik wirft, die ein Unterstützerkreis im Netzwerk entwickeln kann: Schon seit längerem ist verabredet, dass es jeweils donnerstags einen Eintrag im Pendelheft für Informationen zwi-schen Schule und Eltern gibt: So sind Lehrerin und Horterzieherin zum Ende der Woche über et-waige Vorfälle informiert und können diese dem Jungen gegenüber ansprechen. Als die Einträ-ge unregelmäßiger werden und sich sehr bald darauf wieder unangemessene Verhaltensweisen vermehren, wird vereinbart, dass donnerstags immer ein Eintrag gemacht wird, auch wenn es nichts Negatives zu berichten gibt: »Dann wird eben etwas Positives geschrieben.« Daraus ent-wickelt sich eine Praxis, in der der Sohn diese Einträge selbst vornimmt und das Heft stolz in der Schule vorzeigt. Seine kognitive Überlegenheit hat sich in eine Ressource verwandelt.Nach meinem Eindruck wäre dieser Hilfeverlauf in einer ambulanten Hilfe ohne Netzwerkarbeit nicht möglich gewesen. Erst durch die enge Kooperation und Abstimmung der Fachkräfte war es möglich, um das zeitweise dysfunktionale Netzwerk der Familie herum ein zweites Netzwerk aufzubauen, welches die Familienmitglieder dabei unterstützen konnte, ihnen adäquate Rollen zu finden und auszufüllen. Zu guter Letzt sei erwähnt, dass die Mutter ihre Erfahrungen in El-terngruppen der Begleiteten Elternschaft inzwischen weitergibt und auch andere Eltern auffor-dert, ihre Schwierigkeiten öffentlich zu machen und sich aktiv Hilfe zu holen.
DasSelbstverständnisindereigenenRollekanngestärktwerden,wennElternihreErfahrungenan-dereninihrerPeergroupzurVerfügungstellen.DaszeigenunsereErfahrungen.Hierspielenvoral-lemauchGruppenangebote,indenendieFamilienmitanderenFamilienineinenzwanglosen,dabeijedochsehrintensivenKontakttretenkönnen,einezentraleRolle.ImIdealfallbildetsichauchhiereinNetzwerk,indemElternwieKindervoneinanderlernenundprofitierenkönnen.
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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BeteiligteInstitutionen,PersonengruppenundSchnittstelleninderBegleitetenElternschaft
3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
Ämter und BehördenJugendamt – Sozialamt
– Jobcenter – Bürgeramt– KJGD – KJPD – SpD
Arbeit und BeschäftigungArbeitgeber – Werkstätten
– Jugendberufsbildungswerke– Erwachsenenbildung
BeratungsstellenSchuldnerberatung – EFB
– Schwangerschaftskonfliktberatung– Beratungsstellen für Kinderschutz
– Suchtberatung
Träger und Einrichtungen– Familien- u. Einzelfallhelfer*innen
– Betreuer*innen (BEW, Wohneinrichtungen)
– Soziale Gruppen – Stiftungen
Gesundheit(Kinder-)Ärzt*innen – Hebammen
– Krankenhäuser – SPZ– Psychotherapeut*innen
– Pflegestützpunkte
Rechtsangelegenheitenrechtliche Betreuer*innen
– Gerichte – Polizei– Rechtsanwälte
KinderSchule – Kindertagesstätte– stationäre Einrichtungen
der Jugendhilfe
naher Sozialraumerweiterte Familie
– Freundeskreis
erweiterter SozialraumSportvereine – Jugendzentren
– Nachbarschaftszentren– Familienzentren
AbkürzungenEFB Erziehungs- und Familienberatung KJGD Kinder- und JugendgesundheitsdienstKJPD Kinder- und Jugendpsychiatrischer DienstSpD Sozialpsychiatrischer DienstSPZ Sozialpädiatrische Zentren
Eltern mit Beeinträchtigungen
und ihre Kinder
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
18 3. Beratungsangebote, Kooperationen und Netzwerke
WerdendeElternmitLernschwierigkeiten
Gastbeitrag von Sonja Schweitzer und Annette Rey-Holm, donum vitae Berlin-Brandenburg e. V.
»Wie stellst du dir das vor?« Häufig wird die Schwangerschaft einer Frau mit Lernschwierigkeiten von ihrem Umfeld nicht positiv aufgenommen – eher skeptisch und voller Vorbehalte. Wir be-schreiben unsere Erfahrungen aus der donum vitae Beratungsstelle für Schwangere und Eltern – und geben einige Anregungen.
Viele schwangere Frauenmit Lernschwierigkeiten sindmit Aussagenwie »Das schaffstDu nicht!«oder»Ihrschafftdasnicht!«konfrontiert.DieseehernegativenRückmeldungen lösenbeiwerden-denMüttern–undauchVätern–oftBetroffenheitaus.
WennüberhauptintakteFamilienstrukturenvorhandensind,bestehtnichtselteneineAngstaufSei-tenderwerdendenGroßeltern,dass sieebenfalls fürdasEnkelkind verantwortlich sind.DenndieGroßelternhabenbereits inderElternrollemit ihrenbeeinträchtigtenKinderngroßeHerausforde-rungeninnerhalbderbestehendenStrukturenerlebt.NunsindsievollerSorge,erneutwiederinderVerantwortung zu sein.Ausunserer Sicht ist hier gutesAufklärungsmaterial überdie gesetzlichenRegelungenundMöglichkeitendringenderforderlich–insbesonderefürdiepotentiellenGroßeltern,dieoftauchdierechtlichenBetreuerihrerKindersind!Esgehtdarum,denGroßelterndieSorgezunehmen,nunauchfürihreEnkelkinderzuständigzusein.
Das gewohnte Umfeld verlassen?
Es hat sich gezeigt, dass eine Schwangerschaft für die Frau auch bedeuten kann, ihr gewohntesUmfeldzuverlassen.OftstehteinWechseldesTrägersan.DenndiemeistenTrägerdesBetreutenEinzelwohnenssindnichtaufSchwangerschaftundElternschaftausgerichtet.AlsSchwangerenbera-tungsstellesehenwireinengroßenHandlungsbedarf!GeradeindiesersensiblenLebensphaseisteinGefühl von Sicherheit und Stabilität enormwichtig.Doch geradebeeinträchtigte Frauen verlierenoftihrevertrautenBetreuer*innenundmüssenausdemgewohntenBezirkineinenanderenziehen.Dasbedeutetauch,dassdieKindesväteroftnichtmitziehenkönnen,weilinderüberwiegendenZahlderMutter-Kind-EinrichtungendasgemeinsameWohnennichtvorgesehenist.Hierwäreausunse-rerSichteinwichtigerAnsatz,dieStrukturinnerhalbderTrägerdahingehendzuverändern,dassmitLösungen imSinnederwerdendenElternauf SchwangerschaftundGeburt reagiertwerdenkann.MusseszwangsläufigzueinemWechseldesTrägerskommen?OderkanneinTrägerdesBetreutenEinzelwohnensinderneuenSituationselbstLösungenanbieten?!
Leichte Sprache bitte!
InsämtlichenLebensbereichenfehltesanMaterialinLeichterSprache,zumBeispielAntragsformu-larefürdieunterschiedlichenBehörden.AucheineHebammenversorgunginLeichterSprachewärefürdiemeistenSchwangereneinewichtigeundnotwendigeBegleitung.Auchhieristeinebedarfs-gerechteVersorgungnichtgesichert.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
194. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Lebenswelt mit Risiken
Komplex, vielschichtig und ständig im Wandel: In unserer Gesellschaft wird die Lebenswelt von Kin-dern und Jugendlichen maßgeblich durch Familie, Schule, Peergroups und Medien bestimmt. Die Lebenswelt der Kinder von Eltern mit geistiger Beeinträchtigung ist zusätzlich besonders häufig von Risiken gekennzeichnet.
Meist ist die Familiederbeständigste Teil der kindlichen Lebenswelt. In ihremRahmenvollziehensichwichtigeÜbergängederHeranwachsendenbiszumErwachsenwerden:vomKleinkindzumKita-Kind,dannEinschulungundGrundschulzeit,ÜbergangindieMittelstufe,Pubertät,Oberstufe,Aus-bildungundBerufswahl.
Familienstrukturen und Lebensformen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark differen-ziert. So erleben Kinder heutzutage häufig Veränderungen in ihren Familien – zumBeispiel durchneue Partnerschaften, Patchwork-Konstellationen oder alleinerziehendeMütter und Väter infolgeTrennungderEltern.DieseVeränderungengilteseinfühlsamundaltersgerechtdurchdieElternzubegleiten. Vielfältige soziale Beziehungen in Kindergarten, Schule, Vereinen und anderen sozialenRäumenmit verschiedenen Bezugspersonen und in den Peergroups unterstützen im Idealfall dasgesundeAufwachsender Kinder. Zudemhaben audiovisuelle unddigitaleMedien einen sehr gro-ßenEinflussaufHeranwachsende;Medien sind fest inder kindlichenLebenswelt verankert–undsoverdientderenNutzungbesondereAufmerksamkeitinderBegleitungdurchdieErwachsenen.ZudiesenaktuellenlebensweltlichenVeränderungengesellensichdie»klassischen«Risikofaktorenhin-zu–alsoFaktoren,dieeinegesundeKindesentwicklungnichtfördern:niedrigesBildungsniveauundEinkommensarmutderEltern,alleinerziehendeElternteileundpsychosozialeBelastungen.
ElternmiteinergeistigenBeeinträchtigung leben inderRegelmitmehrerendieserRisikofaktoren.DiekognitivenKompetenzenderElternermöglichenmeistkeinenRegelschulabschlussundeineBe-rufsausbildung, dementsprechend gering sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das finanzielle
4 Besondere Lebenslagen und Herausforderungenvon Anette Gaffron, Melanie Weiland
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
20 4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Familienbudget ist begrenzt.Die gesellschaftliche Teilhabe ist eingeschränkt –nicht nur finanziell,sondernauchdurchandereHemmschwellen.SonutzenElternmitLernschwierigkeitenseltenerAn-geboteundFesteinKitaundSchuleodernehmennichtanElternversammlungenteil,vielleichtweilsiebefürchten,gegenüberden»Anderen«nichtzubestehen.OftsinddieElternnurmitMüheinderLage,selbstGrundschulkinderbeiHausaufgabenzuunterstützenoderaufEinträgeindenSchulhef-ten adäquat zu reagieren.Wissen die Lehrer nicht umdiese Besonderheiten beziehungsweise re-agierennichtangemessendarauf,kannesschnellzurBenachteiligungderKinderkommen.InihrenFamilienwerdendieKinderwenigerangeregt,sichinverschiedenenFreizeitaktivitätenauszuprobie-ren;KinderfreundschaftenwerdenwenigerunterstütztundgegenseitigesBesuchenoderÜbernach-tenwirdoftmalsnichtzugelassen.BeieinemwenigsensibilisiertenUmfeldführtdieswiederumzurStigmatisierungderKinderundweiteremAusschlussetwaausderLebensweltderPeergroup.
Kinder von Elternmit geistigen Beeinträchtigungenwachsen ab einem bestimmten Alter kognitivüber diese hinaus.Das kann zur Parentifizierung führen, alsomöglicherweise bedeuten, dass Kin-derdieSorgenderElternmittragen,überdasnormaleMaßhinausVerantwortungübernehmen–zumBeispielfürkleineGeschwister–odersichselbstversorgenmüssen.KinderentwickelnoftauchschonineinemfrühenLebensalterVerhaltensauffälligkeitenoderwerdenanfälligfür»Ersatzbindun-gen«,dieihnennichtimmerguttun.
Je nach familiärer Situation und familiären Ressourcen sind langfristige kompensatorische Unter-stützungenindenFamiliennotwendig,umdiegehäuftenRisikofaktorenderKinderinihrerbiogra-fischenEntwicklungzuminimieren,eingesundesAufwachsenderKinderzufördernundihnenZu-kunftsperspektivenzueröffnen.
Eltern bleiben – auch bei Trennung vom Kind
Nicht immer können Kinder von Eltern mit Beeinträchtigungen im elterlichen Haushalt aufwach-sen. Doch in dieser Trennung liegen auch Chancen. Und eine gute Eltern-Kind-Beziehung kann wei-terhin gelingen!
Manchmal schaffenesEltern trotz intensiverUnterstützungnicht, sichadäquatum ihreKinder zukümmern.WennselbstdiekompensatorischeFamilienhilfenichtausreicht,umdiegesundeEntwick-lungderKinderzusichernundeinealtersgemäßeFörderungimelterlichenHaushaltzugewährleis-ten,wirdeine räumlicheTrennungnotwendig.DaskanneineUnterbringung ineinerPflegefamilieoderineinerstationärenKinder-undJugendhilfeeinrichtungsein.DieEntscheidung,woKinderihrenzukünftigenLebensmittelpunkthabenundwieeinweiteresMiteinanderzumWohleallerBeteiligtengestaltetwerdenkann,dientvorrangigderpositivenEntwicklungdesKindes.GleichzeitigentlasteteineräumlicheTrennungdieElternmitLernschwierigkeiten–undsieverschafftihnenZeit,sichaufdieBewältigungihresAlltageszukonzentrieren.Mitunter, bei gravierender akuter Kindeswohlgefährdung, ist zum Schutz des Kindes eine soforti-geTrennungnotwendig.DieseVorgehensweisebirgtdieGefahreinerTraumatisierung–beieinigenbis allen Beteiligten. Daher sollten stetsMöglichkeiten der begleitenden Unterstützung gefundenwerden,umeineManifestierungdesTraumaszuverhindernoderdieAuswirkungenzuminimieren.Generellgiltes,dieverschiedenenPhasendesTrennungsprozessessozugestalten,dasssiefüralle
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
21
Seiten gut gelingt, als Chance empfundenwirdund im Idealfall ein Familienleben im verändertenSinnemöglichwird.
Die Trennung vorbereiten
ElternbleibenEltern–auchbeiTrennung.InsofernmusseineTrennungfürKindernichtunbedingtschädigendsein.Dieshängtallerdingsdavonab,wiedieSozialisationsbedingungenundKompeten-zenderneuenBezugspersonennachderTrennungaussehen.WiesollteeineTrennungvorbereitetwerden?Wichtigist,dasssichalleBeteiligtenemotionalaufdieSituationeinstellenkönnen.Eltern sollenkeineSchuldgefühleentwickeln, sondernerkennen,dassihreEntscheidungdenKinderndient.DieKinderwiederumsollenerfahren,dasssienichtschuldanderTrennungvonihrenElternsind.DemnachsollteimHilfesystemdasThema»Elternbleiben«einezentraleBedeutungeinnehmen!
Familie anders leben – eine Herausforderung für alle
Familien,indenenElternundKindervoneinandergetrenntleben,sindeineHerausforderung:nichtnurfürElternundKinder,sondernauchfürdieFachkräftederbeteiligten Institutionen.Esgilt,El-ternsozuunterstützen,dasssieauch inZukunftVerantwortung für ihrKindübernehmenkönnen–sofernsieeswollenundesdemWohledesKindesdient.Wennmöglich,solltensanfteÜbergängegeschaffenwerden.Dasbedeutet:ElternundKindwerdenunterBeachtung ihrerkognitivenKom-petenzenundjenachihrempersönlichenEntwicklungsstandanallenEntscheidungenbeteiligt.DieInformationenmüssen nach allen Seiten transparent sein. Damit das gelingen kann, ist eine guteVernetzung zwischender Familie, denbegleitenden Fachkräftender Träger, derbeteiligtenÄmterundandererInstitutionenunabdingbar.
4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
22 4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Das Motto: »Eltern einbeziehen und stärken«
FürGesprächesolltenFachkräftestetsgenügendZeiteinräumen,dieseinhaltlichnichtüberfrachtenund Inhalte in Leichter Sprache aufbereiten. Entscheidend ist eine gute Kommunikation zwischenden Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe, falls die Eltern im BEWbetreutwerden. InnerhalbdieserKommunikationsolltemangemeinsamreflektieren,wieweitdieElterneinbezogenwerdenkönnen,ohnediesezuüberfordern,undwiedamitgleichzeitigdieEltern-Kind-Bindunggestärktwird.Grundsätzlichgilt,dasseineguteEltern-Kind-Beziehunggelingenkann!JedeEinrichtungoderPfle-gestelle sollte also aufgeschlossengegenüber lernbeeinträchtigtenEltern sein, auchwenndieBe-fähigungderElternhinsichtlicheinerRückführungderKinderindieFamilienichtmöglichist.Elternmüssen kontinuierlichund jenach ihren individuellenMöglichkeiten indie Erziehung ihresKindeseinbezogenundinihrerElternrollegestärktwerden.DennjederBeziehungsabbruchbeeinflusstdieKindesentwicklungnegativ.
Verwiesenseiauchhieraufdas»EmpfehlungspapierzurBegleitetenElternschaft«.Esbenennt,wieHilfenauszugestaltensind,damitElternundKinderdiesegewinnbringendannehmenkönnen.
Was ist für Eltern und Kinder im Trennungsprozess wichtig?
› EinbeziehungderElternundKinderindieWahlderEinrichtung,damitalleeingutesGefühlhaben undeinAnkommenmöglichist› gemeinsameUnterbringungvonGeschwisterkindern›WahlvonEinrichtungenoderPflegefamilieninWohnortnähe
Was benötigen Kinder im Trennungsprozess?
› festeBezugspersonen› BeibehaltungdessozialenUmfeldes:Verwandtschaft,Kita,Schule,Freunde› BerücksichtigungihrerWünsche›Möglichkeiten,ihreGefühleauszudrücken› feste,bewährteRituale:vorhandeneRitualebeibehaltenoderneueschaffen› kindgerechteaufklärendeGesprächedurchFachkräfte› kindgerechteInformationüberdenAblaufderTrennung› BriefvonElternandasKind,Lebensbuch,Schatzkisteetc.› AbschiedsritualvonbisherigenBezugspersonen,zumBeispielFachkräften› einesensibleBegleitungindasneueLebensumfeld› kontinuierlichenKontaktzudenEltern,transparenteundklareRegelungen› BewährtesauchimneuenLebensmittelpunktbeibehalten
Was benötigen Eltern im Trennungsprozess?
› ErkennenundVerbalisierenihrerGefühle,dasheißt:auchAkzeptanzihrerWiderständeals SchutzfunktionzurVermeidungvonschmerzlichenGedankenundGefühlen›WertschätzungihrerAmbivalenzundTapferkeit
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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› neutralesGesprächüberdieTrennung,BenennungderVor-undNachteile› VorbereitungaufdieTrennungmitderErlaubnis,sichvomKindzutrennen:guteElternbleiben, daesdemKinddortgutgeht› Zeit,klareVorgabenundStruktur› wiederholendeGespräche,kleinschrittigePlanungdesTrennungsprozesses› EingehenaufihreWünsche:ArtderUnterbringung,Besuchs-undKontaktregelungen› GestaltungvonErinnerungsobjekten› eigeneaktiveMitwirkunganderGestaltungdes»Umzugs«desKindes› fachkundigeElternarbeitimneuenLebensumfelddesKindes› optimistischeZukunftsperspektiven
Was benötigen Fachkräfte im Trennungsprozess?
›Möglichkeiten,Noch-nicht-Entscheidungen»zuhalten«,Pausen› VerständnisimTeam,Feedback,AuseinandersetzungmitAlternativen› einheitlichesHandelnundKlarheitimTeam› RollenverteilungimTeamzurGestaltungdesTrennungsprozesses› Abschiedsritual,MöglichkeitenderWiederbegegnung› engbegleitendeSupervision›MöglichkeitzurAuseinandersetzungmiteigenenTrennungssituationeninVergangenheitund Gegenwart
4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Wie kann man die Eltern-Kind-Beziehung stärken?
› beziehungsförderndeAlltagsplanungdurchpädagogischeFachkräfte› regelmäßigeElterngesprächeinLeichterSprachezumEntwicklungsstanddesKindes,auchwenn eineVormundschaftbesteht› EinbeziehungderElternbeiSchul-undArztgesprächenundschulischenVeranstaltungen›MöglichkeitzumtelefonischenKontaktmitdenKindern› BesuchstageauchinderWoche,andenendieElternanderalltäglichenLebensgestaltungihrer KinderteilhabenundeventuellkleinereAufgabenmitVerantwortungübernehmenkönnen,etwa dieBegleitungzumSportverein› regelmäßigeBeurlaubungderKindernachHauseanWochenenden,eventuellmitÜbernachtung› GesprächeinLeichterSprachezurPlanungderBeurlaubungen–mitklarenAbsprachen,Regeln undGestaltungsvorschlägen,AuswertungderBeurlaubungeninKurzgesprächen› EinbeziehungderElternbeiFesten,FeierlichkeitenundderenVorbereitung,zumBeispielbeim GeburtstagdesKindes› gemeinsameFreizeitaktivitätenanWochenendenmitderEinrichtungoderPflegestellezur StärkungdergemeinsamenpositivenErlebnisse,AnregungzueigenenIdeen
4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
254. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
Eltern und Kinder mit Beeinträchtigungen
Begleitete Elternschaft von Eltern, deren Kinder ebenfalls beeinträchtigt sind, stellt für unterstüt-zende Fachkräfte eine besondere Herausforderung dar: sowohl in der Beratung und Begleitung der Eltern selbst, als auch in der Koordination und Kommunikation innerhalb eines großen Helfersys-tems.
AlleElternvonKindernmitBeeinträchtigungmüssensehrhohebürokratischeHürdenüberwinden,diealleinnurschwerzubewältigensind.DasbetrifftetwadenZugangzuHilfenfürdieKinderwieEinzelfallförderung, für die eine komplizierte Antragstellung erforderlich ist. Auch Therapien undHilfsmittelmüssen selbst organisiert werden.Mühseligmüssen sich die betroffenen Eltern Infor-mationen zu Unterstützungsmöglichkeiten bei Kinderärzten, Beratungsstellen und Pädagogen zu-sammensuchen.DiesekomplexeAnforderungkannElternmitLernschwierigkeitenüberfordern.DieeingesetztenFachkräfte sinddannalsomitverantwortlich fürdieGesundheitsfürsorgeumdiebe-treffendenKinder.
DasAufsuchenvonSelbsthilfeorganisationenunddieSuchenacheinerInklusionskita,einerpassen-den Schule oder eines Förderzentrums entsprechend den Bedürfnissen des beeinträchtigten Kin-desstellenweitereHerausforderungendar.Dasbedeutet:ElternmitBeeinträchtigungenbenötigenmöglicherweiseUnterstützungbeideradäquatenFörderungihrerKinder.
»Mein Kind kann nicht laufen. Die Betreuerin hat mit mir einen Rollstuhl beantragt. Nicht so einfach, was man da alles ausfüllen muss und diese ständigen Telefonate mit der Krankenkas-se. Da brauche ich ihre Hilfe.« (aus einem Gespräch unter Eltern im Frühstücksangebot)
»Ich war selbst früher im Heim. Das will ich auf keinen Fall für meinen Sohn. Der Betreuer zeigt mir, wie ich mit ihm spielen kann. Außerdem lerne ich Regeln aufzustellen, damit mein Sohn hört. Das fällt mir schwer.« (Vater in einem Elterngespräch mit dem Familienhelfer)
»Meine Tochter geht nun in die Schule. Die Betreuer lernen mit ihr und machen Hausaufgaben. Ich kann das nicht. Ich kann nicht lesen und schreiben.« (aus einem Elterngespräch in der Schule)
SchondasFamiliensystemselbst stelltbesondereAnforderungen:DieFürsorgeumKindermitBe-hinderungundeine förderlicheErziehung sindhäufig aufwändiger als bei anderenKindern.Hinzukommt,dassElternmitLernschwierigkeitenteilweisewenigerempathischaufkindlicheBedürfnissereagierenkönnen.BestimmtekindlicheVerhaltensweisenkönnendieseElternhäufignichtnachvoll-ziehen.HierkannmehrUnterstützungnotwendigsein–vorallemdurchFachkräfte,dieKenntnis-sezurBehinderungdesKindeshabenundVerhaltensweisenundderenZusammenhängeeinordnenkönnen.
»Ick bin froh, dass ich bei Arztbesuchen der Kinder begleitet werde. Was die Ärzte sagen, ver-stehe ich oft nicht. Da es wichtig für die Kinder ist, erklärt mir der Betreuer danach genau, was ich tun muss. Dafür nimmt er sich Zeit.» (alleinerziehende Mutter in einer Hilfekonferenz zur Verlängerung der Familienhilfe)
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
26 4. Besondere Lebenslagen und Herausforderungen
»Das Jugendamt möchte, dass ich zu Hause Hilfe bekomme. Ich will eigentlich Ruhe, aber meine Kinder sollen zu Hause bleiben, deswegen lasse ich den Betreuer kommen.« (Mutter im Jugendamt)
JenachBehinderungder Eltern könneneigeneBedürfnissen teilweisemit denBedürfnissen ihresKindeskollidieren.HelfendemüssendanndieElternfürdieBedürfnissedesKindessensibilisieren–undzwaraufeinerEbeneundineinerSprache,diedieseverstehenkönnen.AuchdieSichtderKin-dermussdanneinbezogenwerden:WienehmendieKinderihreElternmitBeeinträchtigungwahr–undumgekehrt?TatsächlichfehltbeieinigeEltern(undKindern)dasVerständnisfürdieeigeneoderfremde Behinderung. Aufgrund eines verschobenen Selbstbildes wird dann die Beeinträchtigungnichtakzeptiert.EinBeispiel:DasgebräuchlicheVideotrainingunddiegemeinsameAuswertungkön-nenindiesemFallerschwertsein.DaserforderteineangepassteFormderBegleitung.
EineweitereBesonderheitkannindersozialenIsolierungderElternbestehen;nichtseltensindpro-fessionelleHelferihreeinzigenKontakte.
»Mit meiner Betreuerin habe ich auch andere Eltern im Club kennengelernt. Mit denen treffe ich mich jetzt öfter. Sonst haben wir keinen.« (Mutter im Sozialamt)
ElternmitBeeinträchtigungen,dieselbstKindermitBeeinträchtigungenhaben,sindnichtimmerof-fenfürUnterstützung.Eigene lebenslangeErfahrungenmitHelfersystemenkönnenzumerschwer-tenZugangzuHilfenfürdieKinderführen.FachlichheutelängstüberholteBetreuungsformensorg-ten zumTeil für negative Erfahrungen, die sichmanifestiert haben können.DiesemöchtenElternihrenKindernersparenundverweigerndeshalbjeglicheUnterstützung.
Eine weitere große Herausforderung kann das verzweigte Helfersystem rund um so eine Familiesein. Für jedes Elternteil und jedesbetroffeneKind könnte jeweils eine eigeneEinzelfallhilfe, eineFamilienhilfeund/odereineEinrichtungdesBetreutenEinzelwohnenszuständigsein!HinzukönntennochLogo-,Ergo-undPhysiotherapiekommen.BegleitendeFachdienstewärendanndasSozialamt,der regionale Sozialpädagogische Dienst, das Jugendamt Abteilung Eingliederungshilfe die Pflege-und Krankenkasse sowie Fahrdienste. Da alle dieseHilfen nicht aus einer Hand kommen,müssenFachkräfte–teilweiseinZusammenarbeitmitrechtlichenBetreuernundVormünderndasHilfesys-teminstallierenundkoordinieren.NursokannderAustauschallerBeteiligtenindenkomplexenSys-temenermöglichtwerdenundzueinergutenEntwicklungderKinderindiesenFamilienbeitragen.
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Kompetent und fit in zwei Fachgebieten
Die Anforderungen an Fachkräfte in der Begleitung von Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihren Kindern sind vielschichtig und komplex. Denn die Fachkräfte müssen Eltern individuell und ange-messen dabei unterstützen, Verantwortung für sich und ihre Kinder zu übernehmen. Dafür bedarf es fachlicher und methodischer Kompetenzen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Einglie-derungshilfe.
Die beteiligten Fachkräftemüssen zunächst den Personenkreis derMenschenmit Lernschwierig-keitenkennen.Siemüssen individuelleUnterstützungsbedarfeundRessourcenderElternerfassenkönnen.SiemüssenBescheidwissenübermöglichezusätzlichepsychosozialeFaktorenwieArmut,sozialeIsolation,Gewalt-undMissbrauchserfahrungen,dadieLebenssituationdesPersonenkreiseshäufigdavongeprägtist.
Gleichzeitig benötigen die Fachkräfte gründliche Kenntnisse zur kindlichen Entwicklung: entwick-lungspsychologische Grundlagen, Bindungstheorien und Bindungsverhalten, Sprachentwicklung,altersgemäßeFörderung,sozialesLernen…DarüberhinausmüssensiemitdenVorgabendesKin-derschutzes und deren sicherer Anwendung bei Kindeswohlgefährdung vertraut sein. Ergänzendbraucht es Kenntnisse über Strukturen, Verfahren undAufgaben der Kinder- und Jugendhilfe undderEingliederungshilfe,überrechtlicheRahmenbedingungen,MöglichkeitenzurFörderungsozialerRessourcenundzumsozialräumlichorientiertenArbeiten.
NebendiesemfachlichenHintergrundbrauchenHelfendemethodischeGrundlagen,darunterinderHilfe-undErziehungsplanung,inverschiedenenFormenderGesprächsführung,inderBeobachtungundDokumentationvonEntwicklungsprozessensowieinQualitätsentwicklungund-sicherung.
Wichtig ist die inhaltliche Zusammenführungder beiden Fachgebiete Kinder- und Jugendhilfe undderEingliederungshilfe.WiesprecheichmitEltern?WiestoßeichLernprozessean?DieEntwicklungdesKindesdurchläuftschnellereLernprozesse.WiegelingtesFachkräften,dieElternindeneinzel-nenPhaseningutemKontaktmitihrenKindernzuhalten?
Was leisten Ausbildung, Fortbildung und Lehre – und was fehlt?
Die Anforderungen an die Qualifikation von Fachkräften sind über die jeweiligen Berliner Rah-menverträgeklargeregelt. ImjeweiligenFachgebietundabhängigdavon,obdieUnterstützung imambulantenoder stationären Setting erfolgt, sindnebenpädagogischenAbschlüssenwieDiplom-Sozialarbeiter/-Sozialpädagoge, staatlich anerkannte Sozialarbeiterinnen/ Sozialpädagoginnen B.A.,Erzieher, Heilpädagogen, Heilerziehungspfleger einschlägige Berufserfahrungen Voraussetzung.Diese können aber auchdurchnachzuweisende laufendeQualifizierung inAusübungder Tätigkeiterworbenwerden.HiersinddieanbietendenTrägersehrgefragt,daBegleiteteElternschaftbisherkeinenSchwerpunkt indenAusbildungsgängendarstellt.Generell sind inAusbildungundStudiumder Leistungsbereich »Begleitete Elternschaft« und die sich daraus ergebenden fachpraktischenKonsequenzenunterrepräsentiert.ImVordergrundstehenEntwicklungundFörderungvonKindern,jedochnichtdieArbeitmitElternimKontextBegleiteterElternschaft,dieihrenFokusaufdieFörde-rungderErziehungsfähigkeitrichtet.ImHinblickaufdieElternarbeitgehtesindenBildungsangebo-
5. Anforderungen an die Fachkräfte von Antje Wilhelm
5. Anforderungen an die Fachkräfte
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
28 5. Anforderungen an die Fachkräfte
tenhäufigumLeistungenvonKindertagesstätte,SchuleundHort,aberauchhiernichtumdieKom-binationder Leistungen zwischenKinder- und Jugendhilfe undEingliederungshilfe.Welche InhaltesolltenalsokünftigindieAusbildungeinfließen?HiereinigeVorschläge:› DieFachkräftemüssensichdesgesetzlichenRahmensundderNotwendigkeitderHilfeplanung bewusstsein.DieHilfeplanungistTeiljederMaßnahmeimKontextderKinder-undJugendhilfe sowiederEingliederungshilfe.DiesgehörtbishernichtzudenStandardsinderAusbildung.› IndenmeistenAusbildungsgängenwirddas»SozialrechtlicheDreiecksverhältnis«behandelt.Dies musswesentlichstärkeraufdieBegleiteteElternschaftbezogenwerden!DenFachkräftensollte bewusstsein,dassElternindenmeistenFällennichtunbedingtfreiwilligHilfenannehmen.Auf dieserBasismüssenFachkräftezuBeginnjederHilfezunächstvorallemEinsichtundMotivation beidenElternerzeugen.› DieAnforderungeninderArbeitmitEltern,diedemPersonenkreisnachSGBXII§53zugeordnet sind,ergebensichspeziellausobengenanntemParagraph.EineabgestimmtePlanungderHilfen nachSGBVIII§36undSGBXII§58istnötig.DersichausdemSGBVIII§36ergebendeGrundsatz derBeteiligungallerBetroffenensollteinnerhalbderAusbildungdidaktischaufbereitetwerden, sodassBeteiligungalsGrundhaltungindiespätereArbeiteingeht.DieHerausforderungliegthier darin,Möglichkeitenzufinden,wiedieAnforderungenderJugendämterunddieWünscheder ElterninEinklanggebrachtwerdenkönnen.AusSGBVIII§36ergibtsichzudemdieAnforderung derMultiprofessionalitätinnerhalbvonHilfekontexten.FürdieLehrebedeutetdaszumBeispiel, dassEinrichtungenwieSozialpädiatrischeZentren(SPZ)oderspezielleFördermaßnahmenfür KinderundElternimEinzugsbereichgenutztwerdenundindenAusbildungenaufdieAufgaben- gebietederAkteureundihreRolleimHilfekontexteingegangenwird.
AlleangehendensozialpädagogischenFachkräftewissenumdieRolledesgesetzlichfixiertenKinder-schutzes.Jedochistesnotwendig,denKinderschutzimRahmenderBegleitetenElternschaftandersundkritischerzubetrachten.KünftigeFachkräftesolltensichdarüberbewusstsein,dassdieArbeitinderBegleitetenElternschaft in regulärenLeistungsbereichen,aberauch inGrauzonenoderGe-fährdungsbereichenstattfindet.DeshalbsollteeinzentralesThemaderAusbildungdieAktivierungder Erziehungsfähigkeit der Eltern sein, die aufgrund ihrer psychosozialenoder kognitivenVerfas-sungnichtdurchweginderLagesind,ihreKinderohneUnterstützungkindeswohlgerechtundalters-angemessenzuerziehen.FürdieangehendenFachkräfte istesnotwendigzulernen,sich ineinemSpannungsfeld vonKindeswohl unddem Interesseder Eltern, ihre Kindermöglichst nach eigenenVorstellungenzuerziehen,zubewegen.InvielenFällenfehltinderPraxisdasWissenüberdenUm-gangmitMenschen,dieUnterstützungbeiderErziehungihrerKinderbenötigen.UmsichauchaufdiesePerspektivederElterneinlassenzukönnen,benötigenkünftigeFachkräfteWissenzuThemenwie »geistige Beeinträchtigung und Elternschaft« oder »psychische Erkrankung und Elternschaft«.DabeisolltensieUnterstützungsmöglichkeitenfürMenschenmitLernschwierigkeitenkennenlernenundwiemanmitdiesenPersonenkreisenimpädagogischenAlltagarbeitenkann.Esbedarfalsoei-nerspeziellenElternarbeit,diedavonabgeht,zuerwarten,dassdieseganzauseigenemAntriebihrRechtaufErziehungausübenkönnen.
Das noch recht jungeArbeitsfeld der Begleiteten Elternschaft hat –was die Rahmenbedingungenangeht–einenhohenEntwicklungsbedarfinBezugaufdieQualität.DieZusammenarbeitmitHoch-schulenundAusbildungsstättenmussangestrebtwerden.SosolltenzumBeispielFachkräftevorOrtSeminare zum Thema anbieten. Kollegialer Austausch, Fortbildung, die gemeinsame Entwicklung
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fachlicherStandardssowiedieDiskussionundBewertungderErgebnissevonWissenschaftundFor-schungsinddringendnotwendig.VereinzeltgibtesbereitsDiplom-oderBachelorarbeitenzumThe-ma.Wasesbraucht,isteinePrüfungderWirksamkeitvonLeistungenderBegleitetenElternschaft.NurdannkönnenbedarfsgerechteUnterstützungsstrukturenweiterentwickeltundnochmehrpass-genaueHilfenangebotenwerden.
Wie sehen gute Arbeitsbedingungen bei Trägern aus?
DieBegleitungundUnterstützungvonElternmitLernschwierigkeitenundihrenKindernunterschei-detsichvonanderenUnterstützungsformendurchdiehöhereKomplexitätdesBeziehungssystems.DieseserforderteinespezielleBeratung,BegleitungundFortbildungderFachkräfteimHinblickaufpädagogischeundsystemischeAspekte.
WichtigsindaussagekräftigeStellenprofile fürallesozialpädagogischenundtherapeutischenFach-kräfte. Jedes einzelne Stellenprofil sollte ganz klar die Rolle des Stelleninhabers definieren. Stel-lenprofile dienen somit der Einarbeitung neuer Fachkräfte, benennen deutlich die gefordertenLeistungsinhalteunddienengleichzeitigderAbgrenzungvonAufgaben,KompetenzenundVerant-wortlichkeiten.
Teamsitzungen sollten regelmäßig stattfinden, um aktuell und zeitnah alle anstehenden Themenauszutauschen,sichfachlichzuberatenundweitereVorgehensweiseninderHilfe-undErziehungs-planungabzustimmen.SowirddieHandlungssicherheitderBeschäftigtenerhöhtundgefestigt.Zu-demsindinnerhalbdesTeamsHilfenundMethodenzurErreichungderjeweiligenErziehungs-undHilfeplanziele zu koordinieren, regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Dabei können einzelneMitarbeiter*innendieVerantwortung fürbestimmteAufgaben imTeamoder füreinzelneZiele imRahmenderErziehungs-undHilfeplanungderElternundihrerKinderübernehmen.
5. Anforderungen an die Fachkräfte
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
30 5. Anforderungen an die Fachkräfte
Fachkräfte solltensich regelmäßig ineinegemeinsameSupervisionbegeben,umteamdynamischeProzesse und das eigene professionelle Handeln zu überprüfen. In der Supervision verständigtmansichzudemwiederkehrendüberhandlungsleitendeHaltungenundWerte.DiekontinuierlichekonzeptionelleWeiterentwicklungdesUnterstützungsangeboteserfordertnebenregelmäßigstatt-findendenKonzeptionstageneine sorgfältig geplante individuelle Fort- undWeiterbildung. FürdieSicherungderQualität desAngebots ist es unverzichtbar, dass sich Fachkräfte immerwieder neumitLerninhaltenauseinandersetzen,diesiefürihrekomplexeArbeitinderBegleitetenElternschaftbenötigen.Qualitätsstandards werden zudem darüber gesichert, dass die Träger bestimmte ArbeitsprozesseundAbläufeschriftlich festlegenundstandardisieren.DieseStandardisierungvonAblaufprozessenunddiegenormteDokumentationderArbeitsabläufebewirkteineOptimierungderQualitätssiche-rung.Kommunikationswege,ZuständigkeitenundEntscheidungskompetenzensindklardefiniertundfüralleeinsehbar,wodurchReibungsverlustebeidentäglichenArbeitsprozessenvermiedenwerdenunddieArbeitszufriedenheitsteigt.ZurQualitätssicherunggehörendesweiterendieTeilnahmeanArbeitskreisen,FachgruppenundTagungen– regionalundüberregional– , sowieeinTransferderErgebnisseundErkenntnisseindiebestehendenLeistungsstandards.
Eine Frage der Haltung
WieFachkräftedieElternunterstützen,hängtvonihrerHaltungzudenElternab.DieArbeitsolltevoneinerwertschätzendenundakzeptierendenGrundhaltunggeprägtsein.DenndieseschafftdieGrundlagefüreineguteZusammenarbeitunderöffnetdieEntwicklungsspielräume.Fachkräftemüs-sendieZuversichtmitbringenodersichaneignen,dassElterntrotzLernschwierigkeitenihreEltern-rolleausfüllenkönnenundlernfähigsind.DieeigeneHaltungundWertvorstellungensindalsoimmerwiederzuhinterfragen.Wiesteheichei-gentlichzurElternschaftvonMenschenmitLernschwierigkeiten?KönnendieElterndieVerantwor-tungfür ihreKinderübernehmen?IhreKinderausreichendversorgen?Wiegehtesmir imHinblickaufdieKinder?EigeneErwartungenundLebensentwürfedürfennichtaufdieElternundihreKinderübertragenwerden.Esgehtdarum,eigeneVorstellungenimmerwiedermitderRealitätderbetreffendenFamilieabzu-gleichen.DerUmgangmitErnährung,Erziehung,MedienundsoweiterwirdoftnichtdeneigenenVorstellungenentsprechen.GeradedeshalbistesfürdiegemeinsameArbeitandiesenThemensowichtig,neugierigzubleiben,sichgegenseitigbesserkennenzulernenundVertrauenzuentwickeln.
WerdenElternundihreKinderindiePlanungeneinbezogen,wirddiesihreMitwirkungsbereitschaftstärken.JedeMutter,jederVatersolltevoneinerBezugsbetreuerinbegleitetwerden,umeinever-trauensvolleundstabileBeziehungaufzubauen.UnterstützendeLeistungensolltensichaufStärkenundRessourcenderMütteroderVäterundKinder konzentrieren: So lassen sichErfahrungenvonKompetenzundErfolgambestenvermitteln.EntscheidendfürdenAufbaueinergutenArbeitsbe-ziehung ist–nebenderHaltungderHelfenden– dieEinstellungundMitwirkungsbereitschaftderElternzudenHilfen.DieElternbrauchenVerständnisfürihreFamilieundihreSituation,umsichfüreineZusammenarbeitzuöffnen.
Mitwirkung: Norbert Becker, Sozialpädagoge, B.A., bis Februar 2018 tätig als Regionalleiter im Eltern-Kind-Verbund Hohenschönhausen, die reha e.v. – Soziale Dienste mit Kontur
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Begleitete Elternschaft – Forschung aus Engagement
Ein wissenschaftliches Forschungsfeld um Eltern mit Behinderungen entstand aus behindertenpoli-tischen Aktivitäten und einer empathisch begleiteten Lebensrealität: Erst die Debatten um Norma-lisierung und Empowerment stießen Mitte der 1990er Jahre Fachdiskussionen zur Elternschaft von Menschen mit Beeinträchtigung an.
Diese Entwicklungwurdeweiter befördert durch dieNovellierung des Betreuungsrechts im Jahre1992unddiesich infolgedessenveränderndeSterilisationspraxis.BisdahinbestimmtenerheblicheZweifelanderelterlichenKompetenzvonMenschenmitBehinderungunddiedarausabgeleitetenRisikenfürkindlicheEntwicklungendasBild–undauchdieRealität:KindervonElternmitgeistigerBeeinträchtigungwurdenmeist»fremdplatziert«untergebracht.1994trateineGrundgesetzänderung inKraft,die imArtikel3dasVerbotderBenachteiligungauf-grundeinerBehinderungfestschrieb.2001schafftedasNeunteSozialgesetzbuchdierechtlicheBa-siszurSelbstbestimmungundTeilhabeamgesellschaftlichenLeben.2009ratifiziertedieBundesre-publikDeutschlanddasInkrafttretenderUN-Behindertenrechtskonvention(BRK),inderdieRechtevonMenschenmitBehinderungeninallenLebensbereichen,einschließlichdasRechtaufElternsein,verankertsind.InArtikel23fordertdieBRKinBezugaufElternschaftdieBeseitigungvonDiskrimi-nierungunddieGleichberechtigung.AusdrücklichuntersagtsiedieTrennungdesKindesvonseinenleiblichenElternwegeneinerBehinderung.
Eine erste bundesweite wissenschaftliche Studie1 und darauf aufbauende Forschungsprojektezur Lebenssituation vonMüttern/Väternmit BeeinträchtigungundderenKinderbegannen inden1990er Jahrenunter Federführung vonUrsulaPixa-Kettner anderUniversitätBremen.Der fachli-che Diskurs intensivierte sich, es gab Anschlussstudien, so ab 2005 eineNachfolgeerhebung2 der UniBremen,ebenfallsunterPixa-Kettner.DieStudiestellteaktuelleDatenzurLebenssituationvonElternundKindernzurVerfügung,beleuchtetedieRahmenbedingungendersichentwickelndenpro-fessionellenUnterstützungundregtewiederumkonzeptionelleWeiterentwicklungenan.Im englischsprachigen Raumhatte die Fachdiskussion um die Elternschaft vonMenschenmit Be-einträchtigungbereitsinden1980erJahrenbegonnen.StudienbeschäftigtensichmitderWirkungvonUnterstützungsformen und beschrieben Erfolgsfaktoren für gelingende Elternschaft,wie eineaufdiejeweiligenBedürfnisseabgestimmteBegleitung,dieOrientierungandenLebenswelten,denrespektierendenUmgangdurchdieFachkräfteunddieSicherungvonsozialerEinbindung.
Im Rahmen einesModellprojektes Begleitete Elternschaft3 analysierten die Universität Dortmundund die Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2006 bis 2009 den Auf-bauunddieWeiterentwicklungbestehenderAngeboteinderPraxis.EsgingumdieSichtvonMüt-ternaufihreLebenssituationundumdiePerspektivederFachkräfte.ImFokusderForschungstandaberauchdienotwendigeVernetzungunterschiedlicherDienste,InstitutionenundKostenträger,umstrukturelle und institutionelle Voraussetzungen für einewirksameUnterstützung von Eltern undKindernzuerfassenundzubelegen.
6. Forschungsbeiträge und Studienvon Annegret Simon-Sack
6. Forschungsbeiträge und Studien
1 Ursula Pixa-Kettner, Stefanie Bargfrede und Ingrid Blanken: »Dann waren sie sauer auf mich, dass ich das Kind haben wollte ...«. Eine Untersuchung zur Lebenssituation geistig behinderter Menschen mit Kindern in der BRD. Hg. Der Bundesminister für Gesundheit. Nomos Verlag, Baden-Baden 19962 Ursula Pixa-Kettner, Bernhard Sauer, Elterliche Kompetenzen und die Feststellung von Unterstützungsbedürfnissen in Familien mit geistig behinderten Eltern. In: Ursula Pixa-Kettner (Hg.), Tabu oder Normalität? Eltern mit geistiger Behinderung und ihre Kinder. Edition S, Heidelberg 2008 3 Albert Lenz, Ulla Riesenberg, Birgit Rothenberg, Christiane Sprung: Familie leben trotz intellektueller Beeinträchtigung. Begleitete Elternschaft in der Praxis. Lambertus Verlag, Freiburg 2010
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EinForschungsvorhaben4mitbesondererAusrichtungführtedieUniversitätBremen2012durch.MitAnsätzenpartizipativerForschungwurdenMütterundVäterzuihremFamilienlebenundzurArbeitderFachkräftebefragt.ErsteErfahrungendes»inklusiven«Forschenssindsomitauswertendfestge-halten.SchlussfolgerndfordertedieStudiediestärkereUnterstützungfürEltern,umsozialerIsolati-onentgegenzuwirkenundderenTeilhabeamkommunalenLebenzuermöglichen.InderUmkehrungbedeutetedies die Forderung, inklusive Zugänge auszubauen– einschließlich Leichter Sprache alswichtigemElementzumAbbauvonBarrieren.
Mittlerweile beleuchten Fachartikel, Bachelor- und Masterarbeiten, Fachtage, Fortbildungen undFilmproduktionendieSituationvonMütternundVäternmitLernschwierigkeitenundihrenKindernausverschiedenenPerspektiven.
AufeineEvaluationzurBegleitetenElternschaft,fürdievorallemFamilienausBerlinundBranden-burggewonnenwerdenkonnten,wollenwirbesondersaufmerksammachen:Die2016veröffentlich-te SEPIA-D-Studie5desHeilpädagogischen InstitutsderUniversitätFreiburg/Schweiz,konzentriertesichaufdieLebenssituationundausgewählteEntwicklungsaspektederKinder,die imRahmenvonBegleiteterElternschaftunterstütztwerden.MitdemFokus,dass sichkindlicheEntwicklung in je-derFamilieimZusammenwirkenvonAnlageundUmweltfaktorenvollzieht,gingdieStudiefamiliärerVielfaltnach;undsiestelltedieFragenachderWirksamkeitvonjeweilsgeeignetenHilfestrukturenundnotwendigerfachlichenAusrichtungfürkindlicheundelterlicheBedarfe.
DieEmpfehlungenfürdieweitereAusgestaltungderHilfen fürElternmitBeeinträchtigungumfas-sen strukturelle Aspekte wie den Ausbau von wohnortnahen ambulanten wie stationären Unter-stützungsstrukturen.DaFamilien,wennüberhaupt,nurüberkleinesozialeNetzeverfügenundderAufbausozialerEinbindungsichfürsieoftschwieriggestaltet,kannsicheinVerlustvonvertrautenLebensbezügendestabilisierendaufElternwieKinderauswirken.SchlussfolgerndbenenntdieStudiefürdieinhaltlicheWeiterentwicklungausdrücklichdieNotwendigkeitkindlicheEntwicklung,amAl-terorientiertundkorrespondierendmitdenelterlichenRessourcen,imRahmenderHilfenkompen-satorischzuunterstützen.
ZudenjüngstenForschungsberichtengehörteineumfangreicheAnalyse»UnterstützteElternschaft-Angebote für behinderte und chronisch kranke Eltern« 6, vorgelegt von derUniversität Leipzig imHerbst 2017. Die Studie beleuchtet aus vielfältiger Perspektive –Dokumentenanalyse auf Bundes-und Länderebene zur Teilhabeplanung, Befragung der Leistungsträger der Jugend-und Eingliede-rungshilfe, BefragungderAnbieter vonBegleiteter Elternschaft undElternassistenzunddurchdieAnalysevonFallstudien–die LebenssituationunddieTeilhabechancenvonElternmitBeeinträch-tigung.DieausdemumfangreichenDatenmaterialabgeleitetenHandlungsempfehlungenbeziehensichaufdiePolitikundForschung,aufdieEbenederLeistungsträgerundderLeistungsanbieter.
4 Ursula Pixa-Kettner, Kadidja Rohmann: Besondere Familien – Welche Unterstützung brauchen Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihre Kinder? Universität Bremen 20125 Eltern mit geistiger Behinderung und ihre Kinder unterstützen. Evaluation zur Begleiteten Elternschaft in Deutschland. Befunde aus der SEPIA-D-Studie. Bestellung unter: fns.unifr.ch/sepia6 Unterstützte Elternschaft – Angebote für behinderte und chronisch kranke Eltern – Analyse zur Umsetzung des Artikels 23 der UN-BRK, Abschluss- bericht. Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Gefördert durch: Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Leipzig o.J.
6. Forschungsbeiträge und Studien
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Begleitete Elternschaft im Zeitalter der Inklusion
Konnte 1996 Ursula Pixa-Kettner in ihrer Studie über Eltern mit einer geistigen Behinderung noch formulieren, »dass diese Eltern die am strengsten kontrollierte und überwachte Elterngruppe in unserer Gesellschaft sind, an die bisweilen sogar höhere Maßstäbe angelegt werden als an andere Eltern«1, sind wir heute vorrangig mit anderen Problemlagen beschäftigt: Die steigenden Kosten im Bereich »Hilfen zur Erziehung« und die chronische Unterbesetzung der Berliner Jugendämter stel-len Ressourcen für die notwendige Hilfe grundsätzlich in Frage.
WassollmanmachenmitEltern,dieweitüberdieGrenzevonzweiJahrenhinauseinenBedarfanFamilienhilfe habenundderen Kinder vielleicht dennochnicht in der Familie bleiben können? EinKostensteigerungsfaktor,dessenSteuerungsichbisheralskomplexbisaussichtsloserwiesenhat.
DieEltern,umdieesindiesemThemenheftgeht,sindElternmitLernschwierigkeiten2. Dies ist ex-plizitkeinBehinderungsbegriff,sonderneineselbstgewählteBezeichnungvonMenschen,diedamitdenSchwierigkeiten, indieserWeltzurechtzukommen,aufeinefeinsinnigeundgleichzeitigprag-matischeWeiseAusdruckverleihen.EssinddieSchwierigkeiten,dieimWechselspielzwischeneige-nenKompetenzenunddenBedingungendesUmfeldes–vonMenschzuMensch–inderpersönli-chenEntwicklung,aberauchzeitlichundräumlichsehrunterschiedlicherlebtwerden.Sozialpädagogische Familienhelfer unterstützen Eltern beim Lernen3, mit den Schwierigkeitenim vorgenannten Sinne zurecht zu kommen – eine großartige sozialpolitische Errungenschaft inDeutschland,dieeinegrundsätzlichinklusiveHaltungtransportiert:JedeFamiliekannSchwierigkei-tenhaben,jederMenschenkannSchwierigkeitenhaben,weilerMenschist.ElternhabenSchwierig-keiten,weilElternseinohneSchwierigkeitengarnichtvorstellbarist.DieUN-BRKmachtkonsequentdaraufaufmerksam,dassdamiteineUnterstützungfür»MenschenmitBehinderungeninangemessenerWeisebeiderWahrnehmungihrerelterlichenVerantwortung«verbunden seinmuss. (UN-BRK Art. 23 (2) Satz 2)4. Da – neben gleichen Rechten für alle – jederMenscheinzigundbesondersist,entstehtjenesSpannungsfeld,indemsichauchdieHelferderBe-gleitetenElternschaftbewegen.DieGleichheitderRechtewirdhierheftigherausgefordert!Wennmehrere Leistungen von verschiedenen Leistungsträgern zusammenkommen, gibt es mindestensbeim Beschreiben der Leistungen Überschneidungen. Bei sehr komplexen Bedarfslagen gestaltetsichdiefürVergleichbarkeitundSteuerungnötigeeindeutigZuordnungderLeistungzueinemLeis-tungsträgersehrschwierig.
WirlernenimUnterstützungsalltagmitdiesenFamilieninden»verzahnten«HilfenderBegleitetenElternschafteineinteressanteneuePerspektivekennen.AusgehendvomBedarf–dasheißt,denak-tuellverfügbarenoderebenauchnichtverfügbarenRessourcenundKompetenzenimWechselspielmitZugangsmöglichkeitenoderBarrierenderUmwelt–,dosierendieHelfereinederjeweiligenEnt-wicklungangepassteHilfeleistung.Dosierenbedeutet,sichaufdiePersonenundaufdievielfältigen
7. ...und Zukunft
7 ...und Zukunftvon Markus Kurrle, Annegret Simon-Sack
1 Tabu oder Normalität? Eltern mit geistiger Behinderung und ihre Kinder. Hg. Ursula Pixa-Kettner, Heidelberg 2006, S. 122 www.people1.de: People First ist ein gemeinnütziger Verein von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Die Mitglieder legen großen Wert darauf, nicht als geistig behindert, sondern in erster Linie als Menschen betrachtet zu werden – daher trägt das Netzwerk den Namen »People First«.3 SGB VIII § 31: »Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben.«4 www.behindertenrechtskonvention.info/uebereinkommen-ueber-die-rechte-von-menschen-mit-behinderungen-3101
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familiärenBeziehungsebeneneinzulassenunddieseoffene,prozessualeBeziehungsarbeitüberdieEngemethodischerVorgabenoderstrukturellerAbläufezustellen.InderBegleitetenElternschaftlehrendieHilfeempfängerkontinuierlichdieHelfer,wiedieHilfebe-nötigtwird.DenndieempfindlichenFamiliensystemereagierenhöchstsensibelaufUnachtsamkeitundFremdbestimmung.WenndieHilfenachtsamundrespektvollgegebenwerden,sindsiejedochfür die Hilfeempfänger – ob Eltern, Kinder oder die Familie – um sowirksamer. DieseHaltung inderLeistungserbringungBegleiteterElternschaftistinhöchstemMaßeinklusiv,denndieWürdedesMenschenundnichtseineBehinderungstehenimZentrumsozialenHandelns.
DieWirkungistnichtimmerunmittelbarimSinneeinerProblemlösungodereinerVerbesserungderErziehungskompetenz sichtbar. Das oben beschriebene Spannungsfeld zwischen der Besonderheitder Leistungserbringung imEinzelfallunddengleichenRechten füralle findetvielmehr seineEnt-spannungdurchselbstverständlicheTeilhabe.Woesgelingt,dieHilfensozudosieren,dasssieaufAugenhöheundmitderSelbstverständlichkeitdergleichenRechte–vonMenschzuMensch–er-brachtwerden,entstehenneueRessourcen.InklusionmeinthierdieBereitschaft,unsaufdasNeueeinzulassen.Also,dasswirnochnichtwissen,sondernnurerahnenkönnen,welchesPotentialdarinliegt,nichtnurDefizitezukompensieren, sondernwirklichgleicheTeilhabe-Gelegenheitenzuwol-len!LeistungserbringerwieLeistungsträgerkönnensogemeinsammitdenLeistungsempfängernler-nen,MittelundPersonalwirkungsvolldosierteinzusetzen.InsofernmöchtenwiralleBeteiligteneinladen,sichaufdieEltern,dieKinderunddieFamilienein-zulassen.Siezubefähigen,ihrenUnterstützungsbedarfaufAugenhöheimSinnederSelbstverständ-lichkeitgleicherRechtezubenennen.InklusionistdamitverstandenalsVertrauenindieLeistungs-empfänger,dass–wennwir fachlichgutaufgestelltsind–sieunsorientierenkönnenunddürfen,wiedieUnterstützungwirksamist.NutzenwirdieChance,dieseinklusiveDimensionderBegleitetenElternschaftzuerkunden!
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Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Die nächsten Schritte
Unter dem Hilfeprofil »Begleitete Elternschaft« werden vielfältige Angebotsstrukturen gefasst. In-zwischen sind sie Bestandteil der Unterstützungslandschaft, wenn auch der Auf- und Ausbau von wohnortnahen Strukturen sowie präventiven, dauerhaften und nachsorgenden Angeboten für Mütter und Väter mit Beeinträchtigungen weiterhin eine Aufgabe bleibt.
Anfang2017 tratdieersteStufedesBundesteilhabegesetzes (BTHG) inKraft. FürdenBereichder»SozialenTeilhabe«wirdkünftiggeregelt,dassAssistenzleistungenfürMütterundVätermitLern-schwierigkeitenzurUnterstützungihrerElternschaftsowiezurVersorgungundBetreuungihrerKin-dergewährtwerden.DiekonkreteRealisierungmussdurchaktiveBeteiligungmitgestaltetwerden.BeispielhaftseihierdieVerankerungvonElternschaftbeiderBedarfserhebungundalsBestandteildesLeistungskatalogseinerunabhängigenTeilhabeberatungbenannt.
DasgiltauchfüreininklusivausgestaltetesSGBVIIIbeziehungsweiseJugendhilfeleistungenfürBe-darfevonElternmitLernschwierigkeiten.HiermüssendieProzessederBedarfsfeststellung,derHil-feplanungundderAusgestaltungvonHilfennochbesseraufdieseElterngruppeabgestimmtwer-den.ZudemgehtesumsinnvolleKooperationsstrukturenzwischendemJugendhilfesystemunddenHilfennachdemBundesteilhabegesetz–auchumderGefahrzubegegnen,dassElterninlangwie-rigeAuseinandersetzungengeraten,obLeistungenaufgrundvonLernschwierigkeitenbenötigtwer-denoderobeseinerStärkungimEltern-Daseinbedarf.
7. ...und Zukunft
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
36 8. Materialien und Links
8. Materialien und Links
Arbeitskreis Begleitete ElternschaftBegleitete Elternschaft – Ein EmpfehlungspapierHerausgeber Der Paritätische Wohlfahrtsverband,
LV Berlin e. V., Berlin 2016 (2. Auflage)Initiatoren berliner STARThilfe e. V., COMES e. V.,
Lebenshilfe Berlin, die reha e. V. und RBO gGmbHDownload www.jugendhilfe-bewegt-berlin.de/
aktuelles-detailansicht/article/begleitete-elternschaft-1.html
Arbeitskreis Neue Erziehung e. V.ANE-Elternbrief in Leichter Sprache 1 & 21:LeichtverständlicheInformationenfürdasersteLebensjahr:WelcheHilfenkönnenSiebekommen?WasmüssenSiefürdieGesundheitihresBabyswissen?WarumschreiteinBaby?WieentwickeltsichIhrBaby?2:LeichtverständlicheInformationenfürdasKleinkindalter:WaspassiertineinemKindergarten?WelcheKitaistrichtigfürmeinKind?SieentscheideninwelcheKitaIhrKindgeht!WiebekommenSieeinenKita-PlatzfürIhrKind?FälltIhnendieTrennungvonIhremKindschwer?WasbrauchtIhrKindinderKita?Herausgeber Arbeitskreis Neue Erziehung e. V.,
Hasenheide 54, 10967 Berlin, www.ane.deVerfasser Arbeitskreis Neue Erziehung, capito Berlin
www.capito-berlin.eu, Landes-Arbeits-Gemeinschaft Begleitete Elternschaft Brandenburg-Berlin
Hinweis Die Elternbriefe können nur an Berliner Adressen versandt werden.
Lebenshilfe DresdenElternratgeberHerausgeber Lebenshilfe Dresden e. V., Josephinenstraße 31,
01069 Dresden Verfasser Hilfen zur Erziehung, Josephinenstraße 31,
01069 DresdenInformationen und Bezugsquelle
www.lebenshilfe-dresden.de/de/arbeit/arbeitsangebote/verkauf/druckerzeugnisse/13-Elternratgeber.php
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Caritas FreiburgKinder dürfen nein sagen! KindervorGewaltschützen:InfosfürKinder,Eltern,ErzieherinnenundLehrerinnenHerausgeber Deutscher Caritasverband e.V. (DCV), Caritas
Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP), KTK-Bundesverband e. V., Karlstraße 40, 79104 Freiburg, 2016
Verfasser Caritas Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Büro für Leichte Sprache im Dominikus-Ringeisen-Werk
Bezugsquelle www.carikauf.de/produkte/fuer-die-caritas/buecher-fuer-die-caritas/kindervorgewaltschtzeninfosfrkinderelternerzieherinnenundlehrerinnen/
Nationales Zentrum Frühe HilfenNEST-Material fürFachkräftezurUnterstützungihrerArbeitmitFamilienHerausgeber Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Maarweg 149-161, 50825 Köln
Bezugsquelle www.fruehehilfen.de/serviceangebote-des-nzfh/materialien/publikationen/nest-material/nest-aufbau-und-inhalte/
Lebenshilfe BremenKindes-Wohl, Kindes-Wohl-GefährdungHerausgeber Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung
Bremen e. V., Waller Heerstraße 55, 28217 Bremen Verfasser Stefanie Bargfrede, Daniela Wiechmann,
Lebenshilfe für Menschen mit geistiger BehinderungBremen e. V., Waller Heerstraße 55, 28217 Bremen
Informationen und Bezugsquelle www.lebenshilfe.de/de/leichte-sprache/gefuehle/eltern-sein/Heft-Kindes-Wohl.php?listLink=1
8. Materialien und Links
Begleitete Elternschaft – kombinierte Hilfen als Balanceakt
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Bettina BlankmannDiplom-Sopzialpädagogin,RegionalleitungPankowundFachkoordination JugendhilfebeimberlinerSTARThilfee.V.
Anette GaffronDiplom-Sozialarbeiterin/-Sozialpädagogin;LeiterinBetreutesEinzelwohnenundEltern-Kind-Verbund(BegleiteteElternschaft),RBO–InmittengemeinnützigeGmbH
Markus KurrleGestalttherapeut,seit1993TherapeutischerLeitervonCOMESe.V.,InitiatorundMitautordesLeit-fadensLichtenbergunddesEmpfehlungspapierszurBegleitetenElternschaftsowiedesArbeitskrei-sesBegleiteteElternschaftbeimParitätischenBerlin.Twitter:@MarcMcCurl
Eckart NebelSozialarbeiterB.A.,stellv.LeiterdesGeschäftsfeldsBegleiteteElternschaftbeiCOMESe.V.,Lehrbe-auftragteranderAlice-Salomon-HochschuleBerlin
Annegret Simon-SackDiplom-Sozialpädagogin,FachbereichsleiterinKindheit,Jugend,FamilieundFreizeit,LebenshilfeBer-lin.Kinderschutzfachkraft
Annette VlasakDiplom-Sozialpädagogin,TeamleiterinambulanteHilfe,Albatros-LebensnetzgGmbH.SprecherinderBundesarbeitsgemeinschaft(BAG)BegleiteteElternschaft
Melanie WeilandDiplom-Rehabilitationspädagogin,BereichsleiterinAmbulanteHilfen,tandemBTLgGmbH.Berufser-fahrungalsTeamleiterininderstationärenKinder-undJugendhilfe,AufbaueinerinklusivenWohn-gruppe.Kommunikationstherapeutin,Kinderschutzfachkraft
Antje WilhelmDiplom-Sozialpädagogin,BereichsleiterinKinder-undJugendhilfeundQualitätsbeauftragte,dierehae.v.–SozialeDienstemitKontur.SprecherinderLandesarbeitsgemeinschaft(LAG)BegleiteteElternschaftBrandenburg-Berlin
Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
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Ambulante Hilfen zur Erziehung in Familien aus Südosteuropa/Roma
Herausgeber DerParitätischeWohlfahrtsverband,LVBerline. V.BrandenburgischeStraße80,10713BerlinTel030860010Fax03086001110info@paritaet-berlin.deparitaet-berlin.defacebook.com/ParitaetBerlinTwitter@paritaetberlinVorsitz:Prof.BarbaraJohnGeschäftsführung:Dr.GabrieleSchlimper
Verantwortlich AnnaZagidullin,ReferatJugendhilfe,DerParitätischeBerlinUlrikePohl,ReferatMenschenmitBehinderungen,DerParitätischeBerlin
RedaktionSilkeIhden-Rothkirch
Gestaltung, Layout und Satz ralfmischnick.de
Fotos Titel:pixplosion/pixelio.de,sowie ArchivberlinerSTARThilfee.v.,COMESe.V.,dierehae.v.–SozialeDienstemitKontur(ArvoWichmann)
Berlin,Mai2018
WirfreuenunsaufIhreAnmerkungen,ErgänzungenundDiskussionsbeiträgezumThemaundzudiesemHeftunterjugendhilfe-bewegt-berlin.de und teilhabebewegt.berlin.
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