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Elternschaft und Persönlichkeitsstörung Auswirkungen auf die frühkindliche Entwicklung

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Elternschaft und

Persönlichkeitsstörung

Auswirkungen auf die

frühkindliche Entwicklung

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Gliederung des Vortrags

• Elternschaft

• Bindung

• Regulation

• Frühe Kindheit und Borderline

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Elternschaft

• Erziehungsrecht und Erziehungsverantwortung

• Bedürfnisse des Kindes zur gesunden Entwicklung

• Temperament, Individualität und Kompetenzen des Kindes

• Emotionsregulation und Aufbau von Bindung

• Kindliche Entwicklung mit Übergängen und Krisen

• Anpassung der elterlichen Führung an altersentsprechende

Entwicklungsaufgaben des Kindes (Streben nach Gebundensein, nach

Autonomie und eigenen Kompetenzen)

• Aufbau und Stärkung von Elternkompetenzen

• Motivation der Eltern zu eigenen Therapien

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Frühkindliche Entwicklung

• Entwicklung so schnell wie in keiner anderen Lebensphase

• Wachstumsschub des Gehirns in ersten 12 Monaten von 400g auf 1000g

• Frühe Reifung von Arealen der Emotionsregulation,

„Emotion vor Kognition“

• Die Entwicklung der Emotionsregulation und Reaktion auf frühe

Erfahrungen bedingt durch: Genetik, Epigenetik und der Prägung des

Stresssystems (bereits pränatal)

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Was ist Bindung?

• Emotionale Bindung sichert das Überleben des Säuglings

• Säuglinge von Anfang an fähige Interaktionspartner

• Spezifische emotionale Bindung an eine Hauptbezugsperson (sicherer

Hafen)

• Trennung und Angst aktiviert das Bindungsbedürfnis

• Sättigung von Bindungserfahrung beruhigt das Bindungsbedürfnis

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Phasen des Bindungsaufbaus

• Bindungsentwicklung verläuft in Phasen über die gesamte frühe Kindheit

(Bowlby)

• gesunde Entwicklung findet im Spannungsfeld zwischen Exploration und

Nähebedürfnis statt.

• Emotionsregulation durch die Fürsorgeperson beeinflußt Qualität der

Bindung und bildet damit „Basisgeschehen“ (Rass, 2011)

• „Frühe Erfahrungen prägen Bindung zwar tiefgehend, aber Plastizität

des menschlichen Systems flexibel und veränderbar“ (Rass, 2011)

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intuitive elterliche Kompetenz

nicht bewußte elterliche Anpassung an die Kommunikation mit dem

Säugling:

• Beruhigung – Aktivierung

• Modulation der Stimme, der Körpersprache, Halteposition

• Folgen des Aufmerksamkeitsfokus

Papousek & Papousek (1981)

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Feinfühligkeit

Emotionale Sicherheit abhängig von Fähigkeit und Bereitwilligkeit der Betreuungsperson, die Signale und das Verhalten des Säuglings (des Kindes)

• wahrzunehmen und zu spiegeln

• richtig zu interpretieren (Affekt und Grund für Distress erkennen),

• prompt (entscheidend im Säuglingsalter) und stimmig zu reagieren

• aber auch Bedürfnis nach Selbstregulation/Autonomiebestreben respektieren

M.Ainsworth (1977,78)/ Bretherton

• „wahres Selbst“: bei Sicherheit eigene Gefühle und Wünsche auszudrücken

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Normvarianten von Bindung

Sicherer Typ „B“ (50-60%): Balance zwischen Sicherheit durch Nähe und

Exploration

unsicher-vermeidender Typ „A“ (30-40%):

Exploration überwiegt zu Ungunsten des Bindungsverhaltens, Verbergen und

unterdrücken negativer Affekte bei Trennung, bei Wiederkehr ablehnend, meidend

unsicher ambivalenter Typ „C“ (10-20%): Verzweiflung bei Trennung mit

Mischung von Angst und Ärger, da Bindung nicht steuerbar, kaum Beruhigung bei

Wiedervereinigung

Normvarianten sind keine pathologischen Abweichungen!

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Pathologische Bindung

• desorganisierter Bindungsstil (Main 1986) mit 5-15% als beginnende

Pathologie:

unvorhersehbare Verhaltensweisen mit Stereotypien, z.B. sinnloses

Kopfschütteln, mechanische Spielbewegungen; unvollendete

Bewegungsmuster, Abwenden, Erstarren oder Erschrecken bei Rückkehr der

Mutter; keine Strategie, um mit bindungsbezogenem Stress umzugehen

• fließender Übergang in die Pathologie mit der Entwicklung einer

Bindungsstörung (reaktiv F94.1 oder enthemmt F94.2)

• Durch „Beziehungstraumata“ bei wechselnden Bezugssystemen,

Beziehungsabbrüchen, Beziehungsverlusten, Deprivationserleben,

Gewalterleben direkt oder indirekt

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Bindungsaufbau durch Regulation

Regulation ist Anpassung an körperliche und emotionale Zustände:

Wachzustand/Schlafen, Tages-/Nachtrhythmus, Hunger/Sättigung, Reize,

Aktivität

• In erster Phase des Bindungsaufbaus regulieren die Bezugspersonen

zunächst die Bedürfnisse des Kindes

• Übergang zunehmend zu Selbstregulation – kindliche Fähigkeit, das

eigene Verhalten zu steuern und sich Anforderungen (kognitiv,

emotional, sozial) anzupassen (Posner und Rothbart)

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„Engelskreise“

Interaktion mit positiver Gegenseitigkeit: „Engelskreise“ (Papousek)

entstehen durch:

• Bedürfniserkennung, Regulierung, Kompetenzerleben der Eltern

• größtmögliche Passung („fit“) zwischen den kindlichen Bedürfnissen und Anforderungen/Unterstützung auf Elternebene (Chess/Thomas, 1984)

• „good enough mother“ (Winnicott)

• Krisenhafte Zuspitzung normal – Zugewinn an Kompetenzen und Selbstvertrauen auf beiden Ebenen

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„Teufelskreise“

Interaktion mit negativer Gegenseitigkeit: „Teufelskreise“ (Papousek)

entstehen durch:

• Schwierigkeiten des Kindes (Temperamentsfaktoren: reizoffen, irritabel,

mangelnde Kompetenzen nach Erschöpfung, Krankheit)

• Überforderung der elterlichen Koregulation durch psychische,

körperliche, soziale Belastungen

• Können dann zu Regulationsstörung im Säuglingsalter führen:

exzessives Schreien, Fütter-, Schlafstörung, Störung der

Emotionsregulation

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Ursachen der Regulationsstörung

• komplexe Wechselwirkung von:

Beziehungs- und Interaktionsgestaltung zwischen Kind und Eltern vor

dem Hintergrund der Kompetenzen und Temperamente auf Eltern- und

Kindebene und den Ressourcen im Umfeld

• die Ursachen und die Symptomatik sind vielfältig und sind keiner

konkreten Pathologie bei den Eltern zuzuordnen – hängen aber in der

Bewältigung maßgeblich von der feinfühligen Bedürfnisregulierung

durch die Bezugspersonen ab

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Frühe Kindheit und Borderline

• Kinder brauchen:

Beständigkeit, Kontinuität und Gleichförmigkeit (….)

• Borderline:

Unbeständigkeit, Unberechenbarkeit, übermäßige Intensität

(Lawson, 2000)

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Merkmale der Borderline-PS

Charakteristisch sind plötzliche Stimmungswechsel der Mutter zwischen

ausreichend feinfühliger Kompetenz in:

• Wut – Ärger

• Ablehnung – negative,aggressive Zuschreibung

• Überstimulierende, erdrückende Zärtlichkeit

• Widersprüche im Affektausdruck

• Beziehungsabbruch

• Impulsivität

• Suizidalität (Lawson)

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„Borderline Struktur“ der Mutter

Es liegen oft keine ärztlichen Diagnosen bei den Müttern vor. • Familienstruktur oft „Multiproblemfamilie“: • hohe Kinderzahl, finanzielle Nöte • Arbeitsunfähigkeit • Probleme in Partnerschaften • Haushaltsdesorganisation

(Hipp/Kleinz) Die BPS der Mutter kann sich auf die Bindungsentwicklung und Emotionsregulation des Kindes auswirken Kindliche Symptomatik im Kontext von Bindung und Emotionsregulation der jeweiligen Lebensabschnitte der Kinder zu sehen und individueller genetischer Vulnerabilität und Temperamentsfaktoren

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Elternkompetenz und Borderline

Die Eltern-Kind-Interaktion kann abhängig von Ausprägung der

mütterlichen Störung

von „hinreichend“ adäquat, feinfühlig und intuitiv kompetent (plötzlich)

übergehen in entwicklungskritisch bis gefährdend und zu Vernachlässigung

oder Misshandlung führen

intermittierend Phasen von "Normalität"

…und in Abhängigkeit eines co-regulierenden/korrigierenden Umfeldes

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Leichte Ausprägung der BPS

Überforderung, rezidivierende psychische Krisen

defizitäre familiäre Strukturen – intermittierend stabilere Phasen

Mutter-Kind-Beziehung:

zeitweise nicht feinfühlig und responsiv, wechselhafte Verhaltensmuster in

Interaktion

Kindebene:

Kein verlässlicher Halt, verunsichert in Bindungserfahrungen, ängstliches

Verhalten, passiv-abwartend oder quengelnd-unruhig

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Schwere Ausprägung der BPS

erhebliche emotionale Instabilität, mangelnde Impulssteuerung große Probleme auf Paarebene und im sozialen Umfeld (soz. Isolierung) Mutter-Kind-Beziehung keine Verlässlichkeit in Beziehung zum Kind, intrusiv, emotional missbrauchend bis verwahrlosend Kindebene unsicher ambivalent bis desorganisierte Bindung, Entwicklungsstörungen bis hin zu schweren Bindungsstörungen, Deprivationssyndrom und/oder posttraumatischen Störung Übermäßige Wachsamkeit – Kontrolle z.B. zur Abwendung von aggressiven Übergriffen oder Suizidalität vordergründig „unauffällig“, angepaßt, parentifiziert, innerpersonell extrem hohes Stressniveau! 21

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Stufenmodell der psychosozialen

Entwicklung (Erikson)

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Stufe 1 Urvertrauen vs.

Misstrauen

0-ca. 1. Lebensjahr Stabiles Sicherheitsbewusstsein

(sichere Basis) vs. Angst und

Unsicherheit

Stufe 2 Autonomie vs.

Selbstzweifel und

Scham

2.-3. Lebensjahr Erlebt sich selbst als fähig zu

Handlungen und

Körperbeherrschungen vs.

Zweifel an den eigenen

Fähigkeiten und Kontrolle von

Ereignissen

Stufe 3 Initiative vs. Schuld 3.-6. Lebensjahr Vertrauen auf die eigenen

Fähigkeiten vs. kein

Selbstvertrauen und

Versagensängste

Stufe 4 Kompetenz vs.

Minderwertigkeitsgefühl

6. Lebensjahr bis

Pubertät

Vertrauen in die eigenen

Fähigkeiten vs. kein

Selbstvertrauen und

Versagensängste

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BPS und Säuglinge

Säuglinge: brauchen prompte, feinfühlige Bedürfnisregulierung

(„containment“) – Abhängigkeit von primärer Bezugsperson

Abwendung des Säuglings bei überfordernder, intrusiver Überreizung

oder Hyperirritabilität und motorische Unruhe, Erstarren „freezing“

Babys insgesamt weniger interessiert an Interaktion mit BPS-Müttern vs.

gesunden Müttern: Abwenden bis Erstarren bei Still-Face-Situation,

weniger positive Affekte = emotionale Dysregulation

Regulationsstörungen entstehen dann bei Überforderung an die

Kompetenzen zur Regulationsfähigkeit

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BPS und Säuglinge

• Schreien:

Hilfl-/Schutzosigkeit des Säuglings, kann zu Trigger für traumatische Erinnerung werden, mütterlicher Stress kann zu „Flucht“ oder Aggression oder Abspaltung von Gefühlsreaktionen führen

• Trinken/Stillen/Saugen:

Projektion und negative Zuschreibung „saugt mich aus“, „frißt mich auf“, „beißt mich mit Absicht“

mit Vermischung Täter-Opfer-Ebene, Kind als Aggressor

• Lieb – teuflisch: Baby wird nur polarisierend wahrgenommen

Abspaltung von „Zwischentönen“, Idealisierung-Abwertung

• Gefahr mangelhafter Versorgung und Kindeswohlgefährdung – insbesondere wenn keine Co-Regulierung durch soziales Umfeld

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BPS und Kleinkinder

mangelnde Bindungssicherheit schränken das Explorationsverhalten und

die Neugier ein, Entwicklungshemmung im sozio-emotionalen Bereich oder

hyperaktiv, distanzlos, wahllos in Bindungssuche

überfordernde, intrusive (vereinnehmende) Verhaltensweisen der Mt.

hemmen die Autonomieentwicklung (Selbstobjektfunktion des Kindes)

„Verbleib in symbiot. Verschmelzung“

Parentifizierung und/oder „Kontrolle des mütterlichen Verhaltens“ bis zu

gefrorener Wachsamkeit, Schuldgefühle

Unberechenbare Reaktionen und Affekte auf Verhalten des Kindes irritieren

die Selbstwahrnehmung (Selbstaufgabe) und verhindern die Entwicklung

von sozialen Kompetenzen, Risiko von Ängsten

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BPS und Kleinkinder

Interesse an Kontakt zu anderen Bezugspersonen (Triade): reaktiviert Verlassenheitsangst bei Kindesmutter, bedroht die Selbstobjektfunktion des Kindes für die Mutter, rivalisierende, konkurrierende Versorgungswünsche, Neid, Eifersucht

Trotz, Austestung von Grenzen: kann vergeblicher Versuch sein, die Mutter emotional zu erreichen, aber auch Ausdruck von emotionaler Überforderung beim Kind; kann von der Mutter als ablehnend, aggressiv und als Trigger für mütterliche Traumatisierung erlebt werden (Verschiebung Täter-Opfer, Erwachsener-Kind) und gleichzeitig Gefahr für körperliche Übergriffe sein

• kindliche Emotionen bleiben invalidiert – „falsches Selbst“, da Anpassung an äußere Welt

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BPS und Stressregulation

Fehlende feinfühlige Versorgung bewirkt Stress (beim Kind)

Genetik – Epigenetik – frühe Erfahrungen: prägen gegenseitig Stresssysteme

und übergeordnete Hirnstrukturen

schon bereits lange vor Zeugung und Geburt des Kindes bestehende Störung auf

mütterlicher Ebene: neurobiologische Beeinflussung der kindlichen Entwicklung

pränatal: Stressbelastung des Fötus – (in Abhängigkeit der) mütterlichen

Stressbelastung

postnatal: Beziehung und interpersonelle Erfahrungen prägen Gehirnstrukturen

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BPS und Stressregulation des Kindes

Der Kreis schließt sich:

„Selbstorganisation des sich entwickelnden Gehirns findet in

Beziehungskontext statt“ (Schore 1996 in Rass S. 19),

Traumatische (Beziehungs-) Erfahrung prägt „Furchtstruktur“, die wiederum

ordnende regulierende Struktur in ihrer Ausprägung hemmt.

(Ausreichend) sichere Bindungserfahrung führt zur Ausschüttung von Oxytocin

(„Bindungshormon„), was Stressreaktion hemmt und die Reifung des

emotionalen Systems fördert (N.Strüber)

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Transgenerationale Weitergabe

Genetisch erhöhtes Risiko einer BPS Prägung des Stress verarbeitenden Systems Bindungsrepräsentation der BPS-Mütter: unsicher ambivalent bis desorganisiert Mentalisierungsfähigkeit auf Elternebene entwickelt sich Abhängigkeit von Bindung zu eigenen Eltern und prägt wiederum die Feinfühligkeit und das Fürsorgeverhalten gegenüber den eigenen Kindern (Schechter, 2009)

Transgenerationale Weitergabe von Bindungsmustern und Mentalisierungsdefizite: Engels- oder Teufelskreise werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben (Strüber, 2016)

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Zusammenfassung

Vielfältige, altersabhängige Symptomatik auf Kindebene vor dem Hintergrund der Beziehungs- und Bindungserfahrungen ! Übermäßige Anpassung kann Ausdruck eines erheblichen Stressniveaus der Kinder sein ! Die plötzlichen Einbrüche der mütterlichen Psyche bergen schwierige Einschätzbarkeit des Kindeswohls und Kindeswohlgefährdung Die Prognose beim Kind abhängig vom: Schweregrad der mütterl. BPS, Genetik, Epigenetik und persönlichem Temperament des Kindes sowie des psychosozialen Umfeldes und ihre Ressourcen mit Möglichkeiten zu stabilen Bindungserfahrungen in familiären, sozialen Strukturen oder therapeutischen Netzwerken

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Literatur

Im Vortrag wurde auf eine detaillierte Angabe der Quellen während des Vortragens verzichtet. Im Folgenden werden Bücher und Artikel benannt, aus denen zitiert wurde. Quellen: Manfred Cierpka, 2015: Regulationsstörungen (Springer) Ann-C. Lawson: Borderline Mütter und ihre Kinder (Psychosozial-Verlag) Nicole Strüber, 2016: Die erste Bindung (Klett-Cotta) Eva Rass, 2011: Bindung und Sicherheit im Lebenslauf (Klett-Cotta) Fernanda Pedrina, 2016: EKP bei psychisch kranken Eltern Ute Ziegenhain, GAIMH 2016: Indikation von beziehungsbezogener Begleitung, Beratung, Therapie bei Sgl. und KK ; Entwicklungspsychologische Grundlagen Hipp/Kleinz, 2014: Mütter mit BPS Deneke/Lüders, 2003: Besonderheiten in der Interaktion zw. psychisch kranken Eltern und ihren kleinen Kindern (Praxis der Kinderpsychologie und KP.52) Daniel Schechter, 2009: Wenn Elternschaft undenkbar wird (Journal of the American Academic child and adolescent psychiatry) Buck-Horstkotte: Mütter mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BELTZ 2015)

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Bindungsstörungen

• Reaktive B. (F94.1), B. mit Enthemmung (F94.2)

• Prävalenz: allgemein < 1%, analog zu Misshandlung und

Vernachlässigung

• > 25% bei Population von Kindern aus Pflegefamilien, >10% älterer

Heimkinder

• ICD 10: anhaltende Auffälligkeiten im Bindungsmuster, Furchtsamkeit,

übermäßig ängstlich und wachsam, bei Belastung deutlich gestresst,

keine Trostsuche, eher Hinwenden zu fremder Person, Rückzug,

Aggressionen gegen andere und sich selbst, soziales Spiel eingeschränkt

• Ohne Hinweise auf Vernachlässigung oder Misshandlung Diagnose nur

mit Vorsicht vergeben

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Mentalisierung

• Nach Fonagy und Target:

• Reflektion, Nachdenken und Vorstellung wie das Gegenüber empfindet

(Gefühle), denkt (Einstellung, Wünsche, Überzeugung)

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Selbstobjekt

• Begriffsprägung von H. Kohut (1923-1981):

• Zur Entwicklung seines „Selbst“ benötigt das Kind in seiner Entwicklung

ein Gegenüber („das Selbstobjekt“), welches auf das sich entwickelnde

Selbst reagiert. Im besten Falle sind das die feinfühligen primären

Bezugspersonen

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Strukturniveau

• Fonagy und Target definierten verschiedene Strukturniveaus in Bezug auf

die Mentalisierungsfähigkeit:

• Gutes Funktionsniveau: Fähigkeit die Affekte des Babys abzumildern,

„containen“ (Bion) und emotionsspiegelnd. Dadurch Bildung von

sekundären Repräsentanzen beim Säugling

• Mäßiges Strukturniveau: verzerrte mütterliche Spiegelung,

Fehlwahrnehmung auf mütterlicher Ebene, überkontrollierend, Ausbildung

eines „falschen Selbst“ (Winnicott)

• Geringes Strukturniveau: Affekte des Babys werden nicht „contained“,

nicht reguliert, sondern 1:1 wieder zurückgegeben, z. B. aufgrund eigener

ungelöster Konflikte

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Epigenetik

• Gene allgemein sind „unser Bauplan“: beeinflusst unsere individuellen

Eigenschaften aber auch wie Erfahrungen sich auswirken können,

dadurch individuelle Unterschiede in psychischer Widerstandsfähigkeit

„Resilienz“

• Erfahrungen wirken auf Gene: „epigenetische Regulation“, Gene können

an- bzw. abgeschalten werden, z.B. Gene für Produktion von

Stresshormonen, transgenerationale Weitergabe möglich z.B. Holocaust-

Nachfahren haben höheres Risiko einer PTBS oder Depression sowie

Stresshormonfreisetzung verändert

(in „Die erste Bindung“, Nicole Strüber S.29)

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