15
112 Michael Simon Begleitforschung zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausfinanzierung Anmerkungen zum zweiten Zwischenbericht der Begleitforschung zur BPflV 1995 Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 wurde eine tnnfassende Reform der Krankenhausfinanzierung eingeleitet, die in einer neuen Bundes- pflegesatzverordnung und der Dritten Stufe der Gesundheitsreform ihre Fortsetzung fand. Wesentliche Merkmale der neuen Krankenhausfinan- zierung sind die Begrenzung des Anstiegs der Krankenhausbudgets (Budgetdeckelung) und die Umstellung auf ein neues Entgeltsystem, in dessen Zentrum Sonderentgelte und Fallpauschalen stehen. Sowohl die Budgetdeckelung als auch die Vorgabe pauschalierter Entgelte sind mit Risiken für die Qualität der Patientenversorgung verbunden, da über- durchschnittliche Behandlungskosten zu einem wirtschaftlichen Risiko für das Krankenhaus werden. Mögliche Strategien zur Vermeidung der Risiken sind die Abweisung oder Weiterverlegung besonders behand- lungsaufwendiger Patienten, zu frühe Entlassung oder Verlegung in die Rehabilitation oder der Einsatz qualitativ schlechterer Verfahren und Materialien. Da diese Risiken bereits im Vorfeld der aktuellen Reform bekannt waren und die Reform sehr kontrovers diskutiert wurde, mußte die Bundesregierung auf Verlangen der Länder den Umstellungsprozeß durch eine wissenschaftliche Begleitforschung evaluieren lassen. Anfang März 1998 wurde nun der zweite Zwischenbericht der offiziel- len Begleitforschung zur Umsetzung der Bundespflegesatzverordnung 1995 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht (ARGE 1998).1 Der Bericht bezieht sich auf den Erhebungszeitraum 1996 und wurde vom Deutschen Krankenhausinstitut e.V (DKI) und Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung erstellt, die für die Begleit- forschung eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE Begleitforschung BPflV 1995) gebildet haben. Im folgenden Beitrag werden die aus gesund- heitswissenschaftlicher Sicht wichtigsten Ergebnisse des zweiten Zwi- schenberichts zusammengefaßt und diskutiert. 1. Hintergrund und Vorgeschichte der Begleitjorschung Die Begleitforschung zur Bundespflegesatzverordnung 1995 geht auf eine Entschließung des Bundesrates vom 8. Juli 1994 zurück, in der die JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

112

Michael Simon

Begleitforschung zu den Auswirkungender neuen KrankenhausfinanzierungAnmerkungen zum zweitenZwischenbericht der Begleitforschung zur BPflV 1995

Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 wurde eine tnnfassende Reformder Krankenhausfinanzierung eingeleitet, die in einer neuen Bundes-pflegesatzverordnung und der Dritten Stufe der Gesundheitsreform ihreFortsetzung fand. Wesentliche Merkmale der neuen Krankenhausfinan-zierung sind die Begrenzung des Anstiegs der Krankenhausbudgets(Budgetdeckelung) und die Umstellung auf ein neues Entgeltsystem, indessen Zentrum Sonderentgelte und Fallpauschalen stehen. Sowohl dieBudgetdeckelung als auch die Vorgabe pauschalierter Entgelte sind mitRisiken für die Qualität der Patientenversorgung verbunden, da über-durchschnittliche Behandlungskosten zu einem wirtschaftlichen Risikofür das Krankenhaus werden. Mögliche Strategien zur Vermeidung derRisiken sind die Abweisung oder Weiterverlegung besonders behand-lungsaufwendiger Patienten, zu frühe Entlassung oder Verlegung in dieRehabilitation oder der Einsatz qualitativ schlechterer Verfahren undMaterialien. Da diese Risiken bereits im Vorfeld der aktuellen Reformbekannt waren und die Reform sehr kontrovers diskutiert wurde, mußtedie Bundesregierung auf Verlangen der Länder den Umstellungsprozeßdurch eine wissenschaftliche Begleitforschung evaluieren lassen.

Anfang März 1998 wurde nun der zweite Zwischenbericht der offiziel-len Begleitforschung zur Umsetzung der Bundespflegesatzverordnung1995 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht (ARGE1998).1 Der Bericht bezieht sich auf den Erhebungszeitraum 1996 undwurde vom Deutschen Krankenhausinstitut e.V (DKI) und InfratestEpidemiologie und Gesundheitsforschung erstellt, die für die Begleit-forschung eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE Begleitforschung BPflV1995) gebildet haben. Im folgenden Beitrag werden die aus gesund-heitswissenschaftlicher Sicht wichtigsten Ergebnisse des zweiten Zwi-schenberichts zusammengefaßt und diskutiert.

1. Hintergrund und Vorgeschichte der BegleitjorschungDie Begleitforschung zur Bundespflegesatzverordnung 1995 geht aufeine Entschließung des Bundesrates vom 8. Juli 1994 zurück, in der die

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 2: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausjinanzierung 113

Bundesregierung aufgefordert wurde, die Einfuhrung des neues Ent-geltsystems im Krankenhausbereich durch eine wissenschaftlicheUntersuchung begleiten zu lassen: »Die Bundesregierung wird gebeten,sicherzustellen, daß die Einführung der Fallpauschalen und Sonder-entgelte von einer mindestens drei Jahre umfassenden wissenschaftlichenUntersuchung über die Auswirkungen dieses neuen Entgeltsystems be-gleitet wird. Neben den betriebswirtschaftliehen Fragen, 'die mit derEinfuhrung von Fallpauschalen und Sonderentgelten verbunden sind,sollen insbesondere auch deren Auswirkungen auf Leistungsqualitätund Leistungsstruktur in die Untersuchung einbezogen werden. Hierzusoll ein Beirat gebildet werden, in dem Vertreter der Gesundheits-ressorts der Länder, des Bundesministeriums für Gesundheit, der Deut-schen Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverbände der Kranken-kassen sowie der Ärzteschaft vertreten sind. Der Beirat soll beim Bundes-ministerium für Gesundheit angebunden werden. Dem Beirat soll esinsbesondere obliegen, die Fragestellungen der Begleitforschung zukonkretisieren und die Entwicklung der Untersuchung kontinuierlich zubegleiten. Während dieser drei Jahre wird die Einfuhrung des Kranken-hausvergleichs nach §5 zurückgestellt.« (Bundesrats-Drucksache 381/2/94: 14)

Den Hintergrund der Entschließung bildete eine melujährige intensiveund teilweise auch sehr kontroverse Diskussion über die Umstellung aufein neues Entgeltsystem, bestehend aus Basispflegesatz, Abteilungs-pflegesätzen, Sonderentgelten und Fallpauschalen. 2 Wegen der abseh-baren Risiken für die Qualität der stationären Versorgung empfahl eine1992 von der Bundesregierung berufene Expertengruppe die Durchfüh-rung einer wissenschaftlichen Begleitung des Umstellungsprozesses,um gegebenenfalls notwendige Korrekturen kurzfristig vornehmen zukönnen (Expertengruppe Entgeltsysteme 1993: 2). Auch von seiten derDeutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverbände dergesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde eine Begleitforschungals notwendig angesehen (DKG/GKV 1995), da es sich bei der Reform -so ein Mitglied der DKG-Führung - um ein »Massenexperiment mitnicht vorhersehbaren Auswirkungen für die Krankenhausversorgungund die Patienten« (Regler 1994: 4) handele.

VomBundesministerium für Gesundheit (BMG)wurde die Empfehlungjedoch nicht aufgegriffen, der 1994 vorgelegte Regierungsentwurf einerneuen Bundespflegesatzverordnung sah keine Begleitforschung vor.Erst als der Bundesrat im Juli 1994 in einer Entschließung seine Zu-stimmung zum Regierungsentwurf einer Bundespflegesatzverordnung1995 u.a. auch von der Durchführung einer mindestens dreijährigen

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 3: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

114 Michael Simon

Begleitforschung abhängig machte, war die Bundesregierung zurDurchführung dieses Forschungsprojektes gezwungen. Auch wenn dieEntschließung des Bundesrates im Ton freundlich gehalten ist, sie warAusdruck scharfer Kontroversen zwischen den für die Krankenhaus-versorgung zuständigen Länderressorts und dem BMGüber die Reformder Krankenhausfinanzierung. Auf seiten der zuständigen Länder-ressorts gab es starke Bedenken gegen das »Großexperiment« (Müller1993: 504) der Umstellung auf ein neues Entgeltsystem, insbesondereweil davon ausgegangen wurde, daß die Einführung von Fallpauschalenmit erheblichen Risiken für die Qualität der stationären Versorgung ver-bunden ist.' Einige Ländervertreter gingen sogar soweit, daß sie dieFortführung des Experiments von den Ergebnissen der Begleitforschungabhängig machen wollten: »Letztlich wird von den Ergebnissen derBegleitforschung abhängen, ob das Massenexperiment meues Entgelt-system: mit den zugrunde liegenden Bewertungsrelationen gestütztwird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353)

Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der Entschlie-ßung des Bundesrates insbesondere mit den erwarteten Risiken für dieQualität der Patientenversorgung begründet, dennoch erfaßt die jetztstattfindende Begleitforschung gerade diesen Bereich nicht oder nur un-zureichend. Die beiden Institute hatten dem BMG zwei Untersuchungs-module angeboten:- das Modul I sollte auf betriebswirtschaftliche Aspekte gerichtet sein,

und z.B. die Auswirkungen des neuen Entgeltsystems auf die Kosten-und Erlössituation der Krankenhäuser, beobachtbare Veränderungenvon Leistungsstrukturen und Leistungsmengen, Anteile der einzelnenEntgeltformen an den Gesamteinnahmen der Krankenhäuser etc.erfassen,

- das Modul 2 sollte dagegen als »patientenbezogene Untersuchung«(ARGE 1997: 7) die Veränderungen der Versorgungsqualität analy-sieren.

Obwohl sich der vom BMGberufene Beirat »Begleitforschung zur Bun-despflegesatzverordnung 1995« fur die Ergänzung um die patienten-bezogene Analyse aussprach (ARGE 1997: 8), beschränkte das BMGseinen Auftrag auf das Modul I. Die Beschränkung fuhrt nach Ein-schätzung der Forschungsinstitute dazu, »daß mögliche Veränderungenauf der Patientenebene im Hinblick auf die Behandlung nicht bzw. nurunzureichend einbezogen werden können und somit letztlich ein zentra-ler Aspekt der Wirkungen auf die Leistungsqualität unberücksichtigtbleibt« (ebd.: 7). Es drängt sich die Frage auf, ob nicht genau dies poli-tisch gewünscht ist. Denn würde die offizielle Begleitforschung zu dem

JAHRBUCH FOR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 4: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausfinanzierung 115

Ergebnis führen, daß das neue Entgeltsystem Risikoselektion, Entstehungoder Verlängerung von Wartelisten, sozial ungleiche Verteilung vonVersorgungschancen, Veränderung der Indikationsstellung durch Kosten-Erlös-Kalküle etc. provoziert, könnte dadurch die Zukunft des neuenEntgeltsystems gefährdet werden. Dieses Risiko scheint das BMG mitder Beschränkung auf eine rein ökonomische Forschung vermeiden zuwollen.

2. Zur Methodik der Begleitforschung

Da die Begleitforschung auf eine möglichst große Stichprobe und reprä-sentative Ergebnisse abzielt, werden quantitative Forschungsmethodenangewandt. Zentrales Erhebungsinstrument ist ein standardisierter Frage-bogen, der jährlich an Krankenhäuser und »sonstige relevante Beteiligte«verschickt wird. Die Stichprobe der Krankenhäuser umfaßte für denErhebungszeitraum 1996 insgesamt 596 Krankenhäuser, der Versandder Fragebögen für den Erhebungszeitraum 1996 erfolgte im Juni 1997.In die Auswertung wurden 445 Krankenhäuser einbezogen (ARGE1998: 11, 26), das entspricht - bezogen auf die Grundgesamtheit derAllgemeinkrankenhäuser - einem Anteil von ea. 20 %. Als »sonstigerelevante Beteiligte« wurden 28 Verbände der Krankenhausträger, 88Verbände der Kostenträger (GKV,PKV), 16 Gesundheits- und Sozial-ministerien der Länder, 18Ärztekammern, 17Medizinische Dienste derKrankenversicherung und 6 Verbände der Krankenhausberufe befragt(ebd.: 13f.).

Zu den in die Auswertung eingegangenen Antworten ist festzuhalten,daß pro Krankenhaus nur ein Fragebogen verschickt wurde. Es kannwohl davon ausgegangen werden, daß dieser Bogen in der Regel vomjeweiligen kaufmännischen Leiter oder in dessen Auftrag von Mitarbei-tern der Verwaltung ausgefüllt wurde. Dies ist insofern von Bedeutung,als damit vor allem die Sichtweise der Verwaltungsleitungen in die Aus-wertung eingegangen ist. Krankenhäuser sind aber hochkomplexeOrganisationen, mit zahlreichen verschiedenen Berufsgruppen, unter-schiedlichen und vielfach auch gegensätzlichen Interessen und Sicht-weisen, die nicht in einer Antwort je Krankenhaus zusammengefaßtwerden können, ohne wichtige Bereiche der Krankenhauswirklichkeitauszublenden. Komplexität und Widersprüchlichkeit der unterschied-lichen Erfahrungswelten konnten somit allein schon durch die Wahl derMethode nicht erfaßt werden.

Bei der Erhebung statistischer Daten über Kosten und Leistungsmen-gen ist dies im Prinzip unproblematisch. Sobald aber nach Auswirkungen

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 5: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

116 Michael Simon

auf die Qualität der Patientenversorgung oder Arbeitsbedingungen ge-fragt wird, stehen die Antworten unter dem Vorbehalt, daß sie nur diePerspektive einer Akteursgruppe im Krankenhaus repräsentieren, diedazu noch mit eigenen mikropolitischen wie auch materiellen Interessenin die Problematik verstrickt ist. Der Zugang zu den Auswirkungen aufdie Patientenversorgung und Arbeitsbedingungen kann - wenn über-haupt - nur sehr unzureichend über die Verschickung eines standardisier-ten Fragebogens je Krankenhaus erreicht werden. Dennoch aber liefertder Bericht auch fur diesen Bereich einige aufschlußreiche Ergebnisse.

3. Ergebnisse der Begleitforschung für das Jahr 1996

Standen im ersten Zwischenbericht (ARGE 1997) die sogenannten»Urnsteigerkrankenhäuser« - also Krankenhäuser, die bereits zum1. Januar 1995 auf das neue Pflegesatzrecht umgestiegen waren - undPrognosen der sonstigen Beteiligten über zu erwartende Auswirkungendes neuen Entgeltsystems im Mittelpunkt, so gingen in den zweitenZwischenbericht die Erfahrungen des ersten Jahres der bundesweitenAnwendung des neuen Entgeltsystems ein. Entsprechend der Beschrän-kung des Forschungsauftrags wurden vor allem Angaben zu Verände-rungen im Bereich der Kosten, Leistungsmengen und Erlöse erhobenund ausgewertet. Aus gesundheitspolitischer Sicht enthält der Berichteinige interessante Ergebnisse, die insbesondere über die bisherigeUmsetzung von Regelungen des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993 undnachfolgender gesundheitspolitischer Interventionen Auskunft geben.

Durch das Gesundheitsstrukturgesetz wurde den Krankenhäusern dieDurchführung vor- und nachstationärer Behandlung sowie ambulanterOperationen ermöglicht. Diese neuen Leistungsformen haben bislangjedoch kaum Bedeutung erlangt. Zwar führte die Hälfte der Kranken-häuser im Jahr 1996 vor- und nachstationäre Behandlung durch, aller-dings nur bei einem verschwindend geringen Anteil der Patienten. 1996wurden lediglich 1,6% der Patienten vor- und 2% nachstationär behan-delt (ARGE 1998: 36). Ähnlich stellt sich die Situation beim ambu-lanten Operieren dar. Zwar führten 1996 38,3 % der Krankenhäuserambulante Operationen durch, der Anteil der Erlöse aus dem ambulan-ten Operieren entsprach im Durchschnitt aber nur ca. 0, I% der Gesamt-einnahmen (ebd.: 40). Ambulantes Operieren ist immer noch eindeutigeine Leistung der niedergelassenen Operateure: auf eine ambulanteOperation im Krankenhaus kamen 1996 27 ambulante Operationen imvertragsärztlichen Bereich (ebd.: 38).

Relativ ausführlich befaßt sich der zweite Zwischenbericht mit der

JAHRBUCH FOR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 6: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausjinanzierung 117

Umsetzung und ökonomischen Bedeutung der neuen Entgeltformen,insbesondere der Sonderentgelte und Fallpauschalen. In den in dieUntersuchung einbezogenen Krankenhäusern wurden 1996 17,9% derFälle über Fallpauschalen und 7,6 % über Sonderentgelte abgerechnet(ebd.: 29). Auf Fallpauschalenpatienten entfielen ea, 15%der Belegungs-tage und aufSonderentgeltpatienten ea. 6% (ebd.: 3lf.). Aus beidenEntgeltformen erzielten die Krankenhäuser zusammen ea. 23% ihrerGesamterlöse (ebd.: 39).

3.1 Auswirkungen der Budgetdeckelungauf die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus

Aus den Antworten der befragten Krankenhäuser geht auch hervor, daßvor allem die Fortsetzung der Budgetdeckelung durch das »Gesetz zurStabilisierung der Krankenhausausgaben 1996« (StabilisierungsgesetzlStabG) zu einschneidenden Veränderungen von Arbeitsbedingungen imKrankenhaus geführt hat. So gaben 35,3 % der Krankenhäuser an, imJahr 1996 Stellen im ärztlichen Dienst aus Kostengründen zeitweisenicht besetzt zu haben, für den Pflegedienst liegt die Quote sogar bei ea.50% (ARGE 1998: 96f.). Während im ärztlichen Dienst der Trendoffenbar zur Erhöhung des Anteils von Ärzten mit abgeschlossenerFacharztausbildung geht, zeichnet sich für den Pflegedienst ein Trendzur Dequalifizierung ab. Insgesamt gaben knapp 10% der Kranken-häuser an, den Anteil der geringer qualifizierten Kräfte im Pflegedienst1996 erhöht zu haben (ebd.: 98). 24% der Krankenhäuser haben Voll-zeit- in Teilzeitstellen und 32,2 % der Kliniken haben unbefristete inbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt (ebd.: 99). Einen Stellen-abbau im ärztlichen Dienst haben 15,4% der Krankenhäuser und imPflegedienst sogar 38,7% vorgenommen (ebd.: 96f.). Die weit über-wiegende Mehrheit der befragten Krankenhäuser (ca. 80%) gab an, daßes als Folge der Budgetdeckelung und Umstellung auf das neue Entgelt-system zu einer Erhöhtlng der Arbeitsintensität im Krankenhaus ge-kommen ist (ebd.: 100).

Die Verknappung von Ressourcen hat in Krankenhäusern offenbarauch die Kooperationsbeziehungen belastet. Immerhin knapp 20 % derKrankenhäuser gaben an, daß die Budgetdeckelung und Einführung desneuen Entgeltsystems die Kooperation im Krankenhaus erschwert undKonflikte zwischen den Berufsgruppen (26%) und Abteilungen (29,3%)verursacht bzw. verschärft (ARGE 1998: 61f., 101). Leider erfolgte keinedifferenzierte Analyse der Gründe, die Entwicklung dürfte aber vor allemauf die interne Budgetierung und Aufspaltung des Krankenhausbudgets

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 7: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

118 Michael Simon

in einzelne Abteilungsbudgets sowie die Erhöhung der Arbeitsintensitätzurückzuführen sein.

Die Ergebnisse der Begleitforschung liefern interessante Einblicke inorganisationsinterne Veränderungen, decken aber leider nur einen Teilder aktuellen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Krankenhäusernab. Das Bild muß ergänzt werden um weitere Trends, die fur eine Be-wertung von Bedeutung sind. So wird im ärztlichen Dienst teilweise dieLaufzeit von Verträgen fur Ärzte in der Facharztausbildung verkürzt,auch zeichnet sich im Pflegedienst eine Stigmatisierung älterer Pflege-kräfte ab, da sie überdurchschnittliche Personalkosten verursachen.Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsbedingungen verändern sich zumNachteil der Beschäftigten, z.B. wenn infolge einer Rechtsformände-rung das Krankenhaus aus dem Zuständigkeitsbereich des BATfällt,Outsourcing und verstärkter Bettenabbau führen zu einer zunehmendenVerunsicherung von Arbeitsverhältnissen im Krankenhausbereich(Simon 1997a).

3.2 Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung

Auch wenn das BMG den Instituten keinen Auftrag zur Erforschung derAuswirkungen der aktuellen Reform auf die Patientenversorgung erteilthat, so wurden fur das Erhebungsjahr 1996 dennoch sowohl die Kran-kenhäuser als auch die sonstigen Beteiligten nach einzelnen Aspektendieses Problembereichs befragt und vorliegende Leistungsdaten darauf-hin analysiert. Die Institute gingen bei ihrer Untersuchung davon aus, daßdie Umstellung auf das neue Entgeltsystem insbesondere mit folgendenRisiken for die Patientenversorgung verbunden ist (ARGE 1998: 129ff.):

zu frühe Entlassung nach Hause,- zu frühe Verlegung in eine Rehabilitationseinrichtung,

Risikoselektion (Abweisung oder Verlegung besonders behandlungs-aufwendiger Patienten),zeitliche Verschiebung von Behandlungen in nachfolgende Budget-zeiträume, wenn das Budget bereits vor Ende des Jahres ausge-schöpft wurde,Unterlassung medizinisch notwendiger Einzelleistungen im Einzel-fall,Einsatz qualitativ schlechterer Präparate und Materialien,

- Nichtanwendung neuer sinnvoller, aber kostenaufwendiger Verfahrendie im Rahmen des Entgeltsystems nicht finanziert werden,

- Beeinträchtigung der Versorgungsqualität durch Einsparungen imPersonalkostenbereich,

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 8: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen KrankenhausJinanzierung 119

- Beeinträchtigung des Qualitätsmerkmals »Wohnortnähe« durch einestärkere Spezialisierung.

Da nur ein Teil dieser Risiken über standardisierte Fragebögen oder dieAnalyse von Leistungsdaten der Krankenhäuser erfaßbar ist, können dieim Rahmen der Begleitforschung erhoben Daten nur sehr beschränktAuskunft über Veränderungen der Versorgungsqualität geben. So istz.B. in Abteilungen, die einen überdurchschnittlichen Anteil an Fall-pauschalenpatienten versorgten, der stärkste Verweildauerrückgang zuverzeichnen (ARGE 1998: 54). Das allein - darauf weisen auch dieInstitute hin - beantwortet aber noch nicht die entscheidende Frage, obPatienten teilweise auch zu früh entlassen oder verlegt wurden (ebd.:138). Daten, die Anhaltspunkte dafiir liefern könnten, wie z.B. Angabenüber Wiederaufnahmen oder Rückverlegungen aufgrund von Kompli-kationen, wurden nicht erhoben.

Einige Veränderungen konnten mittels der eingesetzten Methodenaber dennoch festgestellt werden. So gaben 13% der Krankenhäuser(Unikliniken: über 20%) an, daß sie aufgrund der Budgetdeckelung1996 Wartelisten eingeführt bzw. erweitert haben (ARGE 1998: 82). Seitdem Inkrafttreten der Budgetdeckelung im Jahr 1993 werden vielfachBehandlungen in einen folgenden Budgetzeitraum verschoben, wenndas laufende Budget bereits vor Ende des Jahres ausgeschöpft ist. In-folge der aktuellen Reform hat auch die Zahl der internen Verlegungenzwischen den verschiedenen Abteilungen deutlich zugenommen (ebd.:53) - offenbar eine Auswirkung von interner Budgetierung undverstärktem Controlling der Leistungsentwicklung. Medizinische Ab-teilungen sehen sich zunehmend der Forderung ausgesetzt, ihreVerweildauer zu senken, und erreichen dies u.a. durch frühere Ver-legung von Patienten in weiterbehandelnde Abteilungen, die wiederumbestrebt sind, ihre Patienten nach Abschluß der unmittelbaren postope-rativen Phase möglichst schnell wieder zurückzuverlegen. Diese Ent-wicklung sollte nach Auffassung der Institute in den nächsten Jahrenweiter beobachtet werden (ebd.). Insbesondere dürfte es interessant seinzu untersuchen, inwieweit die Zunahme der internen Verlegungen imZusammenhang zur berichteten Zunahme interner Konflikte zwischenden Berufsgruppen und Abteilungen steht (ebd.: 10I).

Im Gefolge der aktuellen Reformen hat der Umfang von Verlegungenin Rehabilitationseinrichtungen zugenommen (ARGE 1998: 80). Vonden befragten Krankenhäusern gaben 11,1% an, 1996 mehr Patienten inRehabilitationseinrichtungen verlegt zu haben, und 22,4% der Klinikenhaben ihre Patienten früher in die Rehabilitation verlegt. Die Feststellungder Institute, dieser Trend sei »nicht unbedingt negativ zu beurteilen«

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 9: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

120 Michael Simon

(ARGE 1998: 80), da ein früherer Beginn der Rehabilitation für diePatienten vorteilhaft sein könnte, trifft allerdings nur einen Teil derWirklichkeit. Sicherlich ist für einen Teil der Patienten die frühere Ver-legung vorteilhaft, vorausgesetzt, sie sind bereits in einem rehabilita-tionsfähigen Zustand. Werden jedoch Patienten in einem noch nichtrehabilitationsfähigen Zustand verlegt, ist dies mit gesundheitlichenRisiken verbunden, da Rehabilitationseinrichtungen (bislang) in derRegel nicht auf die Versorgung von Akutpatienten eingerichtet sind.Immerhin schätzte das BMG diese Risiken als so ernstzunehmend ein,daß es in der 1997 vorgelegten 5. Änderungsverordnung zur BPflV1995 darauf reagierte und für einen Teil der Fallpauschalen ab 1998die Aufteilung in eine A-Pauschale für die Akutbehandlung und eineB-Pauschale für die Weiterbehandlung vorgab. Damit sollte der öko-nomische Anreiz zu einer zu frühen Verlegung in die Rehabilitationentschärft werden.

Eine Entwicklung, die bereits mehrfach Anlaß zu Pressemeldungengab und in der Fachliteratur unter den Begriffen »Seehofer- Verlegun-gen« (Montgomery 1996: 54) oder »Patiententourismus« (Schmelzer/Klask 1996) diskutiert wird, ist die Zunahme von Verlegungen behand-lungsaufwendiger Patienten in andere Krankenhäuser, vor allem vonkleineren Kliniken in Krankenhäuser höherer Versorgungsstufen." Hierkommen die Institute zu dem Ergebnis: »Veränderungen in der Ver-legungspraxis zwischen den Krankenhäusem aufgrund des neuen Ent-geltsystems wurden nicht festgestellt.« (ARGE 1998: 34) Diese Aussagesteht in eindeutigem Widerspruch zu den im Bericht wiedergegebenenBefragungsergebnissen. Die Befragung der Krankenhäuser hat - nacheigenen Aussagen der Institute, allerdings an anderer Stelle des Berichtsplaziert - ergeben, daß externe Verlegungen »vor allem zu Lasten dergroßen Krankenhäuser und Hochschulkliniken« erfolgten (ebd.: 81; zuden entsprechenden Daten vg!. den Anhangsband zum Zwischen-bericht: Anhang 2, Tab. 8A). Und weiter: »25,7% der Häuser mit mehrals 600 Betten und 61, I % der Hochschulkliniken verzeichneten mehrAufnahmen aus anderen Krankenhäusern. Jedoch machen nur dieHochschulkliniken für diese Entwicklung mehrheitlich das neueEntgeltsystem sowie gleichermaßen das Stabilisierungsgesetz ver-antwortlich.« (Ebd.) Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, daßaus gesundheitspolitischer und gesundheitswissenschaftlicher Sichtnicht nur die Veränderungen der Verlegungspraxis interessieren,die sich aus dem neuen Entgeltsystem ergeben, sondern alle, die alsReaktion auf die aktuellen Veränderungen der Krankenhausfinanzierungerfolgten.

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 10: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausfinanzierung 121

Daß es zu deutlichen Veränderungen gekommen ist, belegen auchweitere Ergebnisse im Zwischenbericht. Zwar wurden 1996 im Durch-schnitt aller Krankenhäuser nur 3,4 % der Patienten in ein anderesAllgemeinkrankenhaus verlegt, zwischen den einzelnen Fachabteilungenzeigten sich allerdings deutliche Unterschiede. Während in der HNOnur 0,5 % der Patienten verlegt wurden, waren es Z.B. in der Kardiologie9,5 %, der Neurochirurgie 13,2 % und der Herzchirurgie 43 % (ARGE1998: 52).

Allein schon diese Anhaltspunkte und die auch den Instituten bekann-ten Berichte über die Zunahme der Verlegungen behandlungsaufwendigerPatienten lassen eine weitergehende Analyse des erhobenen Daten-materials notwendig erscheinen. So wäre u.a. eine nach Trägerschaftdifferenzierte Analyse der Verlegungsdaten sehr interessant gewesen, daunter der Budgetdeckelung durch das Gesundheitsstrukturgesetz deut-liche Unterschiede in Abhängigkeit von der Krankenhausträgerschaftzu beobachten waren. Die stärksten Steigerungsraten bei externen Ver-legungen wiesen die (hochspezialisierten kleineren) privaten Kranken-häuser auf (Simon 1996, 1997b).

Weitergehende Analysen wurden von den Instituten jedoch mit derBegründung abgelehnt, daß an der Glaubwürdigkeit der Krankenhaus-angaben »Zweifel angebracht sind« (ARGE 1998: 81). Die Zweifel wur-den damit begründet, daß das Saldo von Verlegungen und Aufnahmen»nicht erwartungsgemäß ausgeglichen« (ebd.) war. Während 6% derKrankenhäuser angaben, mehr Verlegungen in andere Krankenhäuserdurchgeführt zu haben, betrug die Quote der Kliniken, die mehr Patien-ten aus anderen Krankenhäusern übernommen hatten, 10,7% (ebd.).»Angesichts dieser Diskrepanzen erscheint der Arbeitsgemeinschafteine eingehendere Analyse des Verlegungsverhaltens nicht opportun.«(Ebd.) Diese Begründung kann nicht überzeugen. Die Diskrepanz be-legt weder die Unaufrichtigkeit eines Teils der antwortenden Kranken-häuser noch »systematische Erfassungsfehler« (ebd.: Fußnote 34). Siebelegt lediglich, daß die Zahl der Krankenhäuser, die vermehrt verlegthaben, kleiner war als die Zahl der Kliniken, die vermehrt Patienten ausanderen Krankenhäusern übernommen haben. Es bleibt zu diesemPunkt festzuhalten, daß die Möglichkeiten einer differenzierten Analyseder vorliegenden Leistungsdaten - aus welchen Gründen auch immer-bewußt nicht genutzt wurden.

Ein weiterer Bereich, in dem es infolge der geänderten Krankenhaus-finanzierung zu Veränderungen kam, sind Diagnostik- und Therapie-standards. So wird in Beiträgen der Fachliteratur berichtet, daß auf-grund unzureichender Kostendeckung bei einzelnen Fallpauschalen und

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 11: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

122 Michael Simon

Sonderentgelten teilweise neuere, für Patienten günstigere, aber teureVerfahren nicht eingesetzt werden und statt dessen auf ältere, wenigerkostenaufwendige, aber für Patienten ungünstigere Verfahren und Mate-rialien zurückgegriffen wird.' Im Rahmen der Begleitforschung wurdeauch dieser Problembereich angesprochen, allerdings wurden nicht dieKrankenhäuser befragt, sondern nur die »sonstigen relevanten Beteilig-ten« aus Verbänden und zuständigen Länderministerien (ARGE 1998:89). Den Krankenhäusern »wurden die entsprechenden Fragen nichtvorgelegt, hätten sie doch indirekt die Qualität ihrer eigenen Leistungenbeurteilen müssen« (ebd.).

Sicherlich wäre es wenig sinnvoll gewesen, die kaufmännischen Leitun-gen der Krankenhäuser zu diesem Thema zu befragen. Die Alternative,sich nur auf die Angaben von Akteuren aus Verbänden und Länder-ministerien zu stützen, kann aber ebensowenig überzeugen, da Verände-rungen von Diagnose- und Therapiestandards aufgrund von Kosten-Erlös-Erwägungen, die auch nach Einschätzung der behandelnden Ärztezu Qualitätseinbußen führen, nur in den seltensten Fällen offengelegtwerden, sondern in der Regel im Rahmen einer »heimliche(n) Rationie-rung« (Blech 1998) erfolgen. »Die Rationierung findet im Kopf desArztes statt, mit Blick auf das Budget.« (Onkologe an den StädtischenKliniken Oldenburg, zit. n. Blech 1998) Zur Erfassung dieser Verände-rungsprozesse sind quantitative Methoden der Sozialforschung letztlichnicht in der Lage, insbesondere, wenn nur Verbände und Länder-behörden befragt werden." An diese Phänomene kann sich wissen-schaftliche Forschung nur mittels qualitativer Methoden herantasten,etwa durch qualitative Interviews mit Krankenhausärzten, denen strikteAnonymität zugesichert wird (vgl. exemplarisch zu den möglichenErgebnissen: Kuhlmann 1997).

Hätten sich die Institute vor diesem Hintergrund auf ihre Feststellungbeschränkt, zu diesem Thema könnten aufgrund methodischer Be-schränkungen »kaurn valide Angaben gemacht werden« (ARGE 1998:138), so wäre ihnen zuzustimmen. Nicht nachvollziehbar ist es jedoch,warum sie dennoch - auf der nachfolgenden Seite des Berichts - zu derSchlußfolgerung gelangen, »daß nennenswerte qualitätsmindernde Ein-schränkungen von Diagnostik- und Therapiestandards im ersten Jahrder flächendeckenden Anwendung des neuen Entgeltsystems in der Tatnicht eingetreten sind« (ebd.: 139).

Zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommen die Institute bezüglich derAuswirkungen auf die medizinische Leistungsfähigkeit der Krankenhäu-ser. Zwar ließen sich zu diesem Thema »noch weniger valide Angabenals zu den anderen Kriterien (Wirtschaftlichkeit, Versorgungsqualität,

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 12: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen Krankenhausfinanzierung 123

M.S.) machen« (ARGE 1998: 140), da aber anband der erhobenen Datennegative Auswirkungen auf die Versorgungsqualität nicht feststell barseien, gäbe es »einstweilen kaum Aufschlüsse über die Gefahrdung dermedizinischen Leistungsfähigkeit des stationären Sektors« (ebd.: 141).

4. Fazit

Der zweite Zwischenbericht der Begleitforschung zur Bundespflege-satzverordnung 1995 enthält eine Fülle von interessanten Daten undErgebnissen insbesondere über die Auswirkungen der geändertenKrankenhausfinanzierung auf die Struktur der Krankenhausleistungenund Krankenhausbudgets sowie Hinweise auf Veränderungen der Ar-beitsbedingungen im Krankenhaus. Auf Grundlage einer relativ großenZahl befragter Krankenhäuser läßt sich insbesondere erkennen, welcheökonomische Relevanz die neuen Entgeltformen im Krankenhausbereichim ersten Jahr der bundesweiten Anwendung hatten. So interessant undaufschlußreich die Analyse der ökonomischen Daten ist, so wenig be-friedigend bleiben die Ergebnisse zu den - aus gesundheitswissen-schaftlicher und gesundheitspolitischer Sicht - weit bedeutenderen Aus-wirkungen auf die Qualität der stationären Krankenversorgung. Diesist vor allem und zuerst der Beschränkung des Forschungsauftrageszuzuschreiben, die das BMG zu vertreten hat. Es drängt sich der Ein-druck auf, als sei die Erforschung dieses Bereiches politisch nicht ge-wünscht. Hier wäre es angesichts der überragenden Bedeutung, die dieAuswirkungen auf die Versorgungsqualität für die Bewertung der aktu-ellen Reform haben, dringend erforderlich, den Forschungsauftrag aufdiesen Bereich auszuweiten und die Untersuchung durch qualitativeForschungsmethoden zu ergänzen. Entsprechende Initiativen müßtenvor allem von den Verbänden, den Krankenkassen, den zuständigenLänderressorts und den Gewerkschaften ausgehen.

Daß die beauftragten Institute - trotz des beschränkten Auftrages -dennoch nach den Auswirkungen auf die Versorgungsqualität gefragthaben, ist darum ausdrücklich zu begrüßen. Sie weisen in ihren beidenBerichten auch mehrfach auf die Bedeutung dieses Forschungsbereichesund die Notwendigkeit einer Ausweitung des Forschungsauftrags hin,wenn auch nur in der Form, daß sie feststellen, aufgrund der vorhandenenDaten seien valide Aussagen zu diesem wichtigen Bereich nicht möglich.Unverständlich bleibt allerdings, warum sie sich dennoch mehrfach zuder Schlußfolgerung hinreißen lassen, es seien keine negativen Ver-änderungen feststellbar. Dies ist sicherlich insofern korrekt, als sichaufgrund des gewählten Forschungsdesigns derartige Veränderungen

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 13: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

124 Michael Simon

nicht hinreichend verläßlich identifizieren lassen. Das heißt aber keines-wegs, daß es derartige Veränderungen im Krankenhausalltag nichtwirklich gegeben hat. Dieser Eindruck wird aber erweckt. Allzu leichtkönnte daher behauptet werden, die Begleitforschung habe gezeigt, daßes tatsächlich zu keinen Qualitätseinbußen bei der Patientenversorgungim Gefolge der Budgetdeckelung und Einführung des neuen Entgelt-systems gekommen sei. Dem könnten die Institute in den folgendenBerichten durch Verzicht auf die positive Bewertung von nicht Bewert-barem (weil empirisch nicht Erhobenem) vorbeugen - vorausgesetzt,dies ist nicht Teil der Dienstleistung, die sie für ihren AuftraggeberBMG zu erbringen bereit sind.

KorrespondenzadresseDr. Michael SimonWissenschaftszentrum Berlin für SozialforschungArbeitsgruppe Public HealthReichpietschufer 5010785 Berlin

Anmerkungen

Der Bericht kann vom Bundesministerium für Gesundheit, Am Probsthof 78a,53121 Bann, kostenlos bezogen werden. Zum ersten Zwischenbericht vgl. ARGE1997; Asmuth et al. 1997a-d.

2 Vgl. u.a. Bruckenberger 1993,1994; Eichhorn 1993; Kühn 1998, 1992; Neubauer1991, Projektgemeinschaft 1986.

3 Vgl. u.a. Bruckenberger 1993; Müller 1993; Obst 1994 und v.a. die Stellungnahmeder Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten der Länder (Bär et al.1994).

4 Vgl. hierzu u.a. ZieglerfHirner 1994; SchmelzerlKlask 1996; Montgomery 1996;Simon 1996, 1997a,b.

5 Vgl. hierzu u.a. die ärztlichen Beiträge in Goergen et al. 1997.6 Vgl. hierzu u.a. die Ausführungen des führenden deutschen Krankenhaus-

ökonomen bezüglich der Versorgungsrisiken von Fallpauschalen: eine »Absen-kung der Leistungsqualität... (ist) ... infolge der Problematik, die medizinische undpflegerische Qualität zu beurteilen, nur sehr schwer zu erkennen und an hartenDaten festzumachen« (Eichhorn 1993: 131).

Literatur

ARGE Begleitforschung BPflV 1995 (Deutsches Krankenhausinstitutllnfratest)(\ 997): Begleitforschung zur Bundespflegesatzverordnung 1995 - Erster Zwi-schenbericht. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums fur Gesundheit.Düsseldorf, München

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 14: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

Zu den Auswirkungen der neuen KrankenhausJinanzierung 125ARGE Begleitforschung BPtlV 1995 (Deutsches KrankenhausinstitutiInfratest)

(1998): Begleitforschung zur Bundesptlegesatzverordnung 1995 - Zweiter Zwi-schenbericht. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums fur Gesundheit.Düsseldorf, München

Asmuth, M. et al. (I 997a): Die Umsteiger-Krankenhäuser im ersten Jahr unter neuemRecht. f & w - Führen und Wirtschaften im Krankenhaus 14: 334-337

Asmuth, M. et al. (1997b): Abrechnungsprobleme im neuen Entgeltsystem: Es bestehtnoch Handlungsbedarf. Erste Ergebnisse der Begleitforschung zur Bundes-ptlegesatzverordnung 1995. Krankenhaus Umschau 66: 637-643

Asmuth, M. et al. (I 997c): Begleitforschung zur Bundeptlegesatzverordnung 1995.Teil I: Zusammenfassung des ersten Zwischenberichts. Das Krankenhaus 89:481-488

Asmuth, M. et al. (I 997d): Begleitforschung zur Bundeptlegesatzverordnung1995. Teil 2: Weiterentwicklung und Handlungsbedarf. Das Krankenhaus 89:535-541

Bär, D.; Bolles, w.; Gerlach, w.; Reeg, M. (1994): Weiterentwicklung der Kranken-hausversorgung in Deutschland. Das Krankenhaus 86: 558-562; 87: 17-21,68-72,116-119

Blech,1. (1998): Die heimliche Selektion. Wen sollen Ärzte behandeln, wenn das Geldnicht fur alle reicht? Ein Blick hinter die Kulissen. Die Zeit vom 12.2.1998

Bruckenberger, E. (1993): Neuregelung des Entgeltssystems im Krankenhaus. Tiefen-ströme - Modeströme - Mahlströme. Das Krankenhaus 85: 509-515

Bruckenberger, E. (1994): Auswirkungen des GSG auf die stationäre Versorgungälterer und chronisch Kranker. Das Krankenhaus 86: 115-121

Deutsche Krankenhausgesellschaft; Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenver-sicherung (1995): Gemeinsame Erklärung von DKG und GKV-Spitzenverbändenzur Begleitforschung zur BPtlV 1995. Das Krankenhaus 87: 8-10

Eichhorn, S. (1993): Zur Problematik fallpauschalierter Krankenhausentgelte. f & w-Führen und Wirtschaften im Krankenhaus 10: 117-\32

Expertengruppe Entgeltsystem (1993): Beratungsergebnisse der »ExpertengruppeEntgeltsystem«, Bonn, 12.10.1993

Goergen, H.; Riedei, R.-R.; Vetter, H. (Hg.) (1997): Sonderentgelte und Fallpauscha-len. Erläuterungen aus ärztlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht. Köln: Deut-scher Ärzte-Verlag

Kuhlmann, E. (1997): »...zwischen zwei Mahlsteinen«. Ergebnisse einer empirischenStudie zur Verteilung knapper klinischer Ressourcen in ausgewählten klinischenSettings. In: G. Feuerstein (Hg.): Prioritäten und Wertkonflikte im Einsatz knapperklinischer Behandlungsressourcen. Forschungsbericht der Fakultät für Gesund-heitswissenschaften. Universität Bielefeld

Kühn, H. (1988): Krankenhauspolitik im Zeitalter der Kostendämpfung. In: Jahrbuchfür Kritische Medizin 13. Hamburg: Argument, 30-46

Kühn, H. (1992): Steuerung durch Sonderentgelte, Abteilungspflegesätze, Fall-pauschalen und Wettbewerb: Der Run auf den »rentablen Patienten«? Kranken-haus Umschau 61: 25-28

Montgomery, EU. (1996): Die Rolle der Ärzte nach dem GSG. In: D. Adam (Hg.):Krankenhausmanagement. Wiesbaden: Gabler, 49-57

Müller, A. (1993): Auswirkungen des GSG auf die Krankenhausversorgung in Hessen.Das Krankenhaus 85: 502-507

Neubauer, G. (1991): Leistungsgerechte Vergütung für Krankenhäuser. Das Kranken-haus 83: 396-399

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29

Page 15: Begleitforschung zu den ... - med.uni-magdeburg.de · wird oder sich als zu korrigierender Irrweg erweist.« (Obst 1994: 353) Die Notwendigkeit einer Begleitforschung wurde in der

126 Michael SimonObst, D. (1994): Die Bewertung des neuen Pflegesatzrechts aus hessischer Sicht. Das

Krankenhaus 86: 352-353Projektgemeinschaft Ernst & Whinney/GaWmbH Herdecke (1986): Vorstudie zu

diagnosebezogenen Fallpauschalen. Dokumentation, Analyse und Bewertungausländischer Vorerfahrungen. Gesundheitsforschung, Forschungsbericht Nr. 143,hrsg. vom BMA. Bonn

Regler, K. (1994): Auswirkungen des GSG und Handlungsbedarf der Krankenhaus-träger. Das Krankenhaus 86: 1-6

Schmelzer, A.; Klask, 1. (1996): Ist der »Patiententourismus« bei teuren Behandlungenvermeidbar? Das Krankenhaus 88: 274-287

Simon, M. (1996): Die Umsetzung des GSG im Krankenhausbereich: Auswirkungender Budgetdeckelung auf die Aufnahme- und Verlegungspraxis von Allgemein-krankenhäusern. Eine Analyse des Jahres 1993. Zeitschrift für Gesundheits-wissenschaften 4: 20-40

Simon, M. (1997a): Das Krankenhaus im Umbruch. Neuere Entwicklungen in derstationären Krankenversorgung im Gefolge von sektoraler Budgetierung undneuem Entgeltsystem, Veröffentlichungsreihe der Arbeitsgruppe Public Health,Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, P 97-204

Simon, M. (1997b): Das Krankenhaus zwischen öffentlichem Versorgungsauftrag undeinzelwirtschaftlicher Orientierung. In: Jahrbuch für Kritische Medizin 28: Nachder Reform. Hamburg: Argument, 33-54

Ziegler, M.; Hirner, A. (1994): Auswirkungen des GSG auf Kliniken der Maximal-versorgung. In: M. Arnold; D. Paffrath (Hg.): Krankenhausreport '94. Stuttgart,Jena: Gustav Fischer, 97-106

JAHRBUCH FÜR KRITISCHE MEDIZIN 29