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1 Universität Wien, Sommersemester 2014 Vertiefungsseminar: Probleme politischer Legitimation in Lateinamerika Leitung: Univ. Doz. Dr. Gernot Stimmer Seminararbeit Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle Autor: Harald Klöckl, Matr. Nr. 8711506 Inhalt Einleitung 2 Historischer Abriss 2 Methoden 5 Theoretische Grundlagen 6 a.) Legitimität nach Weber 6 b.) Legitimität nach Easton 8 c.) Überlegungen zu Legitimität von Buquet 9 Status Quo in Lateinamerika Überblick 10 -Die Länder im einzelnen 11 Schlussbemerkungen 25 Literatur und Quellen 27

Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle

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Page 1: Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle

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Universität Wien, Sommersemester 2014

Vertiefungsseminar: Probleme politischer Legitimation in Lateinamerika

Leitung: Univ. Doz. Dr. Gernot Stimmer

Seminararbeit

Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika:

Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle

Autor: Harald Klöckl, Matr. Nr. 8711506

Inhalt

Einleitung 2

Historischer Abriss 2

Methoden 5

Theoretische Grundlagen 6

a.) Legitimität nach Weber 6

b.) Legitimität nach Easton 8

c.) Überlegungen zu Legitimität von Buquet 9

Status Quo in Lateinamerika Überblick 10

-Die Länder im einzelnen 11

Schlussbemerkungen 25

Literatur und Quellen 27

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Einleitung

In den letzten 10 bis 15 Jahren gab es einen verstärkten Umbau der politischen Systeme

Lateinamerikas in Richtung Präsidialismus, und da speziell durch gelungene Perpetuierung

der Amtsperioden. Ich untersuche in dieser Arbeit die Verlagerung der Legitimität des

teilweise gesamten politischen Systems in Ländern, wo die Perpetuierung gelang, in Hinblick

auf Amt und Person des Präsidenten/der Präsidentin. Weiters nehme ich einen Überblick über

die konstitutionellen Bestimmungen zum Präsidentenamt, konkret den Amtsperioden und den

Wahlmodi der lateinamerikanischen Länder vor (exklusive Puerto Rico, Kuba und die

Karibikinseln).

Die Möglichkeit der Wiederwahl eines Präsidenten oder der Verlängerung der

Prasidentenmandate hat unter dem Gesichtspunkt der Machtakkumulation und der

Legitimitierung mehrere Faktoren. Zum einen die Dauer des Mandats und der Modus der

Wahl bzw. Wiederwahl, zum anderen die Kompetenzen des Präsidenten (insbesondere unter

dem Aspekt der Gewaltenteilung, also im Sinne von Montesquieu Legislative, Exekutive und

Judikative) und damit zusammenhängend auch die institutionellen Kontrollmechanismen. Ich

werde mich aber weitgehend auf die Dauer des Mandats und die Wiederwahl-Möglichkeiten

(konsekutiv, also: unmittelbare darauffolgende Amtperiode derselben Person oder

alternierend: mit einer Amtperiode bzw. einer gewissen Anzahl von Jahren Pause)

beschränken. Weiters werde ich die Länder mit jüngst geänderten Regelungen bzw. die

Präsidenten nach den Typen der legitimen Herrschaft von Max Weber sowie nach dem Input-

Outut-Schema von David Easton klassifizieren und teilweise andere Überlegungen zum

Präsidentenwahlmodus heranziehen, nämlich jene von Daniel Buquet.

Historischer Abriss

Die Jahre nach der Dritten Welle der Demokratisierung in den meisten Ländern

Lateinamerikas (Huntington 1991) mit dem Sturz/der Abwahl von Militärregimen gelten als

"verlorenes Jahrzehnt" für die zumindest wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas. Die

Dominikanische Republik und Ecuador waren dabei 1978 die ersten, Paraguay und Chile

1989 die letzten. Die jüngeren Demokratien Lateinamerikas waren, was die legistische

Gestaltung der jeweiligen Präsidentenämter betrifft, geprägt von einer Untersagung der

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Wiederwahl und von kurzen Amtsperioden.1 Nur Nicaragua, Paraguay und die

Dominikanische Republik erlaubten unmittelbar nach der Rückkehr zu demokratischeren

Verhältnissen eine Wiederwahl, in Kuba galt wie eh und je die unbegrenzte Wiederwahl. Die

Wirtschaftspolitik der 1990er Jahre war dann vom Washington Consensus geprägt (freier

Markt, offene Volkswirtschaften, Privatisierung öffentlicher Güter und Leistungen etcetera).

Vor allem Carlos Andrés Pérez als Präsident in Venezuela, Alan García und Alberto Fujimori

in Perú und Carlos Menem in Argentinien, setzen diese liberale Politik um, aber ohne

entsprechende Erfolge bzw.unter massiven Protesten der Bevölkerung. Die vorangegangenen

Schuldenkrisen (speziell Mexiko, Argentinien) einiger Länder ließen das Pendel an manchen

Orten umschlagen: Hugo Chávez kam in Venezuela 1998 an die Macht, nach einem zuvor

gescheiterten Putschversuch und einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt. Mehrere weitere

Länder folgten später seinem Links-Kurs, Länder, die man heute grob in

„sozialdemokratische" und „populistische“ Regime differenzieren kann (Francisco Panizza2).

Im neuen Jahrhundert verengte sich dieser politische Kurs ausgehend von Venezuela auch in

Bolivien, Ecuador und Nicaragua weiter nach Links und wurde ebendort selbst meist als

sozialistisch und/oder mit eigenen Wortschöpfungen benannt, die indigene oder historische

Referenzen beinhalteten. Insbesondere in diesen vier Ländern ging die politische

Neuausrichtung beginnend rund um die Jahrtausendwende auch mit Verfassungsänderungen

einher, die jeweils die Amtsdauer und Machtfülle der regierenden Präsidenten ausweiteten

und dabei vorerst zumindest die unmittelbare einmalige Wiederwahl eines Präsidenten

ermöglichten. Eine Frage, die ich beantworten will, ist ob eine Relation zwischen starkem

Präsidentialimus vom Typ „Populismo“ und der perpetuierten Präsidentenwahl besteht und ob

dieses Modell auch von anderen Ländern (außer den vier genannten) angestrebt wird.

Präsidialismus versus Parlamentarismus. Warum hat sich historisch gesehen der

Präsidialismus in Lateinamerika durchgesetzt, warum kein Modell einer parlamentarischen

Demokratie? Parra Tapia3 schreibt, dass Lateinamerikas Unabhängigkeitbewegungen von der

US-Verfassung von 1787 inspiriert waren und die Länder zudem bewusst einen Kontrapunkt

zum Regierungssystem der vormaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal setzen wollten.

1 Tabla 3 in: Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial

en América Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49. http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext 2 Panizza, Francisco: Nuevas izquierdas y democracia en América Latina, Revista CIDOB d’Afers Internacionals

no 85-86, Barcelona 2009 3 Parra Tapia, Ivonne K. El presidencialismo en Venezuela. Efectos sobre la legitimidad y estabilidad

democraticas en el pais. Universidad del Zulia, 2009

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Im Amt des Präsidenten in Lateinamerika sind die Funktion des Staatschefs und des

Regierungschefs vereint, in den vergleichsweise föderalistisch geprägten USA wird diese

Machtfülle auch als Gegengewicht zu den Kompetenzen der Bundesstaaten erklärt; weitere

politische Machtfaktoren sind in den USA der Kongress, der Senat und das Oberste Gericht.

Die nur einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist in den USA unangetastet und

unangezweifelt.

In Lateinamerika hingegen entwickelte sich ein Präsidialismus ohne diese Gegenpole der

Macht und mit einer teilweise nach europäischen Maßstäben massiven Anhäufung von

exekutiver, legislativer und judikativer Gewalten in Präsidentenhand. Die in der Gegenwart

oft fehlenden Kontrollmechanismen bzw. Gegengewichte werden meist durch die historisch

generell schwachen Parteien und Institutionen und das Erbe von Caudillismo, Populismo oder

Paternalismo (den man nur unzureichend mit Vettern- oder Günstlingswirtschaft übersetzen

kann) erklärt. Die ursprüngliche Limitierung des Präsidentialismus ohne (unmittelbare)

Wiederwahlmöglichkeit, beginnend mit der Demokratisiserung in den 1980er Jahren, war

wohl eine Folge der Erfahrungen mit den vorangegangenen autoritären und Militärregimen.

In den vergangenen 36 Jahren entwickelte sich Lateinamerika also von einer Region, in der

die Wiederwahl überwiegend untersagt war, zu einer Region, in der die Wiederwahl des

Präsidenten in den meisten Fällen möglich ist (und fast durchwegs auch bei den der Änderung

folgenden Wahlen gelang). Jene Präsidenten, die die Verfassungen ändern ließen und davon

bei der folgenden Wahl profitierten, waren Menem, Cardoso, Fujimori, Chávez, Morales,

Correa und Uribe. Diese Tendenz zur Wiederwahl ist gezeichnet von einer Schwäche der

Institutionen, einer zunehmenden Personalisierung, Parteienkrisen und einem (nach Diktion

von Daniel Zovatto4) Hyper-Präsidialismus. Auf der anderen Seite haben in jüngerer Zeit zum

Teil einige kaum weniger populäre/mächtige Präsidenten als die zuletzt genannten, der

Versuchung widerstanden, die Verfassungen ihres Landes unterstützt von der großen

persönlichen Popularität verändern zu lassen (Michelle Bachelet, Luiz Inácio Lula da Silva,

José Mujica) oder sie scheiterten dabei (Álvaro Uribe). Durch die schwindenden Einnahmen

aus dem Extraktivismus, im speziellen durch Erdöl (und den daher geringeren Mitteln zur

Umverteilungs- und Sozialpolitk) sind manche Nachfolger der populären Präsidenten (bzw.

dieselben Personen in einer folgenden Amtsperiode) weit weniger populär bzw. gewinnen

Wahlen weit weniger klar. Als Beispiele kann man folgende Vergleiche bei den

4 Zovatto, Daniel: Reelection, continuity and hyper-presidentialism in Latin America

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Wahlergebnissen nennen (siehe bei Die Länder im einzelnen): Lula II /Dilma I und II in

Brasilien, Uribe/Santos I und II in Kolumbien oder Chávez I/ Chávez II/Maduro in

Venezuela. Massive Proteste wegen der Sozialpolitik, wegen der Sicherheitslage, wegen

umstrittener Infrastruktur- und Bergbauprojekte, wegen der Korruption, wegen der

Bildungspolitik oder wegen der schlechten Versorgungslage gab es in allen diesen Ländern,

ebenso z. B. in Peru.

Methoden

In dieser Arbeit überprüfe ich einige Länder hinsichtlich perpetuiertem Präsidentialismus als

Mittel gegen Legitimitätsverlust der Amtsinhaber und der Argumentation der Proponenten

dabei. Ich bediene mich zum einen der Herrschafts- und Legitimitätsdefinitionen von Max

Weber, mit einem Fokus auf charismatische und auch auf traditionelle Herschaft: dies vor

allem weil die populistisch akzentuierten Regime in Venezuela, Bolivien oder Ecuador von

den Persönlichkeiten ihrer Präsidenten geprägt sind und diese überdies auch Begriffe im sinne

der Traditionalisierung wie Chavismo, Bolivarianismo, Revolución Ciudadana eingeführt

haben, oder auch das Buen Vivir/Vivir Bién, als zumindest unterschwellige neue

Staatsideologie implementierten (was meiner Meinung nach auf einen traditionellen

Legitimätsbegriff hindeutet).

Zum anderen untersuche ich die Länder nach der Input/Output-Theorie von David Easton.

Dies, weil zum einen wie gesagt am Anfang der Perpetuierung der präsidialen Macht oft

intitutionelle Änderungen standen oder neue Beteiligungsformen der Bürger eingeführt

wurden. Zum anderen gelang die Ausweitung der präsidentialen Macht auch durch einen

wirtschaftlichen Aufschwung der meisten lateinamerikanischen (und meist rohstoffreichen)

Länder (und vielleicht machte dieser ökonomische Aufschwungen überhaupt die

Perpetuierung der Präsidenten überhaupt erst möglich), welcher im Wesentlichen exogen

durch die besonders bis 2008 stark gestiegene globale Rohstoffnachfrage insbesondere aus

China verursacht wurde. Diese Einnahmen wurden zu einem gewissen Teil in

Regierungsprogramme vor allem sozialer Natur investiert, die einer vergleichsweise breiten

Schicht der Bevölkerung zugute kamen, also (in vielen Fällen erstmals bzw. in einem Maße

wie nie zuvor) Output an diese Bevölkerung lieferten. Andererseits waren diese politischen

Systeme dennoch immer wieder auch anderen Forderungen der Bevölkerung ausgesetzt.

Insofern scheint mir Input-Output als geeignetes Instrument, um die gestiegene Legitimität

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und Machtfülle der Präsidenten in genau dieser genannten Zeitspanne bis etwa 2010 zu

erklären. In jüngerer Zeit, mit dem Abflauen der globalen Rohstoffnachfrage und dem Verfall

des Rohölpreises, sahen/sehen sich aber viele Präsidenten/Länder mit geringeren Einnahmen

konfrontiert, und gleichzeitig offenbaren sich oft auch deutlich geringere Zustimmungen oder

Mobilisierung bei Wahlen, oder die Unzufriedenheit offenbart sich in offenen Protesten

(mehr dazu bei der Länder-Übersicht). Ob diese beiden Tendenzen kausal sind, sei

dahingestellt, aber eine Korrelation scheint mir unzweifelhaft.

Theoretische Grundlagen Legitimität

a.) Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, Max Weber

1. Legale Herrschaft

Diese auch bürokratische Herrschaft genannte Legitimitätsbegründung gilt als der "reinste"

Typus nach Weber. Dabei können - wenn sie nur formal korrekt zustandegekommen sind -

Normen jeglicher inhaltlicher Art geschaffen oder abgeändert werden, und aus diesem

formalen Grund würden sich die Beherrschten den Normen unterwerfen. Auch der

Herrschende unterwerfe sich der bürokratischen Herrschaft, indem er sein Recht zur

Normenschaffung innerhalb seiner sachlichen Kompetenz ausübt.

2. Traditionelle Herrschaft

Sie stützt sich auf den Glauben an die Legitimität einer tradierten "heiligen" Ordnung und

derer Herrschaftsstruktur. Auch die formal Befehlenden sind inhaltlich an diese Ordnung bzw.

Werte (Staatsideologie) gebunden, denn wenn diese mit ihren Befehlen der überlieferten

Ordnung widersprechen, gefährden sie ihre eigene ebenso ausschließlich aus den tradierten

Normen abgeleitete Machtposition. Auch die Proponenten der regierenden Bürokratie

beziehen ihre Legitimität nur aus der Tradition und nicht aufgrund sachlicher Kompetenz.

Weber differenziert in zwei traditionelle Herrschaftsypen:

a.) Patriarchalische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab

stammen aus dem persönlichen Umkreis des Herrschers, sind entweder Familienangehörige

oder dessen "Vasallen, Sklaven oder Günstlinge", sind dem Herrscher jedenfalls durch ein

persönliches Treueband verbunden.

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b.) Ständische Herrschaft: Die untergeordneten Amtsträger bzw. der Verwaltungsstab haben

sich ihre Stellung gewissermaßen erworben, durch ein Privileg seitens des Herrschers oder als

Belehnte, oder haben auch durch Rechtsgeschäft ein unwiderrufliches Recht an ihrem Amt

erworben.

3. Charismatische Herrschaft

Seine Legitimität bezieht der Herrscher dabei aus den ihm zugeschriebenen persönlichen

Fähigkeiten und Qualitäten. Der charismatische Herrscher tritt laut Weber in folgenden

Grundformen auf, aus denen sich auch seine dominierenden Fähigkeiten ablesen lassen:

Prophet, (Kriegs-)held, Demagoge. Der Herrschaftsverband ist die Vergemeinschaftung, die

Gemeinde oder die Gefolgschaft, der Typus der Gehorchenden wird als Jünger bezeichnet,

der Herrscher selbst ist Führer. Man gehorcht dem Führer ob seiner persönlichen und

außergewöhnlichen oft "magischen" Eigenschaften und nicht aus Gründen von Tradition

(siehe 2.) oder wegen desser gesatzter Position (siehe 1.). Zentral ist daher, dass das Charisma

des Herrschers nicht schwinden darf, ansonsten würde er seine Legitimität verlieren. Der

Herrscher muss daher auch regelmäßig Zeugnisse seiner charismatischen Fähigkeiten liefern,

gewissermaßen ständig aufs Neue "Wunder wirken". Der Herrscher leitet seine Autorität nicht

bloß aus seiner (freiwilligen) Anerkennung seitens der Beherrschten ab, sondern die

Anerkennung der Autorität und der Glaube an ihn, die affektive Hingabe an seine Person und

an seine Gnadengaben (was Charisma im Griechischen ja wörtlich bedeutet) sind für die

Beherrschten sogar eine Pflicht. Der Apparat des charismatischen Herrschers wiederum wird

von diesem nach dem jeweiligen Charisma und dem Grad der Hingabe dieser Personen an

ihn, den Herrscher, ausgewählt.

Spätestens wenn der charismatische Herrscher wegfällt (etwa durch Tod), muss diese

Legitimität dann als traditionelle Herrschaft etabliert sein und ein Nachfolger feststehen, auf

welchen der Verschiedene sein Charisma zuvor übertragen hatte. Dieser Nachfolger kann

vom Verwaltungsstab des weggefallenen Herschers ausgewählt werden, er kann auch vom

charismatischen Herrscher zuvor aus diesem Verwaltungsstab nominiert worden sein, oder die

charimatische Herrschaft kann per Erbfolge an einen Blutsverwandten des verstorbenen

Herrschers übergehen (Anmerkung: oder sie wird an die Ehegattin weitergegeben).

Die charismatische Herrschaft als rein persönliche soziale Beziehung der Beherrschten zum

Herrscher hat nach Weber bei langem Bestand die Tendenz, sich in eine traditionelle Ordnung

zu verwandeln.

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b.) David Easton, Input-Output-System der politischen Systeme

David Easton stellt in seinem 1965 erschienen Werk „A Systems Analysis of Political Life“

die politischen Prozesse als System dar, in welchem soziale Interaktionsmuster zu einer

autoritativen Allokation von Werten innerhalb einer Gesellschaft führen. Die Schlüsselfrage

ist: „Wie erreichen es politische Systeme, sich in einer Welt, die zugleich Stabilität und

Wandel aufweist, zu behaupten?“ Nach Easton sind politische Systeme anpassungsfähige

Handlungssysteme, die in ihre Umwelt eingebettet sind. Dabei wird den Systemen die

Fähigkeit zugesprochen, auf Störungen und Spannungssituationen (Stress) zu reagieren.

„Interaktionen, durch die in bindender Weise Werte für eine Gesellschaft gesetzt werden“, ist

Eastons Definition eines politischen Systems.

Das in „A Systems Analysis of Political Life“ von Easton beschriebene „Input-Output-

System" gilt als eine allgemein anwendbare Theorie politischer Prozesse, bei welcher die

autoritativen Entscheidungen auf der Outputseite, aber insbesondere die gesellschaftlichen

Forderungen und Unterstützungen auf der Inputseite im Vordergrund stehen. In einem

solchen politischen System werden Forderungen (Demands) der Bevölkerung auf der

Inputseite durch institutionelle Prozesse zu Entscheidungen auf der Outputseite transformiert.

Wie die Entscheidung zustande kommt, also nach welchen internen Mechanismen sich die

Inputs seitens der Behrrschten letztlich als Outputs der Herrscher manifestieren, bleibt den

Beherrschten aber verborgen (Easton bezeichnet diesen unsichtbaren Prozess als Black Box);

dies zu erhellen, sei Aufgabe von Medien bzw. Journalismus. Entscheidend für die

Akzeptanz autoritativer Outputs ist dabei die gesellschaftliche Unterstützung (Support).

Demands und Supports treten jeweils in Form von materiellen und politischen Forderungen

sowie jeweils als materielle und politische Unterstützung auf.

Bei den Supports differenziert Easton wie folgt:

- Messbare kurzfristige Handlungen wie die Wahlbeteiligung oder das Zahlen der Steuern

werden als manifeste Unterstützung (overt support) für das System betrachtet. Kognitive

Grundeinstellungen wie Parteiloyalität oder patriotische Überzeugungen bezeichnet Easton

als latente Unterstützung (covert support). Diese reicht über kurzfristige

Einzelentscheidungen hinaus und spielt für die dauerhafte Funktionsfähigkeit des Systems

eine wichtige Rolle. Ein derartiges generalisiertes Systemvertrauen gewährleistet vor allem

systemische Kontinuität, auch bei Regierungs- und Politikwechseln.

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- Weiters unterscheidet Easton zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung (specific

and diffuse support). Ersterer ist eine unmittelbare Reaktion auf tagespolitische

Entscheidungen, zweitere basiert auf eine gewachsene Identifikation mit den Grundlagen des

politischen Systems. Die diffuse Unterstützung ist dabei eine Art Reserve für die Akzeptanz

autoritativer Outputs.

Outputs des politischen Systems sind bei Easton die Entscheidungen und Handlungen der

Regierenden, die die Folge jeweiligen Inputs sind. Er bezeichnet diese Wechelwirkung als

Feedback-Schleifen (Loops). Damit das politische System den richtigen Output auf Demands

der Gesellschaft setzen kann, ist aber unabdingbar, dass die Autoritäten mit Informationen

versorgt werden. Falls diese Informationen nicht ausreichend sind (und daher falsche Outputs

gesetzt werden), kommt es zum Sinken des politischen Support (als zu Stress) und dann in

letzter Konsequenz zum Kollaps des politischen Systems.

Legitimität definiert Easton als die Grundhaltung der Gesellschaft zum Regime, speziell ob

die Beherrschten übezeugt sind, dass es richtig und korrekt ist, der Autorität zu gehorchen

und sich an die Regeln der Bedürfnisse des Regimes zu halten.

c.) Daniel Buquet5 hat 2007 zudem einige sehr interessante Zusammenhänge zwischen

Legitimität und Reformen der Präsidentenwahlsysteme in Lateinamerika hergestellt. Er geht

(wenig überraschend) davon aus, dass politische Kräfte ihre eigenen Interessen im Sinn

haben, wenn sie Regeln über den politischen Wettbewerb ändern. Legitimität und Effektifität

seien die Erfolgsfaktoren politischer Systeme, jeder Reformversuch beim Wahlsystem habe

daher die Beseitigung einer Disfunktion bei diesen Faktoren im Sinn. Buquet sieht dabei zwei

Gruppen von Regierenden, die sich jeweils nach einem konträren Muster in Bezug auf

Prasidentenwahlsystem-Reformen verhalten.

Coaliciones Declinantes sind Regierende und im Land etablierte Gruppen, die sich als

künftige Verlierer sehen. Sie drängen auf Reformen, die einschließend für andere

nichtregierende Gruppen sind. Damit sollen das System re-legitimiert und eigene künftige

Wahl- und Machtverluste minimiert werden. Sie berufen sich bei ihren Reformen auf ihre

Legitimität und sie suchen daher breite Zustimmung.

5 Buquet, Daniel. Entre le legidimidad y la eficacia: Reformas en los istemas de elección presidencial en América

Latina.Revista Uruguaya de Ciencia Política Nº 16. 2007. pp. 35-49. http://www.scielo.edu.uy/scielo.php?pid=S1688-499X2007000100004&script=sci_arttext

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Coaliciones Ascendientes sind Bewegungen an der Regierung, die sich im Aufschwung sehen,

die daher andere Gruppen von der Macht ausschließen und die erwarteten künftigen Gewinne

bei Wahlen in puncto Machtgewinn daraus maximieren wollen. Sie argumentieren mit mehr

politischer Effektivität durch die angestrebten Reformen des Präsidentenwahlsystems.

Im Sinne von Inklusion/Exklusion durch Präsidentenwahlsysteme definiert Buquet zudem drei

Variablen:

-Variable 1, mit zwei Varianten: Präsidentenwahl mit bloß relativer Mehrheit (Mayoria

Relativa MR) oder Stichwahl (Doble Vuelta DV) der beiden erstplatzierten Kandidaten.

Coaliciones Declinantes bevorzugen für den Machterhalt eine Reform in Richtung DV, aus

der Unsicherheit ihres künftigen Erfolges und der Bedrohung ihrer Macht.

Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Reform in Richtung MR.

-Variable 2: Dauer des Mandats

Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Verkürzung der Amtsdauer.

Coaliciones Ascendientes bevorzugen eine Verlängerung derAmtsdauer.

-Variable 3: Wiederwahl

Coaliciones Declinantes bevorzugen eine Regelung in Richtung weniger Wiederwahl.

Coaliciones Ascendientes bevorzugen die Ausweitung der Wiederwahl, insbesondere wenn

die Persönlichkeit des Präsidenten ein großer Faktor ist.

Buquet analysierte alle Wahlsysteme in Südamerika zwischen 1990 und 2005, jedes Land

hatte dabei mindestens bei einer Variablen eine Änderung vorgenommen, die im damaligen

politischen Kontext (je nachdem, ob Coalicion Declinante oder Ascendiente) in die hier

beschriebenen Richtung erfolgt ist.

Der Status Quo in Lateinamerika (Übersicht)

- Wiederwahl-Optionen und Amtsdauer (Anzahl der Jahre in Klammer).

Keine Wiederwahl

Guatemala (4), Honduras (4), Mexiko (6) Paraguay (5)

Einmalige Wiederwahl

-konsekutiv: Argentinien (4), Bolivien (4) Brasilien (4), Ecuador (4), Kolumbien (4)

-mit Pause (eine/ zwei Amtsperioden bzw. eine gewisse Anzahl von Jahren): Chile (4), Costa

Rica (4), Dominikanische Republik (4), El Salvador (5), Panamá (4), Perú (5), Uruguay (5)

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Unbegrenzte Wiederwahl:

Venezuela (6), Nicaragua (5)

- Wiederwahl funktioniert

Seit 1990 gelang (fast) jedem Präsidenten in Lateinamerika die Wiederwahl, egal ob bei

unveränderter Gesetzeslage* oder nach von ihm “angeregter” Gesetzesänderung**.

•Nicaragua: Ortega 2011**

•Kolumbien: Uribe 2006**

•Peru: Fujimori 1995**, Garcia 2006*

•Argentinien: Menem 1996**, C. Kirchner 2011*

•Venezuela: Chávez**

•Ecuador: Correa 2013**

•Bolivien: Morales 2010**

•Chile: Bachelet 2013*

•Brasilien: Cardoso 1998*, Lula 2006*, Dilma 2014*

Die Länder im Detail

Argentinien

Seit 1994 gilt konsekutive Wiederwahl statt keine Wiederwahl. Dem damaligen Präsidenten

Carlos Menem (von 1989 bis 1999) gelang die Änderung der Verfassung (allerdings wurde

als Kompromiß die Amtszeit von 6 auf 4 Jahre verkürzt und eine Stichwahl vorgesehen, die

einfache Relative Mehrheit im ersten Wahlgang reichte ebenso nicht mehr), und er wurde

auch wiedergewählt. Bei der Wahl 2003 (nach einer Periode Absenz) erreichte Menem im

ersten Wahlgang zwar mit 24 Prozent die meisten Stimmen, sein Herausforderer Nestor

Kirchner erreichte 22 Prozent, worauf Menem sich aufgrund eindeutiger Umfrageergebnisse,

die Kirchner einen klaren Sieg voraussagten, zurückzog. Nestor Kirchner wurde somit

Präsident. Bei der Wahl 2007 trat Kirchner nicht an und schickte stattdessen seine Frau

Cristina Kirchner ins Rennen, die als Primera Dama bereits politisches Profil erworben hatte.

Sie erreichte im ersten Wahlgang 45,3 Prozent, ihre Widersacherin Elisa Carrio 23 Prozent.

Somit stand C. Kirchner als Präsidentin fest, nach geltendem Wahlrecht ist keine absolute

Mehrheit nötig, sondern es reicht ein Ergebnis von über 45 Prozent, oder, bei mehr als 40

Prozent, ein Vorsprung von mehr als 10 Prozentpunkten auf den zweitplatzierten Kandidaten.

Bei der Wahl 2011 gewann C. Kirchner im ersten Wahlgang klar mit 54 Prozent. Gemäß der

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Verfassung ist keine zweite Wiederwahl, also keine drittes konsekutives Präsidentenamt

möglich. Mit der Kampagne „Cristina 2015“ versuchte der Oficialismo im Jahr 2012

Vorbereitungen für eine Verfassungsänderung zu treffen, die eine dritte Amtperiode von C.

Kirchner ermöglichen sollte. Diese Änderung wäre aber nur mit einer größeren Mehrheit in

beiden Kammern des Parlaments möglich. Bei den Zwischenwahlen (die Hälfte bzw. ein

Drittel der Kammern werden turnusgemäß zur Mitte der Präsidenten-Periode neu gewählt)

von 2013 hätte nur ein klarer Zugewinn des Oficialismo und seiner Verbündeten diese

Mehrheit schaffen können. Proponenten des Oficialismo beschworen dafür das „Carisma de

Cristina“. Dies gipfelte zum Beispiel im August 2012 in folgender Aussage von Vizepräsident

Amadou Boudou6: “¿Cómo no va a estar enamorada la gente de ésta Presidenta y sentir que se

muere de ganas que siga Cristina?” und der Parole “Somos parte de un proyecto nacional que

conduce nuestra Presidenta”. ("Wie könnten die Menschen nicht in diese Präsidentin verliebt

sein und Lust verspüren, dass Cristina bleibt?" bzw. "Wir sind Teil eines nationalen Projektes,

das unsere Präsidentin führt." Die nötige Mehrheit wurde 2013 aber verfehlt.

Derartige Aussagen zum Versuch der Perpetuierung der Präsidentschaft beschwören zum

einen wortwörtlich den Faktor des Charisma im Sinne von Weber. Zum anderen orten

Politologen und Beobachter, darunter etwa Daniel Zovatto, dass Nestor und Cristina Kirchner

von 2003 an den Plan gehabt hätten, das Land alternierend bis 2023 zu regieren. Diese

Perspektive wurde mit dem Tod von Nestor Kirchner 2010 zunichte gemacht. Daher wird in

jüngster Zeit versucht, Maximo Kirchner, den Sohn von Nestor und Cristina, als Politiker in

Stellung zu bringen.7 8

Im Kirchnerismo, als einer jüngeren Variante des argentischen Peronismo, hat Nestor

Kirchner aus seiner legalen Herrschaft von 2003 durch die erfolgreiche Nominierung seiner

Frau als Kandidatin 2007 diese auch zur charismatischen Herrscherin gemacht. Nun besteht

angesichts der verfassungsrechtlichen Schranken der Wiederwahl die Tendenz, mit Hilfe des

Sohnes Maximo in einer Art Erbfolge die charimatische Legitimität weiterzugeben. Dies alles

unter dem ohnehin schon im Weber'schen Sinn langem Bestand eines traditionellen Regimes

wie des Peronismo als gewissermaßen patriarchalische Staatsideologie eines (ursprünglich)

dritten spezifisch argentinischen Weges zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

6 http://www.lapoliticaonline.com/nota/63254/

7 http://www.lagaceta.com.ar/nota/607949/politica/maximo-unio-oposicion-tras-no-cristina-kirchner.html,

8 http://www.elmundo.es/loc/2014/09/24/54216f20e2704e8f638b457b.html

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Bolivien

Laut alter Verfassung war bis 2009 nur die nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. In einem

von Präsident Evo Morales (2005 mit 54 Prozent gewählt, 2009 mit 64 Prozent gewählt)

initiierten Referendum 2013 wurde eine einmalige konsekutive Wiederwahl mehrheitlich von

der Bevölkerung angenommen. Im Jahr 2013 trat jedoch ein Gesetz in Kraft, das diese

Regelung weiter auslegt: Demnach konnte Morales im Oktober 2014 erneut zur Wahl antreten

(und gewann diese auch mit 61% Zustimmung), obwohl er damit schon die dritte Amtperiode

in Folge Präsident ist. Das Argument war, dass Bolivien mit den Verfassungsänderungen von

2009 als neuer Staat gegründet worden sei (seither als: Estado Plurinacional de Bolivia) und

daher die vorangegangene erste Amtszeit von Morales ab 2006 nicht zähle.

Die „Neugründung“ des Staates mit dem indigenen Konzept des Vivir Bién und der

Plurinationalität trifft sozusagen Vorsorge, dass das Modell sukzessive in ein traditionelles

übergehen kann. Morales indigene Herkunft, seine Verankerung in der Gewerkschaft der

Koka-Bauern und sein persönliches Charisma machten seine Wahlerfolge möglich. Die

Betonung des Indigenismo (angesichts 60 Prozent indigener Bevölkerung) hat auch starke

religiöse Züge.9 Morales bezieht seine Popularität auch aus dem Ressourcen-Nationalismus

(Verstaatlichung der Schlüsselindustrien) und aus seiner Sozialpolitik. Außerdem erfreut sich

das Land einer guten wirtschaftlichen Entwicklung. Stress auf das politische System im Sinne

von Easton gibt es dennoch durch soziale Konflikte auch seitens indigener Gruppen wie zum

Beispiel die Proteste um das TIPNIS-Projekt ziegen. Allerdings gibt es keine Anzeichen, dass

Morales seine charismatische Herrschaft auf einen Nachfolger übertragen will. Gamboa

Rocabado10

sieht stattdessen Anzeichen zu einer Einparteienherrschaft des Movimiento al

Socialismo MAS gibt und meint, dass sich das Modell eines indigenen Staates nicht

materialisieren werde. Er begründet dies mit dem Caudillismo von Morales, der nur auf

dessen persönliche Perpetuierung der Macht gerichtet sei.

Brasilien

Seit 1998 ist eine einmalige Wiederwahl möglich, anstatt des Verbots der Wiederwahl. Der

damalige Präsident Fernando Cardoso initiierte die Verfassungsänderung und wurde

wiedergewählt, er regierte insgesamt von 1995 bis 2002. Seine beiden Nachfolger Luiz Inacio

Lula da Silva und Dilma Rousseff wurden ebenso jeweils wiedergewählt. Aus der mit der

9 http://www.eldeber.com.bo/bolivia/viceministro-pide-apoyar-evo-mas.html.

10 Gamboa Rocabado, Franco: Hacia una utopía democrática en Bolivia: Las lecciones de la Asamblea

Constituyente y el nacimiento de un probable Estado indígena .Consejo Latinoamericano de Sciencias Sociales, April 2014, Buenos Aires

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14

Arbeiterpartei PT verbündeten Partei PSDB gab es in der Zeit, als noch Lula in zweiter

Amtsperiode regierte, eine Inititative, um eine zweite Wiederwahl zu ermöglichen. Lula

selbst schloß das aber aus und dies wurde dann auch vom Parlament abgelehnt.

Die Herrschaft der Arbeiterpartei PT von Lula Inacio da Silva stützt sich wegen der rasanten

wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zwar überwiegend auf

Output-Legitimität. Lulas Popularität und Amtsführung wiesen aber auch Züge einer

Charismatischen Herrschaft auf (Vergangenheit als starker Gewerkschaftsführer, als

gewissermaßen "Kriegsheld"; Demagoge), doch Lula selbst widerstand zwar der wie erwähnt

Versuchung, seine Amtszeit verlängern zu lassen, hat aber mit der persönlichen Nominierung

seiner Nachfogerin Dilma im Sinne eines charimatischen Herrschers gehandelt, der diese

Eigenschaften auf die Nachfolgerin übertragen will: Dies, auch weil Dilma eine

Vergangenheit als Widerstandskämpferin gegen die Militärdiktatur (1964 bis 1985) hat. An

persönlichem Charimsa (abgesehen von der genannten Eigenschaft als "Kriegsheldin" bzw.

Märtyrerin) fehlt es ihr aber. Sie war von Lula als Ministerin von 2003 bis 2010 eingesetzt

worden und erst kurz zuvor (2001) der PT beigetreten.11

Dilma erklärte zu Beginn ihrer

ersten Amtszeit den Kampf gegen die extreme Armut als Hauptziel, sie weitete die von Lula

(eigentlich schon von dessen Vorgänger Cardoso) begonnene Sozialprogramme wie Bolsa

Familia aus. Dennoch konnte sie keine großen Beliebtheit erlangen. Ein Indiz dafür war

natürlich das äußerst knappe Rennen um die Dilma-Wiederwahl im vergangenen Oktober.

Die deutliche Abkühlung des Wachstums, die massiven Proteste rund um die

Fußballweltmeisterschaft und eine Reihe von Korruptionsskandalen vor allem rund um die

Petrobras nagten an ihrer Popularität und verursachten Stress im Sinne von David Easton. Die

Legitimität der PT in Braslien ist unter Dilma eine eher bürokratische, charismatische oder

traditionelle Elemente fehlen. Fraglich ist auch, ob die Outputs des Systems ausreichend sind,

also ob Dilma angesichts der stagnierenden Wirtschaft zumindest über ausreichend covert

support verfügt. Bezeichnend ist die sinkende Zustimmung in Form von manifester

Unterstützung (overt support) für die PT bei den drei letzten Wahlen: Lula gewann bei seiner

zweiten Wahl 2006 in der Stichwahl mit 61 Prozent, Dilma gewann bei ihrer ersten Wahl in

der Stichwahl mit 56 Prozent und bei der Stichwahl im Oktober 2014 nur mit 52 Prozent.

11http://www.cidob.org/es/documentation/biografias_lideres_politicos/america_del_sur/brasil/dilma_rousseff

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15

Chile

2005 wurde die Präsidenten-Amtsperiode auf vier Jahre verkürzt (zuvor seit 1994 sechs

Jahre), die alternierende Wiederwahl wurde beibehalten. Präsidenten Michelle Bachelet

wurde 2014 zum zweiten Mal (unterbrochen von vier Jahren Präsidentschaft von Sebastian

Piñera) gewählt. Chile ist wohl auch eines der am stärksten von "legaler Herrschaft"

geprägten Länder Lateinamerikas. Die Machtwechsel von Links auf Rechts und umgekehrt

waren vergleichsweise friedlich und fair verlaufen und ohne die in Lateinamerika sattsam

bekannten Vorwürfe von Wahlbetrug durch die jeweils unterlegenen Parteien/Kandidaten. Im

Sinne von Easton stand das demokratische politische System Chiles aber sehr wohl oft unter

"Stress" (jüngst Demonstrationen vor allem gegen das Bildungssystem bzw. dessen Kosten),

vielleicht auch daher wurde mit Bachelet wieder eine Präsidentin gewählt, der offenbar

zugetraut wird, die Disparitäten zu mildern. Auch die Inklusion der kommunistischen

Anführerin der Studenten- (bzw. Bildungs-) Proteste Camila Vallejo in die Regierung war ein

Schachzug (und auch die Erfüllung einer Forderung im Sinn von Easton) zur Legitimierung

von Bachelet. Diese hatte abermals am 20. Juni 2014 (schon in ihrer zweiten Amtperiode) in

einem Interview mit der Zeitung La Segunda12 die Änderung der Verfassung in Richtung

konsekutiver Wiederwahl ausgeschlossen. Sie erteilt im selben Interview auch generell dem

Präsidialismus (bzw. Personenkult/Populismus) auch eine Absage.

Costa Rica

Seit 2003 ist nicht-konsekutive Wiederwahl möglich. Der Verfassungsgerichtshof hatte

damals auf Initiative von Oscar Arias die Verfassung aufgehoben, die seit 1969 eigentlich

eine Wiederwahl absolut untersagt hatte (eine gleichlautende Initative von Arias war im Jahr

2000 nicht erfolgreich). Damit konnte Arias, der schon von 1986 bis 1990 regierte hatte,

abermals antreten und war dann von 2006 bis 2010 wieder Präsident. Ihm folgte Laura

Chincilla 2010 bis 2014, seit März 2014 ist Luis Guillermo Solis Präsident.

Letzterer gewann relativ überraschend: In Umfragen vor dem ersten Wahlgang wurde der

linke Kandidat Jose Maria Villalta (dem im Wahlkampf große Nähe zum Chavismo

nachgesagt worden waren) als Gegner von Johny Arraya (von der Partei der vormaligen

Präsidentin Chincilla) in der Stichwahl erwartet. Schließlich kam der gemäßigte Mitte-Links-

Kandidat G. Solis in die Stichwahl und lag dann in den Umfragen dafür so klar vor Arraya,

dass letzterer den Wahlkampf für die Stichwahl einstellte (ein freiwilliger Rückzug ist

offenbar nicht vorgesehen). Eine der ersten öffentlichen Aussagen von Solis ging in Richtung

12

http://www.lasegunda.com/Noticias/Politica/2014/06/943246/soy-una-convencida-de-que-seis-anos-con-un-mal-gobierno-puede-ser-una-pesadilla

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16

„Abkehr vom Populismus der lateinamerikanischen Präsidenten“.13

Er erließ im Juni 2014

Vorschriften, die es untersagten, dass in Costa Rica Schulen oder Bauwerke etcetera seinen

Namen tragen. Das politisch und wirtschaftlich stabile Costa Rica ist eines der Länder, in

denen die bürokratische/legale Herrschaft am stärksten ausgeprägt ist, Machtwechsel in

Richtung andere Parteien verlaufen weitgehend friktionsfrei.

Dominikanische Republik

Seit dem Jahr 2010 ist keine konsekutive Wiederwahl mehr möglich. Zuvor war seit einem

Referendum von 2002 die einmalige Wiederwahl erlaubt. Zuvor von 1994 bis 2002 war die

konsekutive Wiederwahl wie auch aktuell untersagt. Die Verfassungsänderung von 2002,

welche die konsekutive Wiederwahl zwischenzeitlich möglich machte, wurde vom damaligen

Präsidenten Hipolito Mejia von der sozialistisch-populistischen Partido Revolucionario

Dominicano initiiert. Mejia wurde aber nicht gewählt, als einziger Präsident Lateinameirkas

nach einer eigenen und erfolgreichen Initiative zur Wiederwahl-Möglichkeit. Seit August

2012 ist Danilo Medina von der sozial-liberalen Partido de la Liberación Dominicana

Präsident.

Ecuador

Seit 2008 ist einmalige Wiederwahl für eine Periode von 4 Jahren möglich. Zuvor war keine

unmittelbare Wiederwahl erlaubt. Rafael Correa, der seit 2007 im Amt ist (bei der Stichwahl

siegreich mit 57 Prozent der Stimmen), rief bald eine Verfassungsgebende Versammlung ein,

die unter dem Schlagwort Revolución Ciudadana eine neue Verfassung vorlegte. Bei der

ersten Wahl nach der neuen Verfassung im Jahr 2009 gewann abermals Correa, im ersten

Wahlgang mit 52 Prozent. Im Februar 2013 gewann Correa im ersten Wahlgang sogar mit 57

Prozent der Stimmen und wird daher bis 2017 und somit drei Amtsperioden ohne

Unterbrechung Präsident sein ( er durfte 2013 mit dem selben Argument wie Morales in

Bolivien antreten: mit der neuen Verfassung zähle eine vorherige Präsidentschaft nicht mehr

als Hindernis). Zumindest seit Mai 2014 lässt Correa durchklingen, dass er einer

"Volksabstimmung über eine unbegrenzte Wiederwahl nicht entgegenstehen würde" 14

, auch

der Verfassungserichtshof gab grünes Licht für eine Volksabstimmung zur unbegrenzten

Wiederwahl und merkte jüngst sogar an, dass gar keine Consulta Popular dafür nötig sei,

13

http://www.vanguardia.com.mx/presidentedecostaricadiceadiosalcultopersonalista-2100286.html 14

http://internacional.elpais.com/internacional/2014/05/30/actualidad/1401487011_686482.html

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17

sondern die Mehrheit im Parlament reiche (Correas Alianza Pais hat 100 von 137 Sitzen in

der Asamblea Nacional)15

:

Für Ecuador gilt ähnliches wie für Bolivien, jedoch ist das politische Regime und das

Wirtschaftssysten aktuell eine eher sozialistisches als ein indigen/national-populistisches wie

in Bolivien. Ecuador hatte zwischen 1997 und 2007 neun Präsidenten, die neue Verfassung

sieht eine Stärkung der verwundbaren Gruppen vor, betont Rechte der Natur, etcetera.

Präsident Correa stellt die von ihm initiierte Revolución Ciudadana als unumkehrbaren

Prozess dar, diesem widersprechende Kräfte oder Wahlergebnisse werden als Versuch der

Destabilisierung der Regierung gedeutet, von rechtsextremen und ausländischen Kräften und

den Medien.16

Carlos de la Torre17

meint, dass Correa im Gegensatz zu anderen

neopopulistischen Präsidenten bei seiner Wirtschaftspolitik nicht auf oft eigentlich neoliberale

Ökonomen hört, sondern Correa als Ökonom selbst Hand anlegt, einen traditionell

sozialistischen Kurs einschlägt und dies mit seinem persönlichen/politischen Charisma

kombiniert. Er inszeniert sich als Professor und als Erlöser der Nation, und seine Mission ist

die Neugründung des Staates. In einem Interview betont Correa18

, dass er ein zerstörtes Land

übernommen hatte und dass er von Fidel Castro sehr inspiriert sei. Luis Verdesoto Custodo19

,

Profesor am FLACSO (Ecuador) sagt, dass Correas Partei Pais sich als Eigentümer der

revolutionären Moral sehe, bzw. beinahe als göttliche Emissäre oder biblische Gesandte.

Simon Pachano,20

Politikwissenschafter der Universidad de Salamanca, Spanien: "Die

Wünsche nach einer Bürgerrevolution waren ein aufrichtiges Ziel, sie wurden aber durch den

Caudillismo und die sterile Personifizierung zu Grabe getragen. Ohne ihn (Correa) kann der

Prozess nicht weitergehen, aber mit ihm entfernt er sich immer weiter von seiner

ursprünglichen Utopie." Alberto Acosta, einst Mitstreiter Correas, wird folgendermaßen

zitiert:21

"Alianza País hat eine Cuadillo-Regierung geschaffen, Correa ist der Caudillo des

15

http://www.efe.com/efe/noticias/usa/america/corte-constitucional-aprueba-enmienda-para-una-eventual-reeleccion-correa/5/50015/2454141 16

http://www.cubadebate.cu/noticias/2014/03/01/correa-podria-aspirar-a-reeleccion-en-2017/#.U0E_PdLBVuQ 17

De la Torre, Carlos: El tecnopopulismo de Rafael Correa: ¿Es compatible el carisma con la tecnocracia? Latin American Research Review Volume 48, Number 1, Spring 2013 18

http://razonesdecuba.cubadebate.cu/articulos/rafael-correa-por-una-patria-grande-y-mejor/ 19

http://www.planv.com.ec/historias/politica/la-presidencia-perpetua-rafael-correa 20

http://www.infolatam.com/2014/11/16/ecuador-reeleccion-con-nombre-y-apellido/ 21

http://www.cubalibredigital.com/index.php?option=com_content&view=article&id=21351:rafael-correa-y-el-

apogeo-de-un-regimen-personalista&catid=13:principal&Itemid=23

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18

21. Jahrhunderts, der sich als Träger des kollektiven politischen Willens präsentiert, als

einziger der Antworten hat und als einziger, der diese umsetzen kann."

ElSalvador

Die Wiederwahl mit Pause (nach Ablauf eines anderen Mandates von 5 Jahren) ist möglich.

Salvador Sánchez Cerén (von der linksgerichteten FMLN) gewann im März 2014 eine

Stichwahl mit 50,11 Prozent (6.000 Stimmen Vorsprung), Mauricio Funes von der FMLN

war zuvor von 2009 bis 2014 Präsident, sein Vorgänger Antonio Saca kam bei dieser Wahl

mit einer neuen Partei Movimiento Unidad nicht in die Stichwahl. Zuvor gehörte Saca zur

konservativen ARENA, die mit Francisco Guillermo Flores Pérez von 1999 bis 2004 den

Präsidenten stellte. In der Periode von Funes (FMLN) gab es 2011 erfolglose Vorschläge

seiner eigenen Partei, die die sofortige Wiederwahl (von Funes) möglich machen sollte.22

Guatemala

Seit 1985 ist keine Wiederwahl möglich. Weiterers ist es sogar bestimmten Peronengruppen

untersagt, zu einer (folgenden) Präsidenten-Wahl anzutreten: Familienangehörige von

amtierenden Präsidenten, Vizepräsidenten, Ministern sowie Militärs, Priester jeder Religion

oder Höchstrichter. 2011 kam es daher zum „Divorcio presidencial“: Präsident Álvaro Colom

ließ sich wenige Monate vor der Präsidentenwahl scheiden, damit seine Ehefrau Sandra

Torres zur Wahl antreten kann. Das Oberste Gericht annullierte aber die Kandidatur von

Torres, womit die Präsidentenpartei von Colom (die sozialdemokratische Union Nacional de

Esperanza) keinen Kandidaten bei der Wahl stellte. Otto Molina (von der konservativen

Partido Patrioto) gewann in einer Stichwahl mit 54 Prozent und ist seit Jänner 2012 Präsident.

Honduras

Seit der Verfassung von 1982 ist die Wiederwahl absolut ausgeschlossen. Honduras hat

ähnlich restriktive Kriterien (in puncto Verwandschaft mit Amtsträgern etcetera) wie

Guatemala, zudem dürfen auch leitende Mitarbeiter von Konzessionären von Staatsbetrieben

nicht zur Wahl antreten. Manuel Zelaya (von der linksgerichtete Partido Libertad) war im Juni

2009 mittels (je nach Sichtweise) Verfassungs-/Militär-Putsch gewaltsam, aber jedenfalls mit

Hilfe des Militärs aus dem Amt entfernt worden. Zelaya hatte für die Wahl im November

2009 per Dekret auch eine parallele Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung,

konkret die Einberufung einer Asamblea Nacional Constituyente angekündigt. Seine Kritiker

22

http://elmundo.com.sv/funes-asegura-que-no-piensa-en-reeleccion

Page 19: Perpetuierung des Präsidialismus in Lateinamerika: Ein Irrweg statt eines Auswegs aus der Legitimitätsfalle

19

sahen darin einen beabsichtigten Kurswechsel in Richtung Chávez/Venezuela und einen

möglichenALBA-Beitritt, die Höchstgerichte sahen das Dekret mit der geplanten

Volksabstimmung jedenfalls als illegal an. Nach einigen Jahren der Verfassungskrise, mit

Übergangspräsident Roberto Micheletti und dem 2010 gewählten Porfirio Lobo (von der

konservativen Partido Nacional), ist Präsident Juan Hernandez (Partido Nacional) seit Jänner

2014 im Amt. Zelayas Ehefrau Xiomara Castro trat bei der Präsidentenwahl im November

2013 an, blieb aber in der Stichwahl hinter Hernandez auf Platz zwei.

Kolumbien

Seit 2005 ist eine unmittelbare (konsekutive) Wiederwahl möglich, zuvor war die Wiederwahl

nur mit einer Periode Pause möglich. Präsident Alvaro Uribe führte die Änderung 2005 ein

und gewann die Wahl 2006, er regierte von 2002 bis 2010, zwei volle Amtsperioden. Uribes

Partei wollte 2010 ein Referendum abhalten, das eine dritte Amtszeit ermöglichen sollte, der

kolumbianische Verfassungsgerichtshof untersagte dieses aber. Bei den Wahlen von 2010

gewann Juan Manuel Santos von Unidad Nacional, einer mit Uribe verbündeten Partei, in der

Stichwahl mit 69 Prozent. 2014 gewann Santos die Stichwahl mit nur mehr sechs Prozent

Vorsprung. Eines der zentralen Themen in der Kampagn auf Santos Seite waren die

Verhandlungen mit der Guerilla-Organisation FARC, die zum Zeitpunkt der Wahl

andauerten. Im September 2014 kündigte Santos’ Regierung an, eine Gesetzesinitative zur

Verlängerung des Präsidentenmandates von vier auf fünf oder sechs Jahre einzubringen, aber

gleichzeitig die konsekutive Wiederwahl zu untersagen.23

Laut Umfragen sollen mehr als 60

Prozent der Wähler dafür sein, am 16. Dezember 2014 wird darüber im Parlament definitiv

abgestimmt. Ein Vizepräsident allerdings darf dem Vorschlag nach für die darauffolgende

Periode als Präsident kandidieren.

Auffällig ist die sinkende manifeste Unterstützung (overt support) für den Oficialismo

Kolumbiens bei den drei letzten Wahlen: Álvaro Uribe gewann bei seiner 2. Wahl 2006 im

ersten Wahlgang mit 62 Prozent, Juan Manuel Santos setzte sich 2010 erst im 2. Wahlgang

durch, wenn auch klar mit 69 Prozent. Bei der Stichwahl 2014 gewann er nur mehr knapp

mit 51 Prozent. Dass Santos eine Initiative zur Abschaffung der Wiederwahl startet, ist

daher in der Rolle einer Coalicion Declinancte im Sinne von Buquet verständlich.

Mexiko

Seit der Verfassung von 1917 gelten durchgehend das absolute Wiederwahlverbot und eine

23

http://www.eluniverso.com/noticias/2014/07/20/nota/3262761/juan-manuel-santos-vamos-eliminar-reeleccion-presidencial-colombia

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20

Amtszeit von 6 Jahren. Jüngste Verfassungsänderungen sehen vor, dass Parlamantarier zwei

statt einer Periode tätig sein dürfen, eine Änderung beim Präsidentenamt war aber nie Thema.

An der Dominanz der „staatstragenden" PRI seit 1911, die bis auf zwei Amtsperioden (2000

bis 2012 Fox und Calderon von der konservativen PAN) durchgehend den Präsidenten stellte,

änderte dies aber nichts.

Nicaragua

Seit 2014, dank eines Parlamentsbeschlusses nach vorheriger Delegierung dieser

Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof an das Parlament, gilt unbegrenzte statt

einmaliger Wiederwahl, dafür reicht eine einfache Mehrheit im ersten Wahlgang. Präsident

Daniel Ortegas Partei FSLN hat 63 von 91 Mandaten im Parlament, Ortega kann also 2016

wieder um das Präsidentenamt antreten und zum vierten Mal Präsident werden. Er war nach

der sandinistischen Revolution von 1979 Präsident, wurde aber 1990 abgewählt. Seit 1996 sah

die Verfassung vor, dass keine unmittelbare Wiederwahl möglich ist. 2007 wurde abermals

Ortega gewählt, ein Gericht hebelte später die Verfassungsänderung von 1996 aus und somit

konnte Ortega abermals antreten, regiert seit 2012 in seiner mittlerweile dritten (und zweiten

konsekutiven) Periode.

Die mit dem historischen Verdienst, das Somoza-Regime ausgeschaltet zu haben,

ausgestattete sandinistische FSLN lässt wenig Zweifel, dass dieser revolutionäre Verdienst

genug der Legitimität sei: "Das christliche, sozialistische und solidarische Projekt muss sich

wegen seines revolutionären Charakters nicht den gesetzlichen Regeln des Landes beugen."

So wird Tomas Borge, Generalsekretär der FSLN, von Andrés Pérez-Baltodano24

zitiert, als

2011 die Kandidatur von Daniel Ortega bekannt gegeben worden war, und Borges sagte

demnach weiter: "Wer ignoriert, dass alle und jedes Staatsorgan auf die Interessen der

Revolution, also des Volkes, reagieren muss, ist realitätsfremd." Carlos F. Chamorro25

,

nicaraguanischer Journalist und vormaliger Chef der Sandinistischen Zeitung Barricada,

beschreibt Ortegas politisches Handeln so (eigene Zusammenfassung und Übersetzung): "Ein

autoritäres Regime, das keine demokratische Rechnungslegung erlaubt und extrem

24

Pérez-Baltodano, Andrés: Nicaragua: Democracia electoral sin consenso social. Revista de Ciencia Politica/Volumen 32/No1/2012/ S. 211-228, Pontificia Universidad Católica de Chile. Instituto de Ciencia Política, Santiago de Chile 25

Chamorro, Carlos F.: La revolución sandinista, 35 años después. “Achieving the Central

American Revolutions”, Centro de Estudios Latinoamericanos LILLAS , Universidad de Texas, 19 .2. 2014. Austin,

Texas

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21

personalisisert. Wirtschaftspolitisch ist er für private Unternehmer und erlaubt einen Markt,

überwacht vom Fondo Monetario Internacional. Das Budget wird gestützt von Venezuela, und

so kann er Regierungsprogramme, die eigene Partei und ein Imperium von

Familienunternehmen finanzieren. International agiert er mit anti-imperialistischer Rhetorik

und als Verbündeter von ALBA, Russlands und China. Ideologisch setzt er auf revolutionäre

Rhetorik und praktiziert den Personen kult in eigener Sache und für seine Frau Rosario

Murillo, gestützt von einem ultrakonservativen religiösen Messianismus." Ähnlich äußerte

sich jüngst auch wieder Ortegas langjähriger sandinistischer Mitstreiter Ernesto Cardenal, im

Zusammenhang mit dem Nicaragua-Kanal („El presidente Daniel Ortega, con el poder

omnímodo que él y su mujer tienen sobre este país, hizo que el Congreso Nacional aprobara

en un solo día la creación de una ley para la construcción de un canal interoceánico.“) 26

Panamá

Wiederwahl ist möglich, aber erst nach einer Pause (Reelección Alterna) von 5 Jahren, diese

Regelung gilt seit 1989. Im Mai 2014 wurde Juan Carlos Varela im ersten Wahlgang mit

einfacher Mehrheit gewählt; sein Vorgänger Ricardo Martinelli (Cambio Democratico,

konservativ) konnte nicht antreten. Doch dessen Partei CD nominierte neben dem 2014

unterlegenen Kandidaten Jose Domingo Arias als dessen mögliche Vizepräsidentin Marta

Linares de Martinelli, Ehefrau von Ex-Präsident Ricardo Martinelli.

Paraguay

Seit 1992 ist die Wiederwahl untersagt, zuvor unter Diktator Alfredo Stroessner (1954 bis

1989) war die unbegrenzte Wiederwahl möglich. Horacio Cartes von der seit Jahrzehnten

beinahe ununterbrochen an der Macht befindlichen Partei Colorado ANR ist seit April 2013

Präsident. Sein Vorgänger Federico Franco (Partido Liberal Radical Auténtico) kam im Juni

2012 als vormaliger Vize-Präsident ins Präsidentenamt, weil der damalige Präsident Fernando

Lugo (Frente Guasú) in einem als "Verfassungsputsch" genannten Manöver binnen 24

Stunden abgesetzt worden war. Lugo wurden "Verfehlungen bei der Amtsführung"

vorgeworfen, die damals oppositionelle Colorado-Partei (die jahrzehntelang Stroessner

unterstützt hatte) und die Partido Liberal Radical Autentico (mit der Präsident Lugos Frente

Guasú eigentlich in einem links-liberalen Regierungsbündnis stand), konnten basierend auf

einer Verfassungsbestimmung und mit großer parlamantarischer Mehrheit Lugo abwählen.

Lugo war zuvor seit 2008 im Amt und hatte damit die 60 Jahre dauernde Colorado-Herrschaft

unterbrochen.

26

http://internacional.elpais.com/internacional/2014/11/07/actualidad/1415399466_451688.html

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22

Perú

Seit 2001 ist Wiederwahl nur mit fünf Jahren Pause (Reeleccion Alterna) möglich. Zuvor war

seit 1993 konsekutive einmalige Wiederwahl erlaubt, der damalige Präsident Alberto Fujimori

führte diese Änderung ein und wurde auch als Präsident wiedergewählt. Später wurde Alan

Garcia wiedergewählt, allerdings gemäß der genannten seit 2001 geltenden Reeleccion

Alterna. Peru ist somit das einzige Land Lateinamerikas, das seit dem Jahr 2000 die

Wiederwahl-Optionen tendenziell eingeschränkt hat. In Peru existiert zudem ein, welches das

Antreten von Verwandten bis zum vierten Grad des regierenden Präsidenten bei

Präsidentenwahlen (oder auch als Vizepräsident) verbietet. Die geltende Verfassung von 1993

hingegen sieht keinerlei derartige Einschränkungen vor. Dieses Gesetz wurde 1997

geschaffen, um das Antreten der Ex-Frau von Alberto Fujimori, Susana Higushi, bei der Wahl

zu verhindern. Nadine Heredia, Ehefrau des regierenden sozialdemokratischen Präsidenten

Ollanta Humala (und zudem auch Tante 2.Grades ihres Ehemannes) gilt im Land als weit

populärer als ihr Mann und als „Schatten-Präsidentin“. Ihr werden Ambitionen auf ein

Antreten bei der Wahl 2016 nachgesagt, sie dementiert diese aber. 27

Humala bezieht seine Legitimität zum einen aus dem Faktor "legale Herrschaft", denn die

Mitte-Links-Politk von Humala bedient sich keiner übergeordneten "Staatsideologie" (keines

traditionellen "-ismo"), und Humalla fehlt es wohl auch an Charisma. Er ist pragmatisch

orientiert. Zwar hatte er bei seinem ersten erfolglosen Wahlantritt 2006 durchaus starke

Anleihen in Rhetorik und Programmatik von Hugo Chávez genommen. Später distanzierte er

sich mehrmals vom venezolanischen Modell und bezog sich namentlich auf Brasiliens

Präsidenten Lula als (wirtschafts-) politisches Vorbild und gewann somit die Wahl von

2011. Peru verzeichnete getrieben von Neo-Extraktivismus (wenn auch wohl weniger stark

als anderswo) eine solide wirtschaftliche Entwicklung und hat bei Faktoren wie Gini-Index

oder Human Development-Index Verbesserungen erreicht, ebenso beim BIP pro Kopf, also

beim Output des politischen Systems. Klares Zeichen für eine keineswegs "boliviarianischen"

Kurs von Humala ist auch der Beitritt Perus zur Alianza del Pacifico und nicht eine

Annäherung an die ALBA (auch wenn beide Bündnisse wenig vergleichbar sind)

Uruguay

Wiederwahl ist zulässig, allerdings mit mindestens 5 Jahren Pause, also einer Amtsperiode.

José Mujica war von 2009 bis 2014 Präsident. Sein Vorgänger Tabaré Vázquez wird aller

Voraussicht nach auch sein Nachfolger sein (Stichwahl 30. November). Vázquez, der

27

http://elcomercio.pe/politica/gobierno/nadine-heredia-no-voy-postular-presidencia-elecciones-2016-noticia-1748106

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23

Kandidat der regierenden Frente Amplio, erhielt im ersten Wahlgang im Oktober 2014 48

Prozent, sein Verfolger Luis Lacalle Pou nur 31%. Der Vater des letzteren wiederum, Luis

Alberto Lacalle, war von 1990 bis 1995 Präsident Uruguays und war Mujica bei der Wahl

2010 in der Stichwahl unterlegen.

Venezuela

In Venezuela galt bis 1999, dass eine Wiederwahl nur 10 Jahre nach Ende der ersten

Amtzszeit möglich ist. Als Hugo Chávez 1999 an die Regierung kam, änderte er schon kurz

danach die Verfassung, eine einmalige Wiederwahl wurde möglich. Seit 2009 gilt nach einem

von Chávez initiierten erfolgreichen Referendum unbegrenzte Wiederwahl, ein erstes von

Chávez initiiertes Referendum darüber war 2007 knapp gescheitert.

Chávez Argumentation und Rhetorik war und ist Vorbild bei der offenbar angestrebten

weiteren Perpetuierung der Präsidentenämter in Bolivien ebenso wie in Ecuador. In allen drei

Fällen haben die Präsidenten nicht nur die Wiederwahloptionen bereits verlängern können

(und wurden deutlich wiedergewählt), sie haben auch umfassende Änderungen in der

Organisation des politischen Systems durchgeführt, jeweils begünstigt durch sehr schwach

legitimierte Präsidenten und Parteien zum Zeitpunkt der jeweiligen Machtübernahme und

später begünstigt durch den fast ganz Lateinamerika erfassenden wirtschaftlichen

Aufschwung. In dieser Zeit wurden in den genannten Ländern Sozialprogramme massiv

ausgebaut, in Venezuela etwa die Misiones (in Sachen Bildung, Wohnraum etcetera). Weiters

zog Chávez zum Beispiel an der Basis des politischen Systems Consejos Comunales im Sinne

einer partizipativen Demokratie ein und stärkte auch die Gewerkschaften. Die Asamblea

Nacional ersetzte das vormalige Zwei-Kammer-System des Parlaments, die Rechte der

indigenen Bevölkerung wurden formell erweitert. Im Sinne der Input-Output-Schleifen wurde

damit jeweils die Mechanismen vereinfacht und verkürzt und die repräsentative (Parteien-)

Demokratie auf allen Ebenen durch diese Maßnahmen sukzessive obsolet gemacht.

Der zumindest ebenso großer Faktor für die Legitimität von Chávez Position an der Macht

bzw. konkret für die Einführung der unlimitierten Wiederwahl 2009 war der Faktor Charisma.

Weniger mit dem Nimbus des Kriegshelden im Weber'schen Sinn (weil ja der Putsch 1992

gescheitert war) als vielmehr in einer Märtyrer- (Inhaftierung durch das alte Regime), Erlöser-

(vom alten Regime), Demagogen- und Propheten-Rolle (kurzes TV-Interview nach dem

gescheiterten Putsch, wonach die Zeit für den Regimewechsel noch nicht reif war, sie aber

kommen werden), gelang es Chávez, Charisma aufzubauen. Zudem wurde auch ein Mythos

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24

um die "Caudillo"-Herkunft Chávez inszeniert (siehe Juan Pablo Dabove28

). Der Chavismo

war bald alles dominierende Gesinnungemeinschaft in Venezuela, die verstaatlichte

Erdölgesellschaft PDVSA eines der wichtigsten Instrumente und der Geldgeber für den

Machterhalt. Man könnte Chávez nach allen drei Legitimitätsbegründungen Max Webers

endlos weiter deklinieren (und ebenso ad Infinitum Input-Output-Schleifen weiter

differenzieren).

Die Umstände um die Erkrankung und letztlich den Tod von Chávez (bekannt gegeben im

März 2013, nach manchen Quellen/Meinungen aber einige Wochen zuvor eingetreten) zeigen

aber möglicherweise auch, dass es große Probleme bei der Nachfolgersuche gab. Dem nach

offizieller Lesart von Chávez selbst als sein Nachfolger bestimmten Nicolas Maduro fehlt es

an persönlichem Charisma, daher auch an dieser Art von Legitimität.29

Die Opposition

bezweifelt auch das formell korrekte Zustandekommen seiner Präsidentenkandidatur und

überhaut seiner Präsidentschaft, denn er sei nicht von Geburt an Venezolaner und überhaupt

sei es 2013 zu Wahlbetrug gekommen. Maduros Aussagen, etwa sich als Sohn von Chávez

oder Apostel von Chávez zu positionieren oder mit Chávez in spiritueller Verbindung zu

stehen und ihn so um Rat zu fragen ("Pajarito"), deuten neben fehlendem Charisma, also

fehlender Legitimität, auch auf eine gewisse Ratlosigkeit bzw. fehlende Kompetenz hin. Das

Wahlergebnis für Maduro von April 2013, wenige Wochen nach Chávez Tod und mit einem

Wahlkampf mit sinngemäßen Slogans wie "Chávez' Erbe weiterführen" von nur etwas über

51 Prozent seitens des Oficialismo zeugt von deutlich gesunkenem overt support im

Easton'schen Sinne, ebenso geriet das politische System vor und nach diesen Wahlen unter

zunehemenden Stress, der sich durch regelmäßige Demonstrationen gegen die schlechte

Versorgungslage und die rasante Inflation und vieles mehr manifestiert. Die Erosion der

Legitimität des Chavimso ist auch aus den Wahlergebnissen abzulesen: Chávez gewann 2006

mit 63 Prozent die Präsidentenwahl im ersten Anlauf, brachte das Referendum über die

perpetuierte Wiederwahl 2007 knapp nicht durch, gewann im zweiten Anlauf 2009 das

Referendum zwar mit 54 Prozent, konnte aber bei den Präsidentenwahlen 2012 nur mehr 55

Proeznt der Wähler hinter sich vereinigen. Sein, sei es vom Apparat des Chavismo oder von

Chavez selbst ausgesichter Nachfolger Nicolas Maduro erreichte im April 2013 nur mehr

28

Dabove, Juan Pablo: Hugo Chávez y Maisanta. El fuera de la ley y la construcción de un linaje surgente. Vanderbilt University E-Journal of Luso-Hispanic Studies, Vol.7. El aura de la voz, 2011.

29 http://telefono-rojo.org/2013/04/18/cuando-el-carisma-legitimador-no-se-hereda/

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25

haarscharf eine Mehrheit, mit 50,5 Prozent gegenüber dem Kandidaten des

Oppositionsbündnisses, der auf 49,1 Prozent kam.

Ob die eben genannten fehlenden overt supports bzw. sinkenden outputs des Systems bis

2018, also bis zu den nächsten Präsidentenwahlen, kompensiert werden können, hängt meiner

Meinung nach am wenig beeinflussbaren Ölpreis und an der eigenen Wirtschaftspolitik.

Zumindest scheint angesichts des fehlenden Charismas von Maduro (und auch wegen der

internen Machtkämpfe im Chavismo) schon Chávez Tochter Gabriela als Kandidatin für 2018

in Stellung gebracht zu werden, sie wurde vor wenigen Monaten zur Botschafterin

Venezuelas bei den vereinten Nationen ernannt.30

Sie ist aber nicht das einzige

Familienmitglied von Hugo Chávez und ebensowenig von Nicolas Maduro, das kraft

Familienzugehörigkeit in politische Ämter gehievt wurde.

Schlussbemerkungen

Von Argentinien bis Venezuela, die Verfassungsänderungen in den vergangenen etwa 15

Jahren hinsichtlich Präsidentenwahlmodus, Amtsdauer und Wiederwahloptionen in den 18 in

dieser Arbeit behandelten Ländern verliefen überwiegend in Richtung Perpetuierung. In den

meisten Fällen gelangen sie und zeitigten auch Wahlerfolge jener politischen Gruppen,

welche diese Änderungen initiiert hatten. In Ecuador und Bolivien scheint eine abermalige

Ausweitung des Präsidialismus möglich, in Argentinien scheiterte der Versuch einer

abermaligen Ausweitung an den parlamantarischen Kräfteverhältnissen. In nur wenigen

Ländern gab und gibt es restriktive Entwicklungen: Peru und die Dominikanische Republik

schränkten die Wiederwahlmöglichkeit ein, in Kolumbien ist ein Versuch der Reduktion im

Laufen (nachdem 2005 der Präsidialismus ausgeweitet worden war). In Chile, El Salvador

oder Brasilien gab es zwar Stimmen für die (teilweise neuerliche) Ausweitung, doch die

politischen Proponenten widerstanden vorerst der Versuchung. Nur in Paraguay, Panama,

Mexiko, Guatemala und Honduras gab es offenbar keinerlei derartigen Änderungen und auch

keine Versuche dahingehend in den vergangenen 15 Jahren.

Ein anderer in dieser Arbeit nur kurz erwähnter Faktor der indirekten Perpetuierung

präsidentialer Machtfülle ist die Umgehung der Gesetze mittels, wie es Daniel Zovatto nennt,

Spousal Re-Election, also die Nominierung von Ehepartnern für das Präsidentenamt. Dies

30

http://mexico.cnn.com/mundo/2014/08/14/una-hija-de-hugo-chavez-es-nombrada-embajadora-alterna-ante-la-onu

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bzw. dahingehende Versuche und Tendenzen waren in den vergangenen 15 Jahren oder in den

folgnden Ländern auch schon lange zuvor zu beobachten in: Argentinien, Guatemala,

Honduras, Nicaragua, Panama und Peru. Die Durchsetzung der Machtapparate mit

Familienangehörigen, wie in Venezuela geschildert und in sicher vielen weiteren Ländern

Praxis, ist ebenso ein Versuch in dieselbe Richtung.

All diese kreativen Perpetuierungs- und Machterhaltungsversuche sind keineswegs auf eine

gewisse Seite des politischen Spektrums zu beschränken.

Der Präsidialismus und der schwach ausgeprägte Parlamentarismus in Lateinamerika haben,

wie eingangs geschildert, historische Ursachen. Ich möchte aber im Hyper-Präsidialismus

(wie es Zovatto nennt) doch eine Hauptursache für die politische Instabilität und die in Folge

eher schleppende soziale und wirtschaftliche Entwicklung in jenen Ländern, wo dieses

Phänomen überproportional auftritt, ausmachen. Länder mit restriktiven präsidentiellen

Regelungen wie Costa Rica, Chile oder Uruguay schneiden in vielerlei Faktoren besser ab als

jene mit „ewigen Präsidenten“.

Obwohl es dort Wiederwahl-Verbote gibt, sind Honduras, Guatemala oder Mexiko aber sicher

die Ausnahmen dieser Regel; in Mexiko hingegen als der „perfekten Diktatur“ ist die quasi

staatstragende PRI der fast ununterbrochene Machtfaktor; der jeweilige Staatspräsident ist

bloß ein Symptom für die Krankheit der unveränderten Machtverhältnisse, nur eben

verursacht von der pepetuierten Macht einer einzigen Partei anstatt von der Person eines

dauer-gewählten Präsidenten.

Daher möchte ich abermals auf Zovatto zurückgreifen, der sinngemäß folgendes meint: „Das

Recht zur Wiederwahl birgt auch die Gefahr einer ,demokratischen Diktatur‘ und verstärkt per

se den Trend zu einer hegemonialen und personifizierten Führung. Auch durch formale

Legitimierung durch die Wähler ist eine unbegrenzte Präsidenten-Wiederwahl

undemokratisch.“ Dabei enstehene auch weitere anderen Kandidaten bei Wahlen

benachteiligende Faktoren, der „Ventajismo“.

Ausdrücklich sieht Zovatto diese genannten Gefahren aber nur in präsidentialen und weniger

in parlamentarischen Systemen. Auch dieser Meinung schließe ich mich an.

***

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