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1 Beiträge zur Weltlage – Sozialwissenschaftliche Tagung vom 22.–24.10.2004 im Herbert Witzenmann Zentrum, Dornach: Ethischer Individualismus im Leben und Werk unserer Zeitgenossen und Zeitgenossinnen Zu Gottlieb und Adele Duttweiler JENS MARTIGNONI Gottlieb und Adele Duttweiler waren zwei massgebliche Persönlichkeiten der Schweiz im zwanzigsten Jahrhundert. Sie wirkten mit grossem Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit in der täglichen Wirtschaft und Politik, aber sie dachten weit darüber hinaus. Ihr Lebenswerk, die Migros, spiegelt bis heute noch einen Teil ihrer Ideen. Gottlieb Duttweiler war der Löwe, der Feurige, der unermüdlich in der Öffentlichkeit kämpfte mit Ideen und Einfällen, mit Worten und Taten, für Recht und Gerechtigkeit und für bessere Lebensbedingungen in der Schweiz. Adele Duttweiler-Bertschi 1 war die starke Festung im Hintergrund, die den Grund und Boden bereitete, die Ruhe und Sicherheit, Klugheit und Besonnenheit aufbot und deren Rat die Energien richtig lenkte, die ihr Mann aufbrachte. Zusammen waren sie ein Paar, das sich ergänzte, das sich durch sein Zusammensein verstärkte und seine Kräfte vervielfachen konnte. Sind sie Beispiele für den ethischen Individualismus? Wo steht ihr Lebenswerk heute? Der nachstehende Text nach einem Vortrag, gehalten an der diesjährigen Weltlagetagung in Dornach, soll Anregungen geben zur Beantwortung dieser Fragen.

Beiträge zur Weltlage – Sozialwissenschaftliche Tagung Duttweiler/Duttweiler.pdf · Migros wurde sehr schnell verleumdet und erlitt Lieferboykotte. Die Verbände der Fabrikanten

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    Beiträge zur Weltlage – Sozialwissenschaftliche Tagungvom 22.–24.10.2004 im Herbert Witzenmann Zentrum, Dornach:

    Ethischer Individualismus im Leben und Werk unsererZeitgenossen und Zeitgenossinnen

    Zu Gottlieb und Adele Duttweiler

    JENS MARTIGNONI

    Gottlieb und Adele Duttweiler waren zwei massgeblichePersönlichkeiten der Schweiz im zwanzigsten Jahrhundert. Siewirkten mit grossem Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit in dertäglichen Wirtschaft und Politik, aber sie dachten weit darüberhinaus. Ihr Lebenswerk, die Migros, spiegelt bis heute noch einenTeil ihrer Ideen.

    Gottlieb Duttweiler war der Löwe, der Feurige, derunermüdlich in der Öffentlichkeit kämpfte mit Ideen undEinfällen, mit Worten und Taten, für Recht und Gerechtigkeit undfür bessere Lebensbedingungen in der Schweiz.

    Adele Duttweiler-Bertschi1 war die starke Festung imHintergrund, die den Grund und Boden bereitete, die Ruhe undSicherheit, Klugheit und Besonnenheit aufbot und deren Rat dieEnergien richtig lenkte, die ihr Mann aufbrachte. Zusammenwaren sie ein Paar, das sich ergänzte, das sich durch seinZusammensein verstärkte und seine Kräfte vervielfachen konnte.

    Sind sie Beispiele für den ethischen Individualismus? Wosteht ihr Lebenswerk heute?

    Der nachstehende Text nach einem Vortrag, gehalten an derdiesjährigen Weltlagetagung in Dornach, soll Anregungen gebenzur Beantwortung dieser Fragen.

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    Gottlieb Duttweiler

    Gottlieb Duttweiler wurde am 15. August 1888 in Zürich alsdrittes Kind von Vater Gottlieb Duttweiler und Mutter ElisabethDuttweiler-Gehrig geboren. Seiner Mutter schien er wie aus demGesicht geschnitten. Sie prägte sein Leben durch ihre klare undlebensbejahende Haltung. Er sagte dazu später: „Meine Mutterkam mir streng und klug vor. Von ihr habe ich entschieden dieunheimliche Zähigkeit und einen Hang zur Kritik, sachlichrichtiger Kritik, geerbt.” Sein Vater war Verwalter desLebensmittelvereins Zürich (LVZ) und baute diesen aus kleinenAnfängen zur zweitstärksten Konsumgenossenschaft der Schweizaus. Er war grosses Vorbild für das tätige In-der-Welt-Stehen fürGottlieb. Sein früher Tod 1906 bedeutete eine tiefgreifende Wendeim Denken und Tun des jungen Mannes. Seine Jugend war damitin gewisser Weise abgeschlossen, er begann Verantwortung zutragen.

    Gottlieb Duttweiler besuchte die Primar- und Sekundarschulein Zürich. An und für sich war er ein guter Schüler, aber dieSchule war häufig kein Ort der Freude für ihn, und was ihm keineFreude machte, tat er nur mit innerem und äusserem Widerstreben.Seine Noten bewegten sich so zwischen „ungenügend” und „sehrgut”. Sein Betragen wurde meistens beanstandet, weil er häufigStreit mit Klassenkameraden hatte. Danach besuchte er währendzweier Jahre die Handelsabteilung der Kantonsschule, die er dannaber auf Ersuchen der Schulleitung an seinen Vater abbrechendurfte. Er war erleichtert und mehr als einverstanden und bewarbsich daraufhin selbst um eine Lehrstelle bei der renommiertenKolonialwarenagentur Pfister & Sigg in Zürich. 1905 trat er dorteine kaufmännische Lehre an, die er 1907 mit derLehrabschlussprüfung als zweitbester von 150 Lehrlingen krönteund im Frühjahr 1908 abschliessen konnte. Schon im letztenLehrjahr wurde er als Vertreter des Unternehmens nach Le Havregeschickt, wo er bereits selbständig handeln konnte und sich raschzum versierten Handelsagenten entwickelte. Er kehrte zurück undwurde von den Herren Pfister und Sigg bald zum Junior-Partnerernannt. Nun begannen weitere Reisen im Auftrag der Firma.Gottlieb Duttweiler setzte sein Talent in internationalen

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    Beziehungen ein, und die Firma Pfister & Sigg expandierte dankseinen Aktivitäten rasch und schrieb immer grössere Gewinne.

    Als erfolgreicher Jung-Geschäftsmann stand er nun im Leben,als das nächste Kapitel begann, seine Begegnung mit AdeleBertschi.

    Adele Duttweiler geborene Bertschi

    Adele Bertschi wurde am 29. Dezember 1892 in Horgen amZürichsee geboren. Ihr Vater, Samuel Bertschi, war nach denVereinigten Staaten ausgewandert und hatte dort eineBandweberei mit 250 Arbeitern aufgebaut. Als seine erste Fraustarb, verkaufte er den Betrieb und kehrte als „gemachter Mann”in die Schweiz zurück. Dort heiratete er zum zweiten Mal dieWalliserin Maria Antille. Sie zogen nach Horgen, wo der Vaterden schönen Bauernhof „Im Rüsler” erwarb und wo Adele auchaufwuchs. Der Vater starb, als Adele acht Jahre alt war. DieMutter wurde als zielbewusste und temperamentvolle Fraubeschrieben, die nach dem frühen Tod des Mannes alsalleinerziehende Mutter allerlei Schikanen durch die Schule undKirche zu bewältigen hatte. Sie wehrte sich erfolgreich dagegen,ein Zug, den auch Adele mitbekommen hatte. Nach derGrundschule in Horgen absolvierte Adele das damals obligateWelschlandjahr für junge Frauen (ein längerer Aufenthalt in derWestschweiz zum Lernen der französischen Sprache, meist alsHaushaltshilfe). Danach arbeitete sie als Angestellte in derEidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich in derSamenkontrolle.

    Das Zusammentreffen

    Als ETH-Angestellte fuhr Adele Bertschi täglich mit dem Zugvon Horgen nach Zürich. Um 1911 stieg in Rüschlikon jeweils einstattlicher, junger, gut gekleideter Mann zu und setzte sich dereher schüchtern wirkenden jungen 19-jährigen Frau gegenüber.Als sich das wiederholte, wurde es Adele ein wenig lästig: „Erschaute mich immer mit grossen Augen an. Ich hatte daseigentlich nicht gern, ich war doch noch fast ein Kind. Aber

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    Abb. 1: Ein glückliches junges Ehepaar

    vermutlich hat gerade meine Zurückhaltung ihn gereizt, nichtaufzugeben.”

    Das tat Gottlieb Duttweiler denn auch nicht. Als seineWerbung kein Resultat zu zeitigen schien, versuchte er es miteinem Mietpferd. Kaum hatte er reiten gelernt, stattete er derAngebeteten bei ihr zu Hause in Horgen hoch zu Ross einenBesuch ab. Leider machte dieser Auftritt der Mutter und derSchwester mehr Eindruck als Adele. Die Mutter lud daraufhin denimponierenden, aber noch etwas unsicheren Reiter zumMittagessen ein. Trotzdem war solchem Werben auf die Dauernicht zu widerstehen.

    „Dem Charisma Duttweilers als Frau zu erliegen, wäre wohlnicht erstaunlich gewesen. Aber wahre Liebe ist nicht blind. AdeleDuttweiler äusserte Bedenken, wo sie ihr angebracht schienen,auch in durchaus kaufmännischen Dingen. Er hörte auf ihren Rat,

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    weil er wusste, dass er aus jener Vernunft kam, die nicht nur imKopf, sondern auch im Herzen wohnt. Seinem drängenden In-die-Zukunft-Denken fügte Adele Duttweiler immer die Wirklichkeitder Gegenwart hinzu.”

    1912 feierten der 24jährige Gottlieb und die knapp 20jährigeAdele ihre Verlobung.

    Am 29. März 1913 fand die Hochzeit statt. „Damit beginntdie ganz und gar ungewöhnliche, knapp ein halbes Jahrhundertdauernde Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zweier Menschen,deren Werk das Gesicht der Schweiz im zwanzigsten Jahrhundertnachhaltig mitgeprägt hat.”9

    Was passierte danach?

    • Stürmischer Aufbau des Geschäfts Pfister & Sigg. Als PartnerSigg ausstieg, wurde Duttweiler zum neuen Partner ernannt,jetzt hiess sie „Pfister & Duttweiler”.

    • Es entstand bis 1920 ein grösseres internationalesUnternehmen.

    • 1921–22 katastrophale Geldentwertung in vielen Ländern, dieFirma Pfister & Duttweiler geriet unter Druck. Duttweilervollzog die Liquidation der Firma, ohne Konkurs machen zumüssen.

    • 1923 Ausschiffung von Gottlieb und Adele Duttweiler nachBrasilien.

    • 1924 Rückkehr in die Schweiz wegen einer schwerenKrankheit Adeles.

    • Danach liessen sie sich wieder in Rüschlikon nieder.Verfolgung diverser Geschäftsideen durch Gottlieb, von denenaber keine zur Verwirklichung kam.

    • 1925 Gründung der Migros

    Insgesamt ist diese Jugendzeit durch viele Ideen und auchviele Fehlschläge charakterisiert. Doch innerlich wandelten sichsowohl Gottlieb als auch Adele und reiften heran bis zum Punkt,wo die grosse Tat gewagt werden konnte: die Gründung derMigros. Ein Gegner schrieb später: „Aus dem KaufmannDuttweiler, der sich eine Existenz aufbauen wollte, wurde nach

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    und nach ein Retter und Befreier bedrückter Hausfrauen undgeknechteter Bürger”, was sicher ironisch gemeint war, aberdennoch zutreffend den Weg beschreibt, den Duttweiler ging.

    Die MigrosWas war nun die Migros? Eine Frage, die gar nicht so einfach

    zu beantworten ist, wie sie scheint: Alle in der Schweiz kennenheute die Migros als die grösste Ladenkette oder als Inhaberin vonvielen weiteren Geschäften wie der Tankstellen „Migrol”, derMigros-Bank, des Reiseunternehmens „Hotelplan” oder auch alsOrt für Erwachsenenbildung die „Migros Klubschule”, als MigrosFitness- und Wellness-Center, als Kultursponsor und so weiter.Man hat den Eindruck, einen Grosskonzern vor sich zu haben, dersehr vieles, meist recht günstig, anbietet. In Tat und Wahrheithandelt es sich aber um eine Genossenschaft, eine Volksfirma, ander etwa 27 % der Bevölkerung der Schweiz direkt beteiligt sind.Sie hat auch heute noch nominal eine weitreichendedemokratische Mitbestimmung und ist aus einer eigentlichengrossen Reformbewegung entstanden. Oder genauer gesagt, siewurde geschaffen, denn die Migros ist in ihrer Philosophie, ihremideellen Bau und ihrer Ausrichtung bis heute fast alleine das Werkvon Gottlieb und Adele Duttweiler.

    Wie begann nun alles? Gottlieb Duttweiler bemerkte einesTages auf seiner Suche nach neuen Geschäftsideen, dass derKaffeepreis im Laden sehr viel höher war als im Ankauf inBrasilien. Die Lebensmittelpreise in der Schweiz waren überhauptsehr hoch, zu hoch, fand Duttweiler, denn viele Familien konntensich nur knapp mit dem Nötigsten versorgen, und derLebensmittelhandel war schlecht organisiert oder schöpfte grosseGewinne ab. Einen Lösungsansatz sah Duttweiler in den Ideenvon Henry Ford, der fahrende Läden für seine Arbeitereingerichtet hatte und so die Kosten niedrig hielt. Duttweilerentwickelte einen Plan für den Verkauf von günstigerenLebensmitteln und fand fähige Leute, die ihn unterstützten.Unverzüglich wurde er umgesetzt. Eine Firma mit Fr. 100'000.-Aktienkapital wurde gegründet, fünf Lastwagen wurdenangeschafft und zu fahrenden Läden umgebaut, Routen wurden

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    geplant, und Duttweiler schrieb das erste quasi-revolutionäreFlugblatt zum Start der ganzen Aktion:

    „An die Hausfrau, die rechnen muss! – An die intelligente Frau,die rechnen kann:Das Problem der teuren Lebensmittel – Jedermann kennt es – dieZeitungen schreiben immer wieder – Regierungskommissionenrapportieren darüber: – greifbare Resultate? – Keine!Wir versuchen nun ein neues System – nachdem wir jahrelangden Groshandel belieferten – wollen wir nun unter der neuenFirma Migros A.G. die Haushaltungen direkt bedienen,die Grundsätze des Grosshandels im Kleinverkauf anwenden:”.....und am Schluss:„Wir schliessen mit einem Appell an das selbständige Urteil derHausfrau: Entweder siegen die alten lieben Einkaufs-Gewohnheiten der Frau, die Reklame und die Schlagwörter – oderder erhoffte Zuspruch stellt sich ein, diesfalls können wir diePreise möglicherweise noch ermässigen, andernfalls müssen wirdiesen ernsthaften Versuch, den Konsumenten zu dienen,aufgeben.”

    Frauen und nicht Männer werden dabei angesprochen, undzwar als selbständige Konsumentinnen, keine Selbstverständlich-keit im Jahre 1925. Man beachte dabei auch den ungewöhnlichenAppell an die Intelligenz und an das eigene Urteil, es wirdsozusagen direkt die Bewusstseins-Seele angesprochen. Welch eingrosser Unterschied zum tiefen Niveau heutiger Werbung.Ausserdem wurden die Konsequenzen des Handelns aufgezeigt,ein mögliches Scheitern wurde erwähnt und kommuniziert. Alsoein mehrfacher Appell an die Mitverantwortung derKonsumentinnen – ein ganz neuer partnerschaftlicher Ansatz inder damaligen Wirtschaft.

    Das Flugblatt wurde in Zürich verteilt. Vorgängig wurde dieErlaubnis des Stadtrates eingeholt, und die Fahrer der Lastwagenlösten eine Hausierer-Lizenz, denn das System war neu. Niemandwusste genau, wo es einzustufen war. Die Nachricht vom Beginn

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    des Verkaufs schlug ein, die Frauen kamen und es wurde gekauft,und zwar viel. In kürzester Zeit konnte das Sortiment ausgeweitetwerden. Das Drama begann aber erst, denn auch die Gegnerschaftwar vom ersten Tag an gesichert: Die Spezierer (Detailhändler)und Markenartikelfabrikanten eröffneten die Gegenoffensive. DieMigros wurde sehr schnell verleumdet und erlitt Lieferboykotte.Die Verbände der Fabrikanten verboten ihren Mitgliedern, an dieMigros zu verkaufen, wer sich nicht fügte, wurde ebenfallsboykottiert. Leute, die in der Migros einkauften, wurdenbespitzelt, beschimpft oder gar in Zeitungen als „Verräter”namentlich veröffentlicht. Eine turbulente Zeit, doch der Aufruhrverhalf der neuen Migros zu grosser Publizität, sie war ausserdembilliger und besser, die Leute kauften also weiter, und der Umsatzstieg. Duttweilers Idee war nicht mehr zu stoppen, und baldfolgten weitere.

    Aus einer kleinen, aber intelligenten Geschäftsidee, demVerkauf von Lebensmitteln zu günstigen Grosshandelspreisen(Mi-Gros bedeutet etwa Halb-Gross) mit fahrenden Lädenentstand in den folgenden Jahren eine praktische Philosophie, eineigentliches revolutionäres Ideengebäude in teilweise praktischerVerwirklichung: „das soziale Kapital”. 14

    Doch zuerst noch einmal einen Blick auf das Äussere, dieMigros und ihre Expansion.

    Eine kurze Geschichte der Migros1925 am 15. August Gründung (Geburtstag Gottlieb Duttweilers)der Firma Migros AG, am 25. August erste Ausfahrt der fünfVerkaufswagen in Zürich mit je 6 (7) Artikeln

    1926: Erstes Verkaufsmagazin in Zürich, rasche Expansion auchin andere Kantone

    1928: Übernahme der Alkoholfreien Weine AG Meilen (heute PAG) als erster eigener Produktionsbetrieb

    1931: Weitere Produktionsbetriebe werden eröffnet

    1933: Das „Filialverbot”, ein eigentliches Gesetz gegen die Migros tritt in Kraft.

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    1935: Gründung der Genossenschaft Hotelplan, Eintritt in die Politik mit den „sieben Unabhängigen”, die gleich auf Anhieb in den Nationalrat gewählt werden.

    1936: Gründung einer eigenen politischen Partei, des Landesrings der Unabhängigen (LdU)

    1937: Gründung des Giro-Dienstes, einer Möglichkeit, auch für unabhängige „Spezierer” Migros-Produkte verkaufen zu können.

    1939: „Die Tat”, das politische Organ des Landesrings und der Migros wird Tageszeitung.

    1940: Entschluss von G. und A. Duttweiler, die Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft umzuwandeln.

    1941: Die Umwandlung in eine Genossenschaft findet statt.

    1942: Die Herausgabe der Wochenzeitschrift „Wir Brückenbauer” für die Genossenschafter wird von Bern nach langem Kampf genehmigt (Restriktionen wegen Krieg).

    1943: Beteiligung an der Praesens Film AG, die Schweizerfilme herstellt und „Wichtiges zu einer eigenständigen Kultur auf der ‚Kriegsinsel Schweiz’ beiträgt“.

    1944: Die Klubschulen werden geschaffen.

    1946: Verschenkung des Privatparks von Gottlieb und Adele Duttweiler an die neu errichtete Stiftung „Im Grüene”.

    1948: Erster Selbstbedienungsladen in Zürich wird eröffnet (vermutlich der erste Selbstbedienungsladen Europas).

    1950: Die Migros verfügt über 200 Läden und 200'000 Genossenschafter. Die G. und A. Duttweiler Stiftung wird gegründet, Beteiligung am Ex-Libris Buchklub.

    1951: Taxikrieg, Gründung der Taxibetriebs-Genossenschaft zurVerbilligung und Ausweitung der Taxidienste in Zürich.

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    1953: Gottlieb Duttweiler wird in die Hall of Fame der Boston Conference on Distribution aufgenommen.

    1954: Gründung der Migrol-Genossenschaft: „Benzin-Krieg”, Gründung der Migros Türk.

    1957: Gründung der Migros-Bank

    1959: Aufbau der „Do it yourself” Migros, Gründung der Versicherungsgesellschaft Secura

    1960: Migros Spanien gegründet (später gescheitert)

    1961: Jahresumsatz erstmals über 1 Mia. Franken

    1962: Tod Gottlieb Duttweilers

    Die Migros hat 1,2 Mia. Fr. Umsatz, 413 Läden, 18'471 Mitarbeitende und 630’000 Genossenschafter.

    1963: Eröffnung des Gottlieb Duttweiler Institutes (GDI), das der Wirtschaftsphilosophie des Sozialen Kapitals dienen soll.

    1970: Bau der ersten MMM-Multi-Märkte, gigantischer Einkaufszentren meist im Grünen mit Autobahnanschluss. Die Migros hat 3,3 Mia. Fr. Umsatz, 443 Läden, 29‘153 Mitarbeitende und 870‘000 Genossenschafter.

    1979: Seit langem wieder grosser Wirbel für die Migros in der Öffentlichkeit: Hans A. Pestalozzi, der noch von Duttweiler persönlich in die Migros berufen wurde, wird nach grösseren Differenzen mit der Migros-Führung als Leiter des GDI entlassen. Er wollte soziale und ökologische Veränderungen innerhalb der Migros forcieren. Seine Ansichten waren den Verantwortlichen zuradikal, einen anderen Umgang mit diesem Kritiker konnten sie sich aber nicht vorstellen.

    1980: Der Verein „M-Frühling” ist die Antwort auf diese Geschehnisse. Er möchte sich in den Wahlen der Genossenschaften und Führungsgremien einmischen. SeinProgramm:

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    – Förderung des Bewusstseins der Öffentlichkeit für dieProblematik der heutigen Wirtschaft,

    – Aufzeigen von Alternativen zur heutigen Migros unddamit zur heutigen Wirtschaft,

    – Wahrung der demokratischen Genossenschaftsrechteund Demokratisierung der innerbetrieblichenStrukturen der Migros. Der Versuch misslingtvollständig, die Genossenschafter wählen „linientreu”.Einige Jahre später löst sich der Verein wieder auf.

    1990: Tod Adele Duttweilers

    Die Migros hat nun 11,4 Mia. Fr. Umsatz, 541 Läden,50‘397 Mitarbeitende und 1‘520‘000 Genossenschafter

    1997: Die Migros übernimmt die Globus-Gruppe, eine grosse schweizerische Warenhauskette und umgeht damit auch das eigene Verbot des Verkaufs von Alkohol und Tabak.

    2003: Äussere Grösse überragend – innere Grösse immer wiedermit Fragezeichen versehen.

    Konzernumsatz, 20,0 Mia. Fr.

    Läden, 581

    Mitarbeitende, 81'600

    Genossenschafter, 1'913‘531

    Kulturprozent, 114 Mio. Fr.

    Migros Pensionskasse, Vermögen, 13,406 Mia. Fr.

    2004: Die Genossenschafterzeitung „Wir Brückenbauer” wird zum „Migros Magazin” umbenannt, der Untertitel „Das Soziale Kapital” war schon einige Jahre vorher gestrichen worden.

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    Das Soziale Kapital und der Genossenschaftsgedanke

    „Das Kapital muss dem Volksganzen dienen”.14

    Immer wieder benutzte Gottlieb Duttweiler den Begriff „DasSoziale Kapital”. Was war damit gemeint? Er selbst schrieb dazu1940 unter dem Titel „Neue Zeit – Das Soziale Kapital”:

    „Die Aufgabe stellt sich einfach. Der Herrgott hat der Weltalles Notwendige und Wünschenswerte für Körper und Geistreichlich gewährt. Die moderne Technik hat die industrielle undlandwirtschaftliche Erzeugung, ja selbst die Produktion kulturellerGüter bis zum Überfluss gesteigert. Nur die Aufgabe, davon jedemdas Seine zugänglich zu machen, ist noch ungelöst, und zwar, weilsie allein ‚durch den Franken’ gesehen nicht lösbar ist!‚Handelsmessianische Besessenheit’ hat die eidgenössischePreisbildungskommission die geistige Einstellung der Migros-Leitung zum Geschäft genannt. Dieses halb scherzhafte Wort istwahr. Wenn wir das Problem der gerechten Verteilung der Güterder Welt lösen wollen, so müssen wir uns ihm ganz hingeben, inihm aufgehen und von ihm ‚besessen’ sein. Das Bewusstsein, dassrings um uns Menschen sind, die ein Recht auf den ‚goldenenÜberfluss’ der Welt haben, aber ihren Anteil nicht erhalten, darfuns keine Ruhe lassen. Jeder an seinem Platz muss seinen Teil tun,um das zu ändern. Dann werden wir eine unwiderstehliche Kraftausüben und alles mitreissen, was zum Guten dienen kann.”(Hervorhebung im Original)

    Es war also keine fertig geschriebene Wirtschaftstheoriedamit gemeint, sondern eine lebendige Grundeinstellung, einedienende Haltung, eine tiefgehende Ethik. Das „Soziale Kapital”sollte begründet sein im Individuum, das durch seine bewusstewirtschaftliche Handlung die notwendige Berichtigung desSystems veranlasste. Als effektive Form für die Verwirklichungseiner Ideen hielt Duttweiler die Genossenschaft für das richtigesInstrument, das zutiefst demokratisch ein Gerüst der gemeinsamenUnternehmung bilden und so dem „Sozialen Kapital” dieGrundlage sein sollte. Allerdings grenzte sich Duttweiler gegen

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    die sozialistisch geprägte Vorstellung einer Genossenschaft alsGrundlage zur Abschaffung des Kapitals klar ab. Er sagt dazu:

    „Die Migros-Genossenschaften wollen ein neues Organ inder sozialen Welt sein… (Sie) kennen indessen das Ziel derVergenossenschaftlichung der Wirtschaft nicht. Sie wollen diefreie Unternehmerwirtschaft mit ihrem Leistungswettbewerb nichtausschalten. Aber sie wollen ihr die Giftzähne ausreissen. IhrInstrument ist dabei das uneigennützige soziale Kapital. Über denKonkurrenzhebel soll zum Dienen gebracht werden, wer nur ansVerdienen denkt. Die geballte Kaufkraft wird einmal zu Tatenfähig sein, von denen man heute kaum zu träumen wagt. DerKonsument muss aber geweckt und zum Bewusstsein seiner Stärkegebracht werden. So wird den Nichtbesitzenden ein gewaltigesMitspracherecht in der Wirtschaft werden.”

    (Aus dem Rechenschaftsbericht des Migros-Genossenschafts-Bundes 19494)

    Und er spann seine Ideen noch viel weiter: „Nach unsererAuffassung hat die Genossenschaft, das Soziale Kapital, einegrosse, weit über das Geschäftliche hinausgehende Weltmission,deren sie sich hoffentlich immer besser bewusst wird.”2

    So kam es dazu, dass Gottlieb und Adele Duttweiler sichentschlossen, in die Tat umzusetzen, was gedanklich sich schonseit 1933 angebahnt hatte. Der Dienst am (Konsumenten-)Volkesollte nicht mehr nur ihr eigener sein. Durch das totale Zur-Verfügung-Stellen aller ihrer Ressourcen sollten auch andere zusolchem Wirken die Möglichkeiten erhalten. Ein grossartiger, jabis heute noch fast unglaublicher Gedanke entstand.

    Die Schenkung

    Rudolf Steiner schreibt im „Nationalökonomischen Kurs“3

    Wenn also einer in der Lage ist, Leihkapital auf Kredit zubekommen, dadurch eine Unternehmung herstellen kann, eineInstitution herstellen kann, mit dieser Institution produzierenkann, so produziert er so lange, als seine eigenen Fähigkeiten mitdieser betreffenden Institution verbunden sind. Nachher gehtdurch eine nicht von Mensch zu Mensch bewirkte, sondern durcheine im volkswirtschaftlichen Gang sich vollziehende Schenkung

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    in der vernünftigsten Weise das, was da gewirkt hat, auf den über,der die nötigen Fähigkeiten dazu hat. Und es ist nurnachzudenken, wie durch eine Dreigliederung des sozialenOrganismus eben Vernunft in diese Schenkung hineinkommenkann. Da grenzt das Volkswirtschaftliche an das, was nun imumfassendsten Sinn überhaupt das Soziale im Menschen ist, waszu denken ist für den gesamten sozialen Organismus.

    Gottlieb Duttweiler scheint die Werke Rudolf Steiners nichtgekannt zu haben, nirgends nimmt er unseres Wissens Bezugdarauf. Er hatte aber dieselben Zusammenhänge alleine durch diepraktische Wahrheit seines Wirkens ganz innerlich erkannt undwollte sie umsetzen. Die Migros sollte als Ganzes in eineGenossenschaft umgewandelt und die Anteile an die Kundinnenund Kunden, also an das ganze Schweizervolk, verschenktwerden. Dann sollten alle Genossenschaftsmitglieder ihreDelegierten wählen, die dann „diejenigen mit den nötigenFähigkeiten” in die Geschäftsführung wählen sollten. DieGeschäftsführung blieb soweit sehr unabhängig, hatte aber immerder Genossenschaftsversammlung Rechenschaft abzulegen, und sosollte das Werk jeweils „in der vernünftigsten Weise” übergehenan neue Hände und für die Zukunft bewahrt werden.

    Als er mit dieser Idee 1940 in die Geschäftsleitung und denVerwaltungsrat der Migros AG kam, war der Protest gross. DasVerschenken war schwieriger, als er es sich vorgestellt hat.Freunde und Mitarbeiter versuchten ihn davon abzubringen undwendeten sich schliesslich an Adele Duttweiler, denn dieUmwandlung der Migros bedeutete ja auch nicht mehr und nichtweniger als ihre Enterbung: Sie müsse sich gegen die Schenkungwenden und ihren Mann davon überzeugen, dass er so etwas nichttun dürfe. Adele hätte das mit Leichtigkeit vermocht, Duttweilerhätte seinen Plan auch nur gegen ein mildes Veto von ihr niemalsdurchgeführt. Aber sie sagt das entscheidende Wort nicht. ImGegenteil, sie war ganz auf der Seite ihres Mannes und bereit, dieFolgen des Entscheides mit ihm zu tragen. Sie machte nur einekleine Einschränkung und bestand darauf, dass er nicht ganz allesverschenke, sondern einen kleinen Teil für sich behalte. So wurdealles ausser einer einzigen Fabrik in Basel in die Schenkungeingegeben.

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    Doch kein Dank wurde ihm dafür. Es wurden ihm imGegenteil unlautere Motive unterstellt, und viele Migros-Kundenund -Kundinnen wollten den Gratis-Anteilschein gar nichtannehmen aus Angst, dass da etwas anderes dahinterstecke. AberGottlieb Duttweiler machte unbeirrt weiter gemäss seinem Motto:„Die Angriffe der Gegner und ungerechtfertigte Verdächtigungensind es, die einem Werk den Stempel der Echtheit aufdrücken.“Die Migros, fast sein gesamtes Vermögen und auch seine eigeneMachtstellung also, wurde von diesem „reichen Kapitalisten”freiwillig weggegeben, umgewandelt und verschenkt. Ein Akt vonwahrer Einsicht, eine Befreiungs-Tat getreu Duttweilers eigenemWahlspruch: „Freiwilligkeit ist der Preis für Freiheit.” Eineinmaliges Ereignis, das bis heute in der Schweiz in seiner Grössenicht wirklich gewürdigt wird.

    Die 15 Thesen (Das Vermächtnis)

    Ihr wertvollstes Eigentum, nämlich ihre Grundsätze undIdeen, behielten die Duttweilers aber noch bei sich. Sie gründetengleichzeitig die G. und A. Duttweiler-Stiftung, die als Wächterinder Prinzipien und als Wahrerin des Ideengutes Duttweilerswirken sollte. Eine geistige Instanz also, die unabhängig für dieweitere Kontinuität der Migros im Sinne einer dienendenInstitution im Wirtschaftsleben sorgen sollte. Dazu schrieb erzusammen mit Adele „15 Thesen”, die zusammenfassen, wasbeide als dauerhafte gedankliche Grundlagen der weiterenEntwicklung erkannt haben (siehe Kapitel Links für einen Zugangzu den Thesen).

    Die Konstruktion dieser ganzen Umwandlung kann ohneweiteres als Umsetzung der Dreigliederung innerhalb desWirtschaftslebens erkannt werden. Das Geistesleben wirktinnerhalb der Stiftung, das Rechtsleben ist in der Genossenschaftverankert, und das eigentliche Wirtschaftsleben ist in denBetrieben der Migros zu finden. Alle sind allerdings nochinnerhalb der existierenden im Sinne der Dreigliederungantiquierten Formen des Schweizerischen Rechtsstaates

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    organisiert. Dies macht auch einen Teil ihrer Problematik aus, diesich später zu zeigen beginnt.

    Nach dieser grossen Tat ist das Wirken von GottliebDuttweiler noch keineswegs beendet. Vieles folgt, was in seinerZeit revolutionär war. Mit all seiner Kraft setzte sich Duttweilerbis zuletzt jeweils für neue Ideen ein. Aber er prüfte sein Wirkenimmer am Evangelium. Vor diesem Anspruch musste es bestehen,auf diesem Fundament sollte es aufgebaut sein. Gottfried Keller,Jeremias Gotthelf und Paracelsus gehörten zu seinen bevorzugtenLeitfiguren. Sie waren „Ketzer in Verantwortung für das Volk”.12

    Gottlieb Duttweiler starb am 8. Juni 1962 in Zürich im 74.Lebensjahr. Alle Zeitungen waren voll von Nachrufen. Jetzt nachseinem Tod stimmten auch seine Gegner ins Lob eines grossenMannes mit grossen Verdiensten ein. Die Abdankungsfeier fandgleichzeitig in vier Kirchen statt, Tausende fanden trotzdemkeinen Platz und standen aussen auf den Strassen und Plätzen.Eine feierliche Stille lag über Zürich.

    Adele Duttweiler blieb alleine zurück. Sie blieb auch nachdem Tode von Gottlieb das, was sie immer schon war: dasGewissen der Migros, die Frau im Hintergrund und doch immergegenwärtig und Einfluss nehmend auf die Entscheidungen,teilnehmend und freundlich.

    Sie brachte auch später immer wieder ihre Stimme inklärender oder mässigender Weise ein. Zum Beispiel als dieGenossenschaft Migros Genf den Verkauf von Alkohol einführenwollte, reiste sie nach Genf an die entscheidende Sitzung derGeschäftsleitung und stand für die Beibehaltung des Verzichts ein.Immer wieder versuchte sie auch vermittelnd zu wirken und standfür die Grundsätze der Gründer ein. Adele Duttweiler-Bertschiwar noch ein langes Leben vergönnt, sie starb am 27. Mai 1990 inRüschlikon im 98. Lebensjahr.

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    Die Migros heute?

    „Es wird eine Zeit kommen, wo in unserem Lande, wie

    anderwärts, sich grosse Massen Geldes zusammenhängen,

    ohne auf tüchtige Weise erarbeitet und erspart worden zu

    sein; dann wird es gelten, dem Teufel die Zähne zu weisen;

    dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut

    sind an unserem Fahnentuch!” (Gottfried Keller imFähnlein der sieben Aufrechten)

    Gottlieb Duttweiler hatte immer klar gesehen, auf welchdünnem Eis sich die Idee des Sozialen Kapitals bewegte. Er hattemit allen Mitteln dafür gekämpft, aber trotzdem ganz realistischeingeschätzt, welches die Probleme nach seinem Ableben seinwürden. So sagte er 1957: „Ich habe die Migros nicht wegen derkaufmännischen Unternehmung gestiftet, sondern um das geistigeGut für die Zukunft zu erhalten!” und weiter: „Wir müssen jedeMachtakkumulation vermeiden. Die grösste Furcht, die ich habe,ist, dass ein ausserordentlich tüchtiger Mann die Migrossozusagen annektiert. Jeder Machtgedanke ist von Schaden.”Oder: „Meine grösste Sorge ist, dass die Migros auch späterdiesen ideellen Goodwill als Basis behält und darauf weiterbaut,anstatt sich nur auf Millionen Geldes und Goldes zu verlassen.”

    Doch auch die Bequemlichkeit und der fehlende Mutbeschäftigten ihn: „Die Geschichte historisch gewordenerGrossorganisationen, aber auch der schweizerischen Politik,belehrt uns über zwei Gefahren: Die Risikoscheu und die Tendenzzur Mittelmässigkeit in der Auswahl führender Männer.” Doch esgeschah, wie es meistens geschah: Die Strömung der Zeit war zustark, als dass die Migros ohne ihren grossen Steuermann weitermit voller Kraft gegen den Wind anfahren würde. Die politischenAktionen hörten bald einmal auf. Die vorhandenen Werte wurdenzwar weiter gepflegt und auch in vielen Details noch verbessert,doch ohne den kreativen Zufluss des „sozialrevolutionärenGedankengutes” durch Duttweiler wurde hauptsächlich vom

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    Ideenkapital gelebt. Die Besonnenheit und Klarheit von AdeleDuttweiler trug indessen wesentlich dazu bei, dass eingrundlegender Respekt vor den Gründern bestehen blieb undgewisse Grundwerte unangetastet noch lange bestehen blieben.

    So wuchs die Migros laufend weiter in Umsatz, Läden,Fabriken, Genossenschaftern und Artikeln, aber das „SozialeKapital” zerrann dabei trotzdem ganz leise und stetig, wie Schneeim Frühjahr. Immer noch zeugen heute einzelne Flecken von dereinstmaligen Grösse der Ideen, und sie sind es auch, die dieMigros davor bewahren, vollends in den Sumpf des heutigenTurbokapitalismus abzugleiten. Immer wieder werden deshalbeinzelne Entscheidungen zugunsten von Menschen, Natur undUmwelt gefällt. Es ist sehr zu hoffen, dass die Führung der Migrosauch heute, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod der Gründerinimmer wieder die Thesen und Grundlagen der Duttweilers zu Ratezieht und sich nicht scheut, auch unbequeme und kaufmännischnicht zu rechtfertigende grössere Entscheidungen zugunsten derganzen Menschengemeinschaft zu treffen – freiwillig notabene!

    Literaturverzeichnis

    [1] Riess, Kurt, Gottlieb Duttweiler, Eine Biographie – Buchclub Ex LibrisZürich, 3.Aufl. 1965

    [2] Duttweiler, Gottlieb, Überzeugungen und Einfälle –Ex Libris VerlagZürich, 1.Aufl. 1962

    [3] Steiner Rudolf, Nationalökonomischer Kurs –Rudolf Steiner VerlagDornach, GA 340, 6.Auflage 2002

    [4] Migros-Genossenschafts-Bund, Eine Brücke in die Zukunft –Jubiläumsschrift des Migros-Genossenschafts-Bundes 1925-1955

    [5] Pestalozzi Hans A., Nach uns die Zukunft – Zytglogge Verlag Bern, 2.Auflage 1979

    [6] Pestalozzi Hans A., (Hrsg.), M-Frühling, Vom Migrosaurier zummenschlichen Mass – Zytglogge Verlag Bern, 1. Auflage 1980

    [7] Meynaud Jean, Korff Adalbert, Die Migros und die Politik – Migros-Genossenschafts-Bund Zürich, 1967

    [8] Häsler Alfred A., Das Abenteuer Migros – Verlag der Migros Presse,Zürich 1985 (zwölfte Buchgabe des MGB)

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    [9] Häsler Alfred A., Adele Duttweiler-Bärtschi – Editions M, Zürich1992/93

    [10] Lutz Christian, Der Brückenbauer, Das Denken Gottlieb Duttweilersdargestellt anhand seiner Schriften – Editions M, Zürich 1988

    [11] Riesterer Peter P., Gottlieb Duttweiler in Wort und Bild – Editions M,Zürich, 2. Auflage 1989

    [12] Riesterer Peter P., Stationen eines bedeutenden Lebens, zum 90.Geburtstag von Adele Duttweiler – Editions M, Zürich, 1982

    [13] Migros-Genossenschafts-Bund, Chronik der Migros, die Entwicklungder M–Gemeinschaft seit 1925 – MGB, Zürich, 2. aktualisierte Auflage2003

    [14] Duttweiler Gottlieb, Von der Migros AG zur Genossenschaft – MGB,Photografischer Nachdruck der Originalausgabe von 1940, Biel 1969

    [15] Munz Hans., Das Phänomen Migros, die Geschichte derMigros–Gemeinschaft – Ex–Libris Verlag, Zürich, 1973

    Links

    www.migros.ch Die Hauptseite der Migros. Darunter sind auch die15 Thesen von Duttweiler zu finden(direkter Link dazu:http://www.migros.ch/Migros_DE/Content/UeberMigros/LeitbildWerte/blip_red_15_thesen.htm)

    www.miosphere.ch Umwelt und Ethik, die Bestrebungen der Migroswww.gdi.ch Das Gottlieb Duttweiler Institut

    www.sorgim.ch Eine neue Migros-kritische Gruppierung, dieDuttweilers-Thesen innerhalb der Migros verstärktumsetzen möchte.

    http://www.migros.ch/Migros_DE/Content/UeberM