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KORRESPONDENZ KULTURPOLITISCHE 1307 BERICHTE MEINUNGEN DOKUMENTE 25. April 2011 Herausgeber: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR, Kaiserstraße 113, 53113 Bonn, Telefon (02 28) 2 89 3312,-3, Fax (02 28) 2 89 3314, E-mail: [email protected] · Chefredakteur: Georg Aescht · Textnachdruck in Zeitungen und Zeitschriften honorarfrei bei Quellenangabe (KK), 2 Belegexemplare erbeten · Artikelübernahme in Bücher und Broschüren bedarf der jeweiligen Vereinbarung mit dem Autor · Bildabgabe leihweise auf Anforderung · Für unverlangte Einsendungen wird nicht gehaftet · Verlag: Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn · Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, Telefon (030) 7452047, Fax (030) 745 3066, Internet: www.westkreuz.de

BERICHTE MEINUNGEN DOKUMENTE … · Schulz (München 2007), Peter Staengle (Heilbronn 2007), Hans-Georg Schede (Reinbek 2008) , Günter Blamberger (Frank-furt am Main 2011), Peter

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1KK1307 vom 25. April 2011

KORRESPONDENZK

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1307 BERICHTEMEINUNGEN

DOKUMENTE

25. April 2011

Herausgeber: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR, Kaiserstraße 113, 53113 Bonn, Telefon (02 28) 2 89 3312,-3, Fax (02 28) 2 89 3314,E-mail: [email protected] · Chefredakteur: Georg Aescht · Textnachdruck in Zeitungen und Zeitschriften honorarfrei bei Quellenangabe (KK),2 Belegexemplare erbeten · Artikelübernahme in Bücher und Broschüren bedarf der jeweiligen Vereinbarung mit dem Autor · Bildabgabe leihweiseauf Anforderung · Für unverlangte Einsendungen wird nicht gehaftet · Verlag: Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn · Herstellung: Westkreuz-DruckereiAhrens KG Berlin/Bonn, Töpchiner Weg 198/200, 12309 Berlin, Telefon (0 30) 745 20 47, Fax (0 30) 745 30 66, Internet: www.westkreuz.de

2 KK1307 vom 25. April 2011

INHALT

Jörg Bernhard BilkeWer suchet, der liestBücher vom „Osten“ deutscher Kultur auf der Leipziger Messe 3

Horst MildeHeimat als WahrheitRede zur Verleihung des Ehrenrings der Oldenburgischen Landschaft 7

Wo die „Wende“ vom Stapel liefAnfänge des Danziger Widerstandes in Hilpoltstein 9

Arkadiusz LubaNoch ist Polen nicht verlorenEin jeder kann ein Stück für sich gewinnen – auf Reisen 11

Irena Brezná[email protected] im Netz Halt sucht, verheddert sich 12

Rückständig? LebendigFrank Gaudlitz gönnt Menschen in Südosteuropa den zweiten Blick 14

Sie lehren lesenSiebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis für P. Motzan und S. Sienerth 15

Bücher und MedienKrenzlin/Weigelt: Ernst Wiechert im Gespräch (Joachim Hensel) 16Weber: Rumäniendeutsche (Edith Ottschofski) 17Marsch: Friedrich Bernhard Werner (Josef Joachim Menzel) 18Kinodokumentarfilm „Aber das Leben geht weiter“ 19

Literatur und Kunst

Günter GerstmannAnleitung zum bewußten LebenHanns Cibulkas bedrückende Aktualität 21

Wohin gehen wir?Eislinger Josef-Mühlberger-Tage 22

A. RotenbergRocken heißt rütteln – und aufrüttelnPeter Maffay singt vom Einfachen, das schwer zu machen ist 23

Mit Harmonien Umbrüche einleitenDer Arbeitskreis Schlesische Musik lauscht zurück ins 20. Jahrhundert 25

Das Land der Nehrung mit der Farbe suchendErnst Mollenhauer hat sein Nidden aus der Ferne erstehen lassen 26

Kindheit im späten LichtHelene Dauters gemalte Erinnerungen 28

Zwischen zwei Sprachen und vielen StimmenKarl-Dedecius-Preis an Esther Kinsky und Ryszard Turczyn 29

Dieter GöllnerWer durchsieht, sieht mehrGlaskunst in Rheinbach 30

KK-Notizbuch 31

Ernst Mollenhauer: Leuchtturm in Nidden Bild aus der Ausstellung: siehe Seite 26

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Wer suchet, der liestDie Leipziger Buchmesse zeigt wieder, daß der „Osten“ deutscher Kultur

weit jenseits von Leipzig liegt

Buchmesse im Jahr des Gedenkens an ei-nen der zwiespältigsten und interessante-sten deutschen Dichter: Am 21. Novemberjährt sich der Todestags dieses ungewöhn-lichen Dichters aus Preußen zum 200. Mal.Die Wertschätzung Heinrich von Kleists istauch nach zwei Jahrhunderten derart hoch,daß allein im Vorfeld des Todestages zehnBiographien erschienen sind von: Klaus Mül-ler-Salget (Stuttgart 2002), Rudolf Loch(Göttingen 2003), Jens Bisky (Berlin 2007),Herbert Kraft (Münster 2007), GerhardSchulz (München 2007), Peter Staengle(Heilbronn 2007), Hans-Georg Schede(Reinbek 2008) , Günter Blamberger (Frank-furt am Main 2011), Peter Michalzik (Berlin2011) und schließlich Hans-Jürgen Schmel-zer (Stuttgart 2011).

Die Königsberger Schriftstellerin FannyLewald dagegen, deren 200. Geburtstagsam 24. März zu gedenken war, ist heute völ-lig vergessen. Als Tochter eines jüdischenKaufmanns in der Hauptstadt Ostpreußensgeboren, trat sie nach ihren zwei Brüdern1829 auch zum Protestantismus über undzog, nachdem 1842/43 ihre beiden Roma-ne „Clementine“ und „Jenny“ erschienenwaren, von Königsberg nach Berlin, derHauptstadt des Königreichs Preußen, wo sieals Schriftstellerin und Frauenrechtlerin ge-achtet wurde. Von unschätzbarer Bedeutungbleibt Fanny Lewalds Briefwechsel mit CarlAlexander von Sachsen-Weimar, der, vonEckart Kleßmann bearbeitet, im Jahr 2000unter dem Titel „Mein gnädigster Herr! Mei-ne gütige Korrespondentin!“ im Böhlau-Ver-lag Weimar erschienen ist. Ihre Autobiogra-phie „Meine Lebensgeschichte“ übrigens ist,so merkwürdig es klingt, 2008 im sieben-bürgischen Kronstadt/Brasov noch einmalaufgelegt worden.

Während der Leipziger Buchmesse, am 17.März, konnte Siegfried Lenz, der bekannte-ste noch lebende Schriftsteller Ostpreu-ßens, seinen 85. Geburtstag feiern, war aber,aus verständlichen Gründen, nicht nach Leip-zig gefahren. Geboren 1926 in Lyck/Masu-ren, wurde er nach zwei Romanen mit denostpreußischen Erzählungen „So zärtlichwar Suleyken“ (1955) weithin bekannt underregte 1978 Aufsehen mit dem unkonven-tionellen Vertreibungsroman „Heimatmuse-um“. Zwischen 1953 und 2010 ist der uner-müdlich schreibende Siegfried Lenz mit 31Literaturpreisen ausgezeichnet worden, zurZeit schreibt er an einem neuen Roman.

Damals hätte man den Blick wohl treuherziggenannt. Heute nicht mehr: Heinrich vonKleist Bild: Archiv

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Auch Pommern hat einen Autor hohen Rangszu bieten, der schon 1947 gestorben ist unddennoch in diesen Tagen für neue Aufregungsorgt: Hans Fallada. Geboren als RudolfDitzen 1893 in der Universitätsstadt Greifs-wald, veröffentlichte er seit 1920 eine Reihevon gesellschaftskritischen Romanen wie„Bauern, Bonzen und Bomben“ (1931), „Klei-ner Mann – was nun?“ (1932) und „Wer ein-mal aus dem Blechnapf frißt“ (1934), die ihnbekannt machten. Sein Widerstandsroman„Jeder stirbt für sich allein“ erschien im To-desjahr 1947 im Ostberliner Aufbau-Verlag.Den Stoff zu diesem Romanprojekt entnahmder Autor einer Gestapo-Akte, die ihm vonJohannes R. Becher, damals Präsident des„Kulturbunds“, übergeben worden war. Wasfreilich 1947 veröffentlicht wurde, das wareine gekürzte, sprich: eine nach politischenVorgaben zensierte Fassung, wie man ausAlmut Gieseckes Nachwort erfahren kann.Hans Fallada war am 5. Februar 1947 ge-storben und konnte diese Eingriffe in seinenRomantext nicht mehr verhindern.Den deutsch-tschechisch-jüdischen DichterJohannes Urzidil (1896–1970) der Verges-senheit zu entreißen versucht 2011 das Deut-sche Kulturforum östliches Europa, Pots-dam, mit einem Lesebuch unter dem vomAutor geprägten Titel „Hinternational“, dasvon Klaus Johann und Vera Schneider her-ausgeben wurde. Der Autor, der mit demBuch „Goethe in Böhmen“ (1932) bekanntwurde und 1939 über England in die Verei-nigten Staaten emigrierte, war das jüngsteMitglied des Prager Dichterkreises. Er ver-öffentlichte zwei vielbeachtete Erzählungs-bände, „Die verlorene Geliebte“ (1956) und„Prager Triptychon“ (1960), und starb am2. November 1970 auf einer Vortragsreisein Rom.Auch der ostpreußische Schriftsteller ArnoSurminski, geboren 1934 in Jäglack/Masu-ren und bekannt geworden mit seinem Ro-man „Jokehnen oder Wie lange fährt manvon Ostpreußen nach Deutschland“ (1974),hat sich erneut zu Wort gemeldet. Sein neu-er Roman heißt „Winter Fünfundvierzig oder

Die Frauen von Palmnicken“ (Verlag Ellert &Richter/Hamburg). Das Thema des 2010erschienenen Buches ist nicht Flucht undVertreibung, sondern ein gleichzeitig ablau-fendes Geschehen: das Schicksal von vierjungen Jüdinnen aus dem Ghetto von Lodz,die 1945 über die Konzentrationslager Au-schwitz und Stutthof in die ostpreußischenAußenlager getrieben wurden. Bei grimmi-ger Kälte mußten sie im Januar 1945 unterstrenger Bewachung auf Todesmärschenzur Ostsee laufen und wurden von der Wach-mannschaft in der Nacht vom 31. Januar zum1. Februar an der samländischen Küste er-schossen.Eine Entdeckung ist der Roman des 1936geborenen, heute als pensionierter Lehrerin Düsseldorf lebenden Theodor Buhl. Erstammt aus Bunzlau in Niederschlesien, istmit seinen Eltern im Winter 1945 vor derRoten Armee nach Dresden geflohen, wo erden angloamerikanischen Bombenangriffam 12./13. Februar miterlebte und dann indie schlesische Heimat zurückkehrte. Vondort wurde er 1946 mit seinen Eltern insRheinland vertrieben. In seinem Roman „Win-netou August“ hat er, literarisch anspruchs-voll und nicht leicht zu lesen, die Erinnerungan die schlesische Kindheit und die Flucht-geschichte aufgeschrieben und veröffent-licht (Eichborn-Verlag Frankfurt am Main),obwohl er eigentlich schon aufgegeben hat-te, für sein schwieriges Manuskript einenVerlag zu finden.Von Werner Heiduczek, der 2005 seine Au-tobiographie „Der Schatten meiner Toten“veröffentlicht hat, worin auch seine ober-schlesische Kindheit geschildert ist, sind imLeipziger Plöttner-Verlag Essays unter demTitel „Jeder ist sich selbst der Fernste“ er-schienen. Während die 1928 in Berlin gebo-rene und lebende Schriftstellerin MarianneBlasinski sich in ihrem Roman „Irina. Einewolgadeutsche Tragödie“ des Schicksalsder Rußlanddeutschen im Zweiten Weltkriegannimmt (Verlag Osteuropa-Zentrum), be-richtet die aus dem Banat stammende Er-zählerin Herta Müller (geboren 1953), die

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2009 in Stockholm mit dem Literaturnobel-preis ausgezeichnet wurde, unter dem Titel„Cristina und ihre Attrappe“ (Wallstein-Ver-lag/Göttingen) über ihre Erfahrungen mitdem rumänischen Geheimdienst Securitate.Ihr Kollege Richard Wagner (geboren 1952)hat im Berliner Aufbau Verlag einen neuenRoman veröffentlicht: „Belüg mich“. Gemein-sam mit Herta Müller hat er Rumänien 1987verlassen und lebt seitdem in Westberlin.

Der Ostpreuße Johannes Bobrowski (1917–1965), geboren in Tilsit und gestorben inOstberlin, ist noch immer ein hochaktueller,fast zeitloser Autor, dessen Gedichte undErzählungen unausschöpfbar sind. Im Ber-liner BasisDruck-Verlag hat Helmut Baldauf„Lebensbilder“ (2011) über ihn veröffentlicht.Im Berliner Wagenbach-Verlag dagegen er-schien unter dem Titel „Nachbarschaft“ eineschmale Auswahl seiner Gedichte.

Was der Germanist Wolfgang Frühwald imStuttgarter Reclam-Verlag anbietet, ist ein-zigartig: Ernst Tollers (1893–1939) auto-

biographisches Buch über den Anfang ei-nes stürmischen Lebens: „Eine Jugend inDeutschland“ (1936), versehen, was bishernoch nie gemacht wurde, mit einem ausführ-lichen Kommentar (470 Seiten). Der Autorwurde als jüngster Sohn jüdischer Eltern inSamotschin in der preußischen Provinz Po-sen geboren und besuchte das Realgym-nasium in Bromberg. Als Kriegsfreiwilligerim Ersten Weltkrieg wurde er für Tapfer-keit ausgezeichnet, erlitt aber im Mai 1916kriegsbedingt einen Nervenzusammen-bruch. Als Student lernte er in Heidelbergden sozialdemokratischen Journalisten KurtEisner kennen, unter dessen Führung er imNovember 1918 den revolutionären Umsturzin Bayern und die Errichtung der MünchnerRäterepublik betrieb. Er wurde zu fünf Jah-ren Festungshaft verurteilt, die er im Gefäng-nis Niederschönenfeld bei Augsburg ver-brachte. Seine Theaterstücke wie „MasseMensch“ oder „Hinkemann“ wurden in derWeimarer Republik häufig gespielt, 1933emigrierte er in die Vereinigten Staaten undwählte am 22. Mai 1939 in einem New Yor-ker Hotel den Freitod.Was die Biographien und Autobiographienostdeutscher Persönlichkeiten betrifft, sosind hier zuerst das Buch „Doppelleben“ derGrünen-Politikerin Antje Vollmer (2010) überden ostpreußischen WiderstandskämpferHeinrich von Lehndorff (1909–1944) unddie beiden Biographien über die 2010 in denVereinigten Staaten verstorbene Freya vonMoltke (1911–2010), Witwe des schlesischenWiderstandskämpfers Helmuth James vonMoltke (1907–1945), deren 100. Geburtstagsam 24. Februar zu gedenken war, zu nennen.Einen tiefen Eindruck vom Widerstand desschlesischen Adels, insbesondere desKreisauer Kreises, vermitteln die „Abschieds-briefe Gefängnis Tegel. September 1944 –Januar 1945“ (C. H. Beck Verlag) von bzw. anHelmuth James und Freya von Moltke. Daßsie überhaupt erhalten blieben, grenzt an einWunder.Neben dieser für die Geschichtswissen-schaft unschätzbaren Korrespondenz, ei-

Das Schloß ragt nicht mehr, überragend istallein seine Historiographie

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nem Ehrenzeugnis des deutschen Wider-stands, das nach 66 Jahren ans Licht derÖffentlichkeit kam, sind vor wenigen Wochenauch zwei Biographien über Freya von Molt-ke erschienen, die in ihrem Todesjahr 2010von Sylke Tempel (Rowohlt Berlin) und Frau-ke Geyken (C. H. Beck) fertiggestellt wur-den.

Zur Biographie im erweiterten Sinne gehörtvielleicht auch die Beschreibung von Lebens-welten durch mehrere Generationen. DerGöttinger Historiker Rudolf von Thadden(1932 in Pommern geboren) hat das mitseinem Buch „Trieglaff. Eine pommerscheLebenswelt zwischen Kirche und Politik(1807–1948)“ versucht (Wallstein). Um Pom-mern geht es auch bei Johann Christian Mül-ler (1720–1772) aus Stralsund. Er hat seinLeben in mehreren Bänden aufgeschrieben,von 1755 bis zu seinem Tod war er Pfarrer ander Heilig-Geist-Kirche in Stralsund. SeineAutobiographie heißt „Meines Lebens Vor-fälle und Nebenumstände“ (Lehmstedt-Ver-lag).

Auch der Schlesier Johannes Sziborsky hatunter dem Titel „Wenig Idylle, viel Odyssee“(Westkreuz-Verlag) seine „Jugend, die inSchlesien begann“, aufgeschrieben. Ost-preußische Kindheitserinnerungen unterdem Titel „In der Morgensonne“ bietet dieaus Gumbinnen stammende SchriftstellerinFrieda Jung (1856–1929). Das Buch, zuerst1910 erschienen, ist im Husum-Verlag wie-der greifbar, ebenso von Petra Schulz dieBeschreibung eines hinterpommerschenDorfes unter dem Titel „Tribsow“.

Schließlich muß des aus Galizien stammen-den Erzählers Joseph Roth (1894–1939)gedacht werden. Er, der mit seinen Roma-nen „Hiob“ und „Radetzkymarsch“ berühmtwurde, starb 1939 im Pariser Exil. Nun er-schien, bearbeitet von Helmuth Nürnberger,der umfangreiche Sammelband „Ich zeich-ne das Gesicht der Zeit“ mit Essays, Repor-tagen, Feuilletons (Wallstein). Als Autor au-ßerordentlich hellsichtig, emigrierte er schonam 30. Januar 1933 und schrieb an Stefan

Zweig: „Inzwischen wird es Ihnen klar sein,daß wir großen Katastrophen zutreiben … Ichgebe keinen Heller mehr für unser Leben.Es ist gelungen, die Barbarei regieren zulassen. Machen Sie sich keine Illusionen. DieHölle regiert.“

Neben Romanen, Biographien und Zeit-zeugnissen war auf der Leipziger Buchmes-se auch eine Fülle von Sachbüchern zurGeschichte und Kultur Ostdeutschlands aus-zumachen. Bei Rowohlt Berlin beispielswei-se ist das Buch „Fremde Heimat. Das Schick-sal der Vertriebenen nach 1945“ erschienen,das Begleitbuch zum zweiteiligen ARD-Filmgleichen Titels, der am 21. März ausgestrahltwurde. In diesem Buch werden aber auchdie Leistungen von Ostdeutschen benannt,die mit Fleiß, Ausdauer und Zähigkeit sicheine neue Existenz aufbauen konnten undohne die das vielgepriesene „Wirtschafts-wunder“ der fünfziger Jahre nicht möglichgewesen wäre.

Was der Verlag Schnell+Steiner mit demzweiten Band der Bau- und Kulturgeschich-te des Königsberger Schlosses von Wulf D.Wagner und Heinrich Lange geleistet hat, isttreffend – wenngleich nur umgangssprach-lich – nur mit „Stemmen“ zu bezeichnen. Aufden 392 Seiten starken ersten Band, „Vonder Gründung bis zu Regierung FriedrichWilhelms I. (1255–1740)“ zeichnen jetzt 608großformatige Seiten mit 71 Farb- und 671Schwarzweißabbildungen die Geschichtedes Schlosses von Friedrich dem Großenbis zur Sprengung 1968 nach und dokumen-tieren zudem das Schicksal der Sammlun-gen nach 1945.

Während der englische Germanist Bill Nivennoch einmal den Untergang der „WilhelmGustloff“ 1945 (Mitteldeutscher Verlag) ausnichtdeutscher Sicht beschwört („Geschich-te und Erinnerung eines Untergangs“), hatdie polnische Germanistin Renata Budziakdas Thema „Deutsch als Fremdsprache inPolen“ (Harrassowitz-Verlag) vom 16. biszum 18. Jahrhundert untersucht. Der 1933in Schlesien geborene, in Jena lebende Lite-

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Heimat als WahrheitIn Oldenburg lebt der Schlesier Horst Milde dieser Wahrheit,

wird dafür geehrt und redet darüber

raturkritiker Günter Gerstmann hat im Not-schriften-Verlag einen verdienstvollen Auf-satzband über den Lyriker Hanns Cibulka(1920–2004) veröffentlicht: „Ich habe nichtsals das Wort“, durch den dieser zum 90.Geburtstag (20. September 2010) mit einerReihe von Aufsätzen geehrt wird (s. S. 21).

Anerkennend muß auf die wissenschaftlicheAufarbeitung ostdeutscher Geschichte ver-wiesen werden, die das Herder-Institut inMarburg/Lahn seit Jahrzehnten leistet. Hiererschien, neben vielen anderen Arbeiten, einumfangreiches Sammelwerk von mehrerentausend Seiten, „Die Deutschen östlich vonOder und Neiße 1945–1950. Dokumente auspolnischen Archiven“ (2003/04). Die beidenHerausgeber Wlodzimierz Borodziej und

Hans Lemberg haben mit ihrer deutsch-pol-nischen Arbeitsgruppe eine Auswahl von1350 Zeitzeugnissen veröffentlicht, die nach60 Jahren Aufklärung bringen über dasfurchtbare Geschehen um Flucht und Ver-treibung.Wenn man die Menge von Literatur zum The-ma „Ostdeutschland“ auf der Leipziger Buch-messe gesichtet hat, dann fragt man sich,warum auch nach fast sieben Jahrzehntenimmer noch Autobiographien veröffentlicht,Spielfilme gedreht und Zeitzeugen befragtwerden. Die Erklärung ist: Die 1945 abge-trennten Ostgebiete sind ein nicht wegzu-diskutierender Bestandteil deutscher Ge-schichte, und das wird so bleiben.

Jörg Bernhard Bilke (KK)

Horst Milde, ehemaliger Oberbürgermeisterder Stadt Oldenburg und Präsident des Nie-dersächsischen Landtages, wurde von derOldenburgischen Landschaft für seine Ver-dienste um die von dieser Körperschaft desöffentlichen Rechts vertretenen Belange derniedersächsischen Kulturlandschaft mit demEhrenring geehrt. Daß dem 77jährigen be-sondere Ehre für seine Verdienste um die In-tegrität und Identität deutscher Kultur undihres Erbes gebührt, bewies er nicht zuletztmit seiner Dankesrede, aus der wir Auszügeveröffentlichen.

Wir, die wir den Zweiten Weltkrieg mit- undüberlebt haben, meinten, eine Welt voller Frie-den müsse nun entstehen. Aber es zeigtesich schon kurz danach, daß das eine leereHoffnung war. Bis heute haben die feindli-chen Auseinandersetzungen in vielen Teilen

Ehrenurkunde, wem Ehre gebührt: HorstMilde (M.) mit seinem Laudator, dem nieder-sächsischen Landtagspräsidenten HermannDinkla (l.), und dem LandschaftspräsidentenHorst-Günter Lucke Bild: Stadt Oldenburg

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der Erde kein Ende gefunden, im Gegenteil,die Kriege sind noch grausamer und längergeworden. Und so leben wir in einer Weltvoller ungelöster Konflikte. Nach Frieden,Sicherheit, Freiheit und Geborgenheit seh-nen sich die Menschen in allen Teilen derErde, die um die Bedeutung dieser Wertewissen. Wir finden sie nicht mehr in der gro-ßen weiten Welt, vielmehr in dem begrenz-ten Raum, den wir Heimat nennen. Mit derGlobalisierung schwindet nicht die Bedeu-tung von Heimat, im Gegenteil, sie verstärktsich.

Ich denke an meine Erziehung in der schle-sischen Heimat zurück. Toleranz und die Lie-be zum Vaterland gehörten als wesentlicheBestandteile dazu. Ich lernte, daß die Liebezum Vaterland drei Komponenten umfaßt:die Liebe zur Natur des Landes, die Liebe zuden Menschen in einem Land und die Liebezur Verfassung und der Regierung einesLandes in Geschichte und Gegenwart. Wennauch die Liebe zu den Regierungen aus gu-tem Grund heute keine absolute Gültigkeitmehr hat, so gelten doch die anderen Aus-sagen unvermindert fort.

Die Liebe zur Natur und die Liebe zu denMenschen eines Landes – auch zu ihrerMuttersprache – ist nichts anderes als Hei-matliebe. Sie ist ein wesentlicher, zu unse-rem Leben gehörender Wert. Heimat wieVaterland sollten aber nach dem verlorenenKrieg aus dem Bewußtsein schwinden, siegehören leider zu den großenteils verlore-nen, zum Teil verpönten oder nie erworbe-nen Wertvorstellungen. Die unverdächti-ge berühmte Fontane-Ballade „ArchibaldDouglas“, in der König Jacob zu Graf Douglassagt: „Der ist in tiefster Seele treu, wer dieHeimat liebt wie du“, gehört wohl kaum zumStoff, der in dem genannten Sinne in unserenSchulen vermittelt wird.

Heute entwickelt sich unsere technische undmarktwirtschaftliche, global ausgerichteteGesellschaft mit ihrem Wissen immer rasan-ter. Ihre moralische Reife, ihre geistig-seeli-sche Entfaltung und das damit verbundene

gesamtstaatlich verantwortungsvolle Han-deln bleiben dabei auf der Strecke. Patrio-tismus ist eine kaum noch vorhandene Tu-gend. „Und handeln sollst du so, als hing vonDir das Schicksal ab der deutschen Dingeund die Verantwortung wär’ Dein.“ Das istkein Zitat von Thilo Sarrazin, sondern vonJohann Gottlieb Fichte.

Jeder von uns hat seine eigene Geschichte,und dennoch haben wir alle eine gemeinsa-me. Weil sie gemeinsam ist, hat niemand dasRecht, sie sich als alleinigen Besitz anzueig-nen und selbstsüchtig zu interpretieren. Umaber zu dieser Auffassung zu gelangen, mußman sich seines eigenen Verstandes bedie-nen. Immanuel Kant hat dazu schon vor 230Jahren aufgefordert. Dann gibt es absolutkeinen Anlaß, die deutsche Geschichte in ih-rer Gesamtheit zu verleugnen. So ist alles,was geschehen ist, nur zu verstehen, wennes als Teil einer Entwicklung begriffen wird.

Für das ehrliche Bekenntnis gibt es Gründeder Scham und noch mehr Gründe des Stol-zes und des Selbstbewußtseins. Diese Hal-tung sind wir unseren Vorfahren, die für un-ser Land gearbeitet und gelitten haben, undgenauso den kommenden Generationenschuldig. Deutschland braucht sich nicht neuzu erfinden. Selbstbewußtsein und Stolzdürfen nicht nur in den großen Sportarenenihre kurzfristige schwarz-rot-goldene Heim-statt haben.

Mich zieht es oft genug in meine Geburts-stadt Breslau, wo man immer wahrhaftigerZeugnis von der deutschen GeschichteSchlesiens ablegt. Dort wird nach eigenemBekennen Geschichte nicht mehr deformiert,sondern zunehmend in wohltuender Weisedefiniert. Diese – jedenfalls in Schlesien an-zutreffende – Haltung macht es mir leicht,mich dort im europäischen und versöhnen-den Geist zu engagieren. Vielleicht ist dortetwas vom Geist von Lessings „Nathan demWeisen“ zurückgeblieben, einem Geist, derdie Grundlage für ein Weltbürgertum seinkönnte. Heimatbewußtsein und Weltoffen-heit, gepaart mit dem Willen zur Verständi-

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gung und zum Frieden, schließen sich nichtaus.

Dort in Breslau habe ich in meiner Kinder-zeit nicht nur das Niedersachsenlied, son-dern auch das Lied von den Nordseewellen,die im Ursprungstext die Ostseewellen sind,gelernt. „Hab’ das Glück gefunden, doch dasHeimweh blieb“, dieser Text hat erst späterseine ganze Bedeutung für mich erlangt. VorJahren habe ich einmal gesagt: „Wenn ichvon Oldenburg nach Breslau fahre, dann fah-re ich nach Hause. Und wenn ich von Bres-

lau nach Oldenburg fahre, dann fahre ichwieder nach Hause.“ Immer häufiger kommtmir dann der Text der dritten Strophe derOldenburg-Hymne in den Sinn:

Wer deinem Herde naht,Fühlt augenblicklich,Daß er hier heimisch ist,Er preiset sich so glücklich.

Recht betrachtet, ist das bei allem vorange-gangenen Unglück ein großes Glück, für dasich dankbar bin. Horst Milde (KK)

Schon 30 Jahre ist es her, daß die Polengegen das in ihrem Staat herrschende Sy-stem aufbegehrten. Bereits zuvor, vor allem1956, 1968 und 1970, zeugten Aufständevon der Unzufriedenheit mit den Regieren-den. Letzter Auslöser ist 1980 die Erhöhungder Fleischpreise am 1. August und die Ent-lassung der darüber Klage führenden Kran-führerin Anna Walentynowicz auf der Danzi-ger Leninwerft. Die lokal schon vorhandeneStreikbereitschaft greift daraufhin erstmals

auf einen wichtigen Zweig der polnischenIndustrie über. Das Streikkomitee unter LechWalesa löst sich aber nicht wieder auf, son-dern will durch den weiteren Bestand blei-bende Ergebnisse sichern. Nach langenVerhandlungen erfüllt die Regierung im Dan-ziger Abkommen vom 31. August 1980 diesogenannten „21 Forderungen“, die nebenpolitischen und sozialen Punkten auch dieZulassung unabhängiger Gewerkschaftenenthalten. Damit war der Weg frei für die

Mourir pour Danzig?Non, mais chanter!Pop-Ikone GraceJones hatte dasSolidarnosc-Zeichen in ihreIkonographieeingebunden – zumZeichen der Solida-rität

Bild: MuseumSchwarzes Roß,

Hilpoltstein

Wo die „Wende“ vom Stapel liefDas Polenmuseum Rapperswil zeigt die Anfänge des

Danziger Widerstandes in Hilpoltstein

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Gründung der „Unabhängigen Selbstver-walteten Gewerkschaft Solidarität“.

Die vom Polenmuseum im schweizerischenRapperswil erarbeitete Ausstellung „Soli-darnosc – Es begann in Gdansk“, die in Zu-sammenarbeit mit dem Büro für Regional-partnerschaften des Bezirkes Mittelfrankensowie des polnischen Generalkonsulates inMünchen im Museum Schwarzes Roß inHilpoltstein gezeigt wird, beleuchtet auch dieschwierige Geschichte des polnischen Frei-heitskampfes in den folgenden Jahren. Danach nur 16 Monaten die Gewerkschaft be-reits wieder verboten wurde, ging derenArbeit im Untergrund weiter. Anhand vonSchautafeln werden die gesamte geschicht-liche Entwicklung bis zur Gewerkschafts-gründung, die Verhängung des Ausnahme-zustandes zwischen 1981 und 1983, derKampf im Untergrund, die Ermordung desPriesters Jerzy Popieluszko und auch dieHaltung des Westens in dieser Zeit darge-stellt.

Das Polenmuseum in Rapperswil bestehtseit 140 Jahren, entstanden zu einer Zeit, alsPolen auf keiner Landkarte existierte. Exil-polen und Schweizer fanden hier eine idealePlattform, um gemeinsam gegen die totali-täre Gefahr aus dem Osten zu warnen. DerVorsitzende des Museums- und Heimat-vereins Hilpoltstein, Wilhelm Baier, konntezur Vernissage der Ausstellung neben Bür-germeister Markus Mahl, Bezirksrat FritzKörber, Altbürgermeister Leo Benz, UrsulaKlobe als Vertreterin der MarkgemeindeThalmässing und den stellvertretenden Bür-germeister Willibald Milde aus Wendelsteinauch die für den Kulturbereich zuständigeKonsulin Dr. Grazyna Strzelecka begrü-ßen.

Die Darstellung der Ereignisse vor über 20Jahren ergänzte Armin Gertz mit weiterenGedanken über den politischen Umbruch1989. Schon in den letzten Jahren der kom-munistischen Mangelwirtschaft waren inPolen kleine Betriebe in Landwirtschaft undHandwerk gegründet worden, und auch in

der Gastronomie gab es Anfänge – mitPlastikstühlen. Die im deutschen Klischee alsineffektiv abgestempelte „polnische Wirt-schaft“ ist heute ein Kompliment. TrotzWirtschafts- und Finanzkrise schafften diePolen eine Steigerung des Bruttoinland-produktes um 1,7 Prozent, während es inDeutschland um 4,7 Prozent sank. „WennDeutschland die WirtschaftslokomotiveEuropas ist, dann fährt die polnische Lokauf dem Nebengleis mindestens ebensoschnell“, verglich Gertz plastisch.

Heutige Umfragen zeigen, daß zwar 70 Pro-zent der Polen die Demokratie als besteStaatsform bezeichnen, doch nur die Hälftemit dem Zustand der Demokratie zufriedenist. Seine außenpolitischen Spielräume muß-te sich das Land erst erarbeiten, waren dochvor der Wende nur die „Bruderstaaten“ DDR,CSSR und UdSSR die Nachbarländer. Dieheutigen Nachbarn sind neu gebildete Staa-ten, die 1989 noch nicht in der Form existier-ten. Lautete die Parole der Solidarnosc ur-sprünglich: „Keine Freiheit ohne Solidarität“,so hat sich dies nach Gertz’ Auffassung heu-te völlig verändert. Heute heißt der Ruf ab-gewandelt: „Es gibt keine Solidarität mehrin der Freiheit.“

Dies bewiesen die großen Unterschiede imLande, erläuterte Gertz weiter. Dem prospe-rierenden Norden und Westen mit den Zen-tren Danzig, Posen, Breslau und Warschaustehe der arme Osten mit stagnierender Wirt-schaft, Industrieruinen und mangels Arbeits-möglichkeiten abwandernden jungen Men-schen gegenüber. Zu den Verlierern derWende zählen auch Ältere, deren Rente vonder Inflation aufgezehrt wird, Kranke, dienicht überall kompetente und moderne Be-handlung bekommen, und nicht zuletzt dieLandbevölkerung, die mit der Schließungder großen Agrarbetriebe in die Arbeitslo-sigkeit gedrängt worden ist.

Die Leninwerft existiert heute nicht mehr un-ter dieser Bezeichnung, denn die damaligeWerftleitung scheiterte an den Vorgaben derWirtschaftlichkeit – statt mehreren 1000

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Noch ist Polen nicht verlorenVielmehr kann ein jeder ein schönes Stück davon für sich gewinnen:

er-fahren, erwandern, erleben

Beschäftigten sind es dort heute nur nocheinige Hundert. Und schließlich haben diePolen eine völlig andere Wahrnehmung imUmgang mit der Atomkraft. Das geplanteKernkraftwerk, das eventuell in der RegionDanzig bis 2020 entstehen wird, sehen sieals nötig zur Entwicklung des Landes.Die Ausstellung „Es begann in Gdansk.

Solidarnosc – die kollektive Furchtlosigkeit“ist im Museum Schwarzes Roß in Hilpolt-stein bis zum 30. April zu sehen. Informa-tionen gibt es beim Museum SchwarzesRoß, Telefon 09174/978-507, oder beimAmt für Kultur und Tourismus, Maria-Doro-thea-Straße 8, 91161 Hilpoltstein, Telefon09174/978-505519. (KK)

An einem einzigen Tag um die ganze Weltreisen, Spaß, Action und Spannung für dieganze Familie am Wochenende und Informa-tion und Inspiration für den nächsten Urlaub– mit all diesen Versprechungen lud die welt-weit größte Reisemesse ITB Berlin in dieMessehallen ein. Partnerland war in diesemJahr Polen.

„Die diesjährige ITB gehört Polen“, sagteTaleb Rifai, der Generalsekretär der World

Tourism Organisation, bei der Eröffnung derReisemesse. Denn Polen ist das besonderePartnerland der ITB. Seit mittlerweile 40 Jah-ren ist dieser Nachbar Deutschlands auf derInternationalen Touristikbörse in Berlin ver-treten. Polen ist stolz darauf, stellt sich mo-dern in 3D-Technik vor und will neue Ziel-gruppen erreichen. Adam Giersz, der polni-sche Minister für Sport und Tourismus, wolltediese außergewöhnliche Chance nutzen undein neues Image von Polen vorstellen: „Wirwollen nicht nur sentimentale Reiselust derälteren Generation erwecken. Mit unseremneuen Konzept wollen wir vor allem jüngereMenschen ansprechen und sie als Touristenfür unser Land gewinnen“, unterstreicht er.

Tourismus macht die Welt schöner. Dennüberall, wo Tourismusstandorte entstehen,wird die Umgebung ansprechend gestaltet.Hier begegnen sich die Leute, es kommt zumkulturellen und gesellschaftlichen Aus-tausch. Polen will die Welt auch schöner ge-stalten und für die Nachhaltigkeit der Bran-che sorgen. Schon jetzt wird Werbung fürdie Fußballeuropameisterschaft 2012 ge-macht. Das Land rechnet mit etwa einer hal-ben Million Touristen mehr als in einem nor-malen Jahr. Warschau, Posen, Breslau undDanzig, die vier polnischen Städte, wo dieSpiele der Euro 2012 stattfinden werden,

Kommet zuhauf! Der polnische Installateur,attraktiv bis in den Hosenträger, er bleibtund lädt ein Bild: Touristikwerbung

12 KK1307 vom 25. April 2011

[email protected] im Netz Halt sucht, verheddert sich

bereiten ein besonderes Programm vor. Essoll nicht nur die Fußballfans ansprechen.Adam Giersz fände es schade, wenn Touri-sten nur für ein Fußballspiel kämen, und er-gänzt: „Wir wollen, daß sie länger bleiben unddie jeweilige Region besuchen. In der Hotel-branche und was die Infrastruktur angeht,bieten wir europäische Standards an. Dazuist Polen kulturell und landschaftlich vielfäl-tig. Wir haben Berge und wir haben die Ost-see und ein breites Angebot dazwischen.“

Reisen bildet und kann beim Abbau von Kli-schees helfen. Rainer Brüderle, der Bundes-minister für Wirtschaft und Technologie,sprach die politisch-wirtschaftliche und so-ziale Ebene der Beziehungen zwischenDeutschland und Polen an: „In der zweitenHälfte dieses Jahres hat Polen die Rats-präsidentschaft in der EU, also quasi dieFührung Europas inne“, erinnerte Brüderleund unterstrich dabei, daß beide Länderpolitisch, aber auch in dem breiten Wirt-schaftsfeld glänzend zusammenarbeiten.Auch der Tourismus zwischen Polen undDeutschland floriere: „Viele Deutsche sindneugierig auf ihr Nachbarland, nutzen dieMöglichkeiten, Polen kennenzulernen. DasLand präsentiert sich hier als ein traumhaf-tes Reiseziel. Die Menschen in Polen habendiese unwiderstehliche Mischung aus Herz-

lichkeit, Höflichkeit, Charme und Tiefgang.“All dies führe die beiden Völker weiter zu-sammen und fasziniere alle.

Reizvoll ist auch die polnische Küche. Recht-zeitig zu der Internationalen Touristikbörseund parallel zu der Fotoausstellung „Polenentdecken“ veranstaltete Hotel Steigenber-ger, Berlin, die „Woche der polnischen Kü-che“. Angeboten wurde das Beste aus demWasser, der Luft und dem Wald. Das Küchen-team des Schloßhotels Galiny in Masurenüberraschte in der Bundeshauptstadt mitpolnischen Spezialitäten. Joanna Mijalska-Palyska, Inhaberin des SchloßkomplexesGaliny, stellte ein sich alle drei Tage ändern-des Menü vor und hob dabei ihr Lieblings-gericht hervor: „Etwas ganz Besonderesunter allen Gerichten ist die polnische Ente,wohlschmeckend und wohlbekannt. Alles,was wir anbieten, Kräuter, Obst, Gemüse undFleisch, stammt aus ökologischem Anbau.Und die Marke Masuren steht für ausge-zeichnete, gesunde regionale Küche.“

Polen regt die Phantasie an und begeistert.Jede Jahreszeit ist geeignet für einen Urlaub.Und Polen heißt jeden willkommen. Interes-sante Tourismusideen für das Land findensich unter www.poland.travel/de.

Arkadiusz Luba (KK)

Der Laptop lag auf dem Boden, der Bild-schirm wurde gnadenlos blau, alle Segel-boote waren untergegangen, und es war still.Mein Sohn umarmte mich, wir standen dawie beim Begräbnis. Jemand ganz Naheste-hender, ein täglicher Begleiter hatte michverlassen, und seine Abwesenheit stieß michin die Vorzeit zurück. Ein Urmensch häm-merte wild auf der toten Tastatur herum, aus-gestoßen von der globalen Gemeinschaft

fiel ich durch die Maschen des Netzes in einekalte, haltlose Welt. Keine Datei, keine Mail,keine Liebe, keine Freundschaft, keine Ar-beit. Mein Trauma des Exils meldete sich,die Verlustangst weckte alte Bilder vom Kal-ten Krieg: die Todeszone, der Eiserne Vor-hang, die weite träge Donau, das Heimweh,und ich war wieder sprachlos und mußte beiden strengen Eidgenossen bei Null anfan-gen.

13KK1307 vom 25. April 2011

In einem Hinterhof beim Bahnhof nahm sichein junger Secondo meiner Reintegration an.Das Genie lebt versteckt, hat kein scharf-geschnittenes edles Rittergesicht, und dochrettet er Unglückliche vor dem Verschwindenin der netzlosen Leere. Bescheiden ist er,meinen Gefühlsüberschwang, als ich die ver-trauten Dateien als weiße Segel auf dem Bild-schirm erblickte, nahm er zurückhaltend ent-gegen. Bloß ein scheues Lächeln, dieserFluchthelfer ahnt nicht, daß er Ertrinkende ausden Fluten zieht, aus dem Nichts die Welt er-schafft, die Verwirrten zum Kern des Seinszurückführt. Eine Medaille müsste man ihmverleihen, sein Name soll zum Begriff der Gütein den Modern Times werden, die unschein-bare dickliche Gestalt der Jugend als Vor-bild dienen. Mit dem wieder zum Leben er-weckten zarten Gerät auf dem Gepäckträgerradelte ich nach Hause, fest entschlossen,daß unterwegs eher ein Lastwagen umkip-pen als der Laptop vom Rad fallen sollte.

Bald darauf mußte ich wieder Abschied neh-men von ihm, begab mich auf Lesereise in

meine alte Heimat, wachte jeden Morgen ineinem anderen Zimmer ohne Internetan-schluß auf. Sah ich auf der Straße Schildermit Pekárna, Cukrárna (Bäckerei, Süßwaren),roch ich wieder die Kindheit und verdrücktesüsse Mehlspeisen mit Unmengen Mohn.Doch der berauschende mitteleuropäischeMohnkult konnte nicht mehr mit der Eupho-rie konkurrieren, die mich auf der Strasseirgendeiner tschechischen oder slowaki-schen Stadt beim Anblick eines gelben Schil-des @internet überflutete. Das Belohnungs-system im Gehirn versprach Süßes, Auf-regendes, Glückshormone Schwall umSchwall. Das selektive Gehirn hat offenbarnur gute Erfahrungen aus dem digitalenRaum gespeichert.

Früher, vor der grauen Zeit des Internets, galtdas Glücksgefühl jenem Gerät, aus dem einKlingeln kam. War ich auf Reportage überdie Mafia im russischen Fernen Osten, starr-te ich im Büro des Paten auf das süße schwar-ze Ding auf seinem Schreibtisch und fragtezitternd, schon tagelang auf Entzug, ob ichanrufen dürfe. Er nickte, und ich bekam mei-ne Dosis. Oder das Glückshormon über-schüttete mich bei dem metallenen Geräuschdes Auf- und Zuklappens von Briefkästen,wenn in der Basler Friedensgasse um 11 Uhrder Briefträger vorbeikam. Später erkanntedas Belohnungssystem das piepsende Ge-räusch des Faxgeräts.

Angekommen im Büro einer Universitäts-dozentin, eines Radioredakteurs, meinertschechischen oder slowakischen Verlege-rin, fragte ich in diesem Winter immer wie-der beschämt, ob ich meine Mails checkendürfe, im sehnlichen Verlangen nach einerViertelstunde digitaler Intimität. Ich über-spielte die Aufregung über das bevorste-hende Glück, das aus der @heimat zu kom-men versprach, bemüht, kühl zu wirken wieeine Geschäftsfrau, die bloß Termine im Kopfhat. Dabei trage ich die globale Vernetzungim Herzen, nein, umgekehrt, die feinen Ge-fäße umspannen das pochende kollektiveHerz selbst.

Irena Brezná (KK)

Blumig und doch so übersichtlich: die Welteiner Banater Schwäbin, fotografiert vonFrank Gaudlitz Bild: siehe nächste Seite

14 KK1307 vom 25. April 2011

Rückständig? LebendigFrank Gaudlitz gönnt Menschen in Südosteuropa den zweiten Blick

Die EU hat in den letzten Jahren den Donau-raum als historisch gewachsene Einheitwiederentdeckt. Seit 2009 wird an einer „eu-ropäischen Donaustrategie“ gearbeitet. DasLand Baden-Württemberg – und hier insbe-sondere die Stadt Ulm – ist an dem Vorha-ben aktiv beteiligt. Mit der Ausstellung „CasaMare“ (rumänisch für großes Haus, gute Stu-be) wird ein wichtiger Schritt zur Annä-herung an diesen geographischen Raumunternommen. Ulm ist übrigens die erstesüddeutsche Stadt, in der die Sonderaus-stellung gezeigt wird. Es handelt sich um einProjekt der Koordinierung Ostmittel- undSüdosteuropa am Museum EuropäischerKulturen, Staatliche Museen zu Berlin, dasvom Beauftragten der Bundesregierung fürKultur und Medien sowie von der StiftungKunstfonds Bonn gefördert wurde.

Zu sehen sind Fotografien, die der 1958in Vetschau/Spreewald geborene FrankGaudlitz in einer Zeitspanne von rund zweiJahren während seiner Reisen durch süd-osteuropäische Länder aufgenommen hat.Im Mittelpunkt stehen Menschen unter-schiedlicher Ethnien und Konfessionen, diein ihrer „guten Stube“ für den Fotografenposierten. Wer allerdings Schnappschüsseaus dem Alltagsleben der Bewohner erwar-tet, wird eines Besseren belehrt. Der Fo-tograf hat die Menschen aus den multi-ethnischen Regionen Rumänien und Süd-westungarn, aus der Schwäbischen Türkei,Serbien und der Republik Moldau aufgefor-dert, sich fein „herauszuputzen“ und sich inihrer privaten Umgebung zu zeigen. Vielewählten als Hintergrund die „gute Stube“, diein der Regel feierlichen Anlässen vorbehal-ten ist.

Bei einem Rundgang durch die Ausstellungist festzustellen, daß die jungen und altenFrauen und Männer verschiedenen Bildungs-und Gesellschaftsschichten sowie allenmöglichen Berufsgruppen angehören. Auch

die Räumlichkeiten sind unterschiedlich de-koriert, je nach den kulturellen Traditionen,die in der Region herrschen. Unter den Por-trätierten befinden sich Deutsche, Rumänen,Ungarn, Tataren, Türken und Serben.

Die Fotoschau „Casa Mare“ ist im DZM Ulmnoch bis zum 26. Juni 2011 zu besichtigen.

Ausstellungsbegleitend wird eine Lesungmit dem Langenauer Literaturquartett „LaLit“angeboten, die am 26. April und am 22. Maiin der Ausstellung stattfindet. Unter demMotto „Mir war, als hätte ich ein verlorenesParadies entdeckt“, stellen zeitgenössischeAutorinnen und Autoren die Eindrücke einerliterarischen Reise durch Europas Südostenvor. Sie beschreiben ein „Europa der An-dersartigkeit und gleichzeitig der Verlok-kung, eine scheinbar rückständige und dochso menschliche Welt“. (KK)

Anzug und Glieder mögen steif sein, dasGesicht ist es nicht: ein Rumäne in seinerguten Stube Bilder aus der Ausstellung

15KK1307 vom 25. April 2011

Sie lehren lesenSiebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis für P. Motzan und S. Sienerth

Der Siebenbürgisch-Sächsische Kultur-preis, die höchste von Siebenbürger Sach-sen vergebene Ehrung für wissenschaftli-che und künstlerische Leistungen, wurde fürdas Jahr 2011 zu gleichen Teilen den Ger-manisten und LiteraturwissenschaftlernProf. h. c. Dr. Stefan Sienerth und Prof.h. c. Dr. Peter Motzan zuerkannt. Der Preiswird in feierlichem Rahmen am Pfingst-sonntag während des Heimattages derSiebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl verlie-hen.

Die beiden Preisträger Stefan Sienerth undPeter Motzan haben in Lehre und Forschung,als Autoren und Mitverfasser, als Heraus-geber und Mitherausgeber von jeweils über30 Büchern und zahlreichen Studien undAufsätzen, aber auch als Mitglieder wissen-schaftlicher Kollegien und Einrichtungenentscheidende Beiträge insbesondere zurdeutschen Literatur in Siebenbürgen und zuderen Geschichte erbracht.

Vorrangig die neuere deutsche Literatur be-treffen die Beiträge von Peter Motzan, der,1946 in Hermannstadt geboren, Hoch-

schulassistent und Dozent an der Universi-tät Klausenburg und nach der AusreiseVertretungsprofessor an der UniversitätMarburg war, wissenschaftlicher Mitarbei-ter – seit 2006 stellvertretender Direktor –des Instituts für deutsche Kultur und Ge-schichte Südosteuropas (damals Südost-deutsches Kulturwerk) und Lehrbeauftrag-ter der Universität München ist.

1948 in Durles geboren, war Stefan SienerthHochschulassistent an den Hochschulen inNeumarkt und Hermannstadt, wissenschaft-licher Mitarbeiter am Forschungsinstitut fürSozial- und Geisteswissenschaften in Her-mannstadt. Nach der Ausreise 1990 wurdeer wissenschaftlicher Mitarbeiter – seit 2005Direktor – des Instituts für deutsche Kulturund Geschichte Südosteuropas und ist Lehr-beauftragter der Ludwig-Maximilians-Uni-versität München. Seine Beiträge reichenzurück bis zu den Anfängen der deutschenLiteratur in Siebenbürgen, wobei er sichauch um die Dokumentation und Erfor-schung der siebenbürgisch-sächsischenMundart verdient gemacht hat. (KK)

Angela Merkel ist in Polen zur „Politikerin des Jahres" 2010 gekürt worden.In einer Umfrage des Instituts CBOS erreichte die Bundeskanzlerin in der Kategorie auslän-discher Politiker mit zwölf Prozent aller Nennungen den ersten Platz vor dem amerikani-schen Präsidenten Obama, der von neun Prozent der Befragten genannt wurde. Im inländi-schen Wettbewerb siegte das liberalkonservative Lager mit Ministerpräsident Tusk (elf Pro-zent) und Präsident Komorowski (zehn Prozent). Im Frühjahr 2010 hatte eine Umfrage ge-zeigt, daß nur noch 14 Prozent der befragten Polen Deutschland für eine Bedrohung halten;noch 1990 waren es 88 Prozent gewesen. (F.A.Z.)

Polnische Projekttage für Schulen in Nordrhein-Westfalen organisiert das Pol-nische Institut Düsseldorf im Rahmen des 20jährigen Jubiläums des Deutsch-PolnischenJugendwerks und des Jubiläumsprojekts „dzien.de/der-tag.pl“ mit Förderung des LandesNRW. Am 19. und 26. Mai und dem 16. Juni stehen von 9.45 bis 16.45 Uhr deutsch-polni-sche Geschichte, Politik, Polen – Deutschland – EU, Landeskunde Polen, SchnupperkursPolnisch und polnische Literatur auf dem Programm. (KK)

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Bücher und Medien

Fragen, mahnen, künden von„bleibenden Dingen“

Leonore Krenzlin und Klaus Weigelt (Hg.):Ernst Wiechert im Gespräch. Begegnungenund Einblicke in sein Werk. Schriften der In-ternationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft,Band 4, Berlin/New York 2010, 301 S.

Die 1989 gegründete Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft (IEWG) ist bereits mitdrei Bänden in ihrer Schriftenreihe an dieÖffentlichkeit getreten. 1993 erschien „ErnstWiechert heute“, 1999 „Zuspruch und Trö-stung“ und 2002 „Von bleibenden Dingen“.(Diese Sammelbände wurden in einemSelbstverlag in Frankfurt a. M. gedruckt.) Ihrehohe Qualität führte dazu, daß der renom-mierte Literaturverlag de Gruyter an dieIEWG herantrat, um die Gesellschaft für wei-tere Publikationen zu gewinnen. Das ist mitdem jetzt vorliegenden Band 4 in überzeu-gender Weise gelungen.

Die beiden Herausgeber sind Vorstandsmit-glieder der IEWG, Weigelt darüber hinausGründungsmitglied. Er schildert im Ein-gangsartikel unter dem Titel „Ernst Wiechertin der Gegenwart“ die über 20jährige Ge-schichte der Gesellschaft, die seit 1998 auchMitglied der Arbeitsgemeinschaft Literari-scher Gesellschaften (ALG) in Berlin ist.

Der Sammelband enthält 14 Beiträge in denzwei Teilen: „Zeit und Zeitgenossen“ und„Einblicke in Wiecherts Werk“. Die BerlinerLiteraturwissenschaftlerin Leonore Krenzlinsteuert für beide Teile drei entscheidendeAufsätze bei. So beschreibt sie in einfühl-samer Weise das zwischen Animosität undEinsicht gespannte Verhältnis zwischenThomas Mann und Ernst Wiechert. ThomasMann hat nach dem Krieg seine ursprüng-lich auch gegen Wiechert gerichtete „Vorein-

genommenheit gegen die Innere Emigrati-on zugunsten einer künftigen Verständigung... beiseite gelegt“. Als literaturwissenschaft-licher Höhepunkt ist die Auseinanderset-zung mit Wiecherts unveröffentlichtem Ro-manerstling „Der Buchenhügel“ zu werten,dessen schwer zu lesendes, 500 Seiten star-kes Manuskript im Archiv des MuseumsStadt Königsberg von Leonore Krenzlin tran-skribiert wurde. Unter dem verheißungs-vollen Titel „Geisterreigen und Masuren-schwermut“ setzt sie sich mit WiechertsErstwerk auseinander und fügt ihrem Auf-satz aufschlußreiche Leseproben aus demRoman bei. Schließlich befaßt sich LeonoreKrenzlin in „Respektverweigerung und Ent-wurf eines Gegenwelt“ mit dem spannendenund oft auch humorvollen Roman „DerExote“.

Der frühere Vorsitzende der IEWG (1997–2002) und Ernst-Wiechert-Preisträger derStadtgemeinschaft Königsberg (2009),Hans-Martin Pleßke, hat zu Ernst WiechertsVerhältnis zu Schriftstellerkollegen seinerZeit einen umfang- und kenntnisreichen Bei-trag geleistet. Pleßke war mehr als vierzigJahre wissenschaftlicher Bibliotheksrat ander Leipziger Bücherei, wo er schon in den1950er Jahren über Wiechert publizierte. ImAugust 2010 ist er verstorben und hat dasErscheinen dieses Buches nicht mehr erlebt.

Weitere bemerkenswerte Aufsätze des er-sten Teiles sind zum einen die aufschluß-reichen Forschungsergebnisse zu ErnstWiechert in der Königsberger Schulpolitikgegen Ende der Weimarer Republik, die Chri-stian Tilitzki unter dem Thema „Abschiedvom Hufengymnasium“ vorlegt. Danebenfindet der Leser einen interessanten Beitragdes evangelisch-reformierten TheologenJürgen Fangmeier über „Katholisches beiErnst Wiechert?“. Ergänzt werden die Arbei-ten durch die neue Wege beschreitende Ana-

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lyse des polnischen Germanisten MarcinGolaszewski über „August Graf von Galenund Ernst Wiechert“, und die Dokumentati-on des Wiechert-Sammlers Werner Kotte,der sechs Beispiele von Illustrationen zuWerken des Dichters kommentiert.

Die Werkanalysen des zweiten Teiles behan-deln die Novelle „Die Gebärde“, die Matthi-as Büttner als „Mahnung zur Menschlichkeit“interpretiert, die Gestalten von Vätern unddas Bild des Lehrers im Werk von ErnstWiechert, die von der Germanistin BärbelBeutner, der Vorsitzenden der IEWG, detail-liert bearbeitet werden, ergänzt von JürgenFangmeier, der sich mit dem Kind in ErnstWiecherts Novellen befaßt. Den Abschlußdes Sammelbandes bildet unter dem Titel„Offenbarung und Eingang in eine andereWelt“ eine profunde Auseinandersetzung mitdem das Werk des Dichters durchziehen-den Leitmotiv „Leiden und Erlösung“.

Der Band enthält viel Neues, auch für denKenner der Werke Ernst Wiecherts, viel Über-raschendes und Aufschlußreiches. Die Auf-sätze unterstreichen nicht nur die Tatsache,daß Ernst Wiechert auch heute noch im Ge-spräch ist, sondern auch seine ungebroche-ne Aktualität, übrigens auch im internationa-len Rahmen; das beweisen die zahlreichenÜbersetzungen seiner Werke in viele Spra-chen. 2012 steht der 125. Geburtstag desDichters bevor. Man darf gespannt sein, wasüber Ernst Wiechert bis dahin noch zu hö-ren sein wird. Joachim Hensel (KK)

Einen Begriff begreifen

Annemarie Weber: Rumäniendeutsche? Dis-kurse zur Gruppenidentität einer Minderheit(1944–1971), Böhlau, Köln, Weimar, Wien2010, 342 S., 44,90 Euro

Wer als Deutscher in Rumänien geborenwurde, bezeichnete sich meist auch so, und

auch für die Mehrheit der Bevölkerungwar man „german“ oder umgangssprach-licher „neamt“. Mit der Übersiedlung nachDeutschland bekam man den StempelRumäniendeutscher aufgedrückt. Dabei istder Begriff vielleicht sogar ein Import ausRumänien. Annemarie Weber hat sich inmehrjähriger Forschungsarbeit mit der Ent-stehungsgeschichte dieses Begriffs in Ru-mänien befaßt und darüber promoviert.Jüngst ist das Buch dazu im Böhlau Verlagerschienen. Das gewichtige Werk vereinteine akribische Recherche in mehreren Zei-tungen und Wochenschriften: die „Kirchli-chen Blätter“, „Die Freiheit“, die „TemesvarerZeitung“ und vor allem der „Neue Weg“ ausden Jahren 1949–1971.

Ausgegangen ist die Autorin von ihrer Fest-stellung, daß die „rumäniendeutsche Lite-ratur“ erst Anfang der 1970er Jahre „sichgleichsam selbst erfunden“ habe, als Be-schreibungsmerkmal einer selbstbewußtenGeneration junger Schreibender. Wer aberhat den Begriff ins Spiel gebracht? Dem galtes nachzuspüren.

Davor gab es hierfür die Bezeichnungen „Li-teratur der deutschen mitwohnenden Natio-nalität“, und noch früher „deutsches Schrift-tum der Rumänischen Volksrepublik“ oderaber „deutsche Gegenwartsliteratur derRVR“. Später umfaßte der Begriff neben dersiebenbürgisch-sächsischen und banat-schwäbischen auch die bukowinadeutscheLiteratur der Zwischenkriegszeit – damalshatte die Bukowina zu Rumänien gehört.

So stellt Weber fest, daß „die Rumänien-deutschen“ ein Ergebnis der rumänien-deutschen Literaturgeschichtsschreibungsind: „. . . sie wurden in literaturhistorischenZuordnungen als Träger dieser Literatur be-nötigt und kommen außerhalb des literari-schen Diskurses bis einschließlich 1971 inder Publizistik nicht vor“. Die rumänien-deutsche Literatur selbst wird 1971 zu ei-nem Identifikationsbegriff einer jungen pu-blizistischen Elite, indem sie sich von derHeimatliteratur der Sachsen und Schwaben

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„. . . durch vieljährige mühsameReisen collagiret“

abgrenzt und ihre Zugehörigkeit zum Rumä-nien Ceausescus artikuliert.

Die Rumäniendeutschen sind also eine Er-findung der Literaten und somit chronolo-gisch jünger als die gleichnamige Literatur.Letztere wurde vom Bukarester Germani-sten Heinz Stanescu 1966 zum ersten Malerwähnt. Doch wurden sie umgehend in dendeutschsprachigen politischen und literari-schen Diskurs jener Zeit aufgenommen, be-merkt die Autorin und spricht gar von einemMythos.

Um zu diesen Schlüssen zu gelangen, ana-lysiert die Autorin die erwähnten Publikatio-nen sehr genau und beschreibt die einzel-nen Diskurse, die sie mit zahlreichen Text-stellen belegt. Ergänzt wird die Zeitungs-recherche durch ein Kapitel über den sozia-listischen Realismus. Annemarie Weber er-wähnt die nationalen Akzente der Zwischen-kriegsliteratur, beschreibt, wie sich dienationalsozialistische „volksdeutsche“ Ide-ologie des sächsischen Nationalbewußtseins zu bemächtigen versuchte, etwa inden „Kirchlichen Blättern“. Hier stellt sieauch, wo es um die Schuldfrage geht, einenRechtfertigungsdiskurs fest. Ganz andersbei der sozialdemokratischen „Freiheit“ inTemeswar, wo Weber einen Gerechtigkeits-diskurs diagnostiziert, der Juden und Deut-sche auf die gleiche Stufe stellt. Aber auchhier wird die Unschuld der Gruppe, der Deut-schen in Rumänien, behauptet und dement-sprechend ihre ungerechte Bestrafung an-geklagt. Der Hauptteil der Arbeit widmet sichdem „Neuen Weg“. Erst das letzte Kapiteldieser ausführlichen Analyse behandelt, ne-ben der Einleitung, die rumäniendeutscheLiteratur.

Die Autorin war Redakteurin der als „Her-mannstädter Zeitung“ gegründeten „Wo-che“, später der Kronstädter „Karpaten-rundschau“ – ihr Insiderblick kommt der Ar-beit zugute. Die Recherche zeugt von gro-ßem Fachwissen und der Liebe zum Detail.

Und so würde man sich wünschen, daß dieArbeit, die nur bis ins Jahr 1971 geht, fort-

gesetzt wird und zutage fördert, wie derBegriff sich später durchgesetzt hat bzw.wie er nun teils in Zweifel gezogen wird, etwavon Peter Motzan: „Die Attribuierungrumäniendeutsch, die neben anderenIdentitätsabstempelungen wie ‚deutsch-stämmige Rumänen‘, ‚deutsch-rumänische‘Autoren oder gar ‚deutsch schreibende Ru-mänen‘ als Markenzeichen durch die Medi-en flimmerte, empfinden sie [die so apostro-phierten Autoren] als restriktive Zuordnung,ihr Selbstbehauptungswille zielt auf ästheti-sche Bewertung ohne Rabatt.“

Edith Ottschofski (KK)

Angelika Marsch: Friedrich Bernhard Wer-ner (1690–1776). Corpus seiner europäischenStädteansichten, illustrierten Reisemanus-kripte und der Topographien von Schlesienund Böhmen-Mähren. Anton H. Konrad Ver-lag, 89264 Weißenhorn, XXIV und 674 Seiten,985 Abbildungen, 128 Euro

Der 1690 im Kamenzer Stiftsdorf Reichen-au geborene, 1776 in Breslau gestorbeneFriedrich Bernhard Werner gilt als der „pro-duktivste europäische Ansichtenzeichnerder ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“. Erhat, vor allem in jungen Jahren, ganz Mittel-europa von der Nordsee bis Sizilien undvom Baltikum bis Frankreich durchreist –teilweise unter abenteuerlichen Umständen,die er in seiner hier mit abgedruckten Auto-biographie anschaulich beschreibt – unddabei, in gekonnter Manier und mit großerPräzision, Tausende von Zeichnungen mitStädteansichten und Bauwerken aller Art inrund 1750 Orten angefertigt.

Über 3500 dieser Zeichnungen, einschließ-lich der vorhandenen Kopien über 5000, hat

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Selbst traumatische Erinnerungenkönnen verbinden

die Autorin europaweit in 68 Sammlungenin jahrelanger, mühevoller Arbeit ermittelt, mitallen nötigen Angaben versehen registriertsowie privat kopiert, so daß der vorliegen-de voluminöse, großformatige Band dasGesamtwerk Werners in eindrucksvollerWeise dokumentiert und für die künftigenBenutzer mustergültig aufbereitet.

Seiner schlesischen Heimat hat Werner über-dies einen unschätzbaren Dienst dadurcherwiesen, daß er sie in Bild und Wort porträ-tiert hat in einer eigenen „Topographie Schle-siens . . ., das ist Präsentation und Beschrei-bung derer Städte, Flecken, Klöster, Schlös-ser, Rittersitze und adlichen Häusern, Gär-ten, Kirchen, Dorffschafften etc., durch viel-jährige mühsame Reisen colligiret oder zu-sammengetragen“. Hinzu kommt eine sepa-rate Topographie der Grafschaft Glatz, dieerst 1742 an Schlesien fiel, sowie eine Serieder evangelischen schlesischen Friedens-,Gnaden- und Bethauskirchen. Werner woll-te nach eigenen Worten bewußt etwas fürsein Heimatland tun: „Wir haben gewisseVerbindlichkeiten gegen unser Vaterland,unter welche mit Recht die Pflicht gehöret,alle merckwürdigen Begebenheiten, so sichdarinnen zugetragen, auf die Nachwelt fortzu pflanzen.“

Das von Angelika Marsch erstellte Gesamt-verzeichnis der Ansichten Schlesiens nennt746 Orte mit 1470 Ansichten, von denen 106auf Breslau entfallen. Viele von ihnen sind inkleinerem oder größerem Format im Buchabgebildet. Hinzu kommen ausführliche text-liche Detailinformationen sowie hilfreicheKonkordanzen der Ortsnamen.

Wer wissen möchte, wie Schlesien um dieMitte des 18. Jahrhunderts ausgesehen hat,voran seine vielen Klöster, Dom-, Pfarr- undWallfahrtkirchen, wird nach diesem Doku-mentarband greifen. Er ist ein Jahrhundert-werk, eine Schatzgrube ohnegleichen, für diewir nach Friedrich Bernhard Werner seinerErbverweserin Angelika Marsch nicht genugdanken können.

Josef Joachim Menzel (KK)

Die Premiere eines Kinodokumentarfilmsunter dem Titel „Aber das Leben geht wei-ter“, gefördert mit Mitteln des BKM und derStiftung für deutsch-polnische Zusammen-arbeit, findet auf dem Neissefilmfestival vom4. bis zum 8. Mai im deutsch-polnisch-tsche-chischen Dreiländereck statt. Ab dem 19.Mai wird der Film dann bundesweit inProgrammkinos zu sehen sein. Auch Ver-triebenenorganisationen sowie Deutsch-Polnische Gesellschaften haben bereits ihreUnterstützung zugesagt. Außerdem hat derLeiter der Kinemathek im Deutschen Histo-rischen Museum in Berlin den Film begut-achtet und wird ihn im Juni präsentieren. Dieswird in Kooperation mit der Stiftung Flucht,Vertreibung, Versöhnung geschehen, dieden Film gesichtet hat und ihn als sehr se-henswert betrachtet.

Der Film von Karin Kaper und Dirk Szuszieswird neben den Kinovorführungen auch invielen Sonderveranstaltungen zu sehen sein.Es ist geplant, die Dokumentation das gan-ze Jahr über einzusetzen.

Drei polnische und drei deutsche Frauen ausmehreren Generationen, deren Familien-geschichten sich nach Ende des ZweitenWeltkrieges auf dramatische Art kreuzen,setzen zum Thema Flucht und Vertreibungbewußt ein Zeichen der Annäherung. DerFilm erzählt sehr privat ein jahrzehntelangesbesonderes Kapitel in den deutsch-polni-schen Beziehungen. Kommentarlos kommendie Frauen zu Wort und lassen den Betrach-ter Anteil nehmen an ihrer subjektiven Sichtder Ereignisse. Entstanden ist ein Film überHeimat, Krieg, über das Überleben in derFremde, darüber, wie die große Geschich-te in das Dasein der Menschen hineinblitztund die Lebensbahnen durcheinanderwir-belt.

Ilse Kaper, die Mutter der Regisseurin, ist1931 geboren. Ihre einzig noch lebende

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Schwester, Hertha Christ, ist sechs Jahreälter. Sie sind Töchter des BauernpaarsHedwig und Gustav Queißer, das den seitGenerationen in Familienbesitz befindlichenHof 25 km östlich von Görlitz bewirtschaf-tete, in dem damaligen Dorf Niederlinde,heute Platerówka.

Lange blieb Niederlinde von Kampfhandlun-gen verschont, bis im März 1945 die Kata-strophe über die Familie hereinbrach. DasDorf flüchtete mit Sack und Pack vor denheranrückenden Einheiten der Roten Armee.Der Vormarsch geriet ins Stocken, die Men-schen kehrten zurück. Auf dem Rückzugnach Westen quartierte sich die Pfrunds-berger SS im Dorf ein. Als die Front näher-rückte, sprengte sie die Brücken im Dorf undzog ab. Die Bevölkerung allerdings konntedem Einmarsch der Roten Armee nicht mehrentkommen. Im Juni 1945 schickte diese dieDeutschen über die Neiße, um vor der An-kunft der polnischen Neusiedler alles Wert-volle in Ruhe abtransportieren zu können.Der Familie Queißer war nicht bewußt, daßihr Heimatdorf Polen zugesprochen wurde.Nochmals kehrten sie zurück, begannen dieErnte einzuholen, bis die polnische Miliz insDorf kam.

Edwarda Zukowska mußte sechzehnjährigals Mitglied einer sechsköpfigen Bauern-familie miterleben, wie die sowjetische Ar-mee sie am 10. Februar 1940 alle aus ihremDorf in den ehemaligen Ostgebieten Polensvertrieb und nach Sibirien zur Zwangsarbeitdeportierte. Nach dem Überfall Deutsch-lands auf die Sowjetunion amnestierte Sta-lin zunächst die in den Lagern vegetieren-den Polen. Für Edwardas Familie beganneine Odyssee, die sie bis nach Kirgistan führ-te. 1943 erhielt sie den Einberufungsbefehlin die Rote Armee. Später erlebte sie ohn-mächtig den Untergang Warschaus. NachEnde des Krieges bekam sie den Marsch-befehl, sich in dem niederschlesischen DorfNiederlinde einzufinden. Ihrerseits der Hei-mat beraubt, sollte sie nun mit dem Hof derFamilie Queißer entschädigt werden. Es ge-

lang ihr, ihre Familie aus Kirgistan nachkom-men zu lassen.

Ein Jahr noch lebten die Queißers zusam-men mit Edwardas Vater auf ihrem Hof. DasZusammenleben war äußerst schwierig,aber geprägt von seltenem menschlichenMitempfinden. Im Juni 1946 wurden die Deut-schen endgültig aus dem Dorf vertrieben,nach langer Irrfahrt landete Familie Queißerin Syke bei Bremen. Die Töchter überlebtenals Mägde und billige Arbeitskräfte, sorg-ten dann bald für das „Deutsche Wirtschafts-wunder“, während Edwarda und ihre Fami-lie in die Zwänge neuer kollektiv geführterLandwirtschaft geriet.

Der Film berücksichtigt nicht nur diese wich-tigen historischen Aspekte, er wirft auch einLicht auf die Entwicklungen der Nachkriegs-zeit sowie spätere Jahrzehnte bis heute.Karin Kaper erinnert an die erste gemeinsa-me Reise 1975 mit ihrer Mutter in deren Hei-matdorf, das nun Platerówka heißt. MariaWojewoda, die Tochter Edwardas, verkör-pert die erste polnische in Platerówka ge-borene Generation. Und Gabriela Mat-niszewska, die Enkelin Edwardas, vollziehtden Sprung aus der Gegenwart heraus ineine deutsch-polnische Zukunft, die im Be-wußtsein der historischen Verantwortungneue Möglichkeiten eröffnet.

Kontakt und Information: Karin Kaper Film,Naunynstraße 41a, 10999 Berlin, Telefon030/61507722, www.karinkaper.com.

(KK)

Mit dem wichtigsten tschechischen Litera-turpreis, Magnesia Litera, der zum 10.Mal vergeben wurde, ist die tschechischeSchriftstellerin Radka Denemarková, dieihn schon 2007 für ihr Buch „Ein herrlicherFlecken Erde“ und 2009 für eine Biographieerhalten hat, nun als Übersetzerin von HertaMüllers Roman „Die Atemschaukel“ geehrtworden. (KK)

21KK1307 vom 25. April 2011

Literatur und Kunst

Anleitung zum bewußten LebenIm sozialistischen Dämmer der DDR hat der Dichter Hanns Cibulka

vorweggeschrieben, was heute noch erleuchtend wirkt

Hanns Cibulka, der zu den meistgelesenenSchriftstellern der DDR gehörte, wäre am 20.September 2010 neunzig geworden. Ausdiesem Anlaß erschien im NOTschriften-Ver-lag Radebeul ein Gedenkbuch („Ich habenichts als das Wort“), worin sich namhafteAutoren, u.a. Gerhard Wolf, Uwe Grüning

sowie die Tochter des Dichters zu seinemlyrischen Œuvre sowie zu seiner umfang-reichen Tagebuchproduktion äußern.

Wir erleben eine vielgestaltige Welt, unsereZeit und ihre Menschen. Ein Strom von Teil-nahme und Mitleiden durchleuchtet sie.Hanns Cibulka hat eine Atmosphäre sozia-ler und kultureller Verantwortung bilden ge-holfen, und er ist dafür als ein „Jahrhundert-zeuge“ bezeichnet worden, der das vergan-gene Säkulum nicht nur durchlebt, sonderngewissermaßen protokolliert hat. Für ihnwaren seine Tagebücher „mehr als Reflexio-nen, sie sind immer auch Orientierung“ – undsomit ein Angebot für einen Gesprächspart-ner, der sich auf der Suche nach einem „prä-gnanten Punkt“ und damit einer Anleitungzum bewußten Leben befindet.

Der 2004 verstorbene Schriftsteller, derüber dreißig Jahre die Heinrich-Heine-Biblio-thek in Gotha geleitet hat, schrieb schon1982 Reflexionen nieder, die im Hinblick aufdie jüngsten Ereignisse in Japan von bestür-zender Gegenwärtigkeit sind. So beschreibtHanns Cibulka die Schönheit der Inselland-schaft Rügens, wobei ihn gleichzeitig derGedanke quäle, daß der Mensch die techni-schen Kräfte, die er „anrufe“ und in Bewe-gung setze, nicht beherrschen und im Maß-losen nicht mehr das „rechte Maß“ findenkönne.

Damit setzt sich Hanns Cibulka in seinemRügentagebuch „Swantow“ auseinander,das als das heimliche „Manifest“ der in derDDR aufkeimenden Ökobewegung verstan-

Wenn man die Welt nicht mehr versteht, mußman sich ein Bild von ihr machen wie Sieg-bert Hahn, in dessen „Verlust der Farben“vieles imaginiert ist, was wir uns derzeit unterVerlust vorstellen Bild: Archiv

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Wohin gehen wir?Immer nach Hause, sagte Novalis, und wo das ist, fragen sich

die Teilnehmer der Eislinger Josef-Mühlberger-Tage

den und zunächst rigoros verboten wurde:Die DDR-Zensur warf dem Querulanten Fort-schrittsfeindlichkeit vor, mit der er „den Sinnwissenschaftlicher Arbeit für die Zukunft derMenschheit“ untergrabe. Als das Pamphletdann doch erscheinen durfte, waren nachdrei Tagen die 15 000 Exemplare der Erst-auflage vergriffen, und Cibulka hatte in ei-nem Jahr an die 100 Lesetermine in derDDR!

Cibulkas Kritik bezog sich auf das DDR-Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald. In ei-nem diesbezüglichen „Lagebericht“, einge-streut in „Swantow“, heißt es: „Wir, / die aufWert und Gegenwert aus sind, / wir, / diealles besitzen . . . / plötzlich stehen wir da /mit zu wenig Dasein / in der Hand ... / Öllakentreiben auf uns zu . . .“ Und weiter: „Es ist undbleibt die Aufgabe des Menschen, dem Le-

ben gerecht zu werden, dafür zu sorgen, daßes ein Wunder bleibt . . . Was haben wir mitunserer egoistischen Lebensweise nicht al-les schon zugeschüttet? Die schwierigstealler Aufgaben steht uns immer noch bevor:die Revolution gegenüber uns selbst, gegenunsere eigene Trägheit, den Egoismus, dasMachtdenken, eine Revolution, die uns lehrt,ganz anders über den Menschen zu denkenals bisher. Die Wahrheit ist dem Menschennicht nur zumutbar, sie ist bereits die Vor-aussetzung für seine weitere Existenz.“In seinem letzten Werk, „Späte Jahre“, kurzvor seinem Tod erschienen, spricht Cibulkadavon, daß die Klimakatastrophe die Ant-wort der Natur auf die Habgier des Men-schen ist. „Der Mensch mordet sich selbst,allerdings ist es ein Mord auf Zeit.“

Günter Gerstmann (KK)

„Dichters Ort, Dichters Wort“ steht als Titelüber den diesjährigen Veranstaltungen derEislinger Mühlberger-Tage. Der KunstvereinEislingen, unterstützt von der Stadt, lädt dazuein, nachzudenken über die vielfältigen Be-ziehungen von Literatur und Wirklichkeit,speziell von Literatur und den Orten, an de-nen sie entsteht und von denen sie handelt.Die 9. Mühlberger-Tage finden im Jahr desEislinger Stadtjubiläums statt: Vor 1150 Jah-ren wurde die Stadt zum ersten Mal erwähnt,ein Anlaß zur Reflexion über menschlichesZusammenleben, über Verwurzeltsein, aberebenso über Fremdheit. Dies sind natürlichauch, ja besonders Schwerpunktthemen derLiteratur, und nicht zuletzt der Namenspatronvon Eislingens literarischer „Biennale“ hatsich aufgrund seiner Lebensgeschichte in-tensiv mit diesen Fragen beschäftigt.

Zur Eröffnung wird ein neues Heft der re-

nommierten „Spuren“-Reihe vorgestellt, diedas Deutsche Literaturarchiv Marbach seit1988 herausgibt. Tina Stroheker schildertdarin die Beziehung Josef Mühlbergers zuEislingen und Württemberg. Dr. ThomasSchmidt, der Leiter der Arbeitsstelle Litera-rische Museen des Literaturarchivs, wird mitTina Stroheker das Heft der Öffentlichkeitpräsentieren – wo anders als in Eislingen?

Ein Lesungsabend wird von zwei Autorenbestritten, die sich neben ihrer Arbeit amGedicht in ihrer direkten Umgebung enga-gieren, der Poet ist dabei Mahner oder For-scher, der das Bewußtsein für die kulturel-len Wurzeln fördern möchte. Der in Berlingeborene Wahl-Konstanzer „Literatur-detektiv“ Peter Salomon und der DresdnerDichter Thomas Rosenlöcher, beide bundes-weit anerkannte Lyriker, garantieren einenunterhaltsamen Abend auf hohem Niveau.

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„Ein Ort für Worte“ ist das SchriftgutarchivOstwürttemberg in Lautern bei Heubach, wo

Josef Mühlbergers Nachlaß aufbewahrtwird, aber nicht nur seiner. Eine Fahrt nachLautern, nicht ohne einen Abstecher zumBärenbacher Friedhof, dem Ort, wo JosefMühlbergers Urne beigesetzt worden ist, giltdiesem besonderen Privatarchiv.

„Ein kleiner Grenzverkehr“, so nennt der Ger-manist Axel Kahrs, Mitglied im P.E.N.-Zen-trum Deutschland, seinen Vortrag, in dem erüber „Literatur und Wirklichkeit“ sprechenwird. Kahrs, ein profunder Kenner der ge-genwärtigen Literaturszene und der Litera-turgeschichte, wird an Schriftstellern undihren Büchern das Thema der Mühlberger-Tage 2011 vertiefen.

Zuletzt findet wie immer die Verleihung desJosef-Mühlberger-Preises statt, diesmal inHeubach-Lautern. Preisträger sind HelenaUlbrechtová und Siegfried Ulbrecht, dieHerausgeber einer Nummer der Zeitschrift„Germanoslavica“ aus dem Jahr 2009, dieausschließlich Josef Mühlberger gewidmetwar. Informationen unter www.kunstverein-eislingen.de, telefonisch: 07161/812122oder 88881. (KK)

Rocken heißt rütteln – und aufrüttelnPeter Maffay, der deutsche Star aus Siebenbürgen, singt von dem

Einfachen, das schwer zu machen ist

Wofür lohnt es sich zu leben? „Solang einMensch an was glauben kann“, antwortetPeter Maffay, „solang ein Mensch weiter füh-len kann, / solang er kämpft, eine Ewigkeitlang / und auf die Liebe schwört, / ist keinLeben verkehrt. / So lang ist es lebenswert.“Das ist die hauptsächliche Botschaft des ausKronstadt/Brasov in Siebenbürgen stam-menden deutschen Rockstars.

Die emotionale, poetische Substanz spieltin seiner Musik eine wesentliche Rolle. Manbegegnet in seinen Konzerten keinerlei Ex-

travaganz, keinem technikgestützten exhi-bitionistischen Bühnenzauber. Er singt vonden großen Themen der zeitgenössischenMenschheit, spricht ihre Schmerzen undHoffnungen aus, prangert den Haß, die wil-de Eigensucht an. Längst nennt ihn die Pres-se „den Rocker mit Gefühl“.

1963 kam der 14jährige Peter AlexanderMakkay mit seinen Eltern nach Deutschland.Für das Schlagergewerbe nahm er den grif-figeren Namen Peter Maffay an. 19 Jahre warMaffay alt, als er mit „The Dukes“ seine erste

Oskar Kreibich: Josef Mühlberger Bild aus dem OKR-Band „Profile der Zeit

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Band gründete, und gerade mal 20, als sei-ne erste Single unter dem Titel „Du“ einengroßen Erfolg erzielte.

Trotzdem war sein Weg nach oben beileibenicht immer eben. Auf seiner Homepagekann man sogar lesen, daß er im Jahre 1982während eines Auftritts mit Tomaten und Ei-ern beworfen wurde. Er ist aber ein kämpfe-risches Gemüt. Ein Mensch muß glauben –das ist für ihn nicht nur ein Vers in einem Lied,sondern seine feste Überzeugung. Er hat mitseiner rockig instrumentierten Gefühligkeitund der umgangssprachlich formuliertenNachdenklichkeit etwas Neues in der deut-schen Musikszene eingeführt und dieseskünstlerisch Neue durchgesetzt.

Die berührende Inhalt seiner Lieder und diewarme, aufgerauht schwingende Stimmebrachten ihm viel Popularität ein. In einernun schon 40 Jahre währenden erfolgsge-krönten Karriere stand Maffay vierzehn Malan der Spitze der deutschen Albumcharts.Mehr als 40 Millionen seiner Tonträger wur-den bisher verkauft. Und mehr als 700000Zuhörer besuchen jährlich seine Konzerte.Für sein Lebenswerk wurde Maffay 2009 mit

einem „Echo“ preisgekrönt, was er jedochnie als Schlußpunkt aufgefaßt hat. Es gibtfür Peter Maffay keine Grenze zwischenMusik und Leben. Seine Unterhaltungsmu-sik im besten Sinne des Wortes ist nicht nureingängig, sondern spricht die Leute auchan auf all das, was sie alltäglich oder unter-schwellig beschäftigt – oder eben beschäf-tigen soll.

Den großmütigen Gedanken seiner Liederentspricht sein politisches und soziales En-gagement, die Beteiligung an der Friedens-bewegung und an der Verteidigung der Men-schenrechte. Breite Resonanz hatten, unteranderen, seine Konzerte zugunsten der Or-ganisation Amnesty International oder derKinder aus Tschernobyl sowie eine Benefiz-CD für die Opfer der Hungersnot in Äthiopi-en. Im Geiste der Freundschaft und als Er-widerung auf Auswüchse rassistischer In-toleranz konzertierte Maffay zusammen mitschwarzen Musikern aus Afrika, mit Ab-origenes aus Australien, mit Israelis. Mit-schnitte dieser Konzerte wurden in einemerfolgreichen Album unter dem Titel „Begeg-nungen“ veröffentlicht.

Der Rocker mit Gefühl mag Kinder nicht nur,Peter Maffay ist einer der wenigen Rock-musiker, die für Kinder komponiert haben.In verschiedenen Bearbeitungen wurde seinphantasiepralles musikalisches Märchen„Tabaluga“ auf der Bühne, in Konzerten oderfürs Fernsehen aufgeführt. Die TV-Trickfilm-version der musikalischen Geschichte desgrünen Baby-Drachen Tabaluga wurde inüber 100 Ländern ausgestrahlt. Unter demNamen „Tabaluga“ hat Maffay eine Stiftungfür traumatisierte Kinder gegründet. Die Stif-tung besitzt auf Mallorca ein Ferienhaus, wobenachteiligte Kinder aus aller Welt Erho-lung finden. Im Mai 2010 hat Peter MaffaysStiftung in Berlin schon zum zweiten Mal dasinternationale Symposium „Mit Recht Kin-der schützen“ organisiert.

Auch in seiner ersten, der siebenbürgischenHeimat hat Peter Maffay ein nicht nur in Ru-mänien vielbeachtetes Projekt eingeleitet. In

Zwei, die esnicht nurwissenwollen,sondernauch tun:Peter Maffaymit seinerLandsfrauCarolineFernolendausDeutsch-Weißkirch,die sich fürdie Revitali-sierungSiebenbür-gens enga-giert

Bild:Christine

Chiriac

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Mit Harmonien Umbrüche einleitenDer Arbeitskreis Schlesische Musik lauscht zurück ins 20. Jahrhundert

der Nähe der alten deutschen Kirchenburg inRadeln hat er mit seiner Stiftung ebenfalls einHaus für traumatisierte Kinder gebaut, vondenen es in dem Land leider viele gibt. Ver-waiste, drogenabhängige oder mißbrauchteKinder werden dort Hilfe bekommen.

Als er kürzlich mit dem Rumänischen Ver-dienstorden ausgezeichnet wurde, unter-strich Maffay ein Ziel seines neues Pro-

jektes: die menschliche Solidarität stärken.

Peter Maffay ist ein Romantiker. Er träumtvon einem Wunder: „Keine Lüge, / Menschenmit Verstand, / nie wieder Kriege, / Erdeunverbrannt, / keine Wunden, kein Leid, / undkein Hunger, kein Streit / für ewig und bis inalle Zeit.“ Von wem erwartet er das Wunder?Von Gott, zweifellos. Doch von den Men-schen auch. A. Rotenberg (KK)

Nachdem die Jahrestagung des Arbeitskrei-ses Schlesische Musik im vergangenen Jahrein Erfolg war, kündigt er nun eine Musik-tagung für den August an. Sie findet stattvom Montag, dem 8., bis zum Sonntag, dem14. August 2011, am vertrauten Ort, im gast-lichen Haus Altenberg.

Als Thema hat man sich „Umbruch – Ju-gendbewegung und zeitgenössische MusikAnfang des 20. Jahrhunderts in Schlesien“gesetzt. Eine Woche der Musik bietet eineFülle von Anreizen und Möglichkeiten, aufverschiedene Art und Weise aktiv und re-zeptiv teilzunehmen, vom Morgensingen mitspontanen Vom-Blatt-Spiel-Instrumentali-sten über Chor- und Orchesterproben biszu Angeboten wie Klavierlied, Jazz-Gesang.Blockflöten und Blechbläser-Ensemble, Jun-ger Chor und Salonorchester. Wer möchte,kann den Tag mit einem Gottesdienst begin-nen – es wird auch einen von Jugendlichengestalteten Gottesdienst geben –, das Tanz-bein schwingen und den Tag abends in ge-selliger Runde ausklingen lassen.

Mit dem Thema erinnert der Arbeitskreis andie Zeit vor ungefähr 100 Jahren und die fol-genden Jahrzehnte, eine Zeit der Umbrüchein allen Bereichen von Politik, Gesellschaftund Kultur. Alte, lange tradierte Strukturen

zerbröckeln, die Menschen, vor allem dieJugendlichen, suchen neue Werte und au-thentische Ausdrucksformen, die zu ihremLebensgefühl passen. Sie wollen gesell-schaftliche Zwänge und Pressionen autori-tärer Erziehungs- und Bildungseinrichtun-gen abwerfen und suchen nach neuen We-gen, mit Liedern, Musik und Tänzen, auchSchauspielen und Feierformen ihr Leben inGemeinschaft selbstbestimmt zu gestalten.

Ebenso suchen die Komponisten in jenerZeit neue Ausdrucksformen, was zu einergroßen stilistischen Vielfalt führt, auch inSchlesien. Bei der Jahrestagung soll in ver-schiedenen Arbeitsgruppen u. a. Musik eini-ger Komponisten aus Schlesien erarbeitetwerden. Daneben wird die Form des Offe-nen Singens, die in der damaligen Jugend-bewegung entstanden ist und im Arbeits-kreis als Morgen- und Abendsingen seitüber 50 Jahren sehr beliebt ist, einbezogen.

Ein neuer Akzent der diesjährigen Tagungist das Kulturprogramm, das sich einemTeil der Jugendbewegung zuwendet, der inSchlesien entstanden ist, dem JugendbundQuickborn (gegründet 1910) und dem Volks-bildungshaus Heimgarten in Neisse (ge-gründet 1914). Während der Quickborn sichbald über ganz Deutschland ausbreitete,

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Das Land der Nehrung mit der Farbe suchendErnst Mollenhauer hat sein Nidden aus der Ferne erstehen lassen

entwickelte sich der Heimgarten in denzwanziger Jahren zum wohl bedeutendstenBildungshaus in Schlesien. Das Kulturpro-gramm besteht aus einer Ausstellung sowieaus Vorträgen und Arbeitsrunden, die jeweilsvormittags und nachmittags parallel zu denInstrumentalensembles liegen.

Wie schon in den letzten Jahren werdenGotfryd Wlodarz und weitere polnische Part-ner mit Jugendlichen aus Schlesien anrei-sen. Erhofft wird in diesem Jahr auch dieTeilnahme einiger Erwachsener aus der deut-schen Minderheit in Schlesien.

Wer neue Teilnehmer werben möchte, kann

weitere Informationen und Flyer anfordern,auch einen Jugendflyer (online zu verschik-ken mit vielen Bildern von früheren Tagun-gen, demnächst auch in gedruckter Fassung)sowie einen zusätzlichen Flyer speziell zumKulturprogramm bei den dort angegebenenAdressen. Bei Dora Gallus liegt die Anmel-dung zur Tagung in bewährten Händen. DieVeranstalter bitten um möglichst frühzeitigeAnmeldung, spätestens bis zum 10. Juni, beiBernward Speer, Auf der Höhe 26 a, 51429Bergisch Gladbach, Tel. 022 04/51728,[email protected], oder LiudgeraSpeer-Gorki, Am Winkel 6, 51429 BergischGladbach, Tel. 02204/5183. (KK)

Es spricht für die Bedeutung des KünstlersErnst Mollenhauer, wenn das OstpreußischeLandesmuseum in Lüneburg die Retro-spektivausstellung „Fahrt in die Sonne“ ein

halbes Jahr lang zeigt. Die Präsentation bie-tet einen umfangreichen Überblick über dasWerk des bekannten ostpreußischen Ex-pressionisten. Zu sehen sind sowohl eini-

Der Pinsel war ihmWerkzeug desGedenkens und derVergegenwärtigung:Aus dem Rheinlandund von Sylt hatErnst Mollenhauerzurückgeblickt aufNidden mit seinemLeuchtturm . . .

27KK1307 vom 25. April 2011

ge der wenigen geretteten Frühwerke alsauch Malereien aus der Zeit von 1945 bis1962.

Bekanntlich ist ein Großteil von MollenhauersArbeiten vor 1945 vernichtet worden, docher schuf aus der Erinnerung noch einmal dasfaszinierende Panorama der Natur rund umdie Kurische Nehrung. Seine farbstarkenGemälde widerspiegeln die Wucht der Na-turgewalten, die den Landstrich prägen. Einwiederkehrendes Symbol ist eine großeSonne, die über dem „Wunderland Nidden“immer wieder scheint.

Der 1892 in Tapiau/Ostpreußen geboreneErnst Mollenhauer studierte vor und nachdem Ersten Weltkrieg an der KönigsbergerKunstakademie. Die Aufenthalte auf derKurischen Nehrung und die Freundschaft mitMax Pechstein bewogen den jungen Künst-ler, nach Nidden (heute litauisch Nida) zu zie-hen. Er heiratete Hedwig Blode, die Tochterdes Eigentümers des KünstlergasthofsBlode, und lebte dort zwanzig Jahre. Nach1920 war Mollenhauer die bestimmendePersönlichkeit in der Künstlerkolonie Nidden.

Bedingt durch die Kriegswirren floh derKünstler ins Rheinland. Später fand Mol-lenhauer auf Sylt eine ähnlich unberührteNatur, die ihm als willkommene Inspirations-quelle für zahlreiche Malereien diente. Aller-dings ließ ihn die Erinnerung an das Haffnicht los, so daß das „Wunderland Nidden“auch in seinem Spätwerk eine Hauptrollespielte. Die großformatigen Arbeiten zeich-nen sich insbesondere durch die „Magie“der Farben aus.

In Anlehnung an die Ausstellung bietetdas Ostpreußische Landesmuseum Mal-workshops für Erwachsene und Kinder an.Vorträge wie „Nidden heute – der litauischeTeil der Kurischen Nehrung nach 1990“ vonManfred Schekahn und „Paradies der Maler– Die Künstlerkolonie Nidden“ von Dr. JörnBarfod ergänzen die Mollenhauer-Schau. Dr.Barfod, seit 1985 Kustos am Ostpreußi-schen Landesmuseum in Lüneburg, hat überdie Künstlerkolonie verschiedentlich veröf-fentlicht und Ausstellungen organisiert. DieAusstellung „Fahrt in die Sonne“ ist in Lüne-burg bis zum 15. Mai zu besichtigen. (KK)

. . . oder auchohne, stets

jedoch untereiner intensivenSonne, im Lichtder Erinnerung

Bilder aus derAusstellung imOstpreußischenLandsmuseumLüneburg

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Kindheit im späten LichtHelene Dauters gemalte Erinnerungen

Unter dem Titel „Ostpreußen, wie es war –Kindheitserinnerungen in der Malerei vonHelene Dauter“ wurde im KulturzentrumOstpreußen in Ellingen eine Kabinettaus-stellung eröffnet. Das Museum im Barock-schloß zeigt Werke der aus Gilge im nördli-chen Ostpreußen stammenden Künstlerin.

Erst in den 80er Jahren begann HeleneDauter mit der Malerei – vorher hatte sie ein-fach keine Zeit dazu. Sie war 1920 als Hele-ne Lascheit, Tochter eines Fischers, im ost-preußischen Ort Gilge zur Welt gekommenund hatte zwölf Geschwister. In der Schuleerkannte ihr Lehrer bald die künstlerischenNeigungen seiner Schülerin. Doch inmittender Sorgen des Alltags blieb dafür keinPlatz. 1944 heiratete sie in Gilge Fritz Dauter.Wenige Monate später fand sich das Ehe-paar nach der Flucht aus Ostpreußen inSchleswig-Holstein wieder.

Als ihre beiden Kinder erwachsen waren,besann sich Helene Dauter auf ihre Fähig-keiten. In Kursen der Volkshochschule bau-te sie diese aus, und bald konnte man ihreWerke in verschiedenen Ausstellungen be-wundern. 1986 schrieben die „Kieler Nach-richten“: „Sie malt realistisch, malt ‚schöne‘Bilder, in denen Mensch und Natur eine Har-monie bilden. Sie malt mit feinem Pinsel-strich, verzichtet auf den derben Spachtelund fängt gekonnt Stimmung ein.“ Noch inden 1990er Jahren malte die Künstlerin inGroß-Nordsee am Nord-Ostsee-Kanal beiRendsburg; sie starb 1996.

Die Heimat von Helene Dauter war Gilge, dasnördlichste Kirchspiel im Kreis Labiau. DasDorf bestand aus zwei langen Straßen, diesich zu beiden Seiten des Flusses Gilge di-rekt an der Mündung in das Kurische Haffhinzogen. Wollten die Menschen zueinanderkommen, blieb dafür nur der Weg mit demKahn über das Wasser. Im Dorf lebten unteranderem Kahn- und Bootsbauer, Fischer,

Bauern sowie Fisch- und Gemüsehändler.1939 wohnten in Gilge 1139 meist evangeli-sche Einwohner. Am 21. Januar 1945 wurdeder heute Matrosovo genannte Ort von densowjetischen Truppen besetzt.

Helene Dauter malte das Leben der „kleinenLeute“ am Haff aus ihren Kindheitserinne-rungen. So entstanden Bilder vom Wäsche-bleichen, von den Schnittern bei der Ernte,den Fischerkähnen auf dem Haff, spielen-den Kindern, dem Einbringen des Heus mitdem Boot, dem Besuch des Wanderzirkusim Ort und viele andere. Ergänzt wird dieAusstellung durch Kartenmaterial und Bü-cher über das Kurische Haff aus den Bestän-den des Kulturzentrums. Die Werke HeleneDauters kann man auch in Husum betrach-ten, wo ihre Tochter Cornelia „Das kleineMuseum“ eingerichtet hat.

Zur Kabinettausstellung mit Werken vonHelene Dauter ist ein mit farbigen Abbildun-gen ihrer Gemälde illustriertes Begleitheftmit der Lebensgeschichte der Künstlerinerschienen, das zum Preis von zwei Eurozuzüglich Porto und Versandkosten im Kul-turzentrum Ostpreußen in Ellingen zu erwer-ben ist. Dr. Roman Gogan hat dazu eine Ab-riß der Geschichte des Ortes zusammenge-stellt. Die Ausstellung ist bis Juni 2011 zusehen. (KK)

Düne von Nidden Bild aus der Ausstellung

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Zwischen zwei Sprachen und vielen StimmenKarl-Dedecius-Preis an Esther Kinsky und Ryszard Turczyn

Die Robert Bosch Stiftung zeichnet 2011zum fünften Mal exzellente polnische unddeutsche Übersetzer aus: Dieses Jahr gehtder Karl-Dedecius-Preis an Esther Kinskyund Ryszard Turczyn. Eine deutsch-polni-sche Jury unter dem Ehrenvorsitz von KarlDedecius wählte diese beiden Übersetzeraus und ehrt ihre herausragenden Überset-zungen sowie ihre Vermittlungsarbeit zwi-schen den Nachbarländern. Der Preis ist mitjeweils 10 000 Euro dotiert und wird ab-wechselnd in Deutschland und in Polen ver-liehen. Die diesjährige Preisverleihung fin-det am 20. Mai 2011 – dem 90. Geburtstagvon Karl Dedecius – in Darmstadt statt, Ver-anstalter ist das Deutsche Polen-Institut.

Der Preis wurde bereits 1981 von KarlDedecius, dem Nestor der Übersetzer pol-nischer Literatur und verdienten Vermittlerzwischen Deutschland und Polen, und derRobert Bosch Stiftung als Preis für polni-sche Übersetzer ins Leben gerufen. 1992kam ein Förderpreis für polnische Überset-zer hinzu, seit 2003 wird er als Doppelpreis

für polnische und deutsche Übersetzer ver-liehen.

Esther Kinsky, geboren 1956, studierteSlawistik und Anglistik in Bonn und Toronto.Sie arbeitet seit 1985 als freie Übersetzerinaus dem Polnischen, Englischen und Russi-schen. Seit 25 Jahren widmet sich EstherKinsky kontinuierlich der Vermittlung polni-scher Literatur im deutschsprachigen Raumund hat bereits Werke von über 25 Schrift-stellern ins Deutsche übersetzt. Für die vonDedecius herausgegebene Polnische Biblio-thek, gefördert von der Robert Bosch Stif-tung, übersetzte sie Werke von Jaroslaw M.Rymkiewicz, Julian Stryjkowski und Alek-sander Wat.

Die Jury zeigt sich besonders davon beein-druckt, wie es Esther Kinsky gelingt, der sti-listischen Individualität sehr unterschiedli-cher Autoren Ausdruck zu verleihen.

Ryszard Turczyn, geboren 1953, studierteGermanistik in Warschau und übersetzt,während er heute auch als Literaturagenttätig ist, seit mehr als 30 Jahren aus demDeutschen und dem Niederländischen insPolnische. Turczyn übersetzte unter ande-rem „Die Klavierspielerin“ als erstes Prosa-werk von Elfriede Jelinek in Polen, insge-samt über 30 belletristische Titel, populäreSachbücher, etwa historische Werke vonGuido Knopp, Reportagen von Günter Wall-raff und Erich von Däniken und Prosa vonWladimir Kaminer. Dazu kommen zahlreichephilosophische Texte in Anthologien sowieTheaterstücke und Hörspiele, u. a. von Ul-rich Plenzdorf und Pavel Kohout.

Die Jury würdigt ihn für sein ausgepräg-tes Sprachgefühl, seine beachtenswerteSorgfalt im Umgang mit Texten, die Vielfaltder übersetzten Texte und seinen Beitrag zuden deutsch-polnischen Kulturbeziehun-gen. (KK)

Doyen der polnisch-deutschen Literatur-übersetzung: Karl Dedecius Bild: Archiv

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Wer durchsieht, sieht mehrGlasmuseum Rheinbach bietet facettenreiche Glaskunst aus dem Kultur-

raum zwischen Bayrischem und Böhmerwald und aus Rumänien

Was ein Besucher der aktuellen Sonderaus-stellung im Rheinbacher Glasmuseum unterdem Titel „Das Glas, die Lampe und ich“ er-wartet, ist nicht einfach zu formulieren; Lai-en würden vermuten, es gehe um dekorati-ve Glasobjekte, die mit einer Lichtquelle,sprich Lampe, zu tun haben. Andere könn-ten sich daran erinnern, daß glitzerndeChristbaumkugeln irgendwie mit Lampen-glas in Verbindung gebracht werden. Dochweit gefehlt. Der Begriff „Lampenglas“ be-zeichnet nämlich eine besondere Technik,mit der filigrane Glasobjekte nicht am Ofen,sondern vor der Flamme eines Gasbren-ners, der sogenannten „Lampe“, gestaltetwerden. Die Ursprünge der heute recht sel-ten angewandten Technik reichen bis in dieAntike. In den Glasfachschulen Zwiesel undHadamar sowie in den böhmischen Einrich-tungen in Steinschönau und Haida wird die-se Technik allerdings gelehrt.

Nachdem Dr. Ruth Fabritius, die Leiterin desRheinbacher Glasmuseums, eine Lampen-glasausstellung im Glasmuseum Frauenau,Bayerischer Wald, gesehen hatte, war siedavon so begeistert, daß sie sich für eineähnliche Präsentation im Eifelstädtchenstark gemacht hat. Eine Aufgabe des Spe-zialmuseums für böhmisches Glas liegt dar-in, seinen Besuchern die Vielfalt der Glas-entwicklung bis in die Gegenwart vorzustel-len. In diesen Kontext reiht sich die neueSonderausstellung ein.

Eine Gruppe von vier Künstlern aus Thürin-gen und Bayern zeigt mit ausgewählten Ex-ponaten, daß Skulpturen aus Lampenglaseine besondere Faszination darstellen. DieLampenglasproduktionen gelten im Thürin-ger Wald seit Jahrhunderten als ein traditi-onsreicher Erwerbszweig. Allerdings kannder gesamte grenzüberschreitende Kultur-raum Schlesien, Böhmen, Bayerischer Wald

und Thüringer Wald als eine große Heimatfür Glaskunsthandwerker betrachtet wer-den. Die Vernissage im Rheinbacher Glas-museum bot dem Publikum die Möglichkeit,im Rahmen einer Demonstration von JohnZinner aus Thüringen zu beobachten, wieeine Lampenglas-Skulptur entsteht.. „Sicht-weisen" und „Zwei Schönheiten" sind zweiseiner ausgestellten Exponate, die zumNachdenken anregen.

Hermann Ritterswürden aus Zwiesel zählt zuden renommiertesten LampenglaskünstlernDeutschlands. Er hat als Kurator die Aus-

Glasklar der Tod (Hermann Ritterswürden,Jakubsons Zuflucht), glasbunt das „Kleid“(von Elena Graure-Manta): Glaskünstlergießen Licht in Form

Bilder: Glasmuseum Rheinbach

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KK-Notizbuch

Am 29. April, 17 Uhr, eröffnet die StiftungDeutsche Kultur im östlichen Euro-pa – OKR gemeinsam mit dem Kulturre-ferat des Bundes der Vertriebenen,Landesverband Hessen, ihre Ausstel-lung „Im Dienste der Menschheit.Bedeutende Persönlichkeiten aus demhistorischen deutschen Osten“ im Hausder Heimat, Wiesbaden. Sie wird bis zum28. Mai zu sehen sein.

stellung im Glasmuseum Frauenau betreutund zugleich die bekanntesten Lampenglas-macher Bayerns und Thüringens zusam-mengeführt. Der geborene Sylter erlerntesein Handwerk an der Glasfachschule inZwiesel, wo er als freischaffender Künstlerlebt und arbeitet. Er montiert aus Draht undlampengeblasenen Glasteilen fast zwei Me-ter hohe Plastiken, in die er maritime Ele-mente einbaut. Auch Ritterswürdens Objek-te in der Rheinbacher Ausstellung erzählenfaszinierende Geschichten. Kunstwerke wie„Kaddri in der Wake“, „Jakubsons Zuflucht“und „Totentanz von Reval“ hat Ritterswürdenin Anlehnung an den Erzählungsband „Todin Reval“ des deutschbaltischen Schriftstel-lers Werner Bergengruen geschaffen.

Bis zum 15. Mai ist im Rheinbacher Glas-pavillon Hans-Schmitz-Haus (An der Glas-fachschule) die interessante Kunstausstel-lung „Untragbar“ mit zerbrechlichen undbunt-transparenten Kleidern, Taschen, Gür-teln und Schuhen von Elena Graure-Mantazu sehen. Die in Siebenbürgen geboreneKünstlerin studierte an der rumänischenAkademie der darstellenden Künste „IonAndreescu“ in Klausenburg/Cluj und war alsDesignerin in der traditionsreichen Glasfa-brik im siebenbürgischen Freck/Avrig tätig.Seit 1991 betreibt sie eigene Ateliers inDeutschland und Rumänien und beteiligt sichan Ausstellungen. Dieter Göllner (KK)

Am 1. Mai sind es 60 Jahre, seit RadioFreies Europa seine Sendungen(vorerst in die Tschechoslowakei) aufnahm.Während des Kalten Krieges lieferte esden Menschen im Ostblock von Münchenaus aktuelle Nachrichten, Kultur- undMusiksendungen, Gottesdienste undvieles mehr.

Eine Ausstellung zu Max Herrmann-

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Wenn Ihnen die Thematik der Kulturpolitischen Korrespondenz am Herzen liegt, so gebenSie sie bitte auch an Bekannte und Freunde weiter. Die Stiftung Deutsche Kultur im östlichenEuropa – OKR ist dankbar für jede Hilfe bei der Erfüllung ihrer selbstgestellten Aufgabe, ostdeut-sches kulturelles Erbe bewußt und europäischen kulturellen Austausch lebendig zu erhalten.

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Neisses 70. Todestag , erarbeitet vonStudierenden des Instituts für Germanistikder Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, ist bis zum 5. Mai im Ger-hart-Hauptmann-Haus Düsseldorf zusehen.

Bis zum 22. Mai zeigt das Gerhart-Hauptmann-Museum Erkner eineAusstellung zu Charlotte E. Pauly, der

Freundin und Begleiterin Gerhart Haupt-manns in seinen letzten Jahren inAgnetendorf, die dann vom 15. November2011 bis zum 29. April 2012 im Städti-schen Museum Gerhart-Hauptmann-Haus,Agnetendorf, zu sehen sein wird.

Dieses Heft wurde gedruckt mit Unter-stützung des Beauftragten der Bundesre-gierung für Kultur und Medien. (KK)