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www.boeckler.de – September 2010 Copyright © Hans-Böckler-Stiftung Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse Komplett-Version Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Informationen für Aufsichtsräte und Betriebsräte Auf einen Blick … Die Handlungshilfe erläutert, wie Unternehmen die Darstellung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse im Jahresabschluss je nach ihren eigenen Interessen beeinflussen können (Bilanzpolitik). Sie erklärt darüber hinaus, wie der externe Bilanzleser solche Gestaltungsversuche - zumindest weitgehend - identifizieren und sich ein Bild von der wahren Lage des Unternehmens machen kann (Bilanzanalyse).

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www.boeckler.de – September 2010 Copyright © Hans-Böckler-Stiftung

Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse

Komplett-Version Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Informationen für Aufsichtsräte und Betriebsräte

Auf einen Blick … Die Handlungshilfe erläutert, wie Unternehmen die Darstellung ihrer wirtschaftlichen

Verhältnisse im Jahresabschluss je nach ihren eigenen Interessen beeinflussen können (Bilanzpolitik).

Sie erklärt darüber hinaus, wie der externe Bilanzleser solche Gestaltungsversuche - zumindest weitgehend - identifizieren und sich ein Bild von der wahren Lage des Unternehmens machen kann (Bilanzanalyse).

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis……………………………………………………………………...4

1. Grundlagen der Bilanzpolitik .................................................................................5 1.1. Vorbemerkung ..............................................................................................5 1.2. Gegenstand von Bilanzpolitik........................................................................5 1.3. Ziele von Bilanzpolitik ...................................................................................6 1.4. Zusammenhang zwischen Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse .........6

2. Instrumente und Methoden der Bilanzpolitik .........................................................7 2.1. Bilanzierungswahlrechte ...............................................................................7

2.1.1. Vorbemerkung....................................................................................7 2.1.2. Beispiele für Bilanzierungswahlrechte................................................8 2.1.3. Bilanzielle und erfolgswirksame Auswirkungen des

Bilanzierungswahlrechts...................................................................10 2.2. Bewertungswahlrechte................................................................................12

2.2.1. Vorbemerkung..................................................................................12 2.2.2. Beispiele für Bewertungswahlrechte ................................................12 2.2.3. Bilanzielle und erfolgswirksame Auswirkungen des

Bewertungswahlrechts .....................................................................19 2.3. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen .......................................................21

2.3.1. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen zur Beeinflussung der Gewinn- und Verlustrechnung..........................................................22

2.3.2. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen zur Beeinflussung der Bilanz22

3. Grundlagen der Jahresabschlussanalyse ...........................................................25 3.1. Gegenstand der Jahresabschlussanalyse ..................................................25 3.2. Erkenntnisziele und Grenzen der Jahresabschlussanalyse........................25 3.3. Automatisierungsverfahren .........................................................................26 3.4. Kennzahlen.................................................................................................27

4. Methoden der Jahresabschlussanalyse ..............................................................29 4.1. Kategorisierung von Kennzahlen ................................................................29 4.2. Vermögensstrukturkennzahlen ...................................................................30

4.2.1. Vorbemerkung..................................................................................30 4.2.2. Aussagegehalt von Vermögensstrukturkennzahlen .........................30 4.2.3. Anlageintensität................................................................................30 4.2.4. Investitionsquote ..............................................................................31 4.2.5. Wachstumsquote .............................................................................32 4.2.6. Lagerdauer.......................................................................................32 4.2.7. Debitorenlaufzeit ..............................................................................33

4.3. Kapitalstrukturkennzahlen...........................................................................34 4.3.1. Vorbemerkung..................................................................................34 4.3.2. Eigenkapitalquote.............................................................................34 4.3.3. Verschuldungskoeffizient .................................................................35 4.3.4. Kreditorenlaufzeit .............................................................................35 4.3.5. Dynamischer Verschuldungsgrad ....................................................36

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4.4. Analyse und Kennzahlen der Gewinn- und Verlustrechnung......................37 4.4.1. Vorbemerkung..................................................................................37 4.4.2. Entwicklung der Gesamtleistung ......................................................37 4.4.3. Materialeinsatzquote ........................................................................38 4.4.4. Rohertragsquote ..............................................................................39 4.4.5. Personalaufwandsquote...................................................................39 4.4.6. Kennzahlen zur Beurteilung des Sachaufwands ..............................40 4.4.7. Umsatzrentabilität.............................................................................40

4.5. Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse .............................................................41 4.5.1. Vorbemerkung..................................................................................41 4.5.2. Anlagendeckung II............................................................................41 4.5.3. Liquidität ersten bis dritten Grades und Working Capital..................42

4.6. Cash-Flow-Kennzahlen...............................................................................43 4.6.1. Abgrenzung zu den Kennzahlen der Liquiditätsanalyse...................43 4.6.2. Cash-Flow-Definitionen ....................................................................43 4.6.3. EBIT und EBITDA ............................................................................44

5. Fallbeispiel der E. GmbH ....................................................................................45 5.1. Bilanzpolitische Wahlrechte der E. GmbH ..................................................46 5.2. Spielräume für die Gestaltung des Gewinns durch Nutzung

bilanzpolitischer Wahlrechte .......................................................................47 5.2.1. Ermittlung des Abschreibungsvolumens ..........................................47 5.2.2. Wertermittlung des Rohstofflagers ...................................................47 5.2.3. Ermittlung der Bestandsveränderungen...........................................47 5.2.4. Wertberichtigung zweifelhafter Forderungen....................................48 5.2.5. Rückstellungsaufwand .....................................................................48 5.2.6. Sale-and-lease-back ........................................................................49

5.3. Die Erfolgsrechnungen nach Umsetzung der bilanzpolitischen Maßnahmen................................................................................................49

5.4. Die Bilanzen nach Umsetzung der bilanzpolitischen Maßnahmen .............50 5.5. Einfluss der Bilanzpolitik auf die Interpretation des Jahresabschlusses

der E. GmbH...............................................................................................52

6. Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur ................................................53

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Abkürzungsverzeichnis

a. F. Alte Fassung

BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Be-triebsrentengesetz)

BilMoG Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmoder-nisierungsgesetz)

BMF Bundesministerium der Finanzen

EGHGB Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch

EStG Einkommensteuergesetz

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GuV Gewinn- und Verlustrechnung

GWG Geringwertige Wirtschaftsgüter

HGB Handelsgesetzbuch

IDW Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V.

IFRS International Financial Reporting Standards

RHB Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

T€ Tausend Euro

US-GAAP US-amerikanische Generally Accepted Accounting Principles

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1. Grundlagen der Bilanzpolitik

1.1. Vorbemerkung

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf bilanzpolitische Gestaltungsmöglich-keiten nach deutschem Handels- und Steuerrecht. Eine Anwendung auf andere Rechnungslegungsstandards, wie IFRS oder US-GAAP, ist nur eingeschränkt mög-lich (siehe Modul „IFRS“).

Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) ist am 29. Mai 2009 in Kraft getre-ten. Das Gesetz stellt die tief greifendste Reform der deutschen Rechnungslegung seit den achtziger Jahren dar. Einige Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte des Handelsgesetzbuches (HGB) wurden im Rahmen der Gesetzesänderung abge-schafft oder eingeschränkt, um den Spielraum für bilanzpolitische Gestaltungen ein-zuschränken. Andererseits wurden neue Wahlrechte zugelassen. Der überwiegende Anteil der Regelungen ist für Geschäftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. De-zember 2009 beginnen. Eine freiwillige vorzeitige Anwendung der geänderten Vor-schriften insgesamt kann bereits für Geschäftsjahre erfolgen, die nach dem 31. De-zember 2008 beginnen.

1.2. Gegenstand von Bilanzpolitik

„Bilanzpolitik (…) bedeutet, durch gesetzlich zulässige Maßnahmen bei der Aufstel-lung des Jahresabschlusses zu versuchen, das Urteil des Bilanzlesers im Sinne des Bilanzerstellers zu beeinflussen. Man kann es auch härter wie folgt ausdrücken: Bi-lanzpolitik bedeutet, legal die Unwahrheit zu sagen“.1

Bilanzpolitik besteht zu einem großen Teil aus der Bildung und der Auflösung stil-ler Reserven. Als stille Reserven eines Unternehmens werden bilanzielle Unterbe-wertungen von Vermögensgegenständen oder Überbewertungen von Verbindlichkei-ten bezeichnet. Das Legen stiller Reserven entsteht durch die (im Rahmen der ge-setzlichen Möglichkeiten) möglichst niedrige Bewertung von Vermögensgegenstän-den oder durch die möglichst hohe Bewertung von Verbindlichkeiten.

Voraussetzungen dafür sind Wahlrechte, Ermessensspielräume und Möglichkeiten zur Gestaltung von Sachverhalten, die der Bilanzersteller legal nutzen kann. Bilanz-politik besteht also letztlich darin, Bilanzierungs- und Bewertungsspielräume ziel-gerichtet auszunutzen.

1 Born, Karl: Bilanzanalyse international – Deutsche und ausländische Jahresabschlüsse lesen

und beurteilen, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2001, S. 14.

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1.3. Ziele von Bilanzpolitik

Mit Bilanzpolitik werden i. d. R. konkret zwei Ziele verfolgt:

1. Beeinflussung des Gewinnausweises

2. Beeinflussung der Bilanzstruktur.

Diese Ziele können durch Ausnutzung von Bilanzierungs- und Bewertungsspielräu-men erreicht werden. Das Legen stiller Reserven hat Gewinn mindernde, die Auflö-sung stiller Reserven Gewinn erhöhende Wirkung. Gleichzeitig haben diese Maß-nahmen immer auch Auswirkungen auf die Bilanzstruktur eines Unternehmens. Da-neben gibt es Maßnahmen, die ausschließlich die Bilanzstruktur verändern, ohne Einfluss auf den Gewinnausweis zu nehmen.

Beeinflussung des Gewinnausweises

Beeinflussung der Bilanzstruktur

Gewinn minimieren Gewinn maximierengleichbleibender

Gewinn

z. B. zwecks Steuerlast-

minimierung

z. B. Verbesserung der Kreditwürdigkeit

z. B. zur Verstetigung des Gewinn-/ Dividenden-ausweises

Bilanzpolitische Zielsetzungen

Abb. 1: Bilanzpolitische Ziele

1.4. Zusammenhang zwischen Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse

Erst wenn der Bilanzleser die bilanzpolitische Zielsetzung des Erstellers des Jahres-abschlusses kennt, kann er beurteilen, ob der im Jahresabschluss ausgewiesene Gewinn oder Verlust eher die Ober- oder die Untergrenze der tatsächlichen Ertrags-kraft des Unternehmens zeigt. Daran wird der untrennbare Zusammenhang zwischen Bilanzpolitik und Jahresabschlussanalyse deutlich. Eine fundierte und umfassende Jahresabschlussanalyse beinhaltet also immer die Untersuchung der Bilanzpolitik.

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2. Instrumente und Methoden der Bilanzpolitik

Gewinnausweis beeinflussende Maßnahmen

Bilanzstruktur beeinflussende Maßnahmen

Kapitel 2.5

Bilanzierungs- und Bewertungs-maßnahmen

Sachverhalts-gestaltungen

i. d. R. nach dem Bilanzstichtag

i. d. R. vor dem Bilanzstichtag

Kapitel 2.3

Ausnutzung von Bilanzierungs-wahlrechten

Ausnutzung von Bewertungs-wahlrechten

Kapitel 2.1 Kapitel 2.2

Instrumente und Methoden der Bilanzpolitik

Kapitel 2.4

Abb. 2: Instrumente und Methoden der Bilanzpolitik

2.1. Bilanzierungswahlrechte

2.1.1. Vorbemerkung

Bei den Bilanzierungswahlrechten, die auch als Ansatzwahlrechte bezeichnet wer-den, geht es darum, ob bestimmte Positionen in der Bilanz ausgewiesen werden oder ob auf eine Bilanzierung verzichtet wird. Wird ein niedriger Bilanzgewinn ange-strebt, so wird der Bilanzersteller auf Ansätze von Vermögensgegenständen (Aktivie-rungen) verzichten und Ansätze von Verbindlichkeiten (Passivierungen) in stärkerem Maße vornehmen. Im Fall einer ergebnisverbessernden Bilanzpolitik wird er umge-kehrt verfahren.

Die auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Ansatzmethoden sind beizubehalten (§ 246 Abs. 3 HGB). Mit der Einfügung dieses Absatzes wird die An-satzstetigkeit durch das BilMoG gesetzlich verankert.

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2.1.2. Beispiele für Bilanzierungswahlrechte

2.1.2.1. Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäfts-betriebs (§ 269 HGB a. F.)

Nach dem BilMoG wird das bisher geltende Aktivierungswahlrecht zum Ansatz einer Bilanzierungshilfe für Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Ge-schäftsbetriebs nach § 269 HGB a. F. aufgehoben. Es bestehen Übergangsvorschrif-ten für diese Bilanzierungshilfe, soweit sie in vor dem 1. Januar 2010 beginnenden Geschäftsjahren gebildet wurde. Beispielsweise kann das Wahlrecht der Fortführung der Bilanzierungshilfe und Abschreibung in Höhe von mindestens einem Viertel ge-nutzt werden.

2.1.2.2. Selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlage-vermögens

Das BilMoG sieht ein Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Ver-mögensgegenstände des Anlagevermögens vor (§ 248 Abs. 2 Satz 1 HGB). Hierfür in Betracht kommen vor allem Entwicklungskosten auf technische Verfahren, Paten-te, Produkt-Know-how und Software. Forschungskosten dürfen nicht berücksichtigt werden (§ 255 Abs. 2 Satz 4 HGB).

Die Folge ist, dass der Gewinn (und das Eigenkapital) um den Aktivierungsbetrag höher ausfallen und dass außerdem die Bilanzsumme steigt. In den Folgejahren wird die Bilanzposition planmäßig abgeschrieben, wobei die Nutzungsdauer individuell zu schätzen ist.

Es gilt:

Nutzung des Wahlrechts zur Aktivierung von selbst geschaffenen immateriellen Ver-mögensgegenständen des Anlagevermögens = hoher Ansatz des Vermögens = Ge-winn maximierend; Abschreibungen in den Folgejahren

2.1.2.3. Aktive latente Steuern

Der Ansatz aktiver latenter Steuern ist im Jahresabschluss unter folgenden Voraus-setzungen zulässig (Wahlrecht gemäß § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB):

- zwischen den handelsrechtlichen Wertansätzen von Vermögensgegenständen, Schulden oder Rechnungsabgrenzungsposten und deren steuerlichen Wertan-sätzen bestehen Differenzen,

- diese Differenzen bauen sich in späteren Geschäftsjahren voraussichtlich ab und

- hieraus ergibt sich insgesamt eine künftige Steuerentlastung.

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Darüber hinaus sind bei der Berechnung aktiver latenter Steuern steuerliche Ver-lustvorträge zu berücksichtigen, soweit eine Verrechnung innerhalb der nächsten fünf Jahre erwartet wird (§ 274 Abs. 1 Satz 4 HGB). Diese Regelung wurde im Rah-men des BilMoG neu in das Gesetz aufgenommen.

Es gilt:

Aktivierung latenter Steuern = hoher Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

2.1.2.4. Pensionsverpflichtungen nach Art. 28 Abs. 1 EGHGB

Ungeachtet der Kritik der Literatur hat der Gesetzgeber im Rahmen des BilMoG kei-ne Änderung des Art. 28 Abs. 1 EGHGB veranlasst. Danach bleibt es bei dem Wahl-recht des

Nichtansatzes von Pensionsverpflichtungen aus unmittelbaren Zusagen, die vor dem 1. Januar 1987 erteilt wurden (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGHGB), und des

Nichtansatzes von mittelbaren und ähnlichen Verpflichtungen unabhängig vom Datum der Zusage (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB). Unter mittelbaren Pensions-verpflichtungen sind solche zu verstehen, die zwar unmittelbar von einem ande-ren Rechtsträger (z. B. einer Unterstützungskasse oder einem Pensionsfonds) erfüllt werden, für die das Trägerunternehmen (Arbeitgeber) aber nach § 1 Be-trAVG einzustehen hat.

Es gilt:

Passivierung von Pensionsverpflichtungen nach Art. 28 EGHGB = hoher Ansatz der Schulden = Gewinn minimierend

2.1.2.5. Aufwandsrückstellungen

Nach § 249 Abs. 2 HGB a. F. dürfen letztmals in Jahresabschlüssen für das vor dem 1. Januar 2010 beginnende Geschäftsjahr in der Handelsbilanz Aufwandsrückstel-lungen neu gebildet werden. Dabei handelt es sich um Rückstellungen für ihrer Ei-genart nach genau umschriebene, dem Geschäftsjahr oder einem früheren Ge-schäftsjahr zuzuordnende Aufwendungen, die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbe-stimmt sind. Bei einer Aufwandsrückstellung besteht eine reine Innenverpflichtung des Unternehmens (z. B. der Beschluss der Unternehmensleitung, Großreparaturen im Folgejahr vorzunehmen). Der § 249 Abs. 2 HGB a. F. wurde durch das BilMoG gestrichen. Rückstellungen für unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr nach drei und innerhalb von zwölf Monaten nachgeholt werden (§ 249 Abs. 1 Satz 3 HGB a. F.), dürfen ebenfalls nicht mehr gebildet wer-den. Es bestehen Übergangsregelungen.

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Das bisherige Ansatzwahlrecht kann nach Geltung des BilMoG somit nicht mehr ge-nutzt werden.

2.1.3. Bilanzielle und erfolgswirksame Auswirkungen des Bilanzierungswahlrechts

Die Aktivierung zusätzlicher Vermögensgegenstände in der Bilanz führt zu einer hö-heren Bilanzsumme und dementsprechend zu einem höheren Eigenkapital (bilanziel-le Wirkung). Gleichzeitig führt sie zu niedrigerem Aufwand und einem höheren Ge-winnausweis (Wirkung auf die Erfolgsrechnung/Gewinn- und Verlustrechnung, GuV).

Im folgenden Schaubild ist die bilanzielle und die erfolgswirksame Wirkung einer Nutzung des Bilanzierungswahlrechts für Vermögensgegenstände (Aktivierungs-wahlrecht) dargestellt.

Bilanzielle Auswirkung des Aktivierungswahlrechts:

Aktiva Passiva Aktiva Passiva

Aktiva Passiva

VermögenVerbindlich-

keiten (Schulden)

Vermögen Eigenkapital

Vermögen Vermögen

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Ausgangssituation vor Ausübung des Aktivierungswahlrechts

Wirkung des Aktivierungswahlrechts

Bilanzbild nach Ausübung des Aktivierungswahlrechts

Abb. 3: Auswirkung eines Aktivierungswahlrechts auf die Bilanz

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Wirkung des Aktivierungswahlrechts auf die Erfolgsrechnung (GuV)

Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag

Gewinn

Gewinn- und Verlustrechnungvorher

Gewinn- und Verlustrechnungnachher

Aufwand Umsatz

Gewinn

UmsatzAufwand

Wirkung des Aktivierungswahlrechtes

Aufwand Umsatz

Gewinn

Gewinn

Abb. 4: Auswirkung eines Aktivierungswahlrechts auf die Gewinn- und Verlustrechnung

Im folgenden Schaubild haben wir die Bilanzwirkung und die Auswirkungen auf die Erfolgsrechnung für den Fall dargestellt, dass das Unternehmen ein Bilanzierungs-wahlrecht für Verbindlichkeiten nutzt (Passivierungswahlrecht).

Die Passivierung zusätzlicher Verbindlichkeiten führt zu einem geringeren Eigenkapi-tal (bilanzielle Wirkung), einem höheren Aufwand und infolgedessen zu einem gerin-geren Gewinn (Wirkung auf die Erfolgsrechnung/GuV).

Bilanzielle Auswirkung des Passivierungswahlrechts:

Aktiva Passiva Aktiva Passiva Aktiva Passiva

VermögenVerbindlich-

keiten (Schulden)

Vermögen

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Wirkung des Passivierungswahlrechts

Bilanzbild nach Ausübung des Passivierungswahlrechts

Ausgangssituation vor Ausübung des Passivierungswahlrechts

Vermögen

Eigenkapital

Abb. 5: Auswirkung eines Passivierungswahlrechts auf die Bilanz

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Erfolgswirksame Wirkung des Passivierungswahlrechts

Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag

Gewinn- und Verlustrechnung Wirkung des Passivierungswahlrechtes

Gewinn- und Verlustrechnungvorher nachher

Umsatz

Aufwand

Aufwand Umsatz Aufwand Umsatz

Gewinn GewinnGewinn

Aufwand

Abb. 6: Auswirkung eines Passivierungswahlrechts auf die Gewinn- und Verlustrechnung

2.2. Bewertungswahlrechte

2.2.1. Vorbemerkung

Bei den Bewertungswahlrechten geht es um die Frage, mit welchem Wertansatz die in der Bilanz erfassten Positionen ausgewiesen werden müssen. Grundsätzlich bestehen bei der Aufstellung einer Bilanz gesetzliche Gebote und Verbote bezüglich der Höhe des Wertansatzes der einzelnen Bilanzpositionen. Zur Gestaltung der Bi-lanz sind in Einzelfällen aber Wahlrechte zulässig, die dem Unternehmen einen Er-messensspielraum geben und somit das Legen und Auflösen stiller Reserven erlau-ben. Wird eine den Gewinn mindernde Bilanzpolitik verfolgt, erfordert das einen nied-rigeren Wertansatz von Vermögensgegenständen und einen höheren Ansatz von Verbindlichkeiten. Soll ein möglichst hoher Gewinn ausgewiesen werden, ist umge-kehrt vorzugehen.

2.2.2. Beispiele für Bewertungswahlrechte

2.2.2.1. Sachanlagevermögen

Eine große Bedeutung innerhalb der Bewertungswahlrechte haben die Abschreibun-gen auf Gegenstände des Anlagevermögens. Nach § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Vermögensgegenstände des Anlagevermögens mit den Anschaffungs- und Herstel-lungskosten, vermindert um die Abschreibungen (Werteverzehr) anzusetzen.

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Abb. 7: Abschreibungsarten

Nutzungsdauer

Abnutzbare Gegenstände des Anlagevermögens (Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge etc.) werden planmäßig über ihre voraussichtliche Nutzungsdauer abgeschrieben. Gestaltungsspielräume ergeben sich daraus, dass im Handelsrecht Nutzungsdau-ern nicht festgeschrieben sind, anders als im Steuerrecht, das mit seinen AfA-Tabellen (AfA: Absetzung für Abnutzung) für jedes Wirtschaftsgut eine pauschalierte Nutzungsdauer vorgibt. Diese dient als Anhaltspunkt für die Beurteilung der Ange-messenheit der steuerlichen AfA. Eine glaubhaft gemachte kürzere Nutzungsdauer kann den AfA zugrunde gelegt werden.

Es gilt:

Ansatz kurzer Nutzungsdauer = hohe Abschreibung = niedriger Ansatz des Vermö-gens = Gewinn minimierend

Ansatz langer Nutzungsdauer = niedrige Abschreibung = hoher Ansatz des Vermö-gens = Gewinn maximierend

Abschreibungsmethode

Bei den planmäßigen Abschreibungsverfahren gibt es die Möglichkeit, zwischen line-arer, (geometrisch-)degressiver und leistungsbezogener Abschreibung zu wählen.

Bei der linearen Abschreibung werden die Anschaffungs- und Herstellungskosten in jeweils gleichen Jahresbeträgen über die Nutzungsdauer verteilt. Es wird also ein kontinuierlicher Entwertungsverlauf unterstellt.

Abschreibung auf Gegenstände des

Anlagevermögens

Festlegung der Nutzungsdauer

eventuell: Verlängerung der Nutzungsdauer bei gebrauchten Gütern

AußerplanmäßigeAbschreibung

z. B. durch gesunkenen Marktpreis bei nichtabnutzbaren

Wirtschaftsgütern oder Einschränkung der wirtschaftlichen

PlanmäßigeAbschreibung

Höhe richtet sich nach

Abschreibungs-methode

linear, (geometrisch-) degressiv,

leistungsbezogen

Wahl einer Vereinfachungs-

methode Sofortabschreibung von

GWG

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Bei der (geometrisch-)degressiven Abschreibungsmethode wird ein gleich blei-bender Prozentsatz vom Restbuchwert angesetzt.

Steuerlich beträgt der Prozentsatz das Zweieinhalbfache des linearen Satzes, jedoch höchstens 25% vom Restbuchwert (§ 7 Abs. 2 EStG, für Anschaffungen/ Herstellun-gen nach dem 31. Dezember 2008 und vor dem 1. Januar 2011). Diese Abschrei-bungsmethode ist aber nur bei beweglichen Anlagegütern zulässig. Die degressive AfA in der Steuerbilanz setzt nicht voraus, dass das Unternehmen auch in der Han-delsbilanz eine degressive Abschreibung vornimmt (BMF-Schreiben vom 12. März 2010). Somit kann für Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2008 enden, handelsrechtlich linear und steuerrechtlich degressiv abgeschrieben werden.

Bilanzpolitisch wird die degressive Abschreibung genutzt, um – im Vergleich zur Li-nearabschreibung – einen höheren Abschreibungsbetrag zu erreichen. Erlaubt ist auch ein Methodenwechsel. Gewechselt wird i. d. R. in dem Jahr, in dem die degres-sive Abschreibung erstmalig geringer wäre als die lineare Abschreibung.

Das Unternehmen muss die in Anspruch genommenen Abschreibungsverfahren im Anhang angeben (§ 284 Nr. Abs. 2 Nr. 1 HGB).

I. d. R. gilt für den Vergleich von degressiver und linearer Abschreibung:

Degressive Abschreibung = höherer Abschreibungsbetrag = niedrigerer Ansatz des Vermögens = Gewinn minimierend

Lineare Abschreibung = niedrigerer Abschreibungsbetrag = höherer Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

Bei der Leistungsabschreibung werden die jährlichen Abschreibungsbeträge auf-grund der konkreten Leistungsabgabe berechnet. An die Stelle der geschätzten Nut-zungsdauer tritt dabei die voraussichtliche Gesamtleistung, die sich z. B. in einer be-stimmten Stück-, Kilometerzahl oder sonstigen Leistungseinheit ausdrücken lässt. Dieser Gesamtleistung werden die Anschaffungs- und Herstellungskosten gegen-übergestellt und der Aufwand pro Leistungseinheit ermittelt. Der Abschreibungsbe-trag eines Geschäftsjahres errechnet sich dann aus den jährlich in Anspruch ge-nommenen Leistungseinheiten.

Außerplanmäßige Abschreibungen

Außerplanmäßige Abschreibungen sind dann vorzunehmen, wenn ein Vermögens-gegenstand eine unerwartete Wertminderung erfährt und diese voraussichtlich von Dauer ist. Bei Finanzanlagen können außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraussichtlich nicht dauernder Wertminderung vorgenommen werden (§ 253 Abs. 3 Satz 3 und 4 HGB).

Bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung besteht eine Abwertungspflicht auf den niedrigeren beizulegenden Wert. Trotzdem besteht für die Unternehmen mit

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dieser Regelung ein außerordentlich hoher Gestaltungsspielraum. Denn letztlich ist es häufig eine Frage der Argumentation, ob die Wertminderung von Dauer oder doch nur vorübergehend ist. Je nach Zielsetzung bei der Bilanzerstellung wird der Bilan-zierende die Auslegung in seinem Sinne betreiben. So wird beispielsweise ein Ge-winn-Minimierer bestrebt sein, möglichst viele Vermögenspositionen zu finden, bei denen er eine außerplanmäßige Abschreibung vornehmen kann. Er muss allerdings sicherstellen, dass z. B. der Abschlussprüfer, die Finanzbehörden oder die Analys-ten, die angeführte Argumentation und die Nachweise (sofern überhaupt verfügbar) für die dauerhafte Wertminderung nachvollziehen können und akzeptieren.

Durch das Bestreben, den Gewinn möglichst hoch ausfallen zu lassen, ist der Ge-winn-Maximierer grundsätzlich nicht daran interessiert, das Ergebnis durch außer-planmäßige Abschreibungen zusätzlich zu belasten. Daher wird er seine Argumenta-tion anders aufbauen, um eine Abwertung zu vermeiden. Letztlich ist die Nutzung der außerplanmäßigen Abschreibung also stark davon abhängig, inwiefern der Bilanzie-rende die Bilanzierungsgrundsätze ordnungsgemäß auslegt und anwendet bzw. in-wieweit Externe Kenntnis von dem jeweiligen Sachverhalt haben.

Es gilt:

Hohe außerplanmäßige Abschreibungen = niedriger Ansatz des Vermögens = Ge-winn minimierend

Niedrige außerplanmäßige Abschreibungen = hoher Ansatz des Vermögens = Ge-winn maximierend

Fällt der Grund für die außerplanmäßige Abschreibung weg, besteht handels- und steuerrechtlich ein Wertaufholungsgebot bis zum theoretisch fortgeführten Anlage-wert (außer beim Geschäfts- oder Firmenwert, Wertaufholungsverbot). Nimmt der Bilanzersteller eine Wertaufholung vor, löst er damit stille Reserven auf, was wieder-um zu einer Gewinnerhöhung führt.

Geringwertige Wirtschaftsgüter

Der Begriff entstammt dem Steuerrecht. Geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) sind Güter des Anlagevermögens, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis zu 410 € (netto) betragen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 EStG). Die seit 1. Januar 2010 geltenden Abschreibungsvorschriften für GWG stellen im Großen und Ganzen die Rechtslage wieder her, die bis Ende 2007 galt. Im Unterschied zu den übrigen Gegenständen des Anlagevermögens können die GWG im Jahr der Anschaffung vollständig abge-schrieben werden. Bei sofortiger Abschreibung wird der Gewinn des Geschäftsjah-res in voller Höhe hinsichtlich dieser Investitionen gemindert.

Alternativ besteht die Möglichkeit der Bildung eines Sammelpostens für Wirt-schaftsgüter über 150 € bis 1.000 € (netto) (§ 6 Abs. 2a EStG). Der Sammelposten

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ist im Wirtschaftsjahr der Bildung und den folgenden vier Wirtschaftsjahren mit je-weils einem Fünftel Gewinn mindernd aufzulösen.

Diese Vorgehensweisen sind grundsätzlich auch handelsrechtlich zulässig.

Es gilt:

Sofortabschreibung von GWG im Anschaffungsjahr = niedriger Ansatz des Vermö-gens = Gewinn minimierend

Aktivierung von GWG im Anschaffungsjahr und Abschreibung über die Nutzungs-dauer = hoher Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

Anlagenspiegel

Einen Überblick über die Wertentwicklung der einzelnen Positionen des Anlagever-mögens gibt der im Anhang dargestellte Anlagenspiegel. Ausgehend von den histori-schen Anschaffungs- und Herstellungskosten lassen sich hier die Zu- und Abgänge, Umbuchungen, Zu- und Abschreibungen und kumulierte Abschreibungen sowie die Buchwerte der einzelnen Bilanzpositionen ablesen.

2.2.2.2. Wertpapiere im Anlage- und Umlaufvermögen

Bei der Bewertung von Vermögensgegenständen gilt das so genannte Nie-derstwertprinzip. Danach ist von den möglichen Wertansätzen, Anschaffungs- und Herstellungskosten einerseits und dem Marktpreis/Börsenkurs andererseits, der niedrigere anzusetzen. Für das Umlaufvermögen gilt sogar das strenge Nie-derstwertprinzip, d. h. es muss immer auf den niedrigeren der beiden Werte abge-schrieben werden, während für das Anlagevermögen nur das gemilderte Nie-derstwertprinzip gilt, wonach nur dann auf den niedrigeren Wert zwingend abzu-schreiben ist, wenn die Wertminderung voraussichtlich von Dauer ist. Es besteht für Finanzanlagen ein Wahlrecht, außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraus-sichtlich nicht dauernder Wertminderung vorzunehmen.

Bedeutend wird diese Thematik vor allem bei Wertpapieren. Zum einen sind Börsen-kurse transparente Marktpreise, die die Problematik deutlich offenbaren, zum ande-ren können Wertpapiere sowohl im Umlauf- als auch im Anlagevermögen (Finanzan-lagen) gehalten werden. Dadurch entstehen Gestaltungsspielräume, auch wenn eine grundsätzliche Zuordnungsregelung vorsieht, dass langfristig gehaltene Wert-papiere den Finanzanlagen zuzuordnen sind, während Wertpapiere, die zum Verkauf vorgesehen sind, im Umlaufvermögen auszuweisen sind. Der Bilanzierende kann die Wertpapiere zwischen Umlauf- und Anlagevermögen transferieren und damit die Bewertung über die verschiedenen Abschreibungsvorschriften beeinflussen. Die Ab-wertung der Wertansätze bei Wertpapieren stellt eine außerplanmäßigen Abschrei-bung dar.

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Es gilt:

Beibehaltung des bilanzierten Wertes für Wertpapiere des Anlagevermögens = höhe-rer Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

Außerplanmäßige Abschreibung von Wertpapieren des Anlagevermögens = niedrige-rer Ansatz des Vermögens = Gewinn minimierend

2.2.2.3. Vorräte

Bei der Ermittlung der Wertansätze des Rohstoff- und Warenlagers ist grundsätz-lich von einer Einzelbewertung auszugehen. Bei gleichartigen Vermögensgegens-tänden des Vorratsvermögens hat der Gesetzgeber jedoch Bewertungsvereinfa-chungen zugelassen. Das häufigste Verfahren hierbei ist die Nutzung der Gruppen-bewertung mit dem gewogenen Durchschnittswert, d. h. der Bestand am Bilanzstich-tag wird mit den durchschnittlichen gewogenen Einkaufspreisen bewertet.

Es besteht aber auch die Möglichkeit, andere vereinfachte Bewertungsverfahren auf das Vorratsvermögen anzuwenden. Für diese Verbrauchs- und Veräußerungsfolge-verfahren (§ 256 S. 1 HGB) werden unterschiedliche Annahmen getroffen, welche Vorratspositionen zuerst das Lager verlassen haben: die zuletzt eingetroffenen Be-stände (Lifo) oder die ältesten Bestände (Fifo).

Je nach Preisentwicklung der Vorratspositionen am Markt über Jahre hinweg erge-ben sich durch die Bewertung stille Reserven oder im Vergleich dazu Höherbewer-tungen des Bestands. Grund für diesen Effekt ist die Tatsache, dass der Material-aufwand den gesamten Materialeinkauf (zu aktuellen Preisen) enthält abzüglich des Wertes, der noch dem Lager – abhängig von der Bewertungsmethodik – zugrunde gelegt wird. Je höher der Wert der im Lager verbliebenen Vorratsmenge ausfällt, um-so geringer ist damit der rechnerische Materialaufwand und dementsprechend höher der Gewinn. Um den möglichen bilanzpolitischen Effekt zu erkennen, sind neben dem Wissen um das angewendete Verfahren Kenntnisse über die Preisentwicklun-gen am Einkaufsmarkt notwendig. Steuerlich ist von den Verbrauchs- und Veräuße-rungsfolgeverfahren jedoch lediglich – bis auf einige Ausnahmefälle – das Lifo-Verfahren akzeptiert.

Es gilt:

Ansatz der Vorräte nach dem Lifo-Verfahren bei steigenden Einkaufspreisen = nied-riger Ansatz des Vermögens (Bildung stiller Reserven) = Gewinn minimierend

Unfertige und fertige Erzeugnisse werden zu Herstellungskosten bewertet. Die Herstellungskosten sind laut HGB als die für die Herstellung angefallenen Aufwen-dungen definiert (§ 255 Abs. 2 HGB). Darüber hinaus sind legale Bewertungsspiel-räume zugelassen, u. a. für den Ansatz von Kosten der allgemeinen Verwaltung, für freiwillige soziale Leistungen oder für Fremdkapitalzinsen. Die Nutzung des Bewer-

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tungsspielraums führt zu einem höheren Wertansatz des Vorratsvermögens, damit über die Erfassung entsprechender Bestandserhöhungen in der Gewinn- und Ver-lustrechnung zu einer höheren Gesamtleistung des Unternehmens und somit zu ei-nem höheren Gewinnausweis. Die Entscheidung, alle oder einen Teil der Gemein-kosten nicht in die Bewertung (Aktivierung) der unfertigen und fertigen Erzeugnisse einzubeziehen, führt zu einem niedrigeren Gewinnausweis.

Es gilt:

Vollständige oder teilweise Einbeziehung von allgemeinen Verwaltungskosten in die Aktivierung unfertiger und fertiger Erzeugnisse = hoher Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

Aktivierung der unfertigen und fertigen Erzeugnisse ohne Ansatz von allgemeinen Verwaltungskosten = niedrigerer Ansatz des Vermögens = Gewinn minimierend

Die steuerrechtlichen Vorschriften zur Wertuntergrenze weichen aktuell nicht von den handelsrechtlichen Vorschriften ab (R 6.3 Einkommensteuerrichtlinien - EStR). Aller-dings soll gemäß einem BMF-Schreiben vom 12. März 2010 das Einbeziehungswahl-recht nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB für Kosten der allgemeinen Verwaltung und be-trieblicher Sozial- und Altersvorsorgeaufwendungen zu einer steuerlichen Einbezie-hungspflicht werden. Die steuerliche Herstellungskostenuntergrenze wäre damit hö-her als die nach Handelsrecht. Bis zu einer geänderten Fassung der EStR gilt das bisherige steuerliche Wahlrecht fort (BMF-Schreiben vom 22. Juni 2010).

2.2.2.4. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen werden grundsätzlich mit ihrem Nennwert bilanziert.

Ist bei einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen allerdings ein Ausfallrisiko zu erwarten, muss in entsprechender Höhe eine Einzelwertberichtigung gebildet wer-den. Sie wird in der Bilanz vom Forderungsbestand des Unternehmens abgezogen. Die Höhe des Ausfallrisikos kann häufig nicht exakt beziffert werden. Insofern be-steht bei der Festlegung von Einzelwertberichtigungen ebenfalls ein Ermessens-spielraum des Bilanzierenden.

Es gilt:

Pessimistische Einschätzung des Ausfallrisikos = Bildung hoher Einzelwertberichti-gungen = niedriger Ansatz des Vermögens = Gewinn minimierend

Optimistische Einschätzung des Ausfallrisikos = Bildung geringer Einzelwertberichti-gungen = hoher Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

Für das allgemeine Ausfallrisiko von Forderungen können Pauschalwertberichti-gungen auf die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gebildet werden. Bei der Bildung von Pauschalwertberichtigungen handelt es sich um ein Wahlrecht.

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Es gilt:

(Hohe) Bildung von Pauschalwertberichtigungen = niedriger Ansatz des Vermögens = Gewinn minimierend

Keine Bildung von Pauschalwertberichtigungen = hoher Ansatz des Vermögens = Gewinn maximierend

2.2.2.5. Rückstellungen

Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet, die dem Grunde nach, in ihrer Höhe und/oder von ihrem Zeitpunkt her noch nicht sicher feststehen. Bei einer Verbindlichkeitsrückstellung besteht eine Verpflichtung gegenüber Dritten. Eine typische Verbindlichkeitsrückstellung ist z. B. die Rückstellung für Pensionszu-sagen. Für eine in der Regel erst Jahre nach der Zusage zu zahlende Pensionsver-pflichtung wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufwandswirksam eine Rückstellung gebildet. Für Verbindlichkeitsrückstellungen besteht eine Bilanzierungspflicht. Beim Ansatz von Rückstellungen in der Bilanz ergibt sich i. d. R. ein Ermessensspiel-raum bezüglich der Höhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit der Rückstellung.

Es gilt:

Pessimistische Risikoeinschätzung = hohe Bildung von Rückstellungen = Gewinn minimierend

Optimistische Risikoeinschätzung = niedrige Bildung von Rückstellungen = Gewinn maximierend

2.2.3. Bilanzielle und erfolgswirksame Auswirkungen des Bewertungswahlrechts

Im folgenden Schaubild sind die bilanzielle und die erfolgswirksame Wirkung der Nutzung des Bewertungswahlrechts für Vermögensgegenstände (Aktivierungen) dargestellt. Sie unterscheidet sich nicht von der Darstellung der Auswirkungen des Bilanzierungswahlrechts im Kapitel 2.1.3. Die Wirkung auf Bilanz und Erfolg eines Unternehmens ist bei der Nutzung von Bilanzierungswahlrechten die gleiche wie bei Bewertungswahlrechten.

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Bilanzielle Auswirkung eines (aktiven) Bewertungswahlrechts:

Aktiva Passiva Aktiva Passiva

Aktiva Passiva

VermögenVerbindlich-

keiten (Schulden)

Vermögen Eigenkapital

Vermögen Vermögen

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Ausgangssituation vor Ausübung des Aktivierungswahlrechts

Wirkung des Aktivierungswahlrechts

Bilanzbild nach Ausübung des Aktivierungswahlrechts

Abb. 8: Auswirkung eines (aktiven) Bewertungswahlrechts auf die Bilanz

Erfolgswirksame Wirkung eines (aktiven) Bewertungswahlrechts

Abb. 9: Auswirkung eines (aktiven) Bewertungswahlrechts auf die Gewinn- und Verlust-rechnung

Im folgenden Schaubild sind die Wirkungen einer Nutzung des Bewertungswahl-rechts für Verbindlichkeiten (Passivierungen) auf die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung dargestellt. Auch hier gilt: Die Wirkung auf Bilanz und Erfolg eines Unternehmens ist bei der Nutzung von Bilanzierungswahlrechten die gleiche wie bei Bewertungswahlrechten.

Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag

Gewinn

Gewinn- und Verlustrechnung vorher

Gewinn- und Verlustrechnungnachher

Aufwand Umsatz

Gewinn

Umsatz Aufwand

Wirkung des Aktivierungswahlrechts

Aufwand Umsatz

Gewinn

Gewinn

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Bilanzielle Auswirkung eines (passiven) Bewertungswahlrechts:

Aktiva Passiva Aktiva Passiva Aktiva Passiva

VermögenVerbindlich-

keiten (Schulden)

Vermögen

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Eigenkapital

Verbindlich-keiten

(Schulden)

Wirkung des Passivierungswahlrechts

Bilanzbild nach Ausübung des Passivierungswahlrechts

Ausgangssituation vor Ausübung des Passivierungswahlrechts

Vermögen

Eigenkapital

Abb. 10: Auswirkung eines (passiven) Bewertungswahlrechts auf die Bilanz

Erfolgswirksame Wirkung eines (passiven) Bewertungswahlrechts

Abb. 11: Auswirkung eines (passiven) Bewertungswahlrechts auf die Gewinn- und Verlust-rechnung

2.3. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen

Unter sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen werden Gestaltungen von Geschäfts-vorfällen vor dem Bilanzstichtag verstanden. Dabei kann das Ausnutzen von Steuer- oder Finanzierungsvorteilen im Vordergrund stehen oder auch die gezielte Gestal-tung von Positionen der Bilanz und GuV. Geschäftsvorfälle werden im Rahmen be-stehender Regelungsfreiräume derart gestaltet, dass sie durch ihre Bilanzierung bzw. Nicht-Bilanzierung die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage beeinflussen.

Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag Aufwand Ertrag

Gewinn- und Verlustrechnung Wirkung des Passivierungswahlrechts

Gewinn- und Verlustrechnungvorher nachher

Umsatz

Aufwand

Aufwand Umsatz Aufwand Umsatz

Gewinn Gewinn Gewinn

Aufwand

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Es gilt:

Durch sachverhaltsgestaltende Maßnahmen kann das bilanzierende Unternehmen bewusst Einfluss auf das Bilanzbild und den Gewinnausweis des Geschäftsjahres nehmen.

2.3.1. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen zur Beeinflussung der Gewinn- und Verlustrechnung

Einige Beispiele hierfür sind:

1. Zeitliche Verlagerung von Geschäftsvorfällen. Durch Vor- oder Nachverlage-rung werden notwendige Erträge oder Aufwendungen vorgezogen oder aufge-schoben:

Durch beschleunigte Anschaffung von Anlagegütern können höhere Ab-schreibungen genutzt werden.

Durch Hinausschieben von Investitionen werden auch die damit in Verbin-dung stehenden aufwandswirksamen Abschreibungen verschoben.

Durch die Verzögerung von Warenauslieferungen in des nächste Geschäfts-jahr bzw. Vorziehen von ursprünglich für das Folgejahr geplanten Lieferun-gen können die Umsatzerlöse gesteuert werden.

Durch die Terminierung der Ausschüttung von Beteiligungsgesellschaften kann die Höhe der Beteiligungserträge beeinflusst werden.

2. Verkauf von Anlagevermögen über Buchwert, um Buchgewinne zu erzielen, oder Einbringung von Betriebsteilen in selbstständige Tochterunternehmen un-ter Aufdeckung der stillen Reserven.

Derartige Sachverhalte sind häufig nicht durch offenen Ausweis oder Erläuterungen im Jahresabschluss erkennbar. Im Rahmen der Berichterstattung im Prüfungsbericht ist der Abschlussprüfer verpflichtet, auf den Einfluss sachverhaltsgestaltender Maß-nahmen einzugehen.

Viele ertragswirksame Gestaltungseffekte führen lediglich zu vorgezogenen Ertrags- oder Steuerstundungseffekten. In nachfolgenden Geschäftsjahren kehrt sich die Auswirkung jedoch meist um und führt dann zu gegenläufigen Effekten.

2.3.2. Sachverhaltsgestaltende Maßnahmen zur Beeinflussung der Bilanz

Bilanzpolitik kann auch durch Maßnahmen erfolgen, die insbesondere auf eine Be-einflussung der Bilanzstruktur abzielen. Insbesondere die Bilanzsumme und die ab-solute und relative Höhe von Vermögens-, Eigen- und Fremdkapitalanteilen können so beeinflusst werden.

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Hier sind einige Beispiele für Bilanzstrukturmaßnahmen ohne oder mit nur geringen Auswirkungen auf den Gewinn aufgeführt:

1. Bei Saisonunternehmen (z. B. Handel, Produzenten von Saisonwaren, stark witterungsabhängige Unternehmen) kann die Bilanzstruktur durch bewusste Wahl eines Bilanzstichtags außerhalb oder mitten in der Hochsaison beein-flusst werden. Das kann z. B. Auswirkungen haben auf die Höhe der Vorräte, der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, der liquiden Mittel usw. und damit u. a. auf die Bilanzsumme. Dadurch werden bestimmte Bilanzkennziffern beeinflusst.

2. Weiterhin kann die Bilanzstruktur beeinflusst werden durch Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen verbundenen Unternehmen.

3. Durch die Zahlung von fälligen Verbindlichkeiten erst nach dem Bilanzstich-tag sind die liquiden Mittel sowie die Verbindlichkeiten höher als bei fristgerech-ter Bezahlung.

4. Die Aufnahme von Krediten vor oder am Bilanzstichtag mit der Vereinbarung, diese unmittelbar nach dem Bilanzstichtag wieder zu tilgen, führt zu höheren li-quiden Mitteln und höheren Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten.

5. Ein weiteres übliches Mittel der Bilanzpolitik ist die Finanzierung einer Investiti-on über Leasing oder Kredit (Kauf). Bei der Kreditfinanzierung wird auf der Aktivseite der Bilanz das erworbene Anlagevermögen und auf der Passivseite der Kredit bilanziert. Hingegen bleibt beim Leasing die Leasinggesellschaft übli-cherweise wirtschaftlicher Eigentümer. Dann sind weder Anlagegut noch Kredit beim Leasingnehmer zu bilanzieren, so dass die Bilanzsumme im Vergleich zum Kauf kürzer ist. Ein meist geringer GuV-Effekt ergibt sich ebenfalls, da die Leasingaufwendungen nicht genau den Abschreibungen und Zinsaufwendun-gen bei einem Kauf auf Kredit entsprechen.

6. Mit dem Verkauf von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an eine Factoringgesellschaft (so genanntes Factoring) kann die Liquidität verbessert, gleichzeitig aber auch Bilanzpolitik betrieben werden. Auch hier ergeben sich Auswirkungen auf die GuV.

7. Durch Einlagen in das Eigenkapital mit dem Willen, kurz nach dem Bilanz-stichtag Entnahmen zu tätigen, werden die Höhe des Eigenkapitals und damit die Eigenkapitalquote beeinflusst.

Das folgende Schaubild zeigt die Bilanzwirkung für die Situation, dass Investitionen über Kredite finanziert werden.

In gleichem Umfang erhöhen sich Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten. Die Maßnahmen wirken bilanzverlängernd. Die Eigenkapitalquote (Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme) verringert sich.

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Aktiva Passiva Aktiva Passiva

Bilanzbild nach Ausübung der Maßnahmen

Aktiva Passiva Eigenkapital

Verbindlich-keiten

Vermögen Eigenkapital

Vermögen Vermögen

Eigenkapital

Vermögen

Verbindlich-keiten

Verbindlich- keiten

(Schulden)

Verbindlich-keiten

vor Ausübung Ausgangssituation der Maßnahmen

Wirkung der Maßnahmen

Abb. 12: Auswirkung von sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen mit bilanzverlängerndem Effekt auf die Bilanzstruktur

Die Aufnahme von Krediten vor oder am Bilanzstichtag, mit der Vereinbarung, diese unmittelbar nach dem Bilanzstichtag wieder zu tilgen, erfolgt insbesondere mit dem Ziel, die liquiden Mittel zu erhöhen. Der Verbesserung der Liquiditätsstruktur steht allerdings die verringerte Eigenkapitalquote gegenüber. Dementsprechend ist die Maßnahme sorgfältig daraufhin zu prüfen, ob sie geeignet ist, die angestrebten (bilanzpolitischen) Ziele zu erreichen oder ob sie ggf. andere Ziele gefährdet.

Aktiva Passiva Aktiva Passiva

Aktiva Passiva

Ausgangssituation vor Ausübung der Bilanzstrukturveränderung

Eigenkapital

Liquide Mittel (Vermögen)

Vermögen

(kurzfristige) Verbindlich-

keiten

(langfristige) Verb.

Bilanzbild nach Ausübung der Bilanzstrukturveränderung

Eigenkapital

Liquide Mittel (Vermögen)

Vermögen

(kurzfristige) Verbindlich-

keiten

(langfristige) Verbindlich-

keiten

Wirkung der Bilanzstrukturveränderung

Eigenkapital

langfristige Verb.

Liquide Mittel

Liquide Mittel

Vermögen

(lfr.) Verb.(kurzfristige) Verbindlich-

keiten

Abb. 13: Auswirkung von sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen zur Liquiditätsverbesserung auf die Bilanzstruktur

Eine umgekehrte Bilanzwirkung zeigt sich die in den folgenden Situationen:

Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen,

Zahlung von fälligen Verbindlichkeiten vor dem Bilanzstichtag,

Nutzung von Factoring.

Durch diese Maßnahmen verringern sich in gleichem Umfang Vermögensgegens-tände und Verbindlichkeiten. Diese Maßnahmen wirken bilanzverkürzend. Die Ei-genkapitalquote erhöht sich.

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Aktiva Passiva

Bilanzbild vor Ausübung der Maßnahmen

Aktiva Passiva

Aktiva PassivaVerbindlich-

keiten

Verbindlich- keiten Verbindlich-

keiten Verbindlich-

keiten

Vermögen Eigenkapital

Vermögen

Eigenkapital

Vermögen

Eigenkapital

Vermögen

Bilanzbild nach Ausübung der Maßnahmen

Wirkung der Maßnahmen

Abb. 14: Auswirkung von sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen mit bilanzverkürzendem Effekt auf die Bilanzstruktur

3. Grundlagen der Jahresabschlussanalyse

3.1. Gegenstand der Jahresabschlussanalyse

Grundlage der Jahresabschlussanalyse sind die Zahlen des Jahresabschlusses, d. h. der Bilanz sowie der GuV. Darüber hinaus stellen Anhang und Lagebericht eine weitere wichtige Informationsquelle dar. Hilfreich sind auch andere vom Unter-nehmen veröffentlichte Zusatzinformationen, wie z. B. Quartals- oder Halbjahresbe-richte, Mitteilungen über wichtige Entwicklungen im Unternehmen, Pressemitteilun-gen u. a.

3.2. Erkenntnisziele und Grenzen der Jahresabschlussanalyse

Ziel der Jahresabschlussanalyse ist es, einen möglichst umfassenden Einblick in die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des untersuchten Unternehmens zu gewinnen.

Beschränkt sich die Jahresabschlussanalyse nur auf die vom Unternehmen veröf-fentlichten Daten, erhält der Bilanzanalytiker zwangsläufig nur ein – mehr oder weni-ger – eingeschränktes Bild von der aktuellen Unternehmenssituation, und zwar aus folgenden Gründen:

Bilanzen und GuV-Rechnungen beziehen sich auf einen Stichtag bzw. auf ei-nen Zeitraum, der in der Vergangenheit liegt. Insofern ist der Jahresabschluss durch einen ausgeprägten Vergangenheitsbezug charakterisiert. Prognosen über die Zukunft können daraus nur in eingeschränktem Maße abgeleitet wer-den.

Im Jahresabschluss gilt grundsätzlich das Anschaffungskostenprinzip. Nur in wenigen Fällen erfolgt die Bewertung zu Zeitwerten (z. B. Vermögensgegens-

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tände des Deckungsvermögens für Altersversorgungsverpflichtungen, § 253 Abs. 1 Satz 4 HGB). Damit ist eine Beurteilung auf Basis von Zeitwerten meist nicht möglich.

Des Weiteren fehlen häufig Informationen über schwebende Geschäfte (mit Ausnahme der handelsrechtlich vorgeschriebenen Drohverlustrückstellung bei verlustträchtigen Geschäften), bedingte Verpflichtungen, selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände - wenn das Wahlrecht zur Aktivierung nicht genutzt wird - , langfristige Vertragsbeziehungen zu Kunden und Lieferan-ten, Preisänderungen, Eigentumsvorbehalte, Sicherungsübereignungen u. a.

Der Jahresabschluss beinhaltet kaum Informationen zur Kapazitätsauslastung, über Kreditlinien und Finanzierungen außerhalb der Bilanz, wie z. B. Leasing, Factoring oder Forfaitierung.

Der Jahresabschluss zeigt nur das Resultat, nicht aber die Gründe für den un-ternehmerischen Erfolg, z. B. aufgrund von Forschungsergebnissen, Know how, Produktionsverfahren, Marktanteilen, Organisation, Management o. Ä.

Werden Informationen zu diesen Erfolgsfaktoren im Lagebericht gegeben, er-folgen Darstellung und Wertungen möglicherweise aus unternehmenseigener und damit subjektiver Sicht.

Die Angaben im Jahresabschluss sind durch Bilanzpolitik beeinflusst.

Die Grenzen der Jahresabschlussanalyse liegen dort, wo die verfügbaren Informati-onen nicht den Informationserfordernissen der Adressaten entsprechen. Investiti-ons- und Kreditentscheidungen erfolgen vor allem auf der Grundlage der prognosti-zierten Erfolgsaussichten. Für solche Entscheidungen und zur Beurteilung der er-folgs- und finanzwirtschaftlichen Unternehmensentwicklung werden darum, neben den überwiegend vergangenheitsorientierten Informationen des Jahresabschlusses, auch zukunftsbezogene Informationen benötigt.

Die Grenzen der Aussagefähigkeit eines Jahresabschlusses werden besonders deut-lich, wenn es um das Bedürfnis der Jahresabschlussadressaten nach zukunftsbezo-genen und vollständigen Informationen geht.

3.3. Automatisierungsverfahren

Bilanzanalysten nutzen für die Analyse von Jahresabschlüssen in der Regel eine Analysesoftware. Damit wird der Jahresabschluss aufbereitet und neu gegliedert, es werden so genannte Strukturbilanzen erstellt. Hierzu werden Daten aus den Origi-nalbilanzen in ein fest vorgegebenes Analyseschema (Struktur) übertragen. Struktur-bilanzen enthalten meist einen mehrjährigen Vergleich sowie Kennzahlen und weite-re Auswertungen, wie z. B. Branchenvergleichszahlen.

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Es gibt verschiedene Analyseprogramme auf dem Markt, allein in den verschiede-nen Kreditinstitutsgruppen werden unterschiedliche Systeme eingesetzt. So nut-zen beispielsweise einige Großbanken „BARS“, die Sparkassen „EBIL“, die Genos-senschaftsbanken „Geno-FBS“. Trotz zahlreicher Unterschiede im Aufbau der Soft-ware sind einige Merkmale bankenübergreifend identisch:

Automatische Berechnung von Kennzahlen: Kennzahlen dienen zur Unter-stützung bei der Ermittlung einer Bonitätskennziffer oder sind Bestandteil voll-automatisierter Scoring-Systeme. Für das Standard-Geschäft entwickelte Sco-ring-Systeme haben - ähnlich wie Rating-Systeme - als mathematisch-statisti-sche EDV-gestützte Verfahren das Ziel, das kundenindividuelle Risiko mittels eines Punktesystems zu identifizieren.

Die Jahresabschlüsse verschiedener Kunden werden einheitlich aufbereitet und sind damit innerhalb einer Kreditinstitutsgruppe untereinander vergleichbar.

Übernahme der Daten in andere Systeme innerhalb des Kreditinstituts, u. a. für Rating-Systeme, Portfoliosteuerung etc.

Das Hauptproblem der automatisierten Auswertungsverfahren liegt darin, dass sie bilanzpolitische Effekte nur bedingt analysieren können. Es ist systembedingt meist nicht möglich, die Auswirkungen bilanzpolitischer Maßnahmen automatisch zu bereinigen. Darum ist der Zusammenhang zwischen bilanzpolitischen Maßnahmen und der damit bewirkten Beeinflussung bestimmter Kennziffern bei der Jahresab-schlussanalyse zu beachten. Die Vernachlässigung dieses Zusammenhangs kann zu fehlerhaften Bonitätseinschätzungen des zu analysierenden Unternehmens führen (siehe Kapitel 1.4).

Trotzdem ist eine effiziente Jahresabschlussanalyse ohne Nutzung von Strukturbi-lanzen mittels Analysesoftware heute schwer vorstellbar.

3.4. Kennzahlen

Für die Jahresabschlussanalyse wurde eine Vielzahl von Kennzahlen entwickelt und kontinuierlich verfeinert.

Kennzahlen setzen verschiedene Positionen aus der Bilanz und/oder der GuV bzw. weitere Daten zueinander in Beziehung. Die Analyse von Kennzahlen, ihre Entwick-lung im Zeitvergleich und der Vergleich mit Branchenwerten sollen Aufschluss über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens geben, insbesondere im Vergleich zu seinen Wettbewerbern.

Wichtig für die Praxis ist, dass ...

... nie nur einzelne Kennzahlen zur Beurteilung herangezogen werden, da sie nur einen Teil der Unternehmenssituation widerspiegeln und u. U. sogar zu Fehlinterpretationen führen können. Ein Gesamtbild ergibt sich i. d. R. erst

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aus einem System von Kennzahlen . Anspruchsvoll wird es für den Analysten allerdings dann, wenn einzelne Kennzahlen zu gegenteiligen Aussagen kom-men. Dann ist der Aussagewert der jeweiligen Kennzahlen kritisch zu hinterfra-gen. Nur durch Gewichtung der Kennzahlen wird es dem Analysten gelingen, tatsächliche oder scheinbare Widersprüche zu werten und zu einem Gesamtur-teil zu verdichten.

... viele Kennzahlen im Grunde dasselbe aussagen. Ein System aus solchen Kennzahlen ergibt damit noch kein vollständigeres Gesamtbild als eine einzelne Kennzahl. Der Auswahl der verwendeten Kennzahlen kommt damit eine hohe Bedeutung zu.

... der Analyst die seitens des Bilanzerstellers in Anspruch genommenen Bilan-zierungs- und Bewertungsspielräume berücksichtigt. Grundlage sollte eine ent-sprechend aufbereitete Bilanz und GuV sein. Hilfreich ist es, die Zahlen vorher um bilanzpolitische Effekte zu bereinigen (soweit diese erkennbar sind). An-dernfalls sind auch die Kennzahlen durch Bilanzpolitik verfälscht bzw. verzerrt. Allerdings können nicht alle Effekte identifiziert, quantifiziert und dementspre-chend bereinigt werden, da Vergleichswerte fehlen. In diesem Fall sind ergän-zende Hinweise nötig, um den analytischen Aussagewert der Kennzahlen ent-sprechend relativieren zu können.

… Kennzahlen in den einzelnen Analyse-Systemen häufig unterschiedlich defi-niert sind. Eine direkte Vergleichbarkeit der Kennzahlen zwischen den Sys-temen ist damit oft nicht möglich. Auch aus diesem Grund fehlt eine anerkannte betriebswirtschaftliche Theorie zur Festlegung von Sollwerten für Kennzahlen „gesunder“ Unternehmen. Das heißt: Es gibt keinen objektiven Vergleichsmaß-stab.

Allerdings gilt auch, dass ...

... Kennzahlen nötig und nützlich sind. Sie dienen dem schnellen Aufspüren möglicher Risiken für das Unternehmen.

... möglichst wenige, aber bewährte Kennzahlen eingesetzt werden sollten. Weniger ist hier manchmal mehr.

... für jede Kennzahl der Nachweis möglich sein muss, dass sie für eine Analyse wirklich bedeutsame Aussagen liefert.

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4. Methoden der Jahresabschlussanalyse

4.1. Kategorisierung von Kennzahlen

Im Zuge der Jahresabschlussanalyse werden die Informationen der Bilanz und GuV zu Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens verdichtet. Die Informationen zur Bilanz kategorisiert der Analyst nach ihrer Aussage

zur Vermögensstruktur (Investitionsanalyse),

zur Kapitalstruktur (Finanzierungsanalyse) und

zur Beziehung zwischen Kapitalverwendung und -aufbringung (Liquiditätsanaly-se).

Die Informationen zur GuV werden in der Ertragskraftanalyse verdichtet. Hier wird der Frage nach der Höhe und dem Zustandekommen des Unternehmensergebnisses nachgegangen. Der Cash-Flow als eine zentrale Messgröße der Ertragskraft dient auch als Indikator für die Finanzkraft und die Liquidität des Unternehmens.

Vermögensstrukturanalyse Kapitalstrukturanalyse Ertragskraftanalyse (Investitionsanalyse) (Finanzierungsanalyse) (GuV-Analyse)

Anlagevermögen: Eigenkapitalquote Gesamtleistungsentw. Anlageintensität Verschuldungskoeffizient Materialeinsatzquote Investitionsquote Kreditorenlaufzeit Rohertragsquote Wachstumsquote Dyn. Verschuldungsgrad PersonalaufwandsquoteUmlaufvermögen: Sachaufwandskennzahlen Lagerdauer Umsatzrentabilität Debitorenlaufzeit

Liquiditätsanalyse

Anlagendeckung II Cash-Flow Liquidität I + II + III EBIT + EBITDA Working Capital

Bausteine der Jahresabschlussanalyse

Abb. 15: Bestandteile der Jahresabschlussanalyse

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4.2. Vermögensstrukturkennzahlen

4.2.1. Vorbemerkung

Die Vermögensstrukturanalyse (Investitionsanalyse) untersucht die Art und Zu-sammensetzung des Vermögens und die Dauer der Vermögensbindung. Die Ge-schwindigkeit, mit der Vermögensgegenstände durch den Leistungsprozess umge-schlagen werden (Umschlagshäufigkeit), hat für den Kapitalbedarf Bedeutung. Je schneller das Vermögen umgeschlagen wird und je kürzer die Vermögensbindung, desto geringer der Kapitalbedarf. Je kürzer die Dauer der Vermögensbindung, desto stärker die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an veränderte Rahmenbedin-gungen. Durch eine möglichst kurzfristige Vermögensbindung wird es dem Unter-nehmen i. d. R. erleichtert, auch die damit verbundenen Fixkosten (Lagerhaltung, Finanzierung) niedrig zu halten. Je geringer der Fixkostenanteil für die Vermögens-bindung ist, desto geringer ist das leistungswirtschaftliche Risiko. Infolgedessen ver-bessert sich die Erfolgsstabilität (Erfolgselastizität).

4.2.2. Aussagegehalt von Vermögensstrukturkennzahlen

Folgende, unternehmensindividuelle und branchenbezogene Einflüsse schränken den Aussagegehalt der Vermögensstrukturkennzahlen ein:

Branchenzugehörigkeit (Produktionsunternehmen sind i. d. R. anlagenintensiver als Handelsunternehmen, d. h. es ist mehr Kapital im Vermögen gebunden),

Produktionsprogramm,

Fertigungstiefe und Automatisierungsgrad,

Investitionsverhalten (auch als Investitionspolitik bezeichnet; „Politik“ ist in die-sem Zusammenhang eher als strategische Unternehmensführung zu verste-hen),

Abschreibungspolitik,

Lagermanagement,

Miet- und Leasingquote (Nutzung von Fremdeigentum führt zu einer Verkür-zung der Bilanzsumme).

4.2.3. Anlageintensität

AnlagevermögenGesamtvermögen

x 100 = AnlageintensitätAnlagevermögenGesamtvermögen

x 100 = Anlageintensität

Das Gesamtvermögen entspricht vereinfacht der Bilanzsumme.

Die Kennzahl stellt den Anteil dar, den das Anlagevermögen im Verhältnis zum ge-samten investierten Vermögen ausmacht. Eine hohe Anlageintensität ist kennzeich-

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nend dafür, dass das Unternehmen entsprechend viel Kapital im Anlagevermögen gebunden hat. Da Anlagevermögen langfristig im Unternehmen eingesetzt wird, ver-ringert das Unternehmen seine Dispositionselastizität, d. h. es kann auf einen erhöh-ten Kapitalbedarf nicht durch rasche Liquidierung des gebundenen Kapitals reagie-ren. Besonderes Augenmerk erfordert in diesem Fall die Produktivität des eingesetz-ten Vermögens, gemessen an der Kapazitätsausnutzung. Nur eine hohe Kapazitäts-ausnutzung sichert ein entsprechendes Leistungsvolumen und schafft die Voraus-setzung dafür, dass die hohen Fixkosten, die das Anlagevermögen verursacht, ge-deckt werden können.

Finanzierungsformen wie z. B. Leasing verfälschen diese Kennzahl, da das geleaste Anlagevermögen nicht im Anlagevermögen ausgewiesen wird und damit die Anla-genintensität gering ausfällt. Tatsächlich kann jedoch durch längerfristige Leasingver-träge die Flexibilität eingeschränkt und das Risiko bei Marktveränderungen hoch sein.

4.2.4. Investitionsquote

Die Investitionsquote ist eine Kennzahl für die Investitionsaktivitäten (Nettoinvestitio-nen in Sachanlagen = Saldo aus Zugängen abzüglich Abgängen zu Restbuchwerten) eines Unternehmens. Das Sachanlagevermögen ist mit dem Wert zum Jahresanfang oder zu den historischen Anschaffungskosten anzusetzen.

nsquoteInvestitio100vermögenSachanlage

nSachanlage in titionenNettoinvesx

Hohe Werte sprechen für eine hohe Umschlagshäufigkeit des Sachanlagevermögens und damit eine kurzfristige Bindung. Im Zeitvergleich kann diese Kennzahl auch Aus-sagen über einen Investitions-(Nachhol-)Bedarf bieten.

Sinkt die Kennzahl im Zeitablauf, ist das ein Indiz für nachlassende Re-Investitionen, und es stellt sich die Frage nach (über-)fälligen Ersatzinvestitionen. Grundsätzlich sichert eine ausgewogene Investitionspolitik die künftige Ertragskraft des Unterneh-mens. Hat das Unternehmen jedoch innerhalb kurzer Zeit stark investiert, sinkt in den Folgejahren die Investitionsquote aufgrund des zumindest vorübergehend geringeren Investitionsbedarfs zwangsläufig. Daraus einen Investitionsstau abzuleiten, wäre ü-berzogen. Sinnvoll ist es daher, die Investitionsquote im Zeitvergleich über mehrere Jahre zu betrachten und für diese Kennzahl einen Durchschnitt (z. B. der letzten fünf Jahre) zu berechnen.

Veränderte Finanzierungsformen, z. B. durch Leasing statt Kauf, können diese Kennzahl stark verfälschen.

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4.2.5. Wachstumsquote

Quantitatives Wachstum findet dann statt, wenn über den Abschreibungsbetrag hin-aus investiert wird. Informationen darüber gibt die Wachstumsquote (auch Reinvesti-tionsgrad).

ionsgradReinvestit100nSachanlage auf ngenAbschreibunSachanlage in titionenNettoinves

x

Bei einer dauerhaft zu beobachtenden Wachstumsquote von < 100% findet Sub-stanzverzehr statt. Die Unternehmenspolitik ist nicht auf Wachstum gerichtet, son-dern auf Schrumpfung. Ob die Unternehmenspolitik jedoch auf Abschöpfung ausge-richtet ist oder ob fehlende Investitionen „nur“ Ergebnis mangelnder Finanzkraft sind, muss über andere Analyseergebnisse abgeklärt werden, wie z. B. mit Hilfe der Er-tragskraft- und der Kapitalstrukturanalyse

Dabei ist zu beachten, dass sich auch die Abschreibungspolitik auf die Wachs-tumsquote auswirkt. Eine schnelle Abschreibung der Sachanlagen (degressive Ab-schreibung) sowie außerplanmäßige Abschreibungen senken die Wachstumsquote. Umgekehrt schlagen sich lange Abschreibungszeiträume sowie lineare Abschreibun-gen in einer höheren Wachstumsquote nieder. Ursache ist in einem solchen Fall nicht die Expansionspolitik des Unternehmens, sondern dessen Bilanzpolitik.

4.2.6. Lagerdauer

Die Kennzahl zur Lagerdauer der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB)/Waren hilft bei der Beurteilung, ob das Vorratsvermögen effizient eingesetzt worden ist. Der Ma-terialeinsatz entspricht den Aufwendungen für RHB und für bezogene Waren in der GuV.

(Tage) RHB/Waren Lagerdauer360nsatzMaterialei

RHB/Waren an Bestand

x

Die Kennzahl gibt an, wie lange der RHB/Warenbestand im Durchschnitt auf Lager liegt, bevor er umgesetzt bzw. verarbeitet wird. Tauscht man Nenner und Zähler der Kennzahl und multipliziert dies mit 100%, erhält man eine Aussage darüber, wie oft sich die Vorräte (RHB und Waren) im Jahr umschlagen. Die Lagerumschlagshäu-figkeit ist also nur eine andere Ausdrucksform der Lagerdauer. Ein paralleler Ein-satz beider Kennzahlen verbessert darum nicht den Aussagewert der Analyse.

Saisonale Schwankungen und Besonderheiten der Produktpalette werden in der Kennzahl nicht berücksichtigt. Trotz dieser Einschränkung liefert die Lagerdauer bzw. die Lagerumschlagshäufigkeit Anhaltspunkte für die Angemessenheit der Vorratshal-tung.

Ursachen für ein hohes Vorratsvermögen können ein breites Handelssortiment oder lange Fertigungszeiten sein. Beruht ein überdurchschnittliches Vorratsvermögen auf Absatzproblemen des Unternehmens, ist diese Kennzahl besonders kritisch zu be-

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werten. Besonderes Augenmerk muss auf eine stetig steigende Lagerdauer gelegt werden.

Da die Lagerhaltung sehr stark von den Besonderheiten der jeweiligen Branche be-stimmt wird, ist es für den Analysten sinnvoll, die Kennzahl im Branchenvergleich zu betrachten. Während eine vergleichsweise kurze Lagerdauer mit einer rationellen Lagerwirtschaft zusammenhängen kann, legt der umgekehrte Fall den Verdacht na-he, dass „Ladenhüter“ vorhanden sind. Es ist aber auch möglich, dass das Unter-nehmen das Lager wegen Beschaffungsschwierigkeiten (Lieferfristen auf der Be-zugsseite) oder erwarteten Preiserhöhungen aufgestockt hat. Nicht zuletzt hat die Ausnutzung von bilanzpolitischen Bewertungswahlrechten Einfluss auf die bilanzielle Höhe des Vorratsvermögens. Eine Betrachtung der Kennzahl ohne Hinterfragen des Lagergrundes gibt nur eingeschränkt Auskunft über die Qualität des Vorratsvermö-gens und seine Bindung.

4.2.7. Debitorenlaufzeit

Die Debitorenlaufzeit (auch Kundenziel) gibt die Anzahl der Tage an, bis ein Kunde (Debitor) im Schnitt die vom Unternehmen gestellte Rechnung bezahlt hat.

(Tage) aufzeitDebitorenl360erUmsatzsteu ggf. seUmsatzerlö

erungen Warenfordan Bestand ttlicherDurchschni

x

Die Warenforderungen setzen sich wie folgt zusammen:

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen + Forderungen gegen verbundene Unternehmen (soweit aus Lieferungen und Leistungen) + Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht (soweit aus Lieferungen und Leistungen) = Warenforderungen

Diese Debitorenlaufzeit liefert Indizien über das Zahlungsziel, dessen Angemessen-heit und das allgemeine, durch Außenstände verursachte Liquiditätsrisiko.

Lange Zahlungsziele werfen Fragen auf nach

den gewährten Zahlungszielen,

der Vertragsgestaltung,

der Zahlungsmoral der Kunden,

der Qualität des Forderungsmanagements.

Werden keine langen Zahlungsziele gewährt, sind aber dennoch hohe Debitorenlauf-zeiten festzustellen, ist grundsätzlich ein erhöhtes Ausfallrisiko für die Warenforde-rungen anzunehmen. Das hat Auswirkungen auf die Liquiditätssituation und damit

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auch auf die Bonitätsbeurteilung des Unternehmens. Eine abgeschriebene Forde-rung wirkt darüber hinaus direkt ertrags- und damit eigenkapitalmindernd.

Über alle Märkte hinweg beklagen Unternehmen eine stetige Verschlechterung der Zahlungsmoral. Maßnahmen zur Absicherung des Ausfallrisikos gewinnen daher ei-ne immer größere Bedeutung. Zu diesem Zweck werden z. B. Kreditversicherungen und Bankbürgschaften angeboten, insbesondere zur Absicherung von Großprojek-ten.

4.3. Kapitalstrukturkennzahlen

4.3.1. Vorbemerkung

Die Kapitalstrukturanalyse (Finanzierungsanalyse) untersucht die Kapitalstruktur des Unternehmens danach, aus welcher Quelle das Kapital stammt. Außerdem liefern Art und Dauer der Kapitalbindung wichtige Informationen. Ziel der Analyse ist es, den Umfang von Finanzierungsreserven festzustellen.

4.3.2. Eigenkapitalquote

Eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der finanziellen Stabilität des Unternehmens, aber auch seiner Risikotragfähigkeit, ist die Eigenkapitalquote. Das Gesamtkapital entspricht vereinfacht der Bilanzsumme.

alquoteEigenkapit100talGesamtkapialEigenkapit

x

Unternehmerische Risiken (Verluste) können dann durch Eigenkapital abgedeckt werden, wenn die aus Eigenmitteln finanzierten Vermögensgegenstände frei verfüg-bar sind, wie z. B. flüssige Mittel (Bankguthaben). Erforderlich ist außerdem, dass die Vermögensgegenstände frei von Ansprüchen Dritter sind (z. B. Grundschulden), so dass das Vermögen für Veräußerungen („Verflüssigung“) oder als Sicherheit für Kre-dite zur Verfügung steht.

Im Allgemeinen gilt, dass die Sicherheit, finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit des Unternehmens umso größer sind, je höher die Eigenkapitalquote ist. Doch zur lang-fristigen Unternehmenssicherung reicht das allein nicht aus. Im laufenden Unterneh-mensprozess wird die finanzielle Stabilität vor allem durch die Ertragskraft des opera-tiven Geschäfts und dem daraus erwirtschafteten Cash-Flow bestimmt. Dementspre-chend können ertragsstarke Unternehmen auch eine eher schwache Eigenkapital-quote verkraften.

Das Eigenkapital steht dem Unternehmen typischerweise langfristig zur Verfügung. Für Analysten wichtig ist die Frage der Fristenkongruenz der Finanzierung: Ist lang-fristig im Unternehmen gebundenes Vermögen auch durch entsprechend langfristig

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zur Verfügung stehende Mittel finanziert? Denn ist das Kapital früher zur Rückzah-lung fällig als Vermögen hierzu liquidiert werden kann, entsteht eine Finanzierungs-lücke bzw. ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Hierzu wird das Eigenkapital den langfristig gebundenen Vermögensgegenständen gegenüberge-stellt. Je größer der Anteil des langfristigen Vermögens, der durch Eigenkapital ab-gedeckt ist, desto solider ist das Unternehmen finanziert.

4.3.3. Verschuldungskoeffizient

Der Verschuldungskoeffizient (auch Verschuldungsgrad) setzt das Fremdkapital in Relation zum Eigenkapital.

(-fache) ientngskoeffizVerschuldualEigenkapit

alFremdkapit

Als ideal wird häufig ein Verhältnis von 1 : 1 von Fremdkapital zu Eigenkapital ange-nommen, also ein Verschuldungskoeffizient von 1,0. Dieser Maßstab erweist sich unter dem Gesichtspunkt der Eigenkapitalrentabilität jedoch oft als nicht praktika-bel. Bei wachstumsstarken Unternehmen mit guter Ertragskraft kann sich eine höhe-re Verschuldung positiv auf die Eigenkapitalrentabilität auswirken (so genannter Le-verageeffekt). Liegt die tatsächliche Verschuldung unterhalb der optimalen Ver-schuldung geht das zu Lasten der Eigenkapitalrentabilität.

Bei Verwendung dieser Kennzahl ist zu beachten, dass sie gegenüber der Eigenka-pitalquote keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verschafft: Ein Verschuldungskoef-fizient von 1,0 entspricht einer Eigenkapitalquote von 50%, bei einem Koeffizienten von 2,0 beträgt die Eigenkapitalquote 33,3% usw.

4.3.4. Kreditorenlaufzeit

Die Kreditorenlaufzeit (auch Lieferantenziel) gibt die Anzahl der Tage an, bis ein Lie-ferant (Kreditor) im Schnitt vom Unternehmen bezahlt wird.

(Tage) laufzeitKreditoren360 Vorsteuerggf. fwandMaterialau

lden Warenschuan Bestand ttlicherDurchschni

x

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Die Warenschulden setzen sich wie folgt zusammen:

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und der Ausstellung eigener Wechsel (soweit aus Lieferungen und Leistungen) + Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen (soweit aus Lieferungen und Leistungen) + Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht (soweit aus Lieferungen und Leistungen) = Warenschulden

Häufig findet man die pauschale Aussage, dass eine hohe und im Zeitverlauf stei-gende Kreditorenlaufzeit Zahlungsschwierigkeiten signalisiert. Eine hohe Kredito-renlaufzeit kann aber auch Ergebnis einer starken Verhandlungsposition gegen-über Lieferanten sein, woraufhin diese sich gezwungen sehen, dem Unternehmen entsprechende Zahlungsziele einzuräumen. Eine eindeutige Wertung ist deshalb oft erst im Zusammenhang mit anderen Kennzahlen möglich. Häufig hilft auch ein Bran-chenvergleich weiter.

Mit der Inanspruchnahme des Lieferantenkredits wird in der Regel auf eventuelle Skontoerträge verzichtet. Mit dem Verzicht auf Skonti geht oft der Verlust beachtli-cher Ertragspotenziale einher. Verzichtet ein Unternehmen in großem Umfang auf mögliche Skontoerträge, steht im Regelfall keine ausreichende Liquidität zur Verfü-gung, die Lieferanten schneller zu bedienen und die Skonti „einzustreichen“.

4.3.5. Dynamischer Verschuldungsgrad

Eine Kennzahl zur Beurteilung der Selbstfinanzierungskraft eines Unternehmens bzw. seiner Fähigkeit, sich aus den selbst erwirtschafteten Erträgen zu entschulden, ist der dynamische Verschuldungsgrad.

ungsgrad VerschuldrDynamische100Flow-Cash

alFremdkapit

Der dynamische Verschuldungsgrad gibt an, in welchem Zeitraum das Unternehmen seine Schulden durch Einsatz des Cash-Flows (Punkt 4.6.2) tilgen kann.

100% stehen für ein Jahr. Das bedeutet ein dynamischer Verschuldungsgrad von 300% entspricht einer Tilgungsdauer von drei Jahren bei gleichbleibendem Cash-Flow.

Die Kennzahl liefert einen wichtigen (rechnerischen) Anhaltspunkt zur Beurteilung der (theoretischen) Schuldentilgungskraft eines Unternehmens. Da die Kennzahl eine Kombination aus Ertragskraft und Kapitalstruktur darstellt, können beide Berei-che die Kennzahl beeinflussen.

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Je größer die operative Ertragskraft, umso mehr Fremdkapital kann bedient werden. Andererseits ist bei entsprechend hohem Eigenkapital (niedriges Fremdkapital) kein hoher Cash-Flow zur dynamischen Entschuldung erforderlich.

4.4. Analyse und Kennzahlen der Gewinn- und Verlustrechnung

4.4.1. Vorbemerkung

Die Kennzahlen zur Ertragskraftanalyse, gewonnen aus der GuV, ermöglichen ein Urteil zur Rentabilität und Ertragsstärke eines Unternehmens. Dabei werden aus-sagekräftige Aufwands- und Ertragsgrößen ins Verhältnis zur Gesamtleistung ge-setzt. Anhand solcher relativen Ertragskennzahlen werden - insbesondere mit Hilfe von Zeit- und Branchenvergleichen - positive bzw. negative Zustände und Ent-wicklungen der Ertragslage identifiziert.

Während die aus der Bilanz abgeleiteten Kennzahlen auf Stichtagswerten beruhen, beziehen sich die GuV-Kennzahlen auf den Zeitraum eines Geschäftsjahres.

Die Bilanz ist eine Gegenüberstellung von Vermögen und Kapital des Unternehmens zu einem bestimmten Stichtag. Sie zeigt das Reinvermögen (Eigenkapital) als Saldo von Vermögen und Schulden des Unternehmens. Dem gegenüber erfasst die GuV die während des Jahres durch Aufwendungen und Erträge im Zusammenhang mit den Geschäften des Unternehmens entstehenden Vermögensänderungen, mit Aus-nahme von Vermögensänderungen die durch Kapitalein- und -auszahlungen der bzw. an die Gesellschafter entstehen.

4.4.2. Entwicklung der Gesamtleistung

Noch bevor sich der Analyst mit den verschiedenen Ertragskennzahlen auseinander-setzt, ist die Entwicklung der Gesamtleistung zu beurteilen.

Umsatzerlöse + Erhöhung oder Verminderung des Bestands an fertigen und unfertigen Erzeugnissen + Andere aktivierte Eigenleistungen = Gesamtleistung

Vielfach ist der Analyst dabei jedoch von Zusatzinformationen abhängig. Informatio-nen im Anhang und Lagebericht sind oftmals nur eine unzureichende Informations-quelle. Neben einer Würdigung der Gesamtentwicklung geht es bei der Analyse um eine Bewertung von Entwicklungstendenzen z. B. der Unternehmenssegmente oder -produkte. Insbesondere bei Expansionen stellt sich die Frage, ob das Leistungsvo-lumen mit den vorhandenen Strukturen (Management, Kapazitäten, Markt) dauerhaft realisiert werden kann. Auch ist z. B. zu klären, ob es einmalige Faktoren für die

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Leistungsentwicklung („einmalige“ Besonderheiten im Sortiment bei Handelsunter-nehmen, „einmalige“ Großaufträge bei Auftragsfertigern) gibt.

Im Folgenden werden wichtige GuV-Kennzahlen nach dem Gesamtkostenverfah-ren vorgestellt.

Exkurs Gesamt- und Umsatzkostenverfahren:

Beim Gesamtkostenverfahren werden alle Erträge sämtlichen Aufwendungen eines Geschäftsjahres (einer Periode) gegenübergestellt. Die Gliederung der Aufwendungen erfolgt nach Kostenarten (Pri-märprinzip).

Die Gliederung der Aufwendungen beim Umsatzkostenverfahren erfolgt nach Funktionsbereichen im Rahmen des Umsatzprozesses (Sekundärprinzip). Beim Umsatzkostenverfahren werden den Um-satzerlösen nicht die gesamten Herstellungskosten gegenübergestellt, sondern nur diejenigen, die auf den Umsatz (also auf die verkauften Produkte und Dienstleistungen) entfallen. Daher werden sie als Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen bezeichnet.

Die beiden Verfahren unterscheiden sich nur in der Ausweisform. Das Jahresergebnis ist nach bei-den Verfahren jedoch zwangsläufig identisch.

4.4.3. Materialeinsatzquote

Die Materialeinsatzquote (auch Materialaufwandsquote oder Materialintensität) setzt den Materialaufwand ins Verhältnis zur Gesamtleistung.

nsatzquoteMaterialei100tungGesamtleis

fwandMaterialaux

Der Materialaufwand wird als variable Aufwandsposition betrachtet. Variabel heißt, dass dieser Aufwand nur entsteht, wenn auch Umsatz (bzw. Leistung) entstanden ist. Eine variable Aufwandsposition ist also vollkommen umsatz- (bzw. leistungs-) ab-hängig. Ändert sich die Gesamtleistung eines Unternehmens, so bleibt die Materia-leinsatzquote normalerweise unverändert. Verändert sie sich trotzdem, stellt sich dem Analysten die Frage, worauf die Veränderung zurückzuführen ist. Gründe für Verschiebungen der Materialrelation können sein:

Änderungen bei den Ein- und/oder Verkaufspreisen,

Produktmix-(Sortiments-)Änderungen,

Änderungen der Ausschussmengen und/oder des Schwundes,

Änderungen in der Fertigungstiefe (verändertes Verhältnis von Eigenfertigung zu Fremdbezug),

Verändertes Bewertungsverfahren für die Vorräte (Zusammenhang zur Bilanz-politik).

Da Handelsunternehmen keine Produktion haben, lässt die Materialeinsatzquote hier Rückschlüsse auf die Preiskalkulation bzw. den durchschnittlich realisierten Kalkula-tionsaufschlag zu. Bei Produktionsunternehmen hängt eine Beurteilung der Material-

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einsatzquote davon ab, ob das Unternehmen Einzel- und/oder Serienfertigung be-treibt und wie hoch der eigene Materialverbrauch und/oder der Einsatz von Fremd-leistungen ist.

Festzuhalten ist: Je stärker sich die Geschäftstätigkeit verändert hat, desto weniger sind die Materialeinsatzquoten zwischen den einzelnen Perioden vergleichbar, da zu viele Parameter die Relation verändert haben können. Der Analyst muss versuchen, zusätzliche Informationen zu gewinnen, um die möglichen Ursache(n) für schwan-kende Materialeinsatzquoten einzugrenzen.

4.4.4. Rohertragsquote

Die Rohertragsquote ist fast spiegelbildlich zur Materialeinsatzquote. Der Rohertrag gibt an, welcher Anteil der Betriebsleistung (= Gesamtleistung + sonstige betriebliche Erträge) nach Abzug der Materialaufwendungen noch für die Deckung der betriebli-chen Aufwendungen (Sach- und Personalaufwand) zur Verfügung steht:

quoteRohertrags100tungGesamtleis

Rohertragx

Durch die nahezu spiegelbildliche Ermittlung von Materialaufwands- und Rohertrags-quote (Abweichung beruht auf der Einbeziehung der sonstigen betrieblichen Erträge in den Rohertrag) lassen sich auch die Gründe für Veränderungen dieser Kennzah-len auf fast die gleichen Ursachen zurückführen. Um Redundanzen zu vermeiden, sollte sich die Analyse auf die Verwendung einer der beiden Kennzahlen beschrän-ken.

Da bei Produktionsunternehmen die Rohertragsquote stark davon abhängt, ob die Fertigung eher material- oder eher lohnintensiv ist, gewinnt der Rohertrag bzw. die Rohertragsquote in Kombination mit dem Personalaufwand bzw. der Personalauf-wandsquote, eine besonders hohe Aussagekraft.

4.4.5. Personalaufwandsquote

Die Personalaufwandsquote (auch Personalintensität) setzt den Personalaufwand ins Verhältnis zur Gesamtleistung.

efwandsquotPersonalau100tungGesamtleis

fwandPersonalaux

Die Personalaufwandsquote des Unternehmens lässt Rückschlüsse auf die Perso-nalintensität und – wenn auch eingeschränkt – auf das Produktivitäts- sowie auf das Lohn- und Gehaltsniveau im Ganzen zu. Je geringer die Personalaufwandsquote, desto höher ist die Produktivität. Diese Kennzahl wird häufig im Branchen- und Un-ternehmensvergleich herangezogen.

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Insbesondere die Wechselwirkung zwischen hoher Personalaufwandsquote und niedriger Materialaufwandsquote (und umgekehrt) ist für die Analyse von Bedeutung. Bei Outsourcing von Leistungen wird die Personalaufwandsquote regelmäßig sinken, die Materialeinsatzquote aufgrund des erhöhten Bezugs an Fremdleistungen i. d. R. aber steigen.

4.4.6. Kennzahlen zur Beurteilung des Sachaufwands

Prinzipiell können alle Aufwandspositionen ins Verhältnis zur Gesamtleistung gesetzt werden. Beispiele für weitere in der Praxis gebräuchliche Aufwandskennzahlen sind:

ngsquoteAbschreibu100tungGesamtleis

ungen AbschreibPlanmäßigex

dsquoteZinsaufwan100tungGesamtleis

dZinsaufwanx

dsquoteSachaufwan100tungGesamtleis

dSachaufwanx

Bei der Analyse des Sachaufwands sind folgende Fragen von besonderem Interes-se:

Ist im Zeitvergleich ein Fixkostencharakter der Sachaufwendungen zu erken-nen? Die Beantwortung dieser Frage ist insbesondere bei den weitergehenden Fragen nach der Ertragselastizität und der Möglichkeit von Kostenänderungen bei Umsatzveränderungen von Interesse.

Welche einzelnen Positionen entwickeln sich gegen den Trend?

4.4.7. Umsatzrentabilität

Die Umsatzrentabilität (auch Umsatzrendite) stellt den auf den Umsatz bezogenen Gewinnanteil dar.

abilitätUmsatzrent100seUmsatzerlö

gebnisBetriebserx

Das Betriebsergebnis wird häufig wie folgt definiert:

Jahresüberschuss/-fehlbetrag +/- Ertragsteuern +/- Außerordentliches Ergebnis +/- Zinsergebnis +/- Beteiligungsergebnis = Betriebsergebnis

Die Umsatzrentabilität lässt also erkennen, wie viel das Unternehmen in Bezug auf 1 € Umsatz verdient hat. Eine Umsatzrendite von 10% bedeutet, dass mit jedem um-

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gesetzten Euro ein Gewinn von 10 Cent erwirtschaftet wurde. Eine steigende Um-satzrentabilität deutet bei unverändertem Verkaufspreis auf eine zunehmende Pro-duktivität im Unternehmen hin, während eine sinkende Umsatzrentabilität auf sinken-de Produktivität und damit auf steigende Kosten hinweist.

4.5. Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse

4.5.1. Vorbemerkung

In der Liquiditätsanalyse wird

der Zusammenhang untersucht zwischen den Investitionen eines Unterneh-mens (Vermögensstruktur) und deren Finanzierung (Kapitalstruktur) sowie

die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens beurteilt.

Dazu werden verschiedene bilanzierte Vermögensgegenstände ins Verhältnis ge-setzt zu den bilanzierten Verbindlichkeiten (horizontale Analyse).

Die Liquiditätskennzahlen unterscheiden langfristige und kurzfristige Liquidität.

4.5.2. Anlagendeckung II

Die Anlagendeckung II (auch Deckungsgrad II oder Deckungsgrad B) gibt darüber Auskunft, inwieweit das Anlagevermögen durch langfristiges Kapital gedeckt ist.

II kungAnlagendec100ögenAnlageverm

alFremdkapit geslangfristi alEigenkapit

x

Bei einer Anlagendeckung II von 100% und mehr ist grundsätzlich Fristenkon-gruenz gegeben, d. h. langfristig im Unternehmen eingesetztes Vermögen ist durch entsprechend langfristig zur Verfügung stehendes Kapital finanziert (goldene Bilanz-regel).

Je weiter die Anlagendeckung II über 100% liegt, umso mehr ist neben dem Anlage-vermögen auch das Umlaufvermögen durch langfristiges Kapital finanziert und damit eine höhere finanzielle Stabilität des Unternehmens gegeben. Ist das Anlagevermö-gen z. B. zum Teil kurzfristig finanziert (Anlagendeckung II unter 100%) könnte das Unternehmen bei Fälligkeit kurzfristiger Verbindlichkeiten in Zahlungsschwierigkeiten geraten, da das Umlaufvermögen nicht ausreicht und das Anlagevermögen nicht so schnell liquidierbar ist.

Die Kennzahl Anlagendeckung I setzt nur das Eigenkapital zum Anlagevermögen ins Verhältnis.

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4.5.3. Liquidität ersten bis dritten Grades und Working Capital

Die gebräuchlichsten Kennzahlen zur Beurteilung der kurzfristigen Liquidität sind die Liquiditätsgrade ersten bis dritten Grades.

I Liquidität100chkeiten VerbindligeKurzfristi

Mittel Flüssigex

II Liquidität100chkeiten VerbindligeKurzfristi

nForderunge gekurzfristi Mittel Flüssige

x

III Liquidität100chkeiten VerbindligeKurzfristi

Vorräte nForderunge gekurzfristi Mittel Flüssige

x

Ziel der Kennzahlen sind Aussagen über die Abdeckung der kurzfristigen Verbind-lichkeiten durch kurz- und mittelfristig verfügbare Zahlungsmittel.

Flüssige Mittel (Bank- und Kassenbestand, Schecks, diskontfähige Wechsel) ste-hen dem Unternehmen sofort als Liquidität zur Verfügung. Die Liquidität I stellt dar, in welchem Umfang die kurzfristigen Verbindlichkeiten (Verbindlichkeiten und Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr) – unabhängig von ihrer tatsächlichen Fälligkeit – durch flüssige Mittel gedeckt sind, bzw. in welchem Ver-hältnis das Unternehmen kurzfristige Verbindlichkeiten durch flüssige Mittel zurück-zahlen könnte.

Bei der Liquidität II wird zu den flüssigen Mitteln der kurzfristige Forderungsbe-stand (Forderungen mit einer Restlaufzeit unter einem Jahr) addiert, da man davon ausgeht, dass die Forderungen ebenfalls entsprechend kurzfristig liquidierbar sind.

Noch breiter wird die Kennzahl mit der Liquidität III gefasst, die durch Einrechnung der Vorräte quasi das gesamte Umlaufvermögen umfasst. Die Liquidität III entspricht in anderer Ausdrucksform dem Working Capital. Auch diese Kennzahl ermittelt die-jenige Liquidität, die dem Unternehmen nach Abzug der „liquiditätswirksamen“ kurz-fristigen Verbindlichkeiten von dem „liquidierbaren“ Umlaufvermögen verbleibt.

Capital Working chkeiten Verbindligekurzfristi - ögenUmlaufverm

Da sowohl die Werthaltigkeit des liquidierbaren Vermögens als auch die tatsächli-che Fälligkeit der Verbindlichkeiten zu hinterfragen sind, ist eine eindeutige Interpre-tation der Kennzahlen oft nur unter Berücksichtigung weiterer Informationen möglich. So gilt z. B. der kurzfristige Bankkredit in den Liquiditätskennzahlen als kurzfristig fällig. In der Praxis steht er indes häufig dauerhaft bzw. zumindest längerfristig zur Verfügung.

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4.6. Cash-Flow-Kennzahlen

4.6.1. Abgrenzung zu den Kennzahlen der Liquiditätsanalyse

Der Cash-Flow ist ein Maß für die Selbstfinanzierungskraft eines Unternehmens aus dem Ertrag eines Wirtschaftsjahres. Im Gegensatz zu den der Bilanz entnommenen Liquiditätskennzahlen greift der Cash-Flow nicht auf Stichtagsgrößen zurück, son-dern errechnet sich aus den zeitraumbezogenen Größen der GuV. Für die Jahresab-schlussanalyse nimmt er dadurch eine zentrale Rolle ein.

4.6.2. Cash-Flow-Definitionen

Der Cash-Flow zeigt den Zufluss an liquiden Mitteln aus dem Leistungsprozess des Unternehmens an. Er lässt erkennen, in welchem Maße sich das Unternehmen aus dem operativen Geschäft finanzieren kann. Je höher der Cash-Flow, desto grö-ßer das Ertrags- und Liquiditätspotenzial des Unternehmens.

Für den Cash-Flow gibt es in der Jahresabschlussanalyse keine einheitliche Defini-tion.

Ausgangspunkt ist üblicherweise der Jahresüberschuss/-fehlbetrag, der um be-stimmte in ihm enthaltene zahlungsunwirksame Erfolgskomponenten bereinigt wird (indirekte Methode).

Jahresüberschuss/-fehlbetrag - Nicht zahlungswirksame Erträge + Nicht zahlungswirksame Aufwendungen = Cash-Flow

Zu den nicht zahlungswirksamen Aufwendungen zählen u. a.:

Abschreibungen,

Erhöhung der Rückstellungen,

Bestandminderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen.

Zu den nicht zahlungswirksamen Erträgen zählen u. a.:

Zuschreibungen,

Auflösung von Wertberichtigungen,

Auflösung von Rückstellungen,

Bestandserhöhungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen.

In seiner einfachsten Grundform beschränkt sich die Bereinigung auf zwei Katego-rien, nämlich die Anlagenabschreibungen und die Dotierung langfristiger Rückstel-lungen, so dass sich folgendes Ermittlungsschema für einen vereinfachten Cash-Flow ergibt:

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Jahresüberschuss/-fehlbetrag + Abschreibungen (- Zuschreibungen) auf Anlagevermögen + Erhöhungen (- Verminderungen) von langfristigen Rückstellungen = Vereinfachter Cash-Flow

Bei der direkten Ermittlung des Cash-Flows wird dieser aus der Differenz aller zah-lungswirksamen Erträge und den zahlungswirksamen Aufwendungen errechnet. Die-ses Schema findet in der Praxis jedoch kaum Anwendung:

+ Zahlungswirksame Erträge - Zahlungswirksame Aufwendungen = Cash-Flow

Die Kapitalflussrechnung ist eine zahlungsorientierte Abbildung des unternehmeri-schen Geschehens nach den drei Kategorien Cash-Flow aus laufender Geschäftstä-tigkeit, Investitions- und Finanzierungstätigkeit (vgl. hierzu „Grundlagen des Jahres-abschlusses“, Abschnitt 3.7.1). Mit ihrer Hilfe kann im Rahmen der Bilanzanalyse ein weitgehender Einblick in die Liquiditätsströme der Berichtsperiode gewonnen wer-den. Für Konzernabschlüsse ist die Kapitalflussrechnung Pflichtbestandteil (§ 297 Abs. 1 HGB), ebenso für Abschlüsse nach IFRS. Bei Jahresabschlüssen wird im Prü-fungsbericht häufig eine freiwillige Kapitalflussrechnung von den Abschlussprüfern zur Erläuterung der Finanzlage erstellt.

4.6.3. EBIT und EBITDA

Die aus der angelsächsischen Praxis der Finanzanalyse stammende Kennzahl EBIT (engl.: Earnings before interest and taxes) beurteilt die Unternehmensrentabilität vor Ertragsteuern und Zinsaufwendungen.

Mit dieser Kennziffer lassen sich Unternehmen unabhängig von ihrer Finanzie-rungsstruktur miteinander vergleichen. Stark fremdkapitalfinanzierte Unterneh-men haben mehr Zinsen (interest) zu zahlen als vorwiegend eigenkapitalfinanzierte Unternehmen. Dadurch spielt bei der Beurteilung der Rentabilität auch die Finanzie-rungsstruktur des Unternehmens keine Rolle mehr.

Durch das Herausrechnen der Ertragsteuern (taxes) erreicht man auch eine Ver-gleichbarkeit unabhängig von international unterschiedlichen Steuersystemen.

Kapitalanleger und Kreditgeber können mit Hilfe des EBIT entscheiden, ob die Um-satzrentabilität vor Finanzierungskosten und Ertragsteuern ausreicht, um ihre Renditevorstellungen abzudecken.

Die Kennzahl EBITDA (Earnings before interest, taxes, depreciation and amortizati-on) addiert zum EBIT zusätzlich die Abschreibungen auf materielle und immaterielle Vermögensgegenstände. Damit ist diese Kennzahl ähnlich aufgebaut wie der verein-fachte Cash-Flow. Das EBITDA zeigt die Selbstfinanzierungskraft eines Unterneh-

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mens, losgelöst von der Finanzierungsstruktur, der Steuerlast und unterschiedlichen Abschreibungspolitiken:

Jahresüberschuss/-fehlbetrag +/- Ertragsteuern +/- Außerordentliches Ergebnis + Zinsaufwand = EBIT + Abschreibungen (- Zuschreibungen) auf Sachanlagen + Abschreibungen (- Zuschreibungen) auf immaterielle Vermögensgegenstände = EBITDA

5. Fallbeispiel der E. GmbH

Am folgenden Fallbeispiel wird veranschaulicht, welche Gestaltungsspielräume ein Unternehmen bei der Umsetzung bilanzpolitischer Maßnahmen besitzt, um die Er-tragslage und Bilanzstruktur zu beeinflussen.

Die beiden im Folgenden betrachteten unternehmenspolitischen Zielsetzungen un-terscheiden sich grundsätzlich wie folgt:

Alternative A: GEWINN-MAXIMIERER

Um Kreditwürdigkeit zu demonstrieren, werden die Bilanzansätze gewählt, die den größten Effekt auf das Jahresergebnis auslösen.

Alternative B: GEWINN-MINIMIERER

Um den Gewinn zu minimieren, werden die Bilanzansätze gewählt, die den gerings-ten Effekt auf das Jahresergebnis auslösen.

Die Ertragsteuern werden im Fallbeispiel aus Vereinfachungsgründen nicht berück-sichtigt.

Die E. GmbH ist im Maschinen- und Anlagenbau tätig. Hergestellt werden vor allem Produktionsanlagen für Lebensmittel, u. a. Süßwaren (z. B. Keks- und Bonbonpro-duktion). Das Unternehmen wurde 1956 als Familienunternehmen gegründet und im Rahmen der expansiven Entwicklung in die Rechtsform einer GmbH überführt. An der Gesellschaft haben sich familienexterne Beteiligungspartner als reine Kapitalge-ber beteiligt.

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5.1. Bilanzpolitische Wahlrechte der E. GmbH

Der Informationsstand des Vorjahres basiert auf den geprüften Jahresabschlussda-ten, während das Ergebnis der Buchhaltung den aktuellen Stand zum Ultimo des laufenden Berichtsjahres vor Abschlussbuchungen und abschließenden bilanzpoliti-schen Maßnahmen widerspiegelt. Die Geschäftsführung bespricht die möglichen bi-lanzpolitischen Wahlrechte im Rahmen der unterschiedlichen unternehmenspoliti-schen Zielsetzungen, die zu einer gezielten Steuerung des Ertrags- und Bilanzbildes beitragen können:

1. Das Unternehmen hat zur Rationalisierung der Fertigungsabläufe im Berichts-jahr eine große Investition in den eigenen Maschinenpark vorgenommen. Das Investitionsvolumen der im Januar angeschafften Maschine beläuft sich auf T€ 16.350. Die Nutzungsdauer der Maschine beträgt zehn Jahre.

2. Der Bestand der Rohstoffe wurde zum Ultimo des Berichtsjahres über eine In-ventur ermittelt und mit dem gewogenen Durchschnittswert bewertet, wonach sich ein Lagerbestand an Rohstoffen in Höhe von T€ 18.400 errechnet. Da bei der Lifo-Methode (am Bilanzstichtag) die ältesten Bestände bewertet werden, ergibt sich bei steigenden Einkaufspreisen ein geringerer Lagerwert, als bei der Bewertung mit dem gewogenen Durchschnittswert, der die neuen höheren Ein-kaufspreise mit einrechnet. Zum Ultimo des Berichtsjahres ermittelt sich der La-gerbestand an Rohstoffen nach der Lifo-Methode in Höhe von T€ 17.664.

3. Die unfertigen und fertigen Erzeugnisse hat das Unternehmen im vorläufigen Abschluss des Berichtjahres auf Basis der Herstellungskosten unter Berück-sichtigung von angemessenen Teilen der Kosten der allgemeinen Verwaltung ermittelt und mit T€ 186.455 angesetzt. Die Aktivierung der allgemeinen Verwal-tungskosten beruht auf dem Bewertungswahlrecht des § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB. Ohne Einbeziehung der allgemeinen Verwaltungskosten errechnet sich ein Wert von T€ 170.177. Der Vorjahreswert der unfertigen und fertigen Er-zeugnisse betrug T€ 218.900.

4. Der Debitorenbestand in Höhe von T€ 92.118 enthält zweifelhafte Forderungen in Höhe von T€ 4.350 (netto). Ihre Ausfallwahrscheinlichkeit wird gemäß Alter-native A mit 0% und gemäß Alternative B mit 80% angenommen.

5. Das Unternehmen wird von einem Kunden wegen mangelhafter Leistung ver-klagt. Der Streitwert beträgt ca. T€ 250. Der Ausgang des Rechtsstreits ist un-gewiss. Bei einer eher optimistischen Einschätzung geht das Unternehmen bei der Bewertungsvariante A mit einer 25%-igen Eintrittswahrscheinlichkeit davon aus, dass der Streitwert an den Kunden zu zahlen ist. Bei der Variante B rech-net das Unternehmen mit einer 80%-igen Wahrscheinlichkeit damit, den Pro-zess zu verlieren.

6. Bezogen auf eine noch junge, größere Fertigungsmaschine besteht rückwir-

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kend die Möglichkeit, einer Leasinggesellschaft die Maschine zum Kauf anzu-bieten und im Gegenzug einen mittelfristigen Leasingvertrag abzuschließen (Sale-and-lease-back). Dem möglichen Verkaufspreis der Maschine in Höhe von T€ 3.400 steht ein Restbuchwert zum Bilanzstichtag von T€ 2.600 gegen-über.

5.2. Spielräume für die Gestaltung des Gewinns durch Nutzung bilanzpoliti-scher Wahlrechte

5.2.1. Ermittlung des Abschreibungsvolumens

Bezogen auf das bewegliche Anlagevermögen besteht im vorliegenden Fall die Mög-lichkeit, die degressive oder die lineare Abschreibungsmethode zu nutzen. Je nach Bewertungsansatz ergibt sich eine Ergebnisdifferenz von T€ 1.6352:

InvestitionNutzungs-

dauer(Jahre)

Kauf-datum

An-schaffungs-

kosten

Ab-schrei-bung

Buch-wert

AnmerkungAb-

schrei-bung

Buch-wert

Anmerkung

Maschine 10 Januar 16.350 3.270 13.080 degressive Abschreibungpro rata temporis

1.635 14.715 lineare Abschreibungpro rata temporis

Bewertungswahlrecht

5.2.2. Wertermittlung des Rohstofflagers

Die Anwendung der Lifo-Methode führt bei steigenden Einkaufspreisen grundsätzlich zu einem verminderten Wert des Rohstofflagers und damit zu einem geringeren Er-gebnis. Es besteht daher die Möglichkeit, das vorläufige Ergebnis um T€ 736 zu re-duzieren:

vorl. Abschl.Tsd.€

LiFoTsd.€

KorrekturTsd.€

Gew. ØTsd.€

KorrekturTsd.€

Buchwerte 18.400 17.664 -736 18.400 0

MAXIMIERERBewertungswahlrecht

Rohstofflager MINIMIERER

5.2.3. Ermittlung der Bestandsveränderungen

Bei der Bewertung der unfertigen und fertigen Erzeugnisse auf Basis der Herstel-lungskosten unter Berücksichtigung von angemessenen Teilen der Kosten der all-gemeinen Verwaltung ergibt sich ein rechnerischer Bestandsabbau von T€ 32.445

2 Berechnung der linearen Abschreibung pro Jahr: T€ 16.350/10 Jahre = T€ 1.635; Berechnung der

degressiven Abschreibung im ersten Jahr: T€ 16.350 * 20% = T€ 3.270

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(= T€ 186.455 - T€ 218.900). Ohne Einbeziehung der allgemeinen Verwaltungskos-ten errechnet sich ein Wert der unfertigen und fertigen Erzeugnisse von T€ 170.177. Die Bestandsverminderung beträgt dann T€ 48.723. Die vorliegende Bestandsverän-derungs- und damit einhergehende Ergebnisdifferenz zwischen beiden Varianten beläuft sich damit auf T€ 16.278 (= T€ 48.723 - T€ 32.445).

Vorjahreswert Tsd.€

Wert ohne Verw.Tsd.€

VeränderungTsd.€

Wert ohne Verw.Tsd.€

VeränderungTsd.€

Buchwerte 218.900 170.177 -48.723 -32.455 186.455

BewertungswahlrechtUnfertige und fertige

ErzeugnisseMINIMIERER MAXIMIERER

5.2.4. Wertberichtigung zweifelhafter Forderungen

Die Höhe der zweifelhaften Forderungen hängt wesentlich von der Risikoeinschät-zung des Unternehmers ab. Liegen zum Beispiel Kenntnisse über wirtschaftliche Probleme des Schuldners vor, muss das Unternehmen das Ausfallrisiko nach eige-nem Ermessen abschätzen. Je nach Risikoeinschätzung ergibt sich im vorliegenden Fall ein Ergebnisunterschied von T€ 3.480.

vorl. Abschl.Tsd.€

Ausfallin %

EWBTsd.€

Ausfallin %

EWBTsd.€

Forderungsbetrag 7.350 80,0% -3.480 0,0% 0

Zweifelhafte Forderungen MINIMIERER MAXIMIERER

Ermessensspielraum (Bewertungswahlrecht)

5.2.5. Rückstellungsaufwand

Nach einer groben Einschätzung des Hausjuristen und des Unternehmens beläuft sich der gegebenenfalls zu zahlende Streitwert auf ca. T€ 250. Auf Basis der unter-schiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten ergibt sich eine Ergebnisdifferenz von T€ 137.

vorl. Abschl.Tsd.€

Eintrittin %

Rst.Tsd.€

Eintrittin %

Rst.Tsd.€

Streitwert Rst. 250 80,0% -200 -63 25,0%

Ermessensspielraum (Bewertungswahlrecht)

Rückstellungen MINIMIERER MAXIMIERER

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5.2.6. Sale-and-lease-back

Bei einem Verkauf des Anlagevermögens werden in Höhe der Differenz zwischen Buchwert und Verkaufspreis der Fertigungsmaschine stille Reserven von T€ 800 (T€ 3.400 ./. T€ 2.600) aufgedeckt. Gleichzeitig reduziert sich durch den Abgang der Fertigungsmaschine aus der Bilanz die Bilanzsumme im Umfang des Restbuchwerts in Höhe von T€ 2.600.

BuchwertTsd.€

VK-WertTsd.€

BuchwertTsd.€

S.b. ErtragTsd.€

VK-WertTsd.€

BuchwertTsd.€

S.b. ErtragTsd.€

2.600 3.400 -2.600 800

Anlagevermögen

Fertigungsmaschine

MAXIMIERER

Kein Verkauf Verkauf

MINIMIERER

Sachverhaltsgestaltung

5.3. Die Erfolgsrechnungen nach Umsetzung der bilanzpolitischen Maßnah-men

Die nachfolgende Tabelle zeigt die GuV im Berichtsjahr unter Berücksichtigung der bilanzpolitischen Buchungen, wonach je nach Unternehmensstrategie ein Ergebnis vor Ertragsteuern von T€ 16.963 (Gewinn-Maximierer) oder T€ -6.104 (Gewinn-Minimierer) ausgewiesen werden kann:

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Abb. 16: Beispiel für die Auswirkung gewinnmaximierender bzw. gewinnminimierender bi-lanzpolitischer Maßnahmen auf die Gewinn- und Verlustrechnung

5.4. Die Bilanzen nach Umsetzung der bilanzpolitischen Maßnahmen

Für Gewinn-Maximierer und Gewinn-Minimierer ergeben sich nach der Nutzung der oben dargestellten bilanzpolitischen Spielräume folgende Bilanzwerte und ausge-wählte Kennzahlen:

G+V Positionen Abgr. Abgr. T€ % T€ T€ % T€ T€ %

1. Umsatzerlöse 844.375 99,3 844.375 103,3 844.375 105,4

2. Bestandsveränderungen 5.840 0,7 -32.445 -26.605 -3,3 -48.723 -42.883 -5,4

3. Gesamtleistung 850.215 100,0 -32.445 817.770 100,0 -48.723 801.492 100,0

4. Materialaufwand 374.095 44,0 374.095 45,7 374.095 46,7

5. Anpassung Rohstofflager 0,0 0 0,0 736 736 0,1

6. Rohertrag 476.120 56,0 -32.445 443.675 54,3 -49.459 426.661 53,2

7. Personalaufwand 280.571 33,0 280.571 34,3 280.571 35,0

8. Deckungsbeitrag II 195.549 23,0 -32.445 163.104 19,9 -49.459 146.090 18,2

9. Abschreibung 32.308 3,8 1.635 33.943 4,2 3.270 35.578 4,4

10. Zinsaufwand 22.106 2,6 22.106 2,7 22.106 2,8

11. Steuern/Vers./Beiträge 19.555 2,3 19.555 2,4 19.555 2,4

12. Betriebsaufwendungen 39.960 4,7 39.960 4,9 39.960 5,0

13. Verwaltungsaufwendungen 12.753 1,5 12.753 1,6 12.753 1,6

14. Rückstellung Streitwert 0,0 63 63 0,0 200 200 0,0

15. Vertriebsaufwendungen 16.154 1,9 16.154 2,0 16.154 2,0

16. Leasingaufwendungen 4.251 0,5 4.251 0,5 4.251 0,5

17. Summe Aufwendungen 147.087 17,3 1.698 148.785 18,2 3.470 150.557 18,8

18. Betriebsergebnis 48.462 5,7 -34.143 14.320 1,8 -52.929 -4.467 -0,6

19. Neutraler Ertrag/Aufwand 1.843 0,2 1.843 0,2 1.843 0,2

20. EWB 0,0 0 0 0,0 -3.480 -3.480 -0,4

21. Buchgewinn Anlagenverk. 0,0 800 800 0,1 0 0 0,0

22. Ergebnis vor Ertragsteuern 50.305 5,9 -33.343 16.963 2,1 -56.409 -6.104 -0,8

GuV BerichtsjahrGuV Min.(nach Abgr.)

vorl. GuV(vor Abgr.)

GuV Max.(nach Abgr.)

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Abb. 17: Beispiel für die Auswirkung gewinnmaximierender bzw. gewinnminimierender bi-lanzpolitischer Maßnahmen auf das Bilanzbild

-56.409

I. AKTIVA Abgr. Abgr. T€ % T€ T€ % T€ T€ %

1. Anlagevermögen Anf.-Bestand 338.620 50,4 338.620 53,0 338.620 55,0

2. +/- Zugang/Abgang 21.632 3,2 21.632 3,4 21.632 3,5

3. Abschreibung -32.308 -4,8 -1.635 -33.943 -5,3 -3.270 -35.578 -5,8

4. Anlagevermögen Endbestand 327.944 48,8 -1.635 326.309 51,1 -3.270 324.674 52,7

5. Rohstoffe 18.400 2,7 18.400 2,9 -736 17.664 2,9

6. Unfertige u. fertige Erzeugnisse 211.400 31,5 -32.445 178.955 28,0 -48.723 162.677 26,4

7. Vorräte 229.800 34,2 -32.445 197.355 30,9 -49.459 180.341 29,3

8. Debitoren 92.118 13,7 92.118 14,4 -3.480 88.638 14,4

9. Kasse/Bankguthaben 534 0,1 534 0,1 534 0,1

10. Sonst. Vermögensgegenstände 19.845 3,0 800 20.645 3,2 19.845 3,2

11. Umlaufvermögen 342.297 50,9 -31.645 310.652 48,6 -52.939 289.358 47,0

12. Rechn.-abgrenzungsposten 1.864 0,3 1.864 0,3 1.864 0,3

13. Bilanzsumme Aktiva 672.105 100,0 -33.280 638.825 100,0 -56.209 615.896 100,0

II. PASSIVA Abgr. Abgr. T€ % T€ T€ % T€ T€ %

14. Eigenkapital Anf.-Bestand 73.400 10,9 73.400 11,5 73.400 11,9

15. +/- EK-Veränderungen 0,0 0 0,0 0 0,0

16. +/- Gewinn/Verlust 50.305 7,5 -33.343 16.963 2,7 -56.409 -6.104 -1,0

17. Eigenkapital Endbestand 123.705 18,4 -33.343 90.363 14,1 67.296 10,9

18. Langfr. Rückstellungen 12.621 1,9 12.621 2,0 12.621 2,0

19. Mittel-/Langfr. Fremdkapital 204.210 30,4 204.210 32,0 204.210 33,2

20. Summe mittel-/langfr. FK 216.831 32,3 0 216.831 33,9 0 216.831 35,2

21. Summe langfr. Kapital 340.536 50,7 -33.343 307.194 48,1 284.127 46,1

22. Kurzfr. Rückstellungen 4.384 0,7 63 4.447 0,7 200 4.584 0,7

23. Erhaltene Anzahlungen 147.980 22,0 147.980 23,2 147.980 24,0

24. Kreditoren 65.111 9,7 65.111 10,2 65.111 10,6

25. Kurzfr. Bankverbindlichk. 103.867 15,5 103.867 16,3 103.867 16,9

26. Sonstige Verbindlichkeiten 8.352 1,2 8.352 1,3 8.352 1,4

27. Summe kurzfristige Verb. 329.695 49,1 63 329.757 51,6 200 329.895 53,6

28. Rechn.-abgrenzungsposten 1.874 0,3 1.874 0,3 1.874 0,3

29. Bilanzsumme Passiva 672.105 100,0 -33.280 638.825 100,0 615.896 100,0

Bilanz Berichtsjahr

Minimierer(nach Abgr.)

Ist(vor Abgr.)

Maximierer(nach Abgr.)

Ist Maximierer Minimierer(vor Abgr.) (nach Abgr.) (nach Abgr.)

-56.409

-56.209

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Maximierer MinimiererEK-Quote 14,1 % 10,9 %Anlagendeckung II 94,1 % 87,5 %Umsatzrentabilität 2,1 % -0,8 %Vereinfachter Cash-Flow 50.906 T€ 29.474 T€EBITDA 73.012 T€ 51.580 T€Dyn.Verschuldungsgrad 11 Jahre 18 Jahre

Betriebswirtschaftliche Kennzahlen

Abb. 18: Beispiel für die Entwicklung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen nach Umsetzung gewinnmaximierender bzw. gewinnminimierender bilanzpolitischer Maßnahmen

5.5. Einfluss der Bilanzpolitik auf die Interpretation des Jahresabschlusses der E. GmbH

Der Einsatz der bilanzpolitischen Instrumente gemäß Alternative A (Gewinn-Maximierer) führt zu einem um T€ 23.067 höheren Ergebnis vor Ertragsteuern, als es sich nach Umsetzung der bilanzpolitischen Maßnahmen gemäß Alternative B (Ge-winn-Minimierer) ergeben hätte.

Die unterschiedlichen Ergebnisse haben einen deutlichen Einfluss auf den Jahresab-schluss und die daraus abgeleiteten Bewertungen (Kennzahlen, Rating, Kreditwür-digkeit etc.). Für den Jahresabschlussanalysten sind aber nur Teile der bilanzpoliti-schen Maßnahmen aus dem Jahresabschluss erkennbar.

Selbst bei vollständiger Kenntnis der Bilanzpolitik stellt sich die Frage, welcher Er-tragsausweis der „richtige“ ist. Der Wertverzehr des Anlagevermögens hängt vom tatsächlichen Verschleiß der Maschinen und einem möglichen Zweitmarkt für derarti-ge Anlagegüter ab. Ob die Risiken im Rahmen der Einzelwertberichtigung und Rück-stellungsbewertung sachgerecht abgebildet wurden, zeigt sich im Rahmen der zu-künftige Entwicklung.

Auch der geübte Jahresabschlussanalyst ist kaum in der Lage, die „wahre“ Ertrags-kraft zu bestimmen, zumal ihm ja auch nur ein Jahresabschluss nach Vollzug bilanz-politischer Maßnahmen vorgelegt wird. Häufig helfen in diesen Fällen auch Bran-chenvergleiche nicht weiter, da auch sie keine Auskunft über die ggf. eingetretene Verzerrung des Ergebnisses durch Bilanzpolitik geben und die Bandbreiten der ver-gleichbaren Kennzahlen (z. B. Materialeinsatz- oder Personalaufwandsquote) in der Regel zu groß sind, als dass die durch Bilanzpolitik entstandenen Veränderungen zweifelsfrei erkennbar würden.

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6. Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

Beck’scher Bilanz-Kommentar: Handels- und Steuerbilanz, 7. Auflage, München: Verlag C. H. Beck, 2010

Born, Karl: Bilanzanalyse international – Deutsche und ausländische Jahresab-schlüsse lesen und beurteilen, 3. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2008

Coenenberg, Adolf Gerhard: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Be-triebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundsätze – HGB, IFRS und US-GAAP, 21. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2010

Gelhausen, Friedrich/Fey, Gerd/Kämpfer, Georg: Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, Düsseldorf: IDW Verlag GmbH, 2009

Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (Hrsg.): IDW Prüfungsstandards IDW Stellungnahmen zur Rechnungslegung, Düsseldorf: IDW Verlag GmbH, 2010