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BRÜCKEN In der Vielfalt liegt Reichtum Kulturelle Diplomatie in Europa und die Rolle der Bosniaken D urch den technologischen, in- formativen wie auch allgemei- nen Fortschritt des 21. Jahr- hunderts sowie des Prozesses der Globa- lisierung, der Massenmigration, dem Er- starken von Nationalismus, Xenophobie und Populismus muss die kulturelle Di- plomatie noch weiter gefasst werden als in der Vergangenheit. Diese beinhaltet einen intensiven Austausch und enge Zu- sammenarbeit in den Verwaltungsein- richtungen der Kultur, Kunst, Wissen- schaft und der technologischen Errun- genschaften nicht nur mit außereuropäi- schen Staaten anderer Kontinente, son- dern auch auf europäischem Boden selbst. Alle Seiten sollten von einander lernen und sich gegenseitig kennenler- nen, um ihren eigenen Horizont zu er- weitern, denn in der Verschiedenheit liegt Reichtum! Kultur und Kunst bergen ein enorm förderliches Potenzial, welches neue Iden- titäten schaffen und formen kann. Der Austausch von Ideen, Künsten und Kul- turen – seien es Theateraufführungen, Ausstellungen, Konzerte oder Literatur- übersetzungen, Vorträge, Fernseh- und Radiosendungen – bricht mit Vorurtei- len, vermenschlicht und macht aus „dem Anderen, dem Andersartigen“ einen Menschen. So nähern zwei sich bis dahin unbekannte Seiten einander an. Das Trennende entfernt und verliert sich, während die Gemeinsamkeiten immer deutlicher werden und näherrücken. Die kulturelle Diplomatie dient dem Ken- nenlernen gemeinsamer Werte unter ver- schiedenen Kulturen. Daher bergen Investitionen in die Kul- tur und die Kunst das Potenzial, den des- integrierenden, trennenden Strömungen zwischen dem Osten und dem Westen, den EU-Mitlgiedern und EU-Kandida- ten, den EU-Bürgern und den Flücht- lingen sowie zwischen den Christen und Muslimen entgegenzuwirken. So ist die kulturelle Diplomatie auch ein Mittel der religiösen Annäherung auf europäi- schem Boden. Täglich werden wir mit Islamophobie, insbesondere vonseiten der ultrarechten Parteien, konfrontiert. Leider tragen auch die Medien oft hierzu bei und übertrei- ben, polarisieren und erschweren die Si- tuation und die Beziehungen. Auf der anderen Seite finden sich Extremisten, die den Islam für ihre politischen Zwecke missbrauchen und wissentlich zu diesem negativen Bild beitragen. Der gewaltsame Extremismus kann durch kulturelle Di- plomatie überwunden werden. Hier ist es wichtig, fähige Persönlichkeiten zu fin- den, die davon überzeugt sind, dass durch kulturelle und künstlerische Annäherung Handlung zustande kommt. Dies ist ein langwieriger Prozess des Brückenbauens, des Schaffens von Respekt gegenüber An- dersdenkenden, des Erkennens gemein- samen Erbes und universeller Werte so- wie des Stärkens gemeinsamer Interessen. Impressum Islamische Zeitung w w w . i s l a m i s c h e - z e i t u n g . d e Islamische Zeitung Nachrichten & Lebensart Anschrift Verlag: Islamische Zeitung IZ Medien GmbH Leunaer Str. 7 12681 Berlin/Deutschland Bankverbindung: IZ Medien GmbH Kto.-Nr.: 200 680 907 Postbank Leipzig (860 100 90) Chefredakteur: Sulaiman Wilms (V.i.S.d.P.) [email protected] Stellvertretender Chefredakteur: Ali Kocaman Herausgeber: Abu Bakr Rieger Redaktion & freie Autoren: W.A. Aries, Yasin Bas, Khalil Breuer, Tijana Sarac, Sumaya Mohammed Wagenstein, Laila Massoudi, A. Morri- son, M. Özkan, A. Sabitovic, C. Sahinöz, P.A. Sheikh sowie Tarek Baé Dieses Mal mit Beiträgen von: Umar Faruq Abd-Allah, Muhammad Abuzahra, Onur Akdeniz, Sahira Awad, Ahmet Aydin, Tarek Baé, Stefan Buchholz, Louise Gallorini, Roman Groß, Eren Güvercin, Ayyub Hamid, Hannae al-Husseini, Bahar Kemal, Prof. Dr. Enes Karic, Azzadine Karioh, Massouda Khan, Ali Kocaman, Vincent Lofaso, Mohammed Malayeri, Laila Massoudi, Anna Mertens, Nadya Moussa, Berivan Mutlu, Malek Tekin Özcelik, Tijana Sarac, Tugba Sincar, Dr. Dzevada Susko, Sulaiman Wilms, Maria Zain und Kübra Zorlu. Telefon: 030-24048974, 0179-9678018 Telefax: 030-24048975 email: [email protected] Internet: www.islamische-zeitung.de Vertrieb & Aboverwaltung: 0151-55691459 [email protected] Sitz der Zeitung ist in Berlin. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen. Leserbriefe, Gastkommentare und wörtliche Zitate sind keine redaktionelle Meinungsäußerung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge entsprechen nicht zwingend den Ansichten der Redaktion. Die IZ Medien GmbH übernimmt für unverlangt eingesandte Manuskripte, Unterlagen und Fotos keine Gewähr. Druckerei: Ossi-Druck, Brandenburg Von Dr. Dzevada Susko Boden für Extremismus oder eine gewalt- same Auslegung des Islam jedweder Art. Europa sollte den Islam allmählich als Zivilisation verstehen und nicht als Ideologie. Die Zeit ist reif für eine kon- struktive Situierung des Islam im Westen, beginnend auf lokaler Ebene, durch ein besseres Verständnis des Islam als Reli- gion, Lebensart und Zivilisation. Denn der Islam und Europa haben eine ge- meinsame Geschichte, die bis ins 8. Jahr- hundert – ins andalusische Spanien – zurückreicht. In Europa haben Demokratie und Menschenrechte Priorität. Die Europäi- sche Union, der weltweit größte Markt, hat bewiesen, dass Frieden, Sicherheit, Fortschritt und Wohlstand sogar zwi- schen Staaten, Bürgern und Politikern möglich sind, die sich einst feindselig ge- genüberstanden. Es ist an der Zeit, dass Europa seine Strategie der kulturellen Diplomatie erweitert und in die Tat um- setzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Der Aufbau einer friedlichen und siche- ren Zukunft, die Lösung von Konflikten, das Finden inklusiver und langanhalten- der Lösungsansätze sowie die Stärkung des Verständnisses und der Beziehungen der Völker und Kulturen. o Jedoch ist die Voraussetzung, ohne welche die kulturelle Diplomatie nicht erfolgreich sein kann, der Wille zum zwi- schenmenschlichen Verständnis. Solange die Religion im europäischen wie auch im internationalen Kontext missbraucht wird, ist die kulturelle Diplomatie ein wichtiges Instrument der Kommunika- tion und des Zusammenkommens sowie der Aufklärung in Fragen des Glaubens, der unser verletzlichstes Gut darstellt. Der europäische Kontext In der Europäischen Union leben etwa 20 Millionen Muslime, die aus verschie- denen Teilen der Erde hierhin kamen und ihre Vorstellungen, ihr Verständnis und ihre Praxis der eigenen Kultur mit- gebracht haben. Eine bedeutende Zahl dieser lebt in der zweiten oder dritten Generation in Europa, sie gelten dem- nach als gebürtige Europäer. Sie entwi- ckeln allmählich eine neue europäische Identität, die sich von jener ihrer Vor- fahren unterscheidet. Diese neue Gene- ration von Muslimen braucht Unterstüt- zung, Anerkennung und eine Zukunfts- perspektive, im Gegenteil dessen besteht die Gefahr, dass sie andere, alternative Wege aufsuchen. Das Ziel der kulturellen Diplomatie sollte die Achtung der muslimischen Iden- tität und der islamischen Praktiken sein. Hierzu gehört die staatliche Anerken- nung, damit die Muslime in die Gesell- schaft als Bürger mit eingeschlossen wer- den und somit ihre Loyalität dem Land gegenüber, in dem sie leben und dem sie angehören, zeigen können. (…) Wir leben in einer Zeit vielfältiger Identitäten. Maalouf schrieb hierzu, dass jeder Mensch eine Identität mit mehreren Komponenten in sich trägt: Die Spra- che(n), den Glauben, die Staatsangehö- rigkeit, die Lebensart, die familiären Ver- hältnisse, die künstlerischen und kulina- rischen Interessen, usw. So kann beispielsweise die Identität eines Bosniaken in Deutschland wie folgt benannt werden: Dem Glauben nach ist sie islamisch, geographisch be- trachtet ist sie europäisch, der Staatsan- gehörigkeit nach ist sie deutsch, im fa- miliären Kontext ist sie bosniakisch, im Bezug auf die erlernten Sprachen ist sie linguistisch, usw. Die Rolle der Bosniaken In diesem Diskurs dürfen die autoch- thonen Muslime Europas nicht außer Acht gelassen werden, wie beispielsweise die Bosniaken, die meist aufgrund von Vertreibung und Genozid, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, außerhalb ih- rer ursprünglichen Heimat ihren Lebens- ort in Westeuropa gefunden haben. Die Bosniaken haben Erfahrungen mit mit- teleuropäischer Kultur gesammelt, da sie Teil Österreich-Ungarns waren, sie ha- ben einen Modernisierungsprozess durchlaufen, haben in säkularen Gesell- schaften gelebt, und sind an jahrhun- dertlanges Zusammenleben mit Christen und Juden gewöhnt. Zudem ist ihnen die muslimische Selbstorganisation im Sinne der islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina bekannt. Europa sollte diesen Vorteil der Bosnia- ken nutzen und sich ihrer islamischen Tradition gegenüber öffnen, die nicht nur eine Tradition der Toleranz sondern auch eine der Anerkennung des Anderen und des Andersartigen ist. Bosniaken verstehen seit Jahrhunder- ten ihre Religion als eine des Friedens und der Liebe und haben durch ihre Kul- tur, Literatur, Musik, ihren Gesang und ihre Kunst das islamische Erbe weiterge- tragen. Auch in Zeiten des Aufzwängens eines anderen Islamverständnisses, sind die Bosniaken ihrer Tradition treu ge- blieben und bieten keinen fruchtbaren Foto: The Eye in Islam Haupteil 261.qxp_ Hauptteil 185 27.02.17 16:52 Seite 8

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BRÜCKEN In der Vielfalt liegt ReichtumKulturelle Diplomatie in Europa und die Rolle der Bosniaken

Durch den technologischen, in-formativen wie auch allgemei-nen Fortschritt des 21. Jahr-

hunderts sowie des Prozesses der Globa-lisierung, der Massenmigration, dem Er-starken von Nationalismus, Xenophobieund Populismus muss die kulturelle Di-plomatie noch weiter gefasst werden alsin der Vergangenheit. Diese beinhalteteinen intensiven Austausch und enge Zu-sammenarbeit in den Verwaltungsein-richtungen der Kultur, Kunst, Wissen-schaft und der technologischen Errun-genschaften nicht nur mit außereuropäi-schen Staaten anderer Kontinente, son-dern auch auf europäischem Bodenselbst. Alle Seiten sollten von einanderlernen und sich gegenseitig kennenler-nen, um ihren eigenen Horizont zu er-weitern, denn in der Verschiedenheit liegtReichtum!

Kultur und Kunst bergen ein enormförderliches Potenzial, welches neue Iden-titäten schaffen und formen kann. DerAustausch von Ideen, Künsten und Kul-turen – seien es Theateraufführungen,Ausstellungen, Konzerte oder Literatur-übersetzungen, Vorträge, Fernseh- undRadiosendungen – bricht mit Vorurtei-len, vermenschlicht und macht aus „demAnderen, dem Andersartigen“ einenMenschen. So nähern zwei sich bis dahinunbekannte Seiten einander an. DasTrennende entfernt und verliert sich,während die Gemeinsamkeiten immerdeutlicher werden und näherrücken. Diekulturelle Diplomatie dient dem Ken-nenlernen gemeinsamer Werte unter ver-schiedenen Kulturen.

Daher bergen Investitionen in die Kul-tur und die Kunst das Potenzial, den des-integrierenden, trennenden Strömungenzwischen dem Osten und dem Westen,den EU-Mitlgiedern und EU-Kandida-ten, den EU-Bürgern und den Flücht-lingen sowie zwischen den Christen undMuslimen entgegenzuwirken. So ist diekulturelle Diplomatie auch ein Mittelder religiösen Annäherung auf europäi-schem Boden.

Täglich werden wir mit Islamophobie,insbesondere vonseiten der ultrarechtenParteien, konfrontiert. Leider tragen auchdie Medien oft hierzu bei und übertrei-ben, polarisieren und erschweren die Si-tuation und die Beziehungen. Auf deranderen Seite finden sich Extremisten,die den Islam für ihre politischen Zweckemissbrauchen und wissentlich zu diesemnegativen Bild beitragen. Der gewaltsameExtremismus kann durch kulturelle Di-plomatie überwunden werden. Hier istes wichtig, fähige Persönlichkeiten zu fin-den, die davon überzeugt sind, dass durchkulturelle und künstlerische AnnäherungHandlung zustande kommt. Dies ist einlangwieriger Prozess des Brückenbauens,des Schaffens von Respekt gegenüber An-dersdenkenden, des Erkennens gemein-samen Erbes und universeller Werte so-wie des Stärkens gemeinsamer Interessen.

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Herausgeber:Abu Bakr Rieger

Redaktion & freie Autoren:W.A. Aries, Yasin Bas, Khalil Breuer, Tijana Sarac, Sumaya Mohammed Wagenstein, Laila Massoudi, A. Morri-son, M. Özkan, A. Sabitovic, C. Sahinöz,P.A. Sheikh sowie Tarek Baé

Dieses Mal mit Beiträgen von:Umar Faruq Abd-Allah, MuhammadAbuzahra, Onur Akdeniz, Sahira Awad,Ahmet Aydin, Tarek Baé, Stefan Buchholz, Louise Gallorini, RomanGroß, Eren Güvercin, Ayyub Hamid,Hannae al-Husseini, Bahar Kemal, Prof.Dr. Enes Karic, Azzadine Karioh,Massou da Khan, Ali Kocaman, Vincent Lofaso, Mohammed Malayeri, Laila Massoudi, Anna Mertens, Nadya Moussa,Berivan Mutlu, Malek Tekin Özcelik, Tijana Sarac, Tugba Sincar, Dr. DzevadaSusko, Sulaiman Wilms, Maria Zain undKübra Zorlu.

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Sitz der Zeitung ist in Berlin.Die Redaktion behält sich das Recht vor,Zuschriften zu kürzen. Leserbriefe, Gastkommentare und wörtliche Zitate sind keine redaktionelleMeinungsäußerung.Namentlich gekennzeichnete Beiträgeentsprechen nicht zwingend den Ansichten der Redaktion.Die IZ Medien GmbH übernimmt fürunverlangt eingesandte Manuskripte, Unterlagen und Fotos keine Gewähr. Druckerei: Ossi-Druck, Brandenburg

Von Dr. Dzevada Susko

Boden für Extremismus oder eine gewalt-same Auslegung des Islam jedweder Art.Europa sollte den Islam allmählich alsZivilisation verstehen und nicht als Ideologie. Die Zeit ist reif für eine kon-struktive Situierung des Islam im Westen, beginnend auf lokaler Ebene, durch einbesseres Verständnis des Islam als Reli-gion, Lebensart und Zivilisation. Dennder Islam und Europa haben eine ge-meinsame Geschichte, die bis ins 8. Jahr-hundert – ins andalusische Spanien – zurückreicht.

In Europa haben Demokratie undMenschenrechte Priorität. Die Europäi-sche Union, der weltweit größte Markt,hat bewiesen, dass Frieden, Sicherheit,Fortschritt und Wohlstand sogar zwi-schen Staaten, Bürgern und Politikernmöglich sind, die sich einst feindselig ge-genüberstanden. Es ist an der Zeit, dassEuropa seine Strategie der kulturellenDiplomatie erweitert und in die Tat um-setzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig:Der Aufbau einer friedlichen und siche-ren Zukunft, die Lösung von Konflikten,das Finden inklusiver und langanhalten-der Lösungsansätze sowie die Stärkungdes Verständnisses und der Beziehungender Völker und Kulturen.

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Jedoch ist die Voraussetzung, ohnewelche die kulturelle Diplomatie nichterfolgreich sein kann, der Wille zum zwi-schenmenschlichen Verständnis. Solangedie Religion im europäischen wie auchim internationalen Kontext missbrauchtwird, ist die kulturelle Diplomatie einwichtiges Instrument der Kommunika-tion und des Zusammenkommens sowieder Aufklärung in Fragen des Glaubens,der unser verletzlichstes Gut darstellt.

Der europäische Kontext In der Europäischen Union leben etwa

20 Millionen Muslime, die aus verschie-denen Teilen der Erde hierhin kamenund ihre Vorstellungen, ihr Verständnisund ihre Praxis der eigenen Kultur mit-gebracht haben. Eine bedeutende Zahldieser lebt in der zweiten oder drittenGeneration in Europa, sie gelten dem-nach als gebürtige Europäer. Sie entwi-ckeln allmählich eine neue europäischeIdentität, die sich von jener ihrer Vor-fahren unterscheidet. Diese neue Gene-ration von Muslimen braucht Unterstüt-zung, Anerkennung und eine Zukunfts-perspektive, im Gegenteil dessen bestehtdie Gefahr, dass sie andere, alternativeWege aufsuchen.

Das Ziel der kulturellen Diplomatiesollte die Achtung der muslimischen Iden-tität und der islamischen Praktiken sein.Hierzu gehört die staatliche Anerken-nung, damit die Muslime in die Gesell-schaft als Bürger mit eingeschlossen wer-den und somit ihre Loyalität dem Landgegenüber, in dem sie leben und dem sieangehören, zeigen können. (…)

Wir leben in einer Zeit vielfältigerIdentitäten. Maalouf schrieb hierzu, dassjeder Mensch eine Identität mit mehrerenKomponenten in sich trägt: Die Spra-che(n), den Glauben, die Staatsangehö-rigkeit, die Lebensart, die familiären Ver-hältnisse, die künstlerischen und kulina-rischen Interessen, usw.

So kann beispielsweise die Identitäteines Bosniaken in Deutschland wiefolgt benannt werden: Dem Glaubennach ist sie islamisch, geographisch be-trachtet ist sie europäisch, der Staatsan-gehörigkeit nach ist sie deutsch, im fa-miliären Kontext ist sie bosniakisch, imBezug auf die erlernten Sprachen ist sielinguistisch, usw.

Die Rolle der Bosniaken In diesem Diskurs dürfen die autoch-

thonen Muslime Europas nicht außerAcht gelassen werden, wie beispielsweise

die Bosniaken, die meist aufgrund vonVertreibung und Genozid, aber auch auswirtschaftlichen Gründen, außerhalb ih-rer ursprünglichen Heimat ihren Lebens-ort in Westeuropa gefunden haben. DieBosniaken haben Erfahrungen mit mit-teleuropäischer Kultur gesammelt, da sieTeil Österreich-Ungarns waren, sie ha-ben einen Modernisierungsprozessdurchlaufen, haben in säkularen Gesell-schaften gelebt, und sind an jahrhun-dertlanges Zusammenleben mit Christenund Juden gewöhnt. Zudem ist ihnendie muslimische Selbstorganisation imSinne der islamischen Gemeinschaft inBosnien und Herzegowina bekannt.Europa sollte diesen Vorteil der Bosnia-ken nutzen und sich ihrer islamischenTradition gegenüber öffnen, die nichtnur eine Tradition der Toleranz sondernauch eine der Anerkennung des Anderenund des Andersartigen ist.

Bosniaken verstehen seit Jahrhunder-ten ihre Religion als eine des Friedensund der Liebe und haben durch ihre Kul-tur, Literatur, Musik, ihren Gesang undihre Kunst das islamische Erbe weiterge-tragen. Auch in Zeiten des Aufzwängenseines anderen Islamverständnisses, sinddie Bosniaken ihrer Tradition treu ge-blieben und bieten keinen fruchtbaren

Foto: The Eye in Islam

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