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6 CAGED ARCHITECTURE Gebäude mit Netz und doppelter Fassade

CAGED ARCHITECTURE · tects mit dem Bau des „Centro Arti & Scienze“ (2016, Bologna) ein Gesicht gegeben hat. Die Architektur, die an eine Abstraktion chemischer Molekülketten

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CAGED ARCHITECTUREGebäude mit Netz und doppelter Fassade

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7AFA Architekturmagazin

Architektur

Überall dort, wo Gitter die Szenerie beherrschen, geht es gewissermaßen um Schutz und Abschirmung. Doch sperrt sie nun ein oder sperrt sie aus, diese von domi-nanten Geflechten und fragilen Netzen charakterisier-te Architektur? Besonders spannend ist die Frage, da sie eine der Perspektive ist – stets mäandernd um die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum.

Vogelfrei im Käfig

Mitten im dichten Stadtgefüge von Colombo, Meltingpot von Kulturen und Gemeinschaften, scheint er wie zufällig abgesetzt,der„BirdCage“(2013).DochwasderNamehe­raufbeschwört, nämlich ein Gefühl der Enge, der hermeti­schen Abriegelung, gelingt dem Architekten Narein Pere­ra zu konterkarieren: Das Haus offenbart eine Folge von offenen und frei fließenden Räumen, die den Bewohnern paradoxerweise ein hohes Maß an Freiheit und Geborgen­heit zugleich bieten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Außenraum, der von allen drei Ebenen des Gebäudes er­lebbar ist und den das umgebende Gitter dem Privatbe­reich zuordnet. Fortsetzung erfährt der Garten zuoberst des kubischen Volumens: Diese Terrassen zur Vorder­ und Rückseite verstehen sich als räumliches Kontinuum und lösen die Grenzen des aufgrund des kompakten Grund­stückes gestauchten Raumes auf. Im Inneren scheinen die zwei Stockwerke über dem Erdgeschoss zu schweben. Lichtschächte, die im Kern des Hauses durch die Etagen schießen, stärken Offenheit und Dialog der Bewohner. Das markanteste Charakteristikum im Hinblick auf Ästhetik ist zweifelsohne der weiß glänzende Käfig aus galvanisiertem Eisen. Als durchlässige Haut klammert er die gesamte Kom­position und schließt den privaten Raum in sich ein, ohne ihn jedoch merklich zu beschränken. In ähnlicher Weise funktioniert das Projekt „Songpa Micro Housing“ (2014,Seoul, SsD) als vermittelnde Instanz zwischen innen und außen. Auch hier ranken sich schmale vertikale Streben als vorgesetzte Fassade vom ersten Stockwerk empor. Auf

der höheren, fünf Geschosse umfassenden Gebäudehälf­te verjüngen sie sich ab Firsthöhe und imitieren über der Terrasse in ihrer Morphologie die Schräge eines Zeltda­ches. Mit schlanker Gestalt überragt diese Seite den von einer vertikalen Glasfuge zäsierten gegenüberliegenden Bauteil. Ebenso hält hier das Gitter die zu Würfel geform­ten Wohneinheiten im Zaum und schenkt ihnen damit auf restriktivem Grund maximal ausgedehnte bewohnbare Geschossfläche. Auch hier suchen die Architekten durch zunächst einmal Beschränkung erzeugendes Vokabular so­ziale Intentionen zu verfolgen: In der Tat ist „Songpa Micro Housing“ eine neue Typologie, die durch eine weiche Über­gangszone natürliche wie soziale Zirkulation ermöglicht. In vierzehn solcher Blöcke kann Raum den Lebens­ und Arbeitssituationen entsprechend flexibel genutzt werden – als Einheit oder in größerer Konfiguration. Nichtzuletzt dadurch, so die Idee, würde das Gebäude aufgrund sei­ner langfristigen Nutzbarkeit einen nachhaltigen Charakter erhalten.

Geschossübergreifende Lichtschächte vermitteln Offenheit.

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Architektur

Schaukasten oder Verschleierung?

In größerer Dimension verfolgt „QBIG two“ (2016, Heil­bronn, Riemer Planung GmbH) die Strategie der flexiblen Raumnutzung und veranschaulicht das Konzept durch eine imposante vorgesetzte Fassade. Rechteckige Öffnungen verschiedener Größe sind in den weißen Vorhang – eine Pfosten­Riegel­Konstruktion – eingeschnitten. Auf den ers­ten Blick kaum wahrnehmbar, täuscht die Ummantelung aus215TonnenrecycelbaremStahlvor,nachdemSchau­kastenprinzip die innere Raumstruktur abzubilden. Doch zeigen die vermeintlichen Fenster etwas ganz anderes: Nichts ist hier festgelegt. In dem innenliegenden Kubus mit raumhoher, blauer Verglasung ist die 4.500 Quadratmeter umfassende Gesamtfläche auf fünf Etagen bedarfsorien­tiert nutzbar. Anders als vermutet, ist hier eine natürliche Belichtung im gesamten Gebäude gegeben. Mit einem sol­chen optischen Effekt ergänzt „QBIG two“ im Heilbronner Businesspark eine bald dreiteilige Serie: Der benachbarte Vorgängerbau des Büros sowie das noch fertigzustellende „QBIG III“ spielen mit jener verschleiernden Ästhetik und machen durch diese expressive Architektursprache ihre Zusammengehörigkeit ablesbar.

Geflecht der Kulturen

Die kulturelle Vielfalt Europas zu veranschaulichen und gleichzeitig anspruchsvollen Nutzungsanforderungen ge­recht zu werden, ist bei dem Ratssitz der Europäischen Union in Brüssel (2016, Philippe Samyn and PartnersmitStudio Valle Progettazioni und Buro Happold) gelungen. Das Herz des Sitzungszentrums artikuliert sich hier als großdimensionales laternenförmiges Volumen, dessen kurvige Konturen der umschließende Gitter­Kubus nur andeutungsweise freigibt. Zwei neue Fassaden, gewandt in nord­östliche Richtung, schenkt der Würfel als Erweite­rung des zwischen 1922 und 1927 erbauten Residenzpa­lastes (Architekt: Michel Polak) dem ursprünglich L­förmi­gen Gebäude, das heute zu großen Teilen zum belgischen Kulturerbe zählt. Die neue Hülle, ausgebildet als durchläs­sige Doppelfassade, schützt das fragile Innere erfolgreich vor Straßenlärm und Umwelteinflüssen, distanziert sich dennoch von jeglicher Opazität. Auch in anderer Hinsicht offenbart der Bau ein Spiel aus Kontrasten: Streng geome­trische Formen treffen auf fließende Elemente – nicht nur im Dialog von Innenraum und Außenhaut, sondern auch in ihrer Gestaltung. Denn besonders in der Verwendung der Materialien, die im Übrigen aus verschiedenen euro­päischen Ländern stammen, bleibt der Dualismus stets evident: Akkurat gliedert das Hightech­Gitterwek in hori­zontaler Ausrichtung die Glasflächen. Einen historischen Anstrich verleihen dagegen die wiederverwendeten, Jahr­zehnte alten Fensterrahmen aus Eichenholz, die den nach­haltigen Ansatz des Projekts unterstreichen sollen. Das Resultat ist im wörtlichen Sinne ein imposanter Rahmen, der in seiner Ästhetik auf ein enges Geflecht europäischer Kulturen und (Bau­)Traditionen verweist und somit laut Ar­chitekten eine „Verbindung zwischen Gegenwart, Vergan­genheit und Zukunft symbolisiert“.

High-Tech trifft auf wiederverwendete Eichenholz-Rahmen.

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In einen Dialog mit der Architekturgeschichte tritt die „Güiro Art Bar“ (2012, zur 11. Art BaselMiami Beach, LosCarpinteros mit Absolut Art Bureau) erst auf den zweiten Blick. Zunächst geht ihre Gestalt auf ein gleichnamiges In­strument aus Kuba zurück. Hier ausgebildet als begehba­res Oval ist wesentliches Merkmal dieser Interpretation die gerasterte Lattenstruktur, die durch eine Beleuchtung von innen zusätzliche Betonung erfährt. Die rechteckigen Öff­nungen dienen Besuchern des Freiluft­Pavillions als Sitz­plätze, im Inneren findet sich das gleichmäßige Netz durch die in der mittigen Theke eingelassenen Regale wiederholt. Neben der Funktion als Plattform für künstlerischen Aus­tausch verdeutlicht das Projekt die theroretische Ausein­andersetzung des Künstlerkollektivs mit der Typologie des Panoptikum­Gefängnisses. Zurückgehend auf den eng­lischen Philosophen Jeremy Bentham (1748-1832) soll diekreisförmige Gestaltung eines Raumes der totalen Überwa­chung der sich in ihm befindlichen Personen dienen. Mit neuer architektonischer Sprache suchen Los Carpinteros dieses Konzept aufzubrechen und ihm ein hohes Maß an Offenheit und Raum für zufällige Begegnungen entgegen­zusetzen.

Transparenz statt hermetisches Gitter durch eine gerasterte Lattenstruktur.

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Entmaterialisierung von Raum

In ständiger Entwicklung begreift die italienische Fondazione Golinelli die Disziplinen Kunst und Wis­senschaft, deren Förderung sie sich verschrieben hat. Eine Sichtweise, der das Büro Mario Cucinella Archi­tectsmitdemBaudes„CentroArti&Scienze“ (2016,Bologna) ein Gesicht gegeben hat. Die Architektur, die an eine Abstraktion chemischer Molekülketten erin­nert und sich in ihren Extremitäten nur noch durch minimalistische Dreimensionalität in Form ausgebil­deter stählerner Würfelkanten artikuliert, scheint sich aufzulösen in einem ununterbrochenen evolutionären Prozess. Von seinem reduzierten Äußeren nach innen betrachtet, hingegen verdichtet sich der Raum. Sein Kondensat ist ein opaker Kubus aus milchig­weißem Glas, der gleichzeitig als solider Sockel für die auf ihm thronende Netzstruktur fungiert. Der Raum ist entma­terialisiert, doch scheinen sich seine immer noch prä­senten Elemente zu ergänzen und im dynamischen Erleben dieser sich immer neue Blickbezüge zu offen­baren. Ein mögliches Vorbild für diese Idee könnte bei Sou Fujimoto Architects zu finden sein: Noch weiter konzentriert auf das Wesentliche, ist der „Serpetine Gallery Pavilion“ (2013, London) schließlich zunächsteinmal nichts als Gerüst – ein Konzept eines Luft­schlosses, das nicht nur ob seiner wolkenartigen Form der architektonischen Installation den Namen „Cloud“ beschert hat.

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Offenheit ist die dominierende Kraft: Die jeweils etwa 40 Zentimenter breiten Module des dreidi­mensionalen Stahlgitters, das sich im Grün des Londoner Hyde Parks niedergelassen und ausge­breitet hat, treten dem Besucher mit einladender Geste entgegen. Von der kleinsten Einheit bis hin zum gesamten Kunstwerks – die Möglichkeit der ei­genen Perzeption von Raum, Perspektive und ihrer Veränderbarkeit steht hier im Mittelpunkt. Erfahrbar sind diese von kleinen Plateaus, die innerhalb des Konstrukts in unterschiedlicher Höhe angeordnet worden sind. Changierend zwischen privatem und öffentlichem Raum wird der Mensch Teil der Archi­tektur – der Gegensatz von konstruierter Geometrie und dem Natürlichen, von strenger Ordnung und und Weichheit wird hier einmal mehr unmittelbar erlebbar.

Laura Stillers Journalistin

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CAGED ARCHITECTUREGebäude mit Netz und doppelter Fassade Seite 6

Deutschland 4,90 EUR Österreich 5,50 EUR Schweiz 7,90 CHFAusgabe 1/2017 April - Juni

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Architekturreisen Kasachstan und Iran Seite 72

Die Stadt zurückgewinnen

Le Havre

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Seite 35

Nicht nur Poesie in Beton Seite 76

Augmented Reality und Smart-Technology Seite 40