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Case Management in der Altenhilfe Internationale Erfahrungen, nationale Perspektiven Dokumentation der Fachtagung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 3. und 4. Februar 2000 in Berlin Durchführung und Dokumentation der Fachtagung: ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Bearbeiter: Dietrich Engels und Heike Engel unter Mitarbeit von Miriam Martin Köln, im Juli 2000

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Case Management in der Altenhilfe

Internationale Erfahrungen, nationale Perspektiven

Dokumentation der Fachtagungim Auftrag des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend

am 3. und 4. Februar 2000 in Berlin

Durchführung und Dokumentation der Fachtagung:ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH

Bearbeiter:Dietrich Engels und Heike Engelunter Mitarbeit von Miriam Martin

Köln, im Juli 2000

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Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort 5

Eröffnung der Fachtagung 7

Teil A

Ergebnisse des internationalen Kooperationsprojektes „Koordinierung komplexer

Hilfeleistungen für ältere Menschen: Case Management in verschiedenen nationalen

Altenhilfesystemen“ 10

1. Einführung 10

2. Verlauf des internationalen Kooperationsprojektes zum Case Management 11

3. Ergebnisse 12

Teil B

Case Management in anderen Ländern: Praxisbeispiele und Erfahrungen 37

1. Wohnortnahes Case Management in Innsbruck (Österreich) 38

2. Ein Recht auf Case Management in der Emilia-Romagna (Italien) 45

3. Kooperation von Gesundheits- und Sozialdiensten in Sabadell (Spanien) 56

4. Case Management in einer Senioren-Wohnanlage in Nijmegen (Niederlande) 60

5. Die abgesicherte Rückkehr aus dem Krankenhaus in Lüttich (Belgien) 68

6. Case Management als Aufgabe der Pflegeversicherung in Luxemburg 74

Teil C

Case Management in Deutschland – Konkrete Schritte zur Umsetzung 81

1. Zum Stellenwert des Case Management in der Politik des

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 81

2. Entwicklungsstand des Case Management in Berlin 88

3. Entwicklungsstand des Case Management in Nordrhein-Westfalen 94

4. Entwicklungsstand des Case Management in Baden-Württemberg 104

5. Entwicklungsstand des Case Management in Hessen 106

Empfehlungen zu Konzeption, Struktur und Umsetzung des Case Management –

Schlussfolgerungen aus nationalen und internationalen Erfahrungen 110

Podiumsdiskussion 115

Schlusswort 136

Anhang 139

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5

Vorwort

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat im Rahmen des

„Internationalen Jahres der Senioren 1999“ das internationale Kooperationsprojekt„Koordination komplexer Hilfeleistungen für ältere Menschen: Case Manage-ment in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen“ initiiert. Das Case Mana-

gement als ein Verfahren, das den bedarfsgerechten Zuschnitt von Hilfeleistungen

optimiert (und damit einerseits den hilfebedürftigen Älteren nützt und andererseits das

Dienstleistungsangebot effektiver gestaltet), gewinnt in der Altenhilfepolitik zunehmend

an Bedeutung. Im Rahmen dieses Projektes wurde ein intensiver Erfahrungsaustausch

mit dem Ziel einer an einheitlichen Evaluationskriterien orientierten, systematischen

Berichterstattung aus acht europäischen Staaten und Israel organisiert. Das Projekt

war so konzipiert, dass nationale Evaluatoren Berichte über Strukturen, Rahmenbe-

dingungen und konkrete Fallbeispiele des Case Management in ihrem Land erstellen

sollten; diese wurden in einem integrierten Gesamtbericht ausgewertet und zusammen

gefasst. Das Projekt endete mit einem projektinternen Abschlussworkshop im Novem-

ber 1999.

Die Ergebnisse des internationalen Kooperationsprojektes wurden zweisprachig in der

Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ver-

öffentlicht, zum einen als integrierter Abschlussbericht und zum anderen als ausführli-

cher Materialband:

Band 189.1 Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen.Integrierter Abschlussbericht

Band 189.2 Case Management in Various National Elderly Assistance Systems.Integrated Report

Band 189.3 Case Management – Erfahrungen aus neun Ländern.Materialband und Workshop-Diskussion

Band 189.4 Collected Material: Experiences in Case Management from Nine Countries

Um die Ergebnisse dieses Kooperationsprojektes einem breiten Fachpublikum zu-

gänglich zu machen, lud das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend am 3. und 4. Februar 2000 zu einer Fachtagung „Case Management in derAltenhilfe: Internationale Erfahrungen, nationale Perspektiven“ nach Berlin ein.

Diese Tagung gab Gelegenheit zur Präsentation und Erörterung der Ergebnisse des

Projektes und sollte auch einen Anstoß zur Weiterentwicklung der in Deutschland be-

stehenden Ansätze des Case Management geben.

Die ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH, die mit der Durchführung des

internationalen Kooperationsprojektes beauftragt worden war, hat auch die Fachta-

gung in Berlin vorbereitet und durchgeführt. Die nachfolgende Dokumentation spiegelt

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den aktuellen Diskussionstand des Case Management in der Altenhilfe wider und ver-

steht sich damit als ein Baustein der Strukturentwicklung in der Altenhilfe. Allen, die

durch ihre Studien, Vorträge und Diskussionbeiträge hieran mitgewirkt haben, sei an

dieser Stelle herzlich gedankt.

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7

Eröffnung der Fachtagung

MinR’in Dr. Renate Gorges,Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Namen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begrüße

ich Sie herzlich zu dieser Fachkonferenz, die sich mit der Frage des Case Manage-

ment befasst. Nachdem sich im Internationalen Jahr der Senioren 1999 die Mehrzahl

der über 90 Projekte in der Bundesrepublik, die wir gefördert haben, mit der Zielgruppe

der jungen, dynamischen und tatkräftigen älteren Menschen befasst hat, ist es uns ein

Anliegen, mit dem langfristig angelegten Projekt „Case Management“ ein Zeichen im

Interesse der hilfe- und pflegebedürftigen älteren Menschen zu setzen.

Auch hier stellt uns die demografische Veränderung vor neue Herausforderungen.

Ursache des demografischen Wandels ist bei Rückgang der Geburtenrate die gleich-

zeitige Steigerung der Lebenserwartung. Von den am 1. Januar 1998 in Deutschland

lebenden 82 Millionen Menschen waren 17,9 Millionen 60 Jahre und älter, das sind

21,8% der Gesamtbevölkerung. Für die Zukunft wird damit gerechnet, dass sich ins-

gesamt der Anteil der Bevölkerung ab 60 Jahre bis 2010 auf 25,6% und bis zum Jah-

resende 2039 auf 36,8% erhöht. Die Altersgruppe der Menschen zwischen 70 und 80

Jahren wird im Jahre 2039 mit 15,2% die größte Altersgruppe unter den Senioren über

60 Jahren darstellen. Diese Entwicklung ist nicht nur in Deutschland zu erwarten, son-

dern in ähnlicher Weise auch in den anderen westlichen Industriestaaten. Die Zahl der

Hochbetagten, die 80 Jahre und älter sind, steigt. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung

nimmt überproportional zu. Allein von 1970 bis 1997 hat sich der Anteil der zwischen

80 und 90 Jahre alten Personen von 1,8% auf 3,2% erhöht, der Anteil der über 90-

Jährigen von 0,1% auf 0,5%. In Alten- und Pflegeheimen sind mehr als 2/3 der Be-

wohnerinnen und Bewohner bereits 80 Jahre und älter.

Mit der Hochaltrigkeit wächst auch das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Derzeit sind ca.

8% der über 60-Jährigen pflegebedürftig. Die Bundesregierung rechnet auf der Basis

der aktuellen Bevölkerungsschätzung für die soziale Pflegeversicherung mit 2,08 Mil-

lionen Pflegebedürftigen im Jahr 2010 und mit rund 2,5 Millionen im Jahr 2020. Ob-

wohl die Älteren beim Eintritt in die dritte Lebensphase heute gesünder, besser ausge-

bildet und materiell unabhängiger leben, müssen sich die, die pflegebedürftig werden,

auf fremde Hilfe und Pflege verlassen können.

Die Pflegearbeiten, die derzeit zu Hause geleistet werden, soweit nicht ambulante

Pflegedienste in Anspruch genommen werden können, werden zu etwa 80 Prozent

von Frauen: Ehefrauen, Lebenspartnerinnen, Töchtern und Schwiegertöchtern gelei-

stet. Es ist abzusehen, dass bei zunehmender Verbesserung der Bildungs- und Berufs-

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chancen für Mädchen und Frauen diese Pflegereserve zukünftig nicht mehr im bisheri-

gen Umfang zur Verfügung stehen wird. Schon heute reichen die Hilfen und Dienste

von Angehörigen nicht mehr aus, wenn diese selbst nur noch eingeschränkt hilfefähig

sind, oder wenn sie überfordert sind bzw. wenn berufstätige Familienangehörige am

Tag keine Hilfe bieten können. Insbesondere bei hohem Pflegebedarf oder bei Krisen

(z.B. bei der Heimkehr nach einer Operation eines Pflegebedürftigen) stellt sich oft die

Frage nach zusätzlicher Unterstützung. Die Übersiedlung in ein Pflegeheim bedeutet

für die meisten hilfe- und pflegebedürftigen älteren Menschen ein schweres Schicksal.

Sie werten es als Eingriff in ein würdevolles Leben. Ihr Wunsch ist es, auch bei Hilfe-

und Pflegebedürftigkeit so lang wie irgend möglich in der eigenen Häuslichkeit zu ver-

bleiben.

Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ kommt nicht allein den Bedürfnissen der Be-

troffenen entgegen, sondern ist auch eine Frage von fiskalischer Bedeutung. Eine

Vollversorgung in einem Pflegeheim kann für die Kostenträger kostenintensiver sein

als eine ambulante Versorgung, die unter Mitwirkung von Angehörigen in der häusli-

chen Umgebung sichergestellt wird.

Mit dem IJS-Projekt „Koordinierung komplexer Hilfeleistungen für ältere Menschen:

Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen“ haben wir eine

Problematik im Internationalen Jahr der Senioren aufgegriffen, die national wie inter-

national auf großes Interesse gestoßen ist. Ambulante Dienste werden insbesondere

nach der Einführung der Pflegeversicherung bei uns wie auch in anderen Ländern ver-

stärkt angeboten und auch nachgefragt. Hierbei ergeben sich zunehmend Fragen, die

wir im Interesse einer lückenlosen, schnellen und menschenwürdigen Art und Weise

der Versorgung hilfs- und pflegebedürftiger Mitmenschen beantworten müssen:

• Probleme entstehen bei der Bereitstellung und Koordination der an den Bedürfnis-

sen des Hilfs- und Pflegebedürftigen auszurichtenden Hilfeleistung, insbesondere

des Sozial- und Gesundheitswesens, da sie unterschiedlichen Leistungsbereichen,

Institutionen und Kostenträgern zugeordnet sind. Hier bedarf es gezielter Struktur

und Organisation, die auf einer sicheren rechtlichen und finanziellen Basis beruhen

müssen.

• Der komplexe Hilfebedarf älterer Menschen macht grundsätzlich das Zusammen-

wirken aller Institutionen und Organisationen vor Ort, die über die Hilfeangebote

verfügen, notwendig.

• Wichtig ist es, geriatrische Rehabilitationsangebote in den Rahmen des Case Ma-

nagement einzubeziehen. Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, ergeben sich

daraus, dass geriatrische Rehabilitation an schwerpunktmäßigen Spezialeinrich-

tungen stattfindet, wodurch die Koordination der Dienste für den ambulant zu ver-

sorgenden Hilfe- und Pflegebedürftigen erschwert wird.

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• Ganz wichtig für die bedürfnisorientierte Versorgung mit Hilfen und Diensten ist die

Bereitstellung eines „One door“-Hilfeangebots, durch das eine einzige Koordinati-

onshilfe für mehrere Bedürfnislagen abgestimmt angeboten wird.

• Nicht zuletzt ist bei der Vielfalt der Träger und Dienste die Kontrolle über die am-

bulanten Dienste in der eigenen Häuslichkeit des Hilfe- und Pflegebedürftigen von

großer Bedeutung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben das Projekt, das heute im Mittel-

punkt dieses Kongresses steht, zusammen mit acht europäischen Ländern und Israel

erarbeitet. Es ist das Ergebnis einer vorbereitenden Internationalen Tagung der Euro-

päischen Kommission und der Österreichischen Regierung in Wien sowie zweier

Workshops in Bonn und in Brisighella, Italien. Das große Interesse an der Thematik

dieses Projektes zum Case Management erklärte die Österreichische Ministerin für

Arbeit, Gesundheit und Soziales Frau Hostasch auf dem Wiener Kongress aus der

Tatsache, dass es sich beim Case Management um eine der Fragen handelt, die für

die künftige sozialpolitische Entwicklung der Europäischen Union, aber darüber hinaus

auch für die meisten anderen Länder Europas, für Nordamerika und Asien von beson-

derer Bedeutung sei.

Ich möchte den Vertretern der europäischen Länder und Israels, die mit uns die Er-

gebnisse zu diesem Projekt erarbeitet haben, schon hier sehr herzlich für ihre Unter-

stützung danken. Wir erwarten von den Ergebnissen dieses Kongresses für die Bun-

desrepublik Deutschland neue Anstöße für die Gestaltung der Altenhilfeinfrastruktur –

sei es für die Gesetzgebung – vor allem aber für die Praxis auf örtlicher Ebene.

Gleichzeitig möchten wir mit unseren Partnern aus dem Ausland eine gemeinsame

Annäherung an die Lösung von Altenhilfeproblemen suchen, die in allen Ländern Eu-

ropas und darüber hinaus in ähnlicher Weise auftreten.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen für diesem Kongress den besten Erfolg. Ich

danke Ihnen.

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Teil AErgebnisse des internationalen Kooperationsprojektes„Koordinierung komplexer Hilfeleistungen für ältere Menschen:Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen“

Dr. Dietrich Engels und Dr. Heike Engel,

ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH

1. Einführung

Im Vorfeld einer Tagung über das „Case Management“ kommt man mit verschiedenen

Personen über diese Thematik ins Gespräch:

• Spricht man mit Fachleuten über Case Management, so stellt man fest, dass das

Thema nicht neu ist – schon lange wird in der Sozialarbeit ein ganzheitlicher An-

satz befürwortet, der den Klienten mit seinen Möglichkeiten und Einschränkungen

innerhalb seiner Lebensbedingungen wahrnimmt. In vielen Bereichen von der Kin-

der- und Jugendhilfe bis zur Altenhilfe wird dieser Ansatz unter dem Stichwort

Case Management diskutiert.

• Spricht man mit Experten aus Politik und Verwaltung, so begegnet man oft der

Trennung in das fachlich Sinnvolle und das finanziell Machbare: als Verfahren der

Beratung des Klienten und der Vermittlung von bedarfsgerechten Dienstleistungen

wird das Case Management begrüßt; aber wenn es darum geht, eine neue, unab-

hängige Case Management-Struktur aufzubauen, wird abgewunken – dafür ist kein

Geld verfügbar.

Auf der einen Seite also inhaltliche Unterstützung – mit dem Hinweis, dass es kein

neuer Ansatz sei, sondern schon seit Jahren diskutiert wird; auf der anderen Seite ist

es aber noch zu neu, um ein selbstverständlicher Teil der Regelversorgung zu sein.

Aber es gibt noch andere Gesprächspartner:

Wenn man sich im Bekanntenkreis über Case Management unterhält, weiß zunächst

keiner, was Case Management bedeuten soll; erläutert man aber die Situation: Ein

älterer Mensch benötigt vielfältige Hilfen, er wäre aber mit der Organisation dieser Hil-

fen völlig überfordert; auch die Angehörigen wissen nicht, was zu tun ist, sie haben

sich bisher noch keine Gedanken darüber gemacht, welche Möglichkeiten der Hilfe zu

Hause es gibt; und wenn dann eine Entscheidung schnell getroffen werden muss:

Lässt sich eine Pflege zu Hause organisieren, oder bleibt nur noch der Umzug ins

Heim? dann ist die Entwicklung hin zur Heimpflege kaum noch aufzuhalten. – Wenn

man diese Problematik im Bekanntenkreis schildert, kommt häufig die Antwort: „Das

kenne ich, genau so war’s damals bei unserer Oma (oder bei meinen Eltern usw.).

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Hätten wir damals jemanden gehabt, der weiß, welche Hilfen nötig sind, der die Hilfen

organisieren kann, und der auch noch Hinweise zur Finanzierung geben kann – dann

wäre vielleicht alles anders gelaufen. Und das soll jetzt geändert werden?“

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat die Problematik

einer bedarfsgerechten Beratung und Hilfevermittlung ernst genommen und auf die

Tagesordnung des Internationalen Jahres der Senioren gesetzt. Diese Verknüpfung

eines in Fachkreisen aktuell diskutierten Themas mit der Möglichkeit eines Erfah-

rungsaustausches über nationale Grenzen hinweg hat zu einer hochinteressanten

Konstellation geführt. Denn viele Probleme sind in anderen Ländern ähnlich wie bei

uns: Die zunehmende Zahl älterer Menschen und die entsprechend steigende Zahl der

Pflegebedürftigen; die hohen Kosten stationärer Versorgung und das politische Be-

streben, die Hilfestrukturen im häuslichen Bereich weiter auszubauen, um eine mög-

lichst selbstständige Lebensführung in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen und

die stationäre Pflege zu entlasten; und ähnlich ist auch der Wunsch der Älteren, mög-

lichst lange in ihrer Wohnung zu bleiben, und zugleich die Ratlosigkeit und Überla-

stung der Angehörigen, wenn sie dies „irgendwie“ ermöglichen sollen.

2. Verlauf des internationalen Kooperationsprojektes zumCase Management

An diesem Erfahrungsaustausch beteiligten sich Wissenschaftler und Regierungsver-

treter aus England, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Österreich, Italien, Spani-

en, Israel und Deutschland (hier aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Ham-

burg und Hessen). Zum Projektstart wurde im Februar 1999 ein Workshop in Bonn

durchgeführt, der einem Austausch über die Verständnisse des Case Management vor

dem Hintergrund unterschiedlicher nationaler Kontexte diente. Es wurde vereinbart,

dass aus jedem Land ein Evaluator ein konkretes Case Management-Projekt begleitet,

dessen Strukturen und Arbeitsweisen beschreibt und die dabei beobachteten Resul-

tate und Schwierigkeiten analysiert. Um diese nationalen Berichte vergleichbar zu ma-

chen, haben wir uns auf einen differenzierten Leitfaden zur Strukturierung der Evalua-

tionen verständigt, der sich in vier Bereiche gliedert:1

(a) In welchen Kontexten steht das Case Management? (nationale und regionale

Rahmenbedingungen)

(b) Wer arbeitet in einer konkreten Case Management-Stelle mit, und unter welchen

Bedingungen? (Personal- und Sachstruktur)

1 Der Evaluationsleitfaden ist in detaillierter Form auf S. 10 – 12 des Abschlussberichtes

abgedruckt.

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(c) Auf welche Weise und mit welchen Instrumenten arbeitet die Case Management-

Stelle? (Methode)

(d) Was leistet das Case Management? (Leistungsprofil, konkrete Bedingungen und

Ergebnisse)

Im Frühjahr und Sommer 1999 haben die Evaluatoren ihre Berichte erstellt. Wir stan-

den laufend miteinander in Kontakt, um uns nach dem Stand der Evaluation zu erkun-

digen und einzelne Fragen der Anwendbarkeit des Evaluationsschemas im konkreten

Fall zu klären. Im Herbst wurde dann vom ISG der integrierte Gesamtbericht erstellt,

der eine vergleichende Auswertung, Zusammenfassungen der nationalen Berichte

sowie Schlussfolgerungen und Empfehlungen enthält.2

Die Berichte der Evaluatoren wurden im November letzten Jahres auf einem Work-

shop in Italien vorgestellt und intensiv diskutiert. Wir möchten Ihnen heute Vormittag

zunächst die wichtigsten Ergebnisse im Überblick präsentieren und heute Nachmittag

Gelegenheit geben, die Erfahrungen aus einzelnen Ländern genauer zu betrachten.

3. Ergebnisse

(1) Nationale Kontexte von Pflege und Case Management: Konvergenzen und

Unterschiede

Den am Projekt beteiligten Ländern ist eine Reihe von Trends gemeinsam:

• der demografische Trend einer starken Zunahme insbesondere der Hochaltrigen,

der einen Ausbau der pflegerischen Versorgung erforderlich macht

• die Prioritätensetzung auf ambulanter vor stationärer Versorgung, die zum einen

mit Kostensenkung und Steigerung von Effizienz, zum andern mit den Interessen

der Betroffenen und der Steigerung der Versorgungsqualität begründet wird

• das Bestreben, die Selbstständigkeit der Älteren zu fördern und mit flankierenden

Hilfen zu unterstützen sowie

• der Ansatz einer ganzheitlich ausgerichteten, interdisziplinär erbrachten Hilfe, um

der Komplexität der Bedarfssituation gerecht werden zu können.

Ein grundlegender Unterschied besteht dagegen darin, ob das Gesundheitssystem

und das Sozialsystem einer einheitlichen Struktur angehören oder voneinander ge-

trennt sind. Im Falle einer strukturellen Trennung, die wir in den meisten am Projekt

2 D. Engels/ H. Engel, Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesyste-

men, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Schrif-tenreihe Band 189.1 (deutsch) und 189.2 (englisch). Die kompletten Evaluationsberichtewerden als Materialband hierzu ebenfalls in der Schriftenreihe in deutscher und engli-scher Version veröffentlicht.

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beteiligten Staaten (außer England) vorfinden, stellt sich die Frage der Lokalisierung

des Case Management: Wenn es im gesundheitlichen Sektor etabliert ist (z.B. im

Krankenhaus oder in Kooperation mit Hausärzten), können sich Vermittlungsprobleme

in der Kooperation mit Pflege und Sozialarbeit ergeben. Umgekehrt begegnen Case

Manager, die dem Kontext von Pflege und Sozialarbeit entstammen, bei der Zusam-

menarbeit mit dem medizinischen Sektor häufig den Problemen mangelnder Informati-

onsweitergabe oder fehlender Akzeptanz. Durch eine Systemtrennung zwischen Sozi-

al- und Gesundheitsbereich werden strukturelle Barrieren wirksam, die in spezifischer

Weise Aufgaben der Kooperation und Vernetzung stellen.

Eine entscheidende Frage im Hinblick auf die Stabilität der Case Management-Struktur

ist ihr politischer Stellenwert, der sich vor allem am Entwicklungsstand gesetzlicher

Verankerung, aber auch an den Aktivitäten der Modellförderung ablesen lässt. Der

Vorreiter in der Entwicklung von Konzepten des Case Management ist das Vereinigte

Königreich. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Case Management be-

reits im Jahr 1993 mit dem „National Health Service and Community Care Act“ eine

gesetzliche Grundlage erhielt. Nur wenig später, am Jahresende 1993, wurde auch in

der Emilia-Romagna eine Aufnahme des Case Management in das reguläre Versor-

gungssystem gesetzlich verankert. Die seit Beginn des Jahres 1999 in Luxemburg

bestehende Pflegeversicherung ist ebenfalls zur Durchführung eines Case Manage-

ment verpflichtet (hier muss die praktische Erfahrung aber erst erweisen, ob die Ver-

antwortung für eine bedarfsgerechte Umsetzung der Pflege auch tatsächlich im Sinne

eines umfassenden Case Management-Prozesses wahrgenommen wird). In anderen

Ländern ist eine gesetzliche Regelung noch unsicher, so z.B. in Belgien und Deutsch-

land, wo ein im Entwurfsstadium befindliches „Altenhilfegesetz“ die Etablierung von

Case Management-Strukturen vorsieht (in den Bundesländern Baden-Württemberg

und Hessen ist in dieser Hinsicht in den letzten Jahren leider eine rückläufige Ent-

wicklung zu verzeichnen). In den meisten der hier beteiligten Länder ist der politische

Stellenwert des Case Management aber nur an dem Umfang der staatlichen Förde-

rung für Modelle abzulesen, die allerdings z.B. in Belgien, Katalonien und auch in

Deutschland eine langjährige Tradition hat.

Die Berichte erlauben in dieser Hinsicht die Schlussfolgerung: Je besser das Case

Management innerhalb der Versorgungsstruktur etabliert ist, desto eher wird es sei-

tens der Kooperationspartner akzeptiert und in deren eigene Arbeit eingebunden.

(2) Strukturelle Merkmale des Case Management

Anbindungsformen und Kliententypen des Case Management

In Bezug auf die Adressatengruppe lassen sich ein umfassendes Case Management

und ein spezifisches Case Management unterscheiden. Als umfassend wird ein Case

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Management bezeichnet, das sich grundsätzlich als Angebot für alle Bürgerinnen und

Bürger mit Hilfebedarf versteht und allenfalls generelle Konkretisierungen der Ziel-

gruppe hinsichtlich des Alters oder der Hilfebedürftigkeit vornimmt. Typische Be-

darfssituationen sind Alltagssituationen im Privathaushalt, die ohne fremde Hilfe nicht

bewältigt werden können. Adressaten eines umfassenden Case Management können

sein

• alle hilfebedürftigen Bürger eines Stadtteils, also neben den Pflegebedürftigen im

höheren Alter auch Behinderte aller Altersgruppen

• nur ältere Bürger mit Hilfe- und Pflegebedarf

• nur Pflegebedürftige (nach gesetzlichen Kriterien, wie etwa die Kriterien der Pfle-

geversicherung in Luxemburg und Deutschland)

• ausdrücklich auch Angehörige von Hilfe- und Pflegebedürftigen.

Unter spezifischem Case Management sind die Formen zu verstehen, die Klienten in

außergewöhnlichen Situationen Beratung und Unterstützung anbieten. Dies kann an

verschiedenen Stellen angesiedelt sein – in einem Krankenhaus, einem Wohnheim,

einer Arztpraxis oder einer anderen Stelle. Diese Anbindung bestimmt zugleich die

konzeptionelle Ausrichtung dieser Stelle und den Personenkreis, auf den sie abzielt. In

den von uns evaluierten Projekten waren dies beispielsweise

• Klinik-Patienten aus Privathaushalten mit Risiko der Rehospitalisierung bzw. Heim-

einzug (Beispiel Belgien)

• Bewohner einer Wohnanlage, für die passende Service-Leistungen zu organisieren

sind (Beispiel Niederlande)

• Antragsteller auf einen Heimplatz, bei denen die Bewilligungsinstanz zunächst

prüft, ob alle Möglichkeiten des Verbleibs in ambulanter Pflege ausgeschöpft sind

(ebenfalls aus den Niederlanden berichtet).

Trägerschaft des Case Management

Mit dem anvisierten Adressatenkreis steht die institutionelle Verankerung des Case

Management in engem Zusammenhang; entsprechend lässt sich unterscheiden zwi-

schen bürgernaher und bereichsspezifischer Lokalisierung. Das bereichsspezifische

Case Management ist meist von vornherein in einen bestimmten institutionellen Kon-

text eingebunden (in unseren Projektbeispielen etwa in ein Krankenhaus oder eine

Wohnanlage). Der Träger des Case Management ist in der Regel mit dem Träger der

Institution identisch. Größere Unterschiede gibt es dagegen bei der institutionellen

Einbettung eines umfassenden Case Management. Es soll für alle (älteren) Bürger mit

komplexem Hilfebedarf ansprechbar sein, was eine „wohnortnahe“ Lokalisierung in der

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Gemeinde bzw. im Stadtviertel voraussetzt. Grundsätzlich bietet sich die Kommune als

neutraler Träger einer Case Management-Stelle an.

Da es sehr aufwändig wäre, eine solche Struktur neu aufzubauen, gibt es verschiede-

ne Modelle der Anbindung an bereits bestehende, bürgernahe Einrichtungen wie etwa

Bürgerzentren oder Beratungsstellen. Auch in den Gebäuden staatlicher Behörden

lässt sich eine Case Management-Stelle ansiedeln (problematisch würde dies aber,

wenn dadurch beratende mit leistungsregulierenden Funktionen vermischt würden – in

Deutschland etwa durch eine Ansiedlung des Case Management innerhalb des Sozial-

amtes).

Die Trägerschaft einer umfassend ausgerichteten Case Management-Stelle kann auch

von mehreren Institutionen gemeinsam übernommen werden. Eine solche Konstrukti-

on mag vom Aufbau her recht komplex wirken, kann aber mit positiven Effekten ver-

bunden sein hinsichtlich

• der Synergie: die Kooperationsbereitschaft der beteiligten Einrichtungen muss

nicht erst durch den Case Manager hergestellt werden, sondern ist bereits institu-

tionell vorgegeben; unterschiedliche Kompetenzen können sich wechselseitig er-

gänzen, technische Infrastruktur kann gemeinsam genutzt werden; anteilige Ar-

beitszeiten können kombiniert und die Zeiten der persönlichen Erreichbarkeit damit

ausgedehnt werden;

• der Neutralität: das Ziel einer Träger übergreifenden Neutralität kann entweder

durch eine der Trägerkonkurrenz enthobene oder durch Einbeziehung der (aller-

dings dann auch: aller relevanten) Träger erreicht werden;

• und der Finanzierungsbereitschaft.

Qualifikation des Personals: Was muss ein Case Manager können?

In den meisten hier betrachteten Beispielen haben die Case Manager eine sozialar-

beiterische Berufsqualifikation, in manchen Fällen eine pflegerische Qualifikation. In

manchen Projekten wird von den Case Managern eine Mehrfachqualifikation erwartet:

In dem Beispiel aus Hessen ist die Case Managerin eine Sozialpädagogin und exami-

nierte Krankenschwester, die Case Managerinnen in Innsbruck sind diplomierte Pfle-

gekräfte mit sozialpädagogischer Zusatzausbildung. Zudem verfügen sie über Erfah-

rungen in der ambulanten und stationären Altenhilfe (Berufserfahrungen oder Prakti-

ka), zum Teil über Erfahrungen in Beratungsstellen und über „Sozialkompetenz“.

Doch damit nicht genug: Der israelische Bericht benennt über die formale Qualifikation

hinaus folgende Anforderungen:

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• Kenntnis der Bedarfe der Zielgruppe

• Kenntnis der diesen Bedarfen entsprechenden Dienstleistungsanbieter

• Kenntnis der kommunalen Unterstützungsressourcen

• enge Kooperation mit Dienstleistern, Freiwilligenagenturen und kommunalen Dien-

sten

• Informiertheit über und Erfahrung mit Handlungsmöglichkeiten in komplexen Be-

darfssituationen

• Erfahrung mit Interviews und Datensammlung und –auswertung

• allgemeine Erfahrungen in der Altenhilfe und Kenntnis deren rechtlicher Grundla-

gen.

Kann dies ein Mensch allein überhaupt leisten, oder sollte die erforderliche Vielfalt der

Qualifikationen durch arbeitsteilige Organisation aufgefangen werden?

Organisatorische Formen des Case Management

In organisatorischer Hinsicht sind mehrere Varianten möglich (die auch in den evalu-

ierten Projektbeispielen repräsentiert sind):

• das Modell eines einzelnen Case Managers

• eine Case Management-Stelle mit mehreren Mitarbeitern

• Case Management als Teilaufgabe im Rahmen eines interdisziplinären Teams.

Für einen einzelnen Case Manager spricht unter dem Aspekt der Kohärenz, dass der

gesamte Prozess des Case Management in einer Person gebündelt ist. Dies reduziert

den Vermittlungsbedarf; die Einrichtung einer Stelle (in manchen Beispielen sogar nur

als Teilzeitstelle) erscheint auch eher durchsetzbar als der Aufbau einer Struktur mit

mehreren Mitarbeitern. Schwerwiegender erscheinen allerdings die Gründe, die gegen

eine Ein-Personen-Struktur sprechen:

• Die oben genannten multidisziplinären Kompetenzen stellen sehr hohe Anforde-

rungen an den Stelleninhaber, die nur schwer von einer einzelnen Person erfüllt

werden können.

• Weiterhin bietet diese Lösung den Case Managern keine Möglichkeit zu wechsel-

seitiger Anregung, Beratung und fachlichem Austausch über die zu bearbeitenden

Fälle.

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• Und schließlich sind auch zeitliche Flexibilität, Erreichbarkeit und Vertretung bei

Urlaub oder Krankheit im Falle einer Ein-Personen-Besetzung nicht in befriedigen-

der Weise lösbar.

Dem gegenüber bietet ein Case Management, das von einem multidisziplinären Team

(entweder ausschließlich oder mit anteiliger Arbeitszeit) durchgeführt wird, vor allem

den Vorteil, dass unterschiedliche professionelle Perspektiven eingebunden werden.

Entscheidend für eine gelingende Integration dieser Perspektiven ist dann allerdings,

dass eine hohe Kooperationsbereitschaft besteht und die interne Kommunikation rei-

bungslos organisiert ist: Wird z.B. das Assessment arbeitsteilig von mehreren Profes-

sionen durchgeführt (wie z.B. aus Israel und Spanien berichtet), so ergibt sich daraus

die Notwendigkeit, eine gut funktionierende Arbeitsteilung zu organisieren und die Kri-

terien der Beurteilung abzusprechen. Die Auswertung des Assessment und die Hilfe-

planung wird in den Beispielen aus Italien, Spanien, Israel und Belgien im Team

durchgeführt, dadurch können unterschiedliche Gesichtspunkte einbezogen werden;

vorausgesetzt natürlich, dass die Teammitglieder gelernt haben, in einer Atmosphäre

wechselseitiger Akzeptanz miteinander umzugehen.

Sachausstattung

Als letzten Punkt der Strukturbeschreibung möchte ich noch kurz die Ausstattung mit

Räumlichkeiten und Sachmitteln erwähnen.

• Den Case Managern stehen meist ein Büroraum mit Telefon, Fax, Anrufbeantwor-

ter und manchmal auch Handy zur Verfügung.

• Klientengespräche können in einer Sitzecke oder einem eigenen Besprechungs-

raum geführt werden.

• Die meisten Case Manager verfügen über einen PC, wobei vor allem dessen Nut-

zungsmöglichkeiten wichtig sind: So haben z.B. die Case Manager in Innsbruck ei-

nen Online-Zugang zu einem „Gesundheits-Informations-Netz“, in dem Kapazitäten

und Auslastung ambulanter Dienste und stationärer Einrichtungen in aktueller

Form abrufbar sind. So kann der Case Manager direkt im Beratungsgespräch

überprüfen, welche der gewünschten Dienstleistungen auch verfügbar sind.

(3) Der Case Management-Prozess

Man kann das Case Management-System insgesamt in drei Ebenen einteilen:

• Zunächst die Makro-Ebene: Diese betrifft die strukturellen Rahmenbedingungen,

z.B. den Umgang mit den Institutionen, die Trennung des medizinischen und so-

zialen Bereichs sowie die politische Einbindung.

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18

• Auf der zweiten Ebene, der so genannten Meso-Ebene, sind die prozesshaften

Rahmenbedingungen zu nennen. Hier geht es um die Kooperation mit den Dienst-

leistern bzw. um das Einbinden der Erkenntnisse, die bei der Umsetzung des Case

Management gewonnen werden, in die politischen Planungsprozesse.

• Diese beiden Bereiche wirken sich auf die Mikroebene aus, die nun näher erläutert

werden soll, wobei auch die Auswirkungen der Makro- und Mesoebene einbezogen

werden.

Abbildung 1: Differenzierung gesellschaftlicher Ebenen

MAKRO-EBENE

Strukturen Aktivitäten

• Gesundheitssystem

• Sozialsystem

• Ausbildungssystem

• Trennung zwischen gesund-

heitlichem und sozialem Bereich

• Politische Prioritätensetzung:

ambulant vor stationär

• Ausbildung für Pflegekräfte

MESO-EBENE

Strukturen Aktivitäten

• Dienstleistungsanbieter

• Organisationen

• Kommune

• Kooperation mit Dienstlei-

stungsanbietern

• Einbindung der Erkenntnisse in

politische Planungsprozesse

MIKRO-EBENE

Strukturen Aktivitäten

• Klienten und ihre

Angehörigen

• Zugang zum System

ê

• Managementprozess:

(Assessment, Planung, Durch-

führung, Monitoring, Evaluation)

ê

• Beendigung

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19

Sowohl die strukturellen Rahmenbedingungen als auch die prozesshaften Rahmenbe-

dingungen haben Auswirkungen auf die Funktionsweise auf der Mikro-Ebene. Aller-

dings konnten wir feststellen, dass der Management-Prozess in den verschiedenen

Projekten von der Struktur her sehr ähnlich – oder man kann sogar fast sagen: iden-

tisch – ist. Deswegen möchte ich diesen Prozess in seiner Struktur darstellen. Sie

werden heute im Laufe des Nachmittages und auch an den morgen vorgestellten Bei-

spielen sehen, dass man diese Strukturen immer wieder findet.

Bevor ich allerdings den Prozess beschreibe, ist es wichtig, zu fragen: Wie kommt

man überhaupt zum Case Management, gibt es Unterschiede beim Zugang? Und:

Wann endet dieser Prozess, wann endet das Case Management-System?

Der Zugang zum Case Management-System hängt in starkem Maße davon ab, ob

dieses System den einzigen Zugang zu den Leistungen darstellt, oder ob es nur eine

Möglichkeit unter mehreren darstellt:

• Wenn Case Management als Beratung angeboten wird, die optional gewählt werden

kann, müssen die Case Management-Stellen dafür sorgen, dass sie sich bei

Schlüsselpositionen bekannt machen: bei den Hausärzten, in den Krankenhäusern

und bei allen Stellen, die einen Multiplikatoreffekt haben können.

• Einfach ist es für die Stellen, die den einzigen möglichen Zugang zu Leistungen dar-

stellen, weil hier die Schlüsselposition (Hausarzt, Krankenhäuser etc.) in der Regel

die Stelle kennt.

Wir haben vorhin schon das umfassende und das spezifische Case Management er-

wähnt: Wenn Case Management alle Älteren, die Hilfe benötigen, erreichen will, ist

dies ein viel größerer und damit auch schwieriger zu erreichender Kundenkreis, als

wenn es sich um Ältere handelt, die z.B. aus dem Krankenhaus entlassen werden sol-

len – wie wir das in einem Beispiel haben – oder um Ältere, die in ein bestimmtes

Umfeld einziehen möchten, die selber einen Antrag stellen, weil sie z.B. in eine be-

treute Wohnanlage ziehen möchten – wir werden auch dazu ein Beispiel hören.

Die andere Frage: Wann endet das Case Management? Auch hier gibt es natürlich

Unterschiede. Das Case Management endet z.B., wenn es sich hauptsächlich auf Älte-

re bezieht, die zu Hause leben, in der Regel dann, wenn ein Umzug in eine stationäre

Einrichtung erfolgt. Es gibt aber auch Beispiele, in denen das Case Management alle

Älteren umfasst, unabhängig davon, ob sie zu Hause leben oder in einer Einrichtung.

In diesem Fall ist auch der Rückweg, also der Umzug aus der Einrichtung wieder nach

Hause möglich, was z.B. in Deutschland relativ unüblich ist.

Kommen wir nun zum Kern, zum Management-Prozess an sich, sobald der Zugang

gefunden wurde:

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20

Abbildung 2: Der Management-Prozess

èèAssessment

Aufnahme der Situation

Identifizierung der Probleme

Feststellung des Hilfebedarfs

ê

Planung Erstellung eines individuellen Hilfe-

plans

ê

èè Durchführung

Organisation der Hilfeleistungen

Erbringung der Hilfeleistungen

ê

Monitoring

Überwachung:

der Ausführungen der Dienstleistungen

der Änderungen des Zustands, und

damit des Bedarfs

Evaluation Bewertung

Der Prozess des Case Management beginnt mit dem Assessment: Assessment be-

deutet die Aufnahme der Situation, die Identifizierung der Probleme und die Feststel-

lung des Hilfebedarfs. Häufig wird das Assessment zu Hause bei den Bedürftigen bzw.

den Klienten durchgeführt. Es wurde dazu auch erwähnt, dass dies sehr vorteilhaft ist,

weil man so neben dem Menschen selbst auch sein räumliches und soziales Umfeld

kennen lernen und mögliche Probleme besser erfassen kann. Man denke hier z.B. an

Defizite in der Gestaltung der Wohnung, die dann durch entsprechende Wohnraum-

anpassungsmaßnahmen beseitigt werden können. Bei einem Besuch zu Hause kön-

nen auch die familiären Ressourcen besser einbezogen und abgeschätzt werden.

Wenn allerdings Case Management als betreute Überführung aus dem Krankenhaus

vorgenommen wird, findet das erste Assessment im Krankenhaus statt. Auch hier ist

es wünschenswert, dass anschließend zusätzlich eine Aufnahme der Probleme zu

Hause erfolgt. Die Feststellung des individuellen Hilfebedarfs wird, je nach Organisati-

on des Case Management-Systems, durch einen Case Manager alleine oder durch ein

interdisziplinäres Team durchgeführt. Wir haben vorhin schon gehört: Es gibt beide

Systeme mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen.

Die Projekte unterscheiden sich ebenfalls in der Anzahl und Methodik der heranzuzie-

henden Instrumente und der erstellten Gutachten. Teilweise wurde nur ein Gutachten

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erstellt, teilweise wurden zahlreiche Instrumente und Gutachten herangezogen. Hier

konnte ein Zusammenhang festgestellt werden zwischen der Anzahl der verwendeten

Instrumente und erstellten Gutachten und der Tragweite der Konsequenzen in rechtli-

cher Hinsicht.

Dies gilt auch für den Grad der vorgegebenen Strukturierung: Wir konnten beobach-

ten, dass sie von einem Gesprächsleitfaden für den Case Manager – im Fall einer Be-

ratung (z.B. in Hessen) – bis hin zu sehr standardisierten Erhebungsbögen reichen,

die in der Regel computergestützt erfasst werden – wie beispielsweise in Luxemburg,

wo dieses Instrument des Case-Managements zur Errechnung des Pflegegelds dient.

Die Hilfeplanung übernimmt in der Regel dieselbe Person bzw. dasselbe Team,

die/das bereits das Assessment durchgeführt hat – nur im Beispiel der Niederlande

wurde dies nicht ausdrücklich erwähnt. Bei der Hilfeplanung wird in besonderem Maße

versucht, die Wünsche der Hilfesuchenden zu berücksichtigen, was auch in den Ge-

sprächen zum Ausdruck kommt, die während der Planung mit den Klienten geführt

werden. Am Ende der Planungsphase ist bekannt, wie die im Assessment erfassten

individuellen Problemlagen und Defizite verbessert oder beseitigt werden können.

In der Durchführungsphase wird der individuell erstellte Hilfeplan umgesetzt; die Um-

setzung bezieht sich dabei sowohl auf notwendige Veränderungen in der Wohnung,

sofern der Klient/ die Klientin zu Hause wohnen bleibt, als auch auf die Auswahl von

geeigneten Dienstleistungsanbietern im pflegerischen und sozialen Bereich. Auch die-

se Phase wird in der Regel von denselben Personen übernommen, die auch das As-

sessment durchgeführt und den Hilfeplan aufgestellt haben.

Die Durchführung ist in den verschiedenen Projekten unterschiedlich aufwändig, was

in hohem Maße davon abhängt, wieviele Anbieter es gibt, in welchem Maß die Anbie-

ter untereinander koordiniert sind und wie gut die Kooperation mit den Dienstlei-

stungsanbietern funktioniert (Meso-Ebene): Gibt es so etwas wie einen Anbieter-Pool,

auf den ich zugreifen kann? Oder sind die Anbieter sehr verstreut?

In den meisten Projekten wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Hilfeplanung, also

die Erstellung das individuellen Hilfeplans unter Bedarfsgesichtspunkten, getrennt er-

folgt von den Möglichkeiten der Durchführung. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass

der Planungsprozess bereits die Möglichkeiten (und Restriktionen) der Umsetzung

einbezieht. So wird beispielsweise im Vereinigten Königreich der Versorgungsplan

zumindest für bestimmte Nutzergruppen unter Budgetbeschränkungen erstellt.

An dieser Stelle muss ebenfalls erwähnt werden, dass in der Umsetzungsphase so-

wohl Angebotslücken als auch Überangebote von Dienstleistungen seitens der Case

Manager festgestellt werden können. Es hängt nun vom Grad der Einbindung des

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22

Case Management in den politischen Planungsprozess (Meso-Ebene) ab, ob eine sol-

che Unter- oder Überversorgung – falls sie festgestellt wird – auch auf der politischen

Ebene registriert und (sofern dies möglich ist) beseitigt wird.

Wenn nun die Hilfen geplant sind und durchgeführt werden, der Klient/ die Klientin also

die Hilfen bekommt, ergibt sich eine weitere sehr wichtige Aufgabe des Case Mana-

gement: Das Monitoring bezieht sich – wie in Abbildung 2 mit zwei Pfeilen angedeutet

wird – auf zwei Punkte:

1. bezieht sich das Monitoring auf die Durchführung, ob der Betroffene mit den Hilfen

zufrieden ist, ob alles reibungslos funktioniert, ob die Familie nicht überfordert ist,

ob eventuell doch noch weitere Dienstleistungen hinzugezogen werden müssen,

usw. Falls es hier an einer Stelle Probleme gibt, wird versucht, diese durch ent-

sprechende Änderungen zu beheben.

2. bezieht sich das Monitoring auch auf das Assessment. D.h. es ist auch von Be-

deutung, wenn Änderungen des Zustands eintreten. Wenn sich die persönlichen

Rahmenbedingungen des Klienten/ der Klientin ändern, kommt es zu einem Re-

Assessment: Hier beginnt der Managementprozess erneut, nach dem Re-

Assessment, bei dem die neue Bedarfslagen des Klienten / der Klientin aufge-

nommen wird, werden die nowendigen Hilfen neu geplant, die dann umgesetzt und

überwacht werden. Das Vorgehen ist im Prinzip ein ständiger Kreislauf.

Die Evaluation ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Management-Prozesses. Hier

sollte zum einen eine Selbstbewertung stattfinden: Wie funktioniert das System? Gibt

es dort Veränderungs- oder Verbesserungsmöglichkeiten? Ist dieser spezielle Fall

wirklich gut und für den Kunden im besten Sinne abgeschlossen bzw. begleitet wor-

den? Oder lassen sich Schwachstellen benennen, Hinweise, wie man es besser ma-

chen könnte?

Die Evaluation bezieht sich aber auch auf die Strukturen des Management-Prozesses.

Hier stellt sich die Frage, an welchen Stellen des Management-Prozesses es mögli-

cherweise Probleme gibt, woran dies liegt und wie Abhilfe geschaffen werden kann.

Ein schwieriger Punkt scheint der Übergang von der Hilfeplanerstellung zur Umset-

zung zu sein. Dies liegt auch daran, dass spätestens an diesem Punkt auf extern be-

stehende Strukturen – beispielsweise die Dienstleistungsanbieter betreffend – zuge-

griffen werden muss: Stehen genügend Anbieter zur Verfügung? Wie sind die Anbieter

organisiert? Ich habe diese Punkte bereits angesprochen. Ich denke, dass hier die

Probleme häufig auf der strukturellen bzw. auf der Meso-Ebene liegen.

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Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, den diejenigen, die sich mit

Management-Prozessen beschäftigen, wahrscheinlich schon vermisst haben: die Do-

kumentation. Die Dokumentation wird bei der Veranschaulichung von Management-

prozessen (vgl. Abbildung 2) häufig als letzter Punkt (unter Evaluation) aufgelistet. Das

halte ich für einen Fehler: Die Dokumentation ist wichtig. Sie wird in unterschiedlicher

Weise – das werden wir noch hören – in den Projekten durchgeführt. Sie sollte aber in

allen Phasen des Management-Prozesses stattfinden; und zwar möglichst strukturiert.

Denn: Wenn Probleme und Reibungsverluste im ganzen System festgestellt und deren

Ursachen behoben werden sollen, ist eine ausführliche und strukturierte Dokumentati-

on unabdingbar.

Diskussion

Engels:

Das war in Kürze – hoffentlich nicht zu lang, und hoffentlich nicht zu abstrakt – ein

Überblick über die Ergebnisse, die wir bei dem Lesen der verschiedenen Berichte ha-

ben ermitteln können. Die Berichte selber sind natürlich spannend. Insofern freue ich

mich schon auf heute Nachmittag, wenn wir mehr in die Tiefe gehen können und an

konkreten Einzelbeispielen die einen oder anderen Elemente noch mal im Detail hören

und diskutieren können. Sie haben jetzt eine gute Stunde lang zugehört; das mag erst

mal genug sein. Ich möchte Ihnen die Gelegenheit geben, Kommentare, Anregungen,

Ergänzungen zu äußern.

Ziller:

Da ich an dem Projekt beteiligt war, würde ich gerne die Ausführungen, die Sie schon

gehört haben, in Bezug auf eine nähere Beschreibung der Projektvielfalt noch etwas

konkretisieren. Es ist auch ein Versuch, denjenigen, die nicht beteiligt waren und heute

hier sind, den Nachvollzug der Länderberichte oder der Projektberichte etwas zu er-

leichtern.

Das eigentlich Interessante an dem Projekt – das ist schon gesagt worden – war, dass

von höchst unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und von höchst unterschiedlichen

Ansatzpunkten in den nationalen Altenhilfesystemen im Grunde dasselbe entsteht:

Case Management-Strukturen.

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Zu nennen wäre also mit Blick auf die beteiligten Länderprojekte:

• Einmal ein gemeinwesenbezogener Ansatz, also Case Management-Strukturen,

die von Wohnanlagen für ältere Menschen aus (hier: betreute Wohnanlagen) oder

im Wohnquartier entstehen. Diese beiden Ansätze sind strukturell verwandt.

• Dann zum andern von Krankenhäusern aus, wir würden in Deutschland sagen: aus

dem Krankenhaussozialdienst heraus, mit Blick auf die hohen Anteile betagter oder

geriatrischer Patienten, die wir ja in allen Krankenhäusern haben.

• Dann für deutsche Verhältnisse besonders delikat: als genuine Aufgabe der Pfle-

gekassen. Die Pflegeversicherung muss zur Kenntnis nehmen, dass andere Län-

der, die die Pflegeversicherung erst später als Deutschland eingeführt haben, von

sich aus die Notwendigkeit einer Case Management-Struktur zur Vermeidung oder

Minderung von Pflegebedürftigkeit erkennen. Es wäre wünschenswert, wenn in

Deutschland auch ein solcher Impuls aus der Pflegeversicherung heraus entstehen

könnte.

• Dann als Aufgabe der Kommunen auf der örtlichen Ebene – auch das wäre sehr

schön, wenn eine solche Entwicklung, die in anderen nationalen Altenhilfesyste-

men entsteht, in Deutschland Resonanz finden würde.

• Und zuletzt als staatlich initiierte und mitgetragene, mitfinanzierte Aufgabe auf ge-

setzlicher Grundlage.

Für Berlin – weil wir hier sind und weil Berlin an dem Projekt als solches nicht beteiligt

war – sollte man vielleicht noch sagen, dass es hier einen weiteren Ansatz gibt, näm-

lich den Modellversuch „ambulante mobile Rehabilitation“, der sowohl gemeinwesen-

bezogen und aus der Aufgabe der geriatrischen Rehabilitation heraus Case Manage-

ment-Strukturen entwickelt.

Wendt:

Da ich auch beteiligt war, möchte ich auch einen kleinen Kommentar dazu geben. Ich

denke, wenn man in der Fachöffentlichkeit das Case Management diskutiert, könnte

man sich zunächst auf die Methode beschränken. Das Projekt insgesamt hat aber ge-

zeigt, dass man das gerade nicht kann, sondern – da möchte ich noch mal kurz auf

diese Unterscheidung von Makro-, Meso- und Mikro-Ebene der Betrachtung eingehen

– dass es darüber hinaus geht:

Ich denke, dass es sich beim Case Management, was den Makro-Bereich betrifft, um

politische Entscheidungen handelt – Herr Ziller hat gerade auch wieder darauf auf-

merksam gemacht; z.B. die Frage einer unabhängigen Beratung, die dem älteren

Menschen gegeben wird. Auf der Meso-Ebene geht es darum, dass die Strukturen für

die Umsetzung des Case Management geeignet sein müssen. Das ist ein ganz ent-

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scheidender Punkt. Jeder, der sich damit befasst, wird das immer wieder merken. Und

dann geht es um den Prozess selber, die Methode, mit der das Case Management –

natürlich in unterschiedlichen Bereichen – durchgeführt wird; wobei man in unter-

schiedlichen Bereichen unterschiedliche Erfahrungen macht.

Die Wechselbeziehung zwischen diesen drei Seiten, zwischen der politischen Seite,

der Einführung von Case Management, der Aufgabe der strukturellen Veränderung im

Gesundheits- und Sozialsystem und der Frage, wie die Fachleute methodisch der Pro-

blematik gerecht werden, ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Punkt. Ich denke,

dass wir insbesondere in dieser Perspektive diese Wechselbeziehung im Detail erör-

tern müssen. Ich denke auch, dass die internationalen Beiträge verschiedene Hinweise

dazu geben werden – selbst bei unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Län-

dern – wie diese Wechselbeziehung förderlich sein kann.

Es geht also erstens um eine politische Entwicklung in diesem Bereich. Es wird zum

Beispiel in der deutschen Gesundheitsreform einmal von der integrierten Versorgung

gesprochen und andernteils von mehr Bürgerverantwortung – das gehört hier auch mit

hinein. Zweitens geht es um strukturelle Probleme. Ein Hauptproblem, das Herr Engels

auch angesprochen hat, ist die Frage der Trennung bzw. der Integration von Gesund-

heits- und Sozialsystem. Drittens geht es dabei und darin um methodische Fragen, bei

denen sich vieles ergibt in Hinblick auf die strukturellen Probleme.

Also ich denke, es sollte ein Schwerpunkt unserer Beratung sein, diese Wechselbezü-

ge zu diskutieren. Gerade auch, um in Hinblick auf die Politik Aussagen zu machen,

was fachlich erforderlich ist und den Fachleuten zu sagen, wie sie in der politischen

Entwicklung dieses Bereiches auch ihre Fachlichkeit weiterentwickeln müssen. Das ist

auch ein Thema beim Case Management.

Geiger:

Mein Name ist Geiger vom ISO-Institut in Saarbrücken. Sie sagten ja einführend

schon, dass Case Management sehr unterschiedlich gehandhabt werden kann. Es

kann sein, dass eine Mitarbeiterin etwa im Schnitt mit 10 Personen zu tun hat, es kann

aber auch sein, dass man mit 20 oder 30 zu tun hat. Je nach dem wird ja auch die

Intensität sein und die Klientenverteilungsfunktion. Haben Sie da Erfahrungswerte?

Engels:

Das war ein Punkt, den wir z.B. anhand des israelischen Berichtes sehr intensiv be-

sprochen haben. In Israel gab es – zunächst im Zusammenhang einer Pflegeversiche-

rung, die nicht ganz mit unserer vergleichbar ist, sondern eher ein Mittelding zwischen

unserer Pflegeversicherung und unserer bisherigen Sozialhilferegelung – ein Case

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Management mit einer Fallzuordnung von 350 Klienten pro Berater. Das geht vielleicht

auf dem Papier, aber nicht in der Praxis. Wer intensivere Beratung leisten möchte,

sich wirklich den Einzelfall ansieht, seine Bedürfnisse ernst nimmt und die situativen

Bedingungen auch mit einbezieht, wird sich das nicht leisten können. Deswegen wurde

in Israel auf dieses gesetzliche Rahmenwerk ein Modellprojekt aufgesetzt, in dem ver-

sucht wurde, mit einer Halbzeitstelle 20 Personen zu beraten und zu begleiten. Das

wurde hinterher auf 2 Halbzeitstellen erweitert, sodass dann also 40 Personen beglei-

tet wurden. Die Evaluation hat ergeben, dass bei einer solchen Relation noch Spiel-

räume vorhanden sind. Die israelische Evaluatorin kam bei dieser Frage zu dem

Schluss, es könnten auch 50 oder 60 Fälle für einen Berater mit Vollzeiteinsatz sein;

aber das wäre, denke ich schon, eine Obergrenze. Das wäre ein kurzer Ansatzpunkt,

was die Zahlen angeht.

Schmidt:

Roland Schmidt, DZA Berlin. Im Anschluss an Herrn Wendt eine Frage: Haben Sie im

Ländervergleich Aufschluss darüber bekommen, ob durch den Einsatz von Case Ma-

nagement auch vielleicht segensreiche Prozesse in Richtung des Care Management

eingeleitet werden können; welche Dimensionen davon betroffen sind; und wo unter

Umständen auch Grenzen in jeweils hochgradig fragmentierten und segmentierten

Versorgungssystemen unter Umständen auch das Case Management scheitern lassen

können?

Engels:

Ich versuche, die beiden Begriffe mal so zu interpretieren – wir haben darüber natür-

lich auch lang diskutiert: Case Management bezieht sich auf den Einzelfall. Wie kann

ich die Hilfe konkret auf diesen Fall zuschneiden? Während Care Management mehr

die übergreifenden Prozesse auf der Meso-Ebene beschreibt. Wie kann ich die ver-

schiedenen Dienste und Einrichtungen so koordinieren, dass sie auch zusammenar-

beiten. Ihre Frage nach der Grenze würde dann praktisch den Fall bedeuten, dass die

Koordination so wenig funktioniert, dass alles Bemühen im Einzelfall nicht viel fruchtet,

weil man einfach immer wieder an die Grenzen der mangelnden Kooperation stößt.

Wir haben zum einen festgestellt, dass (es wurde aus Innsbruck berichtet, es wurde

auch aus der hessischen Beratungsstelle berichtet) diese Ebene, nämlich der Kontakt

zu Diensten und Einrichtungen und der Versuch, hier auch koordinierend und die

Kommunikation fördernd aktiv zu werden, ein ganz wesentlicher Bestandteil der Case

Management-Funktion ist. Das ist natürlich andererseits auch wieder eine Sache, die

sehr ambitioniert klingt. Also es ist sehr schwierig für einen Case Manager, auch zu-

gleich diese Koordinationsaufgaben zu lösen. Das kann er sicherlich nicht alleine ma-

chen, da ist er auf Kooperation mit regionalen oder lokalen Altenhilfereferenten ange-

wiesen, da muss die Zusammenarbeit zwischen der Kommune und dem Case Mana-

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ger sehr gut funktionieren. Dies kann seitens des Case Managers dadurch gefördert

werden, dass er an der Quelle der Information sitzt, wo Defizite sind, wo Probleme

auftreten in der Kooperation, und genau diese Defizite und diese Schwachstellen be-

nennen kann. Die Sozialplaner oder die Altenhilfereferenten der Kommunen stehen

zwar im Kontakt mit Diensten und Einrichtungen, sind aber vielleicht nicht immer in-

formiert, was die konkreten Schwierigkeiten im Einzelfall bei der Kooperation angeht.

In diesen Fällen, denke ich, ist es sehr wichtig, dass genau diese Verbindung auch

funktioniert, dass also von der Erfahrung im Einzelfall heraus Defizite und Schwach-

stellen benannt werden können und dann in Zusammenarbeit mit den für Altenhilfeko-

ordination Zuständigen bearbeitet werden können.

Tellier:

Veronique Tellier aus Liège, Belgien. Wir haben noch eine andere Antwort auf die Fra-

ge, wie viele Personen von einem Case Manager betreut werden können. Wir haben

Erfahrungen – meine Kollegin wird Ihnen heute Nachmittag natürlich die Details nen-

nen - in mehr als 100 Krankenhäusern in Belgien gemacht. Die Schlussfolgerung ist

die, dass die Funktion – wir kamen zu der Vorstellung der Funktion des Case Mana-

gement und nicht speziell einer Person eines Case Managers – vom normalen Pflege-

dienst übernommen wird. Für uns ist es eine multidisziplinäre Funktion. Wir haben ein

standardisiertes Instrument zur Durchführung des Case Management, aber es wird

nicht von einer einzelnen Person angewandt. Der Case Manager des Krankenhauses

hat nicht allein die Aufgabe, das Case Management in den verschiedenen Diensten zu

organisieren, sondern auch Kontakt mit anderen Diensten außerhalb des Krankenhau-

ses zu pflegen. Unser Ministerium hatte uns auch gefragt, wie viele Fälle ein Arzt

übernehmen könne. Wir antworten darauf, dass es unmöglich sei, diese Frage zu be-

antworten, da die Funktion des Case Management weit über die Einzelfälle hinaus

geht.

Engels:

Sie raten also zur Zurückhaltung, was solche Zahlen angeht. Das werden wir dann bei

dem belgischen Beispiel heute Nachmittag noch mal ausführlicher hören. Ich denke,

das ist ein guter Hinweis. Klar, die Frage stellt sich schnell: Wie kann die Relation be-

stimmt werden? Aber das hängt natürlich von ganz vielen Bedingungen ab. Wie ist das

Umfeld bearbeitbar? Welche Schwierigkeiten stellen sich? Wie viel Zeit entfällt auf die

einzelne Fallbearbeitung?

Haupt:

Mein Name ist Haupt aus Bad Friedrichshall. Ich sehe das eher kritisch, dass die Poli-

tik versucht, richtungsweisend zu sein. Man sieht das an verschiedenen Projekten, die

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teilweise auch wieder zurück genommen worden sind. Also die Politik macht eher ei-

nen Schritt nach vorne und zwei Schritte zurück, wie in Baden-Württemberg mit den

IAV-Stellen. Haben Sie vielleicht untersucht, wie das mit den Trägern ist, Sie hatten es

vorhin erwähnt: Sind die an einer Beteiligung interessiert, sodass ein Case Manage-

ment umgesetzt werden kann?

Engels:

Wir haben es nicht untersucht in der Form, dass wir mit den Trägern oder möglichen

Trägerorganisationen selbst Interviews geführt hätten – das hätte den Rahmen ge-

sprengt. Wir haben nur verschiedene Konstruktionen von Trägerschaften beobachtet

und in unseren Beispielen repräsentiert. In Nordhessen gibt es das Beispiel einer Case

Management-Stelle, bei der sich die Kommune, die Kirchen und verschiedene Ein-

richtungen und ambulante Dienste zusammengeschlossen haben und gemeinsam zu

dem Schluss gekommen sind: Wir tragen das zusammen. Das, denke ich, ist ein sehr

richtungsweisendes Beispiel, was in diesem Fall sogar den Rückzug der ursprünglich

noch beteiligten Landesförderung überlebt hat. Das ist genau der Punkt, den Sie an-

sprechen, dass man versuchen muss, solche Stellen so stabil zu konstruieren, dass

sie von politischen Stimmungswechseln unabhängig werden können. Dazu ist es wich-

tig, das Interesse der verschiedenen Träger zu erheben. Wir haben es, wie gesagt,

nicht systematisch machen können, wir haben nur in manchen Beispielen Belege da-

für, dass so etwas möglich ist, und dass so etwas funktionieren kann.

Ziller:

Bei einer Tagung über Case Management schon am Anfang dessen Grenzen zu dis-

kutieren, ist sicher ein bisschen problematisch. Aber man darf natürlich der Frage nicht

ausweichen, und insbesondere im Hinblick auf die Zweck-Mittel-Relationen bzw. die

Fragen „Was kostet das Ganze?“, „Was kann man damit machen?“, ist das natürlich

eine Schlüsselfrage. Man darf nicht leugnen, dass Case Management eine teure

Struktur ist. Es ist hoch qualifizierte, interdisziplinäre Arbeit, die von einem Berufsbild

allein – das ist ja auch schon gesagt worden – nicht kompetent und umfassend getra-

gen werden kann. Man darf aber nicht vergessen, dass Case Management nicht an

die Stelle der Leistungserbringung tritt, d.h. hier müsste man eine kooperative Struktur

ins Auge fassen, das ist eine ganz andere Dimension. Die Klientenbetreuung als sol-

che ist dann eine Kooperative, sodass die Funktion des Case Managers dann, ich will

nicht sagen eine punktuelle ist, aber eine lediglich begleitende, die sich an bestimmten

Schlüsselstellen des Hilfeprozesses aktualisieren und konkretisieren muss. Von daher

relativiert sich meines Erachtens die Frage nach so etwas wie Personalrelation, also

wie viele Klienten ein Case Manager betreuen kann. Bei einem sehr schwierigen Fall

etwa mit erheblichen Problemen im sozialen Umfeld und auch auf der motivationalen

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Ebene des Klienten selber kann ein „Fall“ die Vollarbeitszeit eines Case Managers für

einen bestimmten Zeitraum verbrauchen; das ist nicht zu leugnen.

Eine zweite Grenze würde ich gerne kurz nennen: Der Case Manager kann sich ab-

strampeln wie er will: Wenn er keinen Rehabilitationsplatz in der Region zur Verfügung

hat oder freischaufeln kann, wird er an der Stelle mit dem Case Management schei-

tern, auch wenn das Assessment hundert mal ergeben hat, es wäre jetzt geriatrische

Rehabilitation angesagt.

Eine dritte Grenze ist so menschlich wie nur irgendwas: Wenn ein Akteur oder ein

Partner, der über ein wichtiges Hilfeelement verfügt, keine Lust hat, mitzuspielen, weil

er sich gerne monopolistisch verhält. Wir haben leider in unseren Kostenstrukturen die

Herrschaft des freien Marktes. Das gilt natürlich auch für Alte; das ist die Philosophie,

die dem SGB XI zu Grunde liegt – erklärtermaßen; durchaus kontraindizierte Struktur-

verhältnisse, die es nicht von vorn herein als selbstverständlich erscheinen lassen,

dass sich jemand in eine solche Struktur hinein begibt. Ich könnte jetzt über Hessen

berichten, wie sich privatgewerbliche Trägerverbände in Bezug auf das Ansinnen ver-

halten – nicht alle, einzelne –, sich in eine landesweite Struktur dieser Art kooperativ

hinein zu begeben. Das fällt nicht vom Himmel.

Eine letzte Grenze liegt – das habe ich im Grunde schon gesagt – in der Person des

Klienten selber. Also: Wer will schon ein „Case“ sein, und wer will sich „managen“ las-

sen? Da sind auch persönliche Grenzen in der Disposition. Auch sich – das gilt auch

für Angehörige – zum Objekt oder Adressaten einer Hilfestruktur zu machen, die auch

noch komplex ist, die man also gar nicht durchschauen kann in ihren inneren Wir-

kungsmechanismen.

Wendt:

Manches, was Sie da eben gesagt haben, Herr Ziller, hätten Sie ja auch anders sagen

können. Also Nummer eins, dass das so teuer sei, weil es so eine komplexe Aufga-

benstellung ist – dem würden Sie ja vielleicht auch andererseits das Argument entge-

genhalten, dass mit dem Case Management auch Kosten gespart werden; dafür wird

es ja auch gebraucht. Ich denke, dass wir bei dieser Diskussion über Fallzahlen usw.

nicht übersehen dürfen, dass es eine Entwicklung in der Diskussion über Case Mana-

gement gibt, gerade im Medizinbereich, der mehr und mehr Case Management mit

„Disease Management“ identifiziert. Das halte ich für eine teils gefährliche, aber auf

jeden Fall wichtige Entwicklung. D.h. in Amerika, wo gerade jetzt Susan Powell in ih-

rem neuen Buch „Advanced Case Management“ die Entwicklung der Diskussion in der

Case Management Society of America diskutiert, wird „Case Management“ mit „Disea-

se Management“ mehr oder minder gleich gesetzt. Disease Management ist ja nun

etwas, was in der Ärzteschaft bzw. in der Medizin und im Krankenhauswesen diskutiert

wird, neuerdings in der Gesundheitsreform auch in Deutschland vorgesehen wird:

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Nämlich dass man bei der Behandlung von Krankheiten Leitlinien folgt, die eine mög-

lichst optimale Versorgung sichern sollen. Optimal heißt hier zugleich auch kostengün-

stig. Das ist eine Gefahr in soweit, als man dann bei der Pflege von alten Menschen

auch zunächst einmal beim Case Management darauf sehen könnte, was das Gün-

stigste im Hinblick auf die anstehenden Kosten ist. Dem gegenüber hat das Case Ma-

nagement ja noch eine ganz andere Funktion: Nämlich ausgehend von der Lebenssi-

tuation einzelner Menschen und ihrer Familien, also insbesondere auch der Angehöri-

gen, eine optimale Versorgung, mitsamt Rehabilitation und allem, was dazu gehört, zu

erreichen. Das lässt sich nicht nach dem Schema eines Pfades, wie beim Disease

Management (also wie man zu gehen hat) optimieren, sondern da geht es gerade um

die Differenz jedes Einzelfalles, der vom Case Manager aufgegriffen wird.

Ich glaube, wir müssen darüber diskutieren: In welche Richtung geht die Entwicklung?

Ich sehe wenigstens, dass bei der amerikanischen Diskussion „Case Management“

immer stärker hineingezogen wird in „Managed Care“, also in die Art und Weise der

möglichst kosteneffizienten Gestaltung der Versorgung. Dagegen muss man einen

anderen Schwerpunkt setzen, denke ich: Nämlich eine immer stärkere Berücksichti-

gung der unterschiedlichen Lebenssituationen von Menschen, die pflegebedürftig sind,

und ihren Angehörigen.

Döhner:

Döhner, Institut für Medizin-Soziologie in Hamburg. Zunächst möchte ich direkt auf das

eingehen, was Sie gesagt haben. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir die Diskussi-

on um „Disease Management“ und „Case Management“ auseinander halten. Ich mer-

ke das immer wieder bei Diskussionen – vor allem mit Krankenkassenvertretern – was

mit dem Begriff Case Management im Augenblick passiert. Diese Diskussion über die

Unterschiede beider Begriffe zu führen, halte ich für sehr wichtig.

Nun noch mal zur Beziehung zwischen Case Management und Care Management: Wir

haben vor einigen Jahren in Hamburg ein Projekt durchgeführt, das wir auch „Case

und Care Management“ betitelt haben. Ich denke, es war ein ganz wichtiges Ergebnis

des Projektes, dass es nicht voneinander zu trennen ist, dass es sich gegenseitig be-

dingt und auch eigentlich nur zu einem guten Effekt führen kann, wenn beides vorhan-

den ist. Dazu noch ein Stichwort: Inzwischen ist an vielen Stellen publiziert worden,

was es für Bausteine zum Care Management gibt. Einen Begriff würde ich doch ganz

gerne hier noch mal in den Raum stellen, der mir sehr wichtig erscheint: die übergrei-

fenden lokalen Arbeitskreise, die den Gesundheits- und Sozialbereich übergreifen, bis

hin zu Qualitätszirkeln. Ich denke, da gibt es inzwischen sehr viele – aus der deut-

schen Perspektive zumindest – gute Erfahrungen.

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Sauer:

Peter Sauer, Evangelische Fachhochschule Berlin. Wir haben vor einiger Zeit hier in

Berlin einen etwas längeren Modellversuch über 2 Jahre gehabt. Ich möchte zurück

kommen zu der Frage der Fallzahlen. Uns ist ja allen klar, dass Fallzahlen sich nur

dann ergeben, wenn wir einen bestimmten Rahmen haben. Deshalb ist die Unter-

scheidung, wie sie hier getroffen wurde, in die Durchführungsebene, die Meso-Ebene

und Makro-Ebene sehr verdienstvoll. Im Rahmen der Möglichkeiten, die wir in Berlin

mit diesem Modellversuch hatten, haben wir sehr intensiv auch darüber Erhebungen

durchgeführt, wie viel Zeit wir für die einzelnen Beratungen, also für das Case Mana-

gement brauchen, sodass man hiervon auch Fallzahlen und natürlich auch organisato-

rische Konsequenzen ableiten kann. Denn wir haben herausgefunden, dass die zeitli-

che Belastung der Case Manager im Verlaufe des Beratungsprozesses sehr unter-

schiedlich ist, dass es ganz große Spitzen am Beginn und noch mal eine kleine Spitze

am Ende des Prozesses gibt.

Auf einen weiteren Punkt, den Herr Kollege Wendt hier kurz erwähnt hat, glaube ich,

sollten wir mehr Augenmerk richten: Wo sparen wir durch das Case Management?

Also nicht nur, was Herr Ziller sagte, dass das sehr viel Geld kostet, sondern: An wel-

chen Ecken können wir sparen? Ich glaube, wir können es der Politik, sozusagen der

Makro-Ebene, besser verkaufen, wenn wir auch aus den verschiedensten Projekten

heraus wissen, wo sich Ersparniseffekte ergeben. Wir haben versucht, das an ver-

schieden Modellbedingungen, die nicht immer die realistische Situation widerspiegeln,

auszurechnen, aber ich glaube, es gibt eine ganze Menge Hinweise, wo gespart wird

und welchen Umfang das etwa bedeuten kann.

Safian:

Safian, ich komme aus der Stadt Karlsruhe und habe dort die Funktion der Altenhilfe-

planung. Wir konnten in der Stadt Karlsruhe nach dem IAV-Konzept (Informations-,

Anlauf- und Vermittlungsstellen) Fachkräfte noch weiter behalten. Wir möchten jetzt

allerdings die Arbeitsinhalte in eine andere Richtung gestalten. Ich möchte hier zwei

Elemente einbringen, an denen wir zurzeit arbeiten, und zwar: Den Management-

Prozess dazu zu nutzen, dass man im Grunde genommen mit der Familie und mit dem

Betroffenen auch von der psychosozialen Seite her arbeitet. Herr Ziller, Sie sprachen

es vorher an: Manchmal möchten die alten Menschen vielleicht nicht als „Fall“ be-

trachtet werden und nicht „gemanagt“ werden. Also da der Punkt: Wie weit kann man

sie selber stützen, dass sie den Umstellungsprozess meistern, dass sie sich auf diese

neuen Hilfen auch einstellen können? Das gehört ja hier, denke ich, in diesem ganzen

Prozess dazu: die Personen selber.

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An der Stelle möchte ich zweitens einwerfen, dass nicht nur professionelle Hilfen ein-

gespannt werden, sondern dass die originäre Nachbarschaftshilfe hier verstärkt ge-

wonnen werden kann, und dass man die privaten sozialen Netze hier auch mit diesem

Management-Prozess stärker berücksichtigen kann, weil es hier Menschen gibt, die in

den Haushalt hinein gehen; Sie können auch die Nachbarn ansprechen und Sie kön-

nen auch von hier aus Ausstrahlungseffekte bewirken. D.h. ich würde hier gerne das

Stichwort „Hilfe zur Selbsthilfe“ mit berücksichtigen, auf beiden Ebenen: einmal der

persönlichen und der des Umfelds.

Heinemann-Knoch:

Ich frage mich, ob nicht ein Teil der Fragen, die hier diskutiert werden, vielleicht mit

einem methodischen Problem zusammenhängen. Mir fehlt bei der Aufstellung der ver-

schiedenen Schritte die Zielsetzung. Ich muss ja in Bezug auf ein bestimmtes Ziel et-

was planen, durchführen, Monitoring betreiben, evaluieren. Diese Zielsetzung kann

sehr unterschiedlich sein und ich denke, dass man dies als Schritt unbedingt in den

Prozess mit aufnehmen muss. In Abhängigkeit von der Zielsetzung ist es ja auch

wichtig: Bezieht man z.B. die Betroffenen mit ein? Wie macht man das? Welche Er-

gebnisse, welchen Erfolg wird man als Schluss sozusagen akzeptieren? Wird man

noch mal eine neue Zielsetzung finden?

Engels:

Eine Rückfrage gleich: Meinen Sie stärker die generelle Zielsetzung, dass man sich

wie in einem Manifest auf einige grundlegende Ziele einigt, die z.B. auf Förderung der

Selbstständigkeit abzielen? Oder meinen Sie in Bezug auf jeden einzelnen Klienten

eine individuelle Zielsetzung?

Heinemann-Knoch:

Ich denke, es ist alles. Auf den verschiedenen Ebenen, der Makro-, Meso- und Mikro-

Ebene muss man das bedenken. Man muss es in Bezug auf die einzelne Persönlich-

keit bedenken oder mit der Person, die als Fall einbezogen ist, erörtern und nicht ohne

sie. Also ich denke, es ist ein ganz wichtiger Baustein in dem Prozess des Manage-

ment, der auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln ist.

Engels:

Ich habe deswegen noch einmal nachgefragt, weil wir die Zielsetzung auf der individu-

ellen Ebene durchaus als Bestandteil der Hilfeplanung betrachtet haben. Also: Auf der

Grundlage des Assessment wird im Rahmen der Hilfeplanung überlegt, wie der Bedarf

beschrieben werden kann, und dann werden die Ziele entwickelt - auf die einzelne

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Person bezogen. Wir haben grundsätzliche Ziele natürlich auch diskutiert: Wozu dient

das Ganze? Etwa, eine selbstständige Lebensführung zu Hause zu ermöglichen. Aber

Sie haben wahrscheinlich Recht: Es müssen auch dazwischen, zwischen beiden Ebe-

nen, zwischen dieser grundsätzlichen Zielsetzung und der individuellen Zielsetzung,

möglicherweise typisierte Ziele formuliert werden, sodass man für Gruppen von Klien-

ten oder von typisierten Bedarfssituationen schon bestimmte Zielrichtungen konkreter

definieren kann, als es nur auf dieser allgemeinen Ebene möglich ist. Vielleicht sollte

man an dem Punkt noch mal genauer nachhaken.

Vielleicht noch einige Anmerkungen zu den bisherigen Wortmeldungen. Es wurde ja

einmal darauf verwiesen, dass Case Management vom Begriff her schon etwas unan-

genehm klingt; keiner will ein „Fall“ sein, und keiner will „gemanagt“ werden. Das war

auch zu Beginn unseres Projektes gleich auf dem ersten Workshop ein Thema. Wir

haben uns dann darauf verständigt, dass wir gesagt haben: „Case“ ist auf keinen Fall

eine Person, sondern Case ist ein Sachverhalt. Der Sachverhalt des Hilfebedarfs und

die Zuordnung von möglichen Hilfeleistungen, diesen Zusammenhang betrachten wir

als Case. Das „Management“ ist die Bearbeitung und der Versuch, diese Bedarfssitua-

tion einer Lösung zuzuführen. Wir sind gleich zu Beginn dafür sensibilisiert worden,

dass Case auf keinen Fall mit einer Person identifiziert werden darf.

Frau Safian aus Karlsruhe in Baden-Württemberg hat das ehrenamtliche Element an-

gesprochen. Ich sage das jetzt so pointiert, weil genau das ein Punkt ist, der über-

haupt in Baden-Württemberg sehr stark betont wird und bei dem Beispiel, das morgen

Prof. Wendt vorstellen wird, eine ganz entscheidende Rolle spielt. Sie haben zwei Din-

ge genannt: Umfeld, Nachbarschaft, Familie als informeller Bereich ist bei allen Pro-

jekten ein ganz wichtiger Bestandteil. Aber diese spezielle Element der Ehrenamtli-

chen wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Es gibt einige, die darüber berichtet ha-

ben, dass dieser Aspekt auf der Ebene der Ressourcenallokation, also der Helfer, eine

Rolle spielt, dass Ehrenamtliche mit eingebunden werden. Es gibt in Baden-

Württemberg darüber hinaus gehend dieses Modell, dass Ehrenamtliche sogar in der

Struktur des Case Management unmittelbar beteiligt und verankert sind. Und es gibt

andererseits wieder Evaluatoren, die gesagt haben: Das gibt es in der Form bei uns

nicht. Das war innerhalb Deutschlands schon aus Hamburg zu hören, dass dort die

ehrenamtliche Kultur sehr viel weniger ausgeprägt ist als im Süden Deutschlands.

Aber auch in anderen Ländern ist das sehr unterschiedlich, inwieweit man auf Ehren-

amtliche auch strukturell Bezug nehmen kann.

Als letztes vielleicht noch: Wir haben anfangs die Begriffe Case Management und Ca-

re Management so differenziert, dass wir gesagt haben: Case Management ist das,

was auf den individuellen Fall bezogen ist, während sich Care Management mehr auf

der Ebene der Koordination von Diensten und Einrichtungen bezieht. Wir haben jetzt

mit diesem Begriff „Managed Care“ noch einen dritten Aspekt, nämlich den Ko-

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stenaspekt, mit im Blickfeld. Da denke ich, man sollte nicht zu schnell über das Tren-

nende zwischen diesen Begriffen hinweggehen, denn zwischen Versorgungsqualität

und Kosteneinsparung wird immer ein spannungsreiches Verhältnis bleiben. Natürlich

gibt es auch Berichte darüber, in welchem Maße ein gut geführtes Case Management

über einen längeren Zeitraum hin zu Kosteneinsparungen führen kann. Auch hierüber

gibt es Untersuchungesergebnisse, von denen wir heute Nachmittag hören werden.

Aber man darf die Problematik dieses Spannungsverhältnisses nicht zu schnell glät-

ten; das wird immer ein Spannungsverhältnis bleiben.

Döhner:

Vielleicht die Kommentare von eben noch mal kommentierend, zwei Stichworte: Zur

Ehrenamtlichkeit kann ich einfach nur noch mal eine Projekterfahrung einbringen. Wir

hatten das in dem Altenprojekt in Hamburg immer als Ziel. Es ist schlicht daran ge-

scheitert, dass die Case Manager das nicht geschafft haben. Denn Ehrenamtlichkeit

bedeutet auch Arbeit, sie will angeleitet werden, sie will begleitet werden, und das

muss man auch in die Ressourcen einplanen. Das war der Grund in Hamburg, wes-

halb wir es im Rahmen des Projektes nicht mehr geschafft haben, das mit aufzubauen.

Ich finde es aber auch sehr wichtig.

Zweiter Punkt, den Frau Heinemann-Knoch noch mal angesprochen hat: zur Zielorien-

tierung. Ich würde auch dafür plädieren, selbst wenn Sie das immer mitdenken bei

Planung, dies wirklich explizit zu machen; weil es auch eine Erfahrung ist, dass das in

der Praxis ganz schnell vergessen wird. Das war eine ganz wichtige Aufgabe der wis-

senschaftlichen Begleitung des Projektes, es immer wieder anzumahnen, dass dieser

Schritt ernst genommen wird.

Wendt:

Im Hinblick auf die Zielsetzung würde ich aber doch noch mal – weil das wirklich fach-

lich ein wichtiger Punkt ist – sagen: Sie ist eine Bestandteil des ganzen Verfahrens,

und natürlich speziell auch der Hilfeplanung. Man muss ja den Fehler vermeiden, diese

schematische Einteilung als feste Struktur zu verstehen. Auch während der 20 Jahre,

in denen das Case Management sehr unterschiedlich verwandt worden ist, hat sich

doch eine sehr flexible Struktur gezeigt. Man könnte jetzt auch lange darüber reden,

warum man mit dem Assessment anfängt. Ich selber plädiere immer dafür, dass es

eine Vorphase gibt; das will ich jetzt aber hier nicht vertiefen. Aber selbst wenn man

eine Vorphase hat, klärt man ja schon, ob jemand bei der Stelle richtig ist. Das ist auch

schon eine Zielsetzungsfrage: Bin ich an der richtigen Stelle, müsste ich nicht eventu-

ell woanders hin? Was brauche ich eigentlich? Das ist eine Vorklärung, ein Screening

der Fälle, die überhaupt das Case Management brauchen. Insofern ist die Zielsetzung

von vorn herein mit enthalten. Beim Assessment muss man sich im Hinblick auf die

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Zielsetzung fragen: Wie weitgehend will ich eine Situation klären und einschätzen?

Planung ist natürlich gerichtet, gerichtet auf das, wohin man unterstützen, behandeln,

pflegen will. Durchführung ist im Hinblick auf die Beteiligung verschiedener Dienstlei-

ster eine Abstimmungsfrage; insofern auch wieder eine Ausrichtung auf Ziele. Dahin

gehend auch das Monitoring natürlich, ob diese Ziele erreicht werden. Die Evaluation

als eine Bewertung sowohl im Prozess wie im Ergebnis, ist zielgerichtet, bezogen auf

das, was man sich vorgenommen hat. Insofern, denke ich, ist das nicht etwas, was

man als eigene Phase und als eigene Dimension ausweisen muss, sondern es gehört

zu der Management-Aufgabe, fallbezogen zielgerichtet zu arbeiten. Es ist ein Verfah-

ren zielgerichteten Arbeitens und insofern nicht etwas, wo die Zielsetzung etwas ist,

das man sozusagen einmal abhandelt und damit hat man es erledigt. Es ist kein

Strukturmoment im Case Management, sondern es gehört zum Case Management

insgesamt dazu.

Safian:

Ich möchte doch noch mal den einen Punkt herausgreifen: Die Arbeit mit den älteren

Betroffenen. Wenn ich bedenke, dass die Krankheit oder der Unfall (Bruch des Beines

usw.) plötzlich aufgetreten ist, und man plötzlich merkt, seine Lebenssituation hat sich

schlagartig geändert; dann muss man im Grunde genommen Trauerarbeit, Umstel-

lungsarbeit leisten. Dann erst kann man sich neuen Ideen öffnen, diese neuen Ideen

müssen eigentlich ein bisschen anklingen, natürlich ganz individuelle Biografieele-

mente. Dann ist es für mich schon die Frage, ob nicht diese Begleitungskräfte – ich

bezeichne sie jetzt mal so – gerade hier ansetzen können, dass sie den Menschen in

dieser Umstellungsphase helfen, dass sie sich nachher auch wieder auf eine neue

Lebensphase, eine neue Alltagsgestaltung mit fremden Menschen in ihrem Haushalt

einstellen können: also diese psychosoziale Unterstützung, die sonst eigentlich kein

Dienst erbringt. Hier schliesst sich die Frage der Profession an, also die sozialpädago-

gische Arbeit. Das wäre für mich noch der Punkt, den ich an der Stelle mitbedenken

möchte.

Engels:

Vielen Dank für diese Konkretisierung aus der Perspektive der unmittelbaren Kon-

frontation mit der Situation heraus. Sie sprachen gerade an: Das ist etwas, was andere

Dienste nicht machen. Das ist vielleicht auch ein Aspekt, den man noch mal erwähnen

sollte, denn, wenn man von Case Management spricht, heißt es ja oft: Eigentlich ma-

chen wir das schon, dazu braucht ja gar keine neue Struktur mehr aufgebaut zu wer-

den. Das ist etwas, was man, glaube ich, sehr oft hören kann. Da, denke ich, sollte

man mit einem differenziert ausgearbeiteten Case Management-Konzept auch einmal

kritisch heran gehen, dass man überprüft: Ist das wirklich genau das, was hier gemeint

ist? Wenn bestimmte Träger, die selber Pflegedienste anbieten, sagen: Also, wir ma-

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chen ja auch Case Management – wie sieht es dann beispielsweise mit dem Element

der Überwachung aus? Das kann ja wohl schlecht angehen, dass die sich selber kon-

trollieren, da wird man eher skeptisch. Auch Fragen der Zielsetzung oder danach, wel-

che alternativen Ressourcen möglicherweise eher geeignet wären, sind durchaus nicht

so leicht zu beantworten, dass man sagt: Eigentlich machen wir das immer schon. Das

ist ein ganz wichtiger Aspekt, der uns auch bei der Beschäftigung mit diesem Thema

dazu gebracht hat: Wir müssen die Neutralität und die Eigenständigkeit dieses Case

Managements betonen.

Jetzt scheint der Punkt erreicht zu sein, an dem wir diesen ersten Block abschließen

sollten, wo wir einiges gehört und einiges schon erörtert haben, was wir heute Nach-

mittag im Detail weiter besprechen können.

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Teil BCase Management in anderen Ländern:Praxisbeispiele und Erfahrungen

Engels:

Meine Damen und Herren, bevor wir nun zur Präsentation der Case Management-

Erfahrungen aus verschiedenen Ländern kommen, möchte ich eine Erläuterung zur

Auswahl der Länder geben. Das von der UNO ausgerufene „Internationale Jahr der

Senioren“ gilt zwar weltweit, wir konnten aber natürlich in kurzer Zeit und mit begrenz-

ten Mitteln nicht ein weltweites Kooperationsprojekt auf die Beine stellen. D.h. unsere

Perspektive hat sich von selber – unter den zeitlichen und finanziellen Restriktionen –

auf Länder aus Europa konzentriert. Dass wir dann Israel zusätzlich noch mit aufneh-

men konnten, war für uns sehr interessant und erfreulich. Aber die sicherlich interes-

sante Frage, wie das Case Management in den USA weiter entwickelt wird, konnten

wir unter diesen Umständen natürlich nicht in aller Ausführlichkeit mit einbeziehen. Von

den europäischen Ländern, die von uns angeschrieben und angesprochen wurden,

fehlen natürlich – das ist Ihnen sicher sofort ins Auge gesprungen – die skandinavi-

schen Länder und Frankreich. Es hatte verschiedene Gründe, weshalb eine Beteili-

gung dieser Länder nicht geklappt hat: Es waren keine prinzipiellen Gründe, sondern

Fragen organisatorischer Natur, z.B. dass die zuständigen Ansprechpartner gerade die

Stelle gewechselt hatten oder, wie in Dänemark, es keinen nationalen Ansprechpartner

gab, da die Zuständigkeit auf der kommunalen Ebene liegt. Es ging uns aber auch

nicht so sehr um eine vollständige Übersicht aller Länder Europas, sondern um die

Auswahl einiger Länder, die sich bereit erklärten und die an der Thematik Interesse

hatten, um dann zu sehen: Wie sieht es in diesen Länden aus, wie wird dieses Kon-

zept dort rezipiert, wie wird es auf die dortigen Bedingungen angewendet?

Wir wollen heute Nachmittag die internationale Perspektive, den internationalen Erfah-

rungsaustausch in den Vordergrund stellen und uns morgen dann Beispiele aus

Deutschland näher ansehen – das haben Sie dem Programm entnommen. Von den an

unserem Projekt beteiligten Ländern mussten leider die Kollegen aus Israel und dem

Vereinigten Königreich (aus gesundheitlichen oder terminlichen Gründen) absagen.

Sie können deren Berichte aber in dem von uns zusammen gestellten Materialband

nachlesen (in der Schriftenreihe des Bundesministeriums erhältlich).

Wir beginnen jetzt mit unserer Rundschau durch die verschiedenen Projekt-Beispiele,

und ich möchte zunächst Frau Fussenegger aus Innsbruck bitten. Sie ist selber Case

Managerin und wird uns die Erfahrungen mit dem Case Management in Österreich

und speziell in Innsbruck darlegen.

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1. Wohnortnahes Case Management in Innsbruck (Österreich)Kornelia Fussenegger, Case Managerin, Innsbruck

Schönen Nachmittag. Ich bin seit Beginn des Projektes im ersten Viertel 1998 Case

Managerin in Innsbruck. Das Land Tirol und die Stadt Innsbruck haben das Projekt

gestartet und auch finanziert, und zwar vor dem Hintergrund, dass mehr als 80% unse-

rer pflegebedürftigen Bewohner zu Hause gepflegt werden. Vor dem Hintergrund, dass

durch kürzere Verweildauer im Krankenhaus kein Anstieg in der ambulanten Pflege zu

bemerken war und sich jeder gefragt hat: Wo sind denn die Leute geblieben, die ei-

gentlich noch ins Krankenhaus gehören? Vor dem Hintergrund, dass ganz viele am-

bulante Anbieter in Innsbruck/ Stadt das gleiche Angebot angepriesen haben und nicht

ausgelastet waren. Auch vor dem Hintergrund, dass wir angenommen haben, dass

sich der Bedarf nach dem Angebot richte und nicht das Angebot nach dem Bedarf.

1998 trat bei uns ein neues Krankenpflegegesetz in Kraft, das eine Reihe von Schwie-

rigkeiten für viele Vereine aufgeworfen hat, weil sie dem Krankenpflegegesetz nicht

mehr entsprachen, was die Ausbildungen betraf. Es gab Vereine, die keine diplomier-

ten Krankenschwestern hatten und eigentlich so nicht mehr weiter pflegen durften. Das

waren alles Gründe, warum das Land gesagt hat: Jetzt müssen wir irgendwas tun.

Dann haben sie gesagt: Probieren wir es mit dem Case Management.

Ich bin von Beruf Diplom-Krankenschwester, habe aber zusätzlich eine soziale Ausbil-

dung. Ich bin seit fast zwei Jahrzehnten in diesem Bereich tätig, und das war ein guter

Einstieg für mich, weil mich in Innsbruck in dem Bereich eigentlich fast jeder kannte.

Ich musste also keine Aufklärungsarbeit leisten, sondern im Großen und Ganzen

wusste jeder, wer da jetzt kommt. Trotzdem war ich sehr erstaunt, was für Gegenwind

dem Case Management entgegen blies. Es gab niemanden, der glaubte, er brauche

es. Jeder dachte: Das machen wir schon alles so. Dies bereitete große Schwierigkei-

ten von Seiten der Sozialarbeiter.

Dadurch kamen wiederum Berufsschwierigkeiten zwischen diplomiertem Personal und

Sozialarbeitern auf. Die konnte man aber relativ leicht klären, weil die Sozialarbeiter

der Klinik nicht in die Wohnungen gehen können. So ist mit der Zeit die Betreuung der

schwierigen Klienten, die sich von der Klinik aus nicht einplanen ließen, von den Sozi-

alarbeitern dem Case Management übertragen worden. Nachdem das ein paar mal

funktioniert hat, war das kein Problem mehr.

Das nächste Problem waren die 14 ambulanten Betreuer in Innsbruck/ Stadt. Sie sind

alle vom Land oder von der Stadt gefördert. Ich hatte den Auftrag, wenn ich Klienten

übernehme, sie auch diesen Betreuern zuzuweisen, wenn sie dorthin passten. Es ist

also dem Case Management so entsprochen worden, dass man gesagt hat: Ich mache

Einzelhilfe – „wohnortnahes Case Management“ kann man in unserem Fall übersetzen

mit „familiennahem“ oder „haushaltsnahem“ Case Management, weil ich in die Famili-

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en hinein gehe. Wenn ich gesehen habe, dieser oder jener Pflege-Verein wäre sehr

passend für diese Familie – aus welchen Gründen auch immer -, dann hatte ich den

Auftrag, den Klienten diesem Verein zuzuweisen. Das bedingt natürlich, dass ich die

Vereine sehr gut kennen lernen musste. Dieses Problem konnten wir nur dadurch lö-

sen, dass ich dem Land gegenüber eine Verschwiegenheitspflicht, was die internen

Abläufe in diesen Vereinen betrifft, geben durfte und konnte.

Es hat sich innerhalb eines halben Jahres gezeigt, dass die Klienten des Case Mana-

gement sehr schnell bemerkt haben: Da gibt es Jemanden, da gehen wir hin, und da

können wir fragen. Und das, obwohl wir nicht dafür geworben haben – wir wollten zu-

nächst einfach schauen, wie es läuft; es war nur eine Person damit beschäftigt, das

war ich, und keiner wusste, wie es sich entwickeln würde. Ich hatte einen regen Klien-

tenzulauf, Menschen, die hundert oder noch mehr Fragen loswerden wollten, da sie

nicht wussten, wen sie sonst fragen sollten. Wir haben es uns dann zur Maxime ge-

macht, dass keiner aus dem Büro geht, ohne dass er entweder einen definitiven Ter-

min bei einem anderen, für ihn zuständigen Amt, bekommen hat, oder dass er eine

sichere Zusage bekommen hat. Die Klienten haben also – auch wenn sie mit dem Be-

griff Case Management vielleicht nichts anfangen konnten – gesehen: Da hilft uns Je-

mand.

Im Laufe dieses halben Jahres hat sich relativ schnell heraus gestellt, dass es bei uns

Überbesetzungen im Bereich der Hauskrankenpflege gegeben hat. Jeder Verein bot

Hauskrankenpflege an, weil sie letztendlich der lukrativste Teil der ambulanten Be-

treuung ist. Es gab ganz viele Bereiche, die nicht ausgelastet waren, aber trotzdem

vom Land bezahlt wurden. Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass es zu wenig Abend-

betreuung gab, oder dass diese nicht Patienten-gerecht eingeteilt war. Es war ganz

schwierig, den Pflegedienst soweit zu bringen, dass er geteilte Dienste akzeptiert, so-

dass auch am Abend Betreuung geleistet wurde. Jetzt sind die Dienste auf 20.30 h

verlegt. So konnte man dem Land ziemlich schnell zeigen, dass Case Management

Erfolge bringt; dass man also sehr wohl sieht, dass man Dinge verändern kann. Es ist

sehr schnell aufgefallen, dass die Verwahrlosung zu Hause massiv zunimmt, und dass

die Firmen, die derzeit ambulante Betreuung – in welcher Form auch immer – anbie-

ten, damit völlig überfordert sind; dass man einen eigenen Dienst entwickeln muss, der

nur für Verwahrlosung zu Hause zuständig ist. Dies ist gerade im Entstehen und kostet

nicht mehr Geld, sondern lediglich die Zusammenlegung einiger Mitarbeiter aus drei

verschiedenen Firmen. D.h. das Land sieht sehr wohl, dass es Früchte bringt, und

unsere Förderung ist noch auf 1 ½ Jahre weiter verlängert worden.

Das Land will jetzt, dass ich genauere Zeiten ermittle über die Pflegeleistungen, so-

dass sie einschätzen können, wie viel Personal wer braucht, wenn er diese oder jene

Art der Pflege anbietet. Das ist natürlich sehr schwierig, weil man sich damit von den

Leistungsmöglichkeiten her massiv eingrenzt.

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Wir haben auch gesehen, dass der Betrieb, in dem ich angestellt bin, absolut nicht

dem neuesten Standard entspricht, dass auch der ganz dringend reformiert werden

muss – nicht nur die anderen. Das war für uns der Grund, warum wir das Case Mana-

gement geteilt haben in ein externes und in ein internes Case Management.

Das interne Case Management – das innerhalb eines Jahres umgebaut und umstruk-

turiert wurde – besteht aus einer diplomierten Krankenschwester. Wir haben sieben

Krankenschwestern auf die sieben Bezirke der Stadt verteilt, für jeden Bezirk gibt es

also eine hauptverantwortliche Krankenschwester sowie, mehrere Haushaltshilfen,

Pflegehilfen, Altenhilfen und eine Sozialarbeiterin einen Tag pro Woche. Die Kranken-

schwester macht für ihre Klienten – das sind ungefähr 150 – internes Case Manage-

ment, d.h. sie besucht mindestens einmal im Monat die Leute, die Haushaltshilfe be-

kommen. Sie besucht einmal in der Woche – wenn nichts Besonderes vorkommt – die

Leute, die Pflegehilfe brauchen. Und sie hat natürlich ihre eigenen Patienten, die nur

eine diplomierte Krankenschwester vom Gesetz her haben darf. Das funktioniert sehr

gut, wenn die Krankenschwester flexibel ist und zu 100% angestellt ist. Die Oberauf-

sicht über das Ganze hat das Case Management. D.h. bei allen Situationen, bei allen

Besprechungen, wenn es irgendwie geht, bin ich dabei und schaue, dass nichts pas-

siert, weil die Krankenschwestern sehr jung sind und noch nicht alle hinreichende Er-

fahrung haben. Aber so wie es ausschaut, wird sich das bewähren und auch weiter

ausbauen. Wir können bei manchen Bezirken jetzt schon eine zweite Krankenschwe-

ster hinzunehmen, damit die hauptverantwortliche Krankenschwester mehr Zeit hat,

die Leute kennen zu lernen, in die Wohnungen zu fahren und zu schauen, wie es ih-

nen wirklich geht.

Das externe Case Management ist derzeit auf Neuanmeldungen beschränkt. Also ich

bekomme Neuanmeldungen herein, ich kläre sie mit der Familie und mit dem Hausarzt

ab, wobei die Individualität im Vordergrund steht. Wenn ich es sehr salopp sagen darf:

Wenn mir ein Patient sagt, er hat bis jetzt nur zu Weihnachten geduscht, dann werde

ich ihn nicht zwingen, dass er täglich duscht. Ich gehe nie über den Willen des Pati-

enten, und das kollidiert manchmal mit meinem theoretischen Wissen. Aber ich glau-

be, das ist das kleinere Übel. Das ist derzeit meine Aufgabe. Was dazu kommt ist,

dass wir sehr wohl jetzt beginnen können, Qualität zu benennen. Wenn wir sieben

Bezirksschwestern haben, dann möchte ich, dass die sieben Bezirksschwestern in

ähnlicher Art arbeiten, dass man alleine durch die Arbeitsweise sehen kann: Das ist

der Sprengel. Dafür werden extra für die Hauskrankenpflege die Standards ausgear-

beitet und auch in der Fortbildung weitergegeben. Es tut sich sehr viel, es ist sehr viel

Arbeit, aber es ist absolut spannend.

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Diskussion

Engels:

Vielen Dank, Frau Fussenegger. Gibt es dazu unmittelbare Rückfragen oder Anmer-

kungen? Wir können natürlich auch später noch nach diesem Block auf frühere Be-

richte Bezug nehmen.

Safian:

Ich habe etwas nicht verstanden: Der interne und der externe Case Management-

Prozess. Hat dieser Management-Prozess und diese Fähigkeit, in Schritten zu denken

und planvoll vorzugehen, dazu geführt, dass Sie auch die internen Strukturen Ihres

Dienstes dann so entwickelt haben?

Fussenegger:

Eigentlich hat es dazu geführt, dass ich gesehen habe, dass wir nicht so arbeiten,

dass ich sagen kann: Das ist qualitätvoll. Ich habe das nicht nur bei unserem Verein

gesehen, sondern bei allen anderen auch. Eine bestimmte „Laisser-faire“-Haltung hat

sich eingeschlichen in den letzten 20 Jahren, und die aufzufrischen war nur möglich,

indem man das Ganze in bestimmten Schritten wieder neu angeht. Das war der Grund

dafür, das hat eigentlich nur mit Qualität zu tun.

Teilnehmerin:

Ich habe nur eine Frage: An wen sind Sie angebunden? Sind Sie an eine Pflegestation

angebunden (wenn ich das richtig verstanden habe), und: Was managen Sie, bezieht

sich das ausschließlich auf die Pflege oder auch auf andere Sachen?

Fussenegger:

Ich bin angebunden an einen privaten Verein, werde aber vom Land Tirol unterstützt.

Das ist eine Zwitter-Position, die am Anfang sehr schwierig war. Besser wäre, man

wäre völlig getrennt. Ich bin aber an einen privaten Verein, der selber Anbieter ist, an-

gebunden – durch Sonderregelungen. Diese unklare Situation war sehr viel Anlass zur

Kritik. Ich manage alles, was momentan im Sozialbereich, im pflegerischen Bereich

läuft. Und wenn ich sehe, es gehört etwas anderes dazu, dann leite ich es weiter. Also,

ich mache nicht alles selber, aber ich leite es weiter an die bestimmten Stellen.

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Döhner:

Würden Sie sagen, dass Ihre Organisationsstruktur einmalig ist, oder ist sie übertrag-

bar auf gesamt-österreichische Verhältnisse?

Fussenegger:

Diese Art Sprengel, wie wir sie haben, gibt es nur in Tirol, aber ich denke, dass diese

Art von Arbeit überall hin übertragbar ist. Weil ich glaube, dass man überall im ambu-

lanten Bereich Haushaltshilfen braucht – das ist immer der erste Schritt. Dann braucht

man Pflegehilfen, und der letzte Schritt ist die Krankenschwester. Wenn ihre Wohnung

völlig verdreckt, werden die Leute krank werden. D.h. das gibt es überall, das ist nicht

nur in Tirol so.

Engels:

Und auch nicht nur in Österreich. Die Grundsituation, die Bedarfssituation haben wir

überall ganz ähnlich vorgefunden.

Ziller:

Ich glaube, der alt-österreichische Begriff des „Sprengels“ müsste von Ihnen noch et-

was erläutert werden. Wenn ich das innerhalb des Projekts richtig verstanden habe,

dann ist das eine auf die Gebietskörperschaft, also auf das Gebiet, das Territorium der

Stadt Innsbruck bezogene Angebotsstruktur, die dann ihrerseits stadtteilbezogen un-

terteilt ist. Also eine flächenhafte Planung, die auf die Gesamtbevölkerung, die hier

betroffen ist, abzielt.

Fussenegger:

Alle Dörfer Tirols sind durch irgendeinen Sprengel abgedeckt. Dabei haben sich zwi-

schen vier und sechs Sprengel zusammen getan, haben eine Büroeinheit, haben eine

besondere Förderung des Landes und sind eine soziale Drehscheibe. Da passiert al-

les: Vom Angebot, über die Möglichkeit, dort etwas zu organisieren; da passiert ein-

fach alles, was an sozialen Dingen notwendig ist. In der Stadt ist es so, dass es eine

fixe Institution ist, so wie Sie es sagen: Auf sieben Teile in der Stadt verteilt, damit es

nicht so zentral ist, weil die Leute im Bezirk das besser beurteilen können, als ich von

meiner Zentrale aus.

Page 41: Case Management in der Altenhilfe Internationale ...Doku).pdf · Kooperation von Gesundheits- und Sozialdiensten in Sabadell (Spanien) 56 4. Case Management in einer Senioren-Wohnanlage

43

Döhner:

Ich bin, glaube ich, eben ein bisschen missverstanden worden. Dass die Bedarfe

überall da sind, das ist mir völlig klar. Mir ging es um die Organisationsstruktur, weil

Sie ja gesagt haben, Sie sind eine private Einrichtung, staatlich unterstützt. Wenn Sie

jetzt überlegen, dass das ja ein einmaliges Modell ist – wenn ich es richtig verstanden

habe: In welcher Organisationsstruktur können Sie sich das für Österreich vorstellen?

Wäre das dann auch so eine privat getragene Struktur?

Fussenegger:

Ich kann mir das in jeder privaten Struktur vorstellen; besser als in jeder staatlichen.

Also: Je weiter der Staat die Finger draußen hat, um so besser.

Teilnehmerin:

Noch eine Frage, Sie sprachen von Zuweisungsrecht: Können Sie das vielleicht noch

mal näher erläutern?

Fussenegger:

Ich übernehme Klienten von den Kliniken, von den Sozialarbeitern, von den Hausärz-

ten, über Privatanfragen, über die Polizei (wenn es Verwahrlosungen sind), über die

Sozialämter. Jeder, der nicht weiß, was er machen soll, landet irgendwie letztendlich

im Case Management. Ich habe den Auftrag, dass ich die Leute zu den Vereinen

überweise, die dafür geeignet sind. Also ich habe den ausdrücklichen Auftrag vom

Land, nicht alles dem Sprengel zuzuweisen, nur damit der schön voll ist, sondern die

Patienten passend zuzuweisen. Wir haben einen Verein, der geht nur mit zwei Leuten

zu den Patienten. Es gibt einfach Klienten, die brauchen zwei Leute für Gehübungen,

die brauchen zwei Leute, um über die Stiege zu gehen. Denen kann man niemanden

schicken, der nur allein hingeht. D.h. ich kenne alle Anbieter in Innsbruck/ Stadt, und

ich muss schauen: Wer passt am besten dazu und hat noch was frei?

Ziller:

Ich glaube, die Zuordnung „privat versus öffentlich“ muss noch mal erläutert werden,

dass da kein falscher Zungenschlag reinkommt. Wenn ich Ihre Struktur richtig ver-

standen habe, dann handelt es sich um eine durch die Stadt Innsbruck bzw. das Land

Tirol öffentlich veranlasste Hilfestruktur, auch zu wesentlichen Anteilen aus öffentli-

chen Mitteln finanziert. Nur, zum Vollzug, zur praktischen Umsetzung der Hilfeprozes-

se oder des Case Management bedient man sich eines Dritten. Das macht man nicht

selber durch bei der Kommune oder beim Staat angestellte Fachkräfte, sondern – wir

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würden im deutschen Recht sagen: das ist so was wie ein „geliehener Unternehmer“ –

durch einen Dritten, dem ich eine im Grunde öffentlich verankerte und veranlasste

Aufgabe zuweise.

Fussenegger:

Vielleicht muss man dazu sagen, dass alle ambulanten Anbieter bei uns durch das

Land oder die Stadt gefördert sind. Also private Anbieter sind bei uns in der Stadt der-

zeit kaum zugelassen.

Engels:

Gut, das klärt, glaube ich, noch mal diese Frage: Es geht also nicht um privat-gewerb-

liche Dienste, die wir in letzter Zeit sehr verstärkt hier haben.

Geiger:

Sie sagten eben beiläufig: Alle landen irgendwann bei Ihnen, die sonst nirgends be-

treut werden. Bedeutet das, dass Sie sozusagen die letzte Auffangstation sind oder ein

Abladeplatz für Klienten, die oft auch aus finanziellen Gründen – vom Arbeitsaufwand

her usw. – uninteressant für andere Organisationen sind? D.h. vergleichbare Patienten

werden auch an anderer Stelle betreut, aber wie die Mechanismen nun mal sind, lan-

den die bei Ihnen?

Fussenegger:

Ich bin stolz, dass sie wenigstens bei mir landen. Aber ich glaube, dass viele Institutio-

nen und viele Situationen nicht in den Griff zu kriegen sind – gerade zu Hause. Wenn

ich mir überlege, in welche verwahrlosten Wohnungen wir kommen, dann denke ich

immer: Da kann ein Einzelner nichts machen. Oder sie haben schon wochenlang oder

monatelang probiert, diesen Menschen zu betreuen, und es hat nicht funktioniert; dann

versucht man es bei mir. Ich habe mir den Ruf erworben, dass ich ein eigenes „Chaos-

Prinzip“ habe, und dass, wenn es bei mir auch nicht mehr geht, gar nicht mehr geht.

Engels:

Jetzt möchte ich gerne zum nächsten Beitrag übergehen. Wir haben ja heute Morgen

schon ein bisschen über die Schwierigkeiten gesprochen, eine Case Management-

Struktur gesetzlich zu verankern, konzeptionell gut ausgearbeitet, und dann auch noch

umzusetzen und so zu gestalten, dass alles funktioniert. Es gibt eine Region in Euro-

pa, wo genau das der Fall ist: Das ist die Emilia-Romagna. Ich begrüße jetzt Dr. Fabri-

zio, den Altenhilfereferenten der Emilia-Romagna aus Bologna.

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2. Ein Recht auf Case Management in der Emilia-Romagna (Italien)Dr. Raffaele Fabrizio, Altenhilfereferent der Region Emilia-Romagna

Guten Tag allerseits! Meine heutige Aufgabe besteht in dem Versuch, unsere Erfah-

rungen aus der Emilia-Romagna darzustellen. Mein Vortrag gliedert sich in drei Teile.

Der erste Teil soll den nationalen Kontext, der zweite den regionalen Kontext be-

schreiben. Der dritte schließlich soll Ihnen einige der Erfahrungen aus den zwei Di-

strikten, die wir im Zusammenhang des Projektes des Bundesministeriums untersucht

haben, schildern.

Der nationale Kontext

Zunächst also einige Informationen zum nationalen Kontext: In Italien sind das Ge-

sundheitssystem und die Sozialdienste sowohl historisch, als auch durch ihre Bedeu-

tung und die Stellung, die sie einnehmen, getrennt. Das Gesundheitssystem hat sei-

nen Schwerpunkt in der Organisation der Regionen. Unterhalb der regionalen Ebene,

haben wir in jeder Region eine bestimmte Anzahl lokaler Gesundheitsbehörden, die in

kleinen Gebieten organisiert sind.

Zur Zeit vollzieht sich ein großer Wandel, ein neues Gesetz wird in diesem System

eingeführt. Die zwei Hauptfragen für unsere Programme zum Case Management, die

wir an dieses neue Gesetz stellen, sind:

• Es soll ein wesentlicher Grundstock an Dienstleistungen errichtet werden, die aus

nationalen Fonds finanziert werden. Jede Region kann sich entschließen, mehr

Dienste anzubieten, aber wir werden die lokale Situation der Besteuerung verbes-

sern, die lokalen Belastungen abbauen.

• Die zweite Frage betrifft die Integration, also die Verbindung der sozialen und ge-

sundheitlichen Dienste.

Die Frage, die wir in den nächsten Wochen klären müssen, wenn wir diesen Grund-

stock an Diensten aufbauen, lautet: Ob dem Case Management die wesentlichen Be-

standteile der Dienstleistungen über den nationalen Fonds finanziert werden, oder ob

Case Management – was die bisherige Erfahrung nahe legt – wie bisher von den Re-

gionen finanziert werden sollte.

Der andere Teil des Systems, die Sozialdienste – ich nenne sie den „armen Bruder“

des Gesundheitssystems – sind nicht in ein nationales System eingebunden. Sie lie-

gen bei den lokalen Behörden und deren Finanzierungen.

Diese kurze Erläuterung des nationalen Kontextes sollte Ihnen schlicht vor Augen füh-

ren, dass es kein italienisches System gibt, sondern 20 verschiedene Regionen und 20

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verschiedene Systeme, die nicht im Speziellen Altenhilfe darstellen. Es gibt eine be-

stimmte Anzahl von vier, fünf oder sechs Regionen in Italien, die seit 15, 20 Jahren in

der Altenhilfe arbeiten. So können wir uns nur auf einen kleinen Teil Italiens beziehen.

Was ich Ihnen nun erzähle kann daher nicht auf andere Teile meines Landes übertra-

gen werden. Soviel zur Beschreibung des nationalen Kontext.

Der regionale Kontext

In der Region Emilia-Romagna, von der ich Ihnen berichten werde, sind die örtlichen

Voraussetzungen sehr unterschiedlich, z.B. reicht die Gemeindestruktur von sehr klei-

nen Gemeinden bis zu Großstädten. Die Region ist in Distrikte der lokalen Gesund-

heitsbehörden unterteilt, der Durchschnitt liegt bei mindestens 60.000 Einwohnern pro

Distrikt. Dies soll Ihnen die demografische Struktur meiner Region zeigen, die – wenn

sich in Zukunft nichts ändert – eine der ältesten Regionen meines Landes sein wird:

Denn heute kommen auf jeden Jugendlichen unter 14 Jahren immerhin zwei Personen

über 65 Jahren.

Was stellt in unserer Erfahrung Case Management für alte Menschen dar? Erstens

stellt es kein Experiment dar, sondern ist ein System, das in einem Teil Italiens mit

4.000.000 Einwohnern verbreitet ist und vor fünf Jahren neu eingerichtet wurde. Zwei-

tens handelt es sich um ein komplexes System. Von der Diskussion heute Morgen

kann ich sagen, dass Case Management nicht nur vom Case Manager geregelt wird,

unsere Erfahrung konzentriert sich nicht nur auf die Rolle des Case Managers. Das

System, das ich Ihnen zeigen werde, ist sehr komplex. Es handelt sich nicht nur um

das Management einzelner Fälle. Drittens, und ich nehme an, dies ist wichtig für Sie:

Es ist ein System mit gesetzlicher Grundlage. Dieses Gesetz beschreibt, was getan

werden muss und wie es zu tun ist. Ich kann sagen, dass es einem Recht auf Case

Management sehr nahe kommt. Dieser dritte Punkt dreht sich um die Verknüpfung der

Gesundheits- und Sozialdienste auf mehreren Ebenen.

• Die erste Ebene ist die institutionelle. So müssen die Stadtverwaltung und örtliche

Gesundheitsbehörden eine institutionelle Vereinbarung treffen.

• Die zweite Ebene ist die organisatorische, mit lediglich einem Dienst pro Bezirk,

der den Case Manager organisiert und zur Verfügung stellt.

• Die dritte Ebene ist die berufliche, d.h. Sozialarbeiter und Pflegekräfte müssen

zusammen arbeiten.

Dies sind die wesentlichen Elemente in unserer Erfahrung mit dem Case Management.

Sie sehen, dass es sich nicht nur um das Management von Fällen, sondern auch um

Management von Bedarf handelt, d.h. um die Bedürfnisse der alten Menschen, das

Assessment, den Pflegeplan und den Zugang zu den Diensten. Das Zweite ist die Be-

reitstellung von Diensten, zu der die Koordination des Zugangs gehört. Dies kann als

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„One-Door-Access“-System bezeichnet werden. Drittens besteht das Hauptziel des

Case Managements darin, eine neue Herangehensweise zu ermöglichen, die wir den

Ansatz zur Langzeitpflege nennen können, d.h. jedem alten Menschen, der kontinuier-

liche Pflege benötigt, diese zu gewährleisten. Dies ist ohne Aufbau eines lokalen

Netzwerks und Koordination der Anbieter – öffentlicher und privater – unmöglich.

Nun möchte ich zur Struktur übergehen. Ein Teil des Systems ist, was wir die „geriatri-

sche Evaluations-Einheit“ der Gemeinde nennen; ein Team, das aus mindestens drei

Spezialisten besteht. Festzuhalten bleibt, dass bei zwei Praxisbeispielen die Beteili-

gung des Hausarztes bei der Koordination dieses Team für uns ein Problem darstellte.

Nun einige Informationen zu den Aktivitäten: In unserer Region gibt es derzeit 51 ge-

riatrische Evaluations-Einheiten. Der Durchschnitt der älteren Menschen, die wir bei

unserer Planung einkalkulieren, ist über 74 Jahre alt. In einem Jahr werden in der ge-

samten Region ungefähr 25.000 bis 26.000 Personen evaluiert. D.h. der Anteil der

Bevölkerung, der durch diese kommunale Einheit abgedeckt wird, liegt bei ca. 6,5%,

und die durchschnittliche Stundenzahl jeder Evaluation liegt etwas unter zwei Stunden.

Folgende Zahlen gelten dabei für unsere zwei Bezirke, auf die ich gleich näher einge-

hen werde:

Aktivitäten der geriatrischen Bewertungsinstanz (UVG)

in Faenza und Montecchio

UVG-Aktivitäten in Faenza

(1998)

UVG-Aktivitäten in Montecchio

(1998)

Evaluationen 1046 Evaluationen 512

Personen 696

(7,4% ab 75 Jahre)

Neue Anträge 387

reevaluiert 309

Falsche Anträge (41) 5,9%

Personen 396

(7,7% ab 75 Jahre)

Gesamtstunden pro Jahr 1.104

(nur Evaluation)

durchschnittliche Dauer 63 Minuten

pro Evaluation

Gesamtstunden pro Jahr 720

(nur Evaluation)

durchschnittliche Dauer 84 Minuten

pro Evaluation

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Die Bezirke Montecchio und Faenza

Der dritte Teil ist eine Zusammenfassung der Probleme jener zwei Bezirke, die wir

untersucht haben. Natürlich konnten wir nicht alle Projektstandorte der gesamten Re-

gion untersuchen – das wäre zu viel. So beschlossen wir, lediglich zwei sehr unter-

schiedliche Bezirke auszuwählen. Der Bezirk Montecchio liegt im Tal Val D´Enza; die

fünf Gemeinden umfassen insgesamt 51.984 Einwohner, wovon 9,8% über 75 Jahre

alt sind. Der andere Bezirk, Faenza, zählt 81.241 Einwohner, verteilt auf die Stadt

Faenza und fünf weitere Gemeinden; der Antei der über 75-Jährigen beträgt hier

11,4%.

Nun möchte ich Ihnen einen Teil der Analysen dieser beiden Projektbeispiele präsen-

tieren. Die erste Frage – ich sagte es Ihnen – ist die lokale Vereinbarung. Jede Ver-

einbarung bedarf eines Instruments, das sie am Laufen hält.

Case Management: Institutionelle Organisation

Faenza Montecchio

Accordo di Programma

Eingeschränkter Ausschuss 5 Personen

Accordo di Programma

Konferenz 12 Personen

Servizio Assistenza Anziani

Gruppe für Anschlussleistungen 14 Personen

Servizio Assistenza Anziani

Koordinierungs-Team 13 Personen

Ausführende Mitarbeiter Ausführende Mitarbeiter

Dies ist ein eingeschränkter Ausschuss oder eine Konferenz. Unser Modell ist flexibel,

wir entscheiden nicht zentral aus der Region, sondern jeder Bezirk entscheidet, wie er

den Bedarf der Menschen deckt. Diese erste Stufe der politischen Koordination, ac-

cordo di programma, regelt die Integration des Systems. Die zweite Stufe, servizio

assistenza anziani (SAA), ist die technische Ebene, vertreten durch eine Gruppe, die

Verantwortliche des Sozialdienstes, des Gesundheitsdienstes, des Krankenhausdien-

stes sowie die Anbieter umfasst. Die dritte Stufe sind natürlich die Mitarbeiter dieser

Case Management-Dienste.

Es ist hierbei wichtig, dass ich Ihnen etwas über die Kriterien des Zugangs zum Case

Management sage, Kriterien und einige Zahlen, die Ihnen vielleicht Antwort geben auf

die Frage von heute Morgen: Wie es möglich sei, Case Management zu haben usw.

Wir können auch bedeutende Unterschiede im Setting der Evaluationen sehen:

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Ort der Beurteilung durch die geriatrische Bewertungseinheit (UVG)

Beurteilungsorte in Faenza

(1998)

Beurteilungsorte in Montecchio

(1998)

Zu Hause 30%

Pflegeheim 15%

Krankenhaus 40%

Andere Orte 15%

Zu Hause 53%

Pflegeheim 13%

Krankenhaus 24%

Andere Orte 10%

18,7% im Beisein des Familienarztes

Sie sehen, in Faenza zum Beispiel im Krankenhaus 40%, d.h. vielleicht gibt es in je-

nem Netzwerk einige große Probleme. Es ist sehr wichtig, dass die Einheit auch im

Krankenhaus arbeitet, d.h. während des Aufenthaltes der alten Menschen ins Kran-

kenhaus geht, um einen guten Entlassungsplan zu erarbeiten. Dies kann aber gleich-

zeitig ein sehr großes Problem darstellen, wenn keine Verbindung zwischen dem

Krankenhaus und draußen besteht – wir haben dann ein großes Problem mit der Le-

bensqualität der Personen. Deshalb wird normalerweise ein spezielles Entlassungs-

programm in diesen beiden Bezirken entwickelt, aber auch in einigen anderen. – Nun

einige Punkte zu den Mitarbeitern dieses Case Management-Systems, zu den ver-

schiedenen Fachkräften und der wöchentlichen Arbeitszeit:

Organisationsstruktur in Faenza (1996)

81.241 Einwohner davon: 9.283 ab 75 Jahre

Mitarbeiter/innen Anzahl

Stunden pro

Woche

SAA Manager

Bürokräfte

CM Sozialarbeiter

UVG Sekretärin

1

2

7

1

30

46

162

16

è

Pro Jahr:

7.128 Stunden

Stunden je

0,76 Einwohner

über 75

Gesamt-Strukturkosten

SAA Management

Case Manager

UVG Aktivitäten

Organisationskosten

49.215

121.883

114.461

7.213

Gesamtkosten € 292.772

è 3,6 € Je Einwohner

pro Jahr

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50

Organisationsstruktur in Montecchio

51.984 Einwohner davon: 5.084 ab 75 Jahre

Mitarbeiter/innen Anzahl

Stunden pro

Woche

SAA Manager

Bürokräfte

CM Sozialarbeiter

UVG Sekretärin

1

2

8

1

18

36

136

10

è

Pro Jahr:

5.984 Stunden

Stunden je

1,17 Einwohner

über 75

Gesamt-Strukturkosten

SAA Management

Case Manager

UVG Aktivitäten

Organisationskosten

50.000

103.000

56.800

12.000

Gesamtkosten € 221.800

è 4,26€ Je Einwohner

pro Jahr

Natürlich handelt es sich bei dem jährlichen Durchschnitt pro Person, den das Case

Management-System befolgt, lediglich um einen rechnerischen Durchschnitt, im Ein-

zelnen hängt dies vom Pflegegrad und der Komplexität jeder einzelnen Person ab.

Beratungszeit pro Klient

Case Management Faenza Montecchio

Stunden pro Klient pro Jahr 8,5 Std. 10,8 Std.

Eine weitere wichtige Frage ist: Wer zahlt? Ich vermute, besonders interessant für

diejenigen, die ein neues System schaffen wollen. In unserem System haben wir ver-

schiedene Geldgeber: Ein Teil wird vom staatlichen Gesundheitssystem finanziert. Ein

weiterer Teil wird von den Lokalbehörden erbracht. Andere Teile werden auch von

Anbietern geleistet, die an guten Resultaten aus dem Case Management interessiert

sind. Auch sie können am Case Management-System teilnehmen.

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51

Wer bezahlt das System?

Faenza Montecchio

Staatliches Gesundheits-

system

58% 38%

Lokale Behörden 42% 59%

Andere Geldgeber Keine anderen 3%

Nur um Ihnen eine Vorstellung von der Bedeutung des Qualitätsstandards im Case

Management zu geben: Die Fähigkeit, schnell zu reagieren, ist eine der wichtigsten

Dinge in dieser Art von System. Daher unterteilen sich die Erfahrungen in zwei Ebe-

nen: gewöhnliche Fälle und Notfälle. Jede erfordert einen anderen Qualitätsstandard,

was die Dauer bis zur ersten Kontaktaufnahme und einer Evaluation betrifft. Nach un-

seren Erfahrungen sind dies ein bzw. zwei Tage bei einem Notfall, und 7 bis 15 Tage

für die Evaluation anderer Fälle.

Qualitätsstandards

UVG Aktivitäten in Faenza

Qualitätsstandard der Fallbearbeitung

UVG Aktivitäten in Montecchio

Qualitätsstandard der Fallbearbeitung

Erster Kontakt nach dringendem Antrag

innerhalb von 48 Stunden

Erster normaler Kontakt

innerhalb von 7 Arbeitstagen

Erster Kontakt nach dringendem Antrag

innerhalb von 24 Stunden

Erster normaler Kontakt

innerhalb von 7 Arbeitstagen

Dringende Evaluierungen

innerhalb von 2 Tagen

Normale Evaluierungen

innerhalb von 15 Tagen

Durchschnittlich 10 Tage

Dringende Evaluierungen

innerhalb von 3 Tagen

Normale Evaluierungen

innerhalb von 7 Arbeitstagen

Ich beende meine Präsentation mit einer hoffentlich ausreichenden Zusammenfassung

einiger Fragen.

1. Die erste wichtige Frage betrifft die Festsetzung der Berechtigungs-Kriterien. Die

Frage, ob jede ältere Person Case Management benötigt, kann von unserer Seite

verneint werden. Es ist wichtig, ein eindeutiges Kriterium für die Berechtigung fest-

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zusetzen, da andernfalls die Kosten wachsen und keine guten Ergebnisse erzielt

werden.

2. Die zweite Aufgabe ist, die Evaluation zu vereinfachen, da die Evaluationskosten

sehr hoch sind. Jede Evaluation kostet uns ca. 250 Euro – das ist sehr, sehr viel.

Wir müssen diese gute Forschungsarbeit nur für die komplexen, sehr komplexen

Fälle reservieren.

3. Das dritte Problem nennen wir das „Split-Problem“. In unserem System könnten

die Behörden verschiedene Rollen haben. Sie finanzieren die Dienste und stellen

gleichzeitig das Case Management; gelegentlich sind sie auch der Anbieter von

Diensten. Das ist nicht immer gut. Der Mangel an spezifischem Training im Case

Management stellte jahrelang ein Problem dar. Die Beziehung zwischen dem pro-

fessionellen Zugang – dem Case Management – und der Wahlfreiheit einzelner

Personen in unserem System des Zugangs zu öffentlich finanzierten Diensten, ist

ein spezifisches Problem.

Bevor ich schließe, möchte ich noch sagen, dass das Case Management natürlich eine

professionelle Herangehensweise ist und Fähigkeiten und Instrumentarien braucht,

jedoch nicht nur technisch sein kann. Ich kann Ihnen ein altes, leicht abgewandeltes

italienischen Sprichwort nennen, das beim Aufbau eines guten Case Management-

Systems nicht zu vergessen ist. Das Original-Sprichwort lautet: Ein Apfel pro Tag er-

setzt den Arzt. Wir können es abändern und sagen, dass zur Schaffung eines guten

Case Management, nicht vergessen werden darf: Ein Lächeln pro Tag ersetzt den

Arzt.

Diskussion

Garms-Homolová:

Garms-Homolová, Institut für Gesundheitsanalysen und soziale Konzepte, Berlin. Ich

möchte Sie bitten, genauer zu erläutern, was Sie unter „Evaluation“ verstehen, wenn

Sie von der geriatrischen Bewertungseinheit sprechen. Meinen Sie ein pflegerisches

Assessment, oder ist das umfassender konzipiert?

Fabrizio:

Wenn ich von „Evaluation“ spreche, meine ich eine mehrdimensionale Annäherung –

und das ist der Grund, warum es in der geriatrischen Bewertungseinheit eine geriatri-

sche Fachkraft, eine Pflegekraft und einen Sozialarbeiter gibt. Es bedeutet, dass alle

verschiedenen Aspekte des Lebens evaluiert werden müssen, d.h. funktionale, medi-

zinische, pflegerische, auf die Aktivitäten des täglichen Lebens bezogene, psychologi-

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sche, soziale und finanzielle Aspekte. Das ist die Art der Evaluation, von der ich spre-

che.

Döhner:

Haben Sie genügend ausgebildete Geriater, um dieses auch flächendeckend leisten

zu können? Eine zweite Frage: Wie kooperiert der Geriater mit dem Hausarzt?

Fabrizio:

Die erste Frage: Ja. Wir haben vielleicht nicht genug, aber eine gute Anzahl von Ge-

riatern. Das ist die Erfahrung bestimmter Regionen in Italien: Wir haben auch im Kran-

kenhaus Abteilungen für Geriatrie. Nicht alle Regionen in Italien machen diese Art von

Behandlung. So ist die geriatrische Versorgung zwar nicht vollständig, insgesamt ge-

sehen aber gut.

Zur zweiten Frage: Die Beziehung besteht nicht zwischen dem Geriater und dem

Hausarzt, sondern zwischen dem Case Management-System und dem Hausarzt. Dies

ist ein Problem. Die Anzahl der Evaluationen mit der Anwesenheit oder dem Kontakt

mit dem Hausarzt liegt bei 20%. Dies ist eine unserer Hauptfragen.

Garms-Homolová:

Ich würde Sie bitten, etwas genauer zu erklären, wie es funktioniert, wenn ein externer

Case Manager die Entlassung aus einem Krankenhaus plant. Wird es akzeptiert, wie

funktioniert es?

Fabrizio:

Im Bericht ist ein spezielles Schema abgedruckt mit einem guten Ablaufplan, wie er in

Montecchio praktiziert wird. In einigen Worten kann ich sagen, dass es notwendig ist,

dass es eine Vereinbarung zwischen dem Krankenhaus und den externen Diensten

gibt. Sie müssen zusammen entscheiden, wie man die Informationen vom Moment der

Einweisung ins Krankenhaus verwertet. Und danach, wie man die häusliche Pflege

und Versorgung in diesem speziellen Bezirk organisiert – zuerst muss kontrolliert und

entschieden werden, ob Bedarf für ein spezielles Entlassungs-Programm in diesem

Fall vorliegt. Zwei oder drei Tage vor der Entlassung muss das organisiert werden, weil

z.B. nicht jeder Bezirk ein Krankenhaus hat. Daher hängt es davon ab, wo ein Kran-

kenhaus ist und wo die älteren Menschen des Bezirks normalerweise hingehen. Ich

kann nur sagen, dass es wichtig ist, dass die Case Manager eine Vereinbarung mit

dem Krankenhaus und den externen Diensten treffen. So funktioniert es gut. Wo dies

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nicht vorher gemacht wird, gibt es ein großes Problem. Tatsächlich ist es ein großes

Problem in Faenza, es ist kein Problem in Montecchio.

Wendt:

Ich hätte gerne noch mal das Problem der Zugangsberechtigung angesprochen, weil

mir das ein für das Case Management sehr wichtiges Problem zu sein scheint. Verste-

hen Sie es so, dass diese Frage der Einschränkung des Zugangs eine Sache des

Case Management selber ist oder etwas, was man vorher tun muss, um dann dem

Case Management die Fälle zu überlassen, bei denen man vorher entschieden hat,

dass diese Fälle das Case Management nötig haben und die anderen nicht? Ich würde

dafür plädieren – gerade dann, wenn Sie ein flächendeckendes Programm haben –,

dass es zum Case Management selber gehören muss, diese Auswahl zu treffen. Und

zwar deshalb, weil man nachher ja Rechenschaft darüber ablegt, wen man erreicht,

warum man mit welchen Leuten so arbeitet und mit anderen nicht. Die Entscheidung

darüber ist ja selber eine fachlich sehr wichtige. Deshalb gehört sie für meine Begriffe

in die erste Phase des Case Management als Prozess hinein. Ich habe Sie so ver-

standen, als ob Sie lieber Leute fern halten wollen, weil es sonst so viel kostet. Aber

ich denke, dass es auch zum Case Management selber dazu gehört.

Fabrizio:

Wir versuchen, dieses Problem zu lösen; in der Annahme, dass Case Management

zunächst eine Funktion ist und erst dann ein Prozess. Aus diesem Grund ist auch die

vorangehende, die einfache Evaluation natürlich ein Bestandteil des Prozesses. Aber

was wir versuchen, ist zu vereinfachen. So stellen wir uns die Frage: Bedarf es einer

Team-Evaluation für die Zugangs-Bewertung oder nicht? Wir versuchen, die erste

Evaluation sehr einfach durchzuführen mit einer Kombination des Hausarztes und ei-

nes Sozialarbeiters, den wir in dem Fall „Case Manager“ nennen. Aber in diesem Fall

gibt es die ersten Momente eines Prozesses – und der Prozess ist natürlich derselbe.

Ziller:

Wenn ich die Strukturen in der Emilia-Romagna richtig kenne, dann ist der Zugang

vollkommen unreguliert, unbeschränkt. Also jeder, der einen Impuls, einen Hilfebedarf

sieht oder fühlt, hat die Möglichkeit, in dieses System hinein zu kommen und sich dort

Beratung zu holen. Eine Auswahl zu treffen im Hinblick auf die Komplexität des Hilfe-

bedarfs, betrifft die Frage, für wen die interdisziplinäre Bewertung vorzusehen ist. Hier

sieht Herr Fabrizio Einsparungsmöglichkeiten, weil die Evaluation sehr teuer ist; und

für Personen mit einem – wie ich das nennen würde – eindimensionalen, also nicht

komplexen Hilfebedarf brauche ich keine interdisziplinäre Abklärung. Wenn ein Vor-

prüfungsverfahren oder so etwas vorgeschaltet wäre, was in der Hand eines Sozialar-

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beiters läge, dann wäre damit die Strukturgefahr gegeben, dass dann doch irgendeine

heimliche Ausgrenzung wegen Nichtwohlverhaltens oder wegen mangelnder Sympa-

thie oder irgendetwas Menschlichem stattfindet.

Fabrizio:

Um dies noch einmal klar zu stellen: Der allgemeine Zugang ist offen für jeden; dar-

über sprechen wir nicht. Wir sprechen darüber, wie danach selektiert wird, auch vor

dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, dass die Zahl der pflegebedürftigen

Menschen zunehmen wird. Wir müssen den Zugang zu diesen Leistungen so gestal-

ten, dass das, was in unserem Regionalgesetz verankert ist, auch in Zukunft noch als

Angebot für ältere Menschen aufrecht erhalten bleiben kann.

Wendt:

Ich denke, dass diese eben debattierte Frage politisch wichtig ist und unsere Debatte

insgesamt betrifft, weil wir doch im Bereich der Pflege vor allen Dingen rechtzeitig

handeln wollen oder – mit anderen Worten – auch präventiv handeln wollen. Von da-

her sollten wir das Case Management auch schon in einem Stadium beginnen lassen,

wo wir nicht nur noch die schweren Fälle haben, d.h. eine politische Entscheidung zum

Case Management nur für die schweren Fälle wäre kontraproduktiv im Hinblick auf

das, was wir insgesamt haben wollen: nämlich eine möglichst günstige Versorgung im

Alter.

Fabrizio:

Auch dies ist keine Frage. Ich kann nur sagen, dass das Case Management natürlich

im Rahmen der Systemmöglichkeiten gesehen werden muss.

Engels:

Ich denke, wir waren am Schluss wieder mal in diesem Spannungsfeld von dem, was

wünschenswert und dem, was auch wirklich machbar ist. Denn ein möglichst frühzeiti-

ges Einsetzen des Case Management-Prozesses ist auf jeden Fall wünschenswert

und sollte versucht werden, soweit es irgend möglich ist. Nur in dieser sehr ausgear-

beiteten Form, die verschiedene Aspekte und Disziplinen einbezieht, ist es faktisch

dann doch nicht in allen Fällen – insbesondere nicht in den leichten Fällen – durch-

führbar. Es gibt keine befriedigende Antwort auf das Problem, sondern hier liegt eine

Aufgabenstellung, der wir uns auch in Zukunft stellen müssen.

Wir haben jetzt mit der Emilia-Romagna eine Region innerhalb Italiens betrachtet. Wir

kennen aus unserem Land die Unterschiede zwischen verschiedenen Bundesländern.

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Mindestens so groß, denke ich, sind die Unterschiede zwischen den Regionen in Itali-

en. Das gleiche trifft auch auf den nächsten Beitrag zu. Es handelt sich ncht um ein

Beispiel aus Spanien, sondern um ein Beispiel aus Katalonien, das auch durch eine

eigene Gesetzgebung einen sehr eigenen und spezifischen Charakter entwickelt hat.

Frau Marrugat aus Barcelona wird uns über das Case Management in Sabadell be-

richten.

3. Kooperation von Gesundheits- und Sozialdiensten in Sabadell (Spanien)Lluisa Marrugat, Sozialwissenschaftlerin, Barcelona

Um die Erfahrung, die ich Ihnen darlegen möchte, zu verstehen, muss ich zunächst

einmal die nationalen Bedingungen der Pflege erläutern. In Spanien übernehmen die

Familien und Nachbarn den Großteil der Pflege, die von pflegebedürftigen älteren

Menschen benötigt wird. 87% der gesamten Pflege, die sie erhalten, werden als infor-

melle Pflege erbracht, zusätzlich von den Hausärzten. Familien, die nicht die Pflege

ihrer Eltern übernehmen, haben in Spanien ein negatives Image. In Spanien wird der

soziale Bedarf an Pflege nicht mehr als eine vom sozialen Sicherungssystem zu

schützende Situation gesehen, auch werden die besonderen Bedürfnisse älterer Men-

schen nicht von einem Gesetz bedacht.

Das Versorgungssystem besteht aus einem Netz sozialer Dienste, deren Verfügbarkeit

sehr gering ist, und der Zugang zu ihnen gestaltet sich äußerst schwierig. Theoretisch

kann jeder Bürger die öffentlichen Dienste nutzen, in der Praxis können aber, wegen

der Knappheit der Ressourcen, lediglich die alten Menschen mit einem niedrigen so-

zio-ökonomischen Status diese Dienstleistungen erhalten. Zudem ist das private An-

gebot sozialer Dienste sehr fragmentarisch und schwer aufzufinden. Das legale Sy-

stem, abgeleitet aus der spanischen Verfassung, fördert nicht eine normative Ent-

wicklung der sozialen und gesundheitlichen Koordination, was durch die Verschieden-

heit der institutionellen Kompetenzen bedingt ist. Soziale Dienste entfallen auf die örtli-

che Ebene, die (kostenlosen) Gesundheitsdienste liegen in der Verantwortung der

regionalen Ebene.

Erst mit dem „Gerontologischen Plan 1992“ gewann die Integration von Krankenpflege

und Sozialfürsorge explizit an Bedeutung. In der Praxis finden wir jedoch, auf Grund

der unterschiedlichen Verantwortungsebenen für soziale und pflegerische Dienste, nur

sehr wenige Beispiele dafür. Die Finanzierung ist gemischt: Pflegedienste werden vom

Gesundheitssystem durch die regionalen Regierungen bezahlt. Soziale Dienste wer-

den von der Stadt und durch einige zusätzliche Gebühren für die Klienten finanziert.

Sowohl Unterschiede in regionaler und lokaler Politik, als auch Unterschiede des histo-

rischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontextes führten zu zahlreichen Modellen von

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Diensten und Programmen im ganzen Land. Allerdings sind alle ungenügend, um den

vielen pflegebedürftigen Menschen zu helfen, unabhängig zu bleiben und ihr Leben in

der eigenen Wohnung fortzusetzen. Deshalb werden in Spanien derzeit die Pflege-

heime mehr in Anspruch genommen als die kommunalen Dienste. Zum Beispiel kom-

men auf Hundert Personen im Alter von mindestens 65 Jahren drei Pflegeheim-

Bewohner, aber nur zwei Nutzer häuslicher Pflegedienste. Das Ziel der Regierung ist

weiterhin, die Pflege in Krankenhäusern und Pflegeheimen zu Gunsten der häuslichen

Pflege zu reduzieren. Dies trieb die Debatte um die Notwendigkeit, das Sozial- und

Gesundheitssystem zu koordinieren, in den letzten fünf Jahren voran, obwohl nur sehr

wenig davon umgesetzt wird. Eine Sache ist klar: Für die häusliche Pflege muss der

Zugang durch die Koordination von Sozial- und Pflegediensten auf kommunaler Ebene

geregelt werden.

Vor dem Hintergrund der Verschiedenheit der institutionellen Kompetenzen und unter

gleichzeitiger Beachtung der Möglichkeiten zur Realisierung des integrativen Angebots

von Diensten für alte Menschen möchte ich die Erfahrungen aus Sabadell vorstellen,

einem Bezirksmodell für die Koordination in der Altenhilfe. 1984 wurde in Sabadell,

einer Stadt mit 185.500 Einwohnern, 20 km von Barcelona entfernt, das erste Modell

sozialer und gesundheitlicher Pflege eingeführt: Eine Koordination des Gesundheits-

und Sozialsystems auf kommunaler Ebene mit der Absicht, der ganzen Bevölkerung

eine integrierte Versorgung zu garantieren. Zunächst wurde angesichts der unter-

schiedlichen institutionellen Kompetenzen eine Vereinbarung zwischen der regionalen

und der lokalen Regierung unterzeichnet, um das ursprüngliche Sozialdienst-Netzwerk

auf der selben Ebene des Pflegedienste-Netzwerkes zu integrieren, um alle Fachkräfte

zu koordinieren und die Pflegequalität und die Ressourcen zu optimieren.

Das Case Management in Sabadell kombiniert organisatorische mit methodischen

Elementen und wird ohne zusätzliche Kosten in die Struktur integriert. In diesem Mo-

dell liegt der Schwerpunkt des Case Managements sowohl in der Koordination von

Pflege- und Sozialdiensten auf der kommunalen Ebene, als auch in der Kooperation

der Experten. Der Zugang zu allen Pflege- und Sozialdiensten wird durch eine zentrale

Stelle geregelt, die CAP (Centro de Atención Primaria), von der aus alle weiteren

Schritte unternommen werden. Sabadell hat heute 11 Zentren für gesundheitliche und

soziale Grundpflege, welche auf unterschiedlichen Ebenen koordiniert werden.

Während ältere Menschen 1994 noch verschiedene Ebene durchlaufen mussten,

richtete die politische Planung auf örtlicher Ebene, angesichts des demografischen

Wandels und der damit einher gehenden Bedarfsänderungen, sowohl das „Altenpro-

gramm“, als auch das Projekt der häuslichen Pflege im Jahr 1998 ein, um alle Res-

sourcen zu koordinieren und den Personen einen Aufenthalt in ihrer eigenen Wohnung

unter den besten Konditionen zu ermöglichen. Die angebotenen Dienste beinhalten

Haushaltshilfen, tägliche Unterstützung, Putzen, Wäsche waschen, Essen auf Rädern

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und persönliche Hilfe. Gleichzeitig wurde eine andere Ebene der Koordination mit

Akut- und den sozial-gesundheitlichen Krankenhäusern aufgebaut, um bedarfsge-

rechte Dienste bereit zu stellen. Dies ist eine funktionale Integration, um die Kranken-

hauseinweisung und -entlassung zu regeln und eine kontinuierliche häusliche Pflege

zu garantieren. Die Dienste, die diese Koordination garantieren, sind: Rehabilitations-

zentren, Tagespflegezentren und nachsorgende Pflege, einschließlich des Transpor-

tes. Auf der anderen Seite haben sie die Aufgabe, zwischen Grundpflegediensten und

der Kommune, Wohlfahrtsinstitutionen, dem System der ehrenamtlichen Tätigkeit und

den Diensten des Marktes zu vermitteln, um ein Überlappen zu verhindern, die mögli-

chen Lücken zu füllen und insbesondere die Ressourcen zu optimieren. Zusammen-

gefasst: Sie versuchen, eine Koordination auf allen Ebenen zu erreichen.

Einen Schritt, den man in diesem Programm erreicht hat, war das ATDOM-Programm

(ayuda a domicilio sociosanitario, ambulante sozial-gesundheitliche Hilfe), das 1998

als erstes integriertes Sozial- und Gesundheitsprojekt geschaffen wurde. Bis zu die-

sem Zeitpunkt arbeiteten die Sozial- und die Pflegedienste in den gleichen Büros, in

einigen Orten jedoch auch getrennt. Mit diesem Programm erreichten sie die Koordi-

nation auf der Struktur- und Verlaufsebene.

Das ATDOM-Programm arbeitete mit dem Ziel, die Hilfe in eine Struktur zu integrieren

und mit standardisierten Assessment Instrumentarien zur Evaluation der Prozesse und

Ergebnisse auszustatten. Das ATDOM-Programm ist ein Beispiel für eine Koordinati-

on, die den Prozess des Case Management sichtbar macht. Die methodischen Schritte

sind:

• Aufnahme der Klienten und ihrer Bedarfe

• Selektion

• ein erster Besuch zur allgemeinen Evaluation, der immer zu Hause stattfindet

• ein zweiter Besuch zum allgemeinen Assessment, das vom Hausarzt, der Kran-

kenschwester und dem Sozialarbeiter individuell durchgeführt wird

• nach dem umfassenden Assessment und der Planung werden vom multidisziplinä-

ren Team die Hilfeziele abgesteckt.

Nach Durchführung der Dienstleistungen werden von den verschiedenen Fachkräften

regelmäßig Hausbesuche gemacht, um die Effektivität der Dienstleistungen zu über-

wachen und zu schauen, ob Änderungen nötig oder erwünscht sind. Der Fall wird in

monatlichen Teambesprechungen diskutiert, einschließlich eines erneuten Assess-

ments bzw. der Modifikation der Evaluation und des Hilfeplans. Letztendlich hängt die

Beendigung der Pflege mit der Lösung des Problems zusammen. Der Zugang zu den

Diensten verläuft über eine zentrale Agentur, das Zentrum für Sozial- und Gesund-

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heitspflege. Das Assessment beinhaltet die Wahrnehmung des Klienten und seiner

Familie als Personen, bei denen der soziale Aspekt eng mit der Gesundheit verbunden

ist und umgekehrt. Es muss also der Umfang und die Stellung der verschiedenen

Aspekte wie kulturelle Gewohnheiten, soziale Probleme, physische Bedürfnisse der

Pflege und Versorgung abgeschätzt werden. Pflegepläne werden zusammen mit dem

Klienten unter Berücksichtigung seiner Wünsche und Entscheidungen entwickelt, der

auch eine Kopie des Pflegeplans erhält. Es gibt keinen ausgewiesenen Case Manager,

die Krankenschwester und der Sozialarbeiter leisten diese Funktion gemeinsam und

agieren ansonsten entsprechend ihrer Aufgaben, abhängig vom Hilfebedarf.

Das Modell in Sabadell stellt keine vollständige Umsetzung des Case Management-

Konzeptes dar, entspricht ihm aber hinsichtlich der Probleme, Situationen und Prozes-

se. Der Weg zum ATDOM-Programm war zwar sehr beschwerlich und lang; aber beim

Vergleich der verschiedenen Ebenen der Integration und Koordination werden die

Vorteile ersichtlich, die den älteren Menschen die Möglichkeit verschaffen, in ihrer ei-

genen Wohnung in Würde zu leben. Das ganzheitliche Assessment des komplexen

Bedarfs der Älteren und deren Pflege fördern die soziale Solidarität, die Rationalisie-

rung der Ressourcen, die Einbindung der Pflegefachkräfte, eine gute Koordination mit

anderen Stellen, d.h. die Fälle werden gelenkt, sodass eine gesteigerte Effektivität und

Prävention erreicht wird. Als Faktoren des Erfolgs, die auch für die Erlangung politi-

scher Unterstützung wichtig sind, erwiesen sich ein stabiles organisatorisches Kon-

zept, gemeinsame Handlungsrichtlinien, motivierte Teammitarbeiter, erfahrene und

kompetente Fachkräfte und grundsätzlich eine gute Kooperation von Ärzten und Kran-

kenschwestern mit Sozialarbeitern – das am schwersten zu erreichende Ziel.

Das Modell von Sabadell errichtete einen One-Door-Zugang, um die medizinische

Pflege und die sozialen Hilfssysteme zu integrieren. Aber die interne Koordination ist

noch nicht vollständig entwickelt. Dies liegt an verschiedenen Problemen: nicht funk-

tionierende multiprofessionelle Teamarbeit, Beharren auf traditionellen Arbeitsprozes-

sen und die Angst vor Veränderungen, Schwierigkeiten der Einbindung von Hausärz-

ten und Pflegern, das Fehlen von Effektivität und Evaluation (auf Grund der restriktiven

administrativen Voraussetzungen der regionalen Behörden), und begrenzte Bera-

tungs- und Vermittlungsdienste, Tageszentren, unterstützende Pflege etc. Ungeachtet

dieser Probleme ist das Modell aus Sabadell ein Beispiel für eine gute Praxis und viel-

leicht Ausgangspunkt für andere Programme oder Koordinierungsstellen für Ältere. Zur

Zeit hat die Regierung, insbesondere angesichts der Überalterung der spanischen

Bevölkerung und der Zunahme von pflegebedürftigen älteren Menschen, Untersu-

chungen angestellt zur Einführung einer Pflegeversicherung und Stärkung der Sozial-

dienste, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieser Sektor auch eine

Quelle für Beschäftigung ist. Die Erfahrung aus Sabadell zeigt, dass die Koordination

im Zusammenhang einer integrativen Bereitstellung von Dienstleistungen für ältere

Menschen möglich ist.

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60

Diskussion

Engels:

Vielen Dank, Frau Marrugat. Also hier haben wir auch wieder die uns schon sehr be-

kannte Trennung zwischen Gesundheits- und Sozialsystem vorgefunden. Den im Case

Management üblichen Ausdruck des „One-Door-Access“ hat Frau Marrugat sehr pla-

stisch so beschrieben, dass es zwar eine Tür gibt, durch die man hinein geht, aber

eben doch zwei Rezeptionsfenster, wo dann innerhalb dieses Gebäudes wieder die

weitere Bearbeitung getrennt läuft. Das sind hoffentlich vorübergehende Probleme. Die

Art der Problemdefinition und die Gestaltung der Zusammenarbeit in Spanien sind,

denke ich, in einer Weise vorgenommen worden, die für alle instruktiv ist, die mit einer

Trennung von Sozial- und Gesundheitssystem konfrontiert sind.

Da es im Moment keine direkten Rückfragen oder Anmerkungen gibt, bitte ich nun

Frau Ramakers, uns ihre Erfahrungen aus den Niederlanden vorzustellen.

4. Case Management in einer Senioren-Wohnanlage in Nijmegen(Niederlande)Dr. Clarie Ramakers, Sozialwissenschaftlerin, Nijmegen

Die Seniorenwohnanlage Doddendaal ist innerhalb des Altenhilfesystems als Innovati-

onsprojekt zu sehen. Am Anfang im Jahr 1989 hat man sich bewusst für ein innovati-

ves Pflegekonzept entschieden. Wahlmöglichkeiten, Entscheidungsfreiheit und Opti-

mierung der Selbstständigkeit der Bewohner sind die Ausgangspunkte der Pflege und

Dienstleistungen – keine Standardpakete, sondern maßgerechte Pflege für jeden ein-

zelnen Bewohner. Seine Bedürfnisse und Wünsche stehen im Mittelpunkt.

Das Case Management in Doddendaal vermittelt eine maßgerechte Pflege. Der Case

Manager spielt eine sehr wichtige Rolle in der Ermittlung des Pflegebedarfs der Be-

wohner, stellt das Leistungspaket zusammen, organisiert die Pflege und ist verant-

wortlich für deren Qualität. Kurzum: ein innovatives Pflegekonzept, wobei die Bewoh-

ner weitestgehend selbst bestimmen, welche und wie viel Hilfe sie bekommen. Damit

hat das Modell Doddendaal gezeigt, dass das Case Management dazu beitragen

kann, den Veränderungen und Entwicklungen der Altenhilfe gerecht zu werden.

Bevor ich auf die Auswirkungen dieses Case Management-Projektes in den Niederlan-

den eingehe, gebe ich Ihnen einen sehr kurzen Überblick über die niederländische

Alten- und Pflegepolitik. Die wichtigsten Einrichtungen für Senioren sind die Alten- und

Pflegeheime. Die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen bezahlen einen geringen,

einkommensabhängigen Teil ihrer Aufenthaltskosten selbst. Den anderen Teil bezahlt

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der Staat auf Grund der Sozialversicherung. In den Niederlanden heißt diese: „Gesetz

für Finanzierung besonderer Krankheitskosten“. Die Entscheidung über die Platzver-

gabe erfolgt durch die regionale Begutachtungsstelle. Ende 1996 wohnten in den Nie-

derlanden ca. 113.000 Menschen in einem Heim, dies entspricht 5,4% der Bevölke-

rung ab 65 Jahren – mit einer rückläufigen Tendenz. Für die nächsten Jahre wird ein

weiterer Rückgang der Kapazität erwartet: Im Jahre 2001 werden nur noch 107.000

Ältere in diesen Einrichtungen leben. Seit den 80er-Jahren ist in den Niederlanden die

Popularität von Altenheimen zurück gegangen. Die staatliche Politik ist darauf gerich-

tet, dass ältere Menschen so lange wie möglich im eigenen Haus leben können,

eventuell unterstützt von den ambulanten Pflegediensten. Obwohl die ambulante Pfle-

ge keine besondere Einrichtung für ältere Menschen ist, spielt sie eine immer wichtige-

re Rolle in der Altenhilfe. Ungefähr 85% der Kosten der ambulanten Pflege werden von

der Sozialversicherung gedeckt, die übrigen 15% werden von den Pflegebedürftigen

bezahlt. Jeder Einwohner der Niederlande ist berechtigt, häusliche Pflege und Hilfe zu

beanspruchen. Der Umfang der gebotenen Leistungen ist davon abhängig, wie viel

nicht erwerbmäßige Pflegepersonen (das sind die informellen, familiären und außer-

familiären Helfer) zu Hause Hilfe beisteuern können. Die ambulante Pflege ist daher

als Ergänzung zur bereits vorhandenen Hilfe dieser Pflegepersonen zu verstehen.

Häusliche Krankenpflege und Hilfe stehen jedem zur Verfügung, unabhängig von sei-

nem Alter oder Einkommen. Ca. 5% der Gesamtbevölkerung nehmen die Pflege in

Anspruch, ältere Menschen sind die Haupthilfeempfänger. 1995 erhielten 9% der Se-

nioren Haushaltshilfe und 5% häusliche Krankenpflege. Für die Hochbetagten ab 85

Jahren sind diese Zahlen mit 19% bzw. 14% höher.

Neben den Alten- und Pflegeheimen und den ambulanten Pflegeeinrichtungen gibt es

im Bereich der Altenhilfe noch die Seniorenwohlfahrts-Verbände, die Sozialfürsorge

und die zahlreichen freiwilligen Organisationen. Durch die hohe Anzahl und Vielfalt der

Angebote und Einrichtungen war für die Betroffenen ein unübersichtlicher Markt ent-

standen. Aus diesem Grund hat sich die Politik um Koordinierungsmechanismen be-

müht. Durch mehr Kohärenz wollte man ein adäquateres Pflegeangebot bewirken.

Zuerst mit zentralen Koordinierungs-Instrumenten in den 70er-Jahren, aber in den

80er-Jahren hat man diese Instrumente wieder abgeschafft. Und Mitte der 90er-Jahre

wurde es die Aufgabe der regionalen und lokalen Einrichtungen, ein kohärentes und

zweckmäßiges Versorgungsgeflecht zu realisieren. Wie dies erreicht werden soll, wird

aber in der gesetzlichen Vorlage nicht weiter dargelegt. Trotz und zum Teil gewiss

auch Dank dieser Unklarheit sind in den vergangenen 10 Jahren zahlreiche lokale und

regionale Initiativen angelaufen, in denen sich die Beteiligten um eine kohärente Pfle-

ge und Versorgung bemühen. In vielen Fällen will man dies durch eine bessere Ab-

stimmung zwischen den jeweiligen Einrichtungen erreichen: z.B. mit Protokollen, Ko-

operation, zentraler Anmeldungs- und Begutachtungsstelle. In anderen Projekten steht

nicht das Pflegeangebot, sondern der Pflegebedarf im Mittelpunkt. Und in diesem Zu-

sammenhang wurde zuerst in den Niederlanden von „Case Management“ gesprochen.

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Ich gebe Ihnen nun eine Definition und einen Überblick von Case Management in der

Praxis. In den Niederlanden bezieht sich das Case Management auf das Individuum,

d.h. der individuelle Pflegebedürftige steht im Mittelpunkt. Die Pflege wird organisiert

und umfasst den gesamten Prozess, von der Anmeldung bis zur Abmeldung. Case

Management beschränkt sich auf schwere Formen der Koordinierung. Der Case Ma-

nager ist trägerneutral, d.h. unabhängig von Leistungserbringern und von Pflegekas-

sen. Diese Aufgabe eines Case Managers ist des Weiteren nicht einer bestimmten

Berufsgruppe vorbehalten. In den Niederlanden unterliegt das Case Management be-

züglich der konkreten Ausgestaltung keinen gesetzlichen Regelungen. Aus diesem

Grund kann das Case Management entweder nebenbei oder gesondert ausgeführt

werden: Nebenbei heißt, dass eine der beteiligten Pflegefachkräfte Case Manager

wird. Gesondert heißt, dass jemand ganz und gar für diese Funktion freigestellt wird.

Das kann intern oder extern organisiert sein: Der Case Manager ist Teil des Pflegesy-

stems oder total unabhängig davon. Die Kompetenz des Case Managers kann be-

schränkt oder umfassend sein, d.h. der Case Manager beschränkt sich auf einen Teil

des Pflegespektrums oder ist für alle Komponenten des gesamten Prozesses verant-

wortlich. Seit Ende der 80er-Jahre sind mehrere örtliche Projekte angelaufen, wobei

ein Case Manager, Pflegekoordinator oder Pflegevermittler eine wichtige Rolle spielt.

Ich werde jetzt auf eines dieser Projekte etwas ausführlicher eingehen, das Projekt

Nieuw Doddendaal in Nijmegen. Ich möchte Sie bitten, etwas Geduld zu haben: Ich

muss auch etwas über die Organisation von Nieuw Doddendaal erzählen, sonst kann

ich Ihnen das Konzept des Case Managements nicht richtig darstellen. Ich mache das

aber schnell und kurz.

Die Organisation: Nieuw Doddendaal ist ein Wohnzentrum für ältere Menschen, die für

die Aufnahme in ein Altenheim begutachtet wurden. Es bietet Aufenthalt für bis zu 40

Personen. Die 40 Bewohner von Doddendaal haben ein durchschnittliches Alter von 84

Jahren. Die Pflegebedürftigkeit der Bewohner ist etwas niedriger als der Nijmegener

Durchschnitt. In Doddendaal bekommt der Bewohner im Durchschnitt 77,5 Minuten

Pflege pro Tag, in den anderen Nijmegener Altenheimen liegt dieser bei 92 Minuten

pro Tag. Die Aufenthaltsdauer in Doddendaal beträgt im Schnitt 4,3 Jahre, im Durch-

schnitt aller Heimbewohner sind es 4,6 Jahre. Die Pflege im Wohnzentrum weicht in

vielerlei Hinsicht von traditionellen Pflegekonzepten in Altenheimen ab. Doddendaal

hat keine eigenen Pflegefachkräfte, keinen für Pflege- und Bewohnerangelegenheiten

zuständigen Direktor und keine zentrale Küche. Alle Bewohner haben einen eigenen

Eingang mit eigener Postadresse. Es gibt kein Empfangsbüro und keine Rezeption.

Die täglichen Dienstleistungen werden von einem kleinen Pflegeteam organisiert und

gesteuert. Dieses Team besteht aus zwei Case Managern und fünf Mitarbeitern für

Bewohner- und Verwaltungsangelegenheiten. Alle Mitarbeiter des Pflegeteams arbei-

ten in Teilzeitverhältnissen, 20 – 30 Stunden in der Woche. Das Team untersteht dem

Direktor einer Art „Sozialholding“ von insgesamt fünf Altenheimen der Stadt Nijmegen.

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Sechs Mal im Jahr gibt es eine Arbeitsbesprechung mit der Direktion und einmal im

Monat eine teaminterne Arbeitsbesprechung.

Alle Leistungen in der Seniorenwohnanlage werden von außen bestellt, das betrifft die

Mahlzeiten, die Grund- und Krankenpflege, die hauswirtschaftliche Hilfe, den Nacht-

dienst und die Aktivitätenbegleitung. Die Krankenpflege und -hilfe wird bei einem Ar-

beitskräftepool (AKP) eingekauft. Dieser Pool erbringt auch Leistungen für andere Al-

tenheime der Sozialholding. Der Arbeitskräftepool ist eine Art Ausleih-Firma, die Pfle-

gefachkräfte zur Verfügung stellt. Der Case Manager von Nieuw Doddendaal koope-

riert mit dem Direktor des AKP. Dieser ist für das eingesetzte Personal und für das

Pflegebudget verantwortlich. Der Case Manager ist für den Umfang der Leistungen

verantwortlich; er oder sie erstellt den Pflegeplan. Zusammen sind sie für die Qualität

der Pflege verantwortlich.

Der Case Manager stellt zusammen mit den Bewohnern den Dienstleistungsbedarf

fest – das ist das Assessment. Das wird in einem Dienstleistungsvertrag beschrieben.

Der Case Manager organisiert die Dienstleistung und sorgt dafür, dass Wünsche und

Angebote so gut wie möglich übereinstimmen. Wenn nötig, bespricht er den Dienstlei-

stungsplan mit dem Dienstleistungserbringer. Des weiteren beurteilt er die finanziellen

Konsequenzen des Plans und kontrolliert die Rechnungen der Leistungserbringer. Er

sorgt für die Planung der Leistungen, führt Gespräche mit den Mitarbeitern der

Dienstleistungserbringer und berät sich strukturell mit deren Leitung. Drei bis vier Mal

im Jahr wertet der Case Manager die Dienstleistungen mit den einzelnen Bewohnern

aus. Wenn nötig, führt er Änderungen durch, berät und betreut die Bewohner und ver-

tritt ihre Interessen. Er berät die Bewohner über Fragen, die ihre soziale und persönli-

che Leistungsfähigkeit betreffen. Der Case Manager ist also mit der täglichen Leitung

und Koordinierung der den Bewohnern zu erbringenden Dienstleistungen betraut und

sorgt dafür, dass diese gemäß dem Plan ausgeführt werden. Zudem pflegt er die

Kontakte zu Pflegeheimen, zum Krankenhaus und zu der Familie des Bewohners.

Wichtig in den Niederlanden ist, dass der Case Manager unabhängig ist; er führt seine

Aufgaben weitgehend selbstständig aus und steht ausschließlich dem Bewohner zu

Diensten. Der Inhalt seiner Funktion ist von der Organisation getrennt. Formell ist er

dem zuständigen Holding-Direktor über seine Tätigkeiten rechenschaftspflichtig.

Der Case Manager muss ein Studium an einer sozialpädagogisch ausgeprägten

Fachoberschule oder Fachhochschule absolviert haben. Es werden hohe Anforderun-

gen an seine sozialen und sozialpädagogischen Fähigkeiten gestellt. Zudem muss er

sich in der sozialen Landschaft seines Arbeitsbereiches auskennen. Doddendaal hat

zwei Case Manager: Der eine ist als allgemeine, der andere als psychiatrische Fach-

pflegekraft ausgebildet. Beide arbeiten im Teilzeitverhältnis; zusammen sind sie 24

Stunden in der Woche als Case Manager tätig, dabei betreuen sie 40 Bewohner. Sie

haben ein eigenes Büro im Wohnzentrum und ein Sekretariat. Das Sekretariat wird

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täglich von einer Person geführt, die zugleich Notruffunktion hat und für Informationen

zur Verfügung steht. Ihre Anwesenheit ist von 8.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr garan-

tiert, danach übernimmt der Nachtdienst diese Aufgabe. Die Bewohner können zu je-

der Zeit über das Sekretariat ein Gespräch mit dem Case Manager vereinbaren, feste

Sprechstunden werden aber keine abgehalten. Die Case Manager werden aus dem

Versorgungspflegebudget von Nieuw Doddendaal bezahlt; auch Aus- und Fortbildung

der Case Manager werden hieraus bezahlt.

Jetzt noch etwas über die Methodik und Arbeitsweise der Case Manager, wie das in

der Praxis abläuft. Wenn ein Apartment frei wird, wird der Antragsteller zu Hause vom

Case Manager besucht. Während des Hausbesuches wird ein Beratungsgespräch

über gesundheitliche, pflegerische und sozio-kulturelle Aspekte geführt. Im Mittelpunkt

des Beratungsgesprächs steht die Frage, inwieweit sich der Bewerber noch selbst ver-

sorgen kann und bei welchen Aktivitäten er sich Unterstützung wünscht. Alle Bereiche

werden besprochen: Pflege, Versorgung, hauswirtschaftliche Hilfe, Aktivitätenbeglei-

tung, warme Mahlzeiten, Brotmahlzeiten, Wäsche, Finanzen, familiäre Beziehungen,

soziale Kontakte und die psychische Situation. Es werden keine Ziele gesetzt, es geht

lediglich um die Autonomie und Selbstständigkeit der Betroffenen. Bei diesem Ge-

spräch, wobei auch Familienmitglieder des künftigen Bewohners anwesend sein kön-

nen, wird ein Dienstleistungsvertrag ausgearbeitet und zur Unterschrift vorgelegt. Der

Vertrag sieht vor, welche Dienste der Hilfeempfänger braucht und wer sie erbringen

wird. Vom Direktor erhält der Bewohner einen Mietvertrag. Wie gesagt: Die Versor-

gungs- und Dienstleistungen werden dann in einem Hilfeplan detailliert ausgearbeitet;

hierin steht exakt, wer wann welche Hilfe zu leisten hat. Alle vier Monate wird der Hil-

feplan vom Case Manager und den Bewohnern ausgewertet. Zwischenzeitliche An-

passungen oder Erweiterungen des Hilfeplans sind immer möglich; dies kann auf

Wunsch des Hilfeempfängers selbst erfolgen, aber auch nach klaren Signalen der

Ausführenden an den Case Manager. Familienangehörige reden eigentlich über die

Gestaltung des Dienstleistungsangebots nicht mit. Nur wenn der Bewohner nicht mehr

dazu in der Lage ist, seine Interessen selbst zu vertreten, wird die Familie gefragt.

In Nijmegen wird zurzeit das Case Management aus Nieuw Doddendaal in drei oder

vielleicht vier andere Altenheime implementiert. Diese Altenheime haben sich auch für

ein Pflegekonzept mittels Case Management entschieden. Durch diese Änderungen

wird eine personelle Erweiterung des derzeitig dreiköpfigen Case Manager Teams

notwendig. Auch die weitere Professionalisierung des Case Managers zu einer selbst-

ständigen Beratungsinstanz ist notwendig. Mit dieser selbstständigen Beratungsin-

stanz will man erreichen, dass das Case Management unparteiisch und unabhängig

von der Organisation der jeweiligen Wohnanlagen oder Altenheime funktionieren kann.

Diese Unabhängigkeit soll die inhaltliche Arbeit des Case Managers in Zukunft so weit

wie möglich optimieren.

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Zum Schluss: Nach unserer Auffassung wird sich die künftige Funktion des Case Ma-

nagers zu einer Berater- und Mittlerfunktion entwickeln. Er stellt den Hilfebedarf fest,

sorgt für die Organisation der Dienstleistungen und überwacht deren Qualität. Diese

Beratung muss dazu beitragen, dass immer vom Standpunkt der Pflegebedürftigen

aus die optimale Lösung für die sozialen und funktionalen Probleme gefunden wird.

Bald soll das Case Management-Büro entstehen, das auch räumlich außerhalb der

Wohnzentren liegen wird. Das Büro soll zwar dem zuständigen Holding-Direktor unter-

stellt werden, wird aber in sehr großer Unabhängigkeit seine Funktionen und Aufgaben

erfüllen können. Eine gute Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der ambulanten

Pflege und den Wohlfahrts- und Seniorenverbänden erscheint hierbei unentbehrlich.

Diskussion

Rausch:

Rausch, Koordinierungsstelle Berlin-Spandau. Ich möchte Sie gerne drei Dinge fragen.

Erstens: Wie ist die Kostenregelung gegenüber herkömmlichen Pflegeheimen, sind die

Kosten höher oder vergleichbar oder niedriger? Zweitens: Wie ist die Akzeptanz in der

Bevölkerung; ist es sehr begehrt, dort hinzukommen oder unterscheidet sich das nicht

von anderen Pflegeheimen? Und drittens hätte ich noch die Frage, wenn Sie sagen,

der Case Manager wird aus dem Gesamtbudget bezahlt: Was beinhaltet denn das

Gesamtbudget, entspricht das der Miete?

Ramakers:

Die erste Frage, was die Kosten angeht: Die Kosten sind die Gleichen wie in den an-

deren Altenheimen. Die Wohnanlage besteht seit zehn Jahren, und die Kosten sind

etwas niedriger, aber nicht nennenswert. Die zweite Frage war die Frage zu den Be-

wohnern: Es ist so, dass die Bewohner in Nijmegen ein Altenheim ihrer Wahl angeben

können. Und es ist so – da muss ich ganz ehrlich sein – die Bewohner, die Dodden-

daal wählen, sind etwas weniger pflegebedürftig als die anderen Bewohner der Nijme-

gener Altenheime. Die dritte Frage betraf das Budget: In den Niederlanden bekommt

man von der Regierung ein Budget pro Bewohner in einem Altenheim. Das Budget der

40 Bewohner von Nieuw Doddendaal ist das Gesamtbudget, das Pflegebudget für

Nieuw Doddendaal. Der Case Manager wird aus diesem Pflegebudget finanziert.

Döhner:

Vielleicht noch mal zu den Begrifflichkeiten. Ich denke, wenn wir uns europäisch ver-

ständigen wollen, haben wir manchmal Begriffsprobleme. Ich habe einfach die Frage,

ob Sie, wenn Sie von Altenheimen sprechen, das meinen, was wir unter Pflegeheimen

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verstehen, oder differenzieren Sie wirklich zwischen Alten- und Pflegeheimen? Ein

zweiter Punkt. Ich fand das Modell sehr interessant, dass Sie die Pflegekräfte auslei-

hen. Meine kritische Frage dazu wäre: Die Kritik an Pflegekräften, die wir in Deutsch-

land im ambulanten Bereich erleben, betont ganz deutlich, dass die personelle Konti-

nuität nicht gewährleistet ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt bei der Zufriedenheit der

Kunden. Wenn Sie die Pflegekräfte ausleihen, ist da so etwas wie eine personelle

Kontinuität gewährleistet?

Ramakers:

Meine Antwort auf die erste Frage: Wir haben in den Niederlanden Alten- und Pflege-

heime. Altenheime sind für leicht Pflegebedürftige, die noch im Stande sind, die mei-

sten täglichen Handlungen selbst zu machen. Sie haben nur etwas Unterstützung nö-

tig oder sie fühlen sich zu Hause nicht mehr sicher. Die Pflegeheime sind für schwer

körperlich Behinderte oder leicht geistig Behinderte. Dann haben wir auch noch die

psycho-geriatrischen Pflegeheime. Das sind Heime für schwer geistig behinderte Men-

schen, hauptsächlich mit Demenz-Problemen.

Die zweite Frage zu den Pflegefachkräften: Sie werden von außen gestellt, aber ich

habe von dem AKP erzählt. Das Arbeitskräftepool ist eine Ausleih-Firma, die die Pfle-

gefachkräfte zur Verfügung stellt; aber es ist ein festes Team. Sonst wäre es ja so,

dass die Qualität der Versorgung und die Qualität der Pflege beeinträchtigt würden,

wenn jeden Tag eine andere Hilfe kommen würde.

Ziller:

Ich möchte wegen der Kosten noch mal nachfragen. Sie haben gesagt, wenn ich mich

recht erinnere: Die Kosten in dieser Wohnanlage liegen etwas niedriger als in anderen

Altenheimen. Für deutsche Verhältnisse würden wir radikal unterscheiden, was die

Kostenstrukturen angeht. In einer betreuten Wohnanlage wird Miete bezahlt und Sie

sagten auch, man erhält vom Direktor einen Mietvertrag. Können Sie die Kosten etwas

aufschlüsseln? Wie hoch ist die Miete ungefähr in dieser Wohnanlage, und welche

Kosten kommen noch hinzu? Ist es in der Tat so, dass die Gesamtsumme in der Nähe

der Kosten liegt, die ein herkömmliches Altenheim verursacht?

Ramakers:

Leider kann ich die Frage nicht gut beantworten. Die Bewohner bekommen einen

Mietvertrag, aber sie brauchen die Miete nicht selbst zu bezahlen. Auch die Miete wird

aus dem Pflegebudget finanziert. Wir haben in Holland Planungen, Wohnen und Pfle-

ge zu trennen, aber wir sind damit noch nicht ganz fertig. Wenn ein Bewohner ein

Apartment in Nieuw Doddendaal inklusive aller Pflege mieten soll, wird das bis zu 5000

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Gulden im Monat kosten. Ich habe gesagt, die Kosten sind niedriger im Vergleich mit

den anderen Nijmegener Altenheimen. Das ist ein Ergebnis des Case Managements,

weil das Pflegekonzept mit Case Management die Bewohner anspricht, selbstständig

zu bleiben und zu sein. Deswegen haben die Bewohner in Nieuw Doddendaal pro Tag

nur 77 Minuten Versorgung und Pflege nötig, in anderen Altenheimen 92 – das ist der

Grund, warum es billiger ist. Das Konzept ist etwas billiger, als wenn man Pflegefach-

kräfte, Küche, Wäsche und Saubermachen innerhalb des Hauses organisieren muss.

Teilnehmerin:

Mich hat Ihre Bemerkung mit den individuell maßgeschneiderten Dienstleistungen sehr

gefreut. Denn ich arbeite mit älteren Migranten bei der Arbeiterwohlfahrt, und Stan-

dardpflegepakete würden da eben auch überhaupt nicht passen. Meine Frage ist jetzt

an Sie: Wie ist der Zugang von alten Migranten zu dieser Seniorenwohnanlage?

Ramakers:

Heutzutage ist diese Frage noch irrelevant. Wir haben in Nijmegen viele Immigranten

aus der Türkei, Marokko und Surinam, aber sie bleiben viel länger als die niederländi-

sche Bevölkerung zu Hause wohnen – mit Hilfe ihrer Kinder. Das ist ein großer Unter-

schied, die Hilfe der Kinder ist in den Niederlanden nicht mehr selbstverständlich. Wir

sehen, dass das bei Migranten immer noch sehr wichtig ist.

Engels:

Dazu noch ein kleiner Hinweis: In dem Bericht aus Israel finden Sie diese Problematik

am ehesten aufgegriffen. Denn während bei uns Migranten noch nicht in dem Alter –

oder zumindest erst in kleinen Gruppen – angekommen sind, wo das Problem der

Pflegebedürftigkeit eine große Rolle spielt, sondern sich großenteils noch in den jün-

geren Alterskohorten befinden, ist es in Israel fundamental anders. Da kommen Men-

schen aus anderen Ländern als Immigranten in das Land, die dieses Alter bereits er-

reicht haben, und die Sprachprobleme, kulturelle Probleme usw. haben. Das wird in

diesem Bericht ganz gut aufgearbeitet.

Teilnehmerin:

Ich möchte gerne fragen, inwieweit bei der Auswahl der Case Manager, wenn sie die

Klienten beraten, auch der Wettbewerb der Anbieter von Pflegediensten beeinflusst

wird – ob die eine gewisse Anzahl zur Auswahl haben, oder ob in Doddendaal nur ein

Pflegedienstanbieter empfohlen wird.

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Ramakers:

Das finde ich eine sehr gute Bemerkung, weil ich selber als Evaluatorin finde, dass

dies der negative Aspekt an diesem Wohnzentrum und seinem Case Management-

Konzept ist. Man möchte sehr gerne, dass die Bewohner so viel wie möglich selber

entscheiden können, aber wir haben nur einen Arbeitskräfte-Pool. Sie können also

nicht sagen: Ich möchte gerne vom Roten Kreuz oder vom Weißen Kreuz betreut wer-

den. Nein, die Pflegefachkräfte kommen von einem AKP. Deswegen sage ich, die Ent-

scheidungsfreiheit ist nicht vollständig gewährleistet.

Engel:

Vielen Dank. Ich sehe nun keine weiteren Fragen mehr. Dann kommen wir jetzt zu

Belgien. Dieses Projekt hat sich mit dem Übergang vom Krankenhaus nach Hause

beschäftigt. Ich möchte Frau Ernst bitten, Ihren Beitrag vorzustellen.

5. Die abgesicherte Rückkehr aus dem Krankenhaus in Lüttich (Belgien)Monika Ernst, Case Managerin, Universitätsklinikum Lüttich

Ich möchte mich zunächst vorstellen: Ich heiße Monika Ernst und arbeite im Universi-

tätsklinikum in Lüttich als Case Managerin.

In Belgien sind für alte hilfebedürftige Menschen verschiedene Institutionen vorgese-

hen: Das sind zunächst einmal die Krankenhäuser, die Altenheime und Altenpflege-

heime sowie die häusliche Pflege. Im Jahr 1995 gab es in Belgien 285 Krankenhäuser

mit einem Angebot von etwa 7,34 Betten pro 1.000 Einwohner. Die größten Verände-

rungen im Krankenhauswesen seit 1982 waren, dass die Kostendämpfung eingeführt

wurde und die Krankenhausaufenthalte verkürzt wurden. Man versuchte auch den

akuten Pflegebereich zu bevorzugen, indem man die chronischen Betten reduzierte.

Was die Institutionen angeht, so existieren Altenheime und Altenpflegeheime. Dort gibt

es natürlich Krankenpflege, auch paramedizinische Pflege, d.h. Krankengymnasten,

Logopäden usw. Man versucht dort, die Menschen so lange wie möglich zu begleiten

und ihnen in ihren Aktivitäten des täglichen Lebens so lange wie möglich zu helfen. Die

Anzahl der Betten in diesen Institutionen beträgt 96.465, das entspricht in etwa 9,5

Betten pro 1.000 Einwohner. Auch in diesem Sektor versucht man, die Kosten zu

dämpfen, man hat mittlerweile die Neueinrichtung von Pflegeplätzen gestoppt.

Was die häusliche Pflege angeht: Dort gibt es selbstverständlich Krankenpflege, das

sind meistens Pflegeleistungen, die über einen Pauschalbeitrag finanziert werden; es

werden also Pflegepakete angeboten. Es gibt auch dort paramedizinische Pflege, also

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Krankengymnastik, Logopädie etc., sowie Familienhelferinnen und Haushelferinnen.

Die Familienhelferinnen haben die Rolle, die Lebensqualität der Leute in der eigenen

Wohnung aufrecht zu erhalten, während die Hauspflegerinnen eher für Putzarbeiten

u.ä. zuständig sind. Das Essen kann nach Hause gebracht werden, es gibt außerdem

Alarmsysteme (z.B. Piepser, die die Leute um den Hals tragen, und wenn sie hinfallen

oder wenn sie sich nicht gut fühlen oder wenn ihnen irgendetwas passiert, sind sie

direkt mit einer Telefonanlage verbunden und können so Hilfe anfragen). Tagesklini-

ken sind bei uns natürlich auch in den letzten Jahren im Kommen. Es gibt auch Koor-

dinationszentren, die häusliche Pflege organisieren: Wenn eine ältere Person im Kran-

kenhaus ist und eventuell mehrere Hilfeleistungen zu Hause benötigt, kommen die

Verantwortlichen von den Koordinationszentren in das Krankenhaus und besprechen

die Planung der häuslichen Pflege von mehreren Leistungserbringern.

Zur Zeit läuft in Belgien die Studie über das Case Management. Die Zielsetzung dieser

Studie ist die Vorbeugung von erneuten Krankenhausaufenthalten. Wir versuchen also

zu verhindern, dass ältere Menschen wieder und wieder ins Krankenhaus aufgenom-

men werden – wegen der gleichen Probleme, die man eventuell auch zu Hause behe-

ben kann. Wir versuchen auch, die vorzeitige Aufnahme in ein Altenheim zu verhin-

dern. Außerdem soll die Kontinuität der Pflege durch multidisziplinäre Teams aufrecht

erhalten werden, wenn die Patienten zu Hause sind. Wir versuchen, die Wiederkehr

nach Hause so intensiv wie möglich vorzubereiten – dies ab dem Moment, wo der Pa-

tient ins Krankenhaus aufgenommen wird. Wir versuchen also, dies so früh wie mög-

lich anzugehen.

Die Profile eines Case Managers: Pro Krankenhaus sollte ein Case Manager halbtags

arbeiten. Er sollte 10 – 15 Patienten laufend verfolgen. Es gibt bestimmte Auswahlkri-

terien bei den Patienten: Sie sollten mindestens 60 Jahre alt sein und auch Risikofak-

toren vorzeigen, die eine mögliche Rückkehr ins Krankenhaus indizieren oder eine

frühzeitige Unterbringung in einem Altenheim. Die Qualifikation: Die Case Managerin

sollte entweder Krankenschwester sein, Sozialassistentin oder – wir haben eine zu-

sätzliche Ausbildung in Belgien – soziale Krankenschwester. Drei Jahre Berufserfah-

rung sind wünschenswert, die Motivation muss selbstverständlich da sein, und eine

siebentägige Schulung durch ein Team ist vorgesehen.

Materielle Ausstattung und finanzielle Mittel: Der Case Manager braucht ein Büro, ein

Telefon, ein Fax, vielleicht einen Anrufbeantworter. Die finanzielle Förderung umfasst

BEF 750.000 (brutto), das sind ca. 37.500 DM jährlich, die das belgische föderale Ge-

sundheitsministerium je Halbtagsstelle vorgesehen hat.

Die Hauptschwierigkeiten sind: Die finanziellen Mittel der alten Menschen sind

manchmal nicht ausreichend, um die häusliche Pflege zu bezahlen – sie ist kostspielig.

Oder in manchen Gegenden – ich denke da in erster Linie an die ländlichen Gegenden

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– wird nicht genug häusliche Pflege angeboten, um den Bereich abzudecken, vor al-

lem fehlen Familienhelferinnen und Haushaltshelferinnen. Also manchmal mangelt es

an Mitteln.

Die Aufgaben des Case Managers sind folgende: Er stellt ein Assessment auf, was

das physische, mentale und soziale Wohlbefinden der älteren Leute betrifft. Und – was

sehr interessant ist – er evaluiert auch die Möglichkeiten der Hauptbegleitpersonen.

Damit haben wir in Belgien ganz gute Erfahrungen gemacht, und wir wären auch sehr

interessiert, dazu andere Erfahrungen zu hören. Für uns sind Hauptbegleitpersonen

nicht unbedingt Familienangehörige, das können auch Nachbarn oder Freunde sein,

aber Leute, die in erster Linie mit dem Patienten in Kontakt stehen, und die nicht einer

Pflegeorganisation angehören – das kann also nicht die Krankenschwester sein, die

jeden Tag vorbeikommt. Der Case Manager hat auch die Aufgabe, mit diesen Haupt-

begleitpersonen zu diskutieren, sie auch zu entlasten, damit nicht immer alles an den

gleichen Leuten hängen bleibt. Er stellt im multidisziplinären Team Pflegepläne auf,

d.h. im Krankenhaus zusammen mit den Krankengymnasten, Ärzten, Krankenschwe-

stern, Sozialassistenten, aber auch mit der Familie oder mit den Hauptbegleitpersonen

und dem Patienten selber, wenn er dazu in der Lage ist. Er evaluiert diese Pflegepläne

während des Krankenhausaufenthaltes. Die Entlassung wird in Zusammenarbeit mit

verschiedenen Koordinatoren vorbereitet. Die häuslichen Pflegekräfte, die Kranken-

schwestern, die Krankengymnasten usw. werden vom Case Manager oder von den

Sozialassistenten kontaktiert, noch während der Patient im Krankenhaus ist, und wer-

den gebeten, ins Krankenhaus zu kommen, um dort schon die Entlassung mit vorzu-

bereiten.

Zu zwei Zeitpunkten, 15 Tage und 90 Tage nach der Entlassung, ruft der Case Mana-

ger die Patienten oder die Familien zu Hause an und fragt, ob der Patient wieder in ein

anderes Krankenhaus oder in das gleiche aufgenommen worden ist. Er stellt auch

Nachforschungen an über die häusliche Pflege, die organisiert wurde, als der Patient

das Krankenhaus verlassen hat: Wird sie noch immer in Anspruch genommen?

Kommt die Krankenschwester noch immer zu Hause vorbei? Kommt sie noch immer

genau so oft wie am Anfang? Oder Patienten, die bei ihrer Entlassung keine Pflege

wollten, fragt man, ob das noch immer klappt zu Hause, ob die Pflege nicht doch nötig

wäre.

Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, dass in den ganzen Untersuchungen, die ge-

macht werden, der freie Wille des Patienten immer respektiert wird. Wir wollen keinem

Patienten die Pflege aufzwingen oder sagen: „Sie müssen das jetzt nehmen, das ist

besser für Sie.“ Wenn der Patient nicht an diesem Projekt des Case Management teil-

nehmen möchte, dann braucht er das nicht. Er kann sagen: „Ich möchte da nicht mit

machen, das interessiert mich nicht.“

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Die Resultate: Zeitgleich während der Case Management-Studie ist eine Kontrollstudie

durchgeführt worden. Diese Kontrollstudie hat 469 Patienten beobachtet, die das glei-

che Risikoprofil hatten wie die 365 Patienten, die von einem Case Manager betreut

wurden. Was hat diese Kontrollstudie ergeben? Patienten, die alleine leben, haben

ungefähr ein 5 Mal höheres Heim-Risiko. Das ist soweit nicht erstaunlich. Vor allen

Dingen wenn man die dementen Patienten nimmt: Diese haben ein 2,5 Mal höheres

Risiko, in ein Alten- oder Pflegeheim zu kommen, als andere Patienten. Was aber hier

interessant ist: Die Patienten, die im Krankenhaus nicht von einem Case Manager be-

gleitet wurden, haben ein 1,5 bis 1,6 Mal höheres Risiko, in ein Altenheim zu kommen.

Insofern können wir sagen, dass der Case Manager im Krankenhaus gute Arbeit gelei-

stet hat. Außerdem können wir hinzufügen, dass der Case Manager versucht, die

Kontinuität der Pflegeleistungen zu optimieren. D.h. bei den Patienten, bei denen ein

Case Manager im Krankenhaus war, ist der Hausarzt in 97% der Fälle direkt nach dem

Krankenhausaufenthalt vorbeigekommen, bei den Patienten ohne Case Manager nur

in 78% der Fälle. Das gleiche gilt für den Sozialassistenten, der ist in 17% der Fälle

direkt nach dem Krankenhausaufenthalt vorbeigekommen, bei den Patienten ohne

Case Manager nur in 4% der Fälle usw.

15 Tage später sehen wir noch immer einen Unterschied, der zwar nicht mehr so groß

ist, aber immer noch eine signifikant bessere Versorgung der Patienten mit Case Ma-

nagement als der Patienten ohne Case Management belegt. Was die Rehospitalisie-

rungen angeht, war leider die Anzahl der Patienten, die wieder hospitalisiert wurden, in

den beiden Kategorien nicht hoch genug, um darüber statistisch signifikante Aussagen

machen zu können, also haben wir da leider keine Werte vorzuweisen.

Zurzeit wird diese Problematik in Belgien politisch diskutiert. Das Projekt „Case Mana-

gement“ wird als ein gutes Projekt befürwortet, das weitergeführt werden soll. Man

versucht, die Funktion des Case Managements in einem Krankenhaus fest zu etablie-

ren. Aber das muss vielleicht nicht eine Person sein, die sagt: „Ich bin der Case Mana-

ger“, sondern es sollte eine Philosophie werden, sodass jeder, der im Krankenhaus

arbeitet: die Ärzte, die Krankenpfleger, die Krankengymnasten, die Diät-Assistenten

usw., in diesem Profil arbeiten oder in dieser Funktion arbeiten, um das Case Mana-

gement umzusetzen und zu versuchen, die Leute so optimal wie möglich nach Hause

zu begleiten und die Rehospitalisierungen oder die frühzeitige Unterbringung in Alten-

heimen zu verhindern.

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Diskussion

Teilnehmer:

Ich fand das ganz erfrischend, wie Sie vorgetragen haben. Ich habe jedoch eine Frage

zur häuslichen Pflege: Sie sagten, dass ein Teil getragen wird und ein Teil nicht getra-

gen werden kann, dass viele Leute das Geld – gerade in ländlichen Gegenden – nicht

haben. Wer trägt in solchen Fällen in Belgien die Pflegekosten?

Ernst:

Die Leistungen der Krankenpflegerin werden im Allgemeinen vollständig von der Kran-

kenkasse getragen. Dabei sind die Zusätze, die Patienten zahlen müssen, entweder

ganz gering oder gleich Null. Aber was oft teuer ist in Belgien, sind die Nachtwachen

für Personen, die wirklich nicht alleine bleiben können und vor allen Dingen nachts

Hilfe brauchen. Das ist einkommensabhängig, aber wenn die Renten so niedrig sind –

und es gibt Leute, die haben nur knapp über 1.000 DM Rente, wenn die davon noch

Miete bezahlen müssen, wird es eng – wenn die auch nur 3 oder 4 DM pro Stunde

bezahlen, die Nachtwache aber permanent brauchen, also mindestens 10 Stunden,

dann ist das für sie vergleichsweise teuer. Es gibt zwar Sozialhilfeempfänger, für die

manchmal ein Teil übernommen wird, aber auch nicht alles, und es ist immer noch ein

Teil, der offen bleibt. Das muss also dann vom Patienten selber bezahlt werden. Wenn

da keine Sozialhilfeunterstützung aufkommt und die Kinder es auch nicht bezahlen

können, dann ist das ein Problem. Die Erfahrung, die ich gemacht habe, zeigt auch,

dass die Kostenfrage für den Patienten sehr relevant ist: Wird es zu teuer, gehen viele

lieber ins Heim.

Döhner:

Einmal würde mich natürlich brennend interessieren, wie der politische Wille zur Eta-

blierung einer Case Management-Philosophie umgesetzt wird. Und die zweite Frage:

Können Sie noch etwas zu Ihren Erfahrungswerten in der Zusammenarbeit zwischen

Case Managerin oder Case Manager, Sozialarbeiter und Koordinationsstelle sagen.

Gibt es da Probleme, oder lief das reibungslos?

Ernst:

Um Ihre zweite Frage erst mal zu beantworten: Ich persönlich habe keine schlechten

Erfahrungen gemacht. Ich bin nicht Sozialassistentin, ich bin von der Basisausbildung

her Krankenpflegerin. Jeder hat seinen Aufgabenbereich, und am Ende legen wir die

Untersuchungsergebnisse zusammen und diskutieren in der Gruppe. Es gibt wöchent-

liche Versammlungen mit dem Personal der Krankenpflegestationen, den Ärzten, den

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Sozialassistenten, jeder bringt dort ein, was er herausgefunden hat. Das klappt soweit,

und ich glaube, auch in anderen Krankenhäusern treten keine wirklich großen Proble-

me auf.

Was die politische Tendenz betrifft: Wir haben in Belgien seit Juni eine neue Regie-

rung und wir nehmen an, dass die Orientierung darauf hinaus läuft, dass man eine

Funktion definieren will, die zwischen Krankenhaus und häuslicher Pflege eine engere

Zusammenarbeit fördert. Deshalb ist die Studie auch verlängert worden, ursprünglich

sollte sie zum 31. Dezember beendet werden. Wir warten hier noch auf eine endgülti-

ge Entscheidung.

Tellier:

Ich möchte Ihnen für die Frage über soziale Dienste und Case Manager danken, weil

wir dieses Problem tatsächlich in einigen Krankenhäusern antreffen, wenn die dortigen

Sozialdienste denken, das Case Management sei Ihre Aufgabe. In unserer Konzeption

ist die Rolle des Case Managers umfassender, als lediglich interdisziplinäre Teams

anzuregen, die Beteiligung stärker spezialisierter Fachkräfte wie Logopäden, Physio-

therapeuten etc. zu fördern, um den Patienten wirklich zu helfen, unter guten Bedin-

gungen zurück nach Hause zu gehen. Lassen Sie uns also den sozialen Aspekt bei

den sozialen Diensten belassen, aber es ist nicht wirklich eine Konkurrenz. Das Pro-

blem war, dass die sozialen Dienste in Belgien keinen eindeutigen Status in den Kran-

kenhäusern haben. Dies war eine der Schlussfolgerungen unserer Studie, dass wir

unsere Regierung anregen mussten, den sozialen Diensten einen klareren Status zu

geben.

Engel:

Gibt es sonst noch Fragen an Frau Ernst zum belgischen System der Überführung

vom Krankenhaus nach Hause? Ich sehe derzeit keine mehr. Dann hätte ich noch eine

Frage zur Einbeziehung der Hauptbegleitperson. Wenn die Patienten zu Hause sind,

ist es relativ einsichtig, wie die Hauptbegleitpersonen eingebunden werden, weil man

sie in der Regel hier zu Hause findet. Jetzt liegt der Patient aber im Krankenhaus: Wie

kommt man dann an die Hauptbegleitperson heran?

Ernst:

Das sind hauptsächlich die Leute, die den Patienten im Krankenhaus besuchen kom-

men. Ein Beispiel: Eine Patientin hatte zwei Kinder. Ein Kind war permanent im Kran-

kenhaus, hatte die Zeit ins Krankenhaus zu kommen etc., das andere Kind war nie da

oder nur abends mal um 20.00 Uhr. Dann war für mich die Hauptbegleitperson das

Kind, das häufig im Krankenhaus war. Ich habe mit dieser Person gesprochen und

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habe gesagt: „Wie sieht das zu Hause aus? Kümmern Sie sich um sie? Was machen

Sie? Wird das nicht zu viel?“ Wir haben Fragebögen, die wir auch mit den Hauptbe-

gleitpersonen durchgegangen sind, nicht nur mit den Patienten. Da stellte sich relativ

schnell heraus: Hat die Person die Zeit, das auf sich zu nehmen? Schafft sie es auch

physisch und vom Geist her, das weiter zu machen? Oder kann man diese Person

nicht als Hauptbegleitperson zählen? Das wurde im Krankenhaus sehr gut deutlich.

Engel:

Vielen Dank für den Beitrag aus Belgien. Wir kommen nun zu unserem letzten Beitrag

für heute. In Luxemburg wurde zum 1. Januar 1999 die Pflegeversicherung eingeführt.

Im Zuge dieser Einführung der Pflegeversicherung wurde auch ein System des Case

Management implementiert. Man steht damit noch an den Anfängen. Ich möchte nun

Frau Schoellen um Ihren Beitrag aus Luxemburg bitten.

6. Case Management als Aufgabe der Pflegeversicherung in LuxemburgChristiane Schoellen, Referentin in der Bewertungs- und Orientierungsstelle der

Pflegeversicherung, Luxemburg

Ich möchte mich auch kurz vorstellen: Ich bin psychiatrische Krankenpflegerin und

arbeite in der Bewertungs- und Orientierungsstelle in der Pflegeversicherung in Lu-

xemburg. Ich bin verantwortlich für die Koordination der Anträge.

In Luxemburg ist das Case Management in einem multidisziplinären Team verankert,

welches sich aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Beschäftigungstherapeuten,

Bewegungstherapeuten, Krankenpflegern, psychiatrischen Krankenpflegern und An-

gestellten zusammensetzt. Die gesamte Evaluation, die Aufstellung des Pflegeplans

und die Kontaktaufnahme zu Pflegeheimen, spezialisierten Tagesstätten und Pflege-

Netzwerken erfolgt über diese Begutachtungs- und Orientierungsstelle der Pflegever-

sicherung. Die pflegebedürftige Person hat die Möglichkeit, während des ganzen Pro-

zesses mit ihren persönlichen Referenten an dieser Stelle Kontakt aufzunehmen.

Sämtliche neue Gutachten und Abänderungen des Pflegeplanes erfolgen über den

Referenten.

Ich möchte Ihnen heute den Stellenwert von Beratung und Case Management in der

luxemburgischen Pflegeversicherung vorstellen. Die Beratung findet sowohl vor der

Antragstellung, als auch während der Evaluation und der Erstellung und Ausführung

des Pflegeplanes statt. Ich möchte anfangs auf die Aktivitäten eingehen, die direkt von

der Pflegeversicherung übernommen werden und auch als Sachleistungen bezahlt

werden. Sie erfolgen in einem begrenzten Zeitraum, d.h. innerhalb der ersten zwei

Monate nach der Erstellung des Pflegeplans. Das Ziel ist das Anbieten einer Beratung,

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damit eine effiziente und adaptierte Pflege und Hilfe zu Hause gewährleistet werden

kann. Die Beratung bezieht sich sowohl auf die pflegebedürftige Person als auch auf

die informelle Hilfe und wird von den Pflegeinstitutionen, den Netzwerken und den Mit-

arbeitern der Bewertungs- und Orientierungsstelle der Pflegeversicherung erbracht.

Die beratenden Leistungen im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens umfassen

die Ernährung und die Körperpflege, die Mobilität, die Bewegungen, Positionswechsel,

Lagerungen und müssen alle von einem Beschäftigungs- oder Bewegungstherapeuten

erbracht werden. Das Anrecht auf technische Hilfsmittel, wie Gehgestell, Rollstuhl,

Treppenlift, spezielles Material zum Essen, Trinken, An- und Auskleiden, Körperpflege,

wird auch durch den Beschäftigungs- oder Bewegungstherapeuten festgelegt und ge-

schieht mittels spezieller Gutachten. Die Anleitung zum korrekten Benutzen dieser

technischen Hilfsmittel erfolgt auch über diese Form der Beratung.

Eine andere wichtige Aktivität im Bereich der Beratung ist die unterstützende Kommu-

nikation. Diese Leistung wird ausschließlich von einem Psychologen übernommen und

richtet sich an Personen, welche ein Problem haben, sei es physischer, psychischer

oder sozialer Natur, und dies nicht mehr selbst in den Griff bekommen. Das Ziel ist,

einer aktuellen Problematik entgegen zu wirken sowie die Verbesserung der psycho-

motorischen Funktionen, das Aufrechterhalten der sozialen Beziehungen, die Unter-

stützung in der Suche nach Problemlösungen, eine realitätsbezogene Orientierung,

das Aufrechterhalten und Fördern der Sensibilität, das Erlernen und Mitteilen von Ge-

fühlen, die Stimulation des Gedächtnisses zu erreichen. Die Beschreibung dieser Lei-

stung ist die korrekte Information zur aktuellen Situation, das Lernen, den Verlust von

Autonomie zu akzeptieren und sich dem entsprechend anzupassen, sämtliche Kom-

munikationstechniken – z.B. das Verstehen von Botschaften oder das Überbringen von

Botschaften – erlernen, mit Kommunikationsmitteln umzugehen, auch das Wissen, das

Umsetzen von Wissen und Erlerntem. Das Gutachten erfolgt auch durch den Psycho-

logen.

Eine weitere Beratung ist die Beratung der informellen Helfer. Diese Form der Bera-

tung wird von einem multidisziplinären Team geleistet; das kann auch der Kranken-

pfleger, der psychiatrische Krankenpfleger sowie der Psychologe, Bewegungs- oder

Beschäftigungstherapeut oder der Sozialarbeiter sein. Die Klientel ist der informelle

Pfleger, beispielsweise Familienangehörige oder auch befreundete Personen. Hier

kann der Beratungsbedarf zunächst dadurch gegeben sein, dass der Helfer nicht hin-

reichend über alle Möglichkeiten der Unterstützung informiert ist. Es kann aber auch

sein, dass er den physischen oder psychischen Zustand der pflegebedürftigen Person

über- oder unterbewertet; auch wenn er Schwierigkeiten hat, sich an die Situation oder

an den Verlust der Autonomie anzupassen; auch wenn der Psychologe merkt, dass die

Beziehung zwischen pflegebedürftiger Person und informeller Hilfe nicht mehr zufrie-

den stellend ist; die Schwierigkeiten, eine angepasste Haltung oder adäquate Kommu-

nikation zur Krankheit oder zum Handicap aufzubauen. Das Ziel ist die Entwicklung

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von Verständnis gegenüber der Krankheit oder dem Verlust der Autonomie, die Prä-

vention von Komplikationen, die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person in den Vor-

dergrund zu stellen, das Anpassen der Gewohnheiten an die Grenzen des Machbaren

oder des Möglichen, konkrete Lösungen zu finden, die angepasst sind an die Bedürf-

nisse, damit auch die Lebensqualität wieder im Vordergrund steht. Es handelt sich

hierbei um Edukation, Information über die aktuelle Situation oder die Evaluation der

Krankheit oder der Diffizienz, Beratung über die Aktivitäten des täglichen Lebens, Be-

ratung über spezifische Maßnahmen, die konkrete Benutzung von Hilfsmitteln, das

Erlernen, mit der neuen Situation zu leben – mit der Krankheit oder mit dem Verlust

der Autonomie –, die Erstellung der Pflegeplanung zu Hause, die Aufteilung der Geld-

und Sachleistungen.

Anhand der Informationen aus den Gutachten, d.h. den medizinischen Gutachten, den

Gutachten des Grundevaluators und eventuell auch den psychologischen Gutachten,

wird ein Pflegeplan erstellt und anschließend in Geld- und Sachleistungen aufgeteilt.

Der Referent erstellt hierzu einen Vorschlag und schickt diesen an die pflegebedürftige

Person und an das Netzwerk, welche dann gemeinsam mit der informellen Hilfe über

diesen Vorschlag beraten. Diese Proposition kann umgeändert werden, d.h. Sachlei-

stungen und Geldleistungen dürfen umgelagert werden, aber es dürfen keine zusätzli-

chen Leistungen festgehalten werden, da diese bereits über das gesamte Assessment

aufgelistet wurden. Bei der Evaluation wird die pflegebedürftige Person auch über die

entsprechenden Netzwerke beraten und muss sich dann auch für ein Netzwerk ent-

scheiden. Wird der Vorschlag angenommen, muss er von beiden Partnern unter-

schrieben an den Referenten zurück geschickt werden. Kommt es zu keiner Einigung,

so wird nach Rücksprache eine neue Aufteilung vorgenommen. Oder aber die Auftei-

lung erfolgt an einem gemeinsamen Tisch, zusammen mit dem Koordinator des Netz-

werkes – dies ist immer ein Krankenpfleger – mit der informellen Hilfe, der pflegebe-

dürftigen Person und dem Referenten.

Anfangs, als die Pflegeversicherung in Kraft trat, war vorgesehen, dass dieser Prozess

immer so abläuft, dass die Aufteilung der Geld- und Sachleistungen gemeinsam mit

der pflegebedürftigen Person, dem Netzwerk, der informellen Hilfe und dem Referen-

ten erfolgt. Da aber mittlerweile über 10.000 Anträge eingegangen sind, haben wir das

nicht mehr geschafft. Wir haben die Prozedur umgeändert, sodass wir jetzt Vorschläge

machen und diese verschicken. Die Leute setzen sich dann ohne den Referenten zu-

sammen, d.h. der Referent erscheint nur, wenn keine Einigung gefunden wird zwi-

schen der Aufteilung von Geld- und Sachleistungen. Erst wenn sich alle Beteiligten

einig sind oder einen Konsens gefunden haben, wird die Aufteilung der Leistungen in

den Pflegeplan integriert und an die Union der Krankenkassen weitergeleitet.

Die Orientierung in eine Pflegeinstitution ist eine weitere Aufgabe des multidisziplinä-

ren Teams. Schon während der Evaluation werden sämtliche Informationen gesam-

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melt, die zur Aufnahme in eine Pflegeinstitution unerlässlich sind. Die Einführung der

Pflegeversicherung brachte mit sich, dass die Leute ein Recht auf eine spezialisierte

Tagesstätte von maximal 48 Stunden in der Woche haben, und auch das Anrecht auf

eine carte à domicil (wenn eine Person ganztägig betreut werden muss, also nicht al-

leine gelassen werden kann, kann der informelle Helfer bis zu 12 Stunden professio-

nelle Unterstützung bekommen, in denen er sich von zu Hause entfernen kann). Diese

Leistungen entlasten die informelle Hilfe und geben auch dieser Person wieder die

Möglichkeit, sich aktiv zu beschäftigen. Die Erstellung der Aufnahmeliste wird vom

Sozialarbeiter der Begutachtungs- und Orientierungsstelle gewährleistet. Er kollabo-

riert hierzu mit den Sozialarbeitern aus den Akut-Krankenhäusern und den verschie-

denen Regionen und steht in ständigem Kontakt mit den Pflegeinstitutionen, welche

die nicht belegten oder frei gewordenen Betten innerhalb von 10 Tagen bei der Begut-

achtungsstelle melden müssen. Vor der Einführung der Pflegeversicherung war diese

Liste eher präventiv und wurde vom Gesundheitsministerium geführt. Heute aber ste-

hen auf dieser Liste nurmehr Personen, welche sofort in ein Pflegeheim aufgenommen

werden müssen. Priorität zur Aufnahme in eine Pflegeinstitution haben die Personen,

welche in Akut-Krankenhäusern sind und demnächst nicht mehr von den Krankenkas-

sen getragen werden; auch Personen mit über 24,5 Stunden Pflege in der Woche, das

sind nur Pflegen im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens; Personen, bei wel-

chen die eigene Sicherheit oder die des Umfeldes in Gefahr ist, auch Personen die

über 24 Stunden (am Tag), d.h. dauernd, Pflege brauchen, oder Personen, die man

nicht mehr allein lassen kann; oder aber auch Personen in solchen Situationen, wo

man merkt, dass die informelle Hilfe nicht gewährleistet ist. Eine letzte Priorität ist die

Unmöglichkeit, die Wohnung anzupassen. In Luxemburg wurde vor drei Monaten die

Unterstützung bei der Anpassung der Wohnung eingeführt. Dazu wurde ein sehr hoher

Betrag angesetzt: In Luxemburg kann man bis zu 45.000 DM zur Anpassung der

Wohnung bekommen. Also nur Personen, wo das nicht möglich ist, kommen auch auf

die Prioritätenliste.

Eine weitere wichtige Beratungsstelle ist die Telefonleitung der Begutachtungs- und

Bewertungsstelle. Diese Hot-Line funktioniert von montags bis freitags von 8.30 Uhr

bis 12.00 Uhr und von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Jede interessierte Person erhält hier

sämtliche Informationen über die Pflegeversicherung, die Leistungen, die Anträge, den

Bearbeitungsstand des betreffenden Dossiers, erhält auch hier die direkte Beratung

über den Referenten, Beratung von sämtlichen Mitarbeitern. Wenn eine Person anruft

und ganz konkrete Hinweise haben will zu technischen Hilfsmitteln, dann wird sie so-

fort an den Beschäftigungs- oder Bewegungstherapeuten weiter verbunden. Es war

aber so, dass diese Leitung seit Anfang des Jahres dauernd überlastet war. In der

Zwischenzeit wurde auch im Familienministerium eine weitere Informationsleitung ge-

schaffen: das Seniorentelefon. Die Leute, die diese Hot-Line bedienen, wurden auch

von unseren Mitarbeitern in der Pflegeversicherung informiert und weitergebildet.

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Die individuelle Begleitung für Personen, die zu Hause betreut werden: Ich hatte an-

fangs gesagt, dass die beratenden Aktivitäten für eine begrenzte Dauer eingesetzt

werden, d.h. für maximal zwei Monate. Wenn sich aber nach zwei Monaten heraus-

stellt, dass man das gesetzte Ziel bei der Person nicht erreicht hat, dann wird diese

Leistung umgewandelt in eine individuelle Begleitung und kann für einen unbegrenzten

Zeitraum fortgesetzt werden.

Die spezialisierte Tagesstätte bietet auch Formen von Beratung an. Die meisten spe-

zialisierten Tagesstätten arbeiten schon mit der Lebensbiografie der pflegebedürftigen

Personen.

Im stationären Bereich werden die beratenden Aktivitäten auch entweder individuell

oder in Form von Gruppen angeboten. Bei diesen beratenden Aktivitäten und unter-

stützenden Maßnahmen haben die Leute ein Anrecht auf maximal 12 Stunden in der

Woche.

Diskussion

Engel:

Vielen Dank. Es ging gerade ein Raunen durch den Saal, als Sie den Zuschuss zur

Wohnraumanpassung erwähnten. An manchen Dingen merkt man, dass es Luxem-

burg ökonomisch doch sehr gut geht. Gibt es Fragen zu dem Beitrag von Frau Scho-

ellen?

Ziller:

Gibt es Untersuchungen über Kosteneinsparungen durch dieses Angebot bei der Pfle-

geversicherung? Denn ich denke, dass die Pflegeversicherung diesen Dienst ja nicht

nur aus purer Menschenfreundlichkeit aufgebaut hat.

Schoellen:

Die Leistungen, die direkt von der Bewertungs- und Orientierungsstelle erbracht wer-

den, werden direkt vom Staat finanziert. All die anderen Leistungen werden von der

Pflegeversicherung übernommen. Bis jetzt wurde jedoch noch nicht konkret von Ein-

sparungsmaßnahmen geredet, da die Leute, die einen Antrag gestellt haben, noch

nicht alle begutachtet sind. D.h. im Moment haben wir noch immer ein Loch, wir haben

keine konkreten Berechnungen.

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Engel:

Ich denke, das muss man noch ein bisschen abwarten. Denn Sie sind in Luxemburg

noch sehr mit der Bearbeitung der zahlreichen Anträge beschäftigt – wie gesagt: die

Pflegeversicherung ist ja gerade mal vor einem Jahr eingeführt worden, und seitdem

werden jetzt die Anträge bearbeitet.

Teilnehmerin:

Mich würden die Impulse interessieren, die dazu geführt haben, dass Case Manage-

ment in die Pflegeversicherung implementiert wurde, dass man auf politischer Ebene

diesen Ansatz gewählt hat. Gab es Voruntersuchungen, oder aus welchem Grund ha-

ben Sie erreicht, dass diese Elemente – wie z.B. psychologische Beratung und Unter-

stützung – berücksichtigt wurden?

Schoellen:

Bevor das Gesetz ausgearbeitet wurde, wurden zwei Studien durchgeführt. Wir haben

uns auf ein Modell berufen, das seit 10 Jahren in Kanada gut funktioniert. Da haben

auch diese Aspekte eine Rolle gespielt, die wir in der Pflegeversicherung übernommen

haben. Aber ich muss schon sagen: Die ganze Kommunikation, die Bemühungen, dies

in die Pflegeversicherung mit hinein zu bekommen, waren schon ein harter Brocken,

das war nicht so einfach.

Teilnehmerin:

Ich habe noch eine Frage zum luxemburgischen System: Wird die gesamte Pflege von

der Pflegeversicherung finanziert, oder muss der Pflegebedürftige einen Teil der Pfle-

ge auch selber bezahlen?

Schoellen:

Sobald der Pflegebedürftige mehr als 3,5 Stunden Pflege in der Woche braucht, wird

die gesamte Pflege von der Pflegeversicherung übernommen. D.h. zu Hause pro Wo-

che 24,5 Stunden im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens, aber auch 12 Stun-

den unterstützende Maßnahmen, maximal 4 Stunden hauswirtschaftliche Leistungen

und dann die beratenden Aktivitäten. Im stationären Bereich sind das 31,5 Stunden

Pflege in den Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Anträge in den Institutionen sind

alle bearbeitet, und da ist keiner dabei, der mehr als 31,5 Stunden benötigt. In den

Institutionen ist alles abgedeckt.

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Aber wir sind im Moment im Begriff, den ganzen Bereich der Behinderung zu evaluie-

ren. Da merkt man, da werden jetzt Löcher entstehen. Da setzen sich auch schon Ar-

beitsgruppen zusammen, damit man anschließend weiß, was noch vom Staat getra-

gen werden muss. Denn das wird nicht alles abgedeckt, das ist jetzt schon klar.

Engel:

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann möchte ich mich ganz herzlich bei den Refe-

renten des heutigen Nachmittags bedanken; natürlich auch beim Auditorium.

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Teil CCase Management in Deutschland –Konkrete Schritte zur Umsetzung

1. Zum Stellenwert des Case Management in der Politik des Bundesministe-riums für Familie, Senioren, Frauen und JugendMinR Rudolf Herweck, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und

Jugend

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte heute, nachdem gestern die Er-

fahrungen einzelner europäischer Länder dargestellt wurden, einige Ausführungen

darüber machen, wie wir konkrete Schritte unternehmen, um das Case Management in

Deutschland umzusetzen.

Ich will ein einfaches Beispiel in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen. Viel-

leicht auch, um gerade den ausländischen Gästen noch einmal unsere spezifisch

deutschen Probleme zu erläutern, dass wir nämlich auf Grund dieses sehr zersplitter-

ten Systems, was sowohl die Kostenträger als auch die Leistungserbringer anbelangt,

häufig bereits bei einfachen Sachlagen Schwierigkeiten bekommen:

Nehmen wir an, eine ältere Dame erleidet in Folge nicht ausreichender Flüssigkeits-

aufnahme, also so genannter Austrocknung – das ist schon eine Frage, warum so

etwas zu Stande kommen kann – einen Schlaganfall. Der berufstätige Sohn kann

rechtzeitig eine Krankenhauseinweisung veranlassen. Nach Abschluss der Kranken-

hausbehandlung stellt sich die Frage: Kann diese ältere Dame, trotz körperlicher Be-

schwerden, in ihre Wohnung zurückkehren, oder muss sie in ein Pflegeheim umzie-

hen? Oder gibt es Zwischenformen wie eine Rehabilitation in der Kurzzeitpflege oder

einen Umzug in eine Service-Wohnanlage?

In einem detaillierten Assessment, das haben wir gestern ja bereits durchdekliniert,

wäre jetzt zu klären, welche Art der Hilfe und Pflege diese Dame genau benötigt.

• In welchem zeitlichen Umfang und wie häufig pro Tag oder Woche wird diese Hilfe

benötigt?

• Was muss in der Wohnung und in der Wohnungseinrichtung verändert werden, um

die Haushaltsführung zu erleichtern, aber auch um das Risiko von Stürzen usw. zu

verhindern?

• Wer kann die benötigte Hilfe leisten?

• Sind Angehörige in der Lage, einen Teil der Hilfen zu übernehmen und in welchem

Umfang?

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• Welcher professionelle Pflegedienst bietet die benötigten Leistungen an?

• Gibt es neben Familienangehörigen und professionellen Pflegern auch Ehrenamtli-

che – was ja gestern auch in der Diskussion intensiv behandelt wurde –, die bereit

sind, einen Teil der Hilfe zu übernehmen?

Für unser Thema ergeben sich daraus die folgenden Fragen:

• Folgen die einzelnen Hilfeleistungen einem Pflegekonzept, oder sind sie nur nach

dem Erfordernis einer schnellen Hilfe zusammengestellt?

• Gibt es einen Hilfeplan für die ältere Dame, und wie wird dieser überprüft? Oder

muss der Hilfeplan an eine veränderte Situation angepasst werden?

• Wie können die einzelnen Hilfeleistungen finanziert werden? Bei welchen Lei-

stungsträgern? Das ist bei uns sehr kompliziert: Wir haben die Pflegeversicherung,

wir haben Sozialhilfe, wir haben Wohngeld, wir haben medizinisch-pflegerische

Leistungen nach SGB V, wir haben auch in anderen Gesetzen noch Leistungen.

Also: Bei welchen Leistungsträgern müssen Anträge auf Finanzierung gestellt wer-

den?

Sieht man die Gesamtheit der pflegerischen, organisatorischen und rechtlichen Fra-

gen, die von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen (soweit es diese gibt) zu

klären sind, so wird deutlich, in welchem Informationsdilemma sich die Betroffenen

befinden. Hinzu kommt ein zeitliches Dilemma, das häufig dazu führt, dass mögliche

Alternativen zur stationären Pflege nicht genügend geprüft werden. Nicht selten ist der

Fall, dass Ärzte im Krankenhaus eher beiläufig eine Bemerkung machen wie: „Die

muss jetzt ins Pflegeheim“. Damit ist auf Grund unserer Situation oft der Weg vorge-

zeichnet, den diese ältere Dame dann gehen müsste. Die Angehörigen betrachten die

Ärzte natürlich als Personen, die es wissen müssen – als Autoritäten. In einer Situati-

on, in der sie selber die Möglichkeiten nicht überblicken, ergreifen sie natürlich sehr

gerne diesen Rat. Auf Grund solcher Bemerkungen und begleitet durch die Tatsache,

dass die Betroffenen überfordert und hilflos sind, scheint ein Umzug ins Heim also

unvermeidlich und wird beschlossen, obwohl dies eine nicht unbedingt gewünschte

Lösung ist, obwohl es vielleicht sogar die teuerste Lösung ist. Es ist natürlich für den

älteren Menschen unbefriedigend, wenn er seine gewohnte Wohnung aufgeben und

sich auf die Routinen in einem Heim einstellen muss.

Natürlich wird in vielen derartiger Fälle die richtige Lösung, die richtige Hilfe gewählt

und auch erbracht werden, aber wenn dies bei uns geschieht, dann ist es meist der

Initiative Einzelner zu verdanken, oder es passiert im Rahmen von Programmen oder

von Modellprojekten. Wir werden ja im Anschluss einige dieser Modellprojekte kennen

lernen, die leider nicht flächendeckend und nicht regelhaft sind.

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Ich denke, gestern ist Eines klar geworden: Eine ausschlaggebende Frage im Hinblick

auf die Stabilität der Case Management-Struktur ist ihr politischer Stellenwert, der sich

jedenfalls für Deutschland – weil wir ja ein sehr verrechtlichtes Land sind – in ent-

scheidender Weise am Entwicklungsstand gesetzlicher Verankerungen bemisst. Ich

möchte deshalb im Folgenden einige Ausführungen zum Stand der Umsetzung ma-

chen.

Case Management hat, wenn wir einmal über den Tellerrand schauen, als Methode

bereits in viele soziale Bereiche Eingang gefunden. Denken wir an den Bereich der

Jugendhilfe: Mit unserem neuen Kinder- und Jugendhilferecht sind wir eigentlich an

diesem Punkt schon weit gekommen. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz ist uns ein

Philosophiewechsel gelungen – weg von einer bruchstückhaften Versorgung hin zu

vernetzten Strukturen und zu integrierter Leistungserbringung. Wir haben also gute

Erfahrungen in der Jugendhilfe mit der Erstellung, Umsetzung und Erfolgskontrolle

fallbezogener Hilfepläne nach §36 Kinder- und Jugendhilfegesetz gemacht.

Auch in die Eingliederungshilfe von Behinderten hat das Case Management verstärkt

Eingang gefunden. Im Rahmen der Eingliederungshilfe ist der Hilfeplan gesetzlich ver-

ankert. Ich betone das „gesetzlich verankert“, ich habe den Eindruck, dass es oft auch

bei dieser gesetzlichen Verankerung bleibt, aber dass in vielen Fällen die Umsetzung

dieser rechtlichen Vorschrift ausbleibt.

Im Bereich des Gesundheitswesens soll dem Hausarzt als Case Manager eine ver-

gleichbare Schlüsselposition zukommen. Dazu gibt es natürlich eine Reihe von Vorar-

beiten im politischen Bereich, auch in unserem Ministerium, ich denke etwa an das

Modellprojekt PAGT (Projekt ambulantes gerontologisches Team). In diesem Vorha-

ben ging es zum Thema der Netzwerkhilfe um drei Schwerpunkte: Nämlich um die

Verzahnung zwischen Gesundheits- und Sozialwesen, was im Grunde in Deutschland

unser zentrales Problem ist. Zu allen Koordinierungsproblemen, die wir haben, kommt

hinzu, dass zwischen zwei zentralen, für ältere Leute bedeutsamen Systemen ein tie-

fer Graben besteht, weil beide Systeme auf ganz verschiedenen Grundlagen beruhen:

hier staatliche Finanzierung, dort Beitragsfinanzierung. Damit haben wir ganz unter-

schiedliche Akteure, die auch nach ganz unterschiedlichen Philosophien vorgehen.

Diese beiden Systeme miteinander zu verbinden, ist für sich schon ein großes Pro-

blem. Weitere Schwerpunkte waren die Kooperation zwischen ambulanten, teilstatio-

nären und stationären Bereichen und die Verknüpfung verschiedener professioneller

Hilfen mit den Potenzialen der Selbsthilfe und der so genannten Laienhilfe – also alles

Themen, die auch gestern schon behandelt wurden. Die Kombination von Case und

Care Management im Sinne einer sich gegenseitig stützenden einzelfall- und gemein-

wesenorientierten Zusammenarbeit machte die besondere Qualität dieses PAGT-

Ansatzes aus. Ich denke, dass sich dieser interdisziplinäre Teamansatz zwischen

Hausarzt, Patientenbegleiterin – das ist eine besondere Figur im Rahmen dieses Pro-

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jektes – und Einbeziehung anderer Dienste nach Bedarf bewährt hatte. Allerdings ist

uns keine Überleitung in die Regelversorgung wegen fehlender finanzieller Mittel ge-

lungen. Ich denke, die Erkenntnis, die wir aus diesem Projekt gewonnen haben, kann

man auf den Punkt bringen, dass wir im Augenblick bei den restriktiven Vorgaben, was

Kosten bzw. Haushaltsmittel anbelangt, nur weiterkommen können, wenn wir im Rah-

men schon vorhandener Strukturen denken.

Natürlich, und das kommt hinzu, braucht die Entwicklung solcher Prozesse Zeit. Als ich

meinen Dienst im Bundesministerium – damals „für Jugend, Familie und Gesundheit“ –

aufgenommen habe, hat mir ein sehr versierter, netter, älterer Kollege gesagt: „Von

dem Augenblick an, wo ein Problem erkannt ist, bis zu dem Augenblick, wo die Lösung

dieses Problems im Bundesgesetzblatt steht, bedarf es 14 Jahre.“ Wie er gerade auf

die Zahl 14 gekommen ist, weiß ich nicht, aber die Dimension stimmt. Wenn wir uns

das bereits erwähnte Kinder- und Jugendhilfegesetz anschauen: Von Beginn bis zur

Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt dauerte es etwa 15 Jahre. Wenn wir uns die

leidvolle Geschichte der Pflegeversicherung anschauen, dann waren es im Grunde 20

Jahre von dem Augenblick an, als das Kuratorium Deutsche Altershilfe damals das

erste Gutachten zu diesem Thema erstellt hat bis zu dem Augenblick, wo das Pflege-

versicherungsgesetz (das spätere SGB XI) im Bundesgesetzblatt stand. Es könnte

also gut sein, dass wir uns in diesem Zeitrahmen auch bei einem Gesetzeswerk bewe-

gen, das das Thema, das wir hier behandeln, aufgreift: Nämlich ein Gesetz, das wir

einmal mit dem Arbeitstitel „Altenhilfe-Struktur-Gesetz“ bezeichnet haben.

Seit einigen Jahren schon haben wir uns auf Grund der Veränderungen in der Alters-

struktur und der Probleme, die ich geschildert habe, zur Aufgabe gemacht, mittels ei-

nes Gesetzgebungsprojektes dafür zu sorgen, dass ältere Menschen eine faire Chan-

ce erhalten, ihr Leben in Normalität und Kontinuität zu leben. Wir haben natürlich in

der letzten Zeit in Deutschland eine Reihe von Fortschritten erlebt, was die Entwick-

lung des Hilfesystems anbelangt, aber es sind gleichwohl eine ganze Reihe von Defi-

ziten festzustellen, die ich schon angedeutet habe. Ich will sie noch einmal deutlicher

nennen: Ein Problem ist die Unübersichtlichkeit des gesamten Systems, was sowohl

die Hilfen anbelangt, als auch die Kostenträger und die Leistungserbringer. Auch pro-

bematisch ist die Tatsache, dass man in vielen Fällen Menschen alleine lässt, sich ihre

Hilfen selber zusammenzustellen. Defizitär ist – ich habe das schon genannt – die

mangelnde Abstimmung der Teilsysteme, insbesondere die schon genannte Teilung

zwischen Gesundheits- und Sozialwesen mit all ihren Schnittstellen, Übergängen, Ko-

stenregelungen. Wir haben weiterhin eine unzureichende Zusammenarbeit von Ko-

stenträgern, Leistungserbringern, auch von Berufsgruppen. Es ist ja gestern in den

Vorträgen auch aufgeschienen, dass das Probleme sind, die anderswo auch bestehen

– Frau Fussenegger hat es ja z.B. angedeutet. Wir müssen bislang eine mangelnde

Berücksichtigung von Interessen und Wünschen der Nutzer beklagen. Also das The-

ma: Kundenorientierung und Verbraucherschutz (ich höre das Wort Kundenorientie-

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rung nicht so gerne, aber ich denke, in Teilen hilft es ja auch, weil es eigentlich

schlagwortartig ganz gut die Problematik verdeutlicht).

Die Folgen dieser Mängel, die wir haben, sind in vielen Fällen eine unzureichende Ver-

sorgung, sind aber auch ineffiziente und unökonomische Nutzung der Hilfen. Das ist

selbstverständlich: Wenn ich nur das in Anspruch nehme, worauf ich zufällig stoße

oder was mir angeboten wird, dann kann das nicht passgenau sein, dann muss das

unökonomisch sein – etwa im Sinne einer Unter- oder einer Überversorgung. Für das

geplante Altenhilfe-Struktur-Gesetz – und ich kann in diesem Zusammenhang noch

mal sagen, dass Protagonisten dieses Gesetzeswerkes hier unter uns sind, also auf

der einen Seite hat Frau Gorges sehr intensiv daran gearbeitet, auf der anderen Seite

ist Herr Ziller einer der Motoren – haben wir uns Folgendes als grobes Raster ausge-

dacht: Wir wollen zum einen älteren Menschen einen Anspruch auf umfassende Be-

ratung einräumen. Insoweit werden die Regelungen der Beratungen etwa in §75

BSHG, §9 SGB XI und in anderen Gesetzen zusammengefasst und zu einem allge-

meinen Beratungsanspruch fortentwickelt. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Wir wollen die Beratung herauslösen aus einem interessengeleiteten Umfeld, wir wol-

len sie neutral und kostenunabhängig gestalten. Wenn ich dies so sage, dann können

Sie natürlich schon ermessen, was an Konflikten dahinter steckt. Wir wollen weiterhin

in diesem Gesetzentwurf die Träger der öffentlichen Altenhilfe dazu verpflichten, dar-

auf hin zu wirken, dass ein überschaubares System bedarfsorientierter, abgestufter

und leicht erreichbarer Hilfen für ältere Menschen zur Verfügung steht. Wir wollen also

die Kommunen, die sich auf Grund der Einführung der Pflegeversicherung vielerorts

aus dem Geschäft der Altenhilfe zurückgezogen haben, wieder in die Verantwortung

nehmen und wollen sie zum zentralen Akteur in diesem Geschehen machen. Wir wol-

len, dass diese öffentlichen Träger der Altenhilfe darauf hinwirken, dass die Leistungs-

erbringer zusammen arbeiten, dass sie ihre Hilfestrukturen vernetzen und ihre Hilfen

im Einzelfall natürlich auch koordinieren. Wir wollen, dass sie in besonderen Fällen –

und jetzt scheint schon wieder die gestrige Diskussion hier auf – einen Hilfeplan er-

stellen, in dem die Hilfen verbindlich festgelegt werden. Da ergibt sich für die künftige

Diskussion natürlich die Frage: Kann es bei besonderen Fällen bleiben, oder müssen

wir alle erfassen? Das ist ja gestern auch diskutiert worden. Diese Diskussion wird bei

uns sicherlich sehr stark unter Kostengesichtspunkten geführt werden. Also, wenn

man Erfolg haben will, sollte man wahrscheinlich besser zunächst einmal mit den be-

sonderen Fällen einsteigen. Wenn man sagt: „Alle haben einen Anspruch darauf“,

dann verschreckt man natürlich alle die, die sich mit Kosten beschäftigen. Wir wollen

darauf hinwirken, dass die Kostenträger und Leistungserbringer bei der Festlegung

von Grundsätzen und Maßstäben der Qualitätssicherung und deren Umsetzung zu-

sammen arbeiten. Und wir wollen, dass in der Altenpflege tätige Personen persönlich

unterstützt und fachlich und rechtlich beraten werden.

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Wir haben, um dieses Gesetzesvorhaben praxisnah anzulegen, verschiedene Schritte

unternommen, um uns noch einmal zu munitionieren. Dazu gehört das Projekt Case

Management, in dessen Rahmen wir jetzt diskutieren, dazu gehört aber auch, dass wir

ein Modellprogramm „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ ausgeschrieben haben, dessen

Standorte wir unterdessen mit den Ländern schon abgestimmt haben. Im Mittelpunkt

dieses Modellprogramms steht das, was ich eben schon mal gesagt habe: Eine Ver-

stärkung der planenden und koordinierenden Rolle der kommunalen Altenhilfe. Wir

haben uns vier Schwerpunkte ausgewählt:

1. Struktur- und Systementwicklung, Planung/Koordinierung

2. Verknüpfung von Altenhilfe und Rehabilitation

3. Lebenswelten, örtliche Ebenen, Quartierbezug

4. Hilfen und Versorgungsmaßnahmen für Demente

Die Resonanz auf die Ausschreibung dieses Modellprogramms war unheimlich groß.

Wir haben 403 Interessensbekundungen erhalten, es dominierten die Anträge zum

Thema Demenz und zum Thema System-/ Strukturentwicklung. Wir haben dies so

verstanden, dass es einen unheimlichen „Leidensdruck“ gibt, wenn auf so eine Aus-

schreibung 403 Institutionen in Deutschland reagieren, dies scheint uns sehr viel zu

sein und im Grunde die Sachlage zu dokumentieren. Dass aber auch im Rahmen die-

ser Bekundungen das Thema Demenz im Vordergrund stand, ist für uns der Hinweis

darauf, dass die heute vorhandenen Altenhilfestrukturen insbesondere beim Perso-

nenkreis Dementer endgültig an ihre Grenzen stoßen – also das ist, denke ich, ein

Thema, das wir besonders behandeln müssen. Wir haben bei der Konzeption dieses

Programms natürlich die Verbesserungen der Strukturen im Blick, aber ein ganz wich-

tiger Aspekt dabei – ich betone das – ist, dass wir die wissenschaftliche Begleitung,

die wir demnächst auszuwählen haben, darauf verpflichten, nicht nur dieses Programm

zu evaluieren, sondern auch Vorschläge zu machen, wie man das, was sich als sinn-

voll herausstellt, in eine dauerhafte, institutionelle und finanzielle Absicherung – und

zwar im Rahmen der erprobten Regelstrukturen – überführen kann.

Ich denke, dass ich mich an dieser Stelle kurz fassen und zum Ende kommen kann.

Ich sagte ja, dass Fachleute die Gesetzgebungswege als sehr lang und langatmig ein-

schätzen. Wichtig ist, wenn wir bei diesem Gesetzesprojekt Erfolg haben wollen, dass

aus der Bevölkerung und der Fachöffentlichkeit heraus politischer Druck in Richtung

dieses Gesetzesprojektes entsteht. Wir brauchen eine Fachdiskussion, die sauber

heraus arbeitet, was politisch notwendig ist. Ich sehe aber auch, dass es gewaltigen

Gegendruck geben wird gegen solch ein Projekt; dieser Gegendruck wird zum einen

von denen kommen, die die Kassen verwalten. Hier wird es ganz wichtig sein, heraus

zu arbeiten, was gestern auch schon mal eine Rolle gespielt hat, nämlich: Was kostet

das? Wo sind die Entlastungen? Wobei die Problematik bei unserem System ja wieder

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ist, dass Kosten unter Umständen nicht bei dem eingespart werden, der vernünftige

Strukturen einführt und vernünftige Instrumente handhabt, sondern dass das sehr oft

bei einem Anderen sein kann – also eine Kommune, die sich um niederschwellige An-

gebote bemüht, die in der Lage sind, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, muss dann

erleben, dass sie selber unter Umständen gar nicht entlastet wird, sondern dass die

Entlastungen bei den Krankenkassen oder bei den Pflegekassen eintreten. Das wird,

denke ich, eine ganz schwierige Diskussion werden. Die Kosten werden eine Rolle

spielen, aber auch die Problematik, die gestern im österreichischen Beispiel so wun-

derschön beschrieben wurde: Immer wenn man irgendwo hinkommt und sagt, „wir

müssen jetzt das und das machen“, dann wird gesagt, „das machen wir alles schon“.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich an der politischen Diskussion beteiligten, und

wenn es uns gelänge dieses eben genannte Hase-und-Igel-Spiel zu beenden, bei dem

der Igel sagt: Ich bin schon hier. Zusammen mit der Erkenntnis, die wir aus Modell-

projekten haben, die wir jetzt gleich hören werden: Unterstützen Sie uns dabei, die

politische Diskussion um Case und Care Management zum Erfolg zu bringen.

Engels:

Vielen Dank, Herr Herweck, für diese Stellungnahme und diesen Einblick in die ge-

setzgeberische Planung auf Bundesebene. Ich würde jetzt gerne keine Diskussion

oder Rückfragen dazu zulassen, weil wir heute Mittag kurz vor Ende der Veranstaltung

in einem Podiumsgespräch, das hinterher auch für Anregungen und Rückfragen aus

dem Plenum geöffnet wird, noch einmal die Gelegenheit haben werden, mit Herrn

Herweck über diese Fragen zu sprechen.

Wir haben gestern unsere internationalen Projektteilnehmer vorgestellt, hatten aber

natürlich auch Projektteilnehmer aus Deutschland. Wobei sich auch hier die Frage

stellt: Wie kam die Auswahl zu Stande? Wir haben Projekte aus Hamburg, Baden-

Württemberg und Hessen einbezogen. Warum nicht aus Berlin, warum nicht aus Nord-

rhein-Westfalen? Beide können ja auch auf eine lange Tradition in der Frage des Case

Management und der Beratungsstrukturen zurückblicken. Es hat sich einfach damals

bei der Projektkonzeption so ergeben, dass drei Länder schon bei der Planung mit

dabei waren, und dass es – unserer Meinung nach – keinen Sinn machte, das Projekt,

das den Schwerpunkt auf den internationalen Erfahrungsaustausch legte, national

noch weiter auszubauen. Wir haben es also bei den drei Projektbeispielen belassen.

Anders ist natürlich die Fragestellung heute, wo wir die Situation in Deutschland näher

betrachten wollen. Da, denke ich, sind Berichte aus Berlin und aus Nordrhein-

Westfalen eine wichtige Ergänzung zum Gesamtbild der Case Management-Struk-

turen in Deutschland. Deswegen bin ich froh, dass wir diese heute mit ins Programm

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aufnehmen konnten, und möchte zunächst für Berlin Herrn Prof. Sauer, der auch in

verschiedenen Auswertungen und Studien zum Case Management beteiligt war, bit-

ten, das Ganze in konkreter Form anhand eines Modells zu schildern. Anschließend

bitte ich Frau Grabow von einer Koordinierungsstelle, die aktuelle Situation in Berlin

darzustellen.

2. Entwicklungsstand des Case Management in Berlin

Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung

Prof. Dr. Peter Sauer, Evangelische Fachhochschule Berlin

Ich möchte über einen Modellversuch berichten, der von Mitte 1994 bis Mitte 1996 hier

in Berlin stattgefunden hat. Sie werden sagen: „Das ist kalter Kaffee, das ist von vor-

gestern.“ Wenn ich die Diskussionen von gestern im Ohr habe und auch die Worte von

Herrn Herweck, dann sind wir aber höchst aktuell, denn wir haben Dinge getan, die

hier immer wieder angesprochen wurden (sie sind auch seit einiger Zeit veröffentlicht).

Die Zeit für das Modellprojekt war eigentlich sehr unglücklich: vor der Einführung der

Pflegeversicherung und während der Einführung der Pflegeversicherung. Es wäre

besser gewesen, wir wären entweder ganz davor oder ganz drin gewesen, aber wir

waren genau an der Schnittstelle dazwischen, das war eine etwas schwierige Situati-

on. Der Träger dieses Modellversuchs war – und das ist sehr vorteilhaft, mit aller Pro-

blematik, die damit verbunden ist – ein Altenselbsthilfeträger, der das politisch propa-

giert und durchgesetzt hat.

Von der Organisation her war es ein Modellversuch, der als externe Case Manage-

ment-Beratung an zwei Krankenhäusern angesiedelt war. Das bedeutete, dass die

Mitarbeiterin zwar in die Krankenhäuser integriert war, aber angesiedelt in einer exter-

nen Stelle. Wir hatten dadurch Probleme mit dem Datentransfer und solchen Dingen,

die entstehen, wenn Organisationen miteinander verbunden werden.

Das Projekt war in einem Bezirk im westlichen Teil Berlins angesiedelt, in Kreuzberg,

und in einem Bezirk im östlichen Teil Berlins, in Lichtenberg. Wir wollten damals auch

Unterschiede zwischen beiden Bezirken herausarbeiten. Solche haben sich auch sehr

deutlich gezeigt: hinsichtlich der Hilfestrukturen und auch hinsichtlich der Einkom-

menssituation – das ist ja ganz wesentlich bei der Versorgung.

Finanziert wurde das Projekt aus Mitteln des Senats (der überwiegende Anteil), aus

Mitteln einiger beteiligter Bezirke (hier in Berlin sind Bezirke die Sozialhilfeträger), aus

einer Grundfinanzierung der AOK Berlin und aus geringen Mitteln aus dem Lotto-

Bereich. Die wissenschaftliche Begleitung wurde vom Bundesministerium für Familie

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und Senioren finanziert; diese Funktion habe ich zusammen mit Prof. Wissert wahrge-

nommen.

Umgesetzt wurde das Projekt mit drei Sozialarbeiterinnen (Teilzeitstellen) und einer

Verwaltungskraft. Zu den Rahmenbedingungen inhaltlicher Art zählt, dass der Modell-

versuch auf drei Krankheitsbilder beschränkt werden sollte – Herzinsuffizienz, Ober-

schenkelhalsbruch und Schlaganfall. Des Weiteren wurden lediglich Versicherte der

AOK Berlin einbezogen. Und es sollte ein spezifisches Spektrum erfasst werden: Es

war ursprünglich ein Spektrum von 70 Jahren aufwärts gewählt, wobei wir dies im

Laufe des Modellversuches verändert haben.

Das waren also einige der allgemeinen Rahmenbedingungen dieses Modellprojekts.

Was wollten wir untersuchen? Das grundsätzliche methodische Vorgehen des Case

Management war für uns hier in Berlin bekannt. Es gab ein Vorläufer-Projekt, in dem

das methodische Vorgehen getestet worden war. Es war also nicht nur die Frage:

Funktioniert das, oder funktioniert das nicht? Es spielten andere Fragen eine Rolle. Es

ging einmal um die so genannte Projektzielebene, um drei Fragestellungen:

1. Kann das Projekt die Verweildauer in den Krankenhäusern senken?

2. Kann das Projekt Drehtür-Effekte verlangsamen?

3. Kann das Projekt durch seine Tätigkeit Heimeinweisung vermeiden oder auch hin-

auszögern?

Auf der Oberzielebene ging es dann um die Verbesserung der subjektiven Befindlich-

keit der Klienten – verbunden mit Vermeidung oder Hinauszögerung von Heimeinwei-

sung –, um die ökonomischen Wirkungen und um strukturelle Wirkungen: Was ergibt

sich in der Versorgungsstruktur? Wir haben jetzt schon häufiger gehört: Zusammen-

binden von unterschiedlichen Organisationen, unterschiedlichen Finanzträgern usw.

Auf der Prozessebene ging es um die Etablierung geeigneter Case Management-

Strukturen, um geeignete Erhebungsformen, um Erfassung von Mengen und Kosten,

um die Erfassung von klientenbezogenen Beratungszeiten – also darum, mehr an In-

formationen darüber zu haben, wie man das zukünftig organisieren kann.

Ich trage Ihnen jetzt einige dieser Ergebnisse vor. Ich beginne mit der Projektzielebe-

ne. Die Beeinflussung der Verweildauer konnte nicht überprüft werden. Das lag einmal

daran, dass es (selbst anonymisiert) schwierig war, bei der AOK an patientenbezoge-

ne Daten heran zu kommen. Es lag aber auch an der Dauer des Projektes – zwei Jah-

re sind dafür zu kurz. Aber wir haben festgestellt, dass es bei den Krankheitstypen

erhebliche Unterschiede in den Verweildauern dieser beiden Krankenhäuser gibt: Bei

einem Krankheitstyp 10 Tage Differenz. Das muss man sich mal überlegen: 10 Tage

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in Deutschland, das bedeutet 10 mal 500 DM Tagessatz, das sind 5.000 DM – also ein

unglaublicher Unterschied in der Verweildauer zwischen den Krankenhäusern.

Es gibt Hinweise (statistisch leider nicht ganz gesichert, die Zahlen waren nicht groß

genug) auf eine Verlangsamung des Drehtür-Effektes. Hier sind ganz besonders die

Krankenkassen angesprochen, wenn dieser Drehtür-Effekt sich verändert. Die Inter-

valle zwischen den Krankenhauseinweisungen werden größer und die Krankenhaus-

aufenthalte werden kürzer.

Wichtigstes Ergebnis auf der Projektzielebene war die Vermeidung des Heimeintritts.

Wenn ich an die Ziele der Pflegeversicherung denke, dann spielt das ja hier eine ganz

große Rolle. Wir konnten feststellen, dass 59% der Patienten, bei denen eine hohe

Heimeintrittswahrscheinlichkeit vorlag, in ihre häusliche Umgebung zurückgeführt wer-

den konnten, dass Hilfen so organisiert werden konnten, dass sie dort weiterleben

konnten – das ist ein sehr großer Erfolg!

Auf der Oberzielebene („Was erreichen wir mit diesen Projektzielen?“) war es deutlich,

dass die subjektive Befindlichkeit der Patienten eine ganz große Rolle spielte. Selbst

wenn der Fall eintrat, dass jemand nach einem Aufenthalt zu Hause nach einem hal-

ben Jahr oder nach einem dreiviertel Jahr in ein Heim eingewiesen wurde, dann war

das eine andere Situation, als wenn er direkt aus dem Krankenhaus in ein Heim ge-

kommen wäre. Sich wohl fühlen zu Hause, Kontakte zur Umwelt, Genesungsfort-

schritte usw. wurden als positive Effekte dieser Beratung genannt.

Ökonomische Wirkungen – das ist natürlich verbunden mit dem ersten Punkt – sind

nicht quantifizierbar durch die Verkürzung der Verweildauer und der Drehtür-Effekte;

da fehlte uns sozusagen noch mehr Material. Aber deutlich nachweisbar sind Erspar-

niseffekte durch Vermeidung des Heimeintrittes. Sie fallen insbesondere an – hier

komme ich auf das zurück, was Herr Herweck eben zum Schluss gesagt hat – bei un-

terschiedlichen Trägern, sie sind sehr stark bei den Sozialämtern, sie fallen natürlich

bei der Pflegekasse an und sie fallen mit großer Sicherheit auch – obwohl wir es nicht

quantifizieren können – bei der Krankenversicherung nach dem SGB V an. Natürlich

auch in den Familien; wir haben da einige Berechnungsmodelle erarbeitet. Strukturelle

Effekte, d.h. Effekte auf die Struktur in unterschiedlichen Bereichen, sind nachweisbar

auf der Nutzerebene, d.h. dass Nutzer, entweder Patienten oder Angehörige, dieses

System angenommen und auf ihre Situation übertragen haben. Solche strukturellen

Effekte sind auch nachweisbar im stationären Bereich, wobei hier insbesondere die

Handlungsebene, also der Bereich der Pflege, der Krankenschwestern, der Pflege-

dienstleitung und der behandelnden Ärzte eine ganz große Rolle spielte. Auf der obe-

ren Leitungsebene ist das anders, da kommt es darauf an, inwieweit man die Interes-

senlagen trifft. Wenn wir fragen: „Wo sind heute die Projekte in den Krankenhäu-

sern?“, dann sind sie nicht mehr vorhanden, weil die Interessenlagen von einigen

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Chefärzten dazu geführt haben, dass die Kapazitäten dort anders genutzt werden, als

wir das ursprünglich gedacht hatten.

Gestern wurde es schon einmal angesprochen: Es gab eine Konkurrenzsituation zu

den bestehenden Sozialdiensten. Die bestehenden Sozialdienste befürchteten unter-

schiedliche Dinge: Sie fürchteten um ihre Beschäftigungssituation, sie fürchteten eine

Konkurrenzsituation. Das war eine schwierige Situation, da muss man sich noch mal

überlegen, wie man das am besten organisiert. Ähnliches ist auch bei den Trägern der

Sozialhilfe, also bei den beiden Bezirksämtern, feststellbar: Auf der einen Seite wurde

hier eine ganz großzügige Regelung praktiziert, d.h. die Bezirksämter haben nicht

mehr geprüft, sondern haben die Prüfung dem Case Management überlassen. Es war

ganz klar, dass die Bezirksämter hier eine Zeitersparnis für sich reklamierten, sie

konnten mit dem Projekt ihre Arbeitszeit erheblich reduzieren. Aber sie hatten auch

Angst vor der Konkurrenz und Angst vor Funktionsverlusten.

Schließlich zu den ambulanten Diensten, den wichtigsten Kooperationspartnern in der

Versorgung. Die sozialen Dienste sahen für sich eine Entlastung, aber sie hatten

gleichzeitig Angst vor der Kontrolle und davor, dass sich die Patienten jetzt an die

Case Manager wandten und sich über bestimmte Einrichtungen beschwerten. Im Sin-

ne des Patienten ist das natürlich sehr positiv, wenn eine solche Möglichkeit besteht.

Aber dass man dann mit diesen Ängsten umgehen muss, ist auch selbstverständlich.

Ich schildere Ihnen nur einige der prozessorientierten Ergebnisse. Wir haben errech-

net, dass sich die Beratungskosten zu dem damaligen Zeitpunkt – das wird sich etwas,

aber nicht wesentlich geändert haben – bei etwa 110 DM pro Stunde beliefen. Wenn

man das zu den zeitlichen Belastungen bei den einzelnen Krankheitstypen in Bezie-

hung setzt, wird deutlich, wie teuer das Case Management insgesamt ist. Wir haben

durchschnittliche Beratungszeiten bzw. den Verlauf der Beratungszeiten bei den ein-

zelnen Krankheitsformen ermittelt, mit allem, was dazu gehört: Vorgespräche, Ent-

wicklung des Hilfeplanes, Umsetzung des Hilfeplanes, Kontrolle usw. Fallabschließend

wurden für die gesamte Case Management-Beratung eines Patienten für die einzelnen

Krankheitstypen benötigt:

• bei Schlaganfall 34 Stunden,

• bei Oberschenkelhalsbruch 26 Stunden,

• bei Herzinsuffizienz 35 Stunden.

Wenn Sie jetzt einmal von den durchschnittlichen Kosten ausgehen, die ich genannt

habe, können Sie die Kosten für das Case Management ausrechnen: Es waren etwa

110 DM, d.h. das Case Management würde im ersten Falle, bei Schlaganfall, etwa

3.700 DM kosten, bei Oberschenkelhalsbruch etwa 2.900 DM und bei Herzinsuffizienz

etwa 3.900 DM. Es ist natürlich die Frage, wer das finanzieren kann. Wir haben einmal

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92

nachgerechnet, ob die Ersparniseffekte der verschiedenen Träger ausreichend sind,

diese Kosten des Case Management zu decken. Hier kann man bei einer ganzen Rei-

he von Modellen zeigen, dass dies der Fall ist, d.h. dass das Case Management aus

der Kostenersparnis heraus finanziert werden könnte.

Dabei möchte ich es bewenden lassen, das sind die wesentlichen Ergebnisse. Ich ha-

be eine Liste von Publikationen, die wir erstellt haben, vorbereitet. Sie können dort

Einzelaspekte über diese Ergebnisse des Modellversuchs nachlesen.3

Aus dem Modellversuch heraus und parallel zu dem Modellversuch sind in Berlin flä-

chendeckend Koordinierungsstellen entstanden, die in der ersten Zeit weitgehend über

ABM finanziert waren. Das hat sich in den letzten beiden Jahren geändert, und wir

haben jetzt in Berlin insgesamt 12 Koordinierungsstellen der unterschiedlichsten Trä-

ger. Frau Grabow wird Ihnen jetzt Einiges dazu sagen, wie die momentane Situation

hier in Berlin ist.

Die Berliner Koordinierungsstellen für ambulante Rehabilitation älterer Menschen

Sabine Grabow, Koordinierungsstelle Albatros, Berlin

Die erste Koordinierungsstelle in Berlin entstand 1988 als Bundesmodellprojekt. Wir

sind in der glücklichen Lage, in Berlin seit 1999 ein flächendeckendes Netz von insge-

samt 12 Koordinierungsstellen zu haben. Wir sind sogar so weit, dass wir unserer Be-

zirksverwaltung schon vorgegriffen haben: Wir haben 11 Koordinierungsstellen so zu-

geordnet, wie später auch die Großbezirke hier in Berlin aussehen werden. Die Koor-

dinierungsstellen sind senatsgeförderte Einrichtungen und werden finanziert über die

Liga der Wohlfahrtsverbände.

Die Koordinierungsstellen informieren über Wohnformen im Alter, orthopädische und

alltägliche Hilfsangebote, therapeutische und medizinische Einrichtungen, häusliche

Pflegedienste, Kurzzeit- und Tagespflege, Pflegeheime, spezielle Beratungsstellen,

Fahr- und Begleitdienste, Freizeit- und Aktivitätsmöglichkeiten. Wir beraten zu Woh-

nen und Leben zu Hause bei Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit, Mög-

lichkeiten der Rehabilitation, der alten- und behindertengerechten Wohnungsanpas-

sung, zur Entlastung und Unterstützung für pflegende Angehörige, zu sozialrechtlichen

Fragen und Widerspruchsfragen. Die Unterstützung im speziellen Fall erfolgt durch

Case Management – darüber ist schon viel gesagt worden, wir haben uns mit unserer

Arbeit da sehr gut wiedergefunden. Unterstützung durch Case Management heißt:

Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen, also das Assessment erstellen, den individuellen Hil-

feplan erstellen in Abstimmung mit den Senioren und den Angehörigen, die Finanzie-

3 Siehe Anhang

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93

rungsmöglichkeiten klären, Dienstleister und ihre Dienste vermitteln und koordinieren

und die vereinbarungsgemäße Erbringung aller Hilfeleistungen überprüfen.

Wir haben gemerkt, dass es gerade für unsere Beratungs- und Informationstätigkeit

nötig ist, sehr schnell und optimal an zahlreiche Informationen zu gelangen. Daraus

hat sich in Berlin eine Datenbank für soziale und gesundheitliche Hilfen entwickelt. An

diese Datenbank, den „Hilfelotsen“, sind alle Berliner Koordinierungsstellen ange-

schlossen, d.h. nicht nur wir oder eine Stelle verfügt über einen Datensatz, sondern

alle Berliner Koordinierungsstellen können auf die gesamten Daten zugreifen. Die Da-

tenbank sieht die Erfassung von Daten über soziale, gesundheitliche Hilfen für Ältere,

Angehörige, Behinderte und professionelle Helfer vor. Der Zugriff auf gespeicherte

Daten verläuft über unterschiedliche Zugänge: So kann beispielsweise nach Hilfety-

pen, Institutionen, Zielgruppen, Einzelleistungen, oder nach Straße, Bezirk, Stadtteil

abgefragt werden. Es existieren Suchfunktion nach kombinierten Feldern, z.B. Öff-

nungszeiten, Postleitzahlen, behindertengerechte Ausstattung, Träger und Zielgruppe.

Zur Struktur: Es sind etwa 450 Institutionen und Einrichtungsformen von der Arztpraxis

bis zur Wäscherei enthalten, mehrere 100 standardisierte Dienstleistungen von Atem-

therapie bis zum Vorlesedienst, unterschiedliche Zielgruppen vom Apoplektiker bis

zum Vorruheständler. Es gibt eine standardisierte Berichtsabfrage für verschiedene

Zwecke, und wir haben - für unsere Beratungstätigkeit ganz notwendig - noch eine

Spezialtabelle für Pflegeheime, Seniorenwohnanlagen und ambulante Pflegedienste.

D.h. hier kann ganz gezielt nachgefragt werden zu den Kosten der Einrichtung, zu der

personellen Ausstattung, zu der Größe der Einrichtung – wenn wir jetzt eine Senioren-

wohnanlage nehmen – zu den Plätzen und dem qualifizierten Personal.

Für unsere Unterstützungstätigkeit haben wir festgestellt, dass es sehr wichtig ist, im

Bezirk oder auch darüber hinaus mit den Trägern der verschiedenen Einrichtungen

medizinischer, sozialer Rehabilitation in der Altenhilfe zu Abstimmung und Steue-

rungssystemen zu kommen. Wir sind besonders froh darüber, dass wir ein Bundes-

modellprojekt finanziert bekommen haben, das ab Mai 2000 starten wird (bis April

2003): Das Bundesmodellprojekt „Netzwerk im Alter“. Ziel ist die Verbesserung der

Versorgung geriatrisch-gerontopsychiatrisch erkrankter Patienten; erreicht werden soll

eine Entwicklung eines Abstimmungs- und Steuerungssystems der ambulanten Reha-

bilitation und Betreuung, die Aufdeckung und Identifizierung von Versorgungslücken,

die Qualifizierung der Verbundpartner und die Entwicklung von Qualitätsstandards, die

Schaffung von Angebots- und Markttransparenz, sowie schneller Zugang zu den be-

nötigten Hilfen und vor allen Dingen die Stärkung der Angehörigen- und der Verbrau-

cherkompetenz.

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3. Entwicklungsstand des Case Management in Nordrhein-WestfalenHeike Nordmann, Verbraucherzentrale NRW, Düsseldorf

Landespolitische Ansätze zur Verankerung von Case Management

Im Rahmen des Projekts „Koordinierung komplexer Hilfeleistungen für ältere Men-

schen: Case Management in verschiedenen nationalen Altenhilfesystemen“ wurden

nationale und internationale Ansätze zu Beratung und Vermittlung von Dienstleistun-

gen für ältere Menschen untersucht. Nordrhein-Westfalen war an diesem Projekt nicht

mit einem konkreten Einzelprojekt beteiligt. Um so interessanter ist es, anlässlich der

Vorstellung der Projektergebnisse über Strukturen in NRW zu berichten, die für zu-

künftige Diskussionen zur Verankerung von Case Management in der Altenhilfe von

Interesse sein können. Deshalb möchte ich Ihnen im Folgenden zum einen das Lan-

desmodellprojekt „Wohnberatung für Bürgerinnen und Bürger in NRW“ und zum ande-

ren die Pflegeberatung nach §4 des Landespflegegesetzes vorstellen.

Exkurs: Die Verbraucher-Zentrale NRW als Akteur in der Altenhilfe

Die Verbraucher-Zentralen in Deutschland bilden die Landesarbeitsgemeinschaften

der Verbraucherverbände. Sie sind als eingetragene Vereine organisiert und werden

durch die jeweilige Landesregierung gefördert. Auf Grund der länderspezifischen Ver-

ankerung beschränkt sich die Arbeit der Verbraucher-Zentralen in der Regel auf das

jeweilige Bundesland. Bundesweit werden die Verbraucher-Zentralen durch die Ar-

beitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) vertreten.

Die Verbraucher-Zentrale NRW besteht seit über 40 Jahren und ist mit gut 600 Be-

schäftigten in den Beratungsstellen des Landes und in der Düsseldorfer Geschäfts-

stelle die größte Verbraucher-Zentrale Deutschlands. Neben der Beratung zu allge-

meinen Verbraucherthemen, die jede der 53 Verbraucherberatungsstellen in NRW

anbietet, haben sich im Rahmen von mehr oder minder befristeten Projekten spezielle

Beratungsangebote zu Ernährung, Umweltschutz, Energie, Gesundheitsdienstleistun-

gen, Wohnraumanpassung und Pflegedienstleistungen entwickelt. Zu diesen Themen

wird, je nach Umfang der Projekte, nur in ausgewählten Beratungsstellen des Landes

beraten. Die Beratungskräfte zu diesen speziellen Themen arbeiten ausschließlich im

Rahmen der Projekte und haben die jeweils fachspezifischen Vorkenntnisse. Unter-

stützt werden sie durch die jeweiligen Fachabteilungen der Geschäftsstelle.

Die Verbraucher-Zentrale ist jedoch nicht nur Träger von Beratungseinrichtungen zur

Wohnraumanpassung und Pflegedienstleistungen. Darüber hinaus übernimmt sie die

Koordination des Modellprojekts „Wohnberatung für Bürgerinnen und Bürger in NRW“,

entwickelt in Zusammenarbeit mit der Forschungsgesellschaft für Gerontologie im

Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport

des Landes NRW Qualitätskriterien für stationäre und ambulante Angebote der Alten-

Page 93: Case Management in der Altenhilfe Internationale ...Doku).pdf · Kooperation von Gesundheits- und Sozialdiensten in Sabadell (Spanien) 56 4. Case Management in einer Senioren-Wohnanlage

95

pflege und hat die Geschäftsführung der Landeskonferenz zur Qualität in der Pflege

übernommen.

1. Modellprojekt „Wohnberatung für Bürgerinnen und Bürger in NRW“

1.1 Strukturen des Modellprojekts

Das Modellprojekt „Wohnberatung für Bürgerinnen und Bürger in NRW“ begann 1992

mit 6 Projektberatungsstellen, deren Zahl auf mittlerweile 42 gestiegen ist. Die Finan-

zierung des Projekts erfolgt zu je einem Drittel durch das Land NRW, die Kommune

für die die jeweilige Beratungsstelle tätig ist sowie die Landesverbände der Pflegekas-

sen (AOK, BKK, IKK, Landwirtschaftliche Pflegekassen).

Die Grundstrukturen des Projekts blieben während der gesamten Laufzeit unverändert:

Die Beratungsstellen befinden sich in unterschiedlicher Trägerschaft wie Kommunen,

Wohlfahrtsverbänden, privaten Vereinen und der Verbraucher-Zentrale NRW. Die

zentrale Unterstützung der Beratungsstellen erfolgt durch die Verbraucher-Zentrale

NRW in Form von Qualifizierungsveranstaltungen für die Beratungskräfte, Entwicklung

von beratungsunterstützenden und öffentlichkeitswirksamen Materialien sowie durch

die Einführung von Elementen des Qualitätsmanagements. Die Erfahrungen, die im

Rahmen des Modellprojekts gewonnen wurden, sind durch die wissenschaftliche Be-

gleitforschung der Universität Bielefeld erhoben und veröffentlicht worden.

1.2 Ziele und Aufgaben von Wohnberatung

Ziel von Wohnberatung ist es, das selbstständige Wohnen der Menschen in ihrer

Wohnung und ihrem Wohnumfeld zu erhalten, zu fördern oder wieder herzustellen.

Das bedeutet, dass durch die Anpassung des Wohnumfeldes an vorhandene Fähig-

keiten der bestehende Grad an Selbstständigkeit erhalten oder erhöht werden kann

oder eine selbstständige Haushaltsführung wieder möglich wird. Die Wohnberatung

soll den Bedarf an Hilfe und Pflege verhindern oder verringern. Diese Ziele erfordern

einen präventiven Ansatz, sodass es auch zu den Zielen von Wohnberatung gehören

muss, die Öffentlichkeit, potentiell Betroffene und Fachkräfte in der sozialen Arbeit für

dieses Thema zu sensibilisieren. Darüber hinaus will die Wohnberatung die Schaffung

von barrierefreien Wohnräumen sowohl im Wohnungsbestand als auch im Woh-

nungsneubau anregen. Um diese Ziele zu verwirklichen, richtet sich die Wohnberatung

deshalb nicht nur an Pflegebedürftige oder von Pflegebedürftigkeit bedrohte Menschen

und deren Angehörige, sondern auch an Fachkräfte im Bereich der sozialen Arbeit,

Kommunalverwaltungen, Ärzte, Architekten, Handwerker, Vermieter oder Wohnungs-

baugesellschaften sowie die allgemeine Öffentlichkeit.

Page 94: Case Management in der Altenhilfe Internationale ...Doku).pdf · Kooperation von Gesundheits- und Sozialdiensten in Sabadell (Spanien) 56 4. Case Management in einer Senioren-Wohnanlage

96

Ausgehend von diesen Zielen und Zielgruppen sind die Wohnberatungsstellen auf

folgenden Gebieten tätig:

• individuelle Beratung über Möglichkeiten und Formen barrierefreien Wohnens und

der Wohnungsanpassung

• Öffentlichkeitsarbeit

• Fach- und Institutionenberatung

• Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit.

Zu den umfangreichen Aufgaben im Rahmen einer individuellen Beratung über Mög-

lichkeiten und Formen des barrierefreien Wohnens und der Wohnungsanpassung ge-

hören:

⇒ Beratungs- und Informationsgespräche in den Beratungseinrichtungen

⇒ Analyse und Beratung in den Wohnungen der Ratsuchenden zu Möglichkeiten, eine

Wohnung und das Wohnumfeld speziellen Bedürfnissen anzupassen

⇒ Planung und Begleitung der Durchführung von Wohnungsanpassungsmaßnahmen

in Form von

• technischen Hilfsmitteln

• Ausstattungsveränderungen in der Wohnung

• baulichen Veränderungen, z.B. Türverbreiterungen, Einbau einer bodengleichen

Dusche

⇒ Motivation und Einbezug des Vermieters bei Wohnungsanpassungsmaßnahmen

⇒ Koordination aller für die Durchführung von Anpassungen notwendigen Institutio-

nen, Beteiligten und Tätigkeiten

⇒ Aufstellung von Maßnahmenkosten und Aufzeigen von Finanzierungsmöglichkeiten

⇒ Information und Beratung zu unterstützenden und entlastenden Angeboten

⇒ Vermittlung von Hilfsdiensten und anderen sozialen Angeboten

⇒ Vermittlung bei Problemen zwischen allen Beteiligten

⇒ Kontrolle der angemessenen Durchführung von Anpassungsmaßnahmen.

Im Rahmen der individuellen Beratung spielt das Fallmanagement eine wichtige Rolle.

Von den durchschnittlich 600 Anfragen, die pro Jahr an eine Beratungsstelle herange-

tragen werden, erfolgt in ca. der Hälfte eine umfangreiche Begleitung bei der Durch-

führung einer Anpassungsmaßnahme.

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97

1.3 Nutzen von Wohnberatung

Dank der langjährigen wissenschaftlichen Projektbegleitung durch die Universität Bie-

lefeld lassen sich sowohl Wirkungen und Nutzen für die Ratsuchenden und deren An-

gehörige als auch für das Gesundheitssystem und die Kommunen beschreiben.

Für die Betroffenen ist die selbstständige Lebensführung ein wesentlicher Bestandteil

der Lebensqualität. Hier setzt die Wohnberatung an. In 50% der beratenen Fälle

konnte eine eingeschränkte Selbstständigkeit verbessert, in weiteren 9% eine Selbst-

ständigkeit wieder vollständig hergestellt werden. Dies betraf insbesondere die Berei-

che der Körperhygiene (Duschen, Toilette nutzen) und die Mobilität (Verlassen der

Wohnung, Treppen steigen). 21% der Beratungen konnten einem Verlust von Selbst-

ständigkeit vorbeugen und bei weiteren 20% konnte ein weiterer Verlust der Selbst-

ständigkeit vermieden werden. Auch die pflegenden Angehörigen und Bekannte kön-

nen durch die Wohnberatung profitieren, denn zum einen kann mit dem Erhalt oder

der Förderung der Selbstständigkeit ein Pflegebedarf vermieden bzw. verringert wer-

den. Zum anderen kann die Pflege durch den Einsatz von Hilfsmitteln oder Verände-

rungen an der Wohnung erheblich erleichtert werden.

Auch die Kommunen und das Gesundheitssystem profitieren von der Wohnberatung.

Abgesehen von dem vernetzenden Beitrag, den Wohnberatungsstellen auf kommu-

naler Ebene leisten, ergeben sich durch den Erhalt bzw. die Verbesserung von Selbst-

ständigkeit auch geldwerte Vorteile. Durch Wohnberatung kann Unfällen vorgebeugt

und somit eine ambulante oder stationäre ärztliche Versorgung vermieden werden.

Darüber hinaus macht eine weitgehende Selbstständigkeit in der eigenen Wohnung

professionelle ambulante oder stationäre Pflege überflüssig bzw. verzögert den Zeit-

punkt, an dem sie einsetzen muss. Daraus ergeben sich erhebliche Sparpotentiale für

die Pflegekassen (durchschnittlich 315.000 DM pro Beratungsstelle/Jahr) und die örtli-

chen Sozialhilfeträger (durchschnittlich 176.000 DM pro Beratungsstelle/Jahr).

Die Analyse der Wohnberatung zeigt: Wohnberatung kostet nicht nur etwas - sie bringt

auch etwas, und zwar wesentlich mehr, als sie kostet. Insofern wäre es wünschens-

wert, wenn dieses Modell in NRW weiter Bestand haben kann und auch für anderere

Regionen Deutschlands als Vorbild fungiert.

2. Pflegeberatung nach § 4 Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen

2.1 Umsetzung des §4 PfG NW

Im März 1996 wurde das Landespflegegesetz NRW (PfG NW) verabschiedet. Sein

Ziel ist es, „eine leistungsfähige, bedarfsgerechte und wirtschaftliche (...) Angebots-

struktur für alle Pflegebedürftigen zu gewährleisten“. Ein wichtiges Instrument zur Si-

cherstellung dieser Ziele ist der §4 PfG NW. Dort heißt es: „Pflegebedürftige, von Pfle-

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98

gebedürftigkeit Bedrohte und ihre Angehörigen sind trägerunabhängig zu beraten und

über die erforderlichen ambulanten, teilstationären, vollstationären und komplementä-

ren Hilfen zu informieren.“ Nordrhein-Westfalen ist damit das einzige Bundesland, das

ausdrücklich einen Beratungsauftrag der Kommunen in seine Ausführungen zum Pfle-

geversicherungsgesetz aufgenommen hat.

Zur Finanzierung der Beratung sowie zur Durchführung einer Pflegekonferenz (§5 PfG

NW) und für die Pflegebedarfsplanung (§6 PfG NW) erhalten die Kreise und kreisfrei-

en Städte von den Landschaftsverbänden als überörtlichen Sozialhilfeträgern jährlich

eine Pauschale von 8,00 DM pro Einwohner über 65 Jahre.

In der Ausgestaltung des Beratungsauftrags haben die Kommunen freie Hand, sodass

sich eine sehr heterogene Beratungsstruktur entwickelt hat. Dies bestätigt auch eine

Evaluation der Auswirkungen des Landespflegegesetzes, die die Forschungsgesell-

schaft für Gerontologie (Dortmund) im Auftrag der Landesregierung Ende des Jahres

1999 durchgeführt hat. Danach lagen verschiedene Konzepte zur Beratung aus 43 von

54 Kreisen und kreisfreien Städten vor. Grob lassen sich folgende Konzepte unter-

scheiden:

• eine zentrale, koordinierende Stelle bei der Kreisverwaltung und mehrere dezen-

trale Beratungsstellen bei den örtlichen Sozialämtern; dieses Konzept ist in der

überwiegenden Zahl der Kreise vorgesehen

• ein zentrales Beratungsbüro in der Stadt; dieses Modell wird in einigen kreisfreien

Städten, z.B. Münster, Düsseldorf umgesetzt

• Beratung in Kooperation zwischen Kommunen und Anbieterverbänden; dieses Mo-

dell wird von 6 Kreisen und kreisfreien Städten favorisiert

• Vergabe der Beratungsleistung an eine neutrale Organisation; die Kreise Unna und

Aachen haben die Verbraucher-Zentrale NRW mit der Beratung beauftragt.

Bei einer zunehmenden Anzahl von Kommunen spielt darüber hinaus die Unterstüt-

zung der Beratung durch EDV-Systeme eine wichtige Rolle. Schon jetzt arbeiten 35%

der Kreise, auch der Kreis Aachen, mit EDV-Systemen wie BISS, die neben einer

Übersicht aller vorhandenen Angebote zum Teil auch die Überprüfung freier Kapazi-

täten der Anbieter zulassen. Zukünftig ist hier ein weiterer Anstieg zu erwarten.

Im Hinblick auf die geforderte „trägerunabhängige Beratung“ sind einige dieser Kon-

zepte durchaus kritisch zu sehen. Nach Auffassung der Verbraucher-Zentrale NRW ist

nicht nur die Anbindung der Beratung bei den Anbietern, sondern auch die enge Ver-

knüpfung mit den Sozialämtern der Kommunen kritisch zu bewerten. Vor allem der

Gesichtspunkt, dass Kommunen als Sozialhilfeträger nicht ganz interessenneutral

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99

agieren können, sollte stärker Beachtung finden. Dies ist insbesondere dann von Be-

deutung, wenn die Pflegeberatungsstelle direkt in den Räumen der Sozialämter ange-

siedelt ist und deren Mitarbeiter zum Teil sowohl die Pflegeberatung übernehmen als

auch die Anträge auf Hilfe zur Pflege bearbeiten.

2.2 Pflegeberatung der Verbraucher-Zentrale NRW im Kreis Unna

Der Kreis Unna ist seit vielen Jahren sehr engagiert im Bereich der Altenhilfe und hat

sich frühzeitig für eine Umsetzung der Pflegeberatung nach §4 PfG NW eingesetzt.

Seit Februar 1997 bietet dort die Verbraucher-Zentrale NRW die Pflegeberatung an.

Zu den Aufgaben der Beratungsstelle gehört neben der Beratung von Pflegebedürfti-

gen und deren Angehörigen auch eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durch Pres-

seartikel, Messebesuche, Informationsstände sowie zahlreiche Vortragsangebote.

Eine besondere Bedeutung hat darüber hinaus die Koordination und Vernetzung der

verschiedenen Akteure und Angebote der lokalen Altenhilfe. Die Beratungskräfte neh-

men sowohl an der Kreispflegekonferenz als auch an diversen kreisweiten und örtli-

chen Arbeitskreisen teil. Dort setzen sie sich für Belange der Pflegebedürftigen und

ihrer Angehörigen ein und wirken auf Verbesserungen in derem Sinne hin. Eine be-

sonders enge Kooperation besteht zu den Wohnberatungsstellen des Kreises, da in

vielen Fällen sowohl zu Leistungen der Pflegeversicherung als auch zu Maßnahmen

der Wohnraumanpassung beraten werden muss. Vorteilhaft ist die Kooperation mit

den Wohnberatungsstellen außerdem, da diese im Gegensatz zur Pflegeberatung ein

sehr intensives Fallmanagement anbieten können. Der Kreis Unna unterstützt die Be-

ratungsangebote u.a. durch die Erstellung und Veröffentlichung von beratungsunter-

stützenden Materialien wie z.B. ausführliche Beschreibungen der stationären und teil-

stationären Angebote im Kreisgebiet.

Für die Pflegeberatung im Kreis Unna hat die Verbraucher-Zentrale NRW 2,5 Stellen

mit Sozialpädagoginnen, Sozialarbeiterinnen und einer Pflegewissenschaftlerin be-

setzt. Diese Beratungskräfte sind zu regelmäßigen Beratungszeiten persönlich in den

Verbraucherberatungsstellen Kamen und Lünen erreichbar. Darüber hinaus bieten sie

regelmäßig (1-4 mal pro Monat) Sprechzeiten in allen kreisangehörigen Gemeinden

an. Diese Beratungen finden z.B. in Rathäusern, Gesundheitsämtern oder Treffpunk-

ten für Senioren statt. Neben den persönlichen Sprechzeiten nutzten ca. 50% der

Ratsuchenden das telefonische Beratungsangebot. In Ausnahmefällen bieten die Pfle-

geberatungskräfte auch Hausbesuche an.

Von den 1.678 Anfragen, die 1999 an die Pflegeberatung im Kreis Unna herangetra-

gen wurden, kamen die meisten von Angehörigen der Pflegebedürftigen (65%). Im

Mittelpunkt der Beratung standen Fragen zu Leistungen der Pflegeversicherung

(40,6% der Anfragen) und zur Finanzierung von Pflegeleistungen (34,7%). Ca. ein

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100

Viertel der Ratsuchenden informierte sich über die Einstufung durch den Medizini-

schen Dienst, bzw. fragte nach Möglichkeiten, einer erfolgten Einstufung zu widerspre-

chen. Hier konnten die Beratungskräfte auf Grund der Rechtsberatungsbefugnis der

Verbraucher-Zentrale NRW Unterstützung bieten. Eine Rechtsberatung und

-vertretung im außergerichtlichen Bereich wurde bei 28,3% der Anfragen geleistet.

Teilweise mit Unterstützung eines Honorarrechtsanwalts für Sozialrecht ging es neben

den Widersprüchen gegen Entscheidungen von Pflege-, Krankenkassenkassen oder

Sozialhilfeträgern um die Prüfung von Verträgen und Abrechnungen von Pflegeanbie-

tern. Knapp ein Viertel der Ratsuchenden wurde an andere Beratungsstellen, z.B. die

Wohnberatungsstellen weitervermittelt. 27,7% der Ratsuchenden informierten sich

über verschiedene Anbieter und bekamen Unterstützung bei der Suche nach dem

passenden Dienst durch umfangreiche Materialien zu Leistungen und Preisen aller

Anbieter im Kreisgebiet und Checklisten, worauf bei der Auswahl eines Anbieters zu

achten ist. Da bisher noch kein neutrales Auswahlinstrument, wie z.B. eine EDV-

Datenbank zur Verfügung steht und die Verbraucher-Zentrale zur Anbierterunabhän-

gigkeit verpflichtet ist, kann jedoch keine Vermittlung an einzelne Anbieter erfolgen.

Nach drei Jahren Arbeit der Pflegeberatung im Kreis Unna kann eine positive Bilanz

gezogen werden. Dies wird auch an der Evaluation der Pflegeberatung Unna deutlich,

mit der die Verbraucher-Zentrale NRW ein unabhängiges Forschungsinstitut beauf-

tragte. Sowohl die interviewten Experten aus dem Kreisgebiet als auch die befragten

Ratsuchenden äußerten sich durchweg positiv. Eine weitere Entwicklung der Bera-

tungsqualität erhoffen wir uns darüber hinaus durch die Formulierung von Struktur-,

Prozess- und Ergebnissstandards für die Pflegeberatung, an deren Entwicklung seit

einigen Monaten die Beratungskräfte und Mitarbeiter der Geschäftsstelle arbeiten.

Diskussion

Engels:

Vielen Dank Frau Nordmann. Ihrem letzten Statement kann ich mich anschließen: Ich

denke auch, dass dies wichtige Voraussetzungen wären. Wir haben jetzt von Ihnen

zwei Beispiele gehört, die unterschiedliche Berührungspunkte zu dem hier diskutierten

Case Management haben. Die Wohnberatung wäre ein Fall von spezialisiertem Case

Management, das aber vom Verfahren her fast alle Schritte aufweist, die wir gestern

besprochen haben, und die wir als zugehörig zum Case Management-Verfahren be-

trachten. Das zweite Beispiel zeigt die Parallele auf, dass wir die gesetzliche Veranke-

rung eingefordert haben, dass wir zweitens gesagt haben: Information und Beratung

auf der einen Seite müssen korrespondieren mit einer koordinierten, vernetzten

Struktur der Anbieter auf der anderen Seite. Das ist damit auch gegeben, nur haben

Sie angedeutet: Wir können und wir wollen nicht ein weitergehendes Case Manage-

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101

ment anbieten. Da müsste man noch mal klären, wie das Können und das Wollen sich

zueinander verhalten. Wir hatten ja auch unter Hinweis auf die Situation in einem

großflächigen Landkreis gesagt, dass es durchaus Grenzen des Könnens geben kann.

Garms-Homolová:

Sie haben von den Einsparungen gesprochen. Ich würde mich freuen, wenn Sie das

ein bisschen spezifizieren könnten. Und noch eine Anmerkung: Ich denke, wir sollten

uns hüten, alle Angebote, die ein Individuum oder seine Angehörigen oder sein sozia-

les Netz unterstützen, unter „Case Management“ zu subsummieren. Es gibt Individuen,

bei denen punktuelle Angebote, z.B. eine Beratung, bereits ausreichen, die aber kein

qualifiziertes Case Management benötigen. Ich denke, unsere Aufgabe wäre eher,

darüber nachzudenken, wie wir erkennen, ob das Individuum ein Case Management

benötigt, oder ob es mit einem punktuellen Angebot schon auskommt: Welche Poten-

ziale hat das Individuum? Welche Ressourcen hat sein unmittelbares soziales Netz-

werk? Ich denke, das ist die Aufgabe der Zukunft. Wir haben diese Problematik bereits

gestern angesprochen, als der Kollege aus Italien hier berichtet hat, dass wir nicht ein

Land mit einem sehr komplexen Angebot überwälzen dürfen. Also ich denke, das ist

wichtig, dass wir uns auch darüber unterhalten: Wie identifizieren wir die Personen, die

wirklich ein sehr qualifiziertes, sehr komplexes Case Management benötigen?

Nordmann:

Danke schön, vor allen Dingen für die zweite Anmerkung. Denn es hat sich bei uns

auch herausgestellt, dass für viele Betroffene eine einfache Beratung ausreichend ist.

Andererseits – das habe ich jetzt nicht mehr so genau angesprochen: Ca. 25% unse-

rer Ratsuchenden vermitteln wir auch weiter an Stellen, von denen wir wissen, dass

dort auch Case Management geleistet wird; sei es die Wohnberatung, sei es die Be-

ratungsstelle der Kommune.

Zu Ihrer Frage nach der Spezifizierung der Einsparungen möchte ich Sie auf die Eva-

luationsstudie der Universität Bielefeld verweisen. Deren Berechnungen gehen davon

aus, dass eine Wohnberatungsstelle schon relativ etabliert ist, d.h. schon seit ein, zwei

Jahren mit ca. 1,5 Stellen als Mitarbeitern arbeitet. Es wurde dann im Mittel berechnet,

was man an nicht-erfolgter Heimeinweisung im Gegensatz zu den erfolgten Aufwen-

dungen erspart.

Broy:

Ich heiße Monika Broy. Ich bin privat in der Seniorenberatung tätig, d.h. ich habe mich

vor einem Jahr selbstständig gemacht und ein Beratungsbüro für ältere Menschen

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102

eröffnet. Mich würde interessieren, wie hoch die Kosten sind, die für die Kommune

Unna durch die Beratungsstelle der Verbraucherberatung entstanden sind.

Nordmann:

Es wird uns ein Budget zur Verfügung gestellt, und es liegt dann an uns, wie wir dieses

Budget umsetzen. Es waren 2,5 Mitarbeiterstellen möglich, bezahlt nach BAT IV, und

noch ein Anteil an Ausstattung usw. Ansonsten entstehen für den Kreis Unna keine

weiteren Kosten. Das sind Mittel, die durch die Finanzierungsmöglichkeiten in §17 des

Landespflegegesetzes geregelt werden.

Lindlahr:

Lindlahr, ich komme vom Deutschen Landkreistag, vertrete die Kommunen auf der

Bundesebene. Zu den Kosten habe ich nur mal eben eine Frage, und zwar zu den

Kosteneinsparungen: Kosteneinsparung kann ja nicht alleine sein, dass ich jemand

nicht in einer Einrichtung unterbringe. Der ambulante Bereich kann ja mindestens ge-

nau so teuer sein oder noch teurer als eine Einrichtungsunterbringung. Deswegen bin

ich da etwas ambivalent hinsichtlich der Kosteneinsparung, die hier schon mehrfach

erwähnt worden ist. Kosteneinsparung im ambulanten Bereich bei der Pflege heißt ja

in erster Linie: Kosteneinsparung beim Träger der Pflegeversicherung und nicht bei

den Kommunen. Die Kommunen müssen dann nämlich zusätzliche Kosten aufwen-

den, wenn der Pflegebedürftige sie nicht selber aufbringen kann.

Nordmann:

Zum genauen Verfahren, wie diese Einsparungen ermittelt wurden, kann ich nur so

viel sagen, dass berechnet wurde, dass jede Wohnberatungsstelle Einsparungen für

die Kommune um die 170.000 DM bringt. Ob das jetzt im ambulanten und/ oder statio-

nären Bereich ist, ist, denke ich, für die Gesamtsumme erst mal unerheblich.

Engels:

Es ist nicht unerheblich, ob die Kosten der ambulanten Versorgung davon schon abge-

rechnet worden sind. Das wäre sicherlich wichtig dabei.

Nordmann:

Es geht um die Gesamteinsparung; also nicht nur für den stationären Bereich, son-

dern: Was spart eine Wohnberatungsstelle für die Kommune oder für die Pflegekasse

als Beratungsstelle. Dazu gehören dann auch alle Themen, zu denen die diese Bera-

tungsstelle berät, Anpassungsmaßnahmen durchführt usw.

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103

Ziller:

Zum Beitrag von Herrn Lindlahr: Man muss doch sehen, dass im Bereich der ambu-

lanten Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung der Anteil der Sozialhilfe auf 5%

gesunken ist. D.h. wer als Pflegebedürftiger in der ambulanten Pflege verbleiben kann,

verursacht in der Regel keine Kosten für die Kommunen. Im Vergleich des Kostenni-

veaus „ambulant“ und „stationär“ für die Pflegeversicherung sind die Leistungssätze im

ambulanten Bereich bekanntermaßen niedriger als im stationären Bereich. Also auch

dort wird Geld gespart.

Lindlahr:

Zu den Kosten im ambulanten Bereich muss man natürlich noch sagen: Sicherlich ist

am Anfang, als die Pflegeversicherung in Kraft getreten ist, eine erhebliche Kostenein-

sparung eingetreten. Die Kosteneinsparungen sind im Bereich des Pflegegeldes er-

folgt, das ist klar. Aber die Familien nehmen immer mehr Pflege in Anspruch, es wird

immer mehr zusätzliche Pflege eingekauft. Dies führt dazu, dass sich das Pflegegeld

bei den Familien verringert. Aber die Sachleistungen der Pflegeversicherungen in der

ambulanten Pflege reichen nicht aus. Die Kommunen werden immer mehr zuzahlen

müssen. Diese Entwicklung ist längst eingetreten. Das führt dazu, dass in einigen Jah-

ren – ich möchte da nicht einen Zeitpunkt nennen, aber wir sehen das sehr kritisch –

das alte Niveau wieder erreicht ist und dann wieder ansteigt. In der Heimpflege ist ge-

nau derselbe Effekt eingetreten: Wir haben zwar natürlich gespart – ohne Zweifel. Die

Leistungen der Pflegeversicherungen haben sich bemerkbar gemacht, aber die Kosten

steigen wieder an. In der Heimpflege muss man noch Eines sagen: Die Kosteneinspa-

rung muss man Netto sehen. Wir haben früher in der Heimpflege immer die vollen

Bruttoausgaben bezahlt. Heute sehen wir nur noch die Nettokosten, die durch andere

Leistungen nicht gedeckt sind. Das ist also erheblich weniger – alleine durch eine Um-

schichtung zwischen Brutto und Netto.

Engels:

Vielen Dank. Aber stimmen Sie mir zu, dass wir das am besten noch einmal als The-

ma einer gesonderten Veranstaltung aufgreifen und hier nicht weiter verfolgen? Zu

den genauen Berechnungen von Einsparungen muss ich sagen, dass es sehr schwie-

rig ist, so etwas durchzuführen, und dass man sich da am besten noch einmal die je-

weils angewandten Berechnungsmethoden genau ansieht und dies genau vergleicht

mit anderen Herangehensweisen. Ich denke, es gibt dazu verschiedene Versuche,

aber das sind noch keine endgültigen Ergebnisse.

Wir haben jetzt noch zwei kurze Darstellungen von Baden-Württemberg und Hessen.

Dass ich sage „kurz“, mag als nicht gerade sehr freundlich angesehen werden – so ist

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es aber nicht gemeint. Sondern es sind beides Beispiele, die in unserem Programm,

das wir im letzten Jahr bearbeitet haben, enthalten waren und von daher auch in den

verfügbaren Materialien ausführlich dokumentiert sind.

4. Entwicklungsstand des Case Management in Baden-WürttembergProf. Dr. Wolf Rainer Wendt, Berufsakademie Stuttgart

Ich will mich in der Tat kurz fassen und nicht etwa das Projekt in Kirchheim-Teck, des-

sen Evaluation ja im Bericht nachzulesen ist, hier noch einmal referieren. Aber – gera-

de im Hinblick auf das, was zuletzt auch diskutiert wurde – denke ich doch, einiges

Wichtige noch sagen zu können.

Man kann ein Case Management durchführen, das sich auf Bedürfnisse einzelner Per-

sonen bezieht, und vorher sagen, dass man sich nur den Personen widmen will mit

diesem oder jenem Hilfebedarf – ansonsten ändert sich am System nichts; das wäre

ein personenzentriertes Case Management. Andererseits diskutieren wir auch darüber,

wie man das System insgesamt verbessern kann. Darüber kann man auch das Wort

„Case Management“ setzen, nämlich im Hinblick darauf, wie wir die insgesamt anfal-

lenden Probleme und Fälle im Hinblick auf die rechte Einschätzung des Bedarfes, im

Hinblick auf die Hilfeplanung, im Hinblick auf die Durchführung und die Evaluation ge-

stalten. Zwischen diesen beiden Bereichen gibt es nun einen wesentlichen Zusam-

menhang: Wenn man das eine macht, kann man dabei das andere übersehen, und

umgekehrt. Man kann da und dort ein Case Management machen und trotzdem insge-

samt nichts Wesentliches an Verbesserung des Systems erreichen. Andererseits kann

man auch umgekehrt am System sehr viel tun und muss sich trotzdem darum küm-

mern, dass auch individuell das Case Management richtig gemacht wird.

Darauf möchte ich hier näher eingehen, wie man einerseits eine integrierte Versorgung

erreicht und andererseits aber auch die Verantwortung des Bürgers stärkt, was ja auch

in der Gesundheitsreform eine wichtige Rolle spielt. Wir haben in Kirchheim-Teck ei-

nen Akzent insbesondere darauf gesetzt, wie man Freiwillige, Ehrenamtliche, Selbst-

hilfe in das Case Management integrieren kann. Wir haben zunächst festgestellt, dass

sehr viel an Einrichtungen vorhanden ist, dass sehr viele einzelne Dienste da sind, die

je für sich ein Case Management machen können, ohne dass man in der Kommune

weiß, ob insgesamt bedarfsgerecht, nutzerorientiert gearbeitet wird. Sprich: Wenn die

Diakonie-Station im Einzelfall ein Case Management macht, wenn eine andere Stelle,

ein privater Träger ein Case Management macht etc., also personenzentriert gearbei-

tet wird, kann trotzdem ein weites Feld offen bleiben, von dem man nichts weiß, weil

Jeder annimmt, der Andere tut schon das, was nötig ist. Wenn im Medizinbereich die

Hausärzte Vieles tun, weiß man davon im Sozialbereich der Kommune wenig oder

nichts. Da helfen auch Arbeitsgemeinschaften, in denen die Träger insgesamt ihre

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Politik abstimmen, wenig. Wir haben in Kirchheim-Teck festgestellt, dass das Haupt-

problem darin liegt, dass die meisten Leute bei Bedürftigkeit, bei der Vielfalt dessen,

was angeboten wird, von alleine ihren Weg finden; dass wir aber im System nicht wis-

sen, wer seinen Weg findet, und ob das diejenigen mit den spezifischen Bedürfnissen

sind. Wir können nicht sagen, ob die wirklich Bedürftigen und besonders Bedürftigen

zuerst und zuvorderst vom System bedient werden oder nicht vielmehr die, die am

besten den Weg durch das System der Angebote, durch die Vielfalt der Angebote fin-

den.

Das ist eine wichtige Feststellung, und da bin ich bei dem Punkt, wo die Freiwilligen

und die Ehrenamtlichen eine sinnvolle Funktion haben. Ich denke nämlich, dass wir in

Zukunft beim Case Management das Life Management der einzelnen Leute, die im

Alter mit Problemen zu tun haben, mehr bedenken müssen; nämlich die Art und Wei-

se, wie die Leute selber zu Entscheidungen darüber kommen, welche Hilfen sie in An-

spruch nehmen, wann sie das tun, rechtzeitig, oder erst im akuten Fall. Dazu muss

man das informelle System der Selbstversorgung besser kennen. Dabei haben wir in

Kirchheim-Teck festgestellt, dass das Bürgerbüro eine Anlaufstelle ist, und dass eh-

renamtliche Helfer hier eine wichtige Rolle spielen können. Im Hinblick auf die Optimie-

rung des Systems: Die informelle Seite ist ein wesentliches Moment in der Verbesse-

rung der Versorgung insgesamt.

Wie sieht das praktisch aus? Das ist ein wichtiger Punkt. Man denkt immer, Freiwillige

seien Laien, die fachlich keine Ahnung haben, und deshalb höchstens da und dort

informell etwas übernehmen können. Nein, de facto zeigt sich, dass es in der Regel

pflegeerfahrene Personen sind, die sich hier – meist im Alter – freiwillig engagieren;

pflegeerfahren entweder im eigenen privaten Umfeld oder durch eine frühere Berufs-

ausbildung. Das sind immer Personen, die die Problemlagen im Zusammenhang mit

der Pflege in der Familie gut kennen. Und damit werden sie zu Ansprechpartnern auch

bereits für niedrigschwellige Fragen, also für Personen, die nicht erst im akuten Fall

Hilfe in Anspruch nehmen können, sondern vorher schon Probleme haben. Da liegt

auch im Hinblick auf die Kostenfrage ein ganz wichtiger Punkt. So erzählte beispiels-

weise eine Frau einer ehrenamtlichen Helferin im Rahmen von organisierten Gruppen-

gesprächen: „Ich habe einfach die Schwierigkeit, dass ich meine Schwiegermutter

nicht waschen kann.“ Ein ganz konkretes Problem also; aber solche Fragen stellt man

nicht an die Fachkräfte, sei es, weil die Fachkräfte zu jung sind, sei es, weil die Fach-

kräfte selber nicht die Lebenserfahrungen teilen, die hier in diesem lockeren, infor-

mellen Gespräch ankommen. Mit unserer Fachlichkeit, mit unserem fachlichen Case

Management können wir viele Probleme gar nicht sehen und die Betroffenen nicht

erreichen. Deshalb ist die Ergänzung des Systems der formellen Versorgung durch die

Einbindung informeller Hilfen und Möglichkeiten, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.

Zur integrierten Versorgung gehört die Verantwortung des Bürgers, die Einbeziehung

des Bürgers in dieses Versorgungssystem. Ich denke, dass dies in Zukunft auch eine

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wesentliche Rolle spielen wird. Wir haben in Kirchheim-Teck festgestellt, dass solche

pflegeerfahrenen Frauen – die sind es ja in der Regel, die sich engagieren – sehr hilf-

reich sind. Das betrifft sogar das sehr bedrängende Problem der Demenz: Auch da

haben wir in Kirchheim-Teck gemerkt, dass es sich nicht nur um Akut-Fälle dreht, son-

dern es geht um den schleichenden Prozess der Demenz. Da ist es sehr wichtig, dass

man rechtzeitig ins Gespräch kommt. Da das oft ein peinliches Thema ist, mit dem

man nicht unbedingt gleich zu einer Beratungsstelle geht, ist es sehr wichtig, dass

auch informelle Strukturen da sind, dass man einen informellen Gesprächskreise hat,

in dem man sich darüber unterhalten kann, welche Erfahrungen Andere gemacht ha-

ben etc. Nun gibt es bekanntlich dafür Selbsthilfegruppen. Aber meistens ist es bei

den Selbsthilfegruppen so, dass sie immer erst zu Stande kommen, wenn vom Arzt

oder von der fachlichen Beratung her gesagt wird: „Gehen Sie doch in die Selbsthilfe-

gruppe.“ Aber man braucht solche Strukturen schon vorher. Ich denke, es muss in das

System eingebunden werden, dass man sich auch der ehrenamtlichen, der freiwilligen

Helfer bedient – auch im Rahmen des Case Management.

Dazu noch ein zweiter Hinweis, wieder mehr zum Fachlichen. Ich denke, dass wir beim

Case Management selber dem Anfangsbereich und dem, was hier am Ende steht,

mehr Beachtung zumessen müssen, nämlich der Frage: Wie erreichen wir die Bedürf-

tigen rechtzeitig? Welche erreichen wir? Wo können wir das verbessern? Das ist im

Vorfeld der Fall. Gestern wurde auch die Frage gestellt: Wer hat das Case Manage-

ment nötig, wie beschränken wir das? Dabei muss man zunächst klären: Wie weit er-

reichen wir die Bürger überhaupt? Wen wählen wir aus? Und wir haben zur besseren

Gestaltung des Systems auch Notwendigkeiten der Rechenschaftslegung, die mit dem

Case Management verbunden sind. Da muss, glaube ich, noch mehr getan werden.

Statt nur das Case Management im engeren, spezifizierten Sinne zu betrachten, müs-

sen wir – in Bezug auf die Unterscheidung „systemorientiertes“ und „personenorien-

tiertes“ Case Management – Verfahren entwickeln, wie wir die Erfahrungen mit den

vielen Einzelfällen wieder einspeisen in die Gestaltung der Versorgung insgesamt.

5. Entwicklungsstand des Case Management in HessenDr. Hannes Ziller, Hessisches Sozialministerium, Wiesbaden

Meine Damen und Herren, ich werde mich nicht äußern zum konkreten Projektstandort

Kaufungen, der hier an diesem Projekt teilgenommen hat, weil das im Abschlussbe-

richt nachzulesen ist. Ich möchte kurz in Stichworten etwas zur Gesamtplanung sagen,

denn das Projekt in Kaufungen war Teil einer landesweit ausgerichteten Rahmenkon-

zeption zum Aufbau eines trägerübergreifenden Beratungs- und Koordinierungsange-

bots im Bundesland Hessen.

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Die Eckdaten dieser Rahmenkonzeption in Stichworten:

1. Ansiedlung auf der kommunalen Ebene, d.h. der Landkreise und kreisfreien Städ-

te: Die strukturellen Zielvorstellungen sind Beratungs- und Koordinierungsverbün-

de, die von ihrer Anlage her in der Großstadt quartier- oder stadtteilbezogen, im

Landkreis flächendeckend anzulegen sind. Die Ansiedlung auf der kommunalen

Ebene hat mehrere Gründe: Die kommunale Zuständigkeit für die örtliche Daseins-

vorsorge, die eine umfassende ist; ihre Zuständigkeit als Träger der Sozialhilfe; ih-

re Funktionen im Rahmen der Pflegeversicherung; und planerische Aufgaben, die

die Kommunen für sich selbst definieren.

2. Die Kommune kommt nicht in erster Linie als Träger dieser Struktur in Frage, aber

regelhaft als Moderator und auch als Garant für Qualität und für Trägerneutralität.

Letzteres in soweit leicht gebrochen, als eben – wie schon gesagt wurde – auch

eine Kommune Trägerschaftsfunktionen haben kann. In Hessen war überra-

schend, dass der Wunsch, dass die Kommune regelhaft die Moderatorenfunktion

übernehmen soll, von der Liga der freien Wohlfahrtspflege kam, die ja sonst zu

Recht sehr auf ihre Autonomie bedacht ist.

3. Eine prinzipiell trägerübergreifende Anlage, d.h. die Funktionen der Beratung und

Koordinierung dürfen nicht primär, oder auch nicht mittelbar, dem Eigeninteresse

als Leistungsanbieter dienen. Drei Organisationsmodelle sind denkbar: Ein funda-

mentalistisches, das „Selbstverwaltungsmodell“, also in Form eines e.V., einer ge-

meinnützigen GmbH oder Ähnliches. Zweitens: Das, was wir „modifiziertes Trä-

germodell“ nannten; Trägermodell deshalb, weil wir sagen, auch ein Träger als

Leistungsanbieter kann prinzipiell Träger des Beratungs- und Koordinierungsange-

bots sein; modifiziert deshalb, weil hier strukturell nachweisbare Kontrollmecha-

nismen zur Sicherstellung der Trägerneutralität vorfindbar sein müssen. Also eine

bloße Absichtserklärung, man werde sich schon bemühen, reicht nicht. Drittens:

Das, was wir „kommunales Verbundmodell“ genannt haben. Die Kommune als Ge-

bietskörperschaft, als Rechtsträger; Verbund deswegen, weil unter diesem rechtli-

chen Dach, das sehr viele Vorteile in dieser und jener Hinsicht hat, eine autonome

Mitwirkung Anderer (oder in der Tendenz aller Anderen) möglich sein muss. In der

praktischen Umsetzung hat das fundamentalistische Selbstverwaltungsmodell kei-

ne Rolle gespielt. Das ist verständlich, weil diejenigen, die hier für das „Amt des

zweiten Schriftführers“ in Frage kommen, im Zweifel schon Vorsitzende von drei

Vereinen sind. Das Potenzial ist zu gering, und die Lust, neue Träger oder Vereine

zu gründen, ist begrenzt. Das modifizierte Trägermodell und das kommunale Ver-

bundmodell hielten sich in der Umsetzung in etwa die Waage.

Im Binnenbereich des Instrumentarium könnte man sagen: Case Management sollte

sich an internationalen Standards orientieren, allerdings ohne Einheitsvorgaben. Es

gab und gibt eine große Variationsbreite etwa in der Ausgestaltung der Assessment-

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Formulare oder auch der kleinteiligen Ausformung von Dokumentationsinstrumentari-

en.

Zur Umsetzung: Dieses Konzept hat sich als segensreich herausgestellt. Wir haben

versucht, aus negativen Erfahrungen in Baden-Württemberg zu lernen. Der Prozess

der Erarbeitung der Rahmenkonzeption war als ein gemeinsam – also mit freier

Wohlfahrtspflege, anderen Trägerbereichen, kommunalen Spitzenverbänden usw. –

getragener Vorgang angelegt.

Die Akzeptanz des Programms nach einem etwa gut zwei-jährigen Arbeits- und Dis-

kussionsprozess war bei vielen kommunalen Gebietskörperschaften unterschiedlicher

Art und Größe – also Großstädten, Landkreisen im ländlichen Raum – teilweise au-

ßerordentlich hoch. Ich müsste es eigentlich anders sagen: Die Struktur hat in vielen

oder in einigen wichtigen Gebietskörperschaften Hessens schon lange existiert, we-

nigstens rudimentär, ehe wir von Landesseite aus gesagt haben: „Wir greifen das jetzt

auf, wir systematisieren es, wir binden es ein in einen landesweiten Aufbauprozess.“

D.h. wir haben natürlich nicht im Vakuum oder auf der grünen Wiese begonnen. Teil-

weise sind wir aber auch im Bereich der kommunalen Gebietskörperschaften auf radi-

kale Ablehnung gestoßen. Auf der Ebene der Spitzenverbände haben sich in Hessen

die kommunalen Spitzenverbände vornehmend zurückgehalten. Wir sind auf sehr gro-

ße Skepsis bei den Pflegekassen gestoßen.

Auf eine hessische Besonderheit, die mir persönlich sehr am Herzen liegt, möchte ich

noch hinweisen: Die ausdrückliche und methodisch ausgestaltete Einbeziehung der

geriatrischen Rehabilitation. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die jetzt noch von Be-

deutung sind, weil wir da am Anfang modellhafter Erprobungen stehen.

Die Stadt Wiesbaden erprobt im Rahmen des Bundesmodellprojekts „Altenhilfestruktu-

ren der Zukunft“ die Einbeziehung der geriatrischen Rehabilitation in die bereits flä-

chendeckend in Wiesbaden vorhandene, stadtteilorientierte Beratungs- und Koordinie-

rungsstruktur. Schwerpunkt ist die Begleitung der Klientinnen und Klienten aus der

stationären Rehabilitationsphase in den komplementären Bereich hinein, mit dem pri-

mären Ziel der Rückführung in die eigene Häuslichkeit. Eine Paralleluntersuchung wird

demnächst im Hufelandhaus, einer geriatrischen Rehabilitationsklinik eingebunden in

ein Altenzentrum in Frankfurt, begonnen werden. Hier wird ein Untersuchungsschwer-

punkt auf der Frage liegen: Welche Kriterien oder Lebensumstände sind bestimmend

für die letztendliche Entscheidung, in ein Heim umzusiedeln? Oder welche Hilfen sind

bestimmend, dies nicht zu tun? Dieses Projekt ist ausdrücklich als „lebensbegleiten-

des“ angelegt, d.h. die Patientinnen und Patienten werden während der stationären

Rehabilitationsphase in der Rehabilitationsklinik abgeholt, aufgesucht und dort auf der

Grundlage des interdisziplinären Assessments helfend begleitet mit den Methoden des

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Case Management, um zu erproben, welche Faktoren dann für die Platzierungsfrage

bestimmend sind.

Abschließend zum Stand der Umsetzung: Als die Entscheidung des hessischen

Landtags in der Mitte des vergangenen Jahres fiel, das Landesförderprogramm aufzu-

geben – also eine rein finanzpolitische Entscheidung –, waren 70% des Landes Hes-

sen insoweit erreicht, als mindestens eine einvernehmlich getragene umsetzungsfähi-

ge Konzeption vorlag. Etwa die Hälfte dieser 70% war bereits realisiert. Also man

könnte im Groben sagen, dass etwa ein Drittel der Gebietskörperschaften Hessens

mehr oder weniger ausdifferenzierte Angebotsstrukturen in Gestalt von in die Fläche

gehenden Beratungs- und Koordinierungsangeboten bereits hatte und noch hat. Die

Perspektive sieht so aus, dass diejenigen, die es schon hatten, weiter machen werden,

dass aber diejenigen, die es gerne hätten, aber noch nicht haben umsetzen können,

jetzt ohne Landesmittel eines wesentlichen politischen Durchsetzungsinstruments be-

raubt sind, sodass wir annehmen, dass der regelhaft angelegte Implementationspro-

zess hier Brüche erleiden wird.

Zu den Perspektiven: Ich würde mir eine Absicherung des Aufbauprozesses dieser

Angebotsstruktur auf bundesgesetzlicher Ebene sehr wünschen. Jetzt höre ich schon

ein paar sagen: „Da könnt Ihr es sehen; das Land fängt was an, dann schleicht es sich

aus der Finanzierung davon und schaut auf den Bund.“ So einfach ist das nicht. Über

den Beitrag der Länder könnte man systematisch, ordnungspolitisch, finanzpolitisch

sehr konkret diskutieren – von mir aus auch kontrovers. Aber wenn Sie Case Mana-

gement in dieser Form unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland als

allgemein verfügbare und verbindlich abgesicherte Struktur haben wollen, dann müs-

sen Sie ins BSHG rein, dann müssen Sie ins SGB XI rein, und Sie müssen ins SGB V

rein, und: Das alles müssen Sie zusammenbringen; und das überfordert unsere be-

scheidenen Möglichkeiten auf Landesebene.

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Empfehlungen zu Konzeption, Struktur und Umsetzung des CaseManagement – Schlussfolgerungen aus nationalen und internatio-nalen Erfahrungen

1. Case Management als Beitrag zur Weiterentwicklung der Altenhilfe in Europa

Die soziale und gesundheitliche Lage älterer Menschen hat vor dem Hintergrund einer

in ganz Europa – wenn auch mit gewissen Unterschieden – zu verzeichnenden demo-

grafischen Entwicklung, die eine starke Zunahme der Zahl und des Anteils älterer

Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf erwarten lässt, zu vielfältigen Projekt- und Modell-

vorhaben geführt, die im Sinne eines „Case Management“ darauf abzielen, die ge-

wachsenen Hilfesysteme bedarfsorientiert weiterzuentwickeln. Aus der Analyse dieser

Entwicklungsansätze lassen sich Erkenntnisse für die weiteren Perspektiven der natio-

nalen Altenhilfesysteme, insbesondere auch für die Entwicklung der Altenhilfe in der

Bundesrepublik Deutschland, gewinnen. Hierin könnte auch ein Beitrag zur Förderung

einer konvergenten Entwicklung der Altenhilfe in Europa insgesamt gesehen werden.

2. Bedarfsgerechte Unterstützung einer selbstständigen Lebensführung

Trotz der Unterschiede in der Ausgangssituation und in den Rahmenbedingungen

wenden alle Projekte in den beteiligten Ländern die Methode an, älteren Menschen die

im Verlauf des Alternsprozesses erforderlichen spezifischen Hilfen entsprechend ihren

individuellen Bedürfnissen in fachlich abgesicherter Weise und aufeinander abge-

stimmt, d.h. in einem kohärenten System, zur Verfügung zu stellen. Dadurch soll das

Ziel erreicht werden, den älteren Menschen auch dann, wenn ihr Hilfebedarf wächst,

eine optimale Selbstständigkeit ihrer Lebensführung zu ermöglichen und verfrühte

Heimübersiedlungen zu vermeiden.

3. Überwindung von Fragmentierung durch Struktur- und Organisationsentwicklung

Besondere Probleme bei der Koordination der erforderlichen Hilfeleistung erwachsen

in den meisten der beteiligten Länder aus der Systemtrennung von Gesundheitswesen

und Sozialwesen, denen die unterschiedlichen Leistungsbereiche, Institutionen und

Kostenträger jeweils zugeordnet sind. Die Schwierigkeiten an den Schnittstellen und

Übergängen zwischen verschiedenen Interventionsbereichen (insbesondere bei der

Entlassung aus stationärer Behandlung im Krankenhaus mit dem Ziel der Rückkehr in

die eigene Häuslichkeit) können nur durch eine gezielte Struktur- und Organisation-

sentwicklung auf gesicherter rechtlicher und finanzieller Grundlage überwunden wer-

den. Ein Beispiel für ein gesetzlich abgesichertes integriertes Hilfesystem, das alle

erforderlichen Hilfen des Sozial- und des Gesundheitswesens einschließt, hat die Re-

gion Emilia-Romagna mit dem Regionalgesetz Nr. 5/94 entwickelt. Dieses Gesetz

könnte in wichtigen Elementen zum Vorbild für die Weiterentwicklung der Gesetzge-

bung auch in anderen europäischen Regionen werden.

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4. Umfassendes und bereichsspezifisches Case Management: Wechselseitige Er-

gänzung

Wenn es dem Grundgedanken des Case Management entspricht, dass eine (ältere)

Person mit Hilfebedarf sich an einen Ansprechpartner wenden kann mit der Bitte, sie

über alle möglichen Hilfeleistungen zu informieren und beim Zugang zu diesen behilf-

lich zu sein, dann erfordert dieser Bedarf ein umfassendes Case Management. Dies

schließt aber nicht aus, dass dieses durch weitere, spezifische Formen sinnvoll ergänzt

werden kann; so ist gerade die Rückkehr in die Privatwohnung nach einer Kranken-

hausbehandlung ein schwieriger Schritt, der durch die Begleitung eines im Kranken-

haus tätigen Case Managers wesentlich erleichtert werden kann. Grundsätzlich sollte

jedoch zunächst der Aufbau einer umfassend ausgerichteten, für alle Älteren mit Hilfe-

bedarf leicht erreichbaren und mit allen Anbietern in gutem Kontakt stehende Case

Management-Struktur im Vordergrund stehen.

5. Wohnortnahe Lokalisierung

Ein Case Management, das umfassend auf alle älteren Bürger mit komplexem Hilfe-

bedarf ausgerichtet ist, sollte wohnortnah lokalisiert sein, sodass es für die Älteren

ohne großen Aufwand erreichbar ist. Dies kann in Form einer Anbindung an bestehen-

de wohnortnahe Bürgerzentren, Seniorenzentren oder Beratungsstellen erfolgen (oder

in ländlichen Gebieten in Form einer Zentrale, die mit dezentralen Anlaufstellen in den

Gemeinden verbunden ist).

6. Neutrale Trägerschaft

Die Trägerschaft des Case Management sollte übergreifend und neutral sein. Unter

diesem Gesichtspunkt bietet sich eine staatliche bzw. kommunale Trägerschaft an.

Alternativ lässt sich Neutralität auch durch einen Zusammenschluss mehrerer Träger

erreichen (mit oder ohne kommunale Beteiligung bzw. Moderation); dies setzt aller-

dings voraus, dass alle relevanten Akteure einbezogen werden.

7. Grundelemente des Case Management-Prozesses

Die Verfahrensweisen des Case Management sind in den beteiligten Projektbeispielen

vergleichbar: Sie erfassen den Hilfebedarf älterer Menschen in mehr oder weniger

standardisierter Form unter Beteiligung verschiedener Berufsgruppen; sie entwickeln

in Abstimmung mit den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld auf dieser Grundlage

ein umfassendes, komplexes Hilfekonzept; weiterhin begleiten sie dessen Umsetzung,

modifizieren es, falls erforderlich, und werten den Verlauf des Hilfeprozesses aus. Ein

so verstandenes Case Management kann bereits heute als international bewährtes

und anerkanntes Instrumentarium für die Konzeption und praktische Umsetzung von

bedarfsgerechten Dienstleistungspaketen für ältere Menschen mit komplexem Hilfebe-

darf angesehen werden.

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Es umfasst insbesondere folgende Elemente:

• casefinding Zugang zum Beratungsangebot

• assessment Ermittlung des Hilfebedarfs

• planning Aufstellung des Hilfeplans

• linking Durchführung der Hilfeplanung und Vermittlung der Hilfen

• monitoring Überprüfung der Hilfeplanung

• evaluation Auswertung des Hilfeprozesses

• documentation Dokumentation aller Schritte.

Es ist zu empfehlen, Strukturen, Methoden und Instrumente eines so verstandenen

Case Management der Weiterentwicklung der Hilfesysteme für ältere Menschen ver-

bindlich zu Grunde zu legen. Das Case Management darf sich jedenfalls nicht auf eine

reine Beratung beschränken, sondern muss auch den weiteren Prozess der Vermitt-

lung von Hilfen und der späteren Überprüfung der bedarfsgerechten Umsetzung um-

fassen.

Die zum Assessment eingesetzten Instrumente sollten alle erforderlichen Informatio-

nen erfassen – nicht mehr und nicht weniger. Um eine Übererfassung zu vermeiden,

wird in manchen Projekten ein zweistufiges Assessment erfolgreich praktiziert, das in

der ersten Stufe möglichst kurz gehalten und nur in besonders schwierig gelagerten

Fällen erweitert wird.

8. Kompetenzen und Arbeitsteilung

Die erforderlichen Kompetenzen der Case Manager berühren in fachlicher Hinsicht

medizinische, pflegerische, sozialpsychologische und sozialarbeiterische Qualifikatio-

nen – eine komplexe Anforderung, die eine Präferenz für eine multidisziplinäre Organi-

sationsform nahe legt. Durch personale Qualifikationen wie soziale und kommunikative

Kompetenz, Erfahrung und Überzeugungskraft wird die Tätigkeit des Case Manager

wesentlich erleichtert. Da die Verkörperung dieser Kompetenzen in einer Mitarbeiterin

bzw. einem Mitarbeiter eine überhöhte Anforderung darstellen kann, ist eine Team-

Lösung eher zu empfehlen - bei knappen Mitteln auch durch Kombination mehrerer

Teilzeit-Stellen oder mehrerer Mitarbeiter, die mit anteiliger Arbeitszeit am Case Ma-

nagement beteiligt sind.

Wenn mehrere Case Manager bzw. mehrere Professionen zusammen arbeiten, müs-

sen die Einheitlichkeit der Evaluationskriterien und die Integration der Perspektiven in

einer gemeinsamen Auswertung und Hilfeplanung gewährleistet sein. Dies erfordert

eine gute organisatorische Abstimmung sowie Kooperationsbereitschaft und wechsel-

seitige Akzeptanz.

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9. Kooperation und Vernetzung mit professionellen und informellen Akteuren

Die Koordination komplexer Hilfeleistungen für ältere Menschen erfordert das Zusam-

menwirken aller Akteure und Organisationen, die über entsprechende Hilfeangebote

verfügen. Dies betrifft alle professionellen Anbieter von Pflegeleistungen und komple-

mentären Hilfen, von besonderer Bedeutung ist aber auch die Einbeziehung und Akti-

vierung des sozialen Umfelds der älteren Menschen sowie ehrenamtlicher Helferinnen

und Helfer.

Mit den Diensten und Einrichtungen in ihrem Umfeld müssen die Case Manager gute

Kontakte und einen regelmäßigen Informationsaustausch pflegen. Hierzu muss eine

gute Beziehungsqualität mit wechselseitiger Kooperationsbereitschaft erreicht werden.

Erforderlich ist dazu einerseits eine gute kommunikative Kompetenz des Case Mana-

gers, andererseits aber auch ein klares Leistungsprofil seiner Funktion, um eine klare

und eindeutige Außendarstellung zu erreichen. Ohne eine solche Profilierung ist es nur

schwer zu erreichen, dass die Vertreter anderer Organisationen dem Case Manager

mit Akzeptanz begegnen statt mit Konkurrenzangst und/ oder desinformierender Blok-

kadehaltung.

Eine optimale Vernetzung mit den Anbietern sollte angestrebt werden, um deren

Dienstleistungen besser aufeinander abstimmen und koordinieren, erforderliche Spe-

zialisierungen anregen und ggf. bestehende Parallelstrukturen abbauen zu können. In

technischer Hinsicht ist eine Vernetzung im Sinne eines stets aktuellen Überblicks, der

dem Case Manager durch ein entsprechendes EDV-Programm jederzeit zur Verfü-

gung steht, möglich und hilfreich. Die gewünschte Aktualität setzt aber die grundle-

gend kooperative Haltung der Anbieter voraus.

10. Vernetzung mit geriatrischer Rehabilitation

Von besonderer Bedeutung ist die Einbeziehung geriatrischer Rehabilitationsmodelle

in den Gesamtrahmen des Case Management. Diesbezüglich liegen besondere

Schwierigkeiten darin, dass geriatrische Rehabilitation schwerpunktmäßig in Spe-

zialeinrichtungen (Geriatrische Fachabteilungen in Allgemeinkrankenhäusern, Geriatri-

sche Fachkliniken, Rehabilitationseinrichtungen) erfolgt, wobei die räumliche Vertei-

lung dieser Einrichtungen, die zeitliche Dimensionierung der rehabilitativen Behand-

lung und deren hochspezifische fachliche Anforderungen die Koordination mit weiter-

führenden Hilfen im Rahmen der Altenhilfe erschweren. Erfolg versprechend wäre eine

Kontaktaufnahme des Krankenhauses mit dem Case Management bereits während

der Akutbehandlung im Allgemeinkrankenhaus, sodass die Einbeziehung der Rehabi-

litationsphase sich hieraus organisch ergeben kann. Ziele und Verlauf des Rehabilitati-

onsprozesses sind dann als ein unverzichtbares Grundelement eines leistungsfähigen

Altenhilfesystems in das Case Management einzubeziehen. Das selbe gilt für ambu-

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lante und insbesondere für mobile Rehabilitationsangebote, die in besonderem Maße

darauf ausgerichtet sind, den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu sichern.

11. Impulse für die Sozialplanung

Die auf die Person des hilfebedürftigen alten Menschen bezogenen Dienstleistungen

des Case Management werden in vielen der beteiligten Projekte ergänzt und erweitert

durch die Verarbeitung der daraus gewonnenen Erfahrungen auf der sozialplaneri-

schen Ebene sowie bei der regionalen Koordination der Leistungsanbieter. Dies be-

deutet konkret, dass aus dem personenbezogenen Case Management Impulse für den

Abbau von Versorgungsdefiziten oder Mängeln in der Zusammenarbeit der Dienstlei-

ster sowie für die Weiterentwicklung der Hilfeangebote für ältere Menschen erwach-

sen. Hierin kann ein wichtiger Beitrag zur Sozialplanung insgesamt gesehen werden.

12. Verknüpfung von Qualität und Effizienz

Die vorliegenden praktischen Erfahrungen mit dem Case Management zeigen auf,

dass mit diesem Instrumentarium die jeweiligen fachspezifischen Hilfen bedarfsgerecht

und rechtzeitig bereitgestellt und inhaltlich wie zeitlich aufeinander abgestimmt werden

können. Dies erhöht die Effizienz der jeweils eingesetzten Hilfeelemente, steigert die

Wirksamkeit der Hilfeleistung insgesamt und vermeidet Überversorgung. Es ist nach-

weisbar, dass kompetent durchgeführtes Case Management wesentlich dazu beitra-

gen kann,

• die Behandlungsdauer im Krankenhaus abzukürzen und Krankenhauseinweisung

zu vermeiden,

• vorhandene Rehabilitationspotenziale auszuschöpfen,

• das soziale Umfeld älterer Menschen zu stärken,

• individuelle Hilfsnetze aufzubauen,

• die größtmögliche Selbstständigkeit in der Lebensführung zu sichern,

• stationäre Dauerpflege zu vermeiden oder hinauszuschieben.

Damit eröffnen Altenhilfesysteme, die sich des Instrumentariums des Case Manage-

ment kompetent bedienen, die Chance, wirksamere Hilfe für eine ständig zunehmende

Zahl älterer und sehr alter Menschen zu leisten, ihre Lebensqualität zu erhalten und

zugleich die hohen Kosten der stationären Dauerpflege einzudämmen. Die Entwick-

lung dieses Instrumentariums als regelhaftes Grundelement eines zeitgemäßen Alten-

hilfesystems ist also fachpolitisch, gesellschaftspolitisch und finanzpolitisch zu emp-

fehlen.

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Podiumsdiskussion

Engels:

Meine Damen und Herren, jetzt gehen wir über zu einer Podiumsrunde, in der wir uns

zunächst noch einmal der Frage der Umsetzung von Case Management-Strukturen

widmen wollen. Anschließend werden wir Gelegenheit haben, weitere Fragen, die im

Laufe dieser beiden Tage aufgekommen sind, anzusprechen und zu diskutieren.

An unserer Podiumsrunde nehmen teil:

• Herr Herweck, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren,

Frauen und Jugend – wie Sie heute Morgen selber haben hören können, mit sehr

dezidierten Vorstellungen, wie die Bundesebene in diesem Bereich zu einer Wei-

terentwicklung beitragen kann und möchte.

• Daneben Herr Dr. Ziller, Altenhilfereferent im Sozialministerium in Hessen. Seine

Meinung haben Sie im Laufe der beiden Tage auch schon mehrfach kennen lernen

können.

• Zu meiner Rechten sitzt Herr Cappell, Altenhilfereferent der Behörde für Arbeit,

Gesundheit und Soziales in Hamburg; insofern auch ein Vertreter der Länderper-

spektive.

• Zu seiner Rechten, Herr Dumeier vom VdAK, Verband der deutschen Angestellten-

Krankenkassen, der die Perspektive der Pflegekassen vertritt.

• Und rechts neben ihm Herr Pohlmann, Altenhilfereferent der Stadt Dortmund, der

als kommunaler Vertreter die schon häufig angesprochene Rolle der Kommunen

hier näher darstellen und vertreten wird.

Ich möchte gleich mit Ihnen anfangen, Herr Pohlmann. Bis Mitte der 90er-Jahre waren

ja die Kommunen in erster Linie für Pflege und für den gesamten Bereich der Altenhilfe

zuständig. Durch die Pflegeversicherung hat es eine gewisse Entlastung gegeben, die

zunächst ein bisschen in das andere Extrem zu weisen schien, sodass sogar die Frage

gestellt wurde: Welche Rolle haben die Kommunen überhaupt noch in der Versorgung

alter Menschen? In Nordrhein-Westfalen – das haben wir heute Morgen in dem Bericht

von Frau Nordmann gehört – ist die Rolle der Kommunen sehr viel stärker vorgesehen

und auch gesetzlich ausgestaltet worden. Es wurde aber auch gesagt: Wie die einzel-

nen Kommunen das umsetzen, ist sehr unterschiedlich. In der Stadt Dortmund, denke

ich, war man dahin gehend sehr aktiv. Ich möchte Sie daher um eine Stellungnahme

aus kommunaler Sicht bitten.

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Pohlmann:

Meine Damen und Herren, vieles von dem, was ich über die kommunale Ebene be-

richten könnte, ist schon im Laufe des heutigen Vormittages und auch gestern von

Kollegen vorgetragen worden. Lassen Sie mich dennoch eins sagen aus der Erfahrung

der letzten 10 Jahre aus der kommunalen Sicht als Sozialplaner:

Wenn ich mich an die Zeit bis zur Einführung der Pflegeversicherung erinnere, also

etwa bis 1994, haben wir es als kommunale Akteure, aus meiner Sicht, insofern einfa-

cher gehabt, als dass wir mit dem „Problem des Pflegemarktes“ noch nicht so konfron-

tiert waren. Als Kommune im Bereich der Altenhilfe tätig zu sein und zu handeln, war in

der Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege insofern leichter, als dass die

Rolle der Kommune als handelnde Instanz akzeptiert war.

Das ist durch die Einführung der Pflegeversicherung bekanntlich viel schwieriger ge-

worden. Wir haben es heute mit einem Pflegemarkt zu tun, wir haben es auf der ande-

ren Seite in Nordrhein-Westfalen mit einem Landespflegegesetz zu tun, das durchaus

noch planerische Elemente beinhaltet. Ich will mal die Pflegebedarfsplanung benen-

nen, ich will aber auch die Steuerungsfunktion der so genannten Pflegekonferenzen

benennen, also mit allen Beteiligten in ein Gespräch zu kommen. Hier wird - auch

durch das Landespflegegesetz - den Kommunen eine steuernde Funktion zugewiesen;

auch durch das Pflegeversicherungsgesetz selbst, wo ja die Kommunen in die ge-

meinsame Verantwortung für eine ausreichende pflegerische Versorgung benannt

sind. Gleichwohl erleben wir das Geschäft seitdem sehr viel schwieriger, weil sich na-

türlich durch den Pflegemarkt auch Konkurrenzsituationen ergeben haben. Wir haben

neue Anbieter hinzu bekommen, nämlich den ganzen Bereich der privaten Anbieter.

Insofern war es für die Kommunen, und eben auch für uns in Dortmund, schwierig, an

die alten Gesprächskreise und die alten Strukturen, die wir in dem Bereich hatten, an-

zuknüpfen.

Was uns gelungen ist – ich kann das in der Kürze der Zeit nur anreißen – ist, eine bis

dahin schon bestehende Arbeitsgemeinschaft für Altenhilfe fortzusetzen, in Form von

Gremienarbeit in einer Pflegekonferenz und daran angebundenen Facharbeitskreisen.

Uns ist es gelungen, die ambulanten Anbieter komplett in dieses System zu integrie-

ren, sie also zu beteiligen. Wir haben zum Thema Beratung – was die Kollegin von der

Verbraucherberatung heute Morgen für den Kreis Unna beispielhaft angeführt hat –

erreicht, dass wir ein Beratungsnetz haben aufbauen können; auch mit einer Pflege-

datenbank – so ähnlich wie die Kollegin aus Berlin das berichtet hat –, wo wir mit allen

Anbietern eng zusammen arbeiten, um Beratung zu leisten.

Uns ist allerdings klar, dass wir beim Thema Case Management, so wie es heute und

gestern diskutiert wurde, sicherlich erst noch am Anfang stehen. Denn hier scheint es

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doch noch einer längeren Diskussion zu bedürfen, inwieweit die Kommune als Akteur

an dieser Stelle überhaupt ein Steuerungsmandat bekommen kann, was ihr eigentlich

nach den gesetzlichen Bestimmungen zusteht – dazu gibt es Hinweise im BSHG, im

SGB XI. Aber in dieser Gemengelage, die ich gerade angesprochen habe – also Trä-

gervielfalt, Pflegemarkt versus Sozialplanung – im Sinne von Case Management auch

eine aktive Rolle als Kommune zu übernehmen, das wird sicherlich noch eine schwie-

rige Diskussion sein. Wir halten es allerdings auch für sehr wichtig, dass die Kommune

hier weiter die Moderationsrolle übernimmt, und dass sie sich nicht zurückzieht nach

dem Motto „wir haben die Pflegeversicherung und sind kommunal nicht mehr zustän-

dig“. Hier hat die Kommune eine Aufgabe – auch im Hinblick auf die Diskussion um

eine Reorganisation der sozialen Dienste. Man muss schauen, inwieweit man hier An-

knüpfungspunkte findet im Sinne der Idee des Case Managements.

Engels:

Vielen Dank, Herr Pohlmann. Die Rolle der Kommunen als Moderator oder vielleicht

sogar noch weiter gehend als Gestalter konkreter Beratungsstellen, als Träger mögli-

cherweise, wird diskutiert. Sie haben in dieser Hinsicht einen gewissen Regelungsbe-

darf festgestellt; das ist im Hinblick auf das Case Management noch nicht so deutlich

fixiert, das haben wir schon mehrfach gehört.

Sie haben auch von der Rolle der Pflegekassen gesprochen. Diese haben ja laut §7

Absatz 2 des Pflegeversicherungsgesetzes einen Beratungsauftrag, der sich nicht nur

so interpretieren lässt, dass Sie über Ihre eigenen Leistungen – in diesem Falle Herr

Dumeier also über die Leistungen des VdAK – beraten würden, sondern auch über

Hilfeleistungen anderer Träger. Das ist ein, denke ich, wichtiger Hinweis, dass hier ein

umfassenderes Beratungsengagement angestrebt wird. Wir haben gestern in dem

Beispiel aus Luxemburg gehört, dass dort das Beratungselement innerhalb der Pflege-

versicherung auch in diesem Sinne als ein Case Management-Auftrag interpretiert

wird. Wie sehen Sie als Vertreter des VdAK Ihre Beteiligungsmöglichkeiten an einer

solchen Case Management-Struktur?

Dumeier:

Zunächst möchte ich dazu einfach mal festhalten: Ich denke, die Frage, die Sie hier

stellen, die stellt letztendlich auf die Implementierung einer neuen Struktur, einer neu-

en Organisation ab. Wenn man diese Frage stellt, dann muss man sich natürlich auch

im Vorfeld vor Augen halten: Wie sieht die Gesamtlösung denn eigentlich aus? Und

am Ende dieser Gesamtlösung kommt dann erst die Entscheidung hinsichtlich der

Organisationsstruktur. D.h. auch, dass am Ende einer solchen Gesamtlösung dann

letztendlich eine politische Entscheidung getroffen wird. Diese politische Entscheidung

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gilt es dann auch zu unterstützen – das gilt für die Pflegekassen sowie für die gesamte

Gesellschaft.

Zunächst muss es aber doch eigentlich darum gehen, dass eine Gesamtlösung aufge-

baut und diese vernünftig inhaltlich ausgestaltet wird. Da wären die Fragen zu stellen:

Wie sieht das jetzige System aus? Was leistet das jetzige System? Muss das jetzige

System erweitert werden? Wenn ja, um welche Aufgaben? Dann, was Frau Garms-

Homolová heute schon mal gesagt hat: Wie kriegen wir den Einstieg in dieses Case

Management? Es bedarf also einer konkreten Aufgabenbeschreibung. Dann geht es

weiter in die Zusammenarbeit, wobei sich auch die Frage der Neutralität ergibt. Es ist

heute im Laufe des Tages schon mal gesagt worden, dass auch bei der Anbindung an

die Kommune die Neutralität durchaus in Frage gestellt werden kann.

Des Weiteren geht es mir auch noch darum, deutlich zu machen: Es müssen auch

Anreize geschaffen werden, um einen solchen wichtigen Ansatz umzusetzen, nach-

dem er auf der Ebene der Gesetzgebung behandelt wurde. Dabei ist es ausgespro-

chen wichtig, nach meinen Erfahrungen zumindest, dass auch die Kosten klar darge-

stellt werden können. Denn Kosten – das ist nun mal so in unserem Gesundheitssy-

stem – spielen eine ganz entscheidende Rolle. Wir geben für die Pflegeversicherung

31 Milliarden Mark aus; gestern wurde gesagt, eine Beratung koste 250 Euro. Hochge-

rechnet wären das – 1,8 Millionen Pflegebedürftige haben wir, die bekämen einmal im

Jahr eine Beratung – immerhin schon 900 Millionen Mark, über die wir hier reden. Ver-

stehen Sie mich nicht falsch, ich möchte keine Lösung kaputtmachen, aber es muss

darum gehen, dass man den Gesamtkontext darstellt und sich dann an eine vernünfti-

ge Lösung heranarbeitet.

Wenn Sie mir gestatten, würde ich dann auf einzelne Punkte schon mal eingehen: Der

Gesetzgeber hat den Pflegekassen eigentlich eine recht zentrale Bedeutung zuge-

standen. Einmal dadurch, dass sie den Sicherstellungsauftrag haben, zum anderen

aber auch dadurch, dass im Gesetz – wie Sie ja vorhin schon sagten – ganz konkret

die Beratung angesprochen wird. Unseres Erachtens – das sage ich auch ganz deut-

lich – gehört dazu auch Case Management. Jetzt werden Sie natürlich sofort fragen:

Wie wird denn eigentlich das Case Management in der Praxis umgesetzt? Natürlich ist

diese Kritik auch gerechtfertigt. Es funktioniert noch nicht so, wie es sein sollte. Und

das bezieht sich insgesamt auf diesen Bereich Beratung, Auskunft, Vernetzung, Case

Management. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, diese Probleme hier darzustellen.

Denn ich als Verbandsmitarbeiter bin selber einer von denen, die darum bemüht sind,

die Tür aufzustoßen und dafür zu werben, dass in diesem Bereich mehr passiert. In

der letzten Zeitschrift „Pflege intern“ beispielsweise sind unsere Bemühungen darge-

stellt worden.

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Ich möchte aber auch deutlich hervorheben, dass nicht alles schlecht ist, was bis jetzt

in der Praxis läuft. Es sind – meine ich zumindest – recht gute Ansätze zu verzeichnen:

Sei es, dass die Pflegekassen Pflegeberater haben, vielleicht noch nicht in dem ge-

wünschten Umfang, aber sie sind da und sie werden eingesetzt, auch mit dem Ziel,

Case Management zu machen. Dass das ein schwieriger Weg ist, ist völlig klar. Es

gibt die Pflegeplanung des MDK, worauf aufgebaut werden kann; es gibt beispielswei-

se Empfehlungen oder Vereinbarungen zum nahtlosen Übergang von der Kranken-

hausbehandlung zur Pflege. Alle solche Instrumentarien sind geschaffen worden, um

in diese Richtung weiterzukommen. Deshalb habe ich auch Probleme damit, wenn

gesagt wird, es funktioniert in Bausch und Bogen nicht. Wir haben sicherlich Probleme

bei Schnittstellen, aber generelle Kritik möchte ich an dieser Stelle nicht gerne zulas-

sen.

Festzustellen bleibt auch, dass es letztendlich darum gehen muss, das Case Mana-

gement insgesamt nach vorne zu treiben. Und ich sage hier als Vertreter unseres

Hauses ganz deutlich: Wir unterstützen diese Bewegung. Ich denke, das ist eine wich-

tige Botschaft, die ich hier vermitteln kann, und das tue ich auch gerne. Ich sage aber

gleichzeitig: Es muss auch darum gehen, vorhandene Strukturen zu nutzen. Warum

sollten Strukturen, die es gibt, nicht genutzt werden? Denn letztendlich erreicht man

damit, dass die Kosten geringer gehalten werden und Schnittstellenprobleme abge-

fangen werden. Zumindest, wenn ein solches System aufgebaut wird, muss es darum

gehen, dass nicht zusätzlich Schnittstellen geschaffen werden, dass nicht zusätzliche

Kosten entstehen, dass nicht unwirtschaftliche Beratungen provoziert werden; bei-

spielsweise dadurch, dass es an einem Ort mehrere Beratungsstellen gibt, die unter-

schiedliche Interessen haben und eine Doppelberatung erfolgt – z.B. bei der Pflege-

kasse. So etwas sollte natürlich verhindert werden; es muss auch verhindert werden,

dass die Neutralität in Frage gestellt werden kann bzw. es muss so dargestellt werden,

dass durchaus eine übergreifende Beratungsfunktion ermöglicht wird. Um keine Miss-

verständnisse aufkommen zu lassen: Ich kann mir sehr wohl eine trägerübergreifende

Beratung vorstellen. Letztendlich heißt das aber noch nicht, dass ich mich einverstan-

den erklären kann mit der hier vorgeschlagenen Organisationsstruktur. Ich möchte es

nur deutlich und ehrlich sagen, damit auch die Positionen an dieser Stelle klar werden.

Ein Punkt zur Finanzierung als solcher vielleicht noch: Es sind Modelle vorgestellt wor-

den, wie Beratung derzeit in anderen Ländern gemacht wird. Es gibt unterschiedliche

Systeme, aber letztendlich alle mit der gleichen Zielsetzung. Wir unterstützen auch

hier – nochmals gesagt – diese Zielsetzung. Die Pflegekassen haben aber keine Mit-

tel, dies im Alleingang aufzubauen. Hier wird es darauf ankommen, gemeinschaftliche

Lösungen mit mehreren Beteiligten zu finden.

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Engels:

Vielen Dank, Herr Dumeier. Ich denke, was Sie anfangs als Gesamtkonzept eingefor-

dert haben, ist in Hinsicht auf die inhaltliche Ausgestaltung doch schon recht konkret

geworden und hat klarere Konturen angenommen. Daher würde ich den Schwerpunkt

bei Ihrer Äußerung vor allen Dingen auf die strukturelle Aufgabe legen. Sie haben be-

schrieben, dass es schon viele Ansätze bei den Pflegekassen gibt und haben bezwei-

felt, dass es sinnvoll sei, Doppelstrukturen aufzubauen. Sie haben auch beschrieben,

dass es finanziell für einen Träger nicht unbedingt machbar ist, das alleine zu tragen.

Das deutet natürlich in die Richtung: Wie kann man eine Kooperation verschiedener

Träger initiieren und fördern?

Herr Cappell, aus Hamburg ist uns die Situation geschildert worden, dass Sie schon

mehrere Modellvorhaben durchgeführt haben, die zum Bereich Case Management

einen Beitrag leisten. Das scheint andererseits aber auch, gerade in Hamburg, sehr

nötig zu sein. Denn schon Anfang der 90er-Jahre, als die Frage der Fragmentierung

und der neu aufkommenden privaten Pflegedienste bundesweit noch gar nicht so rele-

vant war, gab es in Hamburg immerhin schon über 300 private Pflegedienste. Also ein

doch sehr deutlicher Hinweis darauf, dass auch ein hoher Koordinierungsbedarf be-

steht. Wie sehen Sie in Ihrer Funktion als Kommune und Land die Möglichkeiten, da

unterstützend tätig zu werden?

Cappell:

Zunächst würde ich sagen, die Anzahl der Pflegedienste – inzwischen sind es übrigens

über 400, Heimplätze haben wir auch ziemlich viele; mit Berlin zusammen die meisten

auf die ältere Bevölkerung bezogen – ist zunächst eine Erscheinung auf der Systeme-

bene. Da würde ich an das anknüpfen, was Herr Pohlmann gesagt hat: Wir mussten

mit den neuen Akteuren Pflegekassen erst einmal Kooperationsstrukturen aufbauen,

um auf dieser Ebene Beratung und Transparenz in das Angebot reinzubringen – wir

sind im Moment dabei, das zu tun. Es gibt inzwischen eine gemeinsam getragene Be-

ratungs- und Beschwerdestelle von Pflegekassen, Anbieterverbänden und Stadt. Ein

gemeinsam getragenes Verzeichnis aller ambulanter Pflegedienste, was auch qualifi-

zierte Aussagen über das Angebot machen soll, ist im Werden. Denn bei den Diensten

ist ja das Problem für den Kunden und auch für den Kostenträger, dass alle im Prinzip

alles können, dass es nur wenige gibt, denen es gelungen ist, ihr Angebot wirklich zu

spezifizieren – normalerweise bieten alle Dienste alles an, von der Beratung bis zur

Pflege schwerst Pflegebedürftiger zu Hause. Es gibt auch Ansätze, das Versorgungs-

angebot gemeinsam zu gestalten. Wir haben da ein hoffnungsvolles Projekt bei der

stationären Dementen-Betreuung. Das wäre die Systemebene.

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Aber auf der individuellen Ebene ist es natürlich auch ein Problem, wenn es eine große

Anzahl von Diensten gibt. Da helfen dann aber schon die Elemente, von denen ich

vorher gesprochen habe, weiter. Es ist auch so, dass es in der Großstadt grundsätz-

lich mehr Angebote gibt, auch spezialisiertere als zum Beispiel in Landkreisen. Also

auch auf der individuellen Ebene gibt es einen hohen Bedarf. Da kann ich dann nur mit

Neid nach Berlin blicken, wo es ja scheinbar gelungen ist, ein historisches Fenster zu

nutzen, das durch die Einführung der Pflegeversicherung entstanden ist. Ich kann mir

das nur so vorstellen, dass derartig viel eingespart wurde, sodass wenigstens ein klei-

ner Teil der Mittel in diese externe Beratungsstruktur gelenkt werden konnte. Das,

muss man sagen, ist in Hamburg nicht gelungen.

Wir sind also an dem Punkt, wo – Herr Herweck sagte es heute Morgen schon – es

unserer Einschätzung nach nicht möglich ist, eine neue Struktur aufzubauen. Das, was

es in Berlin jetzt gibt, werden wir in Hamburg nicht auf die Beine stellen. Wir müssen

bei den Elementen ansetzen, die vorhanden sind. Dabei hoffen wir natürlich auf die

Kassen, und ich würde bewusst sagen, die Krankenkassen und Pflegekassen müssten

aus meiner (natürlich externen) Sicht auch daran interessiert sein, die Beratung zu

verbessern und die Versorgung zu koordinieren. Da gibt es ja auch Ansätze. Ich denke

z.B., es gibt in der Diskussion um das „Managed Care“ Elemente, die durchaus aufzu-

greifen sind. Auch die neuen Möglichkeiten durch Ärztenetze usw. bieten Ansatz-

punkte. Ich würde also nicht nur alleine auf die Pflegeversicherung gucken, sondern

auch die Krankenversicherung und die medizinische Versorgung mit einbeziehen. Sie

sprachen von Anreizen: Die fehlen glaube ich bei den Pflegekassen auch. Dort müsste

die Leistungsstruktur so geändert werden, dass sie nicht Pauschalen zahlen, sondern

dass sie tatsächlich Anreize haben, die Kosten auch zu senken.

Aber ich will dabei nicht nur auf andere zeigen, sondern es ist natürlich auch die Kom-

mune gefragt. Es ist die Aufgabe der Kommune, die älteren Bürger zu unterstützen,

darüber braucht man eigentlich nicht zu diskutieren. Wenn es ihre Aufgabe ist, dann

sollte sie das auch so gut und so effektiv wie möglich machen. Deswegen müssen wir

die kommunalen Dienste – es gibt verschiedene kommunale Dienste, die in Hamburg

bei Beratung und auch bei Case Management beteiligt sind (das ist dann auch schon

wieder ein Koordinationsproblem) – fit machen für die Anwendung neuer Methoden.

Das ist in unserem Interesse, und das ist im Interesse der älteren Menschen. Das be-

inhaltet Aspekte von Verwaltungsmodernisierung mit allen Schwierigkeiten, die damit

verbunden sind. Aber das müssen wir regeln, oder der Dienst wird uns einfach von

unseren Haushältern weggestrichen, weil er seine Existenzberechtigung dann auch

gar nicht mehr nachweisen kann. Eine Hilfe dabei wäre, aus meiner Sicht, auch eine

gesetzliche Verpflichtung, die diese Aufgabe normiert und festschreibt, die die unspe-

zifische Formulierung im alten §75 BSHG ersetzt. Das heißt nicht, dass ich Herrn Her-

weck jetzt schon die Zustimmung des Bundeslandes Hamburg zum Altenhilfe-

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Strukturgesetz versprechen kann. Das wird sicherlich eine lange und harte Diskussion

sein. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass sich Kostenneutralität darstellen lässt.

Engels:

Vielen Dank, Herr Cappell, für diese differenzierte, aber auch nüchterne Darstellung

der Möglichkeiten. Was mich anfangs etwas stutzig gemacht hat ist, dass Hamburg

anscheinend durch die Einführung der Pflegeversicherung nichts eingespart hat.

Herr Dr. Ziller, als Vertreter des Landes Hessen haben Sie sich vor der Kaffeepause

schon äußern können. Sie wurden heute Morgen von Herrn Herweck als einer der

Motoren, Initiatoren und Vorantreiber des Altenhilfe-Strukturgesetzes bezeichnet. Dar-

auf möchte ich Sie jetzt ansprechen. Wie sehen Sie diesbezüglich Möglichkeiten und

Handlungsbedarfe?

Ziller:

Wenn ich einmal bei der Bedarfsfrage ansetze, in Bezug auf die zu erwartende demo-

grafische Entwicklung, die uns in einem Zeitraum von etwa 10 Jahren in der Tendenz

bereits – zumindest in bestimmten Regionen – eine Verdoppelung von alten Menschen

mit erhöhtem Hilfebedarf bescheren wird: Da muss man sich doch klar machen, was

an Handlungszwängen auf uns alle zukommt.

Wenn ich als eines der politischen Ziele definiere – und das ist ja hier auch Konsens –

die größtmögliche Selbstständigkeit in der Lebensführung, d.h. dann auch so weit wie

eben möglich eine Vermeidung der Übersiedlung in Heime, dann haben wir im We-

sentlichen drei Handlungsansätze:

1. Die Schaffung von alternativen Lebensräumen für Menschen mit zunehmendem

Hilfebedarf – Stichwort „betreutes Wohnen“ in allen Variationen. Das ist eine hoch-

relevante Strukturveränderung im Bereich der Altenhilfe, und auf europäischer

Ebene sowieso höchst spannend, weil wir Länder haben, die in dieser Hinsicht sehr

fortgeschritten sind, und andere Länder verfügen noch gar nicht über ein solches

Angebot. Solche regionalen Unterschiede gibt es auch in Deutschland.

2. Das Stichwort fiel mehrfach: Die geriatrische Rehabilitation als das klassische In-

strument, mit dem ich dem Entstehen oder dem Grad an Pflegebedürftigkeit kausal

entgegen wirken kann. Auch hier haben wir in der Bundesrepublik Deutschland im

europäischen Vergleich noch erheblichen Handlungsbedarf. Ich nenne nur das

leidvolle Stichwort „ambulante und mobile Rehabilitation“, deren leistungsrechtliche

Absicherung schlicht nicht existiert – jedenfalls nicht als interdisziplinäres Angebot.

Man darf hoffen, dass der neue §40 SGB V uns hier Perspektiven eröffnet. Man

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wird dann die Verbände der Krankenkassen und vielleicht auch das Bundesmini-

sterium für Gesundheit fragen dürfen, welche Konstrukte der leistungsrechtlichen

Absicherung ambulanter und mobiler Rehabilitation auf der neuen rechtlichen

Grundlage eigentlich zur Verfügung stehen. Bisher habe ich noch nichts gesehen.

3. Die kompetente Koordination der erforderlichen Hilfen – das Case Management.

Diese drei Handlungsansätze haben wir (wenn jemand noch andere sieht, wäre ich für

einen Hinweis dankbar). Das Case Management ist also das Instrument, bei dem die

verschiedenen Handlungsansätze zusammenlaufen. Die Koordination der Hilfen ist

nicht eine Arabeske oder etwas, was wir tun können oder auch nicht, sondern es ist

der eigentliche instrumentelle Kern einer Altenpolitik, die auf größtmögliche Autono-

mie, Selbstständigkeit, Normalisierung und Enthospitalisierung hinaus will. Die Antwort

auf die klassische Frage „was passiert, wenn nichts passiert“ lautet: Wir werden ein

Volk von Heimbewohnern – jedenfalls zu sehr hohen Anteilen. Sie müssen bedenken,

um wie viel Prozent bundesweit die Heimquote seit In-Kraft-Treten der Pflegeversiche-

rung zugenommen hat. In Hessen hatten wir vor In-Kraft-Treten der Pflegeversiche-

rung eine Pflegeheimquote von 2,75% der Einwohner im Alter von 65 und mehr. Wir

liegen heute bei 3,67%. Also die Annahme, die Pflegeversicherung würde zur Heim-

vermeidung beitragen, hat sich im wirklichen Leben ins Gegenteil verkehrt. Allein das

müsste für das für die Pflegeversicherung zuständige Ressort einen unabweisbaren

Handlungszwang erzeugen, etwas zu tun, um vermeidbare Heimübersiedlungen auch

tatsächlich zu vermeiden. Ich erkenne aber bei unseren Freunden im zuständigen

Ressort bisher überhaupt kein Problembewusstsein und nicht die geringste Bereit-

schaft, sich für Fragen des Case Management auf dem Boden der Pflegeversicherung

überhaupt zu bewegen – ganz im Gegenteil. Das BMG als Aufsichtsbehörde verbietet

den Kassen bundesweit die finanzielle Beteiligung an gemeinsam getragenen Bera-

tungs- und Koordinierungskonstrukten, obwohl die rechtliche Grundlage dies sehr wohl

erlauben würde, wenn man nur wollte. Und wenn sich daran nichts Grundlegendes

ändert, werden wir ein ungesteuertes weiteres Anwachsen der Pflegeheimquote be-

kommen.

Konkrete Forderungen für die Bundesebene wären daher: Die kommunale Ebene

muss diese Aufgabe der wirksamen Beratung und effektiven Koordination der Dienste

als eine ihrer ureigensten Aufgaben erkennen; dazu ist schon Einiges gesagt worden.

Den Pflegekassen muss die Mitwirkung und die Mitfinanzierung von Case Manage-

ment-Strukturen ermöglicht – heute würde ich sagen – verbindlich vorgeschrieben

werden. Dann ein wichtiger Punkt, der noch nicht explizit zur Sprache kam, aber in

vielen Länderberichten als eine zentrale Mitfunktion des Assessments aufscheint: Das

in Case Management-Strukturen eingebettete interdisziplinäre Assessment muss als

Zugangsschranke zur stationären Dauerpflege verbindlich vorgeschrieben werden.

Wenn Sie in die Niederlande schauen oder nach Dänemark oder auch in die Emilia-

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Romagna: Dort kommt keiner ins Pflegeheim, da wird keine Kostenzusicherung abge-

geben für denjenigen, für den nicht interdisziplinär festgestellt ist, dass es nicht anders

geht, als dass er oder sie in die stationäre Pflege wechseln muss. In Deutschland ist

die Situation vollkommen anders. Wir hatten am Modellstandort Hufelandhaus in

Frankfurt – davon habe ich vorhin berichtet – die Situation, dass der medizinische

Dienst in der Annahme, es sei etwas Gutes, freudig berichtet hat: Man hat das Instru-

ment einer vorläufigen Begutachtung während der stationären Rehabilitation einge-

führt. Die vorläufige Begutachtung erfolgt nach Aktenlage, sie führt zur Feststellung

der Pflegebedürftigkeit ohne Einstufung, d.h. es werden die Minimalvoraussetzungen

der Pflegestufe 1 festgestellt. Auf der Grundlage dieser Prozedur wird die Übersied-

lung ins Pflegeheim vorbereitet und durchgeführt. Innerhalb von vier Wochen erfolgt im

Pflegeheim die reguläre Begutachtung nach den Begutachtungsrichtlinien. Dieses Sy-

stem nenne ich ein teuflisches – denn wenn der Betreffende zum Zeitpunkt der Über-

siedlung möglicherweise noch gar nicht zwingend stationär pflegebedürftig war: bis zur

endgültigen Begutachtung ist er es. Deswegen brauchen wir einen Zugangsfilter, einen

strengen Polizisten, einen geriatrisch-sozialen Polizisten, der sagt „stopp“ – Sonst wird

der Prozess der naturwüchsigen, ungesteuerten Zuführung zur stationären Pflege un-

reguliert weitergehen.

Zu diesem Thema gehört auch der angesprochene Vertrag über den „nahtlosen Über-

gang von der Krankenhausbehandlung zur Pflege“. Diese Vertragsbezeichnung muss

man sich auf der Zunge zergehen lassen: Einen nahtlosen Übergang aus der Kran-

kenhausbehandlung in die Pflege - das heißt sehr häufig in die stationäre Pflege – ist

das Letzte, was ich mir wünschen würde. In diese Verträge gehören Vereinbarungen

hinein, die das interdisziplinäre Abprüfen der Frage, welches Hilfeangebot denn erfor-

derlich und möglich ist, um die größtmögliche Selbstständigkeit nach der Krankenhau-

sentlassung zu sichern, verbindlich enthalten. Wir haben in Hessen bei der Neufas-

sung des Vertrags nach § 112 diese Vorschriften redaktionell wunderbar hinein ge-

schrieben, alle haben sie unterschrieben. Im letzten Landespflegeausschuss vor 14

Tagen haben wir die hessische Krankenhausgesellschaft – ohne ihr zu nahe zu treten,

sie ist uns ein wichtiger Partner – gebeten, über die Umsetzung dieser Vertragsbe-

stimmungen zu berichten. Der Bericht war sehr kurz, es gab nichts zu berichten. Es ist

dann das Versprechen abgegeben worden, zu recherchieren, wie denn in den Kran-

kenhäusern Hessens dieser Vertrag hat umgesetzt werden können.

Die letzte und zentrale Forderung, die ich formulieren würde, ist hier schon mehrfach

ausgesprochen worden: Der Bundesgesetzgeber muss institutionalisierte Beratungs-

und Koordinierungsstrukturen in Weiterentwicklung bereits bestehender Strukturen

und rechtlicher Grundlagen – ich nenne nur ein Beispiel: auf der Grundlage des §46

BSHG, das ist die Vorschrift über den Gesamtplan, den es nicht gibt – in einem Bun-

des-Altenhilfegesetz oder auch Altenhilfe-Strukturgesetz rechtlich absichern. Es liegt

mir sehr daran, weil ich daran schon eine Weile mitarbeite, dass das kein neues Lei-

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stungsgesetz sein soll; insoweit gefällt mir auch der Arbeitstitel „Altenhilfe-

Strukturgesetz“ nicht so sehr, es geht nicht nur um Strukturen, es geht schon gar nicht

um neue Strukturen. Sondern es geht im Kern um nichts anderes, als dass die partiel-

len, fragmentierten Verpflichtungen, die verschiedene Institutionen – von Sozialhilfe

über Pflegeversicherung bis zum Krankenhaussozialdienst – derzeit schon haben,

zusammengeführt werden in einem kooperativen Konstrukt, das von der methodischen

Anlage her die Träger- und Kostenträgerneutralität oder das Trägerübergreifende in

sich aufnimmt. Es ist klar, dass ein solches Gesetz einen erheblichen Überzeugungs-

und Diskussionsaufwand erfordert, wenn es Erfolg haben soll. Ich meine nur, dass es

höchste Zeit ist, dass wir damit beginnen. Wenn in dieser Legislaturperiode noch ir-

gendetwas Wahrnehmbares auf diesem Terrain passieren soll, dann müssen wir jetzt

anfangen mit dieser Diskussionsarbeit in Richtung auf einen Diskussionsentwurf.

Ein Allerletztes: Ich möchte noch einmal die Forderung nach einer kompetenten be-

triebs- und volkswirtschaftlichen Kostenanalyse der Case Management-Strukturen

bekräftigen. Denn es wird eine entscheidende strategische Frage sein, was das kostet,

und wo Entlastungen eintreten.

Engels:

Eine Reihe von Impulsen und Statements. Herr Herweck, Sie möchten bestimmt dar-

auf antworten und dazu Stellung nehmen.

Herweck:

Ich will einfach ein paar Stichworte aufgreifen und noch mal verdeutlichen, welchen

Schwierigkeiten wir uns gegenübersehen. Wir wollen dieses Altenhilfe-Strukturgesetz

oder Bundesaltenhilfegesetz – wie man es nennt, ist egal. Die Strukturkomponente

beruht darauf, Herr Ziller, dass es noch andere Regelungen enthalten soll, die sehr

stark strukturellen Charakter haben; vielleicht kann man sich am Schluss noch mal

darüber unterhalten, wie das Gesetz heißen muss und nicht am Anfang, da sind die

Inhalte wichtiger als die Bezeichnung.

Herr Ziller, ich will mal eine Geschichte aufgreifen, die Sie angesprochen haben. Ich

versuche jetzt die Schwierigkeiten darzulegen, weil ich denke, es muss uns allen hier

im Raum klar werden, dass wir noch gewaltig kämpfen müssen, wenn wir dieses Ge-

setz bekommen wollen. Die Schwierigkeit liegt zum einen daran, dass wir eigentlich in

Deutschland eine Geldleistungstradition haben. Wir machen Gesetze (oder haben in

der Vergangenheit Gesetze gemacht) vor allem als Geldleistungsgesetze, und selbst

wenn andere Regelungen darin standen, ist es immer wieder als Geldleistungsgesetz

umgemünzt worden. Die ganze Rentengesetzgebung ist eine klare Geldleistungsge-

setzgebung. Im BSHG sind zwar Geldleistungen und auch persönliche Hilfen enthal-

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ten, aber im Grunde steht bei der Praxis der Sozialhilfe die persönliche Hilfe sehr im

Hintergrund, und das Pflegegeld und die Versorgung im stationären Pflegebereich

stehen im Vordergrund. So kann man sehr Vieles durchdeklinieren – im Grunde haben

wir den Paradigmenwechsel an dieser Stelle noch nicht geschafft.

Wir stoßen aber auch auf andere Gegensätze, die wir noch ausloten müssen. Als

Bundesgesetzgeber haben wir auf der einen Seite für die Einheitlichkeit der Lebens-

verhältnisse zu sorgen, die Kommunen sind zuständig für die Daseinsvorsorge der

älteren Menschen. Aber es sind hier auch schon Gegenparts für ein Bundesgesetz

genannt worden: Zunächst die kommunale Selbstverwaltung. Da taucht die Frage auf,

wie weit wir den Kommunen etwas „aufdrücken“ können. Stichwort Pflegemarkt: Wie

weit ist es überhaupt, bei der Verfassung unserer Pflegeszene, heute noch möglich,

hier die Kommunen – das ist ja auch von Herrn Pohlmann angedeutet worden – in eine

Situation zu bringen, in der sie diesen Markt zwar nicht bestimmen und dominieren

(das wollen wir nicht), aber moderieren – das wäre unsere Wunschvorstellung. Da wird

noch Einiges an Diskussionen auf uns zukommen. Ich meine, wenn man das, was wir

jetzt schon an Vorschriften haben, bewertet, also den Beratungsanspruch im Rahmen

des SGB XI, oder wenn wir uns das gesamte Geschehen im Rahmen der Pflegeversi-

cherung vornehmen, dann stellen wir doch fest – Herr Dumeier, da muss ich ein biss-

chen Wasser in Ihren Wein schütten –, dass die Situation doch nicht befriedigen kann.

Nehmen wir doch mal die Einstufungsgutachten, die Stellung nehmen müssten zu Re-

habilitationsmöglichkeiten oder zur Hilfsmittelversorgung: Das ist doch eigentlich noch

ein ziemlich weißes Feld.

Ich gehe jetzt zum anderen Bereich, zu §75 BSHG über; der fristet ein Schattendasein,

er findet praktisch nicht statt. Wenn man sich ansehen will, wie z.B. der §75 in den

Statistiken vorkommt, dann taucht er praktisch überhaupt nicht auf. Die Ländergeset-

ze, die ich sehr verdienstvoll finde – das, was Nordrhein-Westfalen z.B. gemacht hat,

ist eigentlich schon fast ein Husarenstückchen: Sich in einem Ländergesetz die Pfle-

gekassen vor den Karren zu spannen, finde ich schon toll. Aber es hat seine Grenzen,

es ist ein Informations- und Beratungs-, aber kein Case Management-Instrument.

Wenn man also noch mal zurückgeht zur Pflegeversicherung oder zum §75 BSHG:

Wir stellen fest, dass wir an Grenzen in der gegenwärtigen Ausführung geraten sind.

Sitzen denn bei dem, was die Pflegeversicherung macht, die Träger anderer Leistun-

gen oder die Leistungserbringer mit am Tisch? Das ist nicht der Fall, also das heißt,

sie mögen noch so gut beraten, aber „Case Management“ ist dies nicht. Ich denke, zu

Case Management gehört auch eine gewisse verbindliche Äußerung von anderen, die

Leistungen beizusteuern bzw. zu erbringen haben. Also müssen wir zu einer Situation

kommen, wo Personen mit am Tisch sitzen bei solch einer Beratung, die auch verbind-

liche Zusagen machen können. Pläne kann jeder machen, aber entscheidend ist doch,

dass sie eine gewisse Verbindlichkeit bekommen, dass hier auf Grund eines solchen

Plans auch etwas eingefordert werden kann.

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127

Von daher ist für uns die Position hinsichtlich des Ziels klar, wiewohl die Durchführung

im Einzelfall natürlich noch unheimlich kompliziert ist. Wir wollen Case Management

verbindlich machen. Dann taucht natürlich direkt die Frage der Verortung auf: Machen

wir es in den verschiedenen Gesetzen verbindlich? Oder ordnen wir dies einer ganz

bestimmten Stelle zu? Machen wir es damit auch neutral, gelingt uns das? In der Dis-

kussion, das ist ja eben schon klar geworden, wird ganz wichtig sein, wie wir den ver-

schiedenen Akteuren klar machen können, dass sie von Case Management einen

Nutzen haben. Denn in der Tat wird heute keiner auf irgendetwas verzichten können

bzw. Mittel für irgendetwas einsetzen wollen, dem man nicht klarmachen kann: Du hast

auch noch etwas davon.

Ich denke, dass ich vielleicht noch auf einen Punkt eingehen muss, um die Spannun-

gen aufzuzeigen, die sich in dieser ganzen altenpolitischen Diskussion ergeben. Wir

müssen, denke ich, viele unserer Weisheiten und Wahrheiten nochmal überdenken.

Früher gab es eine Weisheit: „Ambulante Versorgung ist billiger als die stationäre Ver-

sorgung.“ Das ist etwas, das wir heute so nicht mehr aufrecht erhalten können, ebenso

das Glaubensbekenntnis „ambulant vor stationär“. Es hat sich herausgestellt: Das trifft

nicht für alle Fälle zu. Es mag durchaus Situationen geben, in denen eine stationäre

Versorgung besser ist als eine ambulante Versorgung. Dann haben wir uns einen

wichtigen Grundsatz erarbeitet: die Wahlfreiheit. Jetzt kommen Sie, Herr Ziller, und

sagen: Wir brauchen ein verbindliches Assessment, also eine verbindliche Einschät-

zung. Und wenn dann solch ein Gremium „nein“ sagt, dann darf der Patient auch nicht

ins Heim?. D.h. also auch was unseren Grundsatz der Wahlfreiheit anbelangt, müssen

wir weiterdenken und überlegen: Wie können wir den eigentlich so umsetzen, dass wir

alles, was wir diskutiert haben, auch mit einbeziehen können.

Engels:

Vielen Dank, Herr Herweck, auch für das Aufzeigen einer Reihe von Schwierigkeiten.

Wir möchten jetzt die Diskussion nicht nur auf das Podium beschränken, sondern das

Plenum mit einbeziehen, Ihnen auch Gelegenheit zu Wortmeldungen geben.

Garms-Homolová:

Ich habe zwei Anmerkungen. Meine erste gilt Herrn Ziller: Ich denke, Herr Ziller, das

Konzept des Case Management, das die Leute von den Institutionen fernhält, als ein

„Polizist“, das ist ein verkehrtes – ich denke, das wollen wir hier gar nicht erst prokla-

mieren. Wir wollen Case Management haben, Assessment, Screening, um die Bedürf-

nisse der Leute ganz genau festzustellen und ihnen gezielte Hilfen zuzuweisen, die

wahrscheinlich dann tatsächlich billiger sind, weil wir sie nicht in falschen Bereichen

überversorgen. Das Zweite ist: Mir ist unwohl bei diesen Beiträgen der Podiumsdis-

kussion, weil hier wiederum eine rein strukturelle Lösung bevorzugt wird. Case Mana-

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gement ist keine Struktur, und es ist auch nicht strukturell umzusetzen. Es ist ein

Handlungsinstrument, das entweder die Strukturen optimiert oder neue Strukturen

anregt oder das Individuum unterstützt, innerhalb der Strukturen zu handeln oder

Leute, die schon Akteure sind, dazu befähigt, optimaler zusammen zu arbeiten. Ich

denke, wir sollten z.B. auch auf die Pflegeversicherung gucken: Wo gibt es da die

Möglichkeiten, dieses Handeln zu bezahlen, aber nicht die Ressourcen in neue Struk-

turen umzulenken. Da würde ich sagen, dass wir wieder neue Schnittstellen schaffen,

für die wir dann wiederum neue Beratungsstellen und neues Case Management brau-

chen. Also bitte, wir sollten über das Handeln reden bzw. über das, wie wir das Han-

deln bezahlen und zwar komplett, auch mit der Ausbildung zu diesem Handeln, auch

mit der Realisierung usw., das wäre mir ein Anliegen.

Teilnehmer:

Ich wollte noch auf einen Aspekt aufmerksam machen, der nach meiner Ansicht nach

gar nicht angesprochen wurde. Wie jede Beratung hat natürlich auch Case Manage-

ment eine Klientenverteilungsfunktion, und das gilt insbesondere dann, wenn Case

Management einerseits aus Kostengründen, andererseits um überhaupt die Steue-

rungseffizienz zu erhöhen, zentralisiert werden muss. Das bedeutet natürlich, Klien-

tenverteilung tangiert nicht nur die Klienteninteressen, sondern auch die Trägerinter-

essen, und diese Funktion macht die Trägerlandschaft hellhörig. Man kann nicht ein-

fach sagen, man delegiert die Problematik an eine moderierende Kommune. Denn die

Kommune ist ja teilweise auch Mittäter bzw. steht unter dem Einfluss von Wohlfahrts-

verbänden und anderen Trägern – nicht nur über die politische Schiene, sicherlich

auch unmittelbar über die Verwaltungsschiene. Das bedeutet also, es ist nicht nur das

Problem, wie man Case Management finanziert, sondern es ist auch das Problem:

Darf Case Management aus Gründen, die mit dem inneren Kräftefeld zusammenhän-

gen, stattfinden? Von daher möchte ich gerne wissen: Gibt es Erfahrungen über eine

funktionierende, kooperationsbereite Trägerlandschaft? Denn andererseits habe ich in

verschiedenen Diskussionen die Erfahrung gemacht, sobald über so etwas empfindli-

ches wie Case Management diskutiert wird, ist die Kooperation, die über unverbindli-

chere Themen zu Stande kommt, sehr schnell in Gefahr. Und wenn Case Manage-

ment gar eine „Polizisten“-Funktion hat, dann wird es natürlich noch problematischer.

Also, meine Aussage wäre: Im Grunde genommen ist eine funktionierende, kooperati-

onsbereite Trägerlandschaft vor Ort eigentlich eine Voraussetzung für Case Manage-

ment. Case Management sorgt nicht nur dafür, dass institutionell mehr Hilfekanäle

entwickelt werden.

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129

Teilnehmerin:

Wir haben während dieser Veranstaltung sehr viel über die Schnittstellenproblematik

zwischen Sozialwesen einerseits und Gesundheitswesen andererseits gehört, und wir

sprechen hier über eine Personengruppe, die zunehmend multimorbide oder auch

schwerstkrank ist. Was ich mich jetzt frage, ist: Welche Rolle spielt in diesen Case

Management-Ansätzen der niedergelassene Arzt und insbesondere der Hausarzt –

auch unter dem Aspekt, dass man ihm im Rahmen der Politik des Bundesgesund-

heitsministeriums eine übergeordnete Rolle und auch eine Lotsenfunktion einräumen

will? Wie ist er in diese Altenhilfestrukturen einzubinden, welche Funktion sollte ihm

zukommen, und welche gegenwärtigen Möglichkeiten zu einer Kooperation über die

Systemgrenzen hinweg werden da gesehen?

Teilnehmer:

Ich möchte gerne etwas richtig stellen: Herr Ziller, Sie sprachen von den Vereinbarun-

gen, die nicht nur in Hessen, sondern auch in anderen Ländern getroffen worden sind

von Seiten – und jetzt muss man sehr, sehr vorsichtig sein – der Pflegekassen und der

Heimanbieter mit Einbezug des MDK bezüglich der Begutachtung im Krankenhaus vor

Umzug ins Heim. Sie haben es so dargestellt (so habe ich es zumindest verstanden),

dass der MDK dieses als einen Fortschritt in der Begutachtung darstellt. Es ist mit-

nichten so, und es wird auch von uns nicht so gesehen. Der MDK hat diese Begut-

achtung im Krankenhaus immer sehr kritisch hinterfragt, ist allerdings aus Gründen der

positiven Hinwendung, in diesem Fall zu den Versicherten, dazu gebracht worden,

diese Begutachtung zu machen. Denn – ich möchte hier jetzt keine Schuldzuweisun-

gen auf andere weitergeben, ich möchte nur eine Schuldzuweisung an den MDK in

dem Fall klarstellen – es war oft so, dass sowohl der Sozialarbeiter, als auch die ver-

sorgenden Pflegefachkräfte, als auch die behandelnden Ärzte mit dem Versicherten

gemeinsam der Meinung waren: Hier ist eine weitere Betreuung und Versorgung im

ambulanten Bereich nicht möglich, hier ist ein Umzug ins Heim notwendig. Dieses

wurde von den Heimen oft mit der Begründung, „ohne eine Einstufung übernimmt die

Kommune keine Kostensicherung“, abgelehnt, sodass der MDK auf diese Art „mora-

lisch“ gezwungen wurde, eine solche Einstufung vorzunehmen. Da ist es in der Tat ein

Fortschritt, wenn man sich auf ein gemeinsames, landeseinheitliches Verfahren für

diese – zugegebenermaßen sehr problematische – Art einigt, um dem Versicherten,

der es in der Tat braucht, die Möglichkeit des unmittelbaren Weiterversorgens in einer

stationären Einrichtung zu geben. Hier denke ich, muss man die einzelnen Ursachen

für diese Verträge und für diese Art der Begutachtung sicher auch noch in einem an-

deren Licht darstellen.

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130

Lindlahr:

Mir geht es nicht um Einzelfragen, sondern mehr um grundsätzliche Fragen. Sicherlich

ist Case Management eine richtige Methode, aber die Verbindung mit der Altenhilfe

halte ich für etwas problematisch. Case Management muss in allen Bereichen stattfin-

den – das ist ja auch nichts Neues. Wir haben es schon immer gehabt im Bereich der

Jugendhilfe vor allem, der ja auch schon angesprochen worden ist. Ich frage mich nur,

wie die Umsetzung und vor allem die Prozessbegleitung ist, weil erhebliche Schwierig-

keiten bei der Kommunikation zwischen Jugendamt und Einrichtung entstehen. Wei-

terhin ist Case Management vorgeschrieben in der Eingliederungshilfe, auch das ist

gesagt worden. Nur da funktioniert es nicht, weil die Jugendhilfe kaum etwas von Re-

habilitation und Eingliederung versteht, sondern von ganz anderen Voraussetzungen

ausgeht. Deswegen sind wir wieder dabei zu überlegen, ob das nicht der falsche Weg

gewesen ist.

Aber „Altenhilfe“ ist ein kommunaler Begriff. Schon BSHG §75 ist in der Hauptsache

persönliche Hilfe, hierbei muss natürlich schon Case Management stattfinden; aber

auch als allgemeine kommunale Daseinsvorsorge. Wenn ich den Begriff „Case Mana-

gement“ mit der Altenhilfe verbinde, komme ich zwangsläufig zu einem Altenhilfe-

Strukturgesetz – da werden Sie auf unseren heftigsten Widerstand stoßen! Was Herr

Ziller gesagt hat, ist richtig: Hier geht es in erster Linie um eine richtige Umsetzung

bereits vorhandener gesetzlicher Strukturen. Das sind alles Strukturen und Gesetze im

Rahmen des Sozialgesetzbuchs, und da muss ich prüfen: Wie werden sie umgesetzt,

was kann ich mit den vorhandenen Gesetzesmaterialien bereits heute machen? Und

wo habe ich eventuell Defizite? Die sind dann nicht in der Altenhilfe zu suchen, son-

dern im SGB V, im SGB XI und vor allem – was nicht zu vergessen ist – im SGB X,

das ja auch Planungsvorschriften und Vorhaltevorschriften macht für die Leistungsträ-

ger. Da ist anzusetzen, und nicht auf der kommunalen Seite in der Altenhilfe. Wir wer-

den uns mit aller Vehemenz dagegen wehren – wir brauchen nicht „mehr Staat“ und

neue staatliche Vorgaben im kommunalen Bereich. Dann soll der Staat auch sagen,

wie es finanziert werden soll, denn die Kommunen haben kein Geld.

Es haben auch die Pflegekassen kein Geld – das ist klar. Aber es müssen die Struktu-

ren, die vorhanden sind, geprüft werden. Das ist die Frage: Was macht der medizini-

sche Dienst? Der medizinische Dienst soll einen Pflegeplan machen. Wie setzt aber

die Kasse den um? Die Kasse schreibt nur: Sie haben Anspruch auf ambulante Pflege,

Pflegestufe 2, d.h. bis 1.800 DM – Schluss. Aber es wird nirgendwo festgestellt, was

für eine Leistung dahinter steckt. Dann heißt es, die Einrichtung soll sich mit dem Pfle-

gebedürftigen auseinander setzen, und der kann alles wählen, was er will; und wenn er

10-mal am Tag das selbe wählt, dann ist es der Kasse auch egal, weil sie nämlich

nicht nachfragt, was tatsächlich geleistet wird. Dies sind Defizite, die zu prüfen sind.

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131

Es sind ja auch in der Frage der Qualitätssicherung Kassen, Sozialhilfe und die Lei-

stungserbringer gemeinsam dabei, hier bessere Strukturen aufzubauen. Aber ich war-

ne davor, den kommunalen Bereich hier überziehen zu wollen mit einem Gesetz, das

die Kommune wieder verantwortlich macht für Strukturen, für die sie letztlich nur

nachrangig zuständig ist. Vorrangig sind die anderen zuständig, und wir wollen das

auch gemeinsam machen.

Ich sehe für den Bund keine Zuständigkeit im Bereich der Altenhilfe, die über die bis-

herigen Regelungen im BSHG hinausgeht. „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ ist

eine gesamtstaatliche Aufgabe, ist aber keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Hier muss die Gesetzgebungskompetenz von uns hinterfragt werden. Konkurrierende

Gesetzgebung: Was sagt der Bundesrat in seinem Gesetz zu Artikel 125a? Er sagt

ganz eindeutig: Die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ist durch die Verfas-

sungsneuregelung von 1994 beschränkt worden, sodass hier bereits klare Grenzen

der Gesetzgebungskompetenz bestehen, die man sehen muss.

Engels:

Vielen Dank, Herr Lindlahr. Wir kommen noch mal zum Podium zurück, da hatten sich

zuerst Herr Dumeier und Herr Cappell gemeldet. Ich möchte Sie aber bitten, sich mög-

lichst kurz zu fassen, da wir mit der Zeit schon ziemlich weit voran geschritten sind.

Dumeier:

Ganz ehrlich gesagt, ich bin sehr froh, dass wir jetzt zum Schluss diese Beiträge aus

dem Plenum bekommen haben, denn ich habe schon die Befürchtung gehabt, dass

diese Diskussion ein bisschen an Fachlichkeit verliert. Deshalb bin ich auch froh, dass

Klarstellungen beispielsweise zur Begutachtung vom Übergang zur Krankenhausbe-

handlung erfolgt sind. Und ergänzen kann man das sicherlich auch noch im Hinblick

auf die Finanzierung der Beratungsstellen. Es ist völlig klar, das BMG kann an der Po-

sition nicht rütteln, kann nicht anders entscheiden, weil (a) das Gesetz überhaupt nicht

anders aussieht und (b) sicherlich auch Interesse daran besteht, eine Doppelstruktur

zu vermeiden.

Ich bin froh, dass Frau Garms-Homolová, dem Grunde nach, den Finger in die richtige

Wunde gelegt hat. Hier geht es nicht primär um Strukturen, hier geht es um Inhalte;

und diese Diskussion müssen wir auch weiterführen; Inhalte im Sinne konkreter Vor-

schläge, was verbessert werden kann. Die Pflegekassen werden die Letzten sein, die

nicht ihre Bereitschaft zeigen, da mit zu arbeiten. Ich glaube, vorhin deutlich gemacht

zu haben, dass wir auch bemüht sind, die Tür aufzustoßen, damit es voran geht. Des-

halb meine ich, wir müssen wesentlich mehr in die inhaltliche Diskussion kommen und

weniger die Strukturfragen erörtern.

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Cappell:

Ich würde schon sagen, Strukturfragen sind auch wichtig. Aber kurz zu dem, was Herr

Lindlahr gesagt hat: Das hörte sich stellenweise so an, als könne in der Altenhilfe alles

so bleiben wie es ist. Das ist nach meiner Sicht völlig unmöglich. Es hilft gar nicht zu

sagen: „Lass jetzt mal die anderen machen, dann machen wir auch.“ Sondern ein

Schuh wird daraus, wenn man sagt: Jeder muss zunächst in seinen Bereich sehen,

und man muss sehen, wo wirklich die Schranken sind, über die man wegkommen

muss. Eine Schranke ist sicherlich, dass der MDK schon einen weit gehenden Unter-

suchungsauftrag hat, dies ist ausbaubar in Richtung eines Assessments; nur: Wo

bleibt das? Wer erfährt etwas davon, was der MDK in einem Gutachten vor Ort festge-

stellt hat? Das entfaltet überhaupt keine oder nur eine geringe Wirkung. Daran muss

gearbeitet werden, das ist ein Weg, der aus meiner Sicht unbedingt beschritten wer-

den muss.

Ziller:

Der „Polizist“ war natürlich zu spitz. Worum es geht, ist eine Funktion des door-

keepers. Die habe ich nicht erfunden, sondern, wenn Sie in die europäischen Muster-

regionen der Altenpolitik schauen – in die Niederlande, nach Dänemark – dann haben

Sie dort die Integrationskommission, die Visitationskommission, ohne deren begut-

achtende Empfehlung eine Zuweisung zur stationären Dauerpflege nicht stattfinden

kann. Natürlich möchte auch ich das deutsche Recht anwenden – um nichts anderes

geht es mir. Wenn als leistungsrechtliche Voraussetzung für die Gewährung der

Sachleistung Pflege in vollstationären Einrichtungen in §43 Absatz 1 SBG XI bestimmt

ist, dass der Anspruch auf vollstationäre Pflege nur dann besteht, wenn häusliche oder

teilstationäre Pflege nicht möglich sind oder wegen der Besonderheit des einzelnen

Falls nicht in Betracht kommen, möchte ich nichts anderes, als dass dies kompetent

abgeprüft wird, bevor eine Zuweisung oder Zulassung zur stationären Dauerpflege

erfolgt. Dies geschieht bisher nicht. Die Begutachtungsrichtlinien des MDS sehen bei

der Prüfung der Frage, ob stationäre Dauerpflege in Frage kommt, nur soziale Kriteri-

en vor, es findet aber keine kompetente Abprüfung von wirklichen Platzierungsalterna-

tiven statt.

Zur Frage des Zeitpunkts der Begutachtung: Es ist ja sehr deutlich geworden, dass die

vorgezogene vorläufige Begutachtung noch während der stationären Behandlung –

primär aus Kostengründen – erfolgt. Darin steckt auch eine Wohltat, weil zum Zeit-

punkt der Übersiedlung dann geklärt ist, dass auch bezahlt wird – jedenfalls vorläufig.

Worum es eigentlich geht, ist, dass in der Begutachtung selbst – wie soeben dargelegt

– die Frage, ob es Alternativen zur Heimunterbringung überhaupt gibt, nicht regelhaft

und nicht interdisziplinär geprüft wird. Das muss sich ändern, sonst kriegen wir die

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lawinenartige Entwicklung im Gefolge der demografischen Perspektive in die stationä-

re Pflege.

Herweck:

Nur zwei Bemerkungen. Einmal ist nach der Rolle des Hausarztes gefragt worden. Ich

schätze, etwa 90% der älteren Menschen sind mehr oder weniger regelmäßig beim

Hausarzt. Insofern, denke ich, können wir bei der ganzen Diskussion natürlich am

Hausarzt nicht vorbei gehen. Wenn wir über Case Management sprechen als etwas,

das einem multiprofessionellem Team obliegt, dann hat der Hausarzt hier sicher eine

ganz wichtige Position.

Natürlich geht es uns bei der Diskussion nicht darum, Case Management zu zentrali-

sieren. Natürlich macht es Sinn, dass im SGB XI und in anderen Gesetzen Informa-

tions- und Beratungspflichten normiert sind, dass dort auch die Gesetze offen sind für

Case Management; das wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen und ändern. Aber

zu sagen, „Case Management ist ein Verfahren“ und damit alle Bemühungen, Case

Management zu institutionalisieren, abzuwehren, das halte ich für zu kurz gesprungen.

Wir haben in den Tagen gestern und heute festgestellt, dass es eine ganze Reihe von

Konstellationen gibt, in denen man Case Management nicht mehr in den vier Wänden

einer Pflegeversicherung oder in den vier Wänden eines Sozialamtes abhandeln kann.

Ich denke, wir müssen Vorsorge dafür treffen, dass auch in diesen Fällen Case Mana-

gement möglich ist, und zwar übergreifend möglich ist. Das ist, denke ich, ist der ganz

entscheidende Punkt in dieser Debatte.

Pohlmann:

Ich möchte auch noch mal kurz auf die Redebeiträge eingehen und meine Meinung

dazu sagen. Aus der kommunalen Ebene heraus denke ich, dass der Handlungsdruck

weiter steigen wird. Wir erleben das insbesondere in den Beratungsstellen – konkret in

unserer Stadt, wo wir auch eine eigene unterhalten – sehr stark, dass hier insbesonde-

re in den Wohnquartieren, wo die Ein-Personen-Haushalte auf Seiten der älteren Men-

schen immer mehr zunehmen, ein hoher Informationsbedarf besteht; aber auch ein

Handlungsbedarf besteht, im Sinne der Altenhilfe weitestgehend tätig zu werden. Da-

mit stoßen dann diese Beratungsstellen auch sehr schnell an Grenzen, wenn es näm-

lich um die Zuständigkeiten geht, die hier vielfach angesprochen wurden – sowohl

wenn es um die Zuständigkeiten der Leistungsträger, sprich der Pflegekassen oder

der Sozialämter, geht als auch wenn es um die Zuständigkeit der Anbieter geht.

Wir spüren also alle miteinander, dass es dringend – und das von Jahr zu Jahr immer

mehr – notwendig sein wird, hier sehr viel mehr auf der kommunalen Ebene eine Re-

gelungslösung zu finden, die diese einzelnen Bausteine zusammen führt. Da gebe ich

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dem Kollegen Recht, der für die Landkreise gesprochen hat, dass es zunächst einmal

wichtig ist, eigene schon vorhandene Strukturen zu reorganisieren. Ich will noch mal

ganz stark die allgemeinen sozialen Dienste in den Mittelpunkt stellen, die es ja in den

Großstädten, wie z.B. auch in Dortmund, gibt, die über viele Jahre hinweg auch diese

Diskussion um soziale Arbeit geführt haben; wobei die Altenhilfe sicherlich in den letz-

ten Jahren an den Rand gedrängt wurde und von anderen Bereichen, insbesondere

der Jugendarbeit und Jugendhilfe, überlagert worden ist und natürlich auch durch die

Sozialhilfegewährung insgesamt, sodass sie ihre eigentlichen Ansprüche und Aufga-

ben, sozialarbeiterisch zu wirken, gar nicht mehr in der Form wahrnehmen kann, wie

es einmal angedacht war. Hier brauchen wir sicherlich auch neue Ansätze, in fachli-

cher Diskussion die bestehenden Sozialdienste auch in der Hinsicht zu überprüfen,

inwieweit sie hier eine ganz zentrale kommunale Rolle in der Altenhilfe und dann auch

im Sinne von Case Management spielen können. Aber es wird wahrscheinlich nicht

ohne Hilfe von außen gehen – ob das jetzt gesetzgeberische Hilfe ist, das will ich nicht

bewerten. Ich kann an dieser Stelle nur sagen, dass wir durch das Landespflegegesetz

in Nordrhein-Westfalen die Problematik, dass es in vielen Kommunen mit Beratung

und Pflegeplanung vielfach so zuging wie „nach Kaisers Gnaden“, aufgegriffen haben,

und dass wir durch dieses Landespflegegesetz immerhin erreicht haben, dass landes-

weit Bedarfsplanung mit allen Schwächen, die sie hat, und Beratung auch mit den

Schwächen, die sie hat, zumindest in Ansätzen stattfindet; und nicht mehr – wie ge-

sagt – nur in den Kommunen, die sich immer besonders dafür engagiert haben. Also,

man sieht schon, dass hier mit einer gewissen gesetzlichen Regelung, die nicht immer

unbedingt große fiskalische Erfordernisse beinhaltet, sehr wohl etwas bewirkt werden

kann. Ich denke, an der Stelle muss man beim Thema Case Management sehr wohl

auch weiter darüber nachdenken, und es sollte nicht nur eine finanzpolitische Diskus-

sion werden.

Einen letzten Satz vielleicht noch: Im Rahmen der Pflegeversicherung und der damit

verbundenen gesetzgeberischen Überprüfung (auch des BSHG) sind keineswegs die

Altenhilfe oder die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaften oder die besondere Rolle der

Wohlfahrtspflege oder auch der §68 BSHG abgeschafft worden, sondern hier gibt es

weiterhin ganz klare gesetzliche Vorgaben, die zu erfüllen sind. Ich denke, das muss

auch hier wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Es deckt sich sehr wohl auch mit

Implikationen des Pflegeversicherungsgesetzes, hier diese Verantwortung auch wahr-

zunehmen. Sie muss aber in der Tat noch einmal konkretisiert werden durch Landes-

gesetze oder Landesempfehlungen – es müssen ja nicht immer gleich Gesetze sein,

vielleicht kommen wir ja im ersten Schritt schon mit Empfehlungen weiter.

Engels:

Vielen Dank, Herr Pohlmann. Wir sind jetzt in dem Dilemma, dass wir mitten in der

Diskussion sind und am Ende der Zeit. Daraus kann es nur eine Schlussfolgerung ge-

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ben: Wir setzen die Diskussion fort. Unsererseits, indem wir eine Dokumentation die-

ser Veranstaltung erstellen und Ihnen allen zusenden. Ich denke auch von anderer

Seite, indem dieses Thema weiter verfolgt wird und weiter für uns im Mittelpunkt ste-

hen wird.

Frau Dr. Gorges hat uns gestern Morgen mit freundlichen Worten begrüßt, und ich

möchte Sie bitten, auch das Schlusswort zu sprechen. Ich möchte noch kurz meiner-

seits allen Referenten und Teilnehmern für ihre Beiträge danken.

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Schlusswort

MinR’in Dr. Renate Gorges,Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kommen zum Abschluss dieser – wie ich

meine – sehr interessanten Fachkonferenz. Die Frage, wie hilfe- und pflegebedürftige

ältere Menschen in Notsituationen eine schnelle und umfassende Beratung sowie eine

bedürfnisgerechte persönliche Hilfe durch ein qualifiziertes Case Management erhal-

ten, ist in den beiden Tagen sehr intensiv mit Argumenten und auch mit 12 Empfeh-

lungen erarbeitet worden. Es liegt nun an uns allen, die wir in den verschiedensten

Ebenen zuständig sind, vorbereitende Maßnahmen sowohl für die Gesetzgebung wie

auch für die Praxis in Gang zu setzen und vorzunehmen. Für den Bund bedeutet dies,

dass in dem von Frau Bundesministerin Dr. Bergmann vorgesehenen Altenhilfe-

Strukturgesetz – von dem ich auch glaube, das es besser Altenhilfegesetz heißen

sollte, wie wir in der Bund-Länder-Kommission ein Jahr lang immer gesagt haben –,

das für Deutschland auch längst überfällig ist, ein Rechtsanspruch auf umfassende

Beratung und ein qualifiziertes Management der hier erörterten Art für die hilfe- und

pflegebedürftigen älteren Menschen verankert werden sollte.

Dabei sollte nicht das Interesse oder die Kooperationsbereitschaft von irgendwelchen

Trägern im Vordergrund stehen, sondern das Individuelle und Persönliche, der per-

sönliche Bedarf und das Bedürfnis des Pflegebedürftigen selbst, der geschützt werden

soll und der wissen muss, an welche Stelle er sich zu wenden hat, wenn er in Not

kommt. Und das ist die Kommune und nicht irgendwelche Träger, die er gar nicht

kennt. Das ist damals unser Anliegen gewesen. Bund und Länder sollten mit Modell-

Einrichtungen auf kommunaler Ebene mit Anschubfinanzierungen auch in diese Rich-

tung vorangehen.

Dieses Ziel vor Augen – und jetzt spreche ich wieder als Beauftragte für das Interna-

tionale Jahr der Senioren – erfüllen wir auch den Wunsch der UNO-Generalver-

sammlung, im Internationalen Jahr der Senioren Maßnahmen aufzugreifen, die über

das internationale Jahr zum Wohl der älteren Menschen hinauswirken sollten. Es hieß

nämlich immer, wir sollten Maßnahmen ergreifen 1999 und „beyond“. Wir hoffen sehr,

dass wir mit den Ergebnissen aus den zwei vorangegangenen Workshops, mit den

Evaluationsberichten, dem Abschlussbericht in zwei Sprachen und mit dieser Fach-

konferenz national wie international einen Beitrag für die Weiterentwicklung in Rich-

tung eines zukünftigen bedarfs- und bedürfnisorientierten Case Managements gelei-

stet haben.

Hier möchte ich jetzt allen danken, die uns dabei geholfen haben. Unser Dank gilt zu-

nächst den Vertretern der ausländischen Institutionen und den Evaluatoren, die Mo-

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dell-Einrichtungen in ihren Ländern ausgewertet und Berichte dazu verfasst haben. Wir

möchten allen unsere Anerkennung dazu aussprechen, denn Sie haben mit Ihrer gro-

ßen Fachkenntnis und Ihrem persönlichen Engagement zum Gelingen dieser Konfe-

renz beigetragen. Danken möchte ich auch den deutschen Kollegen, die uns mit ihrer

Arbeit unterstützt haben. Besonderer Dank gilt den Beratern Herrn Prof. Dr. Wendt

aus Baden-Württemberg und Herrn MR Dr. Ziller aus dem Sozialministerium Hessen.

Herr Dr. Ziller ist auch als Mitglied unserer ehemaligen Bund-Länder-Arbeitsgruppe

zum Altenhilfegesetz nicht müde geworden, immer wieder für das Institut des qualifi-

zierten Case Management und seine Verankerung in einem Bundesgesetz zu werben.

Dafür gebührt ihm besonderer Dank. Nicht zuletzt richte ich jetzt meinen Dank an das

Team des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG Köln) unter der

Leitung von Herrn Dr. Engels in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Engel. Mit großer Sach-

kenntnis und Organisationstalent haben Sie und Ihr Team die Arbeiten in kooperati-

vem Stil zum Erfolg geführt. Ich danke Ihnen für Ihren großen Einsatz, den Sie sowohl

im In- wie auch im Ausland unter Beweis gestellt haben. Ein Dank gebührt weiterhin

unseren ausgezeichneten Dolmetschern, die dafür gesorgt haben, dass wir uns alle

gut untereinander verstanden haben.

Und nun möchte ich allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen hier im Saal für Ihr Kom-

men und Ihre Mitarbeit herzlich danken. Ich hoffe, dass Sie neben dem Berlin-Erlebnis

gestern Abend neue Ideen für die Gestaltung eines qualifizierten Case Managements

in der Altenhilfe mit nach Hause nehmen können. Mit diesen Wünschen schließe ich

jetzt die Sitzung. Kommen Sie gut nach Hause. Vielen Dank.

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Anhang

• Literaturliste zum Vortrag von Prof. Dr. Peter Sauer

• Teilnehmerliste

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140

Literaturliste zum Vortrag von Prof. Dr. Peter Sauer

Overbeck, A./ Reiberg, U./Sauer, P./ Wissert, M.:

Reiberg, U./ Sauer, P./Wissert, M.:

Overbeck, A./ Sauer, P./Wissert, M.:

Reiberg, U./ Sauer, P./Wissert, M.:

Sauer, P./ Wissert, M.:

Sauer, P./ Wissert, M.:

Sauer, P./ Overbeck, A.:

Sauer, P.:

Sauer, P.:

Klenk, S./ Overbeck, A./Reiberg, U./ Sauer, P./Wissert, M.:

Sauer, P.:

„Ost-West-Unterschiede“ bei der ambulanten Rehabilitationvon älteren Menschen, Ergebnisse eines Modellversuchs inBerlin, in: Soziale Arbeit, Heft 1, 1998, S. 2-9

Case Management: Was bei der Implementieirung zu beach-ten ist. In: Pflegemanagement, Heft 2, 1998, S. 6-11

Wieviel Beratungszeit ist notwendig? Untersuchung zu Bera-tungs-zeitprofilen beim Case Management in Berlin, in: Häusli-che Pflege, Heft 11, 1997, S. 44-51

Case Management auf dem Prüfstand, Hilfeplanung in derambulanten Rehabilitation älterer Menschen, in: Forum Sozial-station No. 85, April 1997, S. 36-41

Wer ist der richtige Case Manager? Notwendige Maßnahmenbeim Unterstützungsmanagement und die daraus folgendeQualifikation der KoordinatorInnen, in: Häusliche Pflege 3/ 97,S. 51-58

Ergänzende Maßnahmen zur ambulanten Rehabilitation ältererMenschen – Ergebnisse eines Modellversuchs, in: Archiv fürWissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 1/ 1997, S. 73-81

Was kostet Sozialarbeit? In: Soziale Arbeit 11/ 96, S. 362-366

Ergänzende Maßnahmen zur ambulanten Rehabilitation ältererMenschen, Abschlussbericht der wissenschaftlichen Beglei-tung des Modellversuchs, Berlin April 1996

Ökonomische Wirkungen des Vorrangs ambulanter vor statio-närer Pflege – oder: vom Nutzen des Unterstützungsmanage-ments, in: Wissert, M.: Ambulante Rehabilitation alter Men-schen, Beratungshilfen durch das Unterstützungsmanage-ment, Freiburg 1996, S. 207-227

Reformbemühungen und neue Entwicklungen bei der Rehabi-litation alter Menschen, in: Wissert, M.: Ambulante Rehabilita-tion alter Menschen, Beratungs-hilfen durch das Unterstüt-zungsmanagement, Freiburg 1996, S. 95-133

Jobs im Frühjahr 95, eine Fortschreibung der Analyse vonStellenanzeigen für den Bereich der sozialen Arbeit, in: Archivfür Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1/ 96, S. 74-76

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Teilnehmerliste

Karen ArnoldDeutscher VereinAm Stockborn 1-360439 Frankfurt

Irene BangertBundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendRochusstr. 8-1053123 Bonn

Frau BendkowskiMuseumspädagogischer Dienst BerlinChausseestr. 12310115 Berlin

Günter BenschDer Pritätische- WolfsburgSaarstr. 10a38440 Wolfsburg

Winfried BorzJohanna-Kirchner-AltenhilfezentrumGutleutstr.31960327 Frankfurt

Monika BroySeniorenberatungHaagstr. 5550374 Erftstadt

Anne BrückStadtverwaltung ViernheimSeniorenberatungKetteler Str. 368517 Viernheim

Eckhardt CappellBehörde für Arbeit, Gesundheit undSozialesPF 76 01 0622051 Hamburg

Gunter CrößmannHessisches Landesamt für Versorgung undSozialesAdickesallee 3660322 Frankfurt

Uwe DamnigKoordinierungsstelle Wittenberge beimDRKHorning 6019322 Wittenberge

Klaus DumeierVerband der Angestellten-Krankenkassene. V. VdAKFrankfurter Str. 8453721 Siegburg

Hinnerk EinhornVerein für Integrative AngeboteSchnellerstr. 9412439 Berlin

Nicole ElpingBMFSFJ PressestelleGlinkastr. 18-2410117 Berlin

Dr. Heike EngelISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbHBarbarossaplatz 250674 Köln

Dr. Dietrich EngelsISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbHBarbarossaplatz 250674 Köln

Monika ErnstUniversité de LiègeCHU Sart TilmanB-4000 Liège

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Dott. Raffaele FabrizioRegione Emilia Romagna, AssessoratoPolitiche Sociali e familiariViale Aldo Moro, 30I-40127 Bologna

Gabriele FachingerVDK KoordinierungsstelleSchöneberg/TempelhofReinhardtst. 712103 Berlin

Frau FenrichCaritasverband für Berlin e.V.Residenzstr. 9013409 Berlin

Ingrid FischerStadt Buchholz i.d.N. SozialabteilungRathausplatz 121244 Buchholz i.d.N.

Frau FockKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation älterer MenschenBundesallee 15810715 Berlin

Bettina FriedrichDiakonisches Werk Tempelhof-Schöneberge.V.Loewenhardtdamm 4112101 Berlin

Dr. W. Frieling-SonnenbergDRK-Landesverband ThüringenHeinrich-Heine-Str. 399096 Erfurt

Herbert FuchsMinisterium für Arbeit, Soziales, Gesundheitund en des Landes BrandenburgHeinrich-Mann-Allee 10314473 Potsdam

Kornelia FusseneggerKranebitter Allee 146A-6020 Innsbruck

Dr. Vjenka Garms-HomolováInstitut für Gesundheitsanalysen und sozialeKonzepte e. V.Spessartstr. 12/IV14197 Berlin

André GarrelsBMFSFJ PressestelleGlinkastr. 18-2410117 Berlin

Christine GebauerStadtverwaltung Sprockhövel SeniorenbüroRathausplatz 445549 Sprockhövel

Manfred GeigerISO Institut für Sozialforschung undSozialwirtschaft e. V.Trillerweg 6966117 Saarbrücken

Karin GlaserRund ums Alter KoordinierungstelleMehrower Allee 5012687 Berlin

Andrea Goltz-KierspelSBK Zentrum für Senioren und BehinderteKölnBoltensternstraße 1650735 Köln

Frau GorenzKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation älterer MenschenBundesallee 15810715 Berlin

Dr. Renate GorgesBundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendRochusstr. 8-1053123 Bonn

Dr. Christiane GossetUniversité de Liège, Service de SantéPublique et d'EpidemiologieCHU Sart TilmanB-4000 Liège

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Sabine GrabowKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation älterer MenschenBreitestr. 313187 Berlin

Heidrun GraczkowskiDiakonie-Pflege ReinickendorfAlt-Wittenau 32 A13437 Berlin

Cornelia GrimmBezirksamt Hellersdorf von BerlinRiesaer Str. 9412627 Berlin

Frau Gundert-BuchStadt Maintal Soziale DiensteKlosterhofstr. 4-663477 Maintal

Ursula Hartard-TschichholzKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation älterer MenschenCarl-Schurz Str. 2-613578 Berlin

Erich HartmannArnoldstr. 6022763 Hamburg

Andreas HauptProSenioren ResidenzBad FriedrichshallHagenbacher Str. 274177 Bad Friedrichshall

Dr. Marianne Heinemann-KnochInstitut für Gerontologische Forschung e.V.Torstr. 17810115 Berlin

Brigitte HellerStadt DortmundHoher Wall 5-744122 Dortmund

Eva HenschelArbeiterwohlfahrt Landesverband Berlin e.V.Hallesches Ufer 32-3810963 Berlin

Sigrid HenßeEvangelisches Geriatriezentrum BerlingGmbHReinickendorfer Str. 6113347 Berlin

MinR Rudolf HerweckBundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendRochusstr. 8-1053123 Bonn

Dr. Peter HoffmannAkademie für öffentlichesGesundheitswesen in DüsseldorfAuf'm Hennekamp 7040225 Düsseldorf

Gabriele HoldorfEv. Seniorenhilfe DelmenhorstLutherstr. 427749 Delmenhorst

Eva HollmachKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation und Pflege älterer MenschenJohanna-Stegen-Str. 812167 Berlin

Manfred HoppRund ums Alter KoordinierungstelleMehrower Allee 5012687 Berlin

Kornelia Höring-SchmidtVDK KoordinierungsstelleSchöneberg/TempelhofReinhardtst. 712103 Berlin

Roswitha HuberDiakonie-Sozialstation Berlin KöpenickAdlerhofer Str. 3b12557 Berlin

Frau IsmailskajaDRK Kreisverband Wedding/PrenzlauerBerg e.V.Danzigerstr. 10710405 Berlin

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Ingrid JaenickeAlbatros WohnraumberatungsstelleKopenhagenerstr. 2913407 Berlin

Thomas KasperJohanna-Kirchner-AltenhilfezentrumGutleutstr.31960327 Frankfurt

RegDir’in Ulrike von KeyserlingkBundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendGlinkastr. 18-2410117 Berlin

Uwe KleinKrankenhaus HellersdorfGerontopsychiatrische Abt.Myslowitzer Str. 4512621 Berlin

Susanne KochAWO Begegnungszentrum BerlinAdalbertstr.23a10997 Berlin

Kerstin Krause-KöhlerDiakonisches Werk Tempelhof-Schöneberge.V.Loewenhardtdamm 4112101 Berlin

Dr. Helmut KrepelFörderkreis sinnvolles Miteinander im Altere.V.Hanns-Eisler-Str. 4610409 Berlin

Dietmar KruschelKrankenwohnungRuppiner Chaussee 18113503 Berlin

Frau KurzlechnerDiakonisches Werk FürstenfeldbruckBuchenauerstr. 4282256 Fürstenfeldbruck

Rainer LachenmayerDer Paritätische - LV Berlin e. V. -Brandenburgische Str. 8010713 Berlin

Sandra LiebertISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbHBarbarossaplatz 250674 Köln

Norbert LindenlaubAssurance Dependance125, Route d'EschL-2974 Luxembourg

Karl-Otto LindlahrDeutscher LandkreistagAdenauer Allee 13653113 Bonn

Dr. Lothar LürkenMedizinischer Dienst der Spitzenverbändeder Krankenkassen e.V. (MDS)Lützowstr. 5345141 Essen

Lluisa Marrugaticesb, Universitat Ramon LlullC. Enric Granados, 2E-08007 Barcelona

Friedhelm MenzelDiakonisches Werk in Hessen und Nassaue. V.Ederstr. 1260486 Frankfurt

Hilke MeyerStadt HamelnRathhausplatz 131785 Hameln

Filiz Müller-LenhartzAWO Begegnungszentrum BerlinAdalbertstr.23a10997 Berlin

Erich MünzStadt Maintal Soziale DiensteKlosterhofstr. 4-663477 Maintal

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Dott.ssa Natalia Nico FazioCoordinatore Servizio Anziani, Dipartimentoper gli Affari SocialiVia Veneto 56I-00187 Roma

Irmgard NiedrigJohanniter-Heime Berlin GmbHFinckensternallee 12512205 Berlin

Heike NordmannVerbraucherzentrale NRWMintropstr. 2740215 Düsseldorf

Sabine NowakBeratungsstelle WohnenKorbinianplatz 15a80807 München

Petra NytzDiakoniestation KöpenickAdlershofer Str. 3b12557 Berlin

Reinhard PohlmannStadt DortmundHoher Wall 5-744122 Dortmund

Dr. Stefan PohlmannGeschäftsstelle Internationales Jahr derSeniorenPfarrer-Byns-Str. 153121 Bonn

Karsten RaabeKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation und Pflege älterer MenschenJohanna-Stegen-Str. 812167 Berlin

Herr RaabeParitätischer Wohlfahrtsverband HamelnKaiserstr. 80Hameln

Dr. Clarie RamakersITS Institut voor Toegepaste SocialewetenschappenPostbus 9048NL-6500 KJ Nijmegen

Ute RasimAWO Kreisverband Frankfurt/Main e.V.Neue Kräme 2660311 Frankfurt

Ariane RauschVDK KoordinierungsstelleSchöneberg/TempelhofReinhardtst. 712103 Berlin

Uta ReibergAlbatros WohnraumberatungsstelleKopenhagenerstr. 2913407 Berlin

Pia ReisertLuise-Henrietten-StiftKlosterkirchplatz 1714797 Lehnin

Katrin RidderISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbHBarbarossaplatz 250674 Köln

Maria RolfiniRegione Emilia Romagna, AssessoratoPolitiche Sociali e familiariViale Aldo Moro, 30I-40127 Bologna

Inge-Jule RöschKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation älterer MenschenCarl-Schurz Str. 2-613578 Berlin

Martina RoßArbeiterwohlfahrt BrandenburgVerwaltungsgesellschaftNansenstr. 1814471 Potsdam

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Marion Ruhnau-WüllenweberEvangelisches Geriatriezentrum BerlingGmbHReinickendorfer Str. 6113347 Berlin

Kerstin SafianSeniorenbüro der Stadt Karlsruhe76124 Karlsruhe

Dr. Teresa Sancho CastielloMinisterio de Trabajo y Asuntos Sociales,Instituto de Migraciones y ServiciosSocialesAvda. Ilustracion, esq. Ginzo de Limia, 58E-28029 Madrid

Prof. Dr. Peter SauerEvangelische Fachhochschule BerlinPostfach 37 02 8014132 Berlin

Wolfgang SchäferSBK Zentrum für Senioren und BehinderteKölnBoltensternstraße 1650735 Köln

Dr. Roland SchmidtDeutsches Zentrum für AltersfragenManfred-von-Richthofen-Str. 212101 Berlin

Eberhard Schmitt-HelfferichStadtverwaltung ViernheimSeniorenberatungKetteler Str. 368517 Viernheim

Heike SchnellerDRK Kreisverband Wedding/PrenzlauerBerg e.V.Danzigerstr. 10710405 Berlin

Christiane SchoellenAssurance Dependance125, Route d'EschL-2974 Luxembourg

Regine SchuhDiakoniestation Spandau gGmbHKinkelstr. 3513597 Berlin

Frau Schulter"Marseille" Regionalbüro HessenHanauerstr. 49a63755 Alzen

Berthold SchumacherLandkreis Hameln-Pyrmont FachdienstHilfe zur PflegeSedanstr. 1331783 Hameln

Dr. SchumacherMuseumspädagogischer Dienst BerlinChausseestr. 12310115 Berlin

Renate StemmlerKrankenhaus HellersdorfGerontopsychiatrische Abt.Myslowitzer Str. 4512621 Berlin

Véronique TellierUniversité de Liège, Service de SantéPublique et d'EpidemiologieCHU Sart TilmanB-4000 Liège

Carmen TillmannLuise-Henrietten-StiftKlosterkirchplatz 1714797 Lehnin

Veronika VahrenhorstKoordinierungsstelle für ambulanteRehabilitation und Pflege älterer MenschenJohanna-Stegen-Str. 812167 Berlin

Cornelia von LessenDRK-Landesverband BerlinBundesallee 7312161 Berlin

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Lothar VoßInstitut für Gesundheits-, Umwelt- undSozialplanung (IGUS) e.V.Rentzelstr. 720146 Hamburg

Joachim WagnerCaritasverband für Brandenburg e.V.Friedrich-Ebert-Str. 5714469 Potsdam

Bernd WasmundKoordinierungsstelle Wittenberge beimDRKHorning 6019322 Wittenberge

Prof. Dr. Wolf Rainer WendtBerufsakademie StuttgartPF 10 05 6370004 Stuttgart

Dr. Alexandra WerbaBundesministerium für Umwelt, Jugend undFamilie, Abt V/5Franz-Josefs-Kai 51A-1010 Wien

Angelika WillkeStadtverwaltung WuppertalBezirkssozialdienst 6Winklerstr. 1-342283 Wuppertal

Veronika WolfDRK-Sozialstation JohannisthalSterndamm 13412487 Berlin

Suse WöllJohanna-Kirchner-AltenhilfezentrumGutleutstr.31960327 Frankfurt

Michael ZanderBerliner Zentrum für selbstbestimmtesLeben behinderter MenschenMarienburger Str. 32a10405 Berlin

Rainer ZapfRummelsberg 6990592 Schwarzenbruck

Dr. Hannes ZillerHessisches Ministerium für en, Arbeit undSozialordnungDostojewskistr. 465187 Wiesbaden

Susanne ZöllnerEvangelisches Geriatriezentrum BerlingGmbHReinickendorfer Str. 6113347 Berlin