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Cholesterinvermehrung als Liquorsyndrom nach elektrischen Unfällen

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Page 1: Cholesterinvermehrung als Liquorsyndrom nach elektrischen Unfällen

(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universit~t MOnster [Direktor: Prof. Dr. F. Kehrer].)

Cholesterinvermehrung als Liquorsyndrom nach elektrisehen Unf llen.

Von Dr. Berthold Wichmann.

(Eingegangen Ende November 1936.)

Die Untersuchungen der LipoidkSrper der Hirnrfickenmarksflfissigkeit, darunter insbesondere des Cholesterins mit seinen Estern sind im Laufe der letzten Zeit etwas mehr in den Vordergrund getreten gegenfiber den qualitativen und quantitativen Bestimmungen der LiquoreiweiBkSrper, die bislang das vorwiegende Interesse beanspruchten. Dabei sind bei den grSI3eren Reihenuntersuehungen gerade des Cholesteringehaltes der Hirnrfiekenmarksflfissigkeit eine ganze Reihe von Erkenntnissen gewonnen worden, die nicht nur methodisches Interesse besitzen, sondern die auch hinsichtlieh der klinischen Bewertbarkeit durchaus brauchbar sind. Was die Ergebnisse der Untersuchungen im allgemeinen anbetrifft, so kann hier auf die Originalarbeiten verwiesen werden, yon denen als wiehtigste die yon Kulkow und Schamburow (1928), Eskuchen und Lickint (1928), Knauer und Heidrich (1931), Plaut und Rudy (1933), Holthaus und Wichmann (1934) und von Barth (1936) angeffihrt werden kSnnen.

An dieser Stelle soll nun fiber ein besonderes Ergebnis im Rahmen dieser Untersuchungen berichtet werden, das nieht allein als diagnostisches Hilfsmittel der klinischen Untersuehungen wertvoll ist, sondern das speziell yon Bedeutung ist sowohl ffir die Frage yon Sch~digungen des Zentralnervensystems durch Einwirkung elektrischen Stromes als auch ffir die Bewertung solcher Sch~digungen im unfallmedizinischen Zu- sammenhang, ni~mlieh fiber die Feststellung einer ErhShung des Chol- esteringehaltes der Hirnrfickenmarksflfissigkeit nach elektrischen Un- f~llen. 1933 haben Holthaus und Verfasser erstmalig fiber eine solehe Cholesterinvermehrung bei 3 Fallen von Folgezusts nach elektrischen Unf~llen berichtet, die gelegentlieh der yon uns durchgeffihrten Reihen- untersuchungen fiber den Cholesteringehalt des Liquors fiberhaupt fest- gestellt wurden. Bis dahin lagen Mitteilungen fiber Liquorun~ersuchungen, vor allem in morphologischer und chemischer Hinsicht, nach elektrisehen Unf~llen so gut wie gar nieht vor, obwohl sie f fir die Beurteilung cerebraler :Folgezust~nde nach solchen Unf~llen sicher yon Bedeutung sind. Jellinek hat fiber Liquordrucksteigerungen infolge yon HirnSdem bzw. Hirn- schwellung nach Stromschs beriehtet, und Kawamura konnte

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im Tierexperiment bei Einwirkung yon WechselstrSmen yon 40---100 Volt Spannung regelmaBig einen Druckanstieg feststellen. Sower aber chemische Untersuchungen des Liquors erwahnt sind, so yon Panse bei eigenen Fallen seiner Monographie und bei mitgeteilten Fallen yon Chartier und Trautmann, hatten diese ein negatives Resulta~.

Zunachst mul~ noch bemerkt werden, dab als wichtigstes Ergebnis der anfangs genannten verschiedenen VerSffentlichungen die lange be- zweifelte Tatsache hingestellt werden kann, dab auch der Liquor von klinisch nicht nachweisbar kranken Menschen, also der ,,normale" Liquor immer Cholesterin in der Regel in quantitativ nachweisbarer Menge enthalt. Von Plaut und Rudy (1933) sowie auch in letzter Zeit yon Barth wurde als oberer Wert fiir den Cholesteringehalt des normalen Liquors 0,25--0,3 mg-% angegeben, wahrend Holthaus und ich in unserer Arbeit, die sich soweit ersichtlich auf das bisher grSBte Material stiitzt, als Normalgrenzwert nach oben hin die Zahl yon 0,6 mg-% angegeben haben. (Die ErSrterung, weshalb unsere Werte h6her liegen als die mit einer gleichen, abet yon der unseren unterschiedlichen Methode gewonnenen Werte der beiden genannten Arbeiten, muB einer spateren VerSffent- lichung vorbehalten bleiben. Hier soll nur bemerkt werden, dab das grundsatzliche Ergebnis der vorliegenden Mitteilung durch diese Differenz, wie aus den weiteren Ausfiihrungen ersichtlich ist, nicht beriihrt wird.) In den erwahnten 3 Fallen der ersten Ver6ffentlichung (3,5 und 6 in der jetzigen) wurde ein Cholesteringehalt zwischen 0,92 und 1,07 rag-% festgestellt, also eine ganz betrachtliche ErhShung gegeniiber den von uns angegebenen Normalwerten, wahrend im iibrigen auBer einer maBigen Liquordrucksteigerung und einer leichten ZuckererhShung (besser yon reduzierenden Substanzen) in einem Falle keine pathologischen Befunde erhoben wurden.

Inzwischen konnten nun Untersuchungen des Liquors mit besonderer Berticksichtigung des Cholesteringehaltes in insgesamt 16 Fallen vor- genommen werden, in denen elektrische Unfalle, entweder durch Blitz- schlag oder an elektrischen Leitungen, bzw., wenn man der Unter- scheidung yon Panse folgen will, durch statische oder durch technische Elektrizitat stattgefunden hatten. Auch in diesen neueren Fallen konnte iibereinstimmend eine ErhShung des Cholesteringehaltes in der Hirn- riickenmarksfliissigkeit gefunden werden. Es kann deshalb als genfigend gesichert angesehen werden, dab die urspriinglichen Befunde nicht Zu- fallsergebnisse darstellten, sondern dab ein ursachlicher Zusammenhang zwischen der CholesterinerhShung und den Einwirkungen des elektrischen Stromes am Zentralnervensystem in der weiter unten ausgefiihrten Art und Weise angenommen werden muB. Die Krankengeschichten dieser 16 Falle sollen nachstehend in mSglichster Kiirze angefiihrt werden. Es handelte sich 2real um Unfalle durch Blitzschlag, 4real um Unfalle an einer Hochspannungsleitung und 10mal um Unfalle durch Kontakt

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mi t einer Gleich- oder Wechse l s t romle i tung bis 400 Volt S t romspannung . (Die Reihenfolge der Fi~lle is t nach dem Grad der Choles ter inerhShung bes t immt . )

Fall 1. Johann Kl., 44j~hriger Landwirt, wurde am 1.8.34 (14 Monate vor der Untersuchung in der hiesigen Klinik) vom Blitz getroffen, als er, auf dem Felde mit landwirtschaftlichen Arbeiten beschaftigt, vor einem Gewitter in einem Gebiisch Deckung suchen wollte. Er wurde sofort bewuBtlos und kam erst wieder zu sich, als er in seine Wohnung geschafft war. Verbrennungen am rechten Arm und Bein; die Kleidung war am Riicken verbrannt. In den folgenden Tagen heftige Schmerzen in der ganzen rechten K6rperhMfte. Als er nach 2 Monaten Krankenlager wieder aufstehen konnte, bemerkte er eine Kraftlosigkeit im reehten Arm und Bein sowie eine vorzeitige Ermtidbarkeit schon nach leichteren Anstrengungen. Zur Zeit der Untersuchung klagte er neben Miidigkeit und Erschwerung des Denkverm6gens fiber Schwindelgeffihle, Herzklopfen mit Angstgefiihlen, Blutandrang zum Kopf und h~ufige SehweiBausbriiche. Dabei war ihm eine besondere Abh~ngigkeit seiner Besehwerden yon der Wetterlage aufgefallen. Im rechten Arm und Bein bestand noeh leichtes Schw~ehegeftihl.

Befund (18. 10.35). Asthenischer Konstitutionstyp in mittlerem Erniihrungs- zustand. Strommarken yon HandtellergrSfle zwischen Wirbels~ule und rechter Scapula, kleinere am rechten Unterarm und unterhalb des rechten Malleolus ex- ternus. Akroeyanose der H~nde und FiiBe. Kein Zeichen fiir Arteriosklerose, Blut- druek 125/80 mm Hg. Innere Organe o. B. Ausgesproehene Steigerung der mechani- schen Muskelerregbarkeit sowie der vasomotorischen Erregbarkeit, allgemeine Hyperhidrosis. Psychogener leiehter Tremor des Kopfes. Leichte Druckschmerz- haftigkeit der supraorbitalen Trigeminusaustrittstelle beiderseits. Hirnnerven sonst o .B. Keine Atrophien an den Extremitiiten, Knochenhaut- und Sehnen- reflexe beiderseits gleich. Keine Druekschmerzhaftigkeit der groBen Nervenstitmme, keine sonstigen Anzeiehen fiir eine Neuritis. Bewegungsablauf und Muskelkoordi- nation ungest6rt. Leichte Herabsetzung der groben Kraft im rechten Arm und Bein ohne eigentliche paretische oder ataktische St6rungen. Sensibilit~tt intakt, keine trophiscben St6rungen. Psychisch: :~ngstlich gespannt, zeitweise etwas reizbar, ziemlich labil.

Der dureh Oceipitalpunktion im Liegen gewonnene Liquor zeigte einen erhShten Druek yon 210 mm H~O. GesamteiweiB 16,8 rag-%, Albumine 14,4, Globuline 2,4 rag-%. EiweiBquotient 0,16, keine Zellen. Zucker-, Chlor-, Reststickstoffgehalt normal. Cholesterin 1,14 mg%- (im Blut 174 mg-% ). Goldsolkurve 000 000 000 000. Wa.R. und MKR. I I negativ. Im Blutbild leichte Eosinophilie. BkSG. (Wester- green) normal. Schwindelzusti~nde konnten w~thrend der Beobachtungszeit mehr- fach objektiviert werden mit Pulsbeschleunigungen und ausgesprochenen vaso- motorischen St5rungen.

aVall 2. Heinrich Sw., 49j~hriger Motorenwi~rter, erlitt am 26. 7.34 (15 Monate vor der Untersuehung) einen Unfall dadurch, dab er im Betriebe mit der Stark- stromleitung in Beriihrung kam, wobei er mit beiden Handen an der Leitung h~ngen blieb. Er kann sieh noch an die,,Sehliige" erinnern,die durch seinen KSrper gingen, dann trat aber BewuBtlosigkeit ein, die nach objektiven Feststellungen mehrere Stunden anhielt. W~hrend der Bewul3tlosigkeit stiirzte er von einer eisernen Platt- form mehrere Meter tier auf einen Holzboden. In den auf den Unfall folgenden Tagen war er meist benommen, so dab er fiir diese Zeit keine reehte Erinnerung mehr hat. Er erfuhr aber sp~ter, dab er einen Bruch an der Halswirbelsaule erlitten habe. Zur Zeit der Untersuchung klagte er fiber Schwindelgefiihle, ,,als wenn es so benommen im Kopf ist". Im Nacken bestanden Schmerzen, als wenn er dort eine wunde Stelle hi~tte, besonders bei Drehbewegungen des Kopfes. Diese Schmerzen

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strahlten bis in die Arme aus, auBerdem bemerkt er in diesen ein bis in die Finger- spitzen ziehendes Kribbeln. Vor 9 Jahren Beckenbruch durch Unfall.

Befund (3. 10. 35). Untersetzter K6rperbau. Haut gut durchbtutet. An den inneren Organen kein krankhafter Befund. Blutdruck 165/95 mm Hg. Akrocyanose der Extremit~ten, deutlich gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit. Klopfschmerz der linken Scheitelbein-Stirngegend; rSntgenologisch kein Zeichen ffir Fraktur. Leichte rechtsseitige Zungenatrophie; im fibrigen an den Hirnnerven keine Ausfalls- erscheinungen. Periost- und Sehnenreflexe an den Armen links etwas schw~cher als rechts, Muskelspannung links etwas herabgesetzt; keine Atrophien. Fein- schl~giger Tremor der tI~nde. Bauchdeckenreflexe schwach auslSsbar, besonders die unteren. An den Beinen sind die Sehnenreflexe lebhaft mit leichter Verbreiterung der reflexogenen Zone; der Ful3sohlenreflex ist links lebhafter als rechts. Kein Nervendruckschmerz, keine Atrophien. Hyperiisthesie und -algesie der rechten Gesichtsh~lfte und am rechten Oberarm, Herabsetzung der Berfihrungs- und Sehmerzempfindung am linken Unterarm, an der Hand an St~rke zunehmend.

In psychiseher Hinsicht bestand eine Verlangsamung mit leichter echter Ver- l~ngerung der Reaktionszeiten, antriebsarmes Verhalten mit leichter Schwer- besinnlichkeit und MerldahigkeitsstSrungen.

Liquordruck bei Occipitalpunktion leicht erhSht, 170 mm H20. GesamteiweiI3 21,6 mg-%, Albumine 19,2mg-%, Globuline 2,4mg-%, Eiweil3quotient 0;12. Zucker-, Kochsalz- und Reststickstoffgehalt normal. 1/a Lymphocyten. Goldsol- kurve 000 000 000 000. Wa.R. und MKR. I I negativ. Cholesterin 1,07 mg-% (ira Blut 180 rag-%.

Fall 3. Hermann I., 39j~hriger Arbeiter, erlitt am 28.6. 32 (5 Monate vor der Untersuchung) einen Unfall durch Blitzschlag. Er hatte sich mit 2 Arbeitskameraden vor einem Gewitterregen in eine aus Moorsoden gebaute Schutzhfitte gefliichtet. Unmittelbar darauf schlug in diese der Blitz ein. I. wurde sofort bewuBtlos, die bei- den Kameraden wurden getStet. Als er wieder zu sich kam, konnte er keine Luft bekommen und hatte ein Geffihl, als ob ihm ein schweres Gewicht auf der Brust lage. Erst nach einiger Zeit konnte er wieder atmen und nahm einen deutlichen Schwefelgeruch wahl Das Dach der Schutzhiitte war eingefallen, so dal3 er sich erst mfihsam aus den Holzstficken und aus dem Moor befreien muBte. Er bemerkte dann, dab beide Kameraden tot und schon kalt und steif waren. Der eine lag auf ihm. Als er sich unter diesem hervorarbeiten wollte, waren aul3er seinem linken Arme alle Glieder gels Das rechte Auge war geschlossen. Nachdem ihm in der N~he besch~ftigte Arbeiter zu Hilfe gekommen waren, bemerkte er im Laufe der n~chsten beiden Stunden, dal3 langsam wieder Leben in den rechten Arm kam, und, nachdem man ihm die Stiefel ausgezogen hatte, auch wieder ein Kribbeln in den Beinen, die zuerst vSllig empfindungslos gewesen waren, auftrat. Zu Hause, wohin er gleich vonder Unfallstelle transportiert worden war, muBte er 14 Tage lang das Bert hiiten. Der rechte Arm, die rechte Brustseite und insbesondere das rechte Bein waren zun~ehst dick angeschwollen. Am Unfalltag selbst soll er nach Angabe der Angeh6rigen zu Hause noch phantasieIt haben und Erbrechen gehabt haben. Nach 2 Monaten waren die Schwellungen und Beschwerden soweit ab- geklungen, daft er mit seinem Fahrrade den Arzt zur Behandlung aufsuchen konnte; l~ngeres Gehen war ihm dagegen immer noch sehr beschwerlich.

Zur Zeit der Untersuchung klagte er noch fiber st~ndige Schmerzen im rechten Beine yon der Hiifte bis zum FuBgelenk. Er konnte damit auch nicht richtig auf- treten. Den rechten Arm konnte er im Sehultergelenk nicht seitw~trts und nach vorn nicht fiber einen rechten Winkel erheben. Nach l~ngerem Gebrauch trat eine Anschwellung der rechten Hand ein. Er klagte ferner noch fiber Kopfschmerzen, l~belkeitsgeffihle beim Biicken, Blutandrang zum Kopf, verst/~rktes Schwitzen, gelegentliche leichte Schwindelgefiihle und verschiedene Male auftretendes Erbrechen sowie schliel31ich iiber Beklemnmngsgeffihle in der Herzgegend.

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Befund (24.11.32). Guter Allgemeinzustand. Innere Organe o.B. Blutdruck 120/60 mm Hg., Pals 4 • 25 Schlage in der Minute. Rechter Plexus brachialis druck- schmerzhaft, grobe Kraft im rechten Arm herabgesetzt. Keine Atrophien, keine St6rungen der Bewegungskoordination. Periost- und Sehnenreflexe beiderseits in gleicher St/~rke auslSsbar. Leichter Tremor der H~nde. Patellarreflex rechts gegen- tiber links gesteigert, tibrige Reflexe an den Beinen rechts gleich links auslfsbar. Geringe Umfangsdifferenz am rechten Oberschenkel bis zu 0,5 cm (Rechtsh~nder), Muskeltonus beiderseits o.B. Rechter N. ischiadicus in seinem ganzen Verlaufe druckschmerzhaft. Gang ziemlich schwerf~llig unter Schonung des rechten Beines. An der rechten Brustseite, 5 cm einwi~rts der Achselhfhle, unmittelbar an der rechten Brustwarze, sowie am rechten Oberschenkel etwas oberhalb der Glut~alfalte alte Strommarken. R6ntgenologisch keine Knochenver~nderungen in den groBen Gelenken. Sensibiliti~t ftir alle Qualiti~ten intakt. Starke Steigerung der vaso- motorischen Erregbarkeit mit allgemeiner Hyperhidrosis. Psychisch etwas reizbar- labil, li~Bt sich ziemlich h~ngen, meist etwas depressiv. Leichter Antriebsmangel.

Liquordruck bei Occipitalpunktion im Liegen 180 mm H~O. GesamteiweiB 24,0 rag-%, Albumine 21,6 mg-%, Globuline 2,4mg-%, EiweiBquotient 0,11. Zucker-, Chlor- und Reststickstoffgehalt normal. Zellen 8/3 Lymphocyten. Goldsol- kurve 00 0O0 000, Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Cholesterin 1,07 mg-% (ira Blut 168 mg-%).

Im Mai 1935 land eine Nachuntersuchung statt, die eine Besserung der objektiven Erscheinungen ergab, insoweit als eine Druckschmerzhaftigkeit yon Nervensti~mmen nicht mehr vorhanden war. Auch eine Differenz yon Reflexen lies sich nicht mehr feststellen. Je~zt deutliche psychogene ]~berlagerung der Beschwerden, aber immer typische Erscheinungen vasomotorischer l~bererregbarkeit mit Pulsschwankungen, schnellem Wechsel der Gesichtsfarbe und hochgradiger Hyperhidrosis. Eine Unter- suchung der Hirnrtiekenmarksfliissigkeit wurde diesmal abgelehnt.

Fall 4. Otto B., 36j~hriger Elektriker, erlitt 1928 (7 Jahre vor der Untersuchung) einen Unfall dadurch, dab er mit einer Hochspannungsleitnng in Beriihrung kam. Er wurde sofort bewuBtlos. Die Finger der rechten Hand waren his auf den Knochen verbrannt. Er mullte deswegen 4 Wochen krank feiern, dann nahm er seine Arbeit wieder auf, l i t t aber unter vorzeitiger Ermfidbarkeit, Geftihlen allgemeiner kSrper- licher Schwi~che und gelegentlichen Schmerzen in der Sehulterblattgegend. Trotz- dem hat er abet bis zum Mai 1934 - - abgesehen yon voriibergehender Arbeitslosig- keit - - gearbeitet, ohne ernstlich krank zu feiern. Im Mai 1934 traten starkere ziehende Schmerzen im rechten Unterarm auf, so dab er in arztliche Behandlung treten muBte. Vor dem Unfall hatte er mit 14 Jahren Typhus, 1922 und 1923 Kuren wegen einer tuberkul6sen Rippenfellerkrankung, hi~ufige Erk~ltungen.

Zur Zeit der Untersuchung klagte er hauptsachlich fiber ziehende Schmerzen im Riicken, die auch in den Oberschenkeln in geringerem Malle auftreten. Ferner hiiufige Kopfschmerzen in der Stirngegend, Druckgeftihle, Abgespanntheit und Schlaflosigkeit.

Befund (6. 11.35). Schmi~chtiger KSrperbau,dtirftiges Fettpolster, degenerative Stigmata. Hyperplastische Tonsillen. Lungen o. B. Am Herzen versti~rkter 2. PT. Puls 4• 17 Schl~ge in der Minute, Blutdruck 120/90 mm Hg. Linkes Foramen supraorbitale angeblich druckschmerzhaft, sonst Hirnnerven o. B. An den Extremi- ti~ten keine ReflexstSrungen. Keine Atrophien, keine neuritisehen Erscheinungen. Psychogene Unsicherheit bei den Zielversuchen. Vasomotorische Erregbarkeit stark gesteigert, Hyperhidrosis. Mechanische Muskelerregbarkeit sehr lebhaft, Harfenphimomen. Sensibiliti~t intakt. Psychisch etwas labil, sehr stark hypo- chondrisch eingestellt.

R6ntgenologisch beiderseits ganz schwach ausgepri~gte Halsrippenanlage. Der durch Occipitalpunktion im Liegen entnommene Liquor zeigte einen normalen

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Druck. Gesamteiweil] 19,2 rag-%, Albumine 16,8 rag-%, Globuline 2,4 mg-%, Ei- weillquotient 0,14, Zellen 1/3 Lymphocyten. Zucker- undChlorgehalt normal. Gold- solkurve 00 010 000 000. Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Chol- esterin 1,0 mg-% (im Blut 170 rag-%).

Fall 5. Johann B., 37j/~hriger Bergmann, erlitt am 5. 7.30 (21/~ Jahre vor der Untersuchung) einen Unfall, dadureh dab er in der Grube mit dem Kopf an die elektrische Grubenleitung kam. Er erlitt durch seine feuchte Kopfbedeckung hin- durch einen Schlag und fiel auf die Schienen der Grubenbahn, weft er sofort bewuBt- los geworden war, wie durch Arbeitskameraden bezeugt wurde. Als er nach 1/2 Stunde wieder zu sich kam, befand er sich schon auf der Fahrt zum Krankenhause. Hier wurde ein Bruch des rechten Oberschenkels und eine Quetschung des rechten Knies festgestellt. AuBerdem hatte er gleich nach dem Unfalle unter erheblichen Kopf- schmerzen und Schwindelgeffihlen zu leiden. Das rechte Bein heilte in Auflen- rotationsstellung wieder an. Diese Stellung konnte nicht korrigiert werden, weil nach dem/trztlichen Bericht beim Versuch der Einw/irtsdrehung des Beines hoch- gradige Gef/~flstSrungen am rechten Unterschenkel und Full auftraten. Friiher keine ernstlicheren Erkrankungen oder erheblicheren Unf/~lle. Zur Zeit der Untersuchung klagte er neben den Kopfbeschwerden fiber eine GangstSrung infolge der fehlerhaften Stellung des rechten Beines und fiber Schmerzen in der rechten Hfifte. Ferner bestand meist ein heftiges Kribbeln im rechten Beine.

Befund (23.1.33). Kr~ftiger Mann, interner Befund o.B. AuBenrotations- stellung des rechten Beines, der rechte Full und der Unterschenkel sind im unteren Drittel bl~tulich verfiirbt und ffihlen sich k~lter an. Fullpuls rechts schwiicher als links. Gesamte Muskulatur des rechten Beines ist gegenfiber links atrophisch, keine Entartungsreaktion. Patellarsehnen- und Achillessehnenreflex rechts im Effekt etwas sehw&cher, Fullsohlenreflex beiderseits gleich, keine pathologischen Reflexe. Beim Gehen wird der rechte Full nur fiber seinen Innenrand abgewickelt. Allgemein gesteigerte vasomotorisehe Erregbarkeit. Leichte, uncharakteristisch begrenzte Sensibilit~tsstOrungen.

Liquordruck bei Occipitalpunktion 175 mm H20, GesamteiweiB 24 mg-%, Albu- mine 19,2mg-%, Globuline 4,8mg-%. Eiweillquotient 0,25. Zucker-, Chlor-, Kalium- und Calciumwerte normal. Keine Zellen. Goldsolkurve 000 000 000 000. Wa.R. und MKR. II im Blut und Liquor negativ. Cholesterin 0,95 mg-% (im Blur 178 mg-% ).

Fal l 6. Heinrich de H., 31j/~hriger Schlosser, erlitt am 20. 6. 29 (3 Jahre vor der Untersuchung) einen Unfall dadureh, dall er beim Anschliellen einer elektrischen Bohrmaschine an die Erdung in den Stromkreis geriet. Er erhielt einen Schlag, wodurch er sofort das Bewulltsein verlor. In diesem Zustande wurde er sofort in das Krankenhaus gebraeht, wo etwa a/4 Stunden sp~ter nur noeh eine leichte Be- nommenheit festgestellt wurde. An den Handtellern bestanden Verbrennungen, die wie Blutblasen ausgesehen h/~tten. Nach 6 Wochen Feierzeit nahm er die Arbeit wieder auf, gab aber sehon bald den Versuch wieder auf, weil er unter Sehwindel- geffihlen mit Blutandrang zum Kopfe litt, wobei er den Eindruck hatte, dab ihm die Erde. entgegenk~me. Aullerdem bemerkte er eine langsam zunehmende Schw~che in der linken KSrperhalfte. Dureh einen Erholungsaufenthalt besserten sich zwar die Beschwerden, er hatte aber auch in der Folgezeit nach 1/~ngerem Gehen immer noeh ein Geffihl leichten Sehwindels.

Bei der Aufnahme klagte er fiber Beklemmungsgeffihle in der linken Brustseite und eine eigentfimliche Unruhe am ganzen KSrper. Im Kopf und in der linken Hand verspfirte er ein dauerndes Kribbeln. Er war leicht erregbar, ffihlte sieh oft traurig verstimmt und mullte h~ufig weinen, so sehr er auch dagegen ank~mpfte.

Befund (5. 7. 32). Asthenischer Mann in ausreiehendem Kr/~fte- und Ern&hrungs- zustand. Innere Organe ohne krankhaften Befund. Hirnnerven o.B. Radius- periostreflexlinks gesteigert. Muskelspannung leicht hypotonisch; keine Atrophien,

Z. f. d. g. Neur . u . P s y c h . 157. 4 6

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keine BewegungsstSrungen, wohl eine leichte Herabsetzung der groben Kraft. Starker grobsehli~giger Tremor der H~nde. Patellarsehnenreflex links gesteigert mit klonischem Nachschleudern des Beines, Aehillessehnenreflex beiderseits gleich, auch im iibrigen keine Reflexst6rungen. Links Ful3klonus. Muskelspannung o. B. Gang hinkend, beim Gehen wird das linke Bein deutlieh nachgezogen. Sensibilit~t fiir alle Qualit~ten intakt. Vasomotorische und mechanische Muskelerregbarkeit hoehgradig gesteigert, bl~uliche Verfi~rbung der distalen Extremiti~tenabsehnitte. Ausgesprochene Hemihyperhidrosis der linken Gesichtshi~lfte. Psychisch: Starke Affektlabilitiit. Zeitweise stuporSses Verhalten, dabei schreekhaft, betont depressive Grundstimmung.

Druck des Liquors bei der Lumbalpunktion wegen psycho-motoriseher Un- ruhe nicht zu bestimmen. 1/3 Lymphocyten. Gesamteiwei[l 24 mg-%, Albumine 19,2 mg-%, Globuline 4,8 mg-%, Eiwefl3quotient 0,25, Zuckergehalt 90 mg-% (leieht erh6ht, im Blur normal), Chlor- und Reststickstoffgehalt normal. Goldsol- kurve 00 000 000. Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Cholesterin 0,92 mg- % (ira Blut 163 mg- %). Bei der Entlassung nach 4z/2 monatiger Behandlung war aufler Besserung der psychisehen Symptome keine _~nderung eingetreten.

Fall 7. Wilhelm B., 40j~hriger Monteur, verungliickte am 1.2. 32 (3 Jahre vor der Untersuchung) bei Reparaturarbeiten an dem Olschalter einer 6000 Voltleitung dadurch, dab er mit der Leitung in Beriihrung geriet. Er selhst kann sich dann an weiteres nicht mehr entsinnen, da er bewuBtlos wurde. Nach Aussage der Arbeits- kameraden war B. etwa 1/4 Stunde bewufltlos, w~hrend welcher Zeit bei ihm Wieder- belebungsversuche angestellt wurden. An den Fingern der linken Hand und am linken Ful3ballen zeigten sich sp/~ter im Krankenhaus, wo er nur eine Woche be- handelt zu werden brauchte, Strommarken. Irgendwelche Li~hmungserscheinungen traten im Anschlul3 an den Unfall nicht auf. Er hat auch seit AbschluI3 der Behand- lung wieder gearbeitet, bemerkte aber selbst, dab er sich hi~ufiger schlapp fiihlte, auch ziemlich oft an Druckgefiihlen im Kopf litt , gelegentlieh schwindelig wurde und insbesondere aul3erordentlieh stark schwitzen muB. Sch]af seit dem Unfalle meist sehlecht, oft aueh tagsiiber ein gewisses Unruhegefiihl.

Befund. Kr/iftig entwickelter Mann. Blutbild abgesehen von einer relativen Lymphocytose yon 39% o.B. Lunge und Herz o.B. Puls 4x 19 Schl/~ge in der Minute. Blutdruckwerte beiwiederholten Messungen zwischen 165 und 140/80 mm Hg schwankend. Hirnnerven o. B. An den Extremit~ten Reflexe lebhaft und beider- seits gleich. Starker Tremor der Hiinde, Quinquaudsches Zeichen positiv. Keine weiteren neurologischen Ausfallserscheinungen. Mechanische Muskelerregbarkeit und vasomotorische Erregbarkeit stark gesteigert. Vasomotorisches Erythem an Hals und Brust, zeitweise verschwindend, h~ufiger Wechsel der Gesichtsfarbe. Starke ttyperhidrosis. Psychisch unauffi~llig.

Liquordruek bei Occipitalpunktion 70mm H20, 2/3 Lymphoeyten, Gesamt- eiweiB 21,6 rag-%, Albumine 19,2 mg-%, Globuline 2,4 mg-%, Zucker-, Chlor- und Reststickstoffgehalt normal. Goldsolkurve 000 000 000 000, Wa.R. und MKR. I I im Blut und Liquor negativ. Cholesterin 0,8 mg-% (ira Blut 168 mg-%).

Bei einer Naehuntersuchung am 23.10.35 land sich ein gleicher Zustand, nur waren Schwankungen der Pulssehlagfolge, die vorher bestanden hatten, nicht mehr vorhanden. Die Grundumsatzbestimmungen ergaben keine echte ErhShung des Ruhe-Niichternumsatzes. Bei der Liquoruntersuchung Iand sich bei im iibrigen normalem Befund wieder eine Cholesterinerh6hung yon 0,79 mg-%.

Fall 8. August P., 36ji~hriger Monteur, erlitt am 25.5.24 ( l l Jahre vor der Untersuchung) einen Unfall dadurch, dal3 beim Bau einer Leitung von 220/400 Volt Spannung versehentlich der Strom eingeschaltet wurde, wobei er infoIge ErdschluB der frisch geteerten, bis zum Grundwasser reichenden Masten in den Stromkreis geriet. Er bekam ein Gefiihl, als ob er ,,von tausend Messern durchschnitten"

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wfirde, wurde aber nicht bewuBtlos. Er sah blitzschnell sein ganzes Leben an sich vorfiberziehen. Er stand 1z/2 Min. unter Stromwirkung. Die rechte Hand war stark verkohlt, wobei sich der Leitungsquerschnitt tier in die Fingerknochen eingebrannt hatte. Ferner Verbrennungen am linken Daumen und in der linken Leistengegend mit Besch~digung des Hodens. Nach einer 4monatigen station~ren Behandlung waren die chirurgischen Unfallfolgen his auf die Verstfimmelung der rechten Hand beseitigt. Er wurde auf dem Bfiro besch~ftigt, erhielt 60% Rente, muflte aber immer wegen ,,nervSser Beschwerden", Reizbarkeit und Narbenschmerzen behandelt werden.

Zur Zeit der Untersucbung klagte er fiber dumpfe Druckgeffihle im Kopf und h~ufige Angstzusti~nde und Beklemmungsgeffihle. Er wird sehr leicbt erregt, schl~ft nachts schlecht mit Aufschreien. Oft starkes Herzklopfen und SchweiB- ausbrfiche. Die rechte Hand ist kaum gebrauchsf~hig, auBerdem hat er in der linken Leistenbeuge Narbenbeschwerden, die oft, insbesondere, wenn er im Sommer stark schwitzt, aufbricht. Seit dem Unfall periodischer AlkoholmiBbrauch, ,,urn die Stimmung zu beki~mpfen".

Befund (6.9. 35). Kr~ftiger Mann, m~Bige allgemeine Fettleibigkeit. Im Blut- bild relative Lymphocytose yon 42%. Inhere Organe o.B. Puls zwischen 4• 19 und 4 x 24 Schl~gen in der Minute schwankend. Blutdruck 155/100 mg Hg. In der linken Leistenbeuge grebe, flach ausstrahlende, br~unlich pigmentierte Narbe. Am linken Oberarm seitlich fiber dem Biceps Strommarke. l~echte Hand im ganzen atrophisch. Am 4. und 5. Finger fehlt das Endglied und der grSBte Tell des Mittel- gliedes, ebenso vom Zeigefinger das Endglied. Am Mittelfinger sind die beiden End- glieder versteift. Vom Daumen ist nur ein kleiner Stumpf des Grundgliedes vor- handen. In der Hohlhand starke Narbenkontrakturen. Hochgradige Behinderung s~mtlicher Fingerbewegungen. Atropbie des ganzen rechten Armes um 1--3 cm.

Hirnnerven o.B. Reflexe an den Armen beiderseits gleich. Muskelspannung gegenfiber links am rechten Arm deutlich berabgesetzt. Nervenst~mme werden an den spezifischen Druckpunkten als leicht druckschmerzhaft angegeben. Grobe Kraft rechts erheblich herabgesetzt. Tastempfinden und Formerkennen rechts (peripher) gestSrt. An den Innenfl~chen der Oberschenkel hyperpigmentierte Haut- partien dutch intertrigin0ses Ekzematoid. An den Beinen keine Abweichungen. An der rechten Hand und am rechten Unterarm teils hyperalgetische Bezirke, teils Hyp~sthesie fiir Berfihrung und Temperaturreize. Vasomotorische Erregbarkeit sehr stark gesteigert. Hochrote lang anhaltende Strichzeichnung der Haut. Hoch- gradige Hyperhidrosis.

Der Liquor zeigte bei der Occipitalpunktion einen erhShten Druck yon 170 mm H~O. GesamteiweiB 31,3 rag-% (leieht erhSht), Albumine 28,8 mg-%, Globuline 2,4 mg- %, Zellen 2/a Lymphocyten. Goldsolkurve 00 000 000 000 000, Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Cholesterin 0,8 rag- %. Psychisch: Aufgeregtes, umst~ndliches Verhalten. Gesteigerte affektive Erregbarkeit mit haltlosem Ein- schlag, leichte Beziehungsideen. Etwas verlangsamt und klebrig, psychopathische Angstzust~nde.

Fall9. Heinrich Sch., 35j~hriger StraBenbahnschaffner, erlitt am 12. 8.35 einen Unfall im Betriebe. Nach der objektiven Unfalluntersuchung erhielt er zu- n~chst einen Schlag, wobei er mit der einen Hand am Stromschalter, mit der anderen Hand am Bremshebel h~ngen blieb. Er wurde sofort bewufltlos und geriet dutch schwankende Bewegungen mit der Schaltkurbel auf die Nullstellung, wodurch der Stromkreis unterbrochen wurde. Da der Wagen, den er ffihrte, auf abschfissiger Strecke noch 200 m welter lief, vielleicht auch durch die Schreckwirkung, geriet der Schalthebel wieder in Einstellung, so dal3 er noch einen zweiten Schlag erhielt, bei dem er aber nicht mehr bewuBtlos wurde. Sp~ter wurde er dann wieder ohnm~chtig. An beiden H~nden hatte er sich Verbrennungen zugezogen. Nach deren Abheilung

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wurde er nur noch ambulant behandelt, bekam auch wegen seiner Beschwerden einen leichten Dienst.

Zur Zeit der Untersuchung klagte er fiber Herzklopfen und Beklemmungsgeffihle, als ob ihm die Luft ausginge. Im Kopf verspiirt er zeitweise einen dumpfen Druek, zu anderen Zeiten mehr steehende Schmerzen. Im Gegensatz zu frfiher sehwitzt er immer sehr stark. Beim Fahren auf der StrM~enbahn kann er das Sehaukeln des Wagens nieht mehr vertragen, da er dann leieht sehwindelig wird.

Befund (12. 12. 35). Guter Allgemeinzustand. Innere Organe o. B. Ganz leiehte VergrSllerung der Sehilddrfisenseitenlappen; keine typisehen Basedowzeiehen. Ruhe- Nfiehternumsatz nur gering gesteigert auf plus 23%. Puls 4x19 Schl/~ge in der Minute. Blutdruek 130/70 mm Hg. An den H/~nden unbedeutende Narben (Strom- marken). Austrittstellen des 1. Trigeminusastes beiderseits leicht drueksehmerz- haft, sonst Hirnnerven o.B. bis auf eine leichte habituelle linksseitige Faeialis- sehwi~ehe. An den Armen keine neurologisehen Abweiehungen. An den Beinen ist der ]inke N. isehiadicus in seinem ganzen Verlaufe drueksehmerzhaft, Atrophien, Reflexdifferenzen usw. fehlen aber. Typisehe vasomotorische l~bererregbarkeit.

Liquordruek bei Oeeipitalpunktion 100 mm H~O. Gesamteiweil~ 19,2 mg-%, Albumine 16,8 mg-%, Globuline 2,4 mg-%, Goldsolkurve 0000000000000. Zueker, Chlor-, Natrium- und Reststiekstoffgehalt normal. Cholesterin 0,8 rag-% (im Blut 207 mg- %). Wa.R. und MKR. I I im Blut und Liquor negativ. In psyehiseher Hin- sieht keine Ausfallserseheinungen.

Fall 10. Fritz T., 32jahriger Bauer, erlitt am 19. 7.29 (7 Jahre vor der Unter- suehung) einen Unfall dadureh, dab er beim Einschalten eines Elektromotors, wahr- seheinlieh infolge fehlerhafter Isolierung, in den Stromkreis geriet, mit der rechten Hand hiingen blieb und ffir kurze Zeit bewulltlos wurde. Er wurde yon einem Nach- barn dureh Aussehalten des Stromes befreit. Der reehte Arm war im AnsehluB an den Unfall 6 Wochen vSllig gelahmt, dann ,,kam langsam wieder Leben hinein". Zur Zeit der Untersuehung klagte T. iiber Kraftlosigkeit im rechten Arm. Gefal3te Gegenstiinde fallen ihm h/~ufig wieder fort. AuBerdem hat er oft ein dumpfes Druck- gefiihl im Kopf und mull stark schwitzen.

Befund (30. 9.36). Kr/iftiger KOrperbau, guter Allgemeinzustand. Herz und Lunge ohne krankhaften Befund. Oberhalb der rechten Ferse bogenf6rmige Narbe mit leichter Verdickung der Sprungsehne (frfiherer Unfall durch Sensenverletzung). Hirnnerven o. B. Grobe Kraft des rechten Armes etwas herabgesetzt. Periost- und Sehnenreflexe rechts etwas abgeschwacht. Leichte Dysdiadochokinese rechts. Atrophie der Mm. interossei rechts, ebenso des M. adductor pollicis, des M. deltoides, der Mm. supra- und infraspinati und des oberen Abschnittes des M. pectoralis. An der Hand leichte trophische St6rungen der Haut mit Hyp/isthesie. Rechter Achilles- sehnenreflex abgeschw/icht, leichte Inaktivit~tsatrophie am rechten Bein, geringe Bewegungsbehinderung im rechten FuBgelenk (Folgen eines friiheren peripheren Unfalles), keine sonstigen neurologischen Ausfallserscheinungen. Vasomotorisehe Erregbarkeit gesteigert. Hyperhidrosis und Akrocyanose. Im Blutbild relative Lymphocytose yon 44%.

Liquordruek bei Occipitalpunktion normal. 3/3 Lymphocyten. GesamteiweiB 24,0 mg- %, Albumine 19,2 mg- %, Globuline 4,8 mg- %, Goldsolkurve 000000000000. Zueker-, Chlor- und Reststickstoffwerte normal. Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Cholesterin 0,8 mg-%. Psychisch etwas sensitiv, sonst o. B.

Fall 11. Wilhelm M., 42j/ihriger Elektriker, erlitt am 26. 2. 31 (41/2 Jahre vor der Untersuchung) dadureh einen Unfall, dal3 er mit dem Kopf und dem Rficken an eine Starkstromleitung von 5000 Volt Spannung geriet. Er soll 4 Tage bewuBtlos gewesen sein, was aber nicht ganz sicher objektiviert werden konnte. Er hatte eine sehwere Verbrennungswunde am Hinterkopf erlitten, die mehrfach operativ be- handelt werden mul~te, weil der Knochen nekrotisierte. Auch im Rficken bildete

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Cholesterinvermehrung als Liquorsyndrom nach elektrischen UnfMlen. 707

sich an der Verbrennungsstelle eine groBe eitrige Wunde, die schlecht verheilte. M. hat seit seinem Unfall nicht wieder gearbeitet, da er keinen entsprechenden Arbeitsplatz erhielt und immer fiber Kopfschmerzen und eigentfimliche Verwirrt- heitszust/mde zu klagen hatte.

Zur Zeit der Untersuchung gab er an, unter heftigen Kopfschmerzen und Druck- geffihlen im Kopf zu leiden, die besonders von Witterungseinflfissen abh~ngig seien. Er sei sehr vergeBlich und leicht erregbar geworden. Zeitweise bekomme er, fast jede Woche, eigentfimliche Zust/~nde yon BewuBtseinsverdgmmerung, bei denen er aber nicht eigentlich ohnm/~chtig werde. SchlieBlich ffihlt er sich noch immer k6rperlich sehr schlaff, hat auch hi~ufig Kribbeln im Kopf und im Rficken.

Befund (15.1.36). Asthenischer Mann in mi~Bigem Kri~fte- und Erni~hrungs- zustand. Beiderseits m/tBige Innenohrschwerh6rigkeit. Am Hinterkopf befindet sich eine 19 x 14 cm groBe Narbe mit Borkenbildung, innerhalb deter der Schiidel stark abgeflacht ist. Im Riicken, am rechten inneren Schulterblattwinkel, groBe strahlige Verbrennungsnarbe, weitere Narben am Nabel und am linken Unterarm (letztere yon einer Plastik herrfihrend). Rechts verheilter Schlfisselbeinbrueh mit Dislokation. Herz und Lunge o. B. Puls 4 X 24 Schli~ge in der Minute. Blutdruck 135/90 mm Hg. Kopf, besonders in der Gegend der Narbe am Hinterhaupt, klopf- sehmerzhaft, aber sicher psychogen iiberlagert. Keine Hirnpulsation im Bereich des Knoehendefektes. Foramen supra und infra orbitale stark druekschmerzhaft. Leichte reehtsseitige periphere Faeialisparese. Zunge weicht etwas naeh reehts ab. (Folgen eines im Jahre 1929 erlittenen Schiidelbasisbruehes.) Grobe Kraft in den Armen herabgesetzt. Die Reflexe sind an den Extremiti~ten nieht gest6rt. Keine Zeiehen fiir Neuritis. Keine St6rungen des optisehen oder taktilen Erkennungs- verm6gens. Rombergscher Versuch sehwach positiv. Vasomotorisehe Erregbarkeit deutlich gesteigert. In psyehischer Hinsieht zeigte M. eine gewisse Reizbarkeit und Uneinsiehtigkeit. Klagsames, wehleidiges Verhalten mit Neigung zu psyehogenen l~bertreibungen. Verlangsamte Reaktionszeiten und eine Schwerbesinnliehkeit mi~13igen Grades. Wi~hrend des Aufenthaltes konnte ein einige Stunden anhaltender Zustand beobachtet werden, in dem M. einen desorientierten Eindruek maehte, sieh antriebslos verheilt und auf Ansprache stark verz6gert reagierte.

Im Blutbild fand sieh eine mi~Bige Polyglobulie und eine relative Lymphocytose yon 38%. Der Liquor zeigte bei tier Oceipitalpunktion einen erh6hten Druek yon 190mm Wasser, GesamteiweiB 16,8 mg-%, Albumine 14,4 mg-%, Globuline 2,4 rag-%, EiweiBquotient 0,16. Goldsolkurve 000000000000, Zucker- und Chlor- gehalt normal, Cholesterin 0,79 mg-% (im Blut 172 rag-%).

Fall 12. Heinrich H., 49j~hriger Elektriker, erlitt am 27. 7.36 (3 Monate vor der Untersuehung) einen Unfall dadureh, dab er beim Einschrauben einer Sieherung dadurch in Kontakt mit dem Strom geriet, well er auf einer Eisenplatte mit Erd- anschluB stand. Er war einen Augenblick bewuBtlos und verspfirte dann starken Sehwindel, so dab er sieh hinsetzen muBte. Er versuchte dann wieder zu arbeiten, muBte abet nach 2 Tagen damit aufh6ren, well er fiber sehr starkes Schwindelgefiihl zu klagen hatte, ,,fliegende Hitze", Druekgeffihle in der Magengegend; auBerdem fiel ihm aueh noch auf, dab er sehr viel sehwitzte. Die Kraft in der rechten Hand war etwas sehw/~eher. Er machte einen 4w(ichigen Erholungsaufenthalt dutch, wonaeh er sieh besser fiihlte. Spiiter, als er wieder in einem Zementwerk arbeitete, hatte er wieder versti~rkte Kopfschmerzen und auch gelegentliche l~belkeiten. Der Arzt habe ihm aueh gesagt, dab sein Blutdruek erh6ht gewesen sei. Aus tier Vor- geschichte ist noeh zu entnehmen, dab er schon im Jahre 1910 einmal einen elektri- sehen Unfall erlitt, naeh dem er 10 Min. bewuBtlos war und fast die gleichen Be- sehwerden verspfirte. Wi~hrend des Krieges wurde ein systolisehes Geri~useh und eine linksseitige Isehias bei ibm festgestellt; letztere wurde als Kriegsdienstbesehitdi- gung anerkannt. Zur Zeit tier Untersuchung klagte H. fiber Schwindelgeffihle, ein

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dumpfes Druckgeftihl im Kopf, Mfidigkeitsgeftihle in Handen und FtiBen und auch tiber Magenbeschwerden. Gelegentlich Angstgeftihle, als wenn der Atem aussetzte und sehr unruhiger Sehlaf. Leichtes Schw~chegefiihl im rechten Bein.

Befund (4. 11.36). Guter Allgemeinzustand. redes plani. Lungen o. B. Herz- grenzen regelrecht, kein Ger~usch. Puls etwas gespannt, 4• 15 Schl~ge in der Minute. Blutdruck 190/120 mm Hg. Keine sicheren Strommarken. Trigeminus I links etwas drnckschmerzhaft, iibrige Hirnnerven o. B. Obere Extremit~tenneuro- logisch o.B. Untere Extremit~ten: Tonus beiderseits gleich, keine Atrophien. Patellarsehnenreflex rechts etwas gesteigert, l~brige Reflexe regelrecht auslSsbar. Ischiadicusstamm links etwas druckschmerzhaft. Sensibilita~ intakt. Vasomoto- rische Erregbarkeit sehr stark gesteigert. Allgemeine Hyperhidrosis. Blutbild o. B. Liquordruck bei Occipitalpunktion normal, 5/3 Lymphoeyten, GesamteiweiB 28,8 rag- %, Albumine 26,4 mg- %, Globuline 2,4 mg- %, EiweiBquotient 0,9, Gold- solkurve 00000000000000, Chlor- und Zuckerwerte normal, Wa.R. und MKR. I I negativ, Cholesterin 0,72, im Blur 190 mg-%.

Fall 13. tteinrich M., 36j~hriger Handler erlitt am 14.12. 35 (4 Monate vor der Untersuchung) dadurch einen Unfall, dab er, beim Schweineschlachten auf feuehtem Boden stehend, von einer Kabellampe, deren Isolierung defekt geworden war, die er in der linken Hand hielt, einen Schlag bekam. ~rztlicherseits wurde eine Ver- brennung 3. Grades am rechten Unterschenkel und kleinere Brandwunden an der linken Hand und amlinken Bein festgestellt. Er war kurze Zeit bewuBtlos und hatte, als er wieder zu sich kam, das Geftihl, keine Luft bekommen zu kSnnen. AuBerdem frSstelte er. Zu Haus hatte er einige Stunden sp~ter starke Kopfschmerzen, Schwin- delgeftihle und Gefiihl von Luftmangel. Bei einer ~rztlichen Untersuchung 2 Monate sp~ter wurde eine Absehw~chung des rechten Patellarsehnenreflexes, ein Dreh- schwindel nach rechts und EiweiB im Urin festgestellt. Zur Zeit der Untersuchung klagte M. tiber Druckgeftihle im Kopf, ,,als ob dieser zu klein sei". Ebenfalls treten Druckgeftihle in der Brust auf. AuBerdem bekommt er Schwindelgefiihle bei plStz- lichen Kopfbewegungen. Das rechte Bein knickt beim Gehen oft ein, so dab er einen Stock benutzen mul~, auch hat er im Bein h~ufig heftige Sehmerzen. Schnelle Ermtid- barkeit, starkes Schwitzen.

Befund (22. 4.36). Mittlerer Allgemeinzustand. Innere Organe o.B. Puls 4• Schlage in der Minute. Blutdruck 125/75 mm ttg. An der Innenseite des Daumenendgliedes der linken Hand und an der Fingerkuppe des linken Mittel- fingers Stromeintrittsnarben. GroBe, fl~ehenhafte, blau-rote IIautnarben an der AuBenseite des rechten Unterschenkels, sehr druckschmerzhaft, kleinere, unempfind- liche Narben am rechten Oberschenkel und am linken Unterschenkel. Trigeminus I druckschmerzhaft, sonst Hirnnerven o.B. Plexus brachialis rechts ~ links druck- sehmerzhaft, ebenso N. ulnaris und medianus. Keine Atrophien. Keine Sensi- bilit~tsausfMle. Bewegungen im rechten Knie- und FuBgelenk kraftloser als links. Druekschmerzhaftigkeit des rechten •. peronaeus. Las~guesches Zeiehen rechts positiv. Rechter Patellarreflex herabgesetzt. Atrophie des linken Beines 2--2,5 cm. Keine StSrungen der elektrisehen Erregbarkeit. Im Bereich der Hautnarben Hyperalgesie und Hyp~sthesie bei Beriihrungen.

Liquordruck bei Occipitalpunktion 185 mm Wasser, Zellen 2/3 Lymphocyten, GesamteiweiB 16,8 rag-%, Albumine 14,4 mg-%, Globulino 2,4 rag-%, EiweiB- quotient 0,16, Goldsolkurve 00000000000000, Wa.R. und MKR. I I im Blur und Liquor negativ. Zuckergehalt etwas erhSht, 80 mg-% (im Blur normal), tibrige chemischen Werte regelrecht. Cholesterin 0,7 mg- %. In psychischer Hinsicht keine Ausfallserseheinungen.

~'al114. Kaspar W., 66j~hriger Landwirt, erlitt am 12.12. 34 (11/4 Jahr vor der Untersuchung) durch Bertihren einer Stromleitung einen elektrischen Schlag mit Verbrennungen an der linken Hand und am rechten Handgelenk. Ob er bewufltlos

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war, kann er nicht mehr angeben. Seit dem Unfall h/iufig Kopfschinerzen, Schwindel- geffihle und Ohrensausen. Am 1.1. und 11.2. 35 OhnmachtsanfMle mit leiehteren Verletzungen. Zur Zeit der Untersuehung klagt er fiber steehende Sehmerzen im Kopf, Schwindelgefiihle mit Flimmern vor den Augen, kribbelnde und stechende Schmerzen in den Fingern.

Befund (18.2. 36). Mittlerer Kr/~fte- und Ern/~hrungszustand. t taut gut dureh- blutet. Blutbild und Blutsenkung normal. Lungen o.B. Herz nach links ver- breitert. 2. Aortenton klingend, Aktion unrege]m/~Big, verh/~rtetes peripheres Arterienrohr. Puls 4 • 19 Schliige in der Minute. Blutdruck 160/100 mm Hg. Am reehten Handrficken und an der Beugeseite des linken Mittelfingers reizlose Narben (Strommarken). Keine StSrungen seitens der Hirnnerven. Reflexe der Extremi- t~ten lebhaft bis auf die Achillessehnenreflexe, die beiderseits nur schwach auslSsbar sind. Muskeltonus dem Alter entsprechend. Keine Atrophien. tlombergscher Ver- such schwach positiv, aber psychogen fiberlagert. Vasomotorische Erregbarkeit stark gesteigert mit Akrocyanose und allgemeiner tIyperhidrosis. In psychischer Hinsicht etwas ver]angsamt, sonst aber keine StSrung auf arteriosklerotischer Grundlage.

Liquordruck bei Occipitalpunktion 155 mm Wasser, GesamteiweiB 21,6 mg-%, Albumine 19,2mg-%, Globuline 2,4mg-%, EiweiBquotient 0,12, Goldsolkurve 000000000000, Zucker-, Chlor- und Reststickstoffgehalt normal, Wa.R. und MKR. I I negativ. Cholesterin 0,67 rag-%.

Fall 15. Josef H., 26j~hriger Bote erlitt am 29.6. 34 (la/4 Jahre vor der Unter- suchung) einen Unfall dadurch, dab er in seinem damaligen Beruf als Anstreicher mit dem rechten Arm an eine Hochspannungsleitung geriet, die er ausgeschaltet glaubte. Er wei$ nur noch, dab er eine Flarnme sah, dann wurde er bewuBtlos und kam erst im Krankenhaus wieder zu sich, nachdem die BewuBtlosigkeit etwa 6 Stun- den angehalten hatte. W/~hrend dieser Zeit traten auch Krampferscheinungen auf. Er erfuhr sp~ter, dab er 41/2 m tief gefallen sei. In den ersten 3 Wochen nach dem Unfall waren beide Arme und das rechte Bein vollst/indig gel/~hmt. Am rechten Oberarm, am rechten Oberschenkel und am rechten/~uBeren Fuflrand hatte er starke Verbrennungen, die linke Gesichtsseite war ganz schwarz. Er klagte fiber starke Schwindelgeffihle und Atembeklemmung. Etwa 6 Monate nach dem Unfall konnte er die Glieder wieder gebrauehen, aber erst 1 Jahr sp~ter wieder damit arbeiten, bemerkte aber, dab er mit der ganzen rechten KSrperseite frfihzeitiger ermfidete. Zur Zeit der Untersuchung klagte er noch fiber Schw/iche im rechten Arm, fiber Schmerzen, insbesondere im Bereich der linken Kopfseite, yon dumpfem Charakter, ferner noch gelegentliche Schwindelzustande mit Brechreiz, Flimmern vor den Augen, aber keine Doppelbilder mehr wie in der ersten Zeit nach dem Unfalle. Das Ged~chtnis habe nachgelassen, er sei leiehter reizbar und habe oft Herzklopfen und SchweiBausbriiche.

Befund (23. 4.36). Kr/iftiger Allgemeinzustand. Innere Organe o.B. Puls 4)<18 Schl/~ge in der Minute. Blutdruek 140/85mm Hg. Am rechten Olecranon strahlige Narbe, weitere bl/~ulich verf/~rbte Narben im Bereich der reehten Glutaeal- falte, an der Innenseite des rechten Oberschenkels, im Bereich des rechten/~ufleren FuBkn5chels und am rechten FuBrand. Leichter Klopfschmerz des Kopfes, Trige- minus I beiderseits druckschmerzhaft. Leiehte Neigung des Kopfes nach links (wegen Sehmerzen der linken Nackenseite). Hirnnerven o.B. Reflexe der Arme beiderseits gleich. Grobe Kraft rechts herabgesetzt, keine neuritischen Erschei- nungen, keine Atrophien. Akrocyanose, am rechten Arm st/~rker ausgepr/~gt als am linken. ~briger neurologiseher Befund o. B. Vasomotorische l~bererregbarkeit mit Hyperhidrosis.

Liquordruek bei Occipitalpunktion 150 mm Wasser, Zellen 3/3 Lymphoeyten, Gesamteiwefl3 24,0 mg-%, Albumine 21,6 mg-%, Globuline 2,4 mg-%, Eiweil3- quotient 0,11, Goldsolkurve 000000000000000, Chlor (auf NaC1 berechnet) an der

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oberen Grenze (754 mg-%), Zucker- und Reststickstoffwert normal, Wa.R. und MKR. I I negativ. Cholesterin 0,67 mg-% (ira Blur 180 rag-%).

Fall 16. Fritz K., 31j/thriger Elektriker erlitt am 14.10. 35 (3 Monate vor der Untersuchung) einen Unfall dadurch, dab er yon einer Starkstromleitung in den Stromkreis kam. Er hat aber keine Erinnerung mehr an den Unfall, da er sofort bewul3tlos wurde. Die BewuBtlosigkeit hielt 8 Stunden an. Er hatte Brandwunden an der Innenfl~che der linken Hand und am rechten Unterarm. Nach deren Ab- heilung nahm er 1 Monat nach dem Unfall seine Arbeit wieder auf. Er klagt aber seitdem fiber eigenartige Angstzust/inde mit Herzklopfen und Gefiihl des FrSstelns, sowie Stiehe in der Herzgegend. Ist im allgemeinen nervSser als friiher, zittert leicht mit den HHiinden und muff auch viel schwitzen.

Befund (5. 2. 36). Mittlerer Allgemeinzustand, Lungen und Herz ohne krank- haften Befund. Puls 4 • 19 Schl/~ge in der Minute. Blutdruck 135/90 mm Hg. An der Innenseite der linken Hand und am rechten Unterarm kleinere reizlose Narben (Strommarken). Leichte Schw~che des rechten Mundfacialis, fibrige Hirnnerven o.B. An den Extremit~ten keine neurologischen Abweichungen. Vasomotorische Erregbarkeit stark gesteigert, deutliche Pulslabilit/~t, mechanische Muskelerregbar- keit gesteigert. Hyperhidrosis. Tremor der Hande. In psychischer Hinsicht keine Stfmngen.

Liquordruek bei Occipitalpunktion 130 mm Wasser, Zellen 2/3 Lymphocyten, GesamteiweiB 21,6mg-%, Albumine 19,2mg-%, Globuline 2,4mg-%, EiweiB- quotient 0,12, Goldsolkurve 00000000000, Zucker-, Chlor- und Reststiekstoffgehalt normal, Wa.R. und MKR. I I negativ, Cholesterin 0,65 mg-% (ira Blut 164 mg-%).

Was zun/~chst die wichtige Frage des Stromdurchtrit tes durch den KSrper betrifft, so kann angenommen werden, dab in 3 F&llen (3, 5 und 11) der Kopf bzw. das Gehirn in der Strombahn lag, w/~hrend sich bei den iibrigen Untersuehten entweder nach den Schilderungen des Unfall- herganges oder nach den noch nachweisbaren Strommarken ein Strom- durchtri t t nachweisen liel3: yon Arm zu Arm in 4 F~llen (2, 9, 14 und 16), yon einem Arm zum Stamm in einem Fall (8), vom Arm zum Bein 6mal (1, 4, 7, 10, 12 und 15), w~hrend Verbrennungen an beiden Armen und einem Bein (Fall 6) sowie beiden Beinen und einem Arm (Fall 13) je einmalig eingetreten waren. Selbst wenn man in diesen F/~llen den Verlauf der grSBten Stromdichte durch den KSrper nicht ohne weiteres best immen kann, so ist doch sicher, dal~ der Kopf und in einem Teil der F/~lle auch das Riickenmark aui~erhalb der Strombahn lag. Anderer- seits steht aber ebenso sicher lest, da[~ mit Ausnahme eines einzigen Falles alle Unfallbetroffenen unabh/ingig v o n d e r Richtung des Strom- durchtrittes durch den KSrper sogleich nach dem Unfall bewuBtlos waren, und zwar zwisehen der Dauer yon einigen Minuten und einer fiber 2 Tage anhaltenden Bewu$tlosigkeit infolge einer ausgedehnten Ver- brennung des Hinterkopfes mit schwerer KnoehenzerstSrung. In einigen F/tllen t ra ten als Zeichen einer Hirnreizung auch klonische Krampf- erscheinungen auf. Es kann dahingestellt bleiben, ob die sich dureh die BewuBtlosigkeit dokumentierende Hirnbeteiligung auf einen vege- ta t iven Shock oder auf ein akutes HirnSdem bzw. auf plStzliche hydro- statische Schwankungen der intra- bzw. extracerebralen Hirnflfissigkeit zurfickzuffihren ist. Offenbar macht sieh dieser EinfluB der Stromein-

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Cholesterinvermehrung als Liquorsyndrom nach elektrischen Unf~llen. 711

wirkung am Gehirn in erster Linie auf dem Wege fiber die Gef~Binner- vation bemerkbar, wobei dahingestellt bleiben soll, ob und inwieweit das Auftreten yon Stromschleifen z. B. entlang der bis weit ins Gehirn reiehenden Liquors~ule dabei eine Rolle spielt. Damit ist ein wiehtiger Anhaltspunkt ffir die welter unten zu er6rternde Rolle des vegetativen Systems bei dem Zustandekommen nervSser StSrungen nach Strom- schs gegeben.

Was die neurologische Eingliederung der obigen F~lle betrifft, so l~l]t sich zun~chst feststellen, dab ein Teil bei der Untersuchung keine umschriebenen Ausfallserscheinungen seitens des Gehirns oder Rficken- markes zeigte, sondern nur - - wie auch fast alle fibrigen F~lle mi~ spezielleren neurologischen Symptomen - - das Bild einer gesteigerten Erregbarkeit des vegetativen Systems sowohl mit ,,sympathicotonen" als auch ,,parasympathicotonen" Erscheinungen. Alle Untersuchten zeigten in dieser Beziehung einen fast photographisch gleichen Zustand, n~mlich dumpfe Kopfschmerzen, Schwindelgeffihle, gesteigerte Empfind- lichkeit gegen Witterungsschwankungen, schnelle Ermfidbarkeit, ge- steigerte vasomotorische und mechanische Muskelerregbarkeit, krank- hafte Neigung zum Schwitzen, Pulslabilit~t, statischen Tremor und zum Teil auch spastische oder atonische St6rungen seitens des Magendarm- kanals. Man kann dieses Syndrom einer Schs des vegetativen Apparates als geradezu typisch ffir Folgezust~nde nach elektrischen Unf~llen bezeiehnen. (l~brigens zeigt sich auch hier, dab es durchaus nieht berechtigt ist, ein durch die oben genannten Erscheinungen gekenn- zeichnetes Zustandsbild, das man h~ufig auch nach schweren Gewalt- einwirkungen auf das Gehirn finder, als ,,neurotisch" abzutun, sondern dal~ es ebensosehr Ausdruck einer ,,organischen" FunktionsstSrung ist, wie Ausf~lle im Bereich der eigentlichen cerebrospinalen Leitungsbahnen, wenn auch naturgem~l~ die vegetativen Funktionsst6rungen sich weniger scharf begrenzen lassen.)

Von den fibrigen Folgezusts muB man den Fall 11 als direkte Hirnseh~digung mit ausgesprochenen psychischen StSrungen auffassen, w~hrend die F~lle 1, 2, 8, 9, 10, 12 und 13 sich alle mehr oder weniger deutlich als periphere Sch~digungen auf ,,neuritischer" Basis einreihen lassen, zum Teil aber auch deutliche Pyramidenbahnerscheinungen zeigen. Die Fs 3 und 6 dfirften am ehesten den Zustandsbildern gleichen, die Panse in seiner Monographie 1930 als spinalatrophischo Folgezust~nde erkl~rt hat, d. h. als Ausdruck nieht einer unmittelbaren nerv6sen Gewebssehs sondern mittelbarer auf dem Wege fiber die Gef~l~innervation entstehender StSrungen im Rfickenmark. Von vielen Anhaltspunkten, die Panse fiir seine Ansicht, insbesondere auch daffir, dal] solche StSrungen nicht im unmittelbaren Bereich der Strom- bahn liegen, anffihrt, soll hier nur ein fiir den vorliegenden Zusammenhang besonders instruktiver hervorgehoben werden, n~mlich die Beobachtung

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yon Biemond, der ein im Anschlu$ an einen elektrischen Unfall auf- tretendes HirnSdem mit besonderer Beteiligung einer Hirnh/~lfte beob- achtete, obwohl der Stromweg yon der rechten Hand zu den FfiBen ging. Weitere Beobachtungen, wie z.B. yon Gwynne fiber autoptisch festgestellte Hyper~mie der Hirngef/~Be ebenfalls nach Stromdurchtritt nut durch die Extremit/~ten, die in einer ~hnlichen Richtung liegen, kSnnen im Rahmen dieser Arbeit nicht n~her angeffihrt werden. Es muB hier auf diese Darlegungen, die auch yon Panse zitiert werden, verwiesen werden. Aus diesen Befunden sind jedenfalls wichtige Anhaltspunkte fiir die prim/~re Bedeutung der im Anschlu$ an die Stromeinwirkungen auftretenden vasomotorischen Reaktionen beim Auftreten yon StSrungen seitens des Nervensystems hervorzuheben.

Schlie$1ich verdient noch der Fall 5 eine besondere ErSrterung. Im Vordergrund steht hier der chirurgische Befund einer Oberschenkel- fraktur mit anschlieBender Heilung in fehlerhafter Stellung. Daneben finden sich aber Anzeiehen einer gestSrten Gefs mit einer Differenz der FuBpulse, eine leichte Atrophie ohne Entartungsreaktion, keine sicheren ReflexstSrungen und leichte uncharakteristische Sensibili- t/~tsstSrungen, was durch die ungfinstige Verheilung und Gebrauchs- behinderung des Beines nicht zu erkl~ren ist. Man kann diesen Fall wohl am ehesten in Parallele setzen zu den F/~llen, fiber die Bingel kfirzlich aus der Hamburger Nervenklinik berichtet hat. Er faBte seine F~lle wegen der Eigenart der Ausfallserscheinungen und vor allem im Hinblick auf die bestehenden erheblichen vasomotorisch-trophischen StSrungen als Auswirkung einer Sch~digung der (peripheren) vegetativen Gef~B- wandelemente auf, wobei er darauf hinweist, dab schon Oppenheim eine ,,vasomotorische Muskelatrophie" karmte. Mit gleicher Berechtigung wird man aber auch eine Sch/~digung ,,vegetativer Gef~Bwandelemente" im Bereich der liquorfiihrenden Hohlr/~ume des Gehirns und Rficken- markes annehmen kSnnen, wenn sich an ihnen die Stromeinwirkung geltend macht. Die weiteren Feststellungen, da$ eine ver~nderte vege- tative Reaktionsf/~higkeit die Entstehung vasomotorisch-trophischer Er- krankungen besonders begfinstige (was bei der Einwirkung yon elek- trischen StrSmen an dem gerade daffir empfindlichen vegetativen Nerven- apparat besonders einleuchtend ist), kann auf Grund der weiter oben getroffenen Feststellung eines charakteristischen vegetativen Syndroms bei elektrisch Unfallgesch~digten nur unterstrichen werden.

Wir sehen aus den verschiedenen VerSffentlichungen, da$ die Vor- stellung einer prim~ren Sch~digung des autonomen Nervensystems nach Starkstromeinwirkungen auf den KSrper immer mehr an Bedeutung gewinnt. Gerade diese Vorstellung ist abet yon Bedeutung fiir die Er- kl~rung, wie die festgestellte Cholesterinvermehrung im Liquor zustande kommen kann. Es kann zun/~chst als unwahrscheinlich bezeichnet werden, dab die Cholesterinvermehrung das Produkt eines infolge der Strom.

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schadigung eingetretenen Abbaues der nervSsen Substanz des Zentral- nervensystems, die bekanntlich einen besonders hohen Anteil an Lipoiden und damit auch an Cholesterin enth/~lt, darstellt, denn dies worde die Annahme yon lokalen anatomischen und chemischen Untersuchungs- prozessen unter unmittelbarer Stromwirkung voraussetzen, for die aber in den meisten Fallen keine Anhaltspunkte vorliegen.

Viel wahrscheinlicher ist es, dal~, wie wir auch in unserer eingangs angegebenen Arbeit ausgefiihrt haben, die Cholesterinvermehrung im Liquor auf einen infolge veranderter osmotischer und zirkulatorischer Verhaltnisse erhShten l~bertritt yon Cholesterin aus dem Blut zuriiek- zufiihren ist, dab also umgekehrt in dieser CholesterinerhShung ein Beweis ffir die Schadigung der Blut-Hirn-Liquorschranken zu sehen ist.

In den vorliegenden Fallen mu$ angenommen werden, daB eine ~nderung der Austauschverhaltnisse zwischen Blur und Liquor ursach- lich auf Einwirkungen des elektrischen Stromes zuriickzufiihren ist. Dabei erhebt sich abet zunachst die Frage, ob sich eine solche Funktions- stSrung etwa durch ~athologisch-anatomische Be]unde im Hirn bzw. Riickenmark sicherstellen lallt. Soweit bis heute Untersuchungen darfiber vorliegen, laBt sich diese Frage wohl weder im bejahenden noch verneinenden Sinne mit Sicherheit beantworten. Als Stiitze unserer Auffassung w/~ren naturgemaB Befunde anzusehen, die als Schadigungen der Hirncapfllaren, denen wenigstens ein Teil der genannten Schranken- funktion zufallt, aufgefaBt werden kSnnten. Es liegen hier zwar eine ganze Reihe yon Befunden vor, wie z.B. yon Spitzka und Radasch, sowie yon Jellinek, Creutz]eld, Vollmer, Critchley und in jiingster Zeit yon Wegelin, die abnorme Verh/~ltnisse hinsichtlich der Blutverteilung, kleine Blutungen und pericapillare Herde feststellten. Demgegeniiber ist aber unter anderem vor allem auf die an Hand zahlreicher Unter- suchungen getroffenen Feststellungen yon Schridde zu verweisen, die auch korzlich erst wieder von Boemke bestatigt werden konnten, dab diese ,,kleinsten perivascularen Blutungen, Ringblutungen, GefaBzer- reiBungen und Extravasationen" Kunstprodukte darstellen, die bei der Behandlung des Materials im Laufe der Untersuchungen entstanden sind. Demnach ware also eine Schadigung der HirngefaBe durch die Strom- einwirkung iiberhaupt abzulehnen. Die Klarung dieser Frage kann natorlieh nur durch Fachpathologen erfolgen. Immerhin daft darauf hingewiesen werden, dab ja doch ein Teil unserer F/~lle, wie auch in anderen VerSffentlichungen, zentralnervSse Ausfallserscheinungen oder ausgesprochene vasomotorische Allgemeinsehadigungen aufweist, die nur durch eine Einwirkung auf das Gehirn bzw. Riickenmark erklart werden kSnnen, ohne dab diese der Stromwirkung unmittelbar unterlagen.

FOr die spezielle Frage, ob unter der Einwirkung des elektrischen Stromes Veranderungen der Stoffaustauschbedingungen zwisehen Blut und Gehirn bzw. zwischen Blut und Liquor hervorgerufen werden

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k6nnen, ist aber noch ein anderes Moment geltend zu maehen. Wir haben heute dutch eine sehr groBe Anzahl yon Arbeiten einen, aller- dings erst geringen, Einblick in die Permeabflit~tsverh~ltnisse der Hirn- schrankensysteme gewonnen. Wir wissen vor allem aber, dab neben physikalisehen Gesetzen eine Reihe von dureh das lebende Gewebe der verschiedenen Hirnsehranken bestimmten Einfliissen mitspielen, die iibrigens morphologiseh noch nieht so gesichert sind, dab wir einen hin- reichenden anatomisehen ~berbliek hi~tten. Nach pathologisch-anato- mischen Gesichtspunkten allein kann man Stoffaustauschverh~ltnisse des Gehirns und die M6gliehkeiten einer ~nderung derselben unter irgend- wie sch~digenden Einfliissen jedenfalls nicht beurteilen, da eine Reihe yon biologisehen (und physikalisch-ehemisehen) Faktoren mitspielen, die sich dem anatomischen Nachweis entziehen. Die zwangloseste Erkli~rung ffir die nachgewiesene Cholesterinvermehrung im Liquor sehen wir jedenfalls darin, dab es auch ohne unmittelbaren lokalen Zu- sammenhang mit der Richtung des Stromdurehtrittes zu einer Sch~di- gung der verschiedenen Schrankensysteme kommt. Dabei spielt das vegetative Nervensystem offenbar insofern eine besondere Rolle, als nicht allein unmittelbare lokale Stromsch~digungen eintreten kSnnen, sondern auch die vegetative Tonuslage allgemein eine ~nderung erf~hrt.

Hingewiesen werden muB aber auch noeh auf die M6glichkeit, dab das Endothel der Liquorrs selbst im Bereieh der stromleitenden Liquors~ule direkt gesch~digt wird. Hinsichtlieh dieser Frage liegen aber, soweit wir sehen, keine ausreichenden Untersuehungen vor, die eine Kls nach pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten herbeifiihren k6nnten.

Unsere Auffassung, dab die Cholesterinerh6hung auf einer unter der Einwirkung des elektrischen Stromes eingetretenen Ver~nderung der AustauschverMiltnisse der Hirnschranken (und damit auch der darin einbezogenen Hirneapfllaren) beruht, beh~lt jedenfalls auch dann Geltung, wenn pathologisch-anatomisch der Nachweis einer morThologischen Sch~digung nicht erbraeht werden kann. Fiir die yon uns in 16 F~llen fibereinstimmend festgestellte Cholesterinerh6hung nach elektrischen Unf~llen l~Bt sich, abgesehen yon einem Fall, wo arteriosklerotische Hirnver~nderungen mitspielen kSnnen - - und wenn man will, schlieB- lich auch noch in etwa Fall 12, bei dem ein mehrere Jahre zuriickliegender Sch~delbruch dem elektrischen Unfall vorausging -- , kein urs~chliches Moment fiir eine Sch~digung des Gef~Bapparates des zentralen Nerven- systems in seiner speziellen Funktion als Tr~ger des Liquorstoffweehsels geltend machen, als eben nut ein zeitlich direkter oder mittelbarer Zu- sammenhang mit der unfallbedingten Einwirkung elektriseher Energien auf den KSrper. Es muB deshalb auch ein urs~chlicher Zusammenhang gefolgert werden, aueh wenn dieser - - wenigstens bisher noch nicht - - in allen Einzelheiten zu erkl~ren ist. Die Annahme, dab es sich lediglich

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um einen unter der Voraussetzung einer intakten Schrankenfunktion erfolgten, erhShten und einer Blutcholesterinvermehrung ad~quaten ~bertritt yon Cholesterin aus dem Blute in den Liquor handeln k5nnte, wird dadurch hinf~llig, dab die Blutcholesterinwerte - - bis auf einen Fall (9) - - im Bereich des Normalen liegen.

SchlieBlich ist noch auf einen Einwand einzugehen, der uns bei der Bewertung der CholesterinerhShung bei Unfallbegutachtungen gelegent- lich gemacht wurde, daB, selbst wenn es im AnschluB an den Unfall zu einer CholesterinerhShung in der Hirnrfickenmarksflfissigkeit komme, das Bestehen einer solchen auch Jahre nach dem Unfall dann doch unwahrscheinlieh sei. Zuns entf~llt dieser Einwand schon fiir die- jenigen F~lle mit Dauersch~digungen des Zentralnervensystems, welehe durch jahrelang bestehende Ausfallserscheinungen nachweisbar sind. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daB in solchen Fs auch ~nderungen, die sich hinsichtlich der ,,Durchls des Hirnschrankensystems - - die fibrigens in ihrem AusmaB ffir verschiedenartige chemisehe Stoffe eine ganz spezifische ist - - einstellen, nicht oder wenigstens nicht voll- kommen rfickbfldungsf~hig sind, wie wir dies sicher z. B. yon chronischen Entzfindungsprozessen am Zentralnervensystem kennen. Ob einmal ein- getretene ~nderungen iiberhaupt wieder riickbildungsf~hig sind, ist eine andere Frage, wenn man sich fiberlegt, dab die Gesamtleistung des Hirnschrankensystems durch eine komplizierte Vielfalt yon anatomischen Substraten, osmotischen Gesetzen, Konzentrationsverhs der ver- schiedenen chemischen Stoffe, vegetativen Regulationsmechanismen und schlieBlich auch yon auBerhalb des KSrpers gelegenen Faktoren gew~hr- leistet wird. Es ist sehr wohl denkbar, dab eine durch einschneidende einmalige Einwirkungen hervorgerufene erhebliche Versehiebung des auch unter normalen Verh~,ltnissen labilen Schrankengleichgewichtes beibehalten wird, um so mehr als in unseren Fs klinisch feststellbare Beschwerden hinsicht]ich der vegetativen Reaktionslage bei den Be- troffenen als Beweis nicht wieder abgeklungener StSrungen des kSrper- lichen Geschehens anzusehen sind. (Nieht unwahrscheinlich ist es iibrigens, dab gleiche Voraussetzungen eine Rolle spielen bei dem Zu- stand, den man mit mehr oder weniger Berechtigung meist als Meningitis serosa bezeichnet.) In diesem Zusammenhang kann auch auf den Fall 7 hingewiesen werden, wo bei einer sps Nachuntersuchung die gleiche CholesterinerhShung im Liquor festgestellt werden konnte.

Offenbleiben mug schlieBlieh die Frage, ob die ErhShung des Cholesteringehaltes eine isolierte Erscheinung ist, die hinsiehtlieh des Liquorstoffwechsels nach elektrischen Unf~llen auftritt. Es ist durchaus mSglich, dab sps Untersuchungen auch in bezug auf sonstige Kolloide oder molekular gelSste Substanzen Anderungen ergeben, die im vor- stehenden nicht berficksichtigt werden konnten. Immerhin ist ja aber der Lipoidstoffwechsel der Substanz der nervSsen Zentralorgane intensiver

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als z. B. der Pro te inkSrpers to f fwechse l , so d ab schon aus d iesem G r u n d der F r age der Cho les t e r ine rhShung n a c h e lek t r i schen Unf~ l l en eine besondere B e d e u t u n g z u k o m m t .

ZusammenTassung. Es wird fiber 16 Fii l le ber ich te t , i n d e n e n n a c h U n f ~ l l e n d u t c h

Bl i t zsch lag oder d u r c h S t a r k s t r o m eine e inwandf re i e E r h 5 h u n g des Choles te r ingeha l tes der Hi rn r f i ckenmarks f l f i s s igke i t fes tges te l l t wurde . Diese wi rd zurf ickgeff ihr t au f e ine Ver~tnderung der H i r n s c h r a n k e n - durch l~ss igke i t d u r c h m i t t e l b a r e E i n w i r k u n g e lek t r i scher Energ ie , in e rs ter L in ie infolge e iner Sch~d igung der v e g e t a t i v e n Gefi~Bregulation.

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