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© 2013 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0300-5224 DOI 10.5414/NHX01522 Review Übersicht Schlüsselwörter Mineral- und Knochen- stoffwechsel – chroni- sche Niereninsuffizienz – PTH – Knochenmar- ker – Knochendichte – Knochenhistologie Key words mineral- and bone me- tabolism – chronic kid- ney disease – PTH – bone markers – bone density – bone histology Chronische und dialysepflichtige Niereninsuffizienz vom Stadium III bis Stadium VD – Was ist diagnostisch sinnvoll und wann? Welche Vitamin-D-Form, welches PTH, welche alkalische Phosphatase messen? P.M. Jehle, H. Schucht, K. Rehm, S. Gysi und M. Jentzsch Klinik für Innere Medizin I, Evangelisches Krankenhaus Paul Gerhardt Stift und KfH Nierenzentrum Wittenberg Chronische und dialysepflichtige Nie- reninsuffizienz vom Stadium III bis Sta- dium VD – Was ist diagnostisch sinnvoll und wann? Welche Vitamin-D-Form, wel- ches PTH, welche alkalische Phosphatase messen? Bei Patienten mit chronischer Nie- reninsuffizienz sind Imbalancen des Kno- chen- und Mineralstoffwechsels mit einer deutlich erhöhten kardiovaskulären Morbi- dität und Mortalität assoziiert. In den bisher zur Verfügung stehenden Leitlinien wurden anhand der publizierten Evidenz Zielberei- che für die Parameter Kalzium, Phosphat und PTH definiert. Um den Praxisbezug der Leitlinien herzustellen, wird die Zielwerter- reichung bei 125 Hämodialysepatienten des KfH Nierenzentrums Wittenberg anhand ei- ner aktuellen Auswertung aufgezeigt. Der Übersichtsartikel stellt sich der Frage, was bei Patienten mit chronischer und dialyse- pflichtiger Niereninsuffizienz vom Stadi- um III bis Stadium VD diagnostisch sinnvoll ist und wann welche Diagnostik durchge- führt werden sollte. Engl. Titel■■■ In patients with chronic kidney disease (CKD), imbalances of bone and mineral metabolism are associated with a marked el- evated cardiovascular morbidity and mortal- ity. The current available guidelines suggest target ranges for the parameters calcium, phosphate and PTH. To illustrate the impact on clinical practice we demonstrate original data from 125 chronic hemodialysis patients of the KfH Dialysis Center Wittenberg. The review article focuses on the diagnostic and therapeutic procedures in patients with CKD Stages III to VD. Einleitung In den KDIGO-Leitlinien wird der deut- sche Begriff renale Osteopathie bzw. renale Osteodystrophie als Chronic Kidney Dis- ease – Related Mineral and Bone Disorder (CKD-MBD) umbenannt. Diese neue De- finition trägt der systemischen Erkrankung des Mineral- und Knochenstoffwechsels mit anormalen Laborwerten (Phosphat, Kal- zium, Vitamin D, Parathormon, alkalische Phosphatase), einem anormalem Knochen- stoffwechsel (Volumenmineralisation, Kno- chenumsatz) sowie der Kalzifizierung des Gefäßsystems Rechnung. Pathogenese der CKD-MBD Mit abnehmender Nierenfunktion wird die Bildung von aktiviertem Vitamin D3 (Calcitriol) durch steigende Spiegel des phosphaturisch wirksamen Faktors FGF23 gehemmt [1]. Bis zur Entdeckung von FGF23 wurde angenommen, dass primär ein Unter- gang von funktionell aktivem Nierengewebe für die Abnahme der Calcitriolspiegel ver- antwortlich ist. Neuere Studien konnten zei- gen, dass die abfallenden Calcitriolspiegel primär durch die ansteigenden FGF23-Werte bedingt sind. Über diesen Mechanismus ver- sucht der Organismus, bis zu einem fortge- Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Jahrgang 42, Nr. ■/2013, S. 1–6 nh-522jehle-20.06.2013

Chronische und dialysepflichtige Niereninsuffizienz vom ... · Typische Histologie einer High-turnover-Knochen(…? ) bei renalem HPT mit Osteoklas-ten in einer Resorptionslakune

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Page 1: Chronische und dialysepflichtige Niereninsuffizienz vom ... · Typische Histologie einer High-turnover-Knochen(…? ) bei renalem HPT mit Osteoklas-ten in einer Resorptionslakune

© 2013 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0300-5224DOI 10.5414/NHX01522

ReviewÜbersicht

Schlüsselwörter Mineral- und Knochen-stoffwechsel – chroni-sche Niereninsuffizienz – PTH – Knochenmar-ker – Knochendichte – Knochenhistologie

Key words mineral- and bone me-tabolism – chronic kid-ney disease – PTH – bone markers – bone density – bone histology

Chronische und dialysepflichtige Niereninsuffizienz vom Stadium III bis Stadium VD – Was ist diagnostisch sinnvoll und wann? Welche Vitamin-D-Form, welches PTH, welche alkalische Phosphatase messen?

P.M. Jehle, H. Schucht, K. Rehm, S. Gysi und M. Jentzsch

Klinik für Innere Medizin I, Evangelisches Krankenhaus Paul Gerhardt Stift und KfH Nierenzentrum Wittenberg

Chronische und dialysepflichtige Nie-reninsuffizienz vom Stadium III bis Sta-dium VD – Was ist diagnostisch sinnvoll und wann? Welche Vitamin-D-Form, wel-ches PTH, welche alkalische Phosphatase messen?

Bei Patienten mit chronischer Nie-reninsuffizienz sind Imbalancen des Kno-chen- und Mineralstoffwechsels mit einer deutlich erhöhten kardiovaskulären Morbi-dität und Mortalität assoziiert. In den bisher zur Verfügung stehenden Leitlinien wurden anhand der publizierten Evidenz Zielberei-che für die Parameter Kalzium, Phosphat und PTH definiert. Um den Praxisbezug der Leitlinien herzustellen, wird die Zielwerter-reichung bei 125 Hämodialysepatienten des KfH Nierenzentrums Wittenberg anhand ei-ner aktuellen Auswertung aufgezeigt. Der Übersichtsartikel stellt sich der Frage, was bei Patienten mit chronischer und dialyse-pflichtiger Niereninsuffizienz vom Stadi-um III bis Stadium VD diagnostisch sinnvoll ist und wann welche Diagnostik durchge-führt werden sollte.

Engl. Titel■■■

In patients with chronic kidney disease (CKD), imbalances of bone and mineral metabolism are associated with a marked el-evated cardiovascular morbidity and mortal-ity. The current available guidelines suggest target ranges for the parameters calcium, phosphate and PTH. To illustrate the impact on clinical practice we demonstrate original data from 125 chronic hemodialysis patients of the KfH Dialysis Center Wittenberg. The review article focuses on the diagnostic and

therapeutic procedures in patients with CKD Stages III to VD.

Einleitung

In den KDIGO-Leitlinien wird der deut-sche Begriff renale Osteopathie bzw. renale Osteodystrophie als Chronic Kidney Dis-ease – Related Mineral and Bone Disorder (CKD-MBD) umbenannt. Diese neue De-finition trägt der systemischen Erkrankung des Mineral- und Knochenstoffwechsels mit anormalen Laborwerten (Phosphat, Kal-zium, Vitamin D, Parathormon, alkalische Phosphatase), einem anormalem Knochen-stoffwechsel (Volumenmineralisation, Kno-chenumsatz) sowie der Kalzifizierung des Gefäßsystems Rechnung.

Pathogenese der CKD-MBD

Mit abnehmender Nierenfunktion wird die Bildung von aktiviertem Vitamin D3 (Calcitriol) durch steigende Spiegel des phosphaturisch wirksamen Faktors FGF23 gehemmt [1]. Bis zur Entdeckung von FGF23 wurde angenommen, dass primär ein Unter-gang von funktionell aktivem Nierengewebe für die Abnahme der Calcitriolspiegel ver-antwortlich ist. Neuere Studien konnten zei-gen, dass die abfallenden Calcitriolspiegel primär durch die ansteigenden FGF23-Werte bedingt sind. Über diesen Mechanismus ver-sucht der Organismus, bis zu einem fortge-

Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Jahrgang 42, Nr. ■/2013, S. 1–6

nh-522jehle-20.06.2013

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schrittenen Stadium der Niereninsuffizienz die Phosphatausscheidung über die Niere zu erhöhen.

Erhöhte FGF23-Spiegel sind mit einer Progression chronischer Nierenerkrankun-gen und der Entwicklung von kardiovasku-

lären Komplikationen und deren Mortalität assoziiert. Die bisherige Datenlage weist darauf hin, dass die Messung von FGF23 als Biomarker für kardiovaskuläre Erkrankun-gen sinnvoll sein könnte [2]. Weitere Studien müssen abgewartet werden, bis eine flächen-deckende Messung von FGF23 in der klini-schen Routine empfohlen werden kann.

Zielwerte für Phosphat, Kalzium und PTH

Im Stadium III der chronischen Nierener-krankung kommt es in den Nebenschilddrü-sen zu einer diffusen Hyperplasie und dann mit Fortschreiten der Niereninsuffizienz zu einer Knotenbildung und einem Verlust von Vitamin-D3-Rezeptoren (VDR) und Cal-cium-Sensing-Rezeptoren. Diese Verände-rungen führen schon im Prädialysestadium zu sekundärem Hyperparathyreoidismus (HPT). Über die Jahre der Dialysebehand-lung entwickelt sich bei vielen Patienten ein autonomer HPT, der mit einer erhöhten Mor-talität vergesellschaftet ist.

In den KDIGO-Leitlinien [3] wird im Gegensatz zu den früheren K/DOQI-Leitli-nien [4] das Phosphat als zentraler Parameter angesehen. Dabei sind die engen Beziehun-gen zwischen Kalzium, Phosphat, Parathor-mon und Vitamin D3 zu beachten. Patienten mit deutlich erhöhten PTH-Werten leiden häufiger unter Hyperphosphatämie (Abb. 1).

Die in den KDOQI- und KDIGO-Leit-linien genannten Zielbereiche für die Para-meter Kalzium, Phosphat und Parathormon sind zum Teil unterschiedlich (Tab. 1). Trotz des breiten Arsenals der zur Verfügung ste-henden Medikamente gelingt es allerdings bei der Mehrzahl der Patienten nicht, sämt-liche Parameter gleichzeitig im empfohlenen Zielbereich zu halten. Einzelne Nierenzent-ren veröffentlichten ihre Daten und fordern zum Vergleich heraus. In Tabelle 2 sind die Daten eines großen österreichischen Nieren-zentrums im Vergleich zu unserem KfH-Nie-renzentrum in Lutherstadt Wittenberg dar-gestellt. Im KfH Nierenzentrum Wittenberg lagen unter Bezug auf die Zielbereiche der KDOQI- bzw. KDIGO-Leitlinien in 60,8% bzw. 39,2% die Phosphatwerte im Ziel-bereich, die Kalziumwerte in 52,0% bzw. 78,4% und die PTH Werte in 36,8% bzw.

Tab. 1. Zielwerte Mineralstoffwechsel (CKD Stadium 5).

K/DOQI 2003 K/DIGO 2009Phosphat (Pi) 1,13 – 1,78 mmol/l

(3,5 – 5,5 mg/dl)Normalwerte Ideal < 1,49 mmol/l

Kalzium (korr) 2,10 – 2,37 mmol/l(8,4 – 9,5 mg/dl)

Niedrig normal

Ca × P < 4,44 mmol2/l2

(< 55 mg2/dl2)Sinn? (vorwiegend P-bestimmt)

PTH 16,5 – 33,0 pmol/l (150 – 300 pg/ml)

11 – 66 pmol/l (100 – 600 pg/ml) Extremwerte vermeiden!

Tab. 2. Erreichen der Zielwerte des Mineralstoffwechsels bei Hämodialyse-patienten unterschiedlicher Zentren.

Daten von Hochleichter F. al■■■? (Poster 217, DGfN Kongress Berlin, September 2011)

KDOQI 2003

KDIGO 2009

Zielwerterreichung PhosphatUniversitäre Klinikdialyse (n = 49) 24,5% 12%Ambulante nicht universitäre Klinikdialyse (n = 77) 16,6% 6,5%Ambulantes Dialysezentrum (n = 98) 23,5% 12,2%Daten des eigenen Zentrums (Februar 2013) KfH Nierenzentrum Wittenberg (n = 125)Zielwerterreichung Phosphat 60,8% 39,2%Zielwerterreichung Kalzium 52,0% 78,4%Zielwerterreichung PTH 36,8% 71,2%Zielwerterreichung Phosphat & PTH 20,8% 28,0%Zielwerterreichung Phosphat, Kalzium & PTH 11,2% 20,0%

Abb. 1. Patienten mit hohen PTH-Werten leiden häufiger unter Hyperphosphatämie (Data on file Fresenius Medical Care US, data as of Nov 2008, n = 221.000).

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Kurztitel: ■■■ 3

71,2%. Eine Zielwerterreichung aller Para-meter gelang in 11,2% bzw. 20,0%.

Knochendichte und Frakturen bei CKD-MBD

Der im Stadium III der Niereninsuffizi-enz bestehende renale HPT führt zu einem signifikanten Abfall der Knochendichte. Neuere Untersuchungen stärken den Stel-lenwert der Knochendichtemessung im Hin-blick auf die Diagnostik einer Osteoporose bei Patienten mit CKD-MBD [6]. Im Gegen-satz zu früheren Meinungen wird die Kno-chendichtemessung heute als diagnostisch sinnvoll angesehen. In einer vergleichen-den Studie konnte gezeigt werden, dass die Messwerte der Knochendichte (T-Score) der LWS bereits bei CKD-Patienten erniedrigt sind, im Verlauf der Dialyse weiter abfallen und am niedrigsten bei nierentransplantier-ten Patienten sind [5]. Die Knochendich-temessung ist nicht geeignet, die verschie-denen histologischen Formen der renalen Osteopathie zu differenzieren. Allerdings konnte Frau PD Dr. Lehmann in ihrer Studie aus Jena zeigen, dass bei Patienten mit klas-sischem Hyperparathyreoidismus (Osteitis fibrosa) die niedrigsten Knochendichtemess-werte an der LWS vorkommen (T-Score bis –5) (Abb. 2).

Die Inzidenz der Hüftfraktur ist bei Dia-lysepatienten gegenüber einer Population der WHI-Studie deutlich erhöht (2,9 pro 1.000 Patienten versus 1,4 – 1,6 pro 1.000 Pa-tienten). Nach Nierentransplantation steigt das Risiko auf 3,3 pro 1.000 Patienten und nimmt dann wieder 1% pro Monat ab. Nach 36 Tagen ist die Inzidenz der Hüftfraktur nie-rentransplantierter Patienten wieder auf dem Niveau von Hämodialysepatienten.

Welche Vitamin-D-Form?

Der Mangel an Vitamin D3 führt auch bei Dialysepatienten zu einer histologisch nachweisbaren Störung der Knochenmine-ralisation und Knochenformation [7]. Die hohe Prävalenz des Vitamin-D-Mangels bei Dialysepatienten ist seit Jahren bekannt und wurde in aktuellen Studien bestätigt [8]. Der Vitamin-D-Mangel gilt somit unverändert als ein Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines Hyperparathyreoidismus [9].

Mit abnehmender Nierenfunktion ent-steht – vor allem auch durch die Wirkung von FGF23 – ein Mangel an aktivem Vita-min D3 (Calcitriol). Um bei Dialysepatien-ten eine Aktivierung des Vitamin-D-Rezep-tors zu ermöglichen, stehen heute drei aktive Vitamin-D-Analoga (Calcitriol, Alfacalcidol und Paricalcitol) zur Verfügung. In Assozia-tionsstudien konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit diesen Vitamin-D-Metabo-liten zu einem besseren Überleben der Pati-enten führt. Prospektive und vergleichende Studien sowie randomisierte kontrollierte Studien stehen jedoch noch aus [10, 11, 12].

Welches PTH, welche alkalische Phosphatase messen?

In den KDIGO-Leitlinien werden PTH- Spiegel zwischen 300 pg/ml und 600 pg/ml als optimaler Zielbereich empfohlen (Tab. 1). In verschiedenen Studien konn-te jedoch gezeigt werden, dass Patienten mit PTH-Spiegeln zwischen 150 pg/ml und 300 pg/ml (Zielbereich der KDOQI-Leit-linien 2003) die geringste kardiovaskuläre Morbidität aufweisen, vorausgesetzt, dass keine adyname Osteopathie vorliegt. Bei

Abb. 2. Knochendichte an der LWS (T-Score) bei histomorphometrisch klassifizierten ROD-Formen (OF = Osteitis fibrosa, OM = Osteomalazie, MUD = gemischte urämische Osteodystrophie, ARBD = adyname renale Knochenerkrankung, non ROD = Osteopathie ohne Zeichen einer ROD). Signifi-kante Unterschiede: OF/ARBD p = 0,035 und OF/nonROD p = 0,044. Daten aus Lehmann G et al. Osteologie forum. 2007; 1: 14-16.

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Patienten mit adynamer Osteopathie wurde eine erhöhte Knochenfrakturrate beobachtet (13,9 Hüftgelenksfrakturen pro 1.000 Pati-enten-Jahre; 17-fach höhere Frakturinzidenz als in der Normalbevölkerung) [13].

In der Langzeitführung von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und ins-besondere von Dialysepatienten ist es das oberste Ziel, den Knochenstoffwechsel in

einer aktivierten Form zu halten und die Ex-treme einer adynamen Osteopathie oder einer High-turnover-Osteopathie zu vermeiden. Ein adynamer Knochen kann bei Parathor-monwerten zwischen 150 pg/ml und 300 pg/ml auftreten. Dagegen sind nur sehr hohe Pa-rathormonwerte (in der Regel > 600 pg/ml) prädiktiv für einen High-turnover-Knochen-stoffwechsel.

Eine weitere Schwierigkeit im klini-schen Alltag besteht darin, dass verschiede-ne PTH-Assays verschiedene Werte liefern können. Im klinischen Alltag hat sich die Bestimmung des intakten PTH mit dem An-tikörper der Firma NICHOLS bewährt. Ei-nige Studien zeigen, dass auch mit diesem Antikörper inaktive Fragmente und oxidier-tes PTH gemessen werden. Die Bestimmung des „wahren intakten Parathormons“ ist jetzt auch in der klinischen Routine möglich [14]. In einer eigenen Untersuchung konnten wir zeigen, dass Patienten mit einem intakten Pa-rathormon von 200, bei denen keinerlei bio-logisch inaktiven Fragmente nachgewiesen wurden, bereits einen deutlich erhöhten Kno-chenstoffwechsel aufweisen können. Wie in Abbildung 3 dargestellt, konnte hier bei ei-nem Patienten mit einem intakten PTH von 200 pg/ml (ohne Nachweis von PTH Frag-menten) eine knochenspezifische alkalische Phosphatase von 60 ng/ml bestimmt werden. Andere Patienten mit einer in der Knochen-histologie nachgewiesenen Osteopenie zeig-ten bei Parathormonwerten < 200 häufig

Abb. 3. Korrelationen zwischen knochenspezifischer alkalischer Phosphatase (BAP) und intaktem PTH (links) bzw. PTH-Fragmenten (rechts) bei Hämodialysepatienten mit bzw. ohne Osteopenie in der Kno-chenhistologie. Ein Hämodialysepatient mit stark erhöhtem Knochenumsatz (BAP-Wert 62) wies ein intak-tes PTH von 200 pg/ml auf, jedoch keine PTH-Fragmente (linke Grafik Pfeil).

Abb. 4. Assoziation der Parathormonkonzentra-tion (PTH) und Ostase im Serum (BAP) von Hä-modialysepatienten (HD; n = 100), Patienten unter langer Nachthämodialyse (HDN; n = 7), Peritoneal-dialysepatienten (PD; n = 7), parathyreoidekto-mierten Hämodialysepatienten (HD + PTX; n = 8), parathyreoidektomierten Patienten unter langer Nachthämodialyse (HDN + PTX; n = 3).

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einen adynamen Knochenstoffwechsel. In diesen Fällen konnten wir einen vermehrten Anteil von nicht aktivem Parathormon nach-weisen. Die Daten der aktuellen Auswertung des eigenen Zentrums zeigen eine schwach positive Korrelation zwischen PTH und kno-chenspezifischer alkalischer Phosphatase (r = 0,22) (Abb. 4). Für den klinischen All-tag ist zu empfehlen, den Verlauf einzelner Patienten mit seriellen Messungen von iPTH und Ostase zu dokumentieren. Eine hoch normale bzw. leicht erhöhte knochenspezifi-

Abb. 5. Typische Histologie einer High-turn over-Knochen(…?■■■) bei renalem HPT mit Osteoklas-ten in einer Resorptionslakune (Abbildung freundli-cherweise von Frau PD Dr. Lehmann aus Jena zur Verfügung gestellt).

Abb. 6. ■■■

sche alkalische Phosphatase ist jedoch nicht in allen Fällen eine Garantie für einen guten Knochenumbau. Bei Aluminiumintoxikation sowie verschiedenen Osteoblasten-Defekten (u.a. Cadmium, Rauchen, Diabetes mellitus) kann es im Sinne einer Reifungsstörung auch hier zu einer erhöhten alkalischen Phospha-tase kommen. Differenzialdiagnostisch soll-te bei einer deutlich erhöhten alkalischen Phosphatase primär ein hochgradiger Vi-tamin-D-Mangel mit Osteomalazie ausge-schlossen werden. Bei unklaren Fällen von Knochenstoffwechselveränderungen ist die Durchführung einer Knochenbiopsie nach wie vor der Goldstandard (Abb. 5). Die Ne-benschilddrüsensonografie ist aufgrund der deutlich verbesserten Gerätetechnologie in der Hand des geübten Untersuchers ein wichtiger Baustein in der Diagnostik des au-tonomen HPT.

Zusammenfassung

Die Veränderungen das Mineral- und Knochenstoffwechsels sind vom Stadium der chronischen Nierenerkrankung (CKD) abhängig und bedürfen einer differenzierten diagnostischen und therapeutischen Vor-gehensweise (Abb. 6). So sollte bereits im CKD Stadium III ein Vitamin-D-Mangel ausgeglichen werden. Ab CKD Stadium IV ist mit einer Hyperphosphatämie zu rechnen. Hier kann es bei einzelnen Patienten sinn-voll sein, bereits FGF23-Spiegel zu messen. Patienten mit erhöhten FGF23-Spiegeln könnten von einer Phosphatsenkung pro-fitieren, da diese dann über eine Senkung der FGF23-Spiegel wahrscheinlich zu einer günstigen kardiovaskulären Prognose bei-trägt. Bei Dialysepatienten gilt es, Ex treme des Knochenstoffwechsels (Low-turn over-Osteopathie = adyname Osteopathie bzw. High-turnover-Osteopathie = Osteitis fibrosa) zu vermeiden. Hier ist durch die Anwendung der verfügbaren Vitamin-D-Rezeptor-Akti-vatoren in Kombination mit Cinacalcet bei vielen Patienten langfristig eine Erreichung der KDIGO-Zielwerte möglich. Bei allen Pa-tienten ist auf eine ausgeglichene Kalziumbi-lanz zu achten. Das dialysierte Kalzium sollte nicht zu hoch gewählt werden, die Einnahme von kalziumhaltigen Phosphatbindern ist kri-tisch zu hinterfragen. Für das Therapie-Mo-

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nitoring von CKD-MBD-Patienten ist die simultane Messung von Parathormon und knochenspezifischer alkalischer Phosphata-se zu empfehlen. In unklaren Fällen sollte eine Knochenbiopsie durchgeführt werden (Abb. 5). Im Gegensatz zu früheren Studien ist die Knochendichtemessung insbesondere bei Prädialysepatienten oder Patienten nach Nierentransplantation sinnvoll.

Widmung und Danksagung

Diese Arbeit möchten wir unserem Kol-legen Herrn Dr. med. Karl-Heinz Queck widmen, der das KfH Nierenzentrum Luther-stadt Wittenberg federführend aufgebaut hat und dieses Jahr aus dem aktiven Dienst ausscheidet. Die Ärzte und Schwestern des KfH Nierenzentrums Wittenberg danken Herrn Dr. Queck sehr herzlich für seinen großen Einsatz.

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