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Clemens Prokop - Mozart · PDF fileInhalt Am Ende Freunde, Feinde und Legenden 7 Herren & Meister Lernen von Vater Mozart und Bachs Sohn 18 Wunderkind & Teufelskerl Die Mozart-Familie

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Clemens Prokop

MOZARTDER SPIELER

Clemens Prokop

Die Geschichte eines schnellen Lebens

Bärenreiter Kassel · Basel · London · New York · Prag

Bibliografische Information Der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.ddb.de abrufbar.

Besuchen Sie uns im Internet:www.baerenreiter.com

© 2005 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel Umschlaggestaltung: www.takeoff-ks.de, christowzik + scheuch Lektorat: Jutta Schmoll-BarthelInnengestaltung und Satz: Dorothea WillerdingDruck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad LangensalzaISBN 3-7618-1816-5

Inhalt

Am Ende Freunde, Feinde und Legenden 7

Herren & Meister Lernen von Vater Mozart und Bachs Sohn 18

Wunderkind & Teufelskerl Die Mozart-Familie geht auf Ochsentour 31

Südwärts Nachhilfe in Italien, erste Opernerfolge und wichtige Bekanntschaften 41

Erste Liebe Mozarts Mädchen, Mozarts Musikinstrumente 52

Zwei Pleiten, ein Lichtblick Mozarts Karriere kommt in Fahrt, doch die Beziehung zum Vater kriselt 66

Nichts wie weg! Nur: wohin? Ein Rausschmiss mit Verve und eine Hochzeit aus Liebe 77

Utopie und Wirklichkeit Ein neuer Anfang in Wien, erste Erfolge und ernste Finanzprobleme 91

Wohl- und Werktätigkeit Mozart besucht den Vater, komponiert für die Wiener Gesellschaft und wird Freimaurer 101

Da capo mit Da Ponte Vom Schnellschreiber zur Edelfeder 112

»Die Zauberflöte« und andere Zaubereien Siege, Zweifel, Widrigkeiten: das letzte Lebensjahr 126

Spielen! Gram und Glück mit Interpreten: auf der Suche nach dem rechten Mozart-Ton 137

Stretta 145 Literatur Abbildungen

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Am EndeFreunde, Feinde und Legenden

Die Szene ist so traurig-schön, dass sie geradewegs aus Holly-woods Ideenküche stammen könnte: Kalt beißt der Wind und erbarmungslos peitscht eisiger Schneeregen über die Stadt, wäh-rend sich ein einsamer Zug auf den St. Marxer Friedhof hinaus-kämpft. Ein paar versprengte Freunde nur waren bei der Ausseg-nung zugegen, aber die Beerdigung sparen sie sich dann doch bei diesem Sauwetter. In einem billig geschreinerten Sarg liegt Wolfgang Amadeus Mozart, gestorben am 5. Dezember 1791 am hitzigen Frieselfi eber, »das größte Genie der Musikgeschichte«, verlassen von allen guten Geistern, vergraben in anonymer Erde: Niemand trauert, nur der Himmel weint.

Mozarts Diener hat später diese deprimierende Kulisse aufge-zogen, Peter Shaffers Theaterstück und dessen Kino-Adaption tragen die Legende bis heute weiter. Man kann sich den mage-

Wetter: heiter. Publikum: mau. So stellte sich Pierre Roch Vigneron 1820 Mozarts Leichenzug vor. Beethoven hütete die Radierung als symbolische Erinnerung.

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ren Rappen leicht vorstellen, man hört das routinierte Murmeln des Pfarrers und von irgendwoher ein paar Fetzen aus Mozarts Requiem wehen, man riecht die klumpige Erde. Ein Schuft, wer da nicht in göttlichen Dimensionen denkt, an das jammervolle »Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?«, an den todtrau-rigen Choral in Bachs Johannes-Passion »O Mensch, bewein dein Sünde groß«.

Man muss sich nicht wundern, wenn bei diesem imaginären Film auch gestandene Wissenschaftler feuchte Augen bekommen. »Keinen derer, die sich seine Freunde nannten«, entrüstete sich der sonst so vernünftige wie verdienstvolle Erich Valentin, »kei-nen kann die Nachwelt von der schmachvollen Schuld freispre-chen. Die Nachwelt kann nicht hart genug sein in ihrem Urteil über diese Undankbarkeit und Niedertracht der Gesinnung.«

Nun hat sich die rührselige Geschichte des Dieners schon lange als höchst unsicher herausgestellt. Einerseits herrschte zur fraglichen Zeit recht gewöhnliches Winterwetter: »Tems doux. Du brouillard frequent«, notierte Graf von Zinzendorf in altmodischem Französisch: mildes Wetter, häufi ge Nebel. Ande-rerseits muss der 6. Dezember überhaupt als Datum bezweifelt werden. Denn eine Beerdigung durfte in der Regel frühestens 48 Stunden nach dem Tod stattfi nden (und der Tod trat am 5. De-zember ein). Die Vorschrift sollte verhindern, dass Scheintote versehentlich unter die Erde gebracht werden. Selbst »Undank-barkeit und Niedertracht« sind keineswegs die volle Wahrheit. Wer nun wirklich Mozart am Grab die letzte Ehre erwiesen hat, wird sich kaum mehr klären lassen – die Quellen dazu stammen aus späterer Zeit, ihre Informationen bleiben entsprechend un-zuverlässig. Sicher ist allerdings, dass seit Joseph II. die »Ein-fachheit der Leichenbegängnisse« offiziell gefordert, wenn auch nicht immer befolgt wurde. Die Anweisung muss niemanden verwundern: Sie verweist auf die katholische Tradition, die in der Kirche, beim Totengottesdienst, dem Requiem, feiert und danach, um den Gang zum offenen Grab, kein sonderliches Auf-hebens macht. Starb Mozart also ohne Freunde, Bewunderer, Verehrer? Wenn man seinem frühen Biografen Georg Nikolaus von Nissen vertraut, dann wusste die Musikwelt sehr wohl, wen

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sie verloren hatte. In Prag fand »eine Feyer, ganz des grossen Meisters würdig«, statt. Und auch in »Wien feyerte man das An-denken Mozart’s mit Würde«.

Mozart erhielt auch nicht, wie oft behauptet wird, ein Armen-begräbnis, das für die Angehörigen kostenlos gewesen wäre. Die Zeiten waren nicht bloß wirtschaftlich unsicher, und deshalb riet Baron van Swieten, ein Freund der Familie, zur billigsten Lösung: dritter Klasse. Mozart wurde deshalb in einem Reihen-grab beerdigt, den heutigen Tendenzen zu anonymen Urnenbe-stat tungen nicht unähnlich. Weil Constanze sich bei Bekannten verkrochen hatte, anstatt am Grab zu weinen, weil sie außer-dem naiv und irrtümlich darauf vertraute, die Pfarrei würde sich um ein Holzkreuz schon kümmern, bleibt der genaue Be-gräbnisort ungewiss. Als Constanze sich nach Jahren erst erkun-digte, war die Stelle bereits turnusmäßig umgegraben. Der neue Totengräber wusste von nichts.

Mozart mag, als er starb, nicht viele Freunde gehabt haben. Verehrer hatte er und jede Menge Fans. Zeitungen druckten anerkennende – wenn auch wenig aussagekräftige – Nachrufe, und Nissen behauptet Plausibles: »Der Tod Mozart’s erregte öf-fentliche Theilnahme. Am Sterbetage selbst blieben viele Leute vor seiner Wohnung stehen und gaben ihre Theilnahme auf man cherlei Art zu erkennen.« Schließlich wären die Benefi z-veranstaltungen für die Witwe Constanze niemals so einträglich gewesen, hätte Mozart nichts gegolten. Deutlichstes Indiz aber für den Marktwert des Namens ist wahrscheinlich, dass schon kurz nach Eintritt des Todes der wunderliche Graf Deym auf-tauchte, um für das Müllersche Wachsfi gurenkabinett eine Toten-maske anzufertigen. Es muss also einige Auf-regung in der Stadt gegeben haben, so dass der Sensations-Unternehmer nicht nur von Mo zarts Tod erfuhr, sondern auch den Ab-druck noch rechtzeitig herstellen konnte, be-vor der Leichnam aufquoll.

Nicht allein Deyms Totenmaske, auch ein angebliches Mozart-Porträt, das rechtzeitig vor dem 250. Geburtstag aus dem Nichts auf-

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Mozart-Bilder

Erstaunlicherweise gibt es nur wenige Beschreibungen von Mozarts Äußerem, und auch die authentischen Porträts sind gezählt. Dem gegenüber steht eine gewal-tige Menge von Fälschungen, die vor allem aus dem 19. Jahrhundert stammen. Noch immer tauchen regelmäßig vermeintliche Neuentdeckungen auf. Das erklärt auch die Zurückhaltung im Fall des 2005 aufgefundenen Bildes, das der Münchner Maler Johann Georg Edlinger noch 1790 angefertigt haben soll (siehe Seite 9).

Erst 1819 malte die Salzburger Künstlerin Barbara Krafft den jungen Mozart. Das Bild zeigt einen im Gesicht recht lebendigen Jugendlichen. Wach und ein wenig skeptisch blickt er aus mandelförmigen Augen zur Seite, den geschlos-senen Mund verzieht er wie Mona Lisa zu einem Lächeln. Allerdings variiert der Gesichts ausdruck je nach Reproduktion stark.

Kraffts Mozart hat starke Ähnlichkeiten mit dem jungen Mann, der auf Johann Nepomuk della Croces Familienbild zu sehen ist – und das ihn nach Nannerls Zeugnis besonders gut trifft. Zusammen mit seiner Schwester, die von einer ge-waltigen Frisur gekrönt ist, sitzt er am Klavier, der Vater stützt sich auf dem Deckel ab, Geige und Bogen in den Händen. Die verstorbene Mutter blickt aus einem Medaillon von der Wand. Der Reiz dieses Gemäldes liegt im Detail: im freundlich-müden Gesichtsausdruck des Vaters Leopold, der seinen Kopf leicht schräg und die Augenlider halb geschlossen hält, ganz so, als habe der Fotograf einen Moment zu früh abgedrückt.

Joseph Langes unvollendetes Ölgemälde ist bemerkenswert, weil es keine Pose porträtiert, sondern einen erwachsenen Künstler zeigt, der sich auf einen Gegen-stand konzentriert, der auf dem Bild selbst nicht zu sehen ist. Lange hat eine Reihe von Varianten geschaffen, Mozart am Klavier allerdings ist seine persön-lichste Deutung. Darüber hinaus ist es das einzige Mozart-Bild, das sich aus der Starre der Konstruktion löst.

Einen sehr speckigen Mozart, bei dem die großen und weit geöffneten Augen auffallen, hat Doris Stock im April 1789 mit ihrer Silberstiftzeichnung eingefan-gen. In diesem Zusammenhang nun ist Edlingers angebliches Porträt sogar sehr interessant: weil es keinen Helden darstellt, sondern in seinem modernen Duktus vielmehr wie die schmuddelig-entspannte Variation auf ein Bild wirkt, das Tho-mas Gainsborough 1776 von Mozarts Freund Johann Christian Bach gemalt hat.

Am erfolgreichsten bei der Suche nach einem neuen Mozart-Bild war das deut-sche Bundeskriminalamt: 1991 erstellten Spezialisten ein Phantombild und setz-ten es gegen die allzu vertrauten Bilder. Die Frage, wer Mozart wirklich war, ist auch damit nicht beantwortet. Aber in dieser Angelegenheit darf man sich ohne-hin niemals sicher fühlen.

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tauchte, halten die Diskussionen über Mozarts Äußeres wach. Der Komponist Wolfgang Rihm kommentiert ironisch-trotzig: »Mo zart sieht neuerdings aus wie ich. Trotzdem: Mein Mo-zart-Bild setzt sich nur aus Musik zusammen, nicht aus Gemälden.« Das ewig unstillbare Verlangen, vom Äußeren auf das Innerste zu schließen, führt oft genug in die Irre – bei Mozart führt es zu nichts: Das macht sein großes Rätsel aus. Wer mit wachen Ohren auf seine Musik hört, dem muss sofort klar sein, dass das alte Bild vom Zuckerpüppchen nicht stimmen kann. Mozarts Dämonen, so hat es Herbert Rosendorfer ausgedrückt, lauern dicht unter der Oberfläche. Wer Mozarts Musik nahe kommt, wer durch die dünne Kruste klassischer Kulisse bricht, kann sich Finger und Hirn verbrennen. Was Mozarts Musik noch heute aufregend macht, haben seine Kritiker in ihren Vorbehalten formu-liert, weil sie das unerhört Neue unmittel-barer wahrnahmen. Zu oft zu gewagt, mein-ten sie, zu verspielt und zu kompliziert. Es sind seine Kapriolen, von denen sie irritiert waren. Die plötzlichen Haken, die er schlägt, die pfi ffigen Einfälle, klugen Lösungen. Es ist seine unerschöpfliche Fantasie, die ihnen Angst machte.

Bei alldem spielt es keine Rolle, dass im Dezember 1791 ein recht gewöhnlicher Mann begraben wurde. Er war ziemlich klein, 1 Me-ter 55 vielleicht, 1 Meter 60 höchstens. Seine Haare – eine rechte Mähne – trug er, ganz nach der Mode, offen und gepudert. Im Ge-sicht hatte er Blatternnarben, ein Doppelkinn wölbte sein Profi l, und die große, fl eischige Nase ist auf keinem der Porträts zu über-

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sehen. »Die Körperbildung dieses außergewöhnlichen Mannes hatte nichts Auszeichnendes«, schrieb Franz Xaver Niemetschek, der Freund, frühe Biograf und Betreuer der beiden Söhne, »er war klein, sein Angesicht angenehm, aber wenn man das große, feuerige Auge ausnimmt, kündigte Nichts die Größe seines Ge-nies.« Das zierliche, feingliedrige, ein wenig blasse Wunderkind hatte sich jedenfalls mit 35 Jahren zu einem »stattlichen Mann« entwickelt. Mozart war einer, der gerne aß und gerne trank, nicht nur, weil er Gesellschaft liebte. Der trotz aller Schulden, aller Enttäuschungen und Tiefpunkte der letzten Jahre offenbar keinen Hunger leiden musste.

Mozart ging es gut. Nach einem unproduktiven Jahr hatte er wieder fl eißig komponiert. Die Zauberflöte war nach einem bangen Start schnell zum Kassenschlager geworden. Die Leute riefen »da capo«, und mit dem prominenten Antonio Salieri war Mozart plötzlich wieder versöhnt, weil der die Nummern mit »bello« lobte. Mozart hatte, was für Freischaffende lebenswich-

Hausmusik bei Mozarts: Die verstorbene Mutter schaut von der Wand aus zu.

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tig ist, jede Menge zu tun, und seine Briefe der letzten Lebens-monate bezeugen seine bemerkenswert gute Laune. Sie war sogar so gut, dass er seinem Kompagnon Schikaneder mitten in einer Vorstellung einen Streich spielte. Schikaneder sang den Papageno, dessen magisches Glockenspiel aber schlug Mozart in den Kulissen. Mozart dachte nicht daran, Schikaneders stum-mes Spiel zu synchronisieren, sondern brachte den Komödian-ten aus Takt und Konzept.

Mozart ging es gar nicht gut. Kerngesund war er nie gewe-sen. Regelmäßig warfen ihn Krankheiten aus der Bahn, plagten ihn Katarrhe, Zahnschmerzen und Migräne. Erneut im Sommer 1791, als er in Prag La clemenza di Tito vorbereitete und aller Wahrscheinlichkeit nach eine Krankheit verschleppte. Er war unruhig, getrieben. Er litt unter Depressionen, er fühlte sich verfolgt. Mit seiner Äußerung (die niemand ernst nahm), er werde vergiftet, legte er selbst den Grundstein für beinahe unge-hemmt durch die Jahrhunderte wuchernde Spekulationen. Die archaische Vorstellung vom Kampf zwischen Gut und Böse ist ein wunderlicher Nährboden für Märchen dieses Genres. Anto-nio Salieri – der ein recht erfolgreicher Konkurrent war, kein Widersacher – hat sich im Wahn vieler Verbrechen bezichtigt. Aber nicht, Mozart getötet zu haben.

Als Mozart noch mit der Zauberflöte beschäftigt war, er-reichte ihn ein seltsamer Auftrag. Ein unbekannter Bote ließ fragen, ob Mozart ein Requiem komponieren könne. Die Bedin-gung: Der Auftraggeber sollte anonym, das Projekt selbst ge-heim bleiben. Erst sehr viel später stellte sich heraus, dass Graf Walsegg-Stuppach einerseits den Todestag seiner Frau feierlich begehen wollte, andererseits aber seine Eitelkeit nicht unter-drücken konnte, das Werk bei dieser Gelegenheit als seine eigene Komposition auszugeben. Der Graf war ein seltsamer Sammler: Im-mer wieder ließ er fremde Federn für sich schreiben. Für die Kirche hatte Mo-

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zart seit einem Jahrzehnt nichts mehr komponiert, ein Requiem fehlte völlig in seinem Werkverzeichnis. Für den Grafen war der Auftrag ein günstiges Geschäft: 225 Gulden zahlte er an den Komponisten. Das Honorar entspricht knapp 5.400 €. Bedenkt man den durchschnittlichen Brutto-Wochenlohn 1790 von 1,5 Gul-den, so war Graf Walsegg nicht geizig. Für den Grabstein hatte er ohnehin mehr als 13-mal so viel ausgegeben.

Ein Requiem komponiert niemand nebenher. Wer sich daran macht, Totenmusik zu schreiben, für Fremde, Freunde oder gar

Requiem: Die Geschichte eines Fragments

Als Mozart starb, ohne sein Requiem zu vollenden, stand die Witwe Constanze vor einem Problem: Der unbekannte Auftraggeber hatte eine nicht unbeträchtliche Anzahlung geleistet. Die Optionen waren damit klar: entweder vollständige Liefe-rung oder Geld zurück. Constanze gab das Manuskript daraufhin an den jungen und talentierten Joseph Leopold Eybler. Der machte sich an die Arbeit, fand schnell einen viel versprechenden Zugang zu Mozarts Gedankenwelt, kam bis zum Offertorium – und gab den Auftrag wieder zurück. Jetzt war es an Mozarts ehe ma-ligem Assistenten Franz Xaver Süßmayr. Der traute sich und wusste offenbar ge-nau, auf welche undankbare Herausforderung er sich dabei einließ. Nur Introitus und Kyrie hatte Mozart noch fertig gestellt, den Rest ergänzte Süßmayr, indem er auf Skizzen und Instrumentationshinweise zurückgriff. Vom Lacrimosa existierten immerhin die ersten acht Takte. Der Auftraggeber Graf Walsegg bekam also Süß-mayrs Fassung, die er als »Requiem composto del Conte Walsegg« zum Todestag seiner Frau aufführte. Die Wiener Uraufführung erfolgte allerdings schon vorher, und zwar als Benefi zkonzert für die Witwe Mozarts im Jahnschen Saal. Der Graf war not amused.

Die unübersichtliche Quellenlage führte 1825 zum sogenannten Requiem-Streit. Der Mannheimer Beamte und vielfältig interessierte Musik-Publizist Gottfried Weber stellte in gezielter Polemik Mozarts Urheberschaft generell in Frage. Der heftige Streit konnte wenig später beigelegt werden, als neue Quellen auftauch-ten. Dafür gerieten nun Süßmayrs Ergänzungen in Verruf. Besonders seine Instru-mentierung provozierte zunehmend Widerspruch. 1971 legte Franz Beyer seine kompositorisch konsequente Requiem-Fassung vor. Die erhielt höchstes Lob von allen Seiten – und konnte die Vormacht der traditionellen Fassung nicht brechen. »Wenn Süßmayrs Vollendung gar so schlecht wäre, dann hätten schon die Zeit-genossen dem letzten Werk Mozarts nicht so viel Achtung entgegengebracht«, meint Leopold Nowak im Vorwort zur Neuen Mozart-Ausgabe.

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sich selbst, kommt nicht umhin, Rechenschaft abzulegen über Zwei fel und Gottvertrauen. Es gibt eine Menge mehr oder we ni-ger glaubwürdige Anekdoten, die belegen sollen, wie mühelos Mo-zart komponieren konnte: in der Kutsche, beim Billard, während der Geburt seiner Kinder gar. In vielen Fällen war die Nieder-schrift tatsächlich nur eine lästige Übung, um das längst fertige musikalische Gebilde aus dem Kopf auf das Papier zu bringen.

An Einfällen mangelte es ja nie, auch nicht am Können. Und trotzdem kam es vor, dass sich Mozart quälte. Die Joseph Haydn zugeeigneten Quartette etwa, bekennt Mozart in seiner leicht unterwürfi gen Vorrede, seien »Früchte einer langen und müh -samen Arbeit«. Ähnlich erging es ihm beim Requiem, das all-mählich aus verschiedenen Keimzellen heranwuchs. Mozart hielt seine Einfälle auf allerlei Schmierzetteln fest: als Frag-mente, Puzzleteile. Das ist kein Beweis für die pathetische Un-terstellung, Mozart habe es in vollem Bewusstsein auf seinen eigenen Tod komponiert. Aber es ist ein Hinweis darauf, wie ernst er diese Arbeit nahm. Es war ihm weitaus wichtiger, als man bei einem Auftrag erwarten sollte, der nicht einmal Aus-sicht auf prestigeträchtige Aufführungen bot: Mozart war hier nur ein Ghostwriter.

Wenn Deadlines drückten, konnte Mozart mit fl iegender Feder komponieren. Nur beim Requiem verlor er den Wettkampf gegen die Zeit.

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»Mozarts letzte Komposition, sein unvollendetes Requiem, steht bis heute im Ruf eines geheimnisumwitterten Werkes«, klagt nicht nur der Mozart-Forscher Christoph Wolff: »Die Le-gendenbildung setzte bereits unmittelbar nach dem Tod des Kom-ponisten ein und trug wesentlich dazu bei, daß die Ereignisse um die Entstehung des Requiems sowie um Mozarts Krank heit und Tod sich zu einem Bild zusammenfügten, das durch myste-riöse, in der populären und pseudo-wissenschaftlichen Literatur oftmals geradezu bizarre Züge angereichert wurde.«

Dabei stellt sich das Requiem nur als Beispiel heraus für ein grundsätzliches Problem, das sich bei der Beschäftigung mit Mozart ergibt. Mozart täuscht alle, die ihn zu kennen glauben. Er trägt alle Widersprüche in sich. Ihm fehlte jede geregelte »hö-here Bildung« – und er war doch klüger, interessierter, belesener, als manche Außenstehenden vermuteten. Er war ein nimmer-müder Spaßvogel – und konnte die ernsthafteste Musik auf der Welt schreiben. Für seine Freiheit und Unabhängigkeit war ihm kein Einsatz zu hoch – und er fand Freude ausgerechnet an einem Kanarienvogel. Er verschwendete sein Talent an kleinste Stückchen – und konzentrierte es in hochkomplexen Monumen-ten. Er war eine Art Chamäleon, das sein Aussehen nur wech-seln kann, weil es längst alle Farben in sich trägt.

Mozart genoss das Leben. Und er achtete den Tod. Einer sei-ner Briefe ist berühmt geworden, gerade weil er sich scheinbar so nahtlos ins düstere Bild fügt. »Mon tres cher Père!«, schreibt der 30-Jährige an den Vater, von dessen Krankheit er erfahren hatte, »da der Tod (genau zu nemmen) der wahre Endzweck unsers lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit die-sem wahren, besten freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! und ich danke meinem gott, daß er mir das glück gegönnt hat mir die gelegenheit (sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den schlüs sel zu unserer wahren Glückseeligkeit kennen zu ler-nen. – ich lege mich nie zu bette ohne zu bedenken, daß ich vielleicht (so Jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr seyn werde – und es wird doch kein Mensch von allen die mich ken-

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nen sagn können daß ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre«. Auch wenn Mozart hier Gedanken aus zweiter Hand formuliert, nämlich die des jüdischen Denkers und Lessing-Freundes Moses Mendelssohn, gibt es keinen Grund, an seiner Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit zu zweifeln. Der Brief zeigt, wie sehr Mozart mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut war – und wie selbstverständlich er es gegenüber seinem Vater formulieren konnte: Beide Mozarts waren zu dieser Zeit Mit-glied einer Freimaurer-Loge.

Mozart »starb zwar gelassen, aber doch sehr ungern«, schreibt Nissen und bestätigt damit das Bild vom »besten freunde«. Mozart starb zwar verschuldet, aber keineswegs verarmt. Sein eigent liches Erbe hat die Neue Mozart-Ausgabe in 105 schwere Notenbände mit gut 23.000 Seiten zu fassen versucht. Viel Wun-derliches ist darunter, Tänze, Märsche, Petitessen. Manches, wo ran sich auch Klavierschüler vergreifen können. Und genug, worüber man ein Leben lang grübeln – und immer wieder aufs Neue staunen darf.